Materialien der Elektronik und Energietechnik (PDF)

Summary

This textbook, "Materialien der Elektronik und Energietechnik," provides a comprehensive overview of electronic materials, including semiconductors, graphene, and functional materials. It is geared towards undergraduate and graduate students studying material science, nanotechnology, and energy engineering, as well as physics, material physics, and chemistry. The book covers fundamental concepts in materials science and engineering.

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Peter Wellmann Materialien der Elektronik und Energietechnik Halbleiter, Graphen, Funktionale Materialien 2. Auflage Materialien der Elektronik und Energietechnik Peter Wellmann Materialien der Elektronik und Energietechnik Halbleiter, Graphen, Funktionale Materialien 2., erweiterte Auflage Pe...

Peter Wellmann Materialien der Elektronik und Energietechnik Halbleiter, Graphen, Funktionale Materialien 2. Auflage Materialien der Elektronik und Energietechnik Peter Wellmann Materialien der Elektronik und Energietechnik Halbleiter, Graphen, Funktionale Materialien 2., erweiterte Auflage Peter Wellmann Department Werkstoffwissenschaften Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Erlangen, Deutschland ISBN 978-3-658-26991-3 ISBN 978-3-658-26992-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26992-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail- lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2017, 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verar- beitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröf- fentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Lektorat: Dr. Daniel Fröhlich Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Für Nadine, die ich liebe Vorwort Das Lehrbuch „Materialien der Elektronik und Energietechnik“ ist als Begleitmaterial zur gleichnamigen Vorlesung des Autors an der Technischen Fakultät der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg entstanden und baut auf dem Vorlesungsmaterial aus gut zehn Jahren auf. Angesprochen sind in erster Linie Bachelor- und Masterstudierende der Fächer Materialwissenschaft, Nanotechnologie, Energietechnik der technischen Fakultä- ten, sowie Physik, Materialphysik und Chemie der naturwissenschaftlichen Fakultäten. Das Lehrbuch deckt thematisch alle elektronischen Materialklassen ab. Ein Schwer- punkt liegt dabei auf den Halbleitern und in der Aufnahme des neuen Materials Graphen. Funktionale Materialien schließen Metalle, Supraleiter, Dielektrika, Thermoelektrika und magnetische Werkstoffe ein. Eine Besonderheit stellen vier als Tafeln bezeichnete Kapitel dar, welche an der jeweils passenden Stelle ein vertieftes materialwissenschaftliches oder physikalisch-chemisches Grundlagenwissen vermitteln. Dazu zählen Ladungsträgersta- tistik im Halbleiter (Fermi-Energie), Bandstruktur (direkte und indirekte Halbleiter), Solarzellen und Grundzüge der Si-Halbleitertechnologie. Die Tafeln bilden das Verbin- dungselement, welches Studierende der Ingenieurwissenschaften mit komplexen festkör- perphysikalischen Phänomenen vertraut macht und andererseits Studierende der Natur- wissenschaften in die ingenieurwissenschaftlichen Grundlagen einführt. In der erweiterten Behandlung der Halbleiter und deren Anwendungen unterscheidet sich dieses Lehrbuch am meisten von anderen Lehrwerken über Werkstoffe der Elektro- technik. Zum ergänzenden Studium werden von dem Autor beispielsweise folgende Titel empfohlen: Werkstoffe der Elektrotechnik (W. v. Münch, Teubner), Werkstoffe für die Elektrotechnik (G. Fasching, Springer), Einführung in die Werkstoffe der Elektrotechnik (H. Schaumburg) und aus dem naturwissenschaftlichen Bereich das Lehrbuch für Experi- mentalphysik, Band 6 – Festkörper (Bergmann-Schäfer, Herausgeber W. Raith, Walter de Gruyter). Streng genommen gehören sowohl die Halbleiter als auch Graphen zur Klasse der funktionalen Materialien. Die Halbleiter nehmen allerdings als zentrales Material in vie- len Anwendungen eine Schlüsselrolle ein. Das Schalten von elektrischem Strom, das Um- wandeln von elektrischem Strom in Licht und umgekehrt auch die Umwandlung von Licht in elektrischen Strom werden größtenteils mit Halbleitern realisiert. VII VIII Vorwort In der von der Kommunikations- und Multimediatechnik geprägten Welt, welche sich so ganz selbstverständlich die Halbleiterelektronik zunutze macht, bleibt es oft verborgen, dass viele wichtige Meilensteine der Halbleitertechnologie in Deutschland entwickelt wurden und werden. Die Kapitel Der Halbleiter Silizium (Elektronik und Mikroelektronik) und Verbindungshalbleiter – Optoelektronik beginnen deswegen mit einem kurzen histo- rischen Abriss und zeigen gleichzeitig moderne Entwicklungen auf. Die aktuelle Auflage des Buches wurde um Kapitel 9 „Materialien für Batterie-, Brenn- stoffzellen- und Wasserspaltung-Technologien“ erweitert. Damit soll die große Bedeutung elektronischer Materialien auf dem interdisziplinären Gebiet der Energiespeichertechnolo- gien verdeutlicht werden. Ziel des Autors ist es, ein Lern- und Lehrbuch zur Verfügung zu stellen, dass Studie- rende der technischen und naturwissenschaftlichen Fächer fundiert mit den Materialien der Elektronik und Energietechnik vertraut macht und gleichzeitig zum eigenen Weiter- denken und Forschen in diesem spannenden Fachgebiet anregt. Das Lehrbuch eignet sich als vorlesungsbegleitendes Vertiefungsmaterial und zum Eigenstudium. Nürnberg, im Oktober 2019 Peter J. Wellmann Danksagung Einige Firmen und deren Mitarbeiter haben mit anschaulichem Bildmaterial zum Gelin- gen des Lehrbuches beigetragen. Dazu zählen die Siltronic AG (D-81737 München, Si-Einkristalle, Herr Dr. Alfred Miller), die PVA-TePla AG (D-35435 Wettenberg, Halb- leiteranlagen- und Messtechnik, Herr Burkhard Spill), die Solarworld AG (D-09599 Frei- berg, Silizium-Solarzellen, Herr Dr. Bernhard Freudenberg und Herr Albrecht Handke) und die Avancis GmbH (D-81739 München, Dünnschichtsolarzellen, Herr Dr. Robert Lechner). Elisabeth Henneberger hat durch die gestalterische Überarbeitung meiner Vorle- sungsskripte, welche als Grundlage für das Lehrbuch gedient haben, tatkräftig mitgewirkt. Nadine Wellmann hat als technisch Interessierte das Manuskript unerschrocken korrek- turgelesen und ihm sprachlich den letzten Schliff verliehen. IX Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik... 1 1.1 Aufbau der Materie............................................ 1 1.2 Kristalldefekte................................................ 7 1.3 Chemische Bindung............................................ 12 1.4 Phasendiagramme............................................. 15 1.5 Mechanische Eigenschaften...................................... 19 1.6 Thermische Eigenschaften....................................... 25 Literatur.......................................................... 30 2 Leiter und Metalle................................................. 31 2.1 Grundlagen der elektrischen Leitung............................... 31 2.1.1 Elektrische Leitfähigkeit.................................. 31 2.1.2 Das Ohm’sche Gesetz.................................... 33 2.1.3 Kontaktspannung........................................ 36 2.2 Metallische Leiter............................................. 38 2.2.1 Metallische Leiter in Kabeln............................... 38 2.2.2 Metallische Leiter in elektrischen Kontakten.................. 39 2.2.3 Metallische Leiter in der Verbindungstechnik und Lote.......... 40 2.2.4 Metallische Leiter in der Mikroelektronik.................... 41 2.3 Elektrische Widerstände und Heizleiter............................. 42 2.4 Thermoelemente.............................................. 44 Literatur.......................................................... 45 3 Halbleiter........................................................ 47 3.1 Der Halbleiter Silizium – Elektronik und Mikroelektronik.............. 48 3.1.1 Herstellung von Reinstsilizium............................. 49 3.1.2 Czochralski-Verfahren.................................... 51 3.1.3 Floating-Zone-Verfahren, tiegelfreies Zonenziehen............. 54 3.1.4 Herstellung von Halbleiterscheiben......................... 55 3.1.5 Dotierung von Silizium – gezielte Einstellung der elektronischen Eigenschaften.......................................... 56 XI XII Inhaltsverzeichnis 3.1.6 Der pn-Übergang, die Bipolar-Diode........................ 60 3.1.7 Die Si-SiO2-Grenzfläche, das MOS-FET-Bauelement........... 65 3.1.8 Kristalldefekte und Minoritätsladungsträgerlebensdauer......... 66 3.2 Verbindungshalbleiter – Optoelektronik............................ 68 3.2.1 Grundlagen der Verbindungshalbleiter....................... 68 3.2.2 Leuchtdioden........................................... 75 3.2.3 Laserdioden............................................ 80 3.2.4 Epitaxie-Prozesstechnologie............................... 83 3.2.5 Leuchtstoffe und Energiesparlampen........................ 86 3.2.6 Nachrichtenübertragung mittels Glasfasern................... 88 3.2.7 Verbindungshalbleiter in der Hochfrequenz- und Leistungselektronik...................................... 90 3.3 Polykristalline und amorphe Halbleiter – Solarzellen und Dünnschichttransistoren........................................ 91 3.3.1 Eigenschaften polykristalliner Halbleiter..................... 91 3.3.2 Eigenschaften amorpher Halbleiter.......................... 93 3.3.3 Prozesstechnologie kristalliner, polykristalliner und amorpher Schichten am Beispiel von Silizium......................... 98 3.4 Organische Halbleiter – Druckbare Elektronik....................... 124 3.4.1 Physikalische Grundlagen................................. 127 3.4.2 Anwendungen und Prozesstechnologie....................... 139 Literatur.......................................................... 151 4 Graphen und weitere Kohlenstoffallotrope............................ 153 4.1 Physikalische Grundlagen....................................... 154 4.1.1 Kristallstruktur......................................... 154 4.1.2 Bandstruktur und physikalischen Eigenschaften von Graphen..... 154 4.1.3 Graphen und Kohlenstoffallotrope.......................... 156 4.2 Herstellung von Graphen........................................ 160 4.2.1 (Mikro-)mechanisches Ablösen (Klebestreifen-Methode)........ 161 4.2.2 Chemische Gasphasenabscheidung.......................... 161 4.2.3 Epitaktisches Graphen.................................... 164 4.2.4 Kolloidale Graphen-Suspensionen.......................... 165 Literatur.......................................................... 167 5 Isolatoren und Dielektrika.......................................... 169 5.1 Materialschlüsselparameter...................................... 169 5.1.1 Materialkenngrößen...................................... 169 5.1.2 Polarisationsverhalten der Materie.......................... 171 5.2 Materialien................................................... 172 5.2.1 Polymere.............................................. 172 5.2.2 Gläser................................................. 176 5.2.3 Keramiken............................................. 178 Inhaltsverzeichnis XIII 5.2.4 Gase und Flüssigkeiten als Dielektrika....................... 182 5.2.5 Vergleich der Dielektrika.................................. 183 5.3 Anwendungen von Dielektrika................................... 184 5.3.1 Dielektrika für Kondensatoren in der Elektronik............... 184 5.3.2 Dielektrika für die Mikroelektronik......................... 188 5.4 Piezo- und Ferroelektrika....................................... 190 5.4.1 Piezoelektrizität, Materialien und Anwendungen............... 190 5.4.2 Ferroelektrizität, Materialien und Anwendungen............... 192 Literatur.......................................................... 194 6 Supraleiter....................................................... 195 6.1 Geschichtliches............................................... 195 6.2 Physikalische Grundlagen der Supraleitung......................... 196 6.3 Supraleiter-Materialien......................................... 202 6.3.1 Metallische Tieftemperatur-Supraleiter....................... 203 6.3.2 Keramische Hochtemperatur-Supraleiter..................... 203 6.4 Supraleiter-Anwendungen....................................... 204 6.4.1 Kabel und Magnete (metallische Supraleiter).................. 205 6.4.2 Elektrische Leiter und Transformatoren (Hochtemperatursupraleiter)............................... 206 6.4.3 Elektronische Bauelemente................................ 208 Literatur.......................................................... 209 7 Magnetische Materialien........................................... 211 7.1 Geschichtliches............................................... 211 7.2 Physikalische Grundlagen des Magnetismus......................... 212 7.2.1 Magnetische Grundgleichung und Einheitensysteme............ 212 7.2.2 Physikalischer Ursprung des Magnetismus in Festkörpern....... 213 7.2.3 Magnetische Domänen in Ferro- und Ferrimagneten............ 221 7.2.4 Hysterese-Kurve der magnetischen Polarisation................ 224 7.3 Magnetische Materialien........................................ 225 7.3.1 Hartmagnetische Materialien.............................. 225 7.3.2 Weichmagnetische Materialien............................. 228 7.4 Magnetische Anwendungen...................................... 231 7.4.1 Magnetische Bandlaufwerke............................... 231 7.4.2 Magnetische Festplatte................................... 232 7.4.3 Spintronik............................................. 236 Literatur.......................................................... 239 8 Thermoelektrika.................................................. 241 8.1 Thermoelektrischer Effekt und Anwendungen....................... 241 8.2 Physikalische Grundlagen und Materialkenngrößen................... 243 8.2.1 Seebeck-Koeffizient S.................................... 243 XIV Inhaltsverzeichnis 8.2.2 Peltier-Koeffizient ∏..................................... 244 8.2.3 Thomson-Effekt Γ....................................... 244 8.2.4 Dimensionslose Kennzahl ZT thermoelektrischer Materialien..... 245 8.2.5 Carnot-Wirkungsgrad ηc.................................. 246 8.3 Materialien................................................... 247 8.3.1 Thermoelemente........................................ 247 8.3.2 Thermoelektrische Generatoren (Peltier-Element).............. 248 Literatur.......................................................... 250 9 Materialien für Batterie-, Brennstoffzellen- und Wasserspaltung-Technologien....................................... 253 9.1 Batterien..................................................... 253 9.2 Brennstoffzellen............................................... 259 9.3 Fotoelektrochemische Wasserspaltung............................. 261 Literatur.......................................................... 265 Stichwortverzeichnis.................................................. 267 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik 1 Dieses erste Kapitel soll den Leser mit den notwendigen fachlichen Grundlagen vertraut machen, der bisher kaum mit Fragen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik in Berührung gekommen ist. Es handelt sich um Basisinformationen, die dem eigentlichen Grundthema des Buches Materialien der Elektronik und Energietechnik im weitesten Sinne zugrunde liegen. Dazu zählt zum einen das Themengebiet Aufbau der Materie, das im Buch als bekannt vorausgesetzt wird. Zum anderen werden die Grundlagen der mecha- nischen Eigenschaften der Materie erläutert, welche in jeder elektrotechnischen Anwen- dung implizit von großer Bedeutung sind. Neben der mechanischen Festigkeit der Werk- stoffe muss in elektronischen Bauteilen beispielsweise die thermische Längenausdehnung an jeder Material-Material-Grenzfläche beachtet werden. 1.1 Aufbau der Materie Die meisten Materialien weisen eine regelmäßige Anordnung der Atome im Festkörper- verband auf, welche man als kristalline Ordnung oder Kristallstruktur bezeichnet. Ist eine Nah-, aber keine Fernordnung vorhanden, spricht man von einem amorphen oder glasarti- gen Zustand. Fensterglas und die meisten Kunststoffe (Plastik) gehören zu dieser Materi- alklasse. Erstreckt sich die atomare Bindung nur über wenige Atome, reichen die Kräfte nicht aus, um einen Feststoff zu bilden und es liegt eine Flüssigkeit bzw. eine Schmelze vor. Besteht keine atomare Wechselwirkung, liegt ein gasförmiger Zustand vor. Kristallstrukturen Die regelmäßige Ordnung der Atome in einem kristallinen Feststoff beschreibt man durch ein Punktgitter, dessen kleinste Einheit, die Elementarzelle, sich periodisch in alle drei Raumrichtungen wiederholt. Die Elementarzelle wird durch die drei unabhän- gigen Vektoren a, b und c im Raum aufgespannt (Abb.1.1a). Jeder Raumposition Rl,m,n © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 1 P. Wellmann, Materialien der Elektronik und Energietechnik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26992-0_1 2 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik im Punktgitter wird durch die Gleichung Rl,m,n = l ⋅ a + m ⋅ b + n ⋅ c mit l, m und n als ganze Zahlen beschrieben. Ein Punkt wird dabei als Basis bezeichnet und besteht aus einem Atom oder einer Atomgruppe (Abb.1.1b). c Kristall Bei einem Kristall handelt es sich um eine regelmäßige Anordnung von Atomen bzw. Atomgruppen in einem Punktgitter. Der wiederkehrende Punkt repräsentiert ein Atom oder einer Atomgruppe und wird als Basis bezeichnet. Ein Kristall wird daher eindeutig durch sein Punktgitter und die zugehörige Basis gebildet. Kristallflächen werden über die Schnittpunkte mit den drei Richtungsvektoren a, b und c, welche die Elementarzelle aufspannen, beschrieben. Die Miller’schen Indizes sind so de- finiert, dass man ganzzahlige Kehrwerte der Schnittpunkte mit den Richtungsvektoren zugrunde legt (Abb. 1.2). Durch die Verwendung der Kehrwerte vermeidet man die An- gabe von Unendlich-Zahlenwerten, wenn die betrachtete Kristallfläche parallel zu einer der Richtungsvektoren verläuft. Die Beschränkung auf ganze Zahlen erleichtert die syste- matische Klassifizierung ähnlicher oder identischer Kristallstrukturen. Kristallflächen werden in runden Klammern angegeben: Zum Beispiel (100) Fläche in Abb. 1.2. Äquiva- lente Flächen eines Kristallgitters fasst man als Klasse in einer geschweiften Klammer zusammen: Zum Beispiel die {100}-Klasse eines kubischen Kristallgitters repräsentiert die drei äquivalenten (100), (010) und (001) Kristallflächen. Kristallrichtungen sind als die jeweiligen Flächennormalen (= Senkrechte auf einer Kristallfläche) definiert und werden in eckigen Klammern angegeben: Zum Beispiel die -Richtung entlang einer Würfel- kante oder die -Richtung entlang der Raumdiagonalen in Abb. 1.2. Äquivalente c b a (a) (b) Abb. 1.1 (a) Illustration des Punktgitters eines kristallinen Materials. Die Vektoren a, b und c span- nen die Elementarzelle auf. (b) Ein Punkt im Kristallgitter besteht dabei aus einem Atom oder einer Atomgruppe, welche man als Basis bezeichnet 1.1 Aufbau der Materie 3 (a) (b) (c) [0-10] (110) (111) (100) Abb. 1.2 Illustration der wichtigsten kristallographischen Richtungen und Flächen in einem kubi- schen Kristall Abb. 1.3 Illustration der c-Richtung wichtigsten kristallographischen Richtungen und Flächen in einem hexagonalen a-Richtung [11-20] m-Richtung [10-10] Basalebene Raumrichtungen fasst man wiederum als Klasse in spitzen Klammern zusammen: Zum Beispiel die Klasse kennzeichnet die drei äquivalenten , und Kris- tallrichtungen entlang der Würfelkanten. Negative Werte kennzeichnen eine umgekehrte Raumrichtung: Zum Beispiel die [0–10] Kristallrichtung verläuft entgegengesetzt zur Kristallrichtung in Abb. 1.2. Im Falle eines hexagonalen Kristallgitters wird häufig eine abweichende Vierernota- tion (h,k,-h-k,l) bzw. [h,k,-h-k,l] verwendet, welche die Basalebene (= hexagonale Grund- fläche) bzw. die darauf senkrecht stehende c-Richtung hervorhebt (Abb. 1.3). Die Vierer- notation hat sich vor allem in der technischen Anwendung von Halbleiterkristallen, Metallen und magnetischen Werkstoffen bewährt, welche isotrope Eigenschaften in der (0001) Basalebene und anisotrope Eigenschaften in der dazu senkrechten c-Rich- tung aufweisen. Die systematische geometrische Einteilung der Kristallstrukturen, welche durch ein Punktgitter und eine Basis repräsentiert werden, führt zu einer eindeutigen Zuordnung in 4 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik 7 Kristallsysteme und darin enthaltenen 14 Bravais-Gitter (Tab. 1.1). Die Zuordnung erfordert Übung und wird im Folgenden anhand von drei kubisch-flächenzentrierten Kris- tallgittern illustriert: Abb. 1.4 zeigt ein kubisch-flächenzentriertes Kristallgitter dessen Basis aus zwei unter- schiedlichen Atomen besteht und als NaCl-(Kochsalz-)Struktur bekannt ist. Das kubisch-flächenzentrierte Kristallgitter in Abb. 1.5 weist ebenfalls eine Basis aus zwei unterschiedlichen Kristallgittern auf, allerdings ist die relative Lage gegenüber der NaCl-Struktur in Abb. 1.4 verschoben. Man bezeichnet die Kristallstruktur in Abb. 1.5 als Zinklende-Struktur. Es fällt auf, dass man die Kristallstruktur als zwei in- einander verschachtelte, kubisch-flächenzentrierte Untergitter der beteiligten Atome auffassen kann. Die Halbleiter GaAs und InP kristallisieren beispielsweise in dieser Zinkblende-Struktur. Das dritte Beispiel in Abb. 1.6 gleicht dem kubisch-flächenzentrierten Kristallgitter in Abb. 1.5 was die räumliche Lage der Atome angeht, die Basis besteht allerdings aus zwei identischen Atomen. Silizium und Kohlenstoff kristallisieren in diesem als Dia- mantstruktur bekannten Gitter. Eine möglichst dichte Packung identischer Atome erreicht man, wenn diese zunächst in einer Ebene wabenförmig anordnet werden. Die dichteste Packung der Atome setzt sich in 3 Dimensionen fort, wenn man die einzelnen Ebenen nicht direkt aufeinander stapelt, sondern versetzt in die Atomzwischenräume der vorhergehenden Ebene platziert. Die dritte Ebene kann entweder wieder über der ersten Ebene liegen. Dann erhält man eine Stapelfolge der Ebenen ABABAB... Oder die dritte Ebene wird so gelegt, dass die vierte Ebene wieder über der ersten zu liegen kommt. In diesem Fall erhält man die Stapelfolge ABCABC … (Abb. 1.7). Die Stapelfolge ABABAB … bildet ein hexagonales (hex) Kristallgitter aus, während die Stapelfolge ABCABC … ein kubisch-flächenzentriertes (kfz) Kristallgitter erzeugt. Die Atome rücken im Kristallverband am dichtesten zusammen, wenn sie sich wie iden- tische Kugeln verhalten. Man spricht aus diesem Grund von der dichtesten Kugelpackung. Die Raumausfüllung in einem Kristallgitter aus identischen Kugeln (Basis aus nur einem Atom) ist mit 74 % in einem hexagonalen (hex) oder kubisch-flächenzentrierten (kfz) Kristallgitter am höchsten und wird gefolgt von einem kubisch-raumzentrierten (krz) Kristallgitter mit 68 %. In einem einfach kubischen Kristallgitter (= kubisch primitiv) be- trägt die Kugelpackung lediglich 52 %. Die Diamantstruktur (kfz, aber mit einer Basis aus 2 Atomen, Abb. 1.6) weist lediglich eine Kugelpackung von 34 % auf (Tab. 1.2). c Hinweis Die meisten Metalle kristallisieren in einer dichten Kugelpackung als hex-, kfz- und krz-Struktur. Im Englischen lauten die zugehörigen Abkürzungen hcp (‚hexago- nal closed packing‘), fcc (‚face centered cubic‘) und bcc (‚body centered cubic‘). 1.1 Aufbau der Materie 5 Tab. 1.1 Illustration der 7 möglichen Kristallsysteme und der darin enthaltenen 14 möglichen Bravais-Gitter eines periodisch angeordneten Kristallgitters aus Punktgitter und Basis 7 Kristallsysteme Achsenlänge Achsenwinkel 14 Bravais-Gitter Kubisch a=b=c α = β = γ = 90° a a a a a a kubisch-primitiv, kubisch-flächenzentriert, kubisch-raumzentriert Tetragonal a=b≠c α = β = γ = 90° c c b b a a Orthorhombisch a ≠ b ≠ c α = β = γ = 90° c c a a b b c c a a b b Rhomboedrisch a=b=c α = β = γ ≠ 90° α a a a Monoklin a≠b≠c α = γ = 90° β ≠ 90° c β c β a a b b Triklin a≠b≠c α ≠ β ≠ γ ≠ 90° α c β γ b a Hexagonal a≠c Winkel an/am = 120°, Winkel a/c = 90° c a a a 6 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik Einheitszelle Analyse kubisch-flächenzentriert (kfz) NaCl-Strukur Basis a a Abb. 1.4 Übungsbeispiel 1: Identifikation der Basis in einem Kristall-Punktgitter am Beispiel der kubisch-flächenzentrierten NaCl-Struktur Einheitszelle Analyse kubisch-flächenzentriert (kfz) Zinkblende-Struktur (z. B. GaAs, InP) Abb. 1.5 Übungsbeispiel 2: Zinkblendestruktur der III-V Verbindungshalbleiter GaAs und InP Einheitszelle Analyse kubisch-flächenzentriert (kfz) Diamant-Struktur (z. B. C, Si, Ge) Abb. 1.6 Übungsbeispiel 3: Diamantstruktur der Elementhalbleiter C, Si und Ge 1.2 Kristalldefekte 7 B A A B A B hex B A A Draufsicht Seitenansicht 3D-Anordung Stapelfolge Stapelfolge C A B A C kfz C B B A A Abb. 1.7 Illustration des Aufbaus der dichtesten Kugelpackung in einem kristallinen Festkörper aus gleich großen Atomen. Die Stapelfolgen ABABAB … und ABCABC … führen zur kubisch- flächenzentrierten und hexagonalen Kristallstruktur mit der größten Raumausfüllung von 74 % Tab. 1.2 Raumausfüllung verschiedener Kristallgitter bei Betrachtung der Atom-Kugelpackung unter der Annahme, dass alle Atome gleich groß sind und dass die Basis des Punktgitters aus nur einem Atom besteht Koordinationszahl (= Anzahl der nächsten Nachbarn) Raumausfüllung kfz, hex 12 74 % krz 8 68 % einfach kubisch 6 52 % Diamant 4 34 % 1.2 Kristalldefekte Im Folgenden werden die Kristalldefekte, also Kristallbaufehler, die eine Unterbrechung der periodischen Anordnung der Atome im Raum darstellen, anhand ihrer Dimension er- läutert. Man unterscheidet nulldimensionale Punktdefekte, eindimensionale Liniendefekte, zweidimensionale Korngrenzen und Stapelfehler sowie dreidimensionale Fremdphasen (Abb. 1.8). Man unterteilt die Kristallbaufehler in intrinsische Defekte, die eine reine strukturelle Veränderung des Ausgangsmaterials betreffen und extrinsische Defekte, die Fremdatome einschließen. 8 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik 0-dim Defekte Zu den extrinsischen Punktdefekten (0-dim) zählen Fremdatome, die unabsichtlich als Ver- unreinigung vorliegen oder absichtlich als Dotierung eingebracht wurden. Fremdatome können substitutionell einen regulären Kristallgitterplatz einnehmen oder interstitiell im Zwischengitter liegen (Abb. 1.9). Zu den intrinsischen Punktdefekten zählen Leerstellen im Kristallgitter, die man als Schottky-Defekte bezeichnet. Atome aus dem Kristallverband oder Fremdatome, die sich im Zwischengitter befinden werden Fraenkel-Defekte genannt (Abb. 1.10). Die Bewegung von Atomen im Kristallgitter nennt man Diffusion. Man unter- scheidet hierbei 3 fundamentale Diffusionsmechanismen (Abb. 1.11). Der Platztausch von 0-dim, 1-dim, 2-dim, 3-dim Kristalldefekte Fremdatome Versetzungen Stapelfehler Fremdphasen Fehlstellen Korngrenzen intrinsische und extrinsische Defekte Abb. 1.8 Klassifizierung von Kristalldefekten nach ihrer räumlichen Dimension Verunreinigungen Fremdatome Dotierstoffe substitutioneller Einbau interstitieller Einbau von Fremdatomen von Fremdatomen Abb. 1.9 Nulldimensionale Defekte: Fremdatome im Kristallgitter 1.2 Kristalldefekte 9 Schottky-Defekt Fraenkel-Defekt Leerstelle Zwischengitteratom, evtl. plus Leerstelle Abb. 1.10 Nulldimensionale Defekte: Fehlstellen im Kristallgitter (a) (b) (c) Abb. 1.11 Diffusion von (Fremd-)Atomen im Kristallgitter zwei benachbarten Atomen (Abb. 1.11a) erfordert sehr viel Energie und spielt bei der Diffusion praktisch keine Rolle. Die Bewegung über das Zwischengitter (Abb. 1.11b) er- folgt bereits bei niedrigen Energien im Bereich von unter einem Elektronenvolt und spielt technologisch eine große Rolle. Die Diffusion über benachbarte Leerstellen (Abb. 1.11c, Atome tauschen Position mit benachbarter Leerstelle) erfordert zwar mit ca. 2 eV bis 4 eV mehr Energie, gehört aber ebenfalls zu den dominierenden Prozessen. 1-dim Defekte Versetzungen bilden die mit Abstand am häufigsten auftretenden Liniendefekte (1-dim) in kristallinen Materialien. Versetzungen können als Randbereiche eingeschobener oder ver- schobener Halbebenen verstanden werden. Versetzungen lassen sich anhand von Umläu- fen im Kristallgitter senkrecht zum Liniendefekt quantifizieren. Abb. 1.12a zeigt zwei Umläufe in einem Kristallgitter, das eine eingeschobene Halbebene aufweist. Der blau gekennzeichnete Umlauf schließt die senkrecht dazu verlaufende Versetzungslinie aus. Die Summe der Verbindungsvektoren zwischen benachbarten Atomen auf dem Umlauf dieses ungestörten Kristallbereiches beträgt Null. Der grün gekennzeichnete Umlauf 10 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik Σ↑ + b = 0 b Σ↑ = 0 Stufenversetzung Versetzungslinie b Burgersvektor b (a) Schraubenversetzung Versetzungslinie || b Burgersvektor b Σ↑ = 0 b Σ↑ + b = 0 (b) Abb. 1.12 Struktur von (a) Stufen- und (b) Schraubenversetzungen in kristallinen Materialien schließt die senkrecht verlaufende Versetzungslinie ein und erfordert einen Vektorbei- trag – b (mit b = Burgers-Vektor), um den durch einen Versatz gekennzeichnet Umlauf wieder auf den Wert Null zu bringen. c Burgers-Vektor Durch die Größe und Richtung der Gleitung im Kristallgitter be- schreibt der Burgers-Vektor b in quantitativer Weise die resultierende Versetzungslinie. 1.2 Kristalldefekte 11 Im Fall der eingeschobenen Halbebene in Abb. 1.12a verläuft die Versetzungslinie senk- recht zum Burgers-Vektor b. Von der Seite betrachtet weist der Kristall durch seine Brei- tenzunahme eine Stufe auf. c Stufenversetzung Bei Stufenversetzungen stehen Burgers-Vektor und Versetzungsli- nie senkrecht aufeinander. Im Fall der verschobenen Halbebene in Abb. 1.12b verlaufen Versetzungslinie und Burgers-Vektor b parallel zueinander. Von oben betrachtet verlaufen die Kristallgitterebe- nen schraubenförmig um die Versetzungslinie. c Schraubenversetzung Bei Schraubenversetzungen liegen Burgers-Vektor und Ver- setzungslinie parallel zueinander. c Hinweis Versetzungen entstehen und gleiten mithilfe mechanisch oder thermisch in- duzierte Spannungen durch das Kristallgitter. 2-dim Defekte Korngrenzen (2-dim) kennzeichnen kristallographisch zueinander verdrehte Kristallberei- che. Im Fall der Kleinwinkelkorngrenze mit Kristallbereichsverdrehungen von wenigen Grad, kennzeichnen aufgereihte Versetzungen den Verlauf der Korngrenze (Abb. 1.13a). Im Fall von Großwinkelkorngrenzen unterscheidet man kohärente Korngrenzen, die spie- gelsymmetrische Kristallzwillinge hervorrufen und inkohärente Korngrenzen, die so stark Kleinwinkel- Korngrenze Großwinkel- korngrenze korngrenze kohärent θ < 15° inkohärent (a) (b) Abb. 1.13 Struktur einer (a) Kleinwinkel- und (b) Großwinkelkorngrenze in einem kristallinen Atomverband 12 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik gestört sind, dass eine einfache Aufreihung von Versetzung (vergleiche Kleinwinkelkorn- grenze) nicht mehr zur Beschreibung der Struktur ausreicht (Abb. 1.13b). Stapelfehler (2-dim) stellen eingeschobene Kristallebenen dar, deren Höhe nur ein Bruchteil der Höhe der Einheitszelle des Kristallgitters ausmacht. Liegen Stapelfehler als Halbebenen vor, stellen die Begrenzungslinien partielle Versetzungen dar. Der Begriff par- tiell impliziert das gerade beschriebene Phänomen, dass der Burgers-Vektor einen Versatz kleiner als die Höhe der Einheitszelle kennzeichnet. Stapelfehler kommen beispielsweise im Halbleiterkristall Silizium vor, dessen kubisch-flächenzentrierte Diamantstruktur ein Punktgitter mit einer Basis von 2 Siliziumatomen aufweist. 3-dim Defekte Fremdphasen (3-dim) zählen zu den am häufigsten auftretenden dreidimensionalen De- fekten. Zu den bekanntesten Vertretern zählen erwünschte Kohlenstoffaggregate in Eisen, die eine Materialhärtung zur Folge haben und unerwünschte amorphe SiO2-Ausscheidungen in Silizium, die das Kristallgitter lokal verspannen. 1.3 Chemische Bindung Man unterscheidet vier chemische Bindungstypen, die den Zusammenhalt der Atome im Festkörper etablieren: Ionenbindung, metallische Bindung, kovalente Bindung und Van- der-Waals-Bindung. Abhängig von den an der chemischen Bindung beteiligten Atomor- bitalen, fallen die Art der Bindung und die resultierenden Bindungskräfte sehr unter- schiedlich aus und machen die große Vielfalt der Materialien möglich. Tab. 1.3 listet eine Reihe von chemischen Elementen und Verbindungen auf, die eine sehr große Bandbreite an Schmelz- bzw. Zersetzungstemperaturen aufweisen. Tab. 1.3 Zusammenstellung von Feststoffen mit sehr unterschiedlichen Schmelztemperaturen Material Schmelzpunkt (°C) Chemische Bindung Graphit ∗ 3800 kovalent Wolfram 3390 metallisch Fe 1536 metallisch Si 1415 kovalent GaAs 1238 vorwiegend kovalent, partiell ionisch NaCl (= Kochsalz) 801 vorwiegend ionisch H2O 0 Van-der-Waals CO2 (= Trockeneis) −78,5 Van-der-Waals He nicht fest unter Normaldruck ∗ unter Normalbedingungen (= Normaldruck) Zersetzungstemperatur (= Übergang fest → gasför- mig) 1.3 Chemische Bindung 13 Van-der-Waals-Bindung Die Van-der-Waals-Bindung hat ihren Ursprung in der Wechselwirkung zwischen elektri- schen Dipolen. Diese werden durch Fluktuationen in der Ladungsträgerverteilung inner- halb der Atome erzeugt. Eine gleichartige Ausrichtung der Dipolmomente führt zu einer Reduzierung der Gesamtenergie des Systems, was zumindest eine schwache chemische Bindung zur Folge hat (Abb. 1.14a). Die Van-der-Waals-Bindung dominiert bei der Kris- tallisation von Edelgasen (Tab. 1.4). Die Van-der-Waals-Bindung kommt auch bei der Kristallisation von Molekülen mit permanenten Dipolmomenten zum Tragen, wie es beispielsweise bei CO2 (TS = −78,5 K) der Fall ist. Die chemische Wasserstoffbrückenbindung zählt ebenfalls zu den Van-der- Waals-Wechselwirkungen. Ionenbindung Die Ionenbindung beruht auf der Coulomb-Wechselwirkung zwischen entgegengesetzt geladenen Ionen (Abb. 1.14b). Die Atome versuchen, im Kristallverband die energetisch günstige Edelgaskonfiguration aus vollen bzw. leeren Atomorbitalen zu erreichen und lie- gen im ionisierten Zustand vor. Die Bindungselektronen sind an den Atomrümpfen lokali- siert. Aufgrund der nahezu kugelförmigen Elektronen-Dichteverteilung ist die ionische Bindung räumlich ungerichtet. Ar Cl‾ Na+ Cl‾ Ar Ar Ar Na+ Cl‾ Na+ Ar Ar Cl‾ Na+ Cl‾ Ar kristallisiertes Argon Natriumchlorid (Van der Waals Bindung) (Ionenbindung) Überlapp (gemeinsame e-) Na+ e- Na+ Elektronen- e- C C gas Na+ e- C e- Na+ Na+ C C e- Natrium Diamant (metallische Bindung) (kovalente Bindung) Abb. 1.14 Chemische Bindungstypen, die für den Zusammenhalt der Atome im Kristallverband verantwortlich sind 14 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik Tab. 1.4 Van-der-Waals-Bindung dominiert bei der Kristallisation von Edelgasen Edelgas Ne Ar Kr Xe TS [K] 24 84 117 161 Die abwechselnd positiv und negativ geladenen Atome nehmen eine möglichst dichte Kugelpackung. Häufige Kristallstrukturen sind daher die NaCl- (kubisch-flächenzentriert) und CsCl-Struktur (einfach kubisch). Ionenkristalle weisen mechanisch spröde Eigenschaften auf. Elektrisch handelt es sich um Isolatoren. Bei erhöhter Temperatur beobachtet man allerdings Ionenleitung. Metallische Bindung Die metallische Bindung basiert auf positiv geladenen Metallatomrümpfen die von einem negativen Elektronengas umgeben sind (Abb. 1.14c). Ein Metallatom gibt im Mittel ein bis zwei Elektronen ab. Die Triebkraft zum Ausbilden der metallischen Bindung ist die Verringerung der Energie der Valenzelektronen beim Übergang zu Leitungselektronen im Elektronengas im Metall. Die Atome eines Metalls nehmen in der Regel die dichteste Kugelpackung ein: Kubisch- flächenzentriert (74 % Packungsdichte), hexagonal (74 % Packungsdichte) oder kubisch- raumzentriert (68 % Packungsdichte). Fast alle technischen Metalle weisen eine kubische Kristallstruktur auf. Metalle weisen mechanisch duktile Eigenschaften auf und lassen sich, umgangssprach- lich ausgedrückt, biegen. Aufgrund der großen Elektronenkonzentration des Elektronen- gases, sind Metalle gute Leiter. c Hinweis Aufgrund des Bandmagnetismus des Elektronengases weisen einige Metalle ferromagnetische Eigenschaften auf. Kovalente Bindung In der kovalenten Bindung nutzen benachbarte Kristallatome die Elektronen gemeinsam, um damit ihre Edelgaskonfiguration zu erreichen (Abb. 1.14d). Die meisten Halbleiter weisen eine ausgeprägte kovalente Bindung auf. Die kovalente Bindung ist darüber hinaus die klassische chemische Bindung vieler Moleküle. Die Kohlenwasserstoffe mit ihren C-H-Bindungen basieren darauf und bilden die Grundlage für Polymere und daraus auf- gebaute Kunststoffe. Die Elektronen der kovalenten Bindung sind zwischen den Atom- rümpfen lokalisiert und führen zu räumlich stark gerichteten Bindungen. Es werden häufig Kristallstrukturen mit niedriger Packungsdichte ausgebildet. Bei der Diamantstruktur liegt diese bei nur 34 %. Die Bindungsstärke der kovalenten Bindung ist vergleichbar zu der der Ionenbindung. Kovalente Kristalle weisen in der Regel spröde Eigenschaften auf. Elektrisch bilden ko- valente Kristalle Isolatoren oder Halbleiter. c Hinweis Abgesehen von den Elementhalbleitern Silizium, Germanium und Diamant, weisen alle Verbindungshalbleiter eine Mischung aus kovalenter und ionischer Bindung 1.4 Phasendiagramme 15 auf. Der ionische Bindungsanteil kommt durch die Verschiebung des Ladungsschwerpunk- tes aus der Mitte zu dem Atom mit der größeren Elektronegativität zustande. Anders herum weisen aber auch klassische Ionenkristalle, wie NaCl, einen kleinen kovalenten Bindungs- anteil von wenigen Prozent auf. 1.4 Phasendiagramme Erstarrungsverhalten von Schmelzen Beim Abkühlen der Schmelze erstarrt ein Elementmaterial bei der Schmelztemperatur TS. Dabei wird die Kristallisationsenergie, die man auch als Latente Wärme bezeichnet, frei. Die Latente Wärme muss vom Ort der Kristallisation abtransportiert werden, was etwas Zeit benötigt. Der Kristallisationsvorgang findet daher nicht abrupt, sondern über ein ge- wisses Zeitintervall hinweg statt (Abb. 1.15). Während der Kristallisation existieren die flüssige und die feste Phase gleichzeitig nebeneinander. Die Temperatur weist dabei kon- stant den Wert der Schmelztemperatur TS auf. Der Kristallisationsvorgang wird im Ab- kühldiagramm als Stufe sichtbar, welche man als Haltepunkt bezeichnet. Phasendiagramm einer beliebig mischbaren binären Legierung Im Falle eines Materials, das sich aus mehreren Atomsorten zusammensetzt, welche unter- schiedliche Schmelztemperaturen aufweisen und untereinander beliebig mischbar sind, beobachtet man anstelle des Haltepunktes ein Halteintervall. Abb. 1.16a erläutert dies anhand des beliebig mischbaren A/B-Materialsystems, welches man als A/B-Legierung bezeichnet. Die Halteintervalle hängen von der Materialzusammensetzung ab und weisen T Schmelze Haltepunkt TS Wand Abkühlvorgang Zeit t t1 t2 T > TS T < TS t1 t2 kristallin Abb. 1.15 Kristallisationsverhalten eines Materials bei Erstarrung durch Abkühlen der Schmelze 16 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik T Haltepunkt T T A A70B30 Halteintervall A30B70 TS(A) flüssig TS(A) B Liquiduslinie fest TS(B) TS(B) Soliduslinie Zeit t A A70B30 A30B70 B (a) (b) Stoffanteil von B [at %] Abb. 1.16 Ableitung des Phasendiagramms einer beliebig mischbaren, binären Legierung für eine gegebene Zusammensetzung einen definierten Temperaturanfangs- und Tempera- turendwert auf (Annahme eines beliebig schnellen Abkühlvorgangs). Durch Auftragung der Halteintervalltemperaturen als Funktion der Materialzusammensetzung erhält man das Phasendiagramm (Abb. 1.16b). Im Falle der A/B-Legierung weisen die Schmelzpunkte der Elemente A und B die Werte TS(A) und TS(B) mit TS(A) > TS(B) auf. Im Temperaturbereich TS(A) > T > TS(B) wird beim Abkühlprozess der Schmelze Kristallisationsenergie frei. Zur besseren An- schauung kann beispielsweise die Legierung aus 70 % A und 30 % B betrachtet werden. Stoff B hat, bedingt durch den niedrigeren Schmelzpunkt, das Bestreben länger in der flüssigen Phase zu bleiben als Stoff A. Es stellt sich ein Gleichgewicht ein in dem B mit Energiegewinn in den A-reichen Kristall eingebaut wird. Der Energiegewinn je B-Atom muss aber größer sein, als das Bestreben als lose B-B-Bindung in der Lösung zu verblei- ben. Die Gesetze der Thermodynamik besagen, dass in einem System (z. B. beliebig mischbare A/B-Legierung), aufgrund der Entropie, Unordnung energetisch bevorzugt wird. Es kommt sowohl in der Schmelze, als auch im Festkörper zu einer statistischen Verteilung von Stoff A und Stoff B. Das Phasendiagramm der beliebig mischbaren Legie- rung spaltet sich von fest/flüssig in fest/fest-flüssig-Mischphase/flüssig auf. Die Begren- zungslinien bezeichnet man als Liquidus- (= Grenze Schmelze-Mischphase) und Soli- dus-Linie (Grenze Mischphase-Festkörper). Betrachtet man anstelle eines beliebig schnellen Abkühlvorgangs (= Voraussetzung für die Entwicklung des Phasendiagramms in Abb. 1.16) einen langsamen Prozess, beobach- tet man eine inhomogene Zusammensetzung des erstarrten Materials. Sobald die Ausgangsschmelze der Legierung mit der Zusammensetzung c0 (= Stoffan- teil B) bei der Temperatur T1 die Liquidus-Linie berührt, kommt es zur Ausbildung einer festen Phase mit höherem Feststoffanteil A, als in der Ausgangsschmelze vorgegeben (Abb. 1.17a). Der Feststoffanteil ck von B kann am Schnittpunkt von T1 mit der Solidus- Linie abgelesen werden. 1.4 Phasendiagramme 17 Abb. 1.17 Erstarrungsverhalten einer T T beliebig mischbaren Legierung A/B TS(A) flüssig Liquiduslinie fest TS(B) Soliduslinie (a) ck c0 T T schnelles Abkühlen (b) ck c0 cf T T langsames Abkühlen (c) A c0 cf B Stoffanteil von B [at %] Beim weiteren Abkühlen kommt es zu einem laufenden Konzentrationsausgleich zwischen Schmelze und Festkörper (= feste Phase). In der festen Phase der Legierung beobachtet man eine stetige Anreicherung von Stoff B (Abb. 1.17b und c). Dieses Phä- nomen bezeichnet man als Seigerung. Die Massenanteile der festen und der flüssigen Phase können zu jedem Zeitpunkt an den Schnittpunkten von T mit der Solidus- und Liquidus-Linie abgelesen werden. Das Hebelgesetz beschreibt den zugehörigen mathematischen Zusammenhang. c Hebelgesetz: mk ( c0 – ck ) = m f ( c f – c0 ) mk/f = relativer Massenanteil der festen (kristallinen) / flüssigen Phase c0/k/f = Konzentration von Stoff B in der Ausgangsschmelze / festen Phase / Rest- Schmelze 18 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik Die Veränderung der Zusammensetzung der Legierung beim Abkühlen kann durch einen schnellen Abkühlprozess, bei dem pro Zeiteinheit nur wenig Feststoff mit variierendem Feststoffgehalt A bzw. B erstarrt, vermieden werden. Abb. 1.18 zeigt zwei beliebig mischbare binäre Systeme (= Feststoffe aus zwei Atom- sorten) aus den Bereichen der Metalle und der Halbleiter. Im Falle von Halbleiterkristallen kann der in Abb. 1.17 anhand einer beliebig misch- baren Legierung beschriebene Kristallisationsvorgang (= Stoff A) herangezogen werden, um Fremdstoffe (= Stoff B) in der Schmelze anzureichern, anstatt sie in den Kristall ein- zubauen. Man bezeichnet dieses Phänomen als Segregation. Der Segregationskoeffizient k = ckristall / cflüssig mit k ≤ 1 beschreibt diesen Kristallreinigungsprozess quantitativ. Der Reinigungsprozess ist bei kleinen k-Werten groß. Die Segregation wirkt sich positiv auf das Kristallwachstum reiner Kristalle aus, weil dadurch Verunreinigungen (= unabsichtliche Fremdstoffe) in der Schmelze angereichert werden, anstatt dass sie sich in den Kristall einbauen. Die Segregation hat einen Reini- gungseffekt zur Folge und wird bei einigen Halbleitermaterialien speziell für diesen Zweck angewandt. Die Segregation wirkt sich allerdings negativ auf die Dotierung aus (= absichtliches Einbringen von Fremdstoffen). Ein Segregationskoeffizient k 108 Lastspiele, Dauerschwingfestigkeit) aus (Abb. 1.25b). Beispiel Eisen und Aluminium zeigen eine grundlegend unterschiedliche Dauerfestigkeit. Während die Dauerschwingfestigkeit von (krz) Fe bei ca. 106 Lastspielen sättigt, fällt diese bei (kfz) Al für > 106 Lastspiele langsam aber stetig weiter ab. Die Definition der Dauerschwingfestigkeit von 108 Lastspielen bedeutet, dass das Bauteil bei einem Last- spiel pro Sekunde mehr als 30 Jahre stabil ist. Druckversuch und Härte Mit Hilfe des Druckversuchs wird als statische Materialeigenschaft die Oberflächenfestig- keit eines Materials geprüft. Abhängig von der Form und dem Material des Druckkörpers, sowie der aufgebrachten Druckkraft unterscheidet man die Härte nach Brinell, Vickers, Knoop und Rockwell (Tab. 1.5). Die Härte nach Mohs beurteilt die gegenseitige Ritzbarkeit der Materialien (Tab. 1.5). Abb. 1.26 gibt eine Übersicht der Härte von verschiedenen technischen Materialien nach den verschiedenen Messverfahren. 1.6 Thermische Eigenschaften 25 Spannung σ σA σM (a) Zeit σA σKurzzeit Dauerschwingfestigkeit für > 108 Lastspiele kurzeitiger Bruch für < 103 Lastspiele σLangzeit (b) 1 102 104 106 108 Lastspielzahl Abb. 1.25 Bestimmung der Dauerschwingfestigkeit eines Werkstoffes unter Wechselbelastung: (a) Aufgeprägte zeitliche Wechselbelastung, (b) Lastspielzahl bis zum Bruch für eine vorgegebene Spannungsamplitude σA c Hinweis Abhängig vom angewandten Messverfahren kann der Härteunterschied zweier Werkstoffe stark abweichen. 1.6 Thermische Eigenschaften Physikalische Grundlagen Die Wärmekapazität C beschreibt, welche Wärmemenge ΔQ bei einer positiven bzw. ne- gativen Temperaturänderung ΔT in ein Material hineinfließt bzw. aus diesem herausströmt. Es gilt: C = ∆Q /∆T [ J /K ] 26 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik Tab. 1.5 Übersicht der gängigsten Messverfahren zur Bestimmung der Materialhärte Methode Druckkörper Anwendungsgebiet Bestimmung der Härtezahl Brinell Kugel weiche bis mittelharte abgeleitet aus dem (HBW) z. B. d = 10 mm Metalle, Holz, Werkstoffe Durchmesser des Sinterhartmetall, wie mit ungleichmäßigem bleibenden Eindrucks im WC Gefüge Werkstück HBW = 0,102·2·F/ (π·D·(D-(D2−d2)0,5) F = Kraft D = Kugeldurchmesser, d = Eindruck-Durchmesser Vickers Diamantpyramide homogener Werkstoffe, abgleitet aus Verhältnis von (HV) (quadratisch) dünnwandige oder Druckkraft und Eindruck- oberflächengehärtete Fläche Werkstücke HV = 0,1891·F/d2 F = Kraft d = Eindruck-Durchmesser Knoop Diamantpyramide spröde Materialien, wie HK = 1,451 F/l2 (HK) (rhombisch) Keramiken und F = Kraft Sinterwerkstoffe d = Eindruck-Länge (lange Seite) Rockwell Diamantkegel Metalle, ungeeignet für Eindringtiefe eines (HR) Oder 1/16 Zoll elastische Oberflächen Prüfkörpers bei Anliegen Stahlkugel einer bestimmten Vor- und Oder 1/8 Stahlkugel Prüfkraft Moohs Messprinzip = Vergleich Mineralogie und Geologie Vergleich von Werkstoffen: von Werkstoffen durch Harte ritzen weiche Ritzen der Oberfläche Materialien Skala 1 bis 10 mit (Talk = 1, Quarz = 7 und Diamant = 10) Die spezifische Wärme cV bezeichnet die auf die Masse M des Festkörpers bezogene Wär- mekapizität. Es gilt: C v = C /M [ J /(kg ⋅ K )] Tab. 1.6 listet zum Vergleich die spezifische Wärme einiger Materialien auf. Leichte Me- talle weisen tendenziell größere cV-Werte auf als schwere Metalle. Die spezifische Wärme von Polymeren liegt in der Größenordnung von 1 kJ/(kg ⋅ K). Wasser besitzt mit cV = 4,19 kJ/( kg ⋅ K) eine sehr große spezifische Wärme und eignet sich zur Wärmespeicherung in der technischen Anwendung. In Analogie zur elektrischen Stromdichte j = σ·E = σ·dU/dx (σ = elektrischen Leitfähig- keit, E = elektrisches Feld, U = elektrische Spannung, x = Abstand der Elektroden, Abschn. 2.1.2) lässt sich die Wärmestromdichte definieren. Anstelle des elektrischen Fel- des (bzw. der elektrischen Potenzialdifferenz) wirkt die Temperaturdifferenz bzw. der 1.6 Thermische Eigenschaften 27 Vickers Brinell Rockwell Mohs HV HBW RB RC 0 0 1 Kalkspat Kupfer 0 200 50 0 4 Flussspat Duraluminium 100 20 6 Feldspat vergüteter Stahl 400 40 500 7 Quarz 50 (SiO2, kristallin) 600 60 700 8 gehärteter Stahl 1000 70 9 Korund (SiC) Hartmetalle 1500 Saphir (Al2O3) 2000 10 Diamant (C) Abb. 1.26 Übersicht über die Härte von Materialien nach unterschiedlichen Messverfahren (nach H. Schaumburg, Einführung in die Werkstoffe der Elektrotechnik, Teubner, 1993) Tab. 1.6 Übersicht der Material Spezifische Wärme cV [kJ/(kg ⋅ K)] spezifische Wärme cV einiger Aluminium 0,90 Materialien Kupfer 0,39 Eisen 0,44 Blei 0,16 Silizium 0,70 Wolfram 0,13 Wasser 4,19 Stickstoff 1,04 Polymere 0,84 … 1,47 Temperaturgradient dT/dx als Triebkraft für den Wärmetransport. Anstelle der elektrischen Leitfähigkeit beschreibt die Wärmeleitfähigkeit λ (Einheit: W/(m·K)) den Wärmetransport. Für die Wärmestromdichte j∆Q gilt: j∆Q = – λ·dT /dx Tab. 1.7 fasst die Wärmeleitfähigkeit der wichtigen Materialklassen Metall, Halbleiter, Isolator und Gas zusammen. Die hohe Wärmeleitfähigkeit der Metalle und Halbleiter liegt darin begründet, dass sowohl Gitterschwingungen (= Phononen) als auch elektrische 28 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik Tab. 1.7 Übersicht der Wärmeleitfähigkeit der wichtigen Materialklassen Metall, Halbleiter, Isolator und Gas Materialklasse Material Wärmeleitfähigkeit λ [W/(cm ⋅ K)] Metall Silber 4,3 Kupfer 4 Nickel 0,9 Eisen 0,8 Molybdän 1,4 Kohlenstoff Graphen 50 Graphit 1,5 Halbleiter Diamant 20 Siliziumkarbid 5 Silizium 1,5 Galliumarsenid 0,5 Isolator Aluminiumoxid 0,3 Quarz 0,013 Glas 0,008 Porzellan 0,005 … 0,03 C-H-Polymere 0,002 … 0,005 Holz 0,001 … 0,002 Gas Luft 0,0003 Argon 0,0002 Ladungen (elektrischer Strom) einen Wärmeübertragungsbeitrag leisten. Bei den Isolato- ren dominieren Phononen den Wärmetransport. Diamant verhält sich elektrisch eher wie ein Isolator. Seine hohe Wärmeleitfähigkeit beruht auf dem großen Phononenbeitrag, der auf der extrem starken kovalenten chemischen Bindung basiert. Thermische Eigenschaften – Dimensionierung eines Kühlkörpers In der technischen Anwendung wird der thermische Widerstand Rthermisch eines Bauteils anstelle der reinen Materialwärmeleitfähigkeit λ verwendet. Es gilt: ° 1 / λthermisch = Rthermisch ⋅ Querschnitt / Lange  , Einheit : K / W bzw.. C /W Beispiel Ein thermischer Widerstand Rthermisch = 20 K/W = 20 °C/W eines Kühlkörpers für elek- tronische Bauelemente bedeutet, dass eine Temperaturdifferenz von 20 °C erforderlich ist, um 1W Verlustleistung abzuführen. Bezogen auf die Umgebungstemperatur wird sich das elektronische Bauelement bei einer elektrischen Verlustleistung von P = 1W um ΔT = 20 °C erwärmen. Thermische Längenausdehnung Die thermische Längenausdehnung beschreibt das Phänomen, dass sich der mittlere Atomabstand eines Materials bei Erwärmung vergrößert (Abb. 1.27). 1.6 Thermische Eigenschaften 29 Abb. 1.27 Illustration der Energie thermischen Längenausdehnung eines mittlere Lage des Gitteratoms kristallinen Materials: Mit zunehmender thermischer Energie kB·T nimmt der mittlere Abstand der Atome im Kristallgitter zu und damit die Größe der Einheitszelle (nach H. Schaumberg, Einführung in Amplituden von die Werkstoffe der Atomschwingungen Elektrotechnik, Teubner, 1993) a0 Gitterparameter c Thermische Längenausdehnung Der thermische Ausdehnungskoeffizient αT quanti- fiziert die thermische Längenausdehnung. Es gilt: L ( T ) = L0 ·(1 + α T ·T ) , L0 beschreibt die Länge des Festkörpers am absoluten Nullpunkt bei T = 0K. Betrachtet man die thermische Längenausdehnung αT und die Schmelztemperatur TS eines Materials, beobachtet man ein reziprokes Verhalten (negative Steigung von −1 der Trendgeraden in der doppelt-logarithmischen Darstellung in Abb. 1.28). Niedrigschmel- zende Materialien weisen eine große thermische Längenausdehnung αT auf. Dies liegt in der schwachen chemischen Bindung der Atome begründet, welche bereits bei niedrigen Temperaturen eine Aufweitung des Atomverbandes bis hin zum Aufbrechen der chemi- schen Bindung zur Folge hat. Lernstoff/Wiederholungsfragen Beschreiben Sie den Aufbau eines Kristalls aus Punktgitter und Basis. Welche Kristallstrukturen weisen die dichteste Packung auf? Welche 0-, 1-, 2-, 3-dim sowie intrinsische und extrinsische Defekte findet man in Kristallstrukturen? Was versteht man unter dem Burgersvektor? Was sind Stu- fen-, was Schraubenversetzungen? Erläutern Sie das Phasendiagramm einer beliebig mischbaren binären Verbin- dung. Welche Parameter beschreiben die mechanischen Eigenschaften von Materia- lien? Mit welchen Messverfahren werden sie bestimmt? Wie ist die Wärmeleitfähigkeit und Wärmewiderstand eines Materials definiert? 30 1 Allgemeine Grundlagen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik αT [10-6 K-1] K Na Li 50 Zn Al 20 Ag Cu Au Ni Fe 10 Ti Cr 5 Mo W 2 200 1000 2000 5000 TS [K] Abb. 1.28 Abhängigkeit der thermischen Längenausdehnung αT von der Schmelztemperatur eines Werkstoffes (am Beispiel der Metalle)(nach H. Schaumburg, Einführung in die Werkstoffe der Elek- trotechnik, Teubner, 1993) Literatur Waldemar von Münch, Werkstoffe der Elektrotechnik, Teubner, 1993. Hanno Schaumburg, Einführung in die Werkstoffe der Elektrotechnik, Teubner, 1993. Gerhard Fasching, Werkstoffe für die Elektrotechnik, Springer, 1994. Günter Gottstein, Physikalische Grundlagen der Materialkunde, Springer, 1998. Leiter und Metalle 2 2.1 Grundlagen der elektrischen Leitung 2.1.1 Elektrische Leitfähigkeit c Elektrische Leitfähigkeit Die elektrische Leitfähigkeit σ eines Materials ist definiert als das Produkt aus Ladungsträgerkonzentration n, Elementarladung e und Ladungsträger- beweglichkeit μ. Es gilt: σ = n⋅e⋅ µ c Hinweis Im Falle der Ionenleitung in Gläsern und Keramiken wird n durch die Ionen- konzentration und e durch die Ladung der Ionen ersetzt. Vergleicht man die unterschiedlichen Werkstoffe Metalle, Halbleiter und Isolatoren, fällt auf, dass die Leitfähigkeit eine Bandbreite aufweist, wie bei keiner anderen Materialei- genschaft über mehr als 20 Größenordnungen (vgl. Abb. 2.1). Der Ursprung begründet sich in der Bandstruktur der verschiedenen Materialien. Ausgehend von den diskreten Energieniveaus der Einzelatome entstehen beim Aufbau eines Materials quasi-kontinuierliche Energiebänder (Abb. 2.2a) während der Bildung der chemischen Bindungen. Abhängig von der Anzahl der Elektronen in den Ausgangsatomen sind diese Bänder mit Elektronen vollbesetzt, teilbesetzt oder leer (Abb. 2.2b). In Metallen ist das energetisch höchste, mit Elektronen besetzte Band nur teilweise gefüllt. Die Ener- gie, die diesen Füllstand kennzeichnet, bezeichnet man als Fermi-Energie oder Fermi- Kante. Elektronen nahe der Fermi-Kante können bei Anlegen eines elektrischen Feldes freie Energieniveaus oberhalb der Fermi-Energie einnehmen und sich durch das Material bewegen. Aufgrund der großen zur Verfügung stehenden Elektronenkonzentration, weisen Metalle eine große elektrische Leitfähigkeit auf (Tab. 2.1). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 31 P. Wellmann, Materialien der Elektronik und Energietechnik, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26992-0_2 32 2 Leiter und Metalle Isolatoren Halbleiter Metalle S/m 10-14 10-10 10-6 10-2 102 106 Leitfähigkeit 10 -16 10 -12 10 -8 10 -4 10 0 10 4 108 Abb. 2.1 Elektrische Leitfähigkeit verschiedener Materialien aus den Bereichen der Leiter (Silber, Kupfer und Eisen), Halbleiter (Silizium und Germanium) und Isolatoren (Glas, Diamant, Quarz und Teflon) (Einheit: [S/m] = [Ω−1m−1]; häufig auch [Ω−1cm−1]) E Eg kB⋅T Eg Einzel- Fest- Halb- 2 Atome Isolator Metall atom körper leiter (a) (b) Abb. 2.2 (a) Entstehung der Bandstruktur in einem Festkörper ausgehend von Atomorbitalen und chemischen Bindungen zwischen Atomen. (b) Elektronenfüllstand der Bänder: Voraussetzung für die elektronische Leitung sind teilbesetzte Bänder, wie sie in Metallen und Halbleitern vorkommen In einem Isolator hingegen folgt auf das energetisch oberste volle Band ein leeres Band. Die Bandlücke Eg ist sehr groß (in der Regel Eg > 5 eV), so dass eine thermische Anregung von Elektronen (thermische Energie bei Raumtemperatur kB ⋅ T ≈ 27 meV mit kB = Boltzmann-Konstante und T = Temperatur) aus dem vollen Band in das leere Band prak- tisch ausgeschlossen ist. Die thermisch generierte Ladungsträgerkonzentration liegt zu- meist bei kleiner als 1 cm−3. Aufgrund des Fehlens einer ausreichend hohen Anzahl von freien Elektronenplätzen im besetzten Band (= Valenzband, Abkürzung: VB) und dem Fehlen einer ausreichend hohen Anzahl von Elektronen im darüber liegenden leeren Band (= Leitungsband, Abkürzung: LB) ist der elektrische Ladungstransport und die Material- leitfähigkeit vernachlässigbar klein (Tab. 2.1). Eine Sonderstellung nehmen klassische Halbleiter, wie Silizium und Galliumarsenid ein. Ihre Bandlücke beträgt Eg(Si) = 1,1 eV und Eg(GaAs) = 1,4 eV, so dass die thermische Energie bei Raumtemperatur von ca. 27 meV ausreicht, um einige Ladungsträger (ca. 1010 cm−3 bei Si und ca. 107 cm−3 bei GaAs) thermisch aus dem vollen Valenzband in das leere Leitungsband anzuheben. Der Stromtransport setzt sich aus zwei Komponenten 2.1 Grundlagen der elektrischen Leitung 33 Tab. 2.1 Typische elektrische Eigenschaften der Werkstoffklassen Isolator, Halbleiter und Metalle Isolator Halbleiter Metalle μ [cm2/Vs] einige Hundert 1000 50 n [cm−3] > 0V Elektronen Energie Eg p-Gebiet hν Löcher h+ h+ h+ Fermi Energie n-Gebiet e- e- e- Valenzband p-Gebiet n-Gebiet Inversion Abb. 3.27 Realisierung eines Lasers als pn-Laserdiode p-typ GaAs Metall- n-typ GaAs kontakte polierte n-typ GaAs-Substrat Fläche (a) p-typ AlGaAs Metall- n-typ AlGaAs i-GaAs kontakte polierte n-typ GaAs-Substrat Fläche (b) Abb. 3.28 (a) Grundprinzip einer pn-Laserdiode. (b) Optimierte Laserstruktur auf Basis einer AlGaAs-GaAs-AlGaAs Doppelheterostruktur für ein verbessertes optisches und elektrisches Confi- nement. Das elektrische Confinement links und rechts der Hauptzone (helles Gebiet) wird durch eine zusätzliche laterale Implantation mit Protonen verbessert 3.2 Verbindungshalbleiter – Optoelektronik 83 Tab. 3.7 Materialsysteme für wichtige Laser-Emissionswellenlängen und deren Anwendungsge- biete Spektralbereich/Wellenlänge Materialsystem Anwendung UV / 405 nm InGaN Blue-Ray-Disc-Technologie ROT / 650 nm AlGaAs DVD-Technologie IR / 780 nm GaAs CD-Technologie IR / 1,5 μm In53Ga47As Nachrichtenübertragung in Glasfasern ND ≈ 1018 cm−3 (Donatoren) bzw. NA ≈ 1019 cm−3 (Akzeptoren). Durch den Einsatz von Doppelhetero- oder Quantentopfstrukturen (großes Electrical Confinement) erzielt man die Inversion an der pn-Grenzfläche bereits bei niedrigeren Stromdichten. Durch eine wei- tere laterale Strukturierung der Halbleiterschichten und durch den Einsatz einer Streifen- elektrode auf der Bauelementoberseite (verbessertes Electrical/Optical Confinement, Abb. 3.28b) wird die Schwellstromdichte bis zum Erreichen der Inversion weiter redu- ziert. Tab. 3.7 fasst Materialsysteme für die wichtige Laser-Emissionswellenlängen und deren Anwendungsgebiete zusammen. 3.2.4 Epitaxie-Prozesstechnologie Der Begriff Epitaxie leitet sich aus den altgriechischen Begriffen epi (dt. auf, über) und taxis (dt. Ausrichtung, Ordnung) ab und bedeutet, dass das Substrat und die darauf ab- geschiedene, dünne Schicht eine kristallographische Beziehung aufweisen. Im Bereich der Halbleiterbauelementtechnologie wurde in den 1960er- und 1970er-Jahren die Flüssigphasen-Epitaxie (engl. ‚liquid phase epitaxy‘, LPE) für das Abscheiden dünner III-V Verbindungen auf den Substraten GaAs, GaP und InP entwickelt, die jedoch für die Herstellung von effizienten Leucht- und Laserdioden technisch kaum noch eine Rolle spielt. Zentrale Bedeutung kommen heute der Molekularstrahlepitaxie (engl. ‚mo- lecular baem epitaxy‘, MBE) in der Grundlagenforschung und der chemischen Gaspha- senabscheidung (engl. ‘‚chemical vapor deposition‘, CVD) in der Entwicklung und Pro- duktion zu. Die Molekularstrahlepitaxie (Abb. 3.29) nutzt mit Feststoffen bestückte und beheizte Effusionszellen als Atom-/Molekülquellen. In seltenen Fällen verwendet man eine Gas- quelle anstelle des Feststoffes. Zeitgesteuerte, elektromechanische Ventile (engl. ‚shut- ter‘) erlauben die präzise Steuerung der Atomstrahlen. In der für die Abscheidung vor- bereiteten Prozesskammer herrscht bei einem Gasdruck von kleiner 10−11 mbar Ultrahochvakuum. Durch diesen niedrigen Druck liegt die mittlere Reichweite der Atome im Zentimeter- und Meter-Bereich, was zu gerichteten Atom-/Molekülströmen von den Effusionsquellen zum Substrat führt. Ein so niedriger Gasdruck kann nur er- reicht werden, indem die Prozesskammer vor Inbetriebnahme im Vakuum über mehrere Wochen von außen mit einer Heizdecke erwärmt wird, um auf diese Weise Adsorbate auf 84 3 Halbleiter As Al Si Effusions-Zellen Ga C Shutter RHEED RHEED Elektronen- Bildschirm kanone beheizter Substrat Substrathalter Substrat- Manipulator UHV ca. 10-11mbar Sichtfenster Sichtfenster Hauptschleuse UHV(MBE) HV(Probenschleuse) Abb. 3.29 Schematischer Aufbau einer Molekularstrahlepitaxie-Anlage (engl. ‚molecular beam epitaxy‘, MBE) der Kammer-Innenseite zu entfernen. Das Ein- und Ausschleusen des Substrates erfolgt zum Schutz des Ultrahochvakuums über ein Hochvakuum-Vorkammersystem. Die auf dem Substrat ankommenden Atomspezies werden zunächst auf der Oberfläche adsorbiert und diffundieren solange auf dieser, bis sie entweder an einer energetisch güns- tigen Stelle, wie an einer Schichtstufenkante oder besser an einer Schichtstufenecke (= Kinke), in das Kristallgitter eingebaut werden oder wieder in die Vakuumkammer de- sorbieren. Durch die Substratbeheizung wird die Oberflächenmobilität der ankommenden Spezies auf dem Substrat vergrößert, was wachstumskinetisch eine höhere kristalline Ord- nung ermöglicht. Durch Variation der Substrattemperatur kann aber auch direkt auf die Wachstumskine- tik Einfluss genommen werden, was bei speziellen Methoden wie dem Abscheiden von selbstgeordneten Quantenpunkten und deren Überwachsen von großer Bedeutung ist. Das Schichtwachstum wird mithilfe der Beugung hochenergetischer Elektronen bei Reflexion (engl. ‚reflexion high energy electron diffraction‘, RHEED) so präzise live mitverfolgt, dass Halbleiterschichten Monolage für Monolage abgeschieden werden können. 3.2 Verbindungshalbleiter – Optoelektronik 85 Mittels Molekularstrahlepitaxie werden heute die technologisch anspruchsvollsten Halbleiterschichtsysteme hergestellt. Bedingt durch die aufwändige Anlagentechnik setzt man in der Produktion elektronischer Bauelemente jedoch schwerpunktmäßig Gasphasen- prozesse (engl. ‚vapor phase epitaxy‘, VPE) ein. Eine technisch viel genutzte Form der Gasphasenepitaxie von III-V Verbindungshalb- leitern bildet die chemische Gasphasenabscheidung (CVD). Abhängig von der chemi- schen Natur der eingesetzten Präkursoren haben sich spezielle Bezeichnungen, wie die metallorganische chemische (engl. ‚metal organic chemical vapor deposition‘, MOCVD) und die metallorganische physikalische Gasphasenepitaxie (engl. ‚metal organic vapor phase epitaxy‘, MOVPE) etabliert. Die prozesstechnische Abgrenzung ist allerdings nicht immer eindeutig. Im Falle der III-V Verbindungshalbleiter werden häufig die sehr toxischen Gase Arsin (AsH3) und Phosphin (PH3) sowie Ammoniak (NH3) als Präkursoren der Elemente der fünften Hauptgruppe verwendet. Für die Elemente der dritten Hauptgruppe kommen vor- wiegend metallorganische Substanzen wie Tri-Methyl-Gallium (TMG bzw. TMGa), Tri-Methyl-Aluminium (TMA bzw. TMAl) und Tri-Methyl-Indium (TMI) zum Einsatz. Es handelt sich hier um bei niedrigen Temperaturen siedende Flüssigkeiten. Über ein Trä- gergas, wie beispielsweise Wasserstoff, werden aus temperierten Bubbler-Einheiten defi- nierte Mengen der Guppe-V-Elemente in die beheizte Reaktionskammer eingeleitet (vgl. Abb. 3.30). Im Gegensatz zur Molekularstrahlepitaxie liegen die Kristallbausteine noch nicht atomar vor, sondern müssen durch thermische Zersetzung der Präkursoren-Mole- küle an der beheizten Substratoberfläche freigesetzt werden. Das Trägergas wird so aus- gewählt, dass es sich entweder inert verhält oder den Wachstumsprozess (Präkursoren- Zersetzung und Schichtwachstum) unterstützt. Die Substrattemperatur kann wie bei der CH3 HF H3C TMI In GaAs Substrat induktives Heizen z. B. 700 °C CH3 Bubbler Massenfluss- Suszeptor TMG regler (beheizt) Thermostat H H CH3 As H H3C H Bubbler Ga H P H2 AsH3 H CH3 PH3 Abb. 3.30 Prozesstechnologie der chemischen Gasphasenabscheidung am Beispiel des Wachs- tums von InxGa1–xAsyP1−y-Schichtsystemen 86 3 Halbleiter Molekularstrahlepitaxie zur Steuerung der Wachstumskinetik der Halbleiterschicht ein- gestellt werden. Reicht die Substrattemperatur nicht aus, die Präkursoren-Moleküle ther- misch zu zersetzen kommt bei Niedertemperaturprozessen zur Unterstützung ein Gas- plasma im Bereich des Gaseinlasses in der Reaktionskammer zum Einsatz (engl. ‚plasma enhanced chemical vapor deposition‘, PE-CVD). Die Schichtdicke wird häufig in-situ mithilfe der optischen Laser-Reflektometrie bestimmt. Die Schichtdickenkontrolle während der chemischen Gasphasenabscheidung ist nicht so präzise möglich wie bei der Molekularstrahlepitaxie. Sie liegt aber, abhängig von den Prozessparametern, dennoch im niedrigen Nanometerbereich. Es wesentlicher Punkt bei der chemischen Gasphasenab- scheidung ist die Abgasreinigung. Sie muss das Entweichen gesundheitsschädlicher, toxi- scher Präkursoren in jedem Fall unterbinden. 3.2.5 Leuchtstoffe und Energiesparlampen Bei Leuchtstoffen (Abb. 3.31) handelt es sich zumeist um kristalline Isolator-Werk- stoffe, die eine große Bandlücke und foto-aktive Defektzentren aufweisen. Die große elektronische Bandlücke macht sich für den sichtbaren Spektralbereich transparent. Bei den Defektzentren kann es sich um intrinsische Fehlstellen, Zwischengitteratome und Defektkomplexe daraus handeln. Außerdem können extrinsische Fremdatome mit spezi- fischen Emissionsspektren im Isolator-Wirtskristall für die Lichtemission verantwort- lich sein. Im Falle des Leuchtstoffes YAG:Ce erfahren die Atomorbitale des positiv geladenen Ce3+-Ions im Kristallfeld des Yttrium-Aluminium-Granat-Wirtskristalls (Y3Al5O12) eine Energieaufspaltung. Die Lichtabsorption von Ce3+ im Blauen bei 460 nm sowie die Abb. 3.31 Grundprinzip Anregungsschema/ funktionsweise eines Leuchtstoffes 5d1 LB 460 nm 580 nm 520 nm YAG:Ce3+ 27F 4f1 5/2 25F 5/2 VB 3.2 Verbindungshalbleiter – Optoelektronik 87 Lichtemissionen im Grünen bei 520 nm und im Roten bei 580 nm machen YAG:Ce zu einem fast idealen gelben Leuchtstoff für die Implementation in weißen Leuchtdioden mit blauen InGaN Grundbauelementen (Abschn. 3.2.2). Der energetische Unterschied zwischen Absorptions- und Emissionsenergie beruht auf einer strukturellen Um-Konfi- guration des Defektzentrums im angeregten Zustand und wird durch die Beteiligung von Phononen (Gitterschwingungen) ausgeglichen. Ein anderer YAG-basierter Leuchtstoff, dotiert mit der Seltenen Erde Nd, findet viel- fach Einsatz in grünen Laserdioden. Die Emissionswellenlänge von Nd:YAG liegt bei 1064 nm. Aufgrund der optischen Nichtlinearität des Nd:YAG-Kristalls wird in einem Laserresonator frequenzverdoppelte Emission bei 532 nm (= grün) erzeugt. Eine wesent- liche Systemkomponente stellt dabei eine GaAs-Laserdiode dar, die den Nd:YAG Kristall optisch bei 780 nm pumpt und dadurch die Besetzungsinversion für die Laserfunktion in den Nd3+ Atomorbitalen der 4f-Schale erzeugt. In den klassischen Leuchtstoffen, wie sie seit vielen Jahrzenten in den Leuchtstoffröh- ren und in den davon abgeleiteten Energiesparlampen eingesetzt werden, kommen eine Vielzahl von Materialien zum Einsatz. Für die Klassifizierung der Leuchtstoffe werden der Reflexionskoeffizient sowie die Strahlungs- und Quantenausbeute bezogen auf die optische Anregung mit einer Quecksilberdampflampe zwischen 250 nm und 270 nm auf- gelistet. Effiziente, weiße Lichtemission kann beispielsweise durch Kombination der drei Leuchtstoffe CaWO4:Pb (blau), Zn2SiO4:Mn (grün) und CaSiO3:Pb,Mn (rot) erzielt wer- den (Abb. 3.32). Quecksilberdampflampen gehören mit einer Quantenausbeute von beinahe 70 % zu den effizientesten Emissionsquellen und weisen dabei einen großen UV-Anteil auf, wel- cher zur optischen Anregung vieler Leuchtstoffe herangezogen werden kann. Vernachläs- sigt man elektrische Verluste in der Ansteuerungselektronik, dann erreichen Leuchtstoff- röhren (bzw. Energiesparlampen) durch Kombination einer Quecksilberdampflampe CaWO4:Pb ZnSiO4:Mn CaSiO3:Pb,Mn Lumineszenz-Intensität [w.E.] 400 500 600 700 λ [nm] Abb. 3.32 Emissionsspektren (Anregung Hg-Dampflampe bei 250 nm und 270 nm) von drei effi- zienten Leuchtstoffen für die Anwendung in Leuchtstoffröhren und Energiesparlampen 88 3 Halbleiter 100 W elektrische Leistung elektrische Gasentladung 65 W 15 W UV-Bestrahlung Verluste 3 W sichtbares Licht Elektroden Leuchtstoff + Konversion UV ! Sichtbares 17 W 27 W Verluste 40 W elektrische sichtbares Wärmeverluste Gasentladung Licht 30

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