Einführung in die Fachdidaktik Mathe PDF

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Diese Vorlesungsunterlagen (Version vom 01.10.) liefern eine Einführung in die Fachdidaktik für Mathematik. Sie behandelt Aufgabenbereiche, Tätigkeitsfelder von Mathematiklehrkräften und die Beziehung zwischen Mensch und Mathematik im Kontext des Mathematikunterrichts. Der Text beinhaltet Diskussionen zu Lehrgängen, Zielsetzungen und Stoffauswahl im Mathematikunterricht, sowie die Rolle von Schüler*innen-Vorstellungen und deren Berücksichtigung durch Lehrende.

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VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. 1 Einführung Die Fachdidaktik ist die Berufswissenschaft der Lehrenden, die sich vor ungefähr 50 Jahren im deutschsprachigen Raum für das Unterrichtsfach Mathematik etabliert hat. Nach Erich Wittm...

VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. 1 Einführung Die Fachdidaktik ist die Berufswissenschaft der Lehrenden, die sich vor ungefähr 50 Jahren im deutschsprachigen Raum für das Unterrichtsfach Mathematik etabliert hat. Nach Erich Wittmann beschäftigt sie sich mit der „Theorie und Praxis des Mathematikunterrichts’". Wir stellen drei Auf- gabengebiete fest: 1. Entwicklung praktikabler Lehrgänge für das Lernen im Bereich Mathematik 2. praktische Durchführung und empirische Kontrolle der Lehrgänge 3. Überlegungen zur Zielsetzung und zur Stoffauswahl Das Tätigkeitsfeld der Mathematiklehrer*innen weist vier Dimensionen auf: (a) fachliche Lerninhalte sind mathematischer Natur (b) pädagogisch: allgemeine Lernziele stehen in Wechselwirkung mit der Gesellschaft (c) psychologisch: Berücksichtigung der Disposition des/der Lernenden individuell und als Ge- meinschaft (z. B. als Schulklasse), was eine soziologische Komponente miteinschließt (d) konstruktiv: Unterrichtsplanung und -durchführung erfordert mündige und handwerklich ge- konnte Entscheidungen Konstruktion von Un- terrichtsvorlagen anwenden über spezielle  *  HH Y HH HH      H H HHInhalte  generalisieren anwenden HH HH   H   H HH j Theorien, empirische über Ziele und Methoden - praktische Unter- Befunde über Unter- richtslehren  richtsvorlagen praktisch interessante Hypothesen aufstellen Dieses Diagramm ist wie folgt zu lesen: Die Bereiche „Konstruktion“ und „Theorien“ stellen für den Mathematikunterricht eine ständig wachsende Fülle von Möglichkeiten und Ideen zur Verfügung, aus denen zum Beispiel die Lehrperson oder die Curriculumsentwickler*innen auswählen müssen. Nur ein Bruchteil dieser Vorschläge können empirisch evaluiert werden. Mit einer unmittelbaren Präsentation der Konstruktionen und Theorien würde die Didaktik der Mathematik der Praxis nicht dienen. Daher ist die Entwicklung praktischer Unterrichtslehren notwendig, in denen grundlegende Entscheidungen über Ziele, Inhalte und Methoden getroffen sind und darauf basierend kohärente und konstruktive Unterrichtsvorschläge formuliert werden. Ein Spannungsfeld ergibt sich aber zwischen dem „optimalen“ Lehrgang und den dennoch mög- licherweise oder sehr wahrscheinlich auftretenden Schwierigkeiten von (manchen) Schüler*innen. 1 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. Woher kommen diese? — Die Korrespondenzannahme, dass sich die mathematischen Inhalte in den Köpfen der Schüler*innen wie von der Lehrperson intendiert abbildet, ist sehr problematisch und trifft oft nicht — oder nur zum Teil — zu. Rudolf vom Hofe beschreibt diese Diskrepanz durch normative und deskriptive Grundvorstellungen. Erstere werden von den Lehrenden vorgegeben und richten sich in der Regel nach den fachlichen Gegebenheiten. Darunter sind nicht nur die Definitionen mathematischer Begriffe zu verstehen, sondern auch zum Beispiel unterschiedliche Interpretationen oder Darstellungen von Bruchzahlen. Mit zweiteren ist gemeint, wie diese mathematisch korrekten Konzepte von den Schüler*innen aufgenommen werden. Daraus können wiederum die Lehrer*innen lernen, wenn es ihnen gelingt, diese Schüler*innenvorstellungen zu eruieren. Geben wir ein Beispiel: Der Grenzwert einer Folge ist ein mathematisches Konzept, das in der zehnten Schulstufe AHS im Lehrplan vorgesehen ist. Eine normative Grundvorstellung kann die Definition desselben betreffen: a = lim an ⇐⇒ ∀ε > 0 ∃N so dass ∀n ≥ N |an − a| < ε. n→∞ Schüler*innen denken bei Grenzwert einer Folge vielleicht — exemplarisch — daran: 3 3+n n2 + n1 lim = lim 4. n→∞ 4 + n2 n→∞ +1 n2 Beides ist natürlich nicht falsch, die eine Vorstellung kann aber die andere in jeweils bestimmten Situationen nicht ersetzen. Roland Fischer und Günther Malle fokussieren auf das Verhältnis von Mensch und Mathe- matik. Dabei kommt sehr rasch die Sinnfrage auf, zum Beispiel bei der fachlichen Ausbildung von Lehramtskandidat*innen. Wozu müssen Sie den den Begriff einer Cauchyfolge kennenlernen? Und wenn wir bei diesem Beispiel bleiben: Sie sind angehalten, wenn es der oder die Vortragende nicht tut, selbst Zusammenhänge zwischen Schulmathematik und universitärer Mathematik zu finden. Warum ist zum Beispiel die Euler’sche Zahl e sowohl gleich der aus der Exponentialreihe ∞ ∞ X xn X 1 e = x gewonnenen Reihe n=0 n! n=0 n! als auch gleich dem Grenzwert der aus der Schule bekannten Folge (zehnte Schulstufe AHS)  n 1 1+ ? n n Tipp: Für xn := 1 + n1 gilt nach dem Binomischen Lehrsatz für alle n ∈ N n   n      X n 1 X 1 1 2 i−1 xn = =1+ 1− 1− ·... · 1 −. (1) i=0 i ni i=1 i! n n n P∞ Wenn wir e := n=0 n!1 definieren, dann zeigt die eben durchgeführte Rechnung (1), dass die Folge ⟨xn ⟩ nach oben durch e beschränkt ist. Mit der Bernoulli’schen Ungleichung sieht man, dass die Folge ⟨xn ⟩ streng monoton wachsend ist. Insgesamt ist sie also konvergent. 2 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. Aus der Gleichung (1) folgt für alle k ∈ N k X 1 lim xn ≥. n→∞ i=0 i! n Damit ist e auch gleich limn→∞ 1 + n1. Es geht Fischer und Malle darum, im Mathematikunterricht außer der Wissensaneignung auch das Verhältnis zum Wissen bewusst aus zwei Gründen zu entwickeln: Wissen liegt in materialisierter Form in unterschiedlichen Medien (Bücher, Internet, etc.) leicht greifbar vor. Daher ist die Handhabung und der flexible Einsatz des Wissens bedeutsamer als die schlichte Aneignung desselben geworden. Dies setzt eine Distanz zwischen Mensch und Wissen und ein reflektiertes Verhältnis zum Wissen(serwerb) voraus, was im traditionellen Unterricht nicht angestrebt wird. Die Fülle von vorhandenem Wissen lässt eine absolute Orientierung an Bildungsinhalten nicht mehr zu. Geht man von einer Verantwortung jedes/r Einzelnen für seine/ihre Bildung aus, dann gewinnt Subjektivität eine neue Bedeutung im Bildungsprozess. Daher ist aber auch eine Reflexion des Verhältnisses Subjekt–Wissen notwendig, um Irrationalität und Beliebigkeit zu verhindern. Lernende Lehrende 6 Mensch, insb. ?  - Wissen Lernende/r Die Grafik soll zeigen, dass der oder die Lernende so in gewisser Weise auf zwei Ebenen auftritt: in der Auseinandersetzung mit dem Wissen und in der Thematisierung dieser Auseinandersetzung. Die Lehrperson kann bei dieser Konfrontation zwischen Mensch und Mathematik von den Lernenden lernen. Erkenntnisse, dass man die oben angesprochenen Diskrepanzen zwischen normativen und deskriptiven Grundvorstellungen nicht sofort als Fehler oder Unzulänglichkeiten auffassen muss, sondern als Konsequenzen des Assoziationsreichtums der Schüler*innen, führen zu einer alternativen Definition von Didaktik der Mathematik: Sie beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen der Mathematik einerseits und dem Menschen, der Gesellschaft andererseits. Sie umfasst also alle Fragen der Kommunikation über die Mathematik und in der Mathematik. Literatur Fischer, R. und Malle, G. (unter Mitarbeit von Bürger, H.): Mensch und Mathematik. Eine Einführung in didaktisches Denken und Handeln. Lehrbücher und Monographien zur Didaktik der Mathematik, Band 1 (herausgegeben von N. Knoche und H. Scheid). BI Wissenschaftsver- lag, Mannheim/Wien/Zürich 1985. Scheid, H.: Folgen und Funktionen. Eine Einführung in die Analysis. WTM, Münster 2007. Wittmann, E. Ch.: Grundfragen des Mathematikunterrichts. Vieweg, Braunschweig/Wies- baden 2009 (6. Auflage). 3 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. 2 Grenzdisziplin Mathematik In den folgenden Abschnitten zeigen wir verschiedene Facetten der Wissenschaft Mathematik, die alle im Mathematikunterricht eine Rolle spielen können oder sogar sollten. Wir fassen diese Grenz- disziplin als die wichtigste für die zugehörige Fachdidaktik auf. 2.1 Grundlagen der Mathematik Der „berühmteste Beweis“ in der Schulmathematik geht so: wir zeigen indirekt, dass √ 2 ̸∈ Q. (2) √ Dazu nehmen wir an, dass 2 = pq mit p, q aus N und q > 0. Außerdem sei der Bruch pq gekürzt, das heißt der größte gemeinsame Teiler von p und q ist eins. Wegen p2 = 2q 2 ist p2 und daher auch p gerade, denn eine ungerade Zahl quadriert ergibt wieder eine ungerade Zahl: für n ∈ N ist (2n + 1)2 = 4n2 + 4n + 1 = 4(n2 + n) + 1. Das heißt, wir können p = 2k für eine natürliche Zahl k ungleich null schrieben. Eingesetzt ergibt das 4k 2 = 2q 2 bzw. 2k 2 = q 2. Daraus erkennen wir analog zu eben, dass auch q eine gerade Zahl sein muss. Widerspruch zur Annahme, dass der Bruch p q gekürzt ist. So√weit, so unbefriedigend, denn der Widerspruch wird nicht zur eigentlichen Annahme gefunden, √ dass 2 rational ist, sondern zur Nebenbedingung, dass eine vermeintliche Bruchdarstellung von 2 gekürzt vorliegt. „Dann kürzen wir eben nochmals!“ könnten sich Schüler*innen bei diesem Beweis denken. Das ist eine gute Idee: Wir behaupten, dass es kein Paar natürlicher Zahlen (m, n) ̸= (0, 0) gibt, das 2m2 = n2 erfüllt. Ansonsten könnten wir wie eben folgern, dass m und n gerade sein müssen, also ergibt sich für m = 2l und n = 2k eingesetzt und gekürzt 2l2 = k 2 , eine Gleichung von gleicher Bauart wie für m und n. Wir könnten abermals kürzen, usw. Das heißt, wir bekämen eine absteigende Folge natürlicher Zahlen, die nicht endet. Das ist aber in N unmöglich. Dahinter steckt das Prinzip des unendlichen Regresses: Um nachzuweisen, dass keine natürliche Zahl eine gewisse Eigenschaft ε hat, genügt es zu zeigen: Wenn irgendeine natürliche Zahl n diese Eigenschaft ε besitzt, dann gibt es auch eine natürliche Zahl kleiner als n mit dieser Eigenschaft ε. Es geht auf Pierre de Fermat (1601 – 1655) zurück. Literatur Kuba, G. und Götz, S.: Zahlen. Erschienen in der Reihe „Fischer Kompakt“. Fischer Taschen- buch Verlag, Frankfurt am Main 2004. 2.2 Reine Mathematik √ Wir hätten Satz (2) aus 2.1, dass 2 irrational ist, ganz kurz auch so beweisen können: in der nun schon wohlbekannten Gleichung 2m2 = n2 kommt der Primfaktor 2 links in ungerader Anzahl vor (mindestens einmal, oder dreimal, oder fünfmal,... )1 , während er rechts in gerader Anzahl 1 Im Quadrat einer natürlichen Zahl kommt jeder Primfaktor in gerader Anzahl oder gar nicht vor. 4 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. enthalten sein muss (er kann auch gar nicht vorkommen). Das ist ein Widerspruch zur Eindeutigkeit der Primfaktorenzerlegung. In den natürlichen Zahlen gilt nämlich: jede natürliche Zahl kann eindeutig (bis auf die Reihen- folge natürlich) als Produkt von Primzahl(potenz)en dargestellt werden. Es ist also zum Beispiel 240 = 2 · 2 · 2 · 2 · 3 · 5 und die Zahl 240 kann auf keine andere Weise in Primfaktoren zerlegt werden. „Das ist doch selbstverständlich“ könnten sich Schüler*innen denken, da die Primfaktorenzerlegung in N seit der sechsten Schulstufe bekannt (und vertraut) ist. Das ist es aber ganz und gar nicht. Schon bei den geraden (natürlichen) Zahlen Ng ist die Eindeutigkeit nicht mehr gegeben. Zuerst müssen wir klären, wie die Primzahlen in Ng aussehen. Wir suchen also Zahlen in Ng , die nicht weiter multiplikativ (in Ng ) zerlegbar sind. Das sind die Zahlen {2, 6, 10, 14, 18,... } =: Pg , also die Doppelten einer ungeraden Zahl, jede zweite gerade Zahl mit 2 beginnend. Nun ist 60 = 2 · 30 = 6 · 10 mit 2, 6, 10, 30 ∈ Pg. Allgemein können wir für k, l ∈ N 2 ·2 · 4 · (2k + 1) · (2l + 1) = 2 · (2k + 1) · 2 · (2l + 1) = |{z} (2k + 1) · (2l + 1) | {z } | {z } | {z } ∈Pg ∈Pg ∈Pg ∈Nu :=ungerade Zahlen | {z } ∈Pg schreiben. So kann also das Vierfache einer ungeraden Zahl, die selbst als Produkt von zwei ungeraden Zahlen — beide ungleich 1 — darstellbar ist, auf zwei Arten als Produkt von Primzahlen in Ng dargestellt werden. Literatur Kuba, G. und Götz, S.: Zahlen. Erschienen in der Reihe „Fischer Kompakt“. Fischer Taschen- buch Verlag, Frankfurt am Main 2004. 2.3 Angewandte Mathematik Zwei Zitate zur Einstimmung auf die Motive, Anwendungen der Mathematik im Unterricht zu the- matisieren: „Man kann sich für Zahlentheorie, algebraische Geometrie und Kategorien begeistern und doch einsehen, wie unendlich ärmer die Mathematik ohne die Anregungen wäre, die ihr von den Anwendungen zugeflossen sind. Die Mathematik hat als nützliche Tätigkeit angefangen, und sie ist heute nützlicher, als sie je gewesen ist. Man kann sagen: sie wäre nicht, wenn sie nicht nützlich wäre!“ (Freudenthal 1977). „Ich möchte, daß jeder Schüler nicht angewandte Mathematik lernt, sondern lernt, wie man Mathematik anwendet.“ (Freudenthal) Anwendungsorientierte Mathematik bezeichnet kein festumrissenes Gebiet oder keine bestimmte Methode, es geht vielmehr um eine bestimmte „Haltung“ gegenüber der Mathematik (Reichel 1996). 5 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. Als ein Wegweiser für das Anwenden von Mathematik im Unterricht hat sich der sogenannte Modellierungskreislauf etabliert, der in verschiedenen Ausformungen und Spezialisierungen in der Literatur zu finden ist. Abbildung 12 zeigt eine einfache Version. Abbildung 1: Ein einfacher Modellierungskreislauf Als Beispiel wollen wir sogenannte Konkurrenzgrenzen betrachten. Abbildung 2: Zwei Produktionsstandorte A und B In Abbildung 2 sind zwei Produktionsstandorte A und B auf der x-Achse symmetrisch zur y-Achse eingezeichnet, die beide ein bestimmtes Gut herstellen. Der Preis des Gutes sei a (Geldein- heiten), die Transportkosten pro Längeneinheit (z. B. Kilometer) seien b vom Standort A und c vom Standort B. Die Frage lautet nun: „Wenn dieses Gut am Ort P benötigt wird, wo soll es gekauft werden?“ — Im Falle b = c ist die Antwort sehr einfach: befindet man sich rechts des y-Achse, dann 2 https://haukemorisse.de/blog/?tag=modellierungskreislauf 6 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. ist es günstiger, den Produktionsort B zu wählen, links von der y-Achse den Produktionsort A. Wenn das Gut auf der y-Achse gebraucht wird, dann sind die Kosten von A aus gleich jenen von B aus. Daher wird die y-Achse als Konkurrenzgrenze bezeichnet. Was passiert aber, wenn 0 < b < c gilt? Mit den Bezeichnungen aus Abbildung 2 erstellen wir ein (einfaches) Modell, das die Kosten (Anschaffung plus Transport) von A nach P bzw. von B nach P beschreibt: q Kosten von A nach P : a + b · (x + d)2 + y 2 q Kosten von B nach P : a + c · (x − d)2 + y 2 Das Problem ist jetzt jene Orte zu finden, von denen aus die Kosten gleich hoch sind, also die Konkurrenzgrenze zu bestimmen. Gleichsetzen der Kosten liefert q q a + b · (x + d) + y = a + c · (x − d)2 + y 2 , 2 2 (3) einige Umformungen führen zu " #  2 2 2 2 (b + c ) b2 + c 2 d 2 −1 = x−d· 2 + y2. (4) (c2 − b2 )2 c − b2   q 2 22 2 2 Gleichung (4) stellt einen Kreis mit Mittelpunkt M d · bc2 +c −b2 0 und Radius r = d · (b +c ) (c2 −b2 )2 −1 dar. 2 Für eine Interpretation analysieren wir die gewonnene Kreisgleichung (4): mit cb2 =: e2 < 1 erhalten wir in einem ersten Schritt !  2 2 2 (e + 1) 1 + e2 2 d · 2 −1 = x−d· 2 + y2. (5) (1 − e ) 2 1 − e In einem zweiten Schritt wiederholen wir den „Trick“, gleiche algebraische Ausdrücke als solche zu 2 kennzeichnen. Wir setzen nun f := 1+e 1−e2 > 1 und Gleichung (5) wird so zu d2 · (f 2 − 1) = (x − d · f )2 + y 2. (6) Wir normieren die Entfernung d der Produktionsorte vom Ursprung und vereinfachen nochmals algebraisch Gleichung (6) zu f 2 − 1 = (x − f )2 + y 2. (7) Nun ist die Kreisgleichung (7) leicht zu erkennen. Abbildung 3 zeigt den zugehörigen Graphen k für bestimmte Werte von b bzw. c. Die Interpretation im Kontext lautet so: befindet sich der Lieferort innerhalb des Kreises k, dann kommt eine Bestellung von Standort B günstiger. Wird ein Ort außerhalb von k angepeilt, dann ist es billiger, bei A zu kaufen. Liegt der Bestimmungsort des Gutes genau auf der Konkurrenzgrenze k, dann ist es kostenmäßig egal, wo geordert wird. Bemerkung: Gleichung (7) lehrt uns, dass r = f − 1 < xM = f , wobei xM die x-Koordinate p 2 des Kreismittelpunktes M ist. Das heißt geometrisch, dass der Kreis k die y-Achse nicht berührt, sondern rechts davon liegt (Abbildung 3). Insgesamt wird die Konkurrenzgrenze k von der y-Achse immer besser approximiert. Zwei Extremfälle wollen wir betrachten: 7 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. Abbildung 3: Eine kreisförmige Konkurrenzgrenze 1. Wenn c >> b, wenn also c sehr viel größer als b ist, dann gilt xM ≈ d und r ≈ 0. Das heißt geometrisch bzw. im Kontext, dass die Konkurrenzgrenze k sich auf einen Kreis um den teuren Standort B zusammenzieht. 2. Ist c nur wenig größer als b ist (c ≳ b), dann wird die x-Koordinate des Mittelpunkts des Kreises xM sehr groß und der Radius r nähert sich xM an: Abbildung 4. Abbildung 4: Eine Konkurrenzgrenze für c ≳ b 8 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. In der fachdidaktischen Reflexion wollen wir einige Aspekte dieses Beispiels besprechen, die auf das Anwenden von Mathematik fokussieren. Wir haben zahlreiche vereinfachende Annahmen getrof- fen: – Es gibt offenbar geradlinige Wege von den Produktionsstandorten A und B zum Lieferort P („Luftlinie“). – Die anfallenden Kosten hängen nur von drei (!) Parametern a, b und c ab, wobei a keine Rolle spielt. – Es gibt nur zwei Produktionsstandorte. – Der Zeitfaktor wird außer Acht gelassen. Insgesamt handelt es sich um eine eingekleidete Aufgabe (wenn man sie als solche beispielweise an einem Modellierungstag stellt), deren Bildungswert nicht im realitätsnahen Anwenden liegt, sondern: + Das Übersetzen eines geometrischen Problems in ein algebraisches ist eine wichtige mathema- tische Tätigkeit: analytische Geometrie in der Ebene in der neunten bzw. elften Schulstufe AHS. + Das algebraische Resultat ist erst innermathematisch (Kreis mit Mittelpunkt und Radius), dann außermathematisch im Kontext (Extremfälle, Skizze, wo von A billiger, wo von B) zu deuten. + Die Grenzwertbetrachtungen bei den Extremfällen gelingen und ihr Sinn ist durch den Kontext gegeben. + Das Ergebnis hängt nur vom Verhältnis b c ab. Als Ausblick kann das Variieren der Parameter a, b und c herangezogen werden, wobei andere Orts- linien als Konkurrenzgrenzen auftreten als bisher. Eine geometrische Lösung des hier behandelten Problems stellt der Apolloniuskreis dar. Das ist die Menge aller Punkte P , für die das Verhältnis der Entfernungen zu zwei vorgegebenen Punkten A und B einen vorgegebenen Wert hat: PA c = = const. PB b erkennen wir aus Gleichung (3). Literatur Ableitinger, C. und Götz, S.: Erst rechnen, dann kaufen! Konkurrenzgrenzen als Tor zum Modellieren im Mathematikunterricht, in: „Materialien für einen realitätsbezogenen Mathema- tikunterricht“. Schriftenreihe der ISTRON-Gruppe, Band 13: Modellieren lernen. Herausgeber: Hans-Stefan Siller und Jürgen Maaß. Verlag Franzbecker, Hildesheim, Berlin 2009, S. 15–30. Krauter, S. und Bescherer, C.: Erlebnis Elementargeometrie. Ein Arbeitsbuch zum selbststän- digen und aktiven Entdecken. Springer Verlag, Berlin Heidelberg 2013. Tietze, U.-P., Klika, M. und Wolpers, H.: Mathematikunterricht in der Sekundarstufe II. Band 1: Fachdidaktische Grundfragen. Didaktik der Analysis. Vieweg, Braunschweig/Wiesbaden 1997. 9 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. 2.4 Geschichte der Mathematik √ Was ist so aufregend an 2 ̸∈ Q (Abschnitt 2.1)? Die Entdeckung im antiken Griechenland eines Schülers der Pythagoras war geometrischer Natur3 , sehr zum Unterschied unserer Betrachtungen in den Abschnitten 2.1 und 2.2. Abbildung 5 zeigt das bekannteste Beispiel dafür. Historisch be- Abbildung 5: c a ̸∈ Q trachtet ist ein irrationales Längenverhältnis wahrscheinlich am Pentagramm, dem Geheimzeichen der Pythagoreer, entdeckt worden. Hippasos von Metapont4 hat um 450 v. Chr. die Behauptung aufgestellt, dass das Verhältnis von Diagonalenlänge zu Seitenlänge in einem regelmäßigen Fünfeck (Pentagon) irrational ist: Abbildung 6. Abbildung 6: d s ̸∈ Q Die modern algebraisch formulierte Behauptung ds ̸∈ Q lautete bei den geometrisch denkenden Griechen ganz anders: es gibt kein gemeinsames (Längen-)Maß e von s und d. Das heißt die Be- ziehungen s = m · e und d = n · e sind gleichzeitig für n und m aus den natürlichen Zahlen nicht möglich. Um nun (geometrisch) zu entscheiden, ob es ein solches Maß e gibt, ist das Prinzip der 3 https://www.mathi.uni-heidelberg.de/~roquette/MathKult1/Thema-4.htm 4 https://de.wikipedia.org/wiki/Hippasos_von_Metapont 10 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. Wechselwegnahme verwendet worden. Die Bestimmung eines (größten) gemeinsamen Maßes (ggM) zweier Längen wird durch 1. ggM(a, b) = ggM(a − b, b), falls a > b, sonst ggM(a, b)=ggM(b − a, a) 2. schrittweise bestimmt, und das Verfahren endet, wenn a = b = ggM(a, b) der Fall ist. Dann nennt man die Längen a und b kommensurabel, sie haben ein gemeinsames Maß. Das ist genau dann der Fall, wenn ihr Verhältnis modern gesprochen rational ist. Ein einfaches Zahlenbeispiel dazu: ggM(6, 3) = ggM(6 − 3, 3) = ggM(3, 3) = 3. Das größte gemein- same Maß der Längen 6 und 3 ist also 3. Das Verfahren bricht nach einem Schritt ab. Abbildung 7 zeigt nun das Prinzip der Wechselwegnahme beim Pentagon. Abbildung 7: Folge von regelmäßigen Fünfecken Aus ihr lesen wir die Beziehungen d2 = d1 − s 1 und s2 = s1 − d2 ab. Dabei ist s2 die Seitenlänge des inneren, kleineren Pentagons, analog d2 die Länge der zugehörigen Diagonalen. Damit berechnen wir ggM(s1 , d1 ) = ggM(s1 , d1 − s1 ) = ggM(s1 , d2 ) = ggM(s1 − d2 , d2 ) = ggM(s2 , d2 ) , und erkennen, dass die Wechselwegnahme in diesem Fall nicht abbricht. Die Längen s1 und d1 von Seite und Diagonale des Pentagons sind inkommensurabel, sie haben kein gemeinsames Maß. Das Verfahren der Wechselwegnahme stellt einen Algorithmus dar: es hat einen bestimmten Zweck, es benötigt endlich viele Schritte und es hat ein Abbruchkriterium. Bemerkung: Nochmals Abbildung 7 bemühend finden wir die Proportion d1 s1 s1 = = s1 d2 d1 − s1 11 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. beim Betrachten ähnlicher Dreiecke. Wir schreiben d 1 d = d und mit x := s s −1 s gelangen wir zu 1 x= bzw. x2 − x − 1 = 0 : (8) x−1 die positive Lösung von Gleichung (8) lautet √ 1+ 5 2 und ist das Längenverhältnis φ des Goldenen Schnittes (vgl. Skulptur am Oskar-Morgenstern- Platz). Für das Quadrat ist die analoge geometrische Situation nicht so augenfällig wie für das Pentagon. Abbildung 8 illustriert sie. Abbildung 8: Zur Inkommensurabilität von Diagonalen- und Seitenlänge im Quadrat Wir berechnen mit Hilfe von Abbildung 8 ggM(d, s) = ggM(d − s, s) = ggM(d − s, 2s − d) = ggM(s1 , d1 ) und erkennen so die Inkommensurabilität von Diagonalen- und Seitenlänge im Quadrat. Abbildung 8 ist ein Hinweis darauf, dass die Priorität für die Entdeckung inkommensurabler Strecken beim Pen- tagon liegt, nicht beim Quadrat. 12 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. In der fachdidaktischen Reflexion fällt die innermathematische Beziehungshaltigkeit (Freuden- thal, Wittmann) auf: Geometrie, Algorithmik, Zahlentheorie bzw. Algebra. Die Verbindung (mo- dern: Vernetzung) als Methodik nach Vollrath ist immer ein fruchtbares Feld für mathematische Einsichten in Zusammenhänge und kann auf diese Weise den Unterricht bereichern. Zur Frage „Wozu Geschichte der Mathematik im Unterricht?“ gibt es mehrere (positive) Antwor- ten, aber auch Einwände: + „besseres“ Verständnis von Mathematik im Sinne von „Inhalte fallen nicht einfach vom Himmel“ + Sinn der Mathematik und Verständnis für ihre Entwicklung in den Unterricht holen, z. B. die Existenz irrationaler Verhältnisse wird geometrisch durch Wechselwegnahme beschrieben, die nicht endet („ad infinitum“). Gibt es kein gemeinsames Maß, so ist das Längenverhältnis nicht als Proportion √ darstellbar. Eine Verallgemeinerung, eine Abstraktion führt zur algebraischen Darstellung 2 ̸∈ Q. + „Die Frage, ob die Geschichte der Mathematik etwas zur Verbesserung des mathema- tischen Unterrichts beitragen kann — gleich ob im Schul- oder im Hochschulunter- richt — ist falsch gestellt. Es muss vielmehr heißen: Ist Mathematik ohne Geschichte der Mathematik überhaupt denkbar? Alles Weitere folgt aus der Antwort, die nur lauten kann: Nein, es gibt keine Mathematik ohne ihre Geschichte.“ (Scriba 19835 ) Mathematik wird also als Bestandteil der Kultur gesehen, die grob in zwei Richtungen eingeteilt werden kann: ihre mathematisch-naturwissenschaftliche-technische Seite („MINT-Fächer“), die in die Zukunft weist, und die klassisch-humanistische Seite, die auf die Tradition reflektiert. Diese Dichotomie spiegelt sich noch heute im Fächerkanon (der AHS) wieder. Der Geschichte der Mathematik wird dabei eine Brückenfunktion zugeschrieben: „Perhapps most of all, the History of Mathematics has a role to play in bridging the apparently ever-widening gap between the sciences and the humanities [... ]“ (Flegg 1978) Negative Stimmen beziehen sich auf – bloße Motivationstricks [„Anekdoten“ wie z. B. Gauß in der Volksschule findet n · (n + 1) 1 + 2 +... + n = (n ∈ N)] 2 – eine Umkehrung der behaupteten Funktion der Geschichte der Mathematik von eben: „Ich meine, es sei des Menschen würdig, die Vergangenheit seines Geschlechts, der Erde, der Welt differenziert zu begreifen, [... ] Darin sehe ich den Nutzen der Ge- schichte der Mathematik und ihrer Nachbargebiete: nicht der Mathematik zu dienen, sondern der Geschichte, nicht den Mathematiksinn, sondern den Geschichtssinn zu fördern. Aber vielleicht hilft es auch der Mathematik ein bisschen.“ (Freudenthal 19786 ) 5 https://www.grin.com/document/135020 6 https://www.grin.com/document/135020 13 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. Aus diesen Überlegungen, Einschätzungen und Forderungen hat sich das genetische Prinzip als gängigstes Motiv, Geschichte der Mathematik im Unterricht zu thematisieren, etabliert. Es orientiert sich an „den natürlichen erkenntnistheoretischen Prozessen der Erschaffung und Anwendung von Mathematik“ (Wittmann). Charakteristika der genetischen Methode sind sind Anschluss an das Vorverständnis des*r Adressaten*in Einbettung der Überlappungen in größere ganzheitliche Problemkontexte außerhalb oder inner- halb der Mathematik: z. B. aus der Entdeckung der Irrationalität wird die reelle Zahlengerade und die Konstruktion der reellen Zahlen R motiviert Hinführung zu strengen Überlegungen über intuitive oder heuristische Ansätze: z. B. 1. relative Häufigkeiten stabilisieren sich, daraus wird das Gesetz der großen Zahlen formu- liert 2. Stetigkeit als durchgehender Graph einer Funktion („Bleistiftdefinition“) führt zur ε-δ- Definition 3. aus allgemeinen Zuordnungen wird der Funktionsbegriff herauskristallisiert 4. der Flächeninhalt eines Rechtecks: vom Auslegen mit Einheitsquadraten (Abbildung 9) bis zum gemeinsamen Grenzwert von Ober- und Untersummen: Dieses Auslegen mit Abbildung 9: Flächeninhalt 4 · 2 = 8 durch Auslegen mit Einheitsquadraten Einheitsquadraten zur Begründung der Flächeninhaltsformel A = a · b eines Rechtecks mit den Seitenlängen a und b funktioniert auch noch bei Abbildung 10, sie werden nur kleiner: 12 · 21 = 14. Abbildung 10: Flächeninhalt 4 · 3 2 = 6 durch Auslegen mit Viertelquadraten 14 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. Aber in Abbildung 11 geht die Sache schief. Die Seitenlängen sind inkommensurabel, daher muss der Flächeninhalt des Rechtecks als A = a · b definiert werden. Abbildung 11: Es gibt kein gemeinsames Maß der beiden Seitenlängen Als genetisches Prinzip formuliert Wittmann (S. 144): „Der Mathematikunterricht soll nach der genetischen Methode organisert werden.“ Literatur Hischer, H.: Geschichte der Mathematik als didaktischer Aspekt (1). Entdeckung der Irratio- nalität am Pentagon – Ein Beispiel für den Sekundarbereich I. Mathematik in der Schule 32 (1994), Heft 4, S. 238–2487. Kronfellner, M.: Historische Aspekte im Mathematikunterricht. Eine didaktische Analyse mit unterrichtspezifischen Beispielen. Schriftenreihe Didaktik der Mathematik (Herausgeber Willi- bald Dörfler / Roland Fischer), Band 24. Verlag Hölder-Pichler-Tempsky, Wien 1998. Wittmann, E. Ch.: Grundfragen des Mathematikunterrichts. Vieweg, Braunschweig/Wies- baden 2009 (6. Auflage). 2.5 Heuristik in der Mathematik Jetzt geht es um die zündende Idee, den entscheidenden Einfall, die bzw. der ein mathematisches Problem löst. — Wie kommt es dazu? Durch Analogien erkennen, Extremfälle betrachten, Veranschaulichungen kreieren, 7 http://hischer.de/horst/publikationen/zeitschr-beitraege/1994-MathSchule-MU_Gesch/1994-Math- Gesch-Teil1.pdf 15 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. Beispiele untersuchen (eine Auswahl an möglichen Heuristiken). Das Problemlösen („Problem solving“) geht nach Pólya in vier Phasen vonstatten. 1. Verstehen der Aufgabe: Was ist unbekannt? Was ist gegeben? Wie lautet die Bedingung? Als Beispiel betrachten wir das Glücksspiel „Lotto 6 aus 45“. Dabei werden ohne Zurücklegen sechs Kugeln von 45 gezogen, die von 1 bis 45 durchnummeriert sind. Die Reihenfolge der gezogenen Kugeln ist egal. Gesucht ist nun die Wahrscheinlichkeit, dass ein „Zwilling“ gezogen wird. Ein „Zwilling“ bedeutet, dass zwei benachbarte Zahlen im Ziehungsergebnis vorkommen. "Èin“ Zwilling kann heißen „genau ein“ oder „mindestens ein“ Zwilling. Wir entscheiden uns für Letzteres. 2. Ausdenken eines Planes: „Mindestens“ ein Zwilling bringt uns auf die Idee, die Gegenwahr- scheinlichkeit zu berechnen, das heißt die Wahrscheinlichkeit für das Ereignis „kein Zwilling wird gezogen“. Ein Ziehungsergebnis kann als 6-Tupel notiert werden: (x1 , x2 , x3 , x4 , x5 , x6 ) mit x1 < x2 < x3 < x4 < x5 < x6 und x1 < x2 − 1 < x3 − 2 < x4 − 3 < x5 − 4 < x6 − 5, genau dann, wenn kein Zwilling vorliegt. Warum diese letzte Ungleichungskette? Wenn wir Zwillinge ausschließen, muss ein Abstand von mindestens 2 zwischen xi und xi+1 (i = 1,... , 5) bestehen. Daher ist x2 < x3 − 1 und daraus folgt x2 − 1 < x3 − 2 usw. Nun betrachten wir folgende bijektive Transformation φ (das ist der grundlegende Einfall, die Idee!): φ(x1 , x2 , x3 , x4 , x5 , x6 ) = (x1 , x2 − 1, x3 − 2, x4 − 3, x5 − 4, x6 − 5) für jedes Ziehungsergebnis (x1 , x2 , x3 , x4 , x5 , x6 ) mit x1 < x2 < x3 < x4 < x5 < x6. Die Bilder M von φ sehen so aus: M = {(y1 , y2 , y3 , y4 , y5 , y6 )} ∈ N6 mit 1 ≤ y1 ≤ y2 ≤ y3 ≤ y4 ≤ y5 ≤ y6 ≤ 45 − 5 = 40. Ist das Urbild „zwillingsfrei“, dann ist M ∗ = {(y1 , y2 , y3 , y4 , y5 , y6 )} ∈ N6 mit 1 ≤ y1 < y2 < y3 < y4 < y5 < y6 ≤ 40 die Menge der zugehörigen Bilder. Der Witz ist nun, dass die Mächtigkeit von M ∗ , d. h. die Anzahl der Elemente von M ∗ , leicht zu bestimmen ist. 3. Ausführen des Plans: die Mächtigkeit von M ∗ ist   ∗ 40 |M | =. 6 Damit ist die gesuchte Wahrscheinlichkeit 40  10254 1 P(mind. ein Zwilling im Ziehungsergebnis 6 aus 45) = 1 − 6 45  = ≈ 0, 53 >. 6 19393 2 Die Rechnung fußt auf 16 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. der Bijektivität von φ (die Umkehrabbildung ist leicht zu finden), die auch bei der Ein- schränkung auf zwillingsfreie Urbilder nicht verloren geht, dem Ziehen ohne Zurücklegen, die Reihenfolge der gezogenen Gewinnzahlen spielt keine Rolle, der Gleichwahrscheinlichkeit jedes der 45 verschiedenen Ziehungsergebnisse.  6 4. Rückschau: wir kontrollieren unser Ergebnis anhand realer Daten8. 2019 58 mal bei 104 Ziehungen → 0, 55... 2018 67 mal bei 104 Ziehungen → 0, 64... 2017 53 mal bei 105 Ziehungen → 0, 50... 2016 48 mal bei 104 Ziehungen → 0, 46... Mittelt man über die vier Jahresergebnisse, so erhält man 58 + 67 + 53 + 48 ≈ 0, 54... , 104 + 104 + 105 + 104 das passt schon ganz gut. Das Ergebnis auf andere Weise herleiten kann ebenfalls zur Rückschau gehören. Die Reflexion des Lösungsprozesses zeigt, dass eine bijektive Abbildung zu leichterem Zählen der „günstigen Ereignisse“, also der Lottoergebnisse, die mindestens einen Zwilling enthalten, führt. Diese Strategie wollen wir gleich nochmals bei einem verwandten Problem anwenden. (a) Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten genau eines Zwillings? — Wir beginnen mit einer Wiederholung: unter der Abbildung φ wird zum Beispiel aus (16, 17, 21, 31, 38, 43) 7→ (16, 16, 19, 28, 34, 38) = ˆ (16, 19, 28, 34, 38). Wir identifizieren also den Zwilling (16,17) an erster und zweiter Stelle des Ziehungser- gebnisses, also im Urbild, durch die entsprechende Zahl 16 im Bild. So erhalten wir eine fünfelementige Teilmenge aus {1, 2,... , 39, 40}. Zum Ausbau dieser Idee betrachten wir noch die fehlenden Fälle: Zwillinge können weiters an zweiter und dritter Stelle, an dritter und vierter, an vierter und fünfter und schließlich an fünfter und sechster Stelle auftreten. Jedes Mal bekommen wir unter φ ein Paar gleicher Zahlen, das wir mit dieser jeweiligen Zahl identifizieren. Insgesamt ergeben sich so   40 5· 5 günstige Fälle. Damit ist 5 · 40  3290040 P(genau ein Zwilling im Ziehungsergebnis 6 aus 45) = 455 = ≈ 0, 40. 6 8145060 (b) Und wie ist es mit den Drillingen? — Genau einer tritt mit Wahrscheinlichkeit 4 · 40  4 18278 45  = ≈ 0, 04488... 6 407253 auf. Eine analoge Überlegung zu den Zwillingen führt zu dieser Rechnung. 8 https://www.6richtige.at/ 17 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 01.10. Literatur Koth, M.: Mathematikaufgaben zum Lotto 6 aus 45. Schriftenreihe zur Didaktik der Mathe- matik der Höheren Schulen der ÖMG im November 1997 (Heft 27), S. 44–829. Pólya, G.: Vom Lösen mathematischer Aufgaben. Einsicht und Entdeckung, Lernen und Leh- ren. Band 1. Birkhäuser, Basel und Stuttgart 1966. 9 http://www.oemg.ac.at/DK/Didaktikhefte/1997%20Band%2027/Koth1997.pdf 18 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. 3 Grenzdisziplin Bildungswissenschaften Für angehende Lehrer:innen stellt sich folgende Frage in bezug auf ihr Handeln: Was soll Mathema- tikunterricht leisten? Diese Frage wird im alltäglichen Trubel der beruflichen Laufbahn nur selten bewusst gestellt werden können. Umso wichtiger erscheint es, einen Überblick über didaktische Über- legungen bezüglich (allgemeinbildender) Ziele des Mathematikunterrichts zu geben. Um diese Frage zu beantworten, könnte man sich ansehen, was im Mathematikunterricht getan wird und naiv antworten: „Schüler*innen sollen Prozente ausrechnen können. Sie sollen lineare Glei- chungssysteme lösen können. Sie sollen Polynomfunktionen differenzieren und integrieren können.“ Solche Listen sind zwar sinnvoll und notwendig (siehe Abschnitt 3.5), dennoch können sie diese Frage nicht befriedigend beantworten. „Mit der mathematischen Ausbildung war immer auch die Hoffnung, der Glaube oder die Überzeugung verbunden, dass durch die Beschäftigung mit Mathematik Qualifikatio- nen entwickelt werden, die über die Grenzen des Faches hinausweisen und von Bedeutung sind.“ (Peschek, 2000, S. 1) Genau diese Hoffnungen und Überzeugungen legitimieren nicht zuletzt die zentrale Stellung des Fachs Mathematik in allen Schulformen. Doch welche Aufgaben kann bzw. soll der Mathematikunterricht außerhalb der (ohnehin schwierigen) Vermittlung mathematischen Handwerkzeugs erfüllen? Voll- rath und Roth (2012) machen drei Anforderungen an den Mathematikunterricht im Allgemeinen aus: Mathematik als allgemeinbildendes Fach soll essenzielle Beiträge zur Entfaltung der Persön- lichkeit, zu den Möglichkeiten der Umwelterschließung, zur Teilhabe an der Gesellschaft und der Vermittlung von Normen und Werten leisten. Mathematik als authentisches Fach soll Schüler*innen eine angemessene Vorstellung der Ma- thematik als wissenschaftliche Disziplin vermitteln. Mathematik als qualifizierendes Fach soll Schüler*innen ermöglichen, Fähigkeiten und Kennt- nisse zu erwerben, die sie für das Berufsleben sowie für weitere Bildungswege benötigen. 3.1 Mathematik als allgemeinbildendes Fach „Allgemeinbildung“ ist kein einfach zu fassender Begriff. H. W. Heymann (1996) versucht ihn für die Unterrichtspraxis handhabbar zu machen, indem er sieben Aufgaben ausmacht, denen Schule im Sinne der Allgemeinbildung seiner Meinung nach nachkommen soll. Diese sieben Aufgaben werden in den nächsten sieben Unterabschnitten in Bezug auf den Mathematikunterricht beleuchtet. 3.1.1 Lebensvorbereitung Die Forderung, dass schulischer Unterricht die Lernenden auf Herausforderungen des späteren Lebens vorbereiten soll, wird kaum jemand ablehnen. „Aus der Sicht der Schüler/innen und Eltern entspricht dieser Forderung der legitime Anspruch auf die persönliche Verwertbarkeit dessen, was in der Schule mühsam gelernt wird. Aus der Sicht der Gesellschaft sichert die Schule dadurch den Fortbestand, die Reproduktion der Gesellschaft.“ (Peschek, 2000, S. 4) 19 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Diese Forderung kann einerseits in einem sehr engen Sinn verstanden werden, nämlich, dass Schule konkret benennbare und abprüfbare Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln soll, die beinahe von al- len Menschen benötigt werden, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Diesbezüglich kann man beispielsweise an einfache Buchrechnung, Prozent- und Zinsberechnung, Interpretation und Erstellung einfacher graphischer Darstellungen von Daten sowie eventuell Wissen zu elementaren geometrischen Objekten denken. Andere fassen diese Aufgabe in einem weiteren Sinn auf und fordern, dass Unterrichtsangebote auf eine bestmögliche Entfaltung individueller Fähigkeiten ausgelegt werden müssen. Hier denkt man unter anderem an Kreativität, Problemlösefähigkeit oder Kommunikationskompetenz. Ohne Zweifel gehören zur Allgemeinbildung weit mehr als konkrete Kenntnisse und Fertigkeiten. Allerdings lässt sich Allgemeinbildung kaum ohne diese denken. Ein kleiner Denkanstoß: Finden Sie eine mathematikhaltige Herausforderung des außerschulischen Lebens und benennen Sie die mathematischen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die zu ihrer Bewältigung benötigt werden. Gehören diese eher zur Lebensvorbereitung im „engeren“ oder im „weiteren“ Sinn? 3.1.2 Stiftung kultureller Kohärenz Der Mathematikunterricht soll dazu beitragen, dass Schüler*innen an der Gesellschaft teilhaben können. Diese Forderung kann im kleineren Rahmen als Bestreben nach kultureller Kontinuität und im Allgemeineren sogar nach kultureller Kohärenz verstanden werden. Kulturelle Kontinuität: Weitergabe bzw. Tradierung kultureller Errungenschaften von einer Generation zur nächsten. Kulturelle Kohärenz: kompatible Verknüpfung verschiedener Subkulturen nicht mehr aus- schließlich bezogen auf eine Verständigung zwischen den Generationen, sondern auch die Ver- mittlung zwischen verschiedenen Subkulturen sowie die kompatible Verknüpfung der eigenen Kultur mit den Kulturen anderer Gesellschaften. „Die Forderung an die Schule, kulturelle Kohärenz zu stiften, umfasst die Forderung nach kultureller Kontinuität ebenso wie nach Vermittlung zwischen unterschiedlichen (Teil-)Kulturen. In einer sich rasch verändernden, zunehmend ausdifferenzierten, mul- tikulturellen demokratischen Gesellschaft bedarf es verstärkter Bemühungen um kul- turelle Kohärenz, wenn ein gedeihliches Zusammenleben überhaupt möglich sein soll.“ (Peschek, 2000, S. 7) 20 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Der Mathematikunterricht könnte aufgrund einer nicht zu unterschätzenden Interkulturalität der Mathematik an sich etwas zur Stiftung einer interkulturellen Kohärenz beitragen. Immerhin lassen sich beispielsweise viele verschiedene kulturelle Einflüsse auf unser Zahlensystem feststellen: Indien, Persien, Mesopotamien, etc.: Abbildung 12. Abbildung 12: Eine Beispielaufgabe zur kulturellen Kohärenz 3.1.3 Weltorientierung Schüler*innen sollen durch die Schule etwas über die Welt in Erfahrung bringen, das über ihren eigenen Erfahrungshorizont hinausgeht. Sie sollen sich ein möglichst differenziertes Bild unserer Welt machen. Für den Mathematikunterricht bedeutet dies eine Auseinandersetzung mit folgenden Fragen: Wie können wir Phänomene dieser Welt mathematisch begreifen? Was ist das Mathematische an dieser Welt? Welche Mathematik hat der Mensch in diese Welt gesteckt? „Dass man mit der Mathematik die Natur beschreiben kann und dass sich die gefun- denen Gesetze mit Hilfe der Mathematik in der Technik nutzbar machen lassen, soll und kann im Unterricht als Erkenntnis vermittelt werden.“ (Vollrath & Roth, 2012, S. 13) 21 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Abbildung 13: Zur Modellierung eines Fesselballons So könnte man den in Abbildung 13 gezeigten Heißluftballon (Greefrath, 2020) mit aufsteigender Komplexität als Kugel mit berührendem Drehkegel, als Halbkugel und aufgesetztem Kegelstumpf oder als Rotationskörper eines Graphen einer kubischen Funktion betrachten. „Das Buch der Natur ist mit mathematischen Symbolen geschrieben. Genauer: Die Natur spricht die Sprache der Mathematik: die Buchstaben dieser Sprache sind Dreiecke, Kreise und andere ma- thematische Figuren.“ 10 Dieses Zitat von Galileo Galilei (1564–1642) muss dahin gehend ergänzt werden, dass auch die Buchstaben selbst zur Beschreibung natürlicher Vorgänge verwendet werden. Wir sprechen dann von deskriptiven Modellen. Als Beispiel sei der schiefe Wurf ohne Berücksich- tigung des Luftwiderstands angeführt. Die Bewegung eines schräg nach oben geworfenen Körpers kann (unabhängig von seiner Masse!) durch x(t) = v0 cos(α) · t g 2 y(t) = v0 sin(α) · t − ·t (9) 2 dargestellt werden, das ist eine Parameterdarstellung für den Ort P (x|y) des geworfenen Körpers. Dabei ist v0 die Anfangsgeschwindigkeit (in m/s) des Körpers, g = 9.81 m/s2 die Erdbeschleunigung und α mit 0 ≤ α ≤ π2 der Abwurfwinkel zur Waagrechten gemessen in Radiant. Gemäß dem sogenannten Unabhängigkeitsprinzip11 kann die Bewegung des geworfenen Körpers wie in 9 in eine waagrechte Komponente x und in eine senkrechte y aufgespalten werden, die beide von der Zeit t (in s) abhängen. Abbildung 14 zeigt eine zeitfreie Darstellung der Flugbahn: aus t = v0 ·cos(α) x folgt x g x2 g x2 y = v0 · sin(α) · − · 2 = tan(α) · x − ·. v0 · cos(α) 2 v0 · cos2 (α) 2 v0 2 · cos2 (α) In Abbildung 14 sind zwei Schieberegler zu sehen, mit denen die Anfangsgeschwindigkeit v0 und der Abwurfwinkel α verändert werden können. Außerdem passiert dort der Abwurf vom Erdboden aus, was natürlich etwas unrealistisch ist. Auf diesen Aspekt wird im Kapitel „Modellieren, Darstellen und Interpretieren“ näher eingegan- gen (vgl. auch Abschnitt 2.3). 10 http://www.philolex.de/galilei.htm 11 https://physikunterricht-online.de/jahrgang-10/das-unabhaengigkeitsprinzip/ 22 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Abbildung 14: Bahn eines schräg nach oben geworfenen Körpers (GeoGebra-Datei auf Moodle) 3.1.4 Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch In einer demokratischen Gesellschaft ist es notwendig, dass die handelnden Personen fähig sind, Behauptungen, Schlussfolgerungen und Werturteile relativ ungeachtet der Autorität, von der diese stammen, kritisch zu hinterfragen. Als beweisende Wissenschaft hat die Mathematik diesbezüglich ein besonderes Potential. „Ein Unterricht, der auf kritischen Vernunftgebrauch abzielt, muss sicherstellen, dass Zweifel, Forderungen nach Begründungen, Ausprobieren von Alternativen sozial erwünsch- te Verhaltensweisen darstellen, er muss deutlich machen, dass ein plausibles Argument mehr Gewicht hat als eine vorgefasste Meinung, dass die Qualität eines Arguments nicht vom sozialen Status der Person abhängt, die dieses Argument vorbringt und dass die kri- tische Nachfrage wertvoller ist als die unkritische Aneignung von Wissen.“ (Peschek, 2000, S.11) So ist es beispielsweise wünschenswert, dass Schüler*innen an den Diagrammen in Abbildung 1512 erkennen können, dass sie ähnliche Entwicklungen unterschiedlich zeigen und damit verschiedene Eindrücke hinterlassen. Diagramme und Zahlen wirken auf Menschen objektiv. Umso wichtiger ist es, dass diese von der Mehrheit der Bevölkerung kritisch hinterfragt werden können. Demokratische Strukturen sind auf diese Fähigkeiten angewiesen. 12 https://www.bmk.gv.at/themen/mobilitaet/co2_monitoring/pkw.html bzw. https://www.europarl. europa.eu/topics/de/article/20190313STO31218/co2-emissionen-von-pkw-zahlen-und-fakten-infografik 23 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Abbildung 15: Zwei Liniendiagramme 3.1.5 Entfaltung von Verantwortungsbereitschaft In einem sozialen Gefüge ist es notwendig, dass Personen die Konsequenzen ihres Handelns bzw. Nicht-Handelns für sich und andere bedenken, ihr Handeln dementsprechend setzen und dafür ein- 24 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. stehen. Im Mathematikunterricht können Schüler*innen sukzessive Verantwortung für das Lernkli- ma, den individuellen Lernzuwachs, den Fortschritt der Lerngemeinschaft, die Zuverlässigkeit und Effizienz verwendeter Lösungswege etc. übernehmen. Verantwortung erschöpft sich aber nicht nur in bloßer Fürsorge. Sachwissen und Kompetenz sind Voraussetzungen für eine echte Übernahme der Verantwortung. Als Beispiel für ein Lernangebot, das diesen Aspekt der Verantwortung sowie die Weltorientierung besonders hervorhebt, soll ein Projekt zum Wasserverbrauch13 dienen. Schü- ler*innen sollen sich dabei mit folgenden Fragen möglichst selbstständig auseinandersetzen: Abbil- dung 16. Abbildung 16: Aufgaben für Schüler*innen zum Wasserverbrauch an ihrer Schule 3.1.6 Einübung in Verständigung und Kooperation Die traditionelle Aufgabenzentrierung des Mathematikunterrichts prädestiniert ihn geradezu dafür, Schüler*innen produktives Teamwork erleben zu lassen. „Die spezielle Beziehung zwischen Lehrer/inne/n und Schüler/inne/n ist zudem ein wichtiger Modellfall für die in einer arbeitsteiligen Gesellschaft so wichtigen Verständi- gung und Kooperation zwischen Expert/inn/en und Laien. Im Modell Schule lernen Schüler/innen, welcher Umgang zwischen Expert/inn/en und Laien sozial erwünscht ist: Autoritäre Belehrung und Zurechtweisung gepaart mit unkritischer Übernahme der Expert/inn/enmeinung oder partnerschaftliche Kommunikation auf der Basis kritischen Vernunftgebrauchs. Die Lektion, die Schüler/innen dazu in der Schule lernen, wird ihr späteres Verhalten als Expert/inn/en und Laien wesentlich beeinflussen.“ (Peschek, 2000, S. 14) Ein Beispiel dazu: 13 https://www.umweltschulen.de/wasser/wasserverbrauch.html 25 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Arbeitet in Gruppen zu je vier Personen! Löst folgendes Gleichungssystem! 2x + 4y = 9 2x − y = −2 Schüler*in 1 verwendet dafür das Gleichsetzungsverfahren. Schüler*in 2 verwendet das Einsetzungsverfahren. Schüler*in 3 verwendet das Additionsverfahren und Schü- ler*in 4 löst das Gleichungssystem graphisch. Vergleicht anschließend Eure Lösungswege! Welche Vor- bzw. Nachteile ergaben sich aus den verschiedenen Lösungsmethoden? Welches Lösungsverfahren war hier das schnellste? Diskutiert anschließend, welches Lösungsverfahren ihr bei folgendem Gleichungssystem wählen würdet. 2x + 4y = 9 x+y = 2 3.1.7 Stärkung des Schüler*innen-Ichs „[... ] was die Kulturtechniken pädagogisch so wichtig macht: ihre Wirkungen auf die Person mehr als ihr Nutzen oder ihre Notwendigkeit in unserem Leben, das wissen meist auch die Lehrer nicht. Mit Rechnen, Schreiben, Lesen (wenn man sie richtig lehrt) er- wirbt das Kind Selbstvertrauen, genießt es die Beherrschung und Ausübung vielseitiger Zauberkünste, übt es sich in elementaren Methoden des Verstehens, lernt es die Un- terscheidung von Wichtigem und Unwichtigem, die Bemühung um Sinn, die Gestaltung von Eigenart, die Entmystifizierung von ,Zeichen und Wundern’, ein Stück verläßlicher, nämlich gelingender Selbstdisziplin.“ (von Hentig, 1993, zit. nach Vollrath & Roth, 2012, S. 10) Offene Aufgabestellungen mit multiplen Lösungswegen können die eigene Kreativität und die eigene Rationalität sichtbar machen. „Ich/Wir habe/n das so gelöst, weil... “. Auch ungewöhnliche Ideen sollen und dürfen im Unterricht Platz haben. „Könnte man auch sagen, dass eine Gerade ein Kreis mit unendlich großem Durchmesser ist?“ (Abschnitt 2.3) Immerhin lebt die Mathematik von solchen Überlegungen. Die Besonderheit der persönlichen Gedanken von Schüler*innen wertzuschätzen und sie als kreative und rationale Wesen ernst zu nehmen bedeutet, sie in Ihrer Entwicklung zu einem selbstbewussten Individuum zu unterstützen. Der konstruktive Umgang mit Fehlern ist entscheidend für das Selbstwertgefühl und die zukünftige Lernbereitschaft von Jugendlichen. Eine fehlerhafte Vorstellung ernst zu nehmen, bedeutet, dass sie auch Gegenstand der Diskussion sein kann, ohne die Jugendlichen dabei bloßzustellen. „Fehler“ haben manchmal sogar das Potenzial, neue mathematische Welten zu eröffnen. Überlegen Sie sich, zu welchen Errungenschaften es gekommen ist, nur weil jemand so etwas Ähnliches dachte wie: „Was wäre, wenn es doch eine Wurzel aus einer negativen Zahl gäbe?“ oder „Was wäre, wenn die Innenwinkelsumme eines Dreiecks doch nicht 180° wäre?“ Der Mut zu solchen Gedanken und die Ausdauer, ihre Konsequenzen zu erforschen, können und sollen im Mathematikunterricht Platz haben14. 14 Vgl. Five Principles of Extraordinary Math Teaching by Dan Finkel: https://www.youtube.com/watch?v= ytVneQUA5-c&t=3s 26 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. 3.2 Mathematik als authentisches Fach „Im Unterricht muß sich für den Schüler eine gültige Begegnung mit der Mathema- tik, mit deren Tragweite, mit deren Beziehungsreichtum, vollziehen; es muß ihm am Elementaren ein echtes Erlebnis dieser Wissenschaft erschlossen werden. Der Unterricht muß dem gerecht werden, was Mathematik wirklich ist.“ (Wittenberg, 1992, zit. nach Vollrath und Roth, 2012, S. 24) Schüler*innen sollen also am eigenen Leib erleben, was Mathematik ist, wie sie entsteht, wie Er- kenntnisse gewonnen und weitergegeben werden und wofür man Mathematik anwenden kann. Zwei Beispiele: Für Schüler*innen sind gängige Klassifizierungen von Vierecken (Quadrat, Rechteck, Parallelo- gramm, Trapez etc.) schwierig nachzuvollziehen. Für sie ist ein Quadrat oft kein Trapez, d. h. ihnen ist die logische Beziehung dieser beiden Begriffe nicht bewusst. Nicht jedes Trapez ist ein Quadrat, aber jedes Quadrat ist ein Trapez. Dies könnte man als Anlass nehmen, Schüler*innen erleben zu lassen, dass die herkömmlichen Definitionen eine Konvention sind. Diese sind nicht als „Wahrheit“ vom Himmel gefallen, die nun auswendig gelernt werden müssen. „Wie müsste ein Parallelogramm definiert sein, damit ein Rechteck nicht zu den Parallelogrammen gehört?“ Schnell stellt sich heraus, dass diese Definition unhandlich und schwer zu verstehen ist. Sätze über Parallelogramme müssten dann auch für Rechtecke und Quadrate wiederholt formuliert werden. Fazit: Mathematik entsteht im Diskurs. Ästhetik kann dabei eine wichtige Rolle spielen, dazu gehört zum Beispiel nur notwendi- ge und hinreichende Eigenschaften, also Kriterien, in eine mathematische Definition aufzunehmen. Diese Definitionen sind nicht „unnötig kompliziert“, sondern sogar das „Optimum“ eines Aushand- lungsprozesses. Daraus resultiert das „Haus der Vierecke“ in Abbildung 1715 (vgl. Kaiser, 2024). Abbildung 17: Das „Haus der Vierecke“ 15 https://www.kapiert.de/mathematik/klasse-7-8/geometrie/vierecke-untersuchen-1/vierecksarten- kennen/ 27 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Formeln sind kein Zauberwerk, das vom Himmel fällt. Schüler*innen können erfahren, was es bedeutet sich selbst eine mathematische Formel zu erschließen. Ein einfaches Beispiel ist die Berech- nung des Flächeninhalts eines Deltoids: Abbildung 18. Abbildung 18: Zum Flächeninhalt eines Deltois 3.3 Mathematik als authentisches und allgemeinbildendes Fach Heinrich Winter betont, dass die Frage nach den Zielen des Mathematikunterrichts weder aus der Perspektive der Allgemeinbildung noch aus der Perspektive der Mathematik als Wissenschaft hin- reichend beantwortet werden kann. Nur eine simultane Betrachtung erlaubt es uns, allgemeine Aufgaben des Mathematikunterrichts zu definieren. Winter (1995) formuliert diese Aufgaben als Grunderfahrungen, die Schüler*innen im Mathematikunterricht ermöglicht werden sollen. Diese wur- den in der Mathematikdidaktik bekannt unter dem Begriff „Winter’sche Grunderfahrungen“: „Der Mathematikunterricht sollte anstreben, die folgenden drei Grunderfahrungen, die vielfältig miteinander verknüpft sind, zu ermöglichen: (1) Erscheinungen der Welt um uns, die uns alle angehen oder angehen sollten, aus Natur, Gesellschaft und Kultur, in einer spezifischen Art wahrzunehmen und zu verstehen, (2) mathematische Gegenstände und Sachverhalte, repräsentiert in Sprache, Symbolen, Bildern und Formeln, als geistige Schöpfungen, als eine deduktiv geordnete Welt eigener Art kennen zu lernen und zu begreifen, (3) in der Auseinandersetzung mit Aufgaben Problemlösefähigkeiten, die über die Ma- thematik hinaus gehen, (heuristische Fähigkeiten) zu erwerben.“ (ebd., S. 37) 28 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Winter spricht von „Grunderfahrungen“ um zu betonen, dass ein passives Beobachten von Mathe- matik nicht ausreicht. Laut Winter muss Mathematik erlebt, ja vielleicht sogar erlitten werden. Ein kleiner Denkanstoß: Machen Sie sich bevor Sie weiterlesen klar, was Heinrich Winter Ihrer Meinung nach mit diesen drei Grunderfahrungen gemeint hat. Konkretisieren Sie seine For- mulierungen. Vergleichen Sie anschließend Ihre Ansicht mit den folgenden kurzen Ausführungen. ad (1) Der Autor spricht hier eine Nützlichkeit der Mathematik, eine Anwendungsorientierung an. Allerdings erschöpft sich diese nicht in fachlich verkürzten Sachaufgaben und aufgesetzten Kontexten. Einen echten Beitrag zur Allgemeinbildung sieht Winter erst dann, wenn erfahren wird, wie mathematische Modellbildung funktioniert und welche Art von Aufklärung durch sie zustande kommen kann. Beispiel 1: Die Berichterstattung und Meldungen auf verschiedenen sozialen Plattformen be- züglich des Corona-Virus zeigten diese Notwendigkeit deutlich auf. In einem Interview disku- tierte Donald Trump mit dem Reporter Jonathan Swan darüber, ob der relative Anteil der Anzahl der durch Covid-19 verstorbenen Personen an der Zahl der Infizierten oder an der Bevölkerungszahl eines Landes die sinnvollere Größe für das Ausmaß der Pandemie und da- mit des Erfolgs gesundheitspolitischer Strategien ist16. Eine Diskussion zu dieser Thematik in einer Schulklasse könnte nicht nur dazu führen, dass Schüler*innen den mathematischen Begriff relativer Anteil besser verstehen, sondern vor allem, dass sie erleben, wie Mathematik verwendet werden kann, um unsere Welt zu beschreiben. Sie können erfahren, dass es entschei- dend ist, die zugrundeliegenden mathematischen Konstrukte hinter den mitgeteilten Daten zu verstehen, um am gesellschaftlichen Diskurs kritisch teilhaben zu können. Beispiel 2: In Tabelle 1 sind die Anzahlen (in Tausend, gerundet) der voll- und teilzeitbeschäf- tigten Personen im Bereich Erziehung und Unterricht im Jahr 2022 in Österreich aufgelistet17. männlich weiblich Vollzeit 60 99 Teilzeit 23 98 Tabelle 1: Anzahl (in Tausend, gerundet) der voll- und teilzeitbeschäftigten Personen im Bereich Erziehung und Unterricht im Jahr 2022 in Österreich Aufgrund dieser Daten können im Unterricht Fragen behandelt werden wie „Arbeit(et)en in diesem Bereich (2022) mehr Frauen in Teilzeit als in Vollzeit?“ oder „Arbeit(et)en in diesem Bereich (2022) mehr Frauen als Männer in Teilzeit?“ etc. Auch Fragen der Abhängigkeit der Merkmale Geschlecht und Beschäftigungsausmaß in dieser Berufssparte 2022 sind diskussions- würdig und mit statistischen Methoden analysierbar (Döller & Götz, 2024). 16 https://www.youtube.com/watch?v=Z-Yee1nPb1Y 17 Statistik Austria: https://www.statistik.at/filead-min/pages/263/11_Teilzeitarbeit_Teilzeitquote_ 2022.ods, Tabelle 5 29 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. ad (2) Hier spricht Winter die innere Welt der Mathematik an. Die Mathematik soll durch folgende Tätigkeiten als ein durch den menschlichen Verstand entworfenes Netz von Begriffen erlebt werden: Begriffe definieren, Fragen stellen, Experimentieren, Entdecken, Vermuten, Begründen, Beweisen etc. Beispiel: Folgende Aufgabe (Bruder et al., 2017, S. 20) regt Schüler*innen an, eigene Aussa- gen zu bestimmten Begriffspaaren zu formulieren. Dies kann verdeutlichen, wie mathematische Begriffe durch Aussagen verbunden werden können und wie man entscheiden kann, ob diese Aussagen stimmen oder nicht. Formuliere analog zum Beispiel zu den gegebenen Begriffspaaren „Wenn-dann- Aussagen“ und prüfe, ob sie sich umkehren lassen! Beispiel: „Quadrat“ ⇐⇒ „Symmetrie“ ⇒ „Wenn ein Viereck ein Quadrat ist, dann ist es punkt- und achsensysmmetrisch.“ STIMMT! ⇐ „Wenn ein Viereck sowohl punkt- als auch achsensymmetrisch ist, dann kann es ein Quadrat sein.“ Stimmt auch! (a) „Rechteck“ ⇔ „Diagonale“ (b) „Quadrat“ ⇔ „Symmetrieachsen“ (c) „Gleichseitiges Dreieck“ ⇔ „Punktsymmetrie“ (3) Winter verbalisiert hier die Hoffnung, dass die Beschäftigung mit Mathematik eine besonders strenge und effektive Art des Denkens fördere, die auch über die Lösung mathematischer Probleme hinaus wirken kann, dass Mathematik eine Art „Denkschule“ sei bzw. sein könnte. Ein Beispiel dazu angelehnt an eine Aufgabe aus TIMSS 3 1995 zeigt Abbildung 19: Abbildung 19: Eine Problemlöseaufgabe Hier können Schüler*innen lernen, kreative Ideen für die Lösung von Problemen zu entwickeln und zu evaluieren. Der Satz von Pythagoras und die Berechnung des Umfangs des kreisförmigen Querschnitts sind dabei lediglich Werkzeuge, aber sie alleine führen nicht zur Lösung. Allerdings hat sich herausgestellt, dass dieser Transfer nicht gelingt, wenn geeignete Problemlö- sestrategien unreflektiert bleiben. Besonders die Auseinandersetzung mit der eigenen Denkwei- 30 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. se und eigenen Heurismen birgt großes Potential für einen Beitrag des Mathematikunterrichts an der Allgemeinbildung. Folgende Fragen dienen hier als Beispiel (Bruder & Collet, 2011): Kennst Du eine ähnliche Aufgabe? Kannst Du Dir eine Zeichnung machen? Hilft mir eine andere Bezeichnung? Könnte eine Tabelle die Aufgabe besser strukturieren? Was macht(e) diese Aufgabe so schwierig? Was war der springende Punkt? Gibt es andere, vielleicht effizientere Lösungswege? An welcher Stelle im Lösungsprozess habe ich (erst) einen Fehler gemacht? Winter kombiniert ein bestimmtes Menschenbild und ein gewisses Bild der Mathematik und for- muliert daraus allgemeine Lernziele für den Mathematikunterricht. In Tabelle 2 findet man die oben angeführten Grunderfahrungen wieder sowie zusätzlich den Aspekt der Sprache bzw. Formalisierung. Tabelle 2: Aus Winter (1975, S. 59) Es folgen Beispiele zu den allgemeinen Lernzielen in der Schule aus Tabelle 2: Entfaltung schöpferischer Kräfte: Vollrath (1987) schlägt vor, Begriffsbildung als schöpferische Tätigkeit im Mathematikunterricht erfahrbar zu machen. So könnten Schüler*innen am Beispiel der Primzahlen ermuntert werden, an- dere besondere Zahlen zu definieren und deren Eigenschaften zu untersuchen. Schüler*innen könnten beispielsweise auf die Idee kommen, Zahlen als dreiteilig zu bezeichnen, wenn sie genau drei Teiler haben. Schnell kann man entdecken, dass diese Zahlen Quadrate von Primzahlen sein müssen. Förderung des rationalen Denkens: Schüler*innen können erfahren, dass sich Argumente in ihrer Qualität unterscheiden. Sie können 31 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. lernen, über mathematische Argumente zu diskutieren und sich dadurch ein immer adäquateres Bild von mathematischen Methoden zu bilden: Abbildung 20. Abbildung 20: Wer begründet „richtig“? 32 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Förderung des Verständnisses für Wirklichkeit und ihre Nutzung: Schüler*innen können erfahren, dass die Mathematik hilft, die Welt um uns besser zu begreifen. Humenberger (2017, S. 114) schlägt folgende Aufgabe vor. „Am Vormittag des 8. Juni 2004 zog die Venus genau vor der Sonne vorbei (,Ve- nustransit‘). In früheren Jahrhunderten war dies die einzige Methode, um auf relativ komplizierte Art und Weise die Entfernung Erde – Sonne zu bestimmen. Einigen Fo- toreportern gelangen bei diesem Ereignis seltene Schnappschüsse mit vorbei fliegenden Flugzeugen (vgl. Abb. 21). 1. Wie könnte man mit so einem Bild (mathematisch begründet) abschätzen, wie weit das Flugzeug jeweils vom Beobachter weg war? 2. Gibt es auch eine Möglichkeit ohne die Venus (,schwarzer Punkt‘ links oben) aus- zukommen?“ Abbildung 21: Wie weit ist das Flugzeug entfernt? Hier müssen Schüler*innen nicht einfach nur gegebene Zahlen in ein vorgegebenes Modell einfügen, wie dies bei vielen eingekleideten Aufgaben der Fall ist. Um diese Aufgabe zu lösen, müssen Lernen- de zunächst Überlegungen anstellen, mit welchen Informationen sie ein sinnvolles mathematisches Modell erstellen können und sie müssen sich diese Informationen selbst beschaffen. Förderung der Sprachfähigkeit: Obwohl ein Begriff intuitiv klar erscheint, lässt sich damit in der Mathematik nur eingeschränkt arbeiten. Beispielsweise ist mit dem Begriff streng monoton steigende Funktion die Vorstellung eines Graphen verbunden, der „hinauf“ geht. Doch wie drückt man dieses „hinaufgehen“ mathematisch aus? „Wenn x weiter rechts ist, dann ist f (x) höher.“ Das kommt der herkömmlichen Definition 33 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. schon näher. Dennoch ist sie unbefriedigend. Weiter rechts verglichen womit? Höher verglichen wo- mit? Hier könnten verschiedene Vorschläge von Schüler*innen gesammelt, verglichen und diskutiert werden. Man gewinnt die Einsicht, dass eine mathematische Ausdrucksweise von Genauigkeit und Unmissverständlichkeit geprägt ist. 3.4 Mathematik als qualifizierendes Fach Mit Beurteilungen/Benotungen werden gewisse Berechtigungen erteilt bzw. verweigert. Ein Reife- zeugnis beispielsweise ist eine Voraussetzung für den Zugang zum tertiären Bildungsbereich. Daher muss der Unterricht auch auf die Vorbereitung auf diese Lebenswege ausgerichtet sein. Einerseits soll der Unterricht Grundlagen für ein späteres Berufsleben schaffen. Andererseits muss er auf weitere Bildungswege vorbereiten. 3.4.1 Vorbereitung auf das Berufsleben „Für die verschiedenen Berufe, die z. B. von Hauptschülern gewählt werden, neh- men die mathematischen Anforderungen etwa in folgender Reihenfolge ab: Elektriker- , Metallerzeugungs- und Metallverarbeitungsberufe, Bauberufe, kaufmännische Berufe, Friseurberufe, Nahrungs- und Genussmittel herstellende Berufe und Hilfsberufe. Alle benötigen sie einen Grundstock, der aus einer Sicherheit im Rechnen mit Zahlen und Größen, Schlussrechnung, Prozent-, Zins- und Mischungsrechnung besteht. Die techni- schen Berufe erfordern außerdem Fähigkeiten im Umgang mit Formeln.“ (Vollrath, 1975, zitiert nach Vollrath und Roth, 2012, S. 19). Allerdings verändern sich die beruflichen Möglichkeiten sowie die Anforderungen der einzelnen Be- rufsgruppen rasant. Wissen steht uns mittlerweile auf Knopfdruck zur Verfügung. Aber es veraltet auch schneller als je zuvor. Schüler*innen werden sich also ihr Leben lang weiterbilden müssen. Sie sollen also lernen, wie man sich Mathematik aneignet und reflektieren, wie sie am besten Mathe- matik lernen können. Aufgaben, die nach Schema F gelöst werden können, werden immer öfter von Maschinen übernommen. Schüler*innen sollen also nicht ausschließlich auf das fehlerfreie Ausführen verschiedener Algorithmen gedrillt werden, sie müssen lernen, Probleme mit den mathematischen Mitteln zu lösen, die ihnen zur Verfügung stehen. 3.4.2 Vorbereitung auf die Hochschule Wenn Schüler*innen ihre Schullaufbahn mit der Reifeprüfung abschließen, sollten sie studierfähig sein. Aufgrund der unterschiedlichen mathematischen Anforderungen verschiedener Studienrichtun- gen lässt sich dieses Ziel kaum allgemein formulieren. Allerdings soll hier auf zwei Aspekte hinge- wiesen werden. 1. Die mathematischen Inhalte mancher Studienrichtungen werden von Schüler*innen, Lehrer*- innen und der restlichen Gesellschaft oft unterschätzt. Betrachten Sie den kleinen Ausschnitt aus dem Werk „Quantitative Methoden | 1 — Einführung in die Statistik für Psychologen und Sozialwissenschaftler“ (3. Auflage, S. 125) von Rasch et al. (2010) in Abbildung 22. Überlegen Sie, welche mathematischen Fähigkeiten Maturant*innen mitbringen müssen, um diesen Ausschnitt nachvollziehen zu können! 34 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Abbildung 22: Wie viel Mathematik braucht man hierfür? 2. Studierfähigkeit beinhaltet auch allgemeine Fähigkeiten, die beim wissenschaftlichen Arbei- ten erforderlich sind. Im Mathematikunterricht bedeutet dies also auch, Objektivität, präzises Sprechen, das Begründen von Aussagen, das selbstständige Aneignen von Information, Aus- dauer, das Lösen von Problemen und Kreativität beim Entwickeln von Ideen zu fördern (vgl. Vollrath und Roth, 2012, S. 21). 3.5 Lehrplan Die derzeit gültigen Lehrpläne (Volksschule, NM, AHS, BHS etc.) sind von der Website des Bil- dungsministeriums abzurufen18. Sie stellen die gesetzliche Grundlage für den Unterricht dar. Sie sind KEIN Vorschlag, sie sind einzuhalten. Das Schulbuch oder der Grundkompetenzkatalog der zentralen Reifeprüfung19 sind kein Lehrplanersatz. Wir betrachten österreichische Lehrpläne am Beispiel des 18 https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/schulpraxis/lp.html 19 https://www.matura.gv.at/srdp/mathematik 35 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Lehrplans Mathematik für die Sekundarstufe I. Der AHS-Mathematik-Unterstufen-Lehrplan bzw. Mittelschullehrplan ist in fünf große Abschnitte gegliedert: 1. Bildungs- und Lehraufgabe: Hier werden die drei Winter’schen Grunderfahrungen (Abschnitt 3.3 für den Mathematik- unterricht expliziert. Hiezu gehören Verständnisorientierung, Vernetzung mit anderen Unter- richtsfächern, Modellierung (Anwendung von mathematischen Methoden in außermathemati- schen Situationen), das Interpretieren und Erstellen mathematischer Dartellungen etc. 2. Kompetenzmodell und Kompetenzbereiche: Das zugrunde gelegte Kompetenzmodell verschränkt die im nächstem Abschnitt beschriebenen inhaltlichen Kompetenzbereiche mit den folgenden Prozessen: Modellieren und Problemlösen Operieren (Rechnen und Konstruieren) Darstellen und Interpretieren Vermuten und Begründen 3. Zentrale fachliche Konzepte: Zahlen und Maße sind Mittel, um die Eigenschaften realer Objekte und Phänomene durch Zählen bzw. Messen quantitativ zu erfassen und einer Berechnung zugänglich zu machen. Aufbauend auf den Erfahrungen aus der Primarstufe werden Grundvorstellungen und operative Fertigkeiten im Bereich der natürlichen Zahlen gefestigt. Diese werden zu- nächst zu den nichtnegativen Dezimal- und Bruchzahlen, dann weiter zu den ganzen und rationalen Zahlen und schließlich zu den reellen Zahlen erweitert. Im Zuge dieser Zahlbe- reichserweiterungen treten sowohl realitätsbezogene Aspekte (Zahlen als Messergebnisse) als auch innermathematische Arbeits- und Denkweisen (Zahlen als eigenständige, abstrak- te Objekte) in Erscheinung. Variablen und Funktionen sind zentrale mathematische Konzepte, mit denen sich Zusammenhänge zwischen Größen bzw. Zahlen beschreiben und untersuchen lassen. Die Vorstellung von Variablen als Platzhalter wird bereits in der Primarstufe thematisiert. Der weitere Ausbau des Variablenbegriffs ist eine Voraussetzung für den Übergang vom arithmetischen hin zum algebraischen Denken. Funktionale Betrachtungsweisen treten bereits zu Beginn der Sekundarstufe auf, z. B. bei der direkten Proportionalität. Der Funktionsbegriff wird allerdings erst am Ende der Sekundarstufe I eingeführt. Figuren und Körper sind Idealisierungen realer Objekte. Sie werden zeichnerisch dar- gestellt, ihre Eigenschaften und Zusammenhänge sowie ihre Lagen bzw. Lagebeziehungen werden beschrieben und untersucht. Das räumliche Vorstellungsvermögen wird im Unter- richt weiterentwickelt und gefestigt. Winkel-, Längen-, Flächen- und Volumenbeziehun- gen werden begründet und zu Berechnungen genutzt. Arithmetische Beziehungen werden geometrisch dargestellt; umgekehrt werden geometrische Darstellungen arithmetisch ge- deutet. 36 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Daten und Zufall werden im Informationszeitalter immer wichtiger. Kenngrößen und Diagramme der beschreibenden Statistik dienen der Orientierung und Entscheidungsfin- dung. Der Wahrscheinlichkeitsbegriff ist grundlegend für die Quantifizierung von Sicher- heit. Der Wahrscheinlichkeitsbegriff wird — ausgehend vom alltäglichen Sprachgebrauch von „wahrscheinlich“ — intuitiv entwickelt und der Zusammenhang von Wahrscheinlich- keiten mit relativen Häufigkeiten bei wiederholbaren Zufallsexperimenten hergestellt. 4. Didaktische Grundsätze: Das Spiralprinzip, bei dem im Unterricht Inhalte auf verschiedenen Entwicklungsstufen immer wieder aufgegriffen und in jeweils vertiefender Form behandelt werden, spielt eine besondere Rolle im Sinne der Sicherung der Nachhaltigkeit. Die Entwicklung mathematischen Verständnisses baut auf altersadäquaten Plausibilitätser- klärungen bzw. präformalen Begründungen in allen Bereichen sowie exemplarisch auch auf formalen Argumenten auf. Der Zweck des Argumentierens ist vor allem zu erklären, warum eine Aussage richtig oder falsch ist. Die Schüler*innen erleben Mathematik nicht nur als Unterrichtgegenstand mit fertigen und zu lernenden Zusammenhängen (z. B. Formeln), sondern vor allem als Prozess, in den sie selbst involviert sind. Gemäß dem genetischen Prinzip (Abschnitt 2.4) werden Zusammenhänge und Wissen aus konkreten Problemstellungen heraus entwickelt und nicht primär auf Vorrat gelernt. Durch Einblicke in die ßtextcolorbluehistorische Entwicklung der Mathematik und in das Wir- ken einiger ihrer Persönlichkeiten erfahren Schülerinnen und Schüler, dass Mathematik nicht seit jeher feststeht, sondern laufend entwickelt und gestaltet wird. Eine Herausforderung des Mathematikunterrichts liegt in der Balance zwischen der Nutzung di- gitaler Technologien und der Ausbildung grundlegender kognitiver Fähigkeiten sowie manuell- operativer Fertigkeiten. Digitale Technologien mit ihrem mächtigen Potenzial zum Untersu- chen, Erforschen, Berechnen und Darstellen sind in einem zeitgemäßen Unterricht unverzicht- bar, und grundlegende manuell-operative Fertigkeiten fördern den verständigen Einblick in Strukturen und Zusammenhänge. Beides ist also in einem sinnstiftenden Mathematikunter- richt, in dem Schülerinnen und Schüler kognitiv aktiviert werden, zentral. Zu den anzustre- benden Fertigkeiten gehört auch das flexible Rechnen, insbesondere das sichere Kopfrechnen, um durch Überschlagsrechnungen — nach geeigneter Rundung — Ergebnisse abschätzen zu können. Ab dem Beginn der Sekundarstufe werden digitale Technologien wie Tabellenkalkula- tionsprogramme, Dynamische Geometrie-Software, interaktive Übungen, Taschenrechner und Grafikrechner zur Unterstützung des Kompetenzerwerbs genutzt, weiters zum produktiven Üben, zum experimentellen Entdecken von Gesetzmäßigkeiten, zum Darstellen und Veran- schaulichen, zum Überprüfen von Ergebnissen oder als Rechenhilfen. Die Schülerinnen und Schüler werden angeleitet, Fachsprache produktiv zu nutzen, indem sie beispielsweise Konstruktionen und Lösungswege verbal beschreiben. Sie erkennen und verste- hen altersadäquate fachsprachliche Elemente als Teil der Bildungssprache und nutzen diese aktiv zur unmissverständlichen Kommunikation. Im Unterricht werden sowohl einschrittige als auch mehrschrittige Aufgaben bearbeitet. Auf- gaben, die verschiedene Lösungswege bzw. unterschiedliche Lösungen zulassen, sind Teil einer ausgewogenen Aufgabenkultur. Der Lösungsprozess und das Resultat haben jeweils eine eigen- ständige Bedeutung. 37 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Der Unterricht soll die Eigenständigkeit und Selbsttätigkeit der Schüler*innen fördern. Fehler werden konstruktiv aufgegriffen und als Lernchance begriffen. Die Schülerinnen und Schüler sollen durch Individualisierung und Differenzierung entspre- chend ihren jeweiligen Begabungen, Fähigkeiten, Bedürfnissen und Interessen gefördert wer- den. Unterrichtsformen wie Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, entdeckendes Lernen und projektorientierter Unterricht sind dazu geeignet. Im Unterricht ist auf ein angemesse- nes Verhältnis zwischen individueller Wissenskonstruktion durch die Schüler*innen selbst und Instruktion durch die Lehrperson zu achten. 5. Kompetenzbereiche: In diesem Teil wird der eigentliche Lehrstoff beschrieben. Ein kleiner Denkanstoß: Nehmen Sie den Lehrplan der Unterstufe zur Hand und geben Sie zu den Schulbuch- aufgaben in Abbildung 23 (Dorfmayr et al., 2016, S. 109; Humenberger, 2012, S. 43) an, in welchen Inhaltsbereich diese fällt und welche Kompetenz damit geübt bzw. abgeprüft werden soll! Abbildung 23: Was wird hierbei gelernt? Literatur BMBWF: Lehrpläne. Aufgerufen am 14.10.2024 unter https://www.bmbwf.gv.at/Themen/ schule/schulpraxis/lp.html Bruder, R. und Collet, C.: Problemlösen lernen im Mathematikunterricht. Cornelsen Scriptor, Berlin 2011. 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Humenberger, H.: Modellierungsaufgaben im Unterricht – selbst Erfahrungen sammeln. In H. Humenberger und M. Bracke (Hrsg.), Neue Materialien für einen realitätsbezogenen Mathema- tikunterricht, ISTRON-Schriftenreihe. Realitätsbezüge im Mathematikunterricht (S. 107–118). Springer Spektrum, Wiesbaden 2017. DOI https://doi.org/10.1007/978-3-658-11902-7_ 8 Humenberger, H. (Hrsg.): Das ist Mathematik 3 von D. Litschauer, H. Groß, V. Aue, J. Hasi- beder, M. Himmelsbach, und J. Schüller-Reichl. ÖBV, Wien 2012. Humenberger, H. (Hrsg.): Das ist Mathematik 2 von D. Litschauer, H. Groß, V. Aue, J. Hasi- beder, M. Himmelsbach, und J. Schüller-Reichl. ÖBV, Wien 2017. Kaiser, P.: Ein neuer Blickwinkel auf die merkmalsorientierte Ordnung von Vierecken. Ma- thematische Semesterberichte 71, S. 31–42 (2024). DOI https://doi.org/10.1007/s00591- 023-00361-2 Langner, T.: Ist hier noch alles dicht? — Recherche zum Wasserverbrauch einer Schule. Abge- rufen am 14.10.2024 unter https://umweltschulen.de/wasser/wasserverbrauch.html Peschek, W.: Allgemeinbildung und Mathematik. Eine Einführung in das gleichnamige Buch von Hans Werner Heymann, Beltz, Weinheim und Basel 1996. 2000. Aufgerufen am 14.10.2024 unter http://wwwg.uni-klu.ac.at/iff/schule/pfl/ws01/Seminar2_HP_Allgemeinbildung_ WP.pdf Rasch, B., Hofmann, W., Friese, M. und Naumann, E.: Quantitative Methoden 1. Einführung in die Statistik für Psychologen und Sozialwissenschaftler. Springer-Lehrbuch. Springer Berlin, Heidelberg 2010 (3. Auflage). Salzger, B., Bachmann, J., Germ, A., Riedler, B., Singer, K. und Ulovec A.: Mathematik Verstehen 4. Arbeitsheft. ÖBV, Wien 2017. TIMSS 3: Released Advanced Mathematics Items Population 3. 1995. Aufgerufen am 14.10.2024 unter https://timss.bc.edu/timss1995i/TIMSSPDF/CitemAdM.pdf Vollrath, H. J.: Begriffsbildung als schöpferisches Tun im Mathematikunterricht. Herrn G. Pickert zum 70. Geburtstag gewidmet. ZDM 19(3), 1987, S. 123–127. Vollrath, H. J. und Roth, J.: Grundlagen des Mathematikunterrichts in der Sekundarstufe. Spektrum, Heidelberg 2012. 39 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 14.10. Winter, H.: Allgemeine Lernziele für den Mathematikunterricht. 1975. Aufgerufen am 14.10.2024 unter https://www.mathe2000.de/sites/default/files/winter-allgemeine-lernziele- mathematik.pdf Winter, H.: Mathematikunterricht und Allgemeinbildung. Mitteilungen der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik, 61, 1995, S. 37–46. https://ojs.didaktik-der-mathematik.de/ index.php/mgdm/article/view/69 40 VO Einführung in die Fachdidaktik WiSe 2024 Version vom 21.10. 4 Grenzdisziplin Psychologie 4.1 Genetische Erkenntnistheorie und Psychologie von J. Piaget Ziel der Piaget’schen Forschungen ist es, die Mechanismen zu beschreiben, die die Genese von Wissensbeständen regeln, sowohl 1. in den Wissenschaften selbst als auch 2. im Individuum. Die grundlegende These von Piaget20 ist es nun, dass die gleichen Prozesse für den Aufbau von Wis- sen am Werk sind. Sie stellt die Verbindung zwischen Wissenschaftstheorie (soziologischer Aspekt) und Psychologie (individueller Aspekt) dar. Dabei spielt die genetische Interpretation des Intelli- genzbegriffes eine zentrale Rolle. Sie versteht unter Intelligenz eines Individuums die Summe der Aktivitäten, mit denen das Individuum erfolgreich mit der Umwelt in Wechselwirkung tritt. Diese Aktivitäten können

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