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Freie Universität Berlin

2025

Maria Böttche

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clinical psychology mental disorders psychological disorders mental health

Summary

These lecture notes from the Free University of Berlin (FU Berlin): Winter semester 2024/2025, cover topics including psychological disorders, models of health and psychopathology, and different perspectives on mental illness.

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Was ist eine psychische Störung? „Psychische Störung“ als Begriff existiert seit 1980 (DSM Klassifikation) Psychische Störungen bzw. deren Diagnose sind Als zeitlich begrenzte Konstrukte anzusehen, die auf dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Forschung und Erkenntnisse in eine...

Was ist eine psychische Störung? „Psychische Störung“ als Begriff existiert seit 1980 (DSM Klassifikation) Psychische Störungen bzw. deren Diagnose sind Als zeitlich begrenzte Konstrukte anzusehen, die auf dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Forschung und Erkenntnisse in einem Konsensusverfahren von internationalen Expert:innen für einen gewissen Zeitraum festgelegt werden Nachteile bzgl. der Klassifikation Alltagssprache vs. Fachtermini Stigma Gesellschaftliche Nachteile Prof. Dr. Maria Böttche – Vorlesung Bachelor Grundlagen der Klinischen Psychologie – FU Berlin WiSe 2024/2025 15 Was ist eine psychische Störung? … klinisch bedeutsames Verhaltensmuster oder psychisches Syndrom (Denken, Erleben und/oder Handeln einer Person), die – mit Beeinträchtigung einhergehen – Leiden bei der Person auslösen – ein Änderungsbedürfnis hervorrufen – Von der Norm abweichend … verhaltensmäßige, psychische, entwicklungsbezogene oder biologische Funktionsstörung Prof. Dr. Maria Böttche – Vorlesung Bachelor Grundlagen der Klinischen Psychologie – FU Berlin WiSe 2024/2025 16 Was ist eine psychische Störung? … klinisch bedeutsames Verhaltensmuster oder psychisches Syndrom (Denken, Erleben und/oder Handeln einer Person), die – mit Beeinträchtigung einhergehen - Arbeitsunfähigkeit – Leiden bei der Person auslösen - Niedergeschlagenheit – ein Änderungsbedürfnis hervorrufen – Wunsch nach Therapie – Von der Norm abweichend – ca. 16% Lebenszeitprävalenz … verhaltensmäßige, psychische, entwicklungsbezogene oder biologische Funktionsstörung Weder spezifisches Verhalten (z. B. politischer, religiöser oder sexueller Art) noch Konflikte des Einzelnen mit der Gesellschaft sind psychische Störungen, solange Verhalten oder Konflikt kein Symptom der Funktionsstörung darstellt. Prof. Dr. Maria Böttche – Vorlesung Bachelor Grundlagen der Klinischen Psychologie – FU Berlin WiSe 2024/2025 17 Normkonzepte Statistische Norm – Abweichen von der Norm der Häufigkeitsverteilung In zwei Richtungen abweichend Subjektive Norm – Abweichen von der Norm der eigenen Befindlichkeit Schwer zu objektivieren Soziale Norm – Abweichen von gesellschaftlichen Konventionen und Regeln Durch Kultur geprägt Ideal- oder Funktionsnorm – es wird angenommen, dass es eindeutiges ideales psychisches Funktionieren gibt. Gesellschaftlich geprägt Prof. Dr. Maria Böttche – Vorlesung Bachelor Grundlagen der Klinischen Psychologie – FU Berlin WiSe 2024/2025 18 Was ist Psychotherapie? ▪ Ist ein Teilgebiet der Klinischen Psychologie ▪ bewusster, geplanter, interaktionaler Prozess ▪ mit dem Ziel der Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen ▪ die in einem Konsensus für behandlungsbedürftig gehalten werden (Strotzka, 1969, S. 32) Prof. Dr. Maria Böttche – Vorlesung Bachelor Grundlagen der Klinischen Psychologie – FU Berlin WiSe 2024/2025 19 Psychotherapie…. ▪ mit psychologischen Mitteln (i.d.R. verbal, aber auch nonverbal) ▪ in Richtung auf ein definiertes Ziel (idealerweise gemeinsam erarbeitet, z.B. Symptomminimierung oder Strukturänderung der Persönlichkeit). ▪ mittels lehrbarer Techniken ▪ auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens. ▪ in der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig. Prof. Dr. Maria Böttche – Vorlesung Bachelor Grundlagen der Klinischen Psychologie – FU Berlin WiSe 2024/2025 20 Psychische Gesundheit in der Klinischen Psychologie Vorwurf an die Klinische Psychologie: Konzentration lediglich auf negative Themen „klinischer Blick“ auf Dysfunktionen Ziel: (Wieder-)Herstellung des sozialen, wirtschaftlichen und privaten „Funktionsniveaus“ Klinische Psychologie ist aber vor allem: Minderung des erlebten Leidenszustands und Verbesserung der Lebensqualität Prof. Dr. Maria Böttche – Vorlesung Bachelor Grundlagen der Klinischen Psychologie – FU Berlin WiSe 2024/2025 21 Psychische Gesundheit in der Klinischen Psychologie Um Komplexität menschlichen Erlebens und Verhaltens zu erfassen, ist ebenso Suche nach individuellen Merkmalen psychischer Gesundheit erforderlich Zentraler Bestandteil des Gesundheitskonstrukts ist Ressourcenbegriff (Grawe und Grawe-Gerber 1999) Innere Potenziale eines Menschen (Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse, Talente...) Zwischenmenschliche Beziehungen Finanzielle Möglichkeiten Ressourcen nicht immer bewusst zugänglich Aufgabe in Praxis: Ressourcenaktivierung, d.h. Entdecken und Fördern von Ressourcen Aufgabe der Forschung: Diagnostik von Ressourcen, Einfluss auf Wohlbefinden Prof. Dr. Maria Böttche – Vorlesung Bachelor Grundlagen der Klinischen Psychologie – FU Berlin WiSe 2024/2025 22 Modelle von Gesundheit und Psychopathologie Keine allgemein gültige und zufriedenstellende Definition für Gesundheit und „Krankheit“ „Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur der Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen“ WHO, 1958 „Körperliches und geistiges Wohlbefinden; Unversehrtheit; Freiheit von Defekt, Schmerz oder Krankheit; Normalität körperlicher und geistiger Funktionen. Webster’s Dictionary 1985 Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 3 Modelle von Gesundheit und Psychopathologie Derzeit sind psychische Störungen am besten beschrieben mittels multiaxialem Ansatz Symptombeschreibung auf körperlicher, kognitiver, affektiver, verhaltensbezogener und sozialer Ebene Körperlicher Gesamtzustand Psychologische, verhaltensbezogene und soziale Merkmale der Person Globales Funktionsniveau Bis dato keine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisbasis über psychische Störungen hinsichtlich ätiologischer Modelle. -> Verzicht auf den Begriff „Krankheit“ und Verwendung des neutraleren Begriffs „Störung“ in Klassifikationssystemen. Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 4 Wissenschaftliche Zielsetzung der Klinischen Psychologie Zielsetzungen, die im Zusammenhang mit störungsbezogenen Aspekten verfolgt werden: 1. Beschreibung des interessierenden Verhaltens – objektiv und umfassende Beschreibung 2. Erklärung – Auffinden von Mustern und Prozessen 3. Vorhersage – Verstehen der Art und Weise, wie etwas zusammenhängt 4. Beeinflussung und Kontrolle – Ableitung von Interventionen 5. Reduktion von Leiden und Verbesserung der Lebensqualität Daraus resultieren verschiedene Perspektiven und Modelle: - (neuro-)biologische Perspektive - psychodynamische Perspektive - kognitiv-verhaltenstherapeutische Perspektive -integrative Perspektive Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 8 1. Neuro-biologische Perspektive Ursachen psychischer Störungen liegen in der Funktionsweise der Gene, der Beschaffenheit und dem Stoffwechsel des Gehirns, des Nerven- und endokrinen Systems. Varianten Traditionell medizinisches Krankheitsmodell Psychobiologisches Modell Kritik psychische Phänomene, Verhalten und psychopathologische Symptome allein durch „kausal“ wirkende neurobiologische Auffälligkeiten erklärt. Wechselwirkungen, z. B. zwischen kognitiven, affektiven, verhaltensbezogenen und psychobiologischen Prozessen, nur unzureichend beachtet. Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 9 Krankheitsmodell: Traditionelles medizinisches Krankheitsmodell Für die Entstehung von psychischen Störungen und Krankheiten gelten folgende Annahmen: Beschwerden sind auf primäre Funktionsstörung zurückzuführen Defekt ist in der Person gelegen und bildet die eigentliche Krankheit auf eindeutige Ursache (kausal) zurückzuführen Defekt (nicht unbedingt die Ursache) ist körperlicher Art Es gibt eindeutige Indikatoren von Gesundheit vs. Krankheit Ziel: Defekt in der Person beheben Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 10 2. Psychodynamische Perspektive Ursachen des Verhaltens und psychischer Störungen liegen in intrapsychischen, zumeist unbewussten Konflikten, Impulsen und Prozessen (Instinkte, biologische Triebe, Gedanken, Emotionen), die häufig auf frühkindliche Konflikte rückführbar sind. These ist, dass psychische Krankheiten aus Problemen des Unbewussten entstehen. Varianten: Psychoanalytische Schulen - (Psychoanalyse ist eine Theorie zur Erklärung und ein Behandlungsverfahren) Objektbeziehungstheorie (im Vordergrund Beziehung des Kindes zu sozialem Umfeld und Vorstellungen des Kindes über sich und Bezugspersonen) Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 12 3. Kognitiv-behaviorale Perspektive Psychische Störungen sind auf Grundlage von Vulnerabilitäten und Stress entstehende fehlangepasste erlernte (z. B. operante, klassische Konditionierung, Modelllernen) Verhaltens- und Einstellungsmuster, einschließlich kognitiver Prozesse (Aufmerksamkeit, Erinnern, Denkmuster, Problemlösen). Varianten Lerntheoretische Modelle Kognitiv-behavioraler Ansatz Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 14 4. Integrative Perspektive Psychische Störungen sind das Ergebnis von komplexen Vulnerabilitäts-Stress-Interaktionen, bei denen gleichermaßen biologische, kognitiv-affektive, soziale und umweltbezogene sowie Verhaltensaspekte in ihrer entwicklungs- und zeitbezogenen Dynamik in Wechselwirkung stehen. Varianten Bio-psycho-soziales Modell Diathese-Stress Modell Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 15 Aktuelle Störungsmodelle: Bio-psycho-soziales Modell Entstehung und Behandlung psychischer Störungen auf mehreren miteinander interagierenden Ebenen Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 16 Aktuelle Störungsmodelle: Bio-psycho-soziales Modell ▪ Biologische, psychologische und soziale Faktoren haben grundsätzlich gleichrangigen Wert für Verständnis psychischer Störungen ▪ Alle Faktoren sollten bei Intervention und Prävention berücksichtigt werden ▪ Auch Berücksichtigung protektiver Faktoren möglich Einschränkungen – Nicht störungsspezifisch, d.h. keine konkreten Vorhersagen bzgl. bestimmter Störungen möglich – Kein zeitlich-dynamischer Aspekt Problem in der Praxis – Komplexität der Entstehung verlangt meist Komplexität der Behandlung Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 17 Aktuelle Störungsmodelle: Vulnerabilitäts-Stress-Modell Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 18 Aktuelle Störungsmodelle: Vulnerabilitäts-Stress-Modell Ergänzung des bio-psycho-sozialen-Modells um zeitliche und dynamische Aspekte Vulnerabilität durch biologische, psychologische, soziale und Umwelteinflüsse Akute Stressoren → Auslöser einer Störung Dynamik durch Schwelle (wird Schwelle überschritten, kommt es zu psychischer Störung) Hohe Vulnerabilität → Schwelle wird leichter überschritten Einschränkung: Nicht störungsspezifisch Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 19 Symptom, Syndrom und Diagnose Symptome Einzelmerkmal einer Störung kleinste beschreibbare Untersuchungseinheit Objektiv beobachtbar oder subjektiv erlebbar Verlauf der Beeinträchtigung wichtig, nicht alles ist ein Symptom Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 5 Symptom, Syndrom und Diagnose Symptome Leit-/Kernsymptome: weisen mit großer Wahrscheinlichkeit auf Störung hin (z.B. Entzugserscheinungen bei Abhängigkeitsstörungen) Fakultative oder akzessorische Symptome: typische Symptome, die wahlweise bzw. alternativ auftauchen können (z.B. Appetitverlust oder – steigerung bei Depression) Unspezifische Symptome: schwerwiegend aber gleichzeitig bei vielen psychischen Störungen auftretend (z.B. Konzentrationsstörungen) Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 6 Symptom, Syndrom und Diagnose Syndrom gehäuftes Zusammentreffen von typischen Symptomen mehrere Symptome clustern sich zu einem Syndrom Überzufällig häufige oder typische Muster von Symptomen Für vorläufige Diagnosen verwendet, welche noch nicht als offizielle Diagnosen anerkannt sind. Früher verwendet, um Untertypen abgrenzen zu können (z.B. bei Schizophrenie ICD-10 – paranoides oder katatones Syndrom) Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 7 Symptom, Syndrom und Diagnose Diagnose (griech.: Entscheidung/Urteil) setzt sich aus Symptomen und Syndromen sowie komplexen Zusatzkriterien (Zeitdauer, Schwere…) zusammen Zuordnung zu einer definierten Störungskategorie Diagnose mit Krankheitswert ist zur Kostenübernahme notwendig Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 8 Zusammenfassung II Diagnostik = wechselseitiger Prozess zwischen Hypothesengenerierung & -prüfung Ein Leitsymptom nicht ausreichend und kann ausführlichen diagnostischen Prozess nicht abkürzen Leitsymptom ist nur kennzeichnend, wenn es in einer bestimmten Schwere, Häufigkeit, Dauer und in Verbindung mit anderen Symptomen vorliegt Wichtig: Selbst- und Fremdurteile nutzen Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 14 Kategoriale Diagnostik Gruppierung der interessierenden Merkmale und Einordung dieser Gruppen in ein System von Kategorien (Klassen) diskrete, klar voneinander abgrenzbare und unterscheidbare Störungseinheiten Qualitative Unterschiede zwischen den Gruppen Liegt Störung vor? Entscheidung JA vs. NEIN → In der klinischen Psychologie übliche Form der kategorialen Diagnostik ist Klassifikatorische Diagnostik Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 16 Form der kategorialen Diagnostik: Klassifikatorische Diagnostik Nutzen Eindeutige und bessere Kommunikation zwischen Behandelnden, Patient:innen, Angehörigen, Forschenden & internationalen Gremien Sinnvolle Zuordnung von präventiven & therapeutischen Maßnahmen Wissenschaftliche Erforschung psychischer Störungen versicherungsrechtliche, juristische begutachtungs- & sozialverwaltungsbezogenen Regelungen Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 17 Kategoriale Diagnostik Kritik Etikettierung und Stigmatisierung von Menschen mit psychischer Störung Störungsdiagnosen als Vereinfachung der Realität Etikettierungstheorie Stigmatisierungstheorie ▪ Annahme, dass Verhalten durch gesellschaftliche ▪ Erwartung entwertet zu werden → sozialer Etikettierung verstärkt wird Rückzug → erhöhtes Risiko für Auftreten weiterer ▪ Person beginnt sich entsprechend ihres Labels zu Symptome verhalten ▪ Stigmatisierung trägt zur Aufrechterhaltung bei Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 18 Dimensionale Diagnostik psychische Merkmale einer Person entlang eines Kontinuums erfasst und beschrieben Grad der Ausprägung (z.B. schwer, mittel, leicht) zur objektivierenden Beschreibung von Einzelbeschwerden und Komplexen von Beschwerden Es fehlen jedoch zusätzliche Informationen (z.B. Dauer, Beeinträchtigung) Dimensionale Diagnostik kann in klassifikatorische Diagnostik einfließen, z.B. schwere Depression -> In der klinischen Psychologie übliche Form der dimensionalen Diagnostik sind Fragebögen Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 19 Klassifikation Definition = die Einordnung von Phänomenen, die bestimmte gemeinsame Merkmale haben, in ein nach Klassen gegliedertes System. Im Rahmen des »diagnostischen Prozesses« werden bestimmte Merkmale oder Personen in diagnostische Klassen bzw. in Kategorien eines Klassifikationssystems eingeordnet. vgl. Wittchen & Lachner, 1996 Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 22 International Statistical Classification of Diseases Entstand aus internationalem Todesursachenverzeichnis Gilt für alle Erkrankungen (psychisch und somatisch) Dient allen vertragsärztlichen Versorgungseinrichtungen in Deutschland zur Diagnosestellung und Abrechnung mit den Krankenkassen seit 1996 in der zehnten Auflage für alle Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten der WHO gültig Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 25 DSM 5 Neuerungen Abschaffung der multiaxialen Einteilung aus dem DSM-IV-TR Medizinische Krankheitsfaktoren (vormals Achse III) weiterhin kodiert, wenn für das Verständnis psychischer Störungen relevant. Relevante psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme (vormals Achse IV) in Kodierungen der Störungen miteingegangen. GAF-Skala (vormals Achse V) nicht mehr Bestandteil des DSM 5 Achse I Klinische Störungen II Persönlichkeitsstörungen III Medizinische Krankheitsfaktoren (körperliche Probleme, die bedeutsam für psychische Störung sein können) IV Psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme V Globale Beurteilung des Funktionsniveaus (GAF Skala) Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 32 Vorgehen bei der Diagnostik: Überblick Indikationsorientierte Diagnostik Erstgespräch, Problemerfassung Störungsdiagnostik Funktionale Problemanalyse/ Bedingungsanalysen Ressourcendiagnostik Motivations- und Zielanalysen Indikationsentscheidung/Therapieplanung Verlaufsdiagnostik Therapieevaluation Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 36 Grundprinzip der Diagnostik: Multimodalität Multimodalität= Mehrebenendiagnostik Berücksichtigung von: Datenebenen (biologische, psychologische, soziale, ökologische) Datenquellen (Selbst-, Fremdbeurteilung) Untersuchungsverfahren (Fragebögen, Verhaltensbeobachtung, Interviews, apparative Verfahren u.a.) Konstrukte/Funktionsbereiche Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 37 Funktionale Problemanalyse = Prozess, in dem mit Patient:innen vorliegende Schwierigkeiten oder psychische Störungen beschrieben, klassifiziert und jene Faktoren bzw. Mechanismen identifiziert werden, welche Entstehung und Auf- rechterhaltung der Probleme erklären können. Verhaltensanalyse ist Teil der funktionalen Problemanalyse. Diagnostisches Verfahren zur Bestimmung situativer und individueller Merkmale eines problematischen Ver- haltens sowie Identifikation seiner Ursachen und aufrechterhaltenden Faktoren. Definitionen aus Pschyrembel Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 44 Horizontale Verhaltensanalyse Horizontale Verhaltensanalyse nach SORKC Schema → Verhalten auf Mikroebene in konkreten Situationen S Situation - In welchen Situationen tritt problematisches Verhalten auf? O Organismusvariable - Erfahrungen, Persönlichkeitseigenschaften, chronische physiologische Zustände, biologische Determinanten, Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse R Reaktion - Wie äußert sich problematisches Verhalten emotional, kognitiv, physiologisch und motorisch? C Konsequenzen - länger- und kurzfristig Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 45 Vertikale Verhaltensanalyse Vertikale Verhaltensanalyse = Plananalyse Einordnung des Verhaltens in übergeordnete Ziele, Pläne und zugrunde liegende kognitive, emotionale und motivationale Schemata → Welche Funktion liegt einem Verhalten zugrunde? → Makroebene des Verhaltens Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 47 Definition: Lernen II Lernen muss nicht sofort und direkt zu einer Veränderung des Verhaltens führen Ausreichend, wenn Verhaltensänderung möglich wird „wir müssen nicht alles tun, was wir gelernt haben“, d.h. Kompetenz (was wir tun können, nicht zwangsläufig sichtbar) und Performanz (was wir tatsächlich tun). Lernen bezieht sich auf Veränderungen der Kompetenz; auf Veränderungen, die dauerhaft sind (z.B. nicht zufällige Veränderungen) und die auf Erfahrungen beruhen (d. h. nicht auf Medikamenten, Müdigkeit etc.) Führt keineswegs immer zu einer Verbesserung von Kompetenz und Performanz Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 9 Definition: Klassisches Konditionieren = Klassisches Konditionieren ist das Lernen von Signalen. Wenn wir lernen, dass ein neutraler Reiz einen anderen, wichtigen Reiz vorhersagt, dann können wir bereits auf das Signal reagieren statt erst auf den wichtigen Reiz. Definition aus Hoyer et al., 2020, S. 114 Signallernen = wichtige und überlebensdienliche Funktion des Lernens, Umwelt wird dadurch vorhersagbarer Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 12 Klassisches Konditionieren – Grundlagen Lernvorgang in 4 Stufenn 1. US (Futter) → UR (Speichel) 2. NS (Ton) → NR (neutrale Reaktion) 3. NS (Ton) + US (Futter) → UR (Speichel) 4. CS (Ton) → CR (Speichel) US (unconditioned stimulus/Unkonditionierter Stimulus): Futter UR (unconditioned reaction/unkonditionierte Reaktion): Speichelfluss (biologisch determiniert) NS (neutral stimulus/neutraler Reiz): Stimmgabel NR (neutral reaction/neutrale Reaktion): z.B. Aufmerksamkeit CS (conditioned stimulus/konditionierter Stimulus): durch häufige gemeinsame Darbietung mit UCS wird NS zu CS CR (conditioned response/konditionierte Reaktion): Speichelfluss Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 13 Klassisches Konditionieren – Voraussetzungen I Kontiguität: Hohe zeitliche Nähe zwischen US (Futter) und NS (Ton) begünstigt die Ausbildung einer bedingten Reaktion. Kontingenz: Wahrscheinlichkeit, dass US und NS gemeinsam auftreten muss größer sein, als das alleinige auftreten. Preparedness: Artspezifische Bereitschaft, bestimmte konditionierte Reaktionen auszubilden, die Überlebensvorteil mit sich bringen, z.B. Angst vor Schlangen, Gewitter Seligman, 1970 Keine Äquipotenzialität: Nicht alle Stimuli sind mit allem konditionierbar Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 14 Klassisches Konditionieren – Voraussetzungen II Extinktionslernen: Erlöschen bzw. Verlernen der konditionierten Reaktion, wenn keine weitere Kopplung zwischen US und CS auftritt. Eigentlich ist es ein Umlernen, da bei erneutem Darbieten von CS (Ton, vorher NS) und US (Futter) Lernen schneller geschieht Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 15 Klassisches Konditionieren – Voraussetzungen III (weitere) Eigenschaften für schnelles Konditionierung: Aversiver Zusammenhang (z.B. Übelkeit nach einer Mahlzeit) neutraler Reiz und US passen funktional zusammen (Nahrung + Übelkeit funktioniert besser als Licht + Übelkeit) Wiederholtes kombinieren von neutralem Reiz (Ton) und US (Futter) Intervall zwischen neutralem Reiz und US kurz neutraler Reiz kündigt US verlässlich an Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 16 Klassisches Konditionieren – Klinische Anwendung Behandlung von psychischen Störungen (Beispiele) Aversionstherapie, z.B. in Suchttherapie (eingeschränkt wirksam) Stimuluskontrolle, z.B. Bett bei Schlafstörungen Systematische Desensibilisierung, d.h. Angst und Entspannung kombiniert = Gegenkonditionierung Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 18 Definition: Operantes Konditionieren = Operantes Konditionieren ist das Lernen von Verhaltenskonsequenzen. Wenn wir lernen, welches Verhalten in welchen Situationen positive Folgen hat, können wir das Verhalten in Zukunft häufiger zeigen. Definition aus Hoyer et al., 2020, S. 119 Abgrenzung zur Klassischen Konditionierung – Lernen von Signalen Neue Verhaltensweisen können in das Verhaltensrepertoire aufgenommen werden. Klassisches Konditionieren kann Entstehen neuer Verhaltensweisen nicht erklären Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 20 Operantes Konditionieren – Grundlagen II Verstärkung Situation, in denen Verhalten durch Folgen verstärkt wird Konsequenz, die Wahrscheinlichkeit eines Verhaltens erhöht Positiver Verstärker: angenehme erlebte Konsequenz folgt auf Verhalten, z.B. Lob, Geld, Essen Negativer Verstärker: unangenehme Konsequenz bleibt aus infolge des Verhaltens, z.B. Kopfschmerztablette einnehmen, Orte vermeiden oder sofort Verlassen bei Angststörungen Bestrafung („Abschwächung“) Verhalten tritt mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf Konsequenz, die Wahrscheinlichkeit eines Verhaltens reduziert. Direkte Bestrafung: auf Verhalten folgt unangenehme Konsequenz, z.B. Eltern schimpfen, Herdplatte berühren Indirekte Bestrafung: Entzug positiver Reize, z.B. Futter, Lob, Geld wird entzogen Löschung Systematisches Aufheben gewohnter Konsequenzen Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 22 Operantes Konditionieren – Grundlagen II Verstärkung Situation, in denen Verhalten durch Folgen verstärkt wird Darbieten einer Konsequenz Konsequenz, die Wahrscheinlichkeit eines Verhaltens erhöht Positiver Verstärker: angenehme erlebte Konsequenz folgt auf Verhalten, z.B. Lob, Geld, Essen Negativer Verstärker: unangenehme Konsequenz bleibt aus infolge des Verhaltens, z.B. Kopfschmerztablette einnehmen, Orte vermeiden oder sofort Verlassen bei Angststörungen Bestrafung („Abschwächung“) Verhalten tritt mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf Konsequenz, die Wahrscheinlichkeit eines Verhaltens reduziert. Direkte Bestrafung: auf Verhalten folgt unangenehme Konsequenz, z.B. Eltern schimpfen, Herdplatte berühren Indirekte Bestrafung: Entzug positiver Reize, z.B. Futter, Lob, Geld wird entzogen Löschung Systematisches Aufheben gewohnter Konsequenzen Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 23 Operantes Konditionieren – Grundlagen II Verstärkung Situation, in denen Verhalten durch Folgen verstärkt wird Ausbleiben einer Konsequenz Konsequenz, die Wahrscheinlichkeit eines Verhaltens erhöht Positiver Verstärker: angenehme erlebte Konsequenz folgt auf Verhalten, z.B. Lob, Geld, Essen Negativer Verstärker: unangenehme Konsequenz bleibt aus infolge des Verhaltens, z.B. Kopfschmerztablette einnehmen, Orte vermeiden oder sofort Verlassen bei Angststörungen Bestrafung („Abschwächung“) Verhalten tritt mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf Konsequenz, die Wahrscheinlichkeit eines Verhaltens reduziert. Direkte Bestrafung: auf Verhalten folgt unangenehme Konsequenz, z.B. Eltern schimpfen, Herdplatte berühren Indirekte Bestrafung: Entzug positiver Reize, z.B. Futter, Lob, Geld wird entzogen Löschung Systematisches Aufheben gewohnter Konsequenzen Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 24 Operantes Konditionieren – Voraussetzungen I Kontiguität: hohe zeitliche Nähe zwischen Verhalten und Konsequenz begünstigt Lernerfolg Kontingenz: hohe Wahrscheinlichkeit, dass auf Verhalten eine bestimmte Konsequenz folgt, begünstigt Lernerfolg Folgerichtigkeit: Konsequenz muss auf gezeigtes Verhalten zurückzuführen sein. Wiederholung: mehrfache Darbietung zwischen Verhalten und Konsequenz für Aufbau stabilen Verhaltens Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 25 Operantes Konditionieren – Voraussetzungen II Wie wird das gewünschte Verhalten am besten aufgebaut → Verstärkerpläne Spezifische Effekte auf Lernleistung in Abhängigkeit der Variation der Parameter Berücksichtigt werden dabei Aneignungsrate: Schnelligkeit des Lernens. Reaktionsrate: Häufigkeit, mit der Verhalten gezeigt wird. Löschungsrate: Schnelligkeit des „Vergessens“, wenn die Verstärkung ausgeblendet wird. Regelmäßigkeit der Verstärkung, d.h. regelmäßig oder intermittierend Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 26 Operantes Konditionieren – klinische Anwendung I Methoden des Verhaltensaufbaus Shaping: schrittweise Annäherung an Ziel wird verstärkt, z.B. zum Aufbau von Verhalten, das nicht im Verhaltensrepertoire verankert ist Chaining: einzelne schon existierende Verhaltensweisen, zu einer neuen Kette von Handlungen verbinden, Verhaltenskette, z.B. Anziehen lernen Fading: Schrittweise Ausblendung der eingesetzten Verstärkung, um Verhalten zu stabilisieren. Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 29 Operantes Konditionieren – klinische Anwendung II Methoden des Verhaltensabbaus Time-out: Entzug jeglicher Verstärker durch zeitlich begrenzten Wechsel in reizarme Umgebung (z.B. Stuhl im Flur) – Ethisch bedenklich Response-Cost Verfahren: Entzug positiver Verstärker bei unangemessenem Verhalten Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 30 Operantes Konditionieren – klinische Anwendung III Kombinierte Methoden - Verhaltensaufbau und -abbau Token Economy: Verstärkersystem, bei dem verschiedene erwünschte Verhaltensweisen mit generalisierten Verstärkern (Token) bekräftigt werden, die gegen anderen Verstärker eingetauscht werden, z.B. Stempel auf Stempelkarte (bei Kindern und Jugendlichen) Verhaltensverträge: genaue Beschreibung des Zielverhaltens und Vereinbarung über Konsequenzen, bei Einhaltung und Bruch, z.B. bei Essstörungen, Alkoholabusus Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 31 Vergleich klassisches und operantes Konditionieren Klassisch Operant Entstehungsbedingungen werden betrachtet Konsequenz von Verhalten wird betrachtet Assoziation von zwei Reizen Assoziation von Handlung und Konsequenz Ereignisse nicht durch eigenes Verhalten Person kann durch Verhalten Konsequenz bewirken beeinflusst, Erwartung von US (z.B. Futter) aufgrund Lernen der Konsequenzen von NS (z.B. Ton) löst Reaktion aus Lernen von neuem Verhalten möglich Lernen von regelhaften Beziehungen zwischen Reizen Biologisch gebahnte Reaktionen erlernt Voraussetzungen Voraussetzungen Kontiguität Kontiguität Kontingenz Kontingenz Wiederholung Wiederholung Löschung Löschung Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 32 Kognitive Theorie: Lernen durch Einsicht Edward Chace Tolman (1886-1959) Versuche mit Ratten - Bei Veränderung des Labyrinths wurde neue Futterstelle schnell gefunden - Ratten lernten ohne von Neuem zu suchen (kein Versuch-Irrtum-Lernen) und ohne Verstärkung. - Erklärung: Kognitive Repräsentation des Labyrinthes gebildet (kognitive Landkarte) ➔ Latentes Lernen kogn. Landkarte ohne Verstärker entwickelt Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 35 Sozial-kognitive Lerntheorie: Modelllernen Formen des Lernens (nach Albert Bandura) Lernen durch direkte Erfahrung (Konditionierungslernen) Lernen durch symbolische Erfahrung (Instruktionslernen) Lernen durch stellvertretende Erfahrung (Modelllernen) Kernstück der Theorie: Beobachtungslernen alle Verhaltensweisen über Beobachtung anderer Personen erworben/modifiziert Imitation -> reflexhafte Nachahmung Modelllernen -> erwerben neuer Verhaltensweisen Negative Konsequenzen werden vermieden auch durch Einsatz von Medien erlernbar Verstärkung nicht zwingend erforderlich Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 36 Sozial-kognitive Lerntheorie Vier Effekte des Beobachtungslernen 1. Hemmender Effekt: Unterdrückung eines bereits gelernten Verhaltens 2. Enthemmender Effekt: Verstärkung eines bereits gelernten Verhaltens 3. Auslösender Effekt: Auslösung eines bereits verfügbaren Verhaltens in neuen Kontexten/veränderter Ausprägung 4. Modellierender Effekt (Modelllernen): Erwerb neuer Verhaltensweisen und damit Sonderform des Beobachtungslernens Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/2025 37 Kognitive Theorie der Depression I Drei wesentliche Elemente 1. Verzerrte Informationsverarbeitung (Denkfehler) 2. Negative Inhalte der Gedanken (kognitive Triade) 3. Kognitive Schemata -> Negative Inhalte (kogn. Triade) und kognitive Schemata werden durch spezifische Verzerrungen im Denken (Denkfehler) aufrechterhalten Aaron T. Beck, © Courtesy of A. Beck Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 6 Kognitive Theorie der Depression II Kognitive Triade -> Gedankeninhalte betreffen das Selbst, die Welt und die Zukunft. Patient:in hat negatives Selbstbild, aber auch Umwelt und Zukunft werden negativ beurteilt. Ich bin wertlos. Ich bin zu nichts nutze. Andere schaffen immer mehr. Niemand wird mich lieben. Nichts macht mir Freude Aus mir wird nie etwas. Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 7 Kognitive Theorie der Depression III Kognitive Schemata ➔ stammen aus vergangenen Erfahrungen und steuern unsere Informationsaufnahme und - verarbeitung stabile kognitive Verarbeitungsmuster, die sich in Kindheit und Jugend herausgebildet haben Wirken wie Filter (heben bestimmte Details einer Erfahrung hervor oder blenden sie aus) Folge: ausschließlich konsistente, mit Grundüberzeugung vereinbarte Aspekte werden wahrgenommen Depressive Personen haben negative Schemata Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 8 Kognitive Theorie der Depression IV Typische Denkfehler (Auswahl) ➔ fehlerhafte Informationsverarbeitung, die eindimensionale, invariable, verabsolutierende oder irreversible Annahmen trifft Beispiele Willkürliches Schlussfolgern Übergeneralisieren Dichotomes Denken Personalisieren Maximieren/Minimieren Katastrophisieren Emotionale Beweisführung Selektive Wahrnehmung Gedankenlesen Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 9 Kognitive Theorie der Depression – Typische Denkfehler Willkürliches Schlussfolgern Folgerungen oder Bewertungen ohne Erfahrungsgrundlage oder Evidenz (oder trotz gegenteiliger Erfahrungen) Beispiele „Die Schwierigkeiten an meinem ersten Arbeitstag haben mir klargemacht, dass ich dem Job nicht gewachsen bin“ „Man verspürt morgens nach dem Aufwachen ein nervöses Gefühl im Bauch und denkt: „Der Tag ist gelaufen, ich werde nichts auf die Reihe bekommen“. Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 10 Kognitive Theorie der Depression – Typische Denkfehler Absolutistisches, dichotomes Denken Erfahrungen werden in sich gegenseitig ausschließenden Kategorien bewertet und keine Abstufungen vorgenommen (Schwarz-Weiß-Denken, Entweder-Oder-Denken) Beispiel Ereignis oder Person ist ohne Abstufungen entweder schlecht oder gut Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 11 Kognitive Theorie der Depression – Typische Denkfehler Personalisieren Äußere Ereignisse werden ohne Evidenz auf eigene Person bezogen, ohne, dass es dafür Belege gibt Beispiel Vater macht sich Vorwürfe, er habe seiner Familie den Spaß verdorben, weil er den Samstag für einen Ausflug ausgesucht hat Chef hat schlechte Laune, weil er mit mir unzufrieden ist Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 12 Kognitive Theorie der Depression – Typische Denkfehler Maximieren/Minimieren oder Über/Untertreiben Bedeutung eines Ereignisses wird in extremer Weise unter- oder überbewertet. Beispiel Ausbleiben eines Briefes wird als höchst bedeutsam interpretiert (überbewertet) beruflicher Erfolg wird als bedeutungslos interpretiert (unterbewertet) Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 13 Kognitives Model der Depression nach Beck Frühe Erfahrungen Keine Bestätigung durch Eltern Entwicklung dysfunktionaler Grundüberzeugungen Ich kann nichts, bin wertlos Kritische Lebensereignisse Soziale Kompetenzdefizite Stress Entwertung durch Vorgesetzten Drohender Arbeitsverlust Aktivierung dysfunktionaler Grundüberzeugungen Ich bin eine Versagerin. Negative automatische Gedanken Ich kann diese Aufgabe nicht lösen. Rückzug, Passivität, Aufgeben, Erschöpft sein, Niedergeschlagenheit Frustriert sein Somatische Symptome Petermann et al., 2020, S. 66 Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 14 Kognitives Model der Panikstörung nach Clark Kombination aus negativen Grundüberzeugungen („Jederzeit kann mich das Schicksal treffen“) und situationsbezogenen Gedanken („mein Herz klopft merkwürdig, es könnte jetzt ein Herzinfarkt kommen“) Tendenz von Personen, internale Hinweisreize (z.B. Herzklopfen) fälschlicherweise als lebensbedrohlich zu interpretieren Diese Fehlattributionen entstehen durch negative Grundüberzeugungen (Wenn ich meinen Körper nicht kontrollieren kann, kommt es zur Katastrophe) und selektiver Aufmerksamkeit für Körperempfindungen Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 16 Kognitives Erklärungsmodel der Panikstörung nach Clark Verstärktes Herzklopfen Herzklopfen, Schwindel Aktivierung sympathisches Wahrnehmung als Anzeichen eines Herzinfarkts Nervensystem Verstärkt Fehlinterpretation körperlicher Empfindungen Petermann et al., 2020, S. 73 Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 17 Kognitives Model der Panikstörung nach Clark, 1986 Normale Reaktionen werden verstärkt wahrgenommen Person reagiert: ➔Vermeidungsverhalten ➔Sicherheitsverhalten, z.B. Mitführen des Handys Diese Reaktionen führen zu: ➔Verringerung der körperlichen Empfindungen und der Angst (kurzfristig) ➔Verstärkung des Vermeidungs- /Sicherheitsverhaltens, Aufrechterhaltung der Angst Petermann et al., 2020, S. 73 Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 18 1. Einstellungen = Psychische Tendenz, die dadurch zum Ausdruck kommt, dass man ein bestimmtes Objekt mit einem gewissen Grad an Zuneigung oder Abneigung bewertet. Eagly & Chaiken, 1993 = Überzeugungen, die emotionalen Reaktionen und Bewertungen gegenüber Dingen, Menschen und Ereignissen zugrunde liegen. In Petermann et al. , 2020; S. 47 Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 24 1. Einstellungen Relevanz von Einstellungen für klinische Psychologie Auswirkungen von Einstellungen zu Psychotherapie auf Therapiemotivation Einstellungen gegenüber eigener Person, der Welt und Zukunft können psychische Störungen beeinflussen Siehe Kognitive Triade von Beck Messmethoden Explizit (Selbstbeurteilung) Implizit (automatisch aktivierte Einstellungen) Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 25 1. Einstellungen – explizite Messung Selbstbeurteilung Mit Hilfe von Skalen und Fragebögen Erfassen von bewussten Einstellungen Durch soziale Erwünschtheit beeinflusst Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 26 1. Einstellungen – implizite Messung Beispiele Implicit Association Test (IAT) Stroop Test IAT Stroop Text Vorteile Geringe Möglichkeit der Verfälschung, z.B. soziale Erwünschtheit Erfassung von Konstrukten ohne introspektiven Zugang der Person Nachteile/Kritik Nicht klar, welche psychologischen Prozesse IAT zugrunde liegen Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 27 2. Selbstwirksamkeit = Glaube oder Erwartung, dass bestimmte Handlungen zu einem erwünschten Ergebnis führen können Bandura, 1997 Nicht gleichzusetzen mit Gefühl der Kontrolle, eher Zuversicht, in der Lage zu sein, bestimmte Verhaltensweisen auszuführen. Hohes Maß an Selbstwirksamkeit positiver Einfluss auf Ausdauer und Anstrengung in eine Aufgabe zu investieren bessere körperliche Befindlichkeit Weniger Angst Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 28 3. Attributionstheorien Schlussfolgerungen, dem eigenen oder fremdem Verhalten, bestimmte Gründe und Ursachen zuzuschreiben (Weiner, 1985) Hypothesen/Mutmaßungen, die Person über mögliche Ursachen entwickelt Internale Attribution - Annahme, Verhalten ist geprägt durch Einstellungen, Persönlichkeit Externale Attribution – Annahme, Verhalten ist durch die Situation geprägt Drei Dimensionen sind wichtig Ort der Verursachung (internal vs. external) Stabilität der Ursachen (stabil vs. variabel) Globalität der Ursachen (generell vs. spezifisch) Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 30 3. Attributionstheorien Attributionsstile Bestimmte Attributionsstile erhöhen Wahrscheinlichkeit an depressiver Episode zu erkranken Ort der Verursachung (internal vs. external) Stabilität der Ursachen (stabil vs. variabel) Globalität der Ursachen (generell vs. spezifisch) Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 31 4. Erlernte Hilflosigkeit Theorie Wahrscheinlichkeit an Depression zu erkranken erhöht, wenn Mensch durch eigene Anstrengung ein bestimmtes Ziel nicht erreichen kann und vor unlösbarer Aufgabe steht Generalisierung der Hilflosigkeit auf andere Situationen, wenn sich negative Erfahrung der Hilflosigkeit häufen ➔ passives Verhalten, Hoffnungslosigkeit, Niedergeschlagenheit Martin Seligman, 1975 Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 32 4. Erlernte Hilflosigkeit Modell der erlernten Hilflosigkeit Unkontrollierbare Wahrgenommener Erlernte negative Ereignisse Mangel an Kontrolle Hilflosigkeit Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 33 5. Selbstaufmerksamkeit = Zustand, in dem man sich Information bewusst ist, die einen selbst betreffen (Ingram 1990). Bezogen auf Empfindungen, Gedanken, Bilder, Erinnerungen oder Gefühle Personen unterscheiden sich im Ausmaß, in dem Aufmerksamkeit auf Selbst gelenkt wird (z.B. Schwitzen, Zittern, Erröten, Stottern) Hohes Niveau von Selbstaufmerksamkeit führt zu Steigerung der Wahrnehmung von körperlichen Symptomen (bei Panikstörung Anzeichen einer bedrohlichen körperlichen Veränderung) Steigerung der Wahrnehmung sichtbarer Symptome (bei sozialer Angststörung falsche Schlussfolgerungen gezogen –> von anderen als peinlich bewertet) Steigerung der Wahrnehmung von Gedanken und Gefühlen (bei Depressionen) Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 37 6.1 Sozialer Einfluss - Soziale Unterstützung beschreibt Wahrnehmung, dass andere Menschen unsere Bedürfnisse erkennen und darauf reagieren Pufferhypothese: Wahrgenommene Unterstützung in Stresssituationen schützt vor negativen Folgen des erlebten Stresses (Schutzfaktor) Unterscheidung in wahrgenommener (perceived) und tatsächlich erhaltender (received) Unterstützung Wahrgenommene Unterstützung wichtiger als tatsächlich erhaltene Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 40 Zusammenfassung Kognitionspsychologische Grundlagen Sozialpsychologische Grundlagen Kognitive Modelle erlauben Erweitern grundlegendes Verständnis Entwicklung theoretischer Konzepte psychischer Störungen, Entstehung und Verständnis von psychischen Störungen Aufrechterhaltung Weiterentwicklung von Behandlung Sozialpsychologische Faktoren selten Kognitive Modelle nehmen an, dass zwei Faktoren Hauptursache zur Entwicklung von Störungen beitragen: Häufig Moderatorvariablen für Dysfunktionale Schemata als Aufrechterhaltung Verarbeitungsmuster (-> störungsspezifische Verzerrungen im Denken und emotionalen Wirkmechanismen sozialpsychologischer Symptomen) Faktoren nachzuweisen ist sehr schwierig Fehlerhafte Prozesse der Informationsverarbeitung (Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Interpretation) Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre– FU Berlin WiSe 2024/25 43 Anfänge der (neuro-)biologischen Psychologie Erster systematisch dokumentierter Fall zu Auswirkungen einer Gehirnverletzung auf die Psyche -> Phineas Gage (1848) Arbeitsunfall zerstört Teile des medialen Präfrontalcortex In Folge des Unfalls verändert sich seine Persönlichkeit, viele Gehirnfunktionen bleiben intakt Erste Schlussfolgerungen über Zusammenhänge zwischen Gehirnregionen und deren Funktionalität/Dysfunktionalität Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 5 Anfänge der (neuro-)biologischen Psychologie Entscheidende Erkenntnisse über Organisation des Gedächtnisses durch Untersuchungen an Patient H.M., der 1953 wegen Epilepsie einer bilateralen mesiotemporalen Lobektomie unterzogen wurde. https://www.youtube.com/watch?v=KkaXNvzE4pk Operation beendete epileptische Anfälle H.M. konnte keine neuen Ereignisse im deklarativen Langzeitgedächtnis speichern. Andere Gedächtnisfunktionen wie Prozedurales Gedächtnis und Arbeitsgedächtnis blieben intakt. Durch zahlreiche Studien mit H.M. wurde Organisation unterschiedlicher Formen des Gedächtnisses nachgewiesen Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 6 Grundlagen der (neuro-)biologischen Psychologie I Zentrale Nervensystem Periphere Nervensystem Somatisches Nervensystem Autonome Nervensystem https://www.youtube.com/watch?v=q3OITaAZLNc Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 7 Grundlagen der (neuro-)biologischen Psychologie II Zentrales Nervensystem Gehirn und Rückenmark Informationsübertragung: Elektrisch und chemisch Botenstoffe/Neurotransmitter ermöglichen Signalübertragung https://www.youtube.com/watch?v=WhowH0kb7n0 www.meinstein.ch Neurotransmitter (u.a.) Aminosäuren: erregend (z.B. Glutamat), hemmend (z.B. GABA) Monoamine: Dopamin, Adrenalin, Noradrenalin, Serotonin Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 8 Grundlagen der (neuro-)biologischen Psychologie Autonomes Nervensystem Sympathikus Parasympathikus Unterschied zwischen beiden Systemen Wirkung auf Organe und jeweilige Überträgerstoffe Sympathikus wirkt meist erregend Parasympathikus hemmend. Sympathikus als Notfallsystem, das unter „Stress“ maximal aktiviert werden kann. Parasympathikus ist Nerv des Schutzes und Ausgleichs; dominiert im Stadium der Ruhe und Entspannung. Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 9 Methoden: Blickbewegungsmessung (Eye-Tracking) Bsp. Anti-Sakkaden AV: Blickbewegung UV: visuelle cues Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 11 Methoden: Peripherphysiologie UV AV Beispiel: Hautleitfähigkeit Beispiel: Herzrate Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 12 Methoden: funktionelle Bildgebung Single-Photon-Emission-CT (SPECT) Positronen-Emissions-Tomographie (PET) gehealthcare.de medinfonews.net Messmethode (SPECT und PET) ▪ Misst regionalen Blutfluss im Gehirn anhand des Zerfalls radioaktiver „Tracer“, die zuvor injiziert werden ▪ Damit lässt sich auf Gehirnaktivität schließen ▪ geringe räumliche Auflösung Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 13 Methoden: funktionelle Bildgebung Funktionelle Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) Elektroenzephalographie (EEG) ant-neuro.com Messmethode Messmethode Misst „blood-oxygen-level-dependent“ (BOLD)- Misst regionale elektrische Aktivität im Gehirn Signal (regionaler Sauerstoffverbrauch) Hohe zeitliche Auflösung Hohe räumliche Auflösung Günstig und unkomplizierte Messung Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 14 Antidepressiva Wirken stimmungsaufhellend Wichtiger Wirkmechanismus ist Konzentrationserhöhung von Monoamine, Serotonin und Noradrenalin durch Reuptake-Hemmung Nebenwirkung der neueren Medikamente geringer Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 23 Anxiolytika, Sedativa & Hypnotika Wirken als Anxiolytika (angstlösend), Sedativa (beruhigend) und Hypnotika (schlafinduzierend) Wirkung je nach Höhe der Dosierung Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 24 Neuroleptika Wirken antipsychotisch, d.h. gegen Wahn und Halluzinationen Wichtiger Wirkmechanismus ist Blockade von Dopaminrezeptoren Nebenwirkung motorische Symptome Hormonelle Veränderungen Zucker- und Fettstoffwechsel Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 25 Phasenprophylaktika Wirken als Phasenprophylaxe, d.h. bei bipolaren Störungen Zahlreiche Nebenwirkungen des Lithiums, daher häufig Carbamazepin und Valproinsäure Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 26 Definition Epidemiologie Deskriptive Epidemiologie Analytische Epidemiologie = beschäftigt sich mit Verteilung (Häufigkeit, = beschäftigt sich mit Determinanten räumlich, zeitlich) gesundheitsbezogener (Ursachen, Ätiologie) von Gesundheit, Aspekte in einer spezifischen Population Krankheit, psychischen Störungen, Verletzungen, Beeinträchtigungen, Mortalität Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 6 Nutzen epidemiologischer Untersuchungen für Klinische Psychologie Auskunft über Schwere und Muster psychischer Belastungen Auskunft über Änderungen der Häufigkeiten psychischer Störungen Untersuchung von Ursachen, Verläufen und Entwicklung psychischer Störungen Hinweise auf volkswirtschaftliche Kosten, die durch (Nicht)-Behandlung entstehen Hinweise auf Versorgungsbedarf Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 7 Epidemiologische Trias Zentrale Faktoren für Entstehen einer Erkrankung – Schädliches Agens (Viren, Bakterien bzw. soziale/psychische Belastungszustände) – Merkmale des Wirts (Dispositionen, physische Merkmale, bisherige Entwicklungsgeschichte, Ressourcen) – Umgebungsmerkmale (soziale Faktoren, interpersonelle Ressourcen, physikalische Faktoren/Klima) Modell ursprünglich für Infektionskrankheiten entwickelt Entspricht grundlegend der Perspektive des Vulnerabilitäts- Stress-Modells Quelle: Wittchen und Hoyer (2011) Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 8 Epidemiologische Begriffe I Prävalenz Häufigkeit der Störung in Grundgesamtheit oder spezifischer Population Anteil der Personen mit Störung an der Bevölkerung z.B. in Prozent/Promille Bezug auf bestimmten Zeitraum und spezifische Population Punktprävalenz = bezogen auf einen Stichtag Perioden- oder Streckenprävalenz = bezogen auf bestimmten Zeitraum Lebenszeit-(Lifetime-)Prävalenz = bezogen auf gesamte Lebensspanne Behandlungsprävalenz = Fälle, die Behandlung aufsuchen → Achtung: Keine Angabe über Verteilung von Störungen möglich, da Behandlungssuchende selektive Stichprobe darstellen → Bias möglich Prävalenz abhängig von Diagnosekriterien, Erhebungsmethode, Stichprobe Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 10 Epidemiologische Begriffe II Inzidenz Zahl der Neuerkrankungen in einer bestimmten Population in einem bestimmten Zeitraum Nur Personen miteinbezogen, die die Störung vorher noch nicht hatten, deswegen mind. 2 Erhebungszeitpunkte Anteil der Personen, die Krankheit innerhalb eines Zeitraumes neu bekommen haben, unabhängig davon, ob Erkrankung am Ende der Zeit noch besteht oder nicht. Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 12 Epidemiologische Begriffe III Komorbidität ▪ Vorliegen von mehr als einer Diagnose bei einer Person innerhalb eines bestimmten Zeitraums ▪ Gründe für unterschiedliche Komorbiditätsraten: – Wahl des Diagnoseinstruments – Wahl des Zeitfensters – Berücksichtigung Persönlichkeitsstörungen, körperliche Erkrankungen etc. Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 13 Epidemiologische Begriffe IV Bedingte Risiken Untersucht, ob bestimmte Variablen Wahrscheinlichkeit einer Störung erhöhen (Risikofaktoren) oder senken (Schutzfaktoren) Bestimmung von systematischen Unterschieden in Prävalenz- oder Inzidenzraten zwischen verschiedenen Populationen Lebenszeitrisiko: Wahrscheinlichkeit, im Laufe der durchschnittlichen Lebensspanne an einer bestimmten Störung zu erkranken Risikofaktoren: Bedingungen/Variablen, die das Lebenszeitrisiko erhöhen Schutzfaktoren: Bedingungen/Variablen, die das Lebenszeitrisiko reduzieren Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 14 Epidemiologische Untersuchungsdesigns Verschiedene Untersuchungsstrategien zur Bestimmung von Prävalenzen, Inzidenzen und Korrelaten: Experimentelle Designs (z.B. Interventionsstudien, „natürliche Experimente“) Nichtexperimentelle Designs/Beobachtungsstudien Querschnittstudien Längsschnittstudien Kohortenstudien (prospektiv, retrospektiv) Fallkontrollstudien Hybride Designs (Kombination aus experimentell und nicht-experimentell) Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 16 Epidemiologische Untersuchungsdesigns Experimentelles Design – Nicht im engeren Sinne epidemiologische Studien – Sinnvoll zur Identifikation kausaler Faktoren – Kontrolle der Zuteilung und Rahmenbedingungen und experimentelle Variation der UVs Nicht- experimentelles Design (auch naturalistische oder „observational“ Designs genannt) – keine oder nur geringe Kontrolle – Einschränkungen bei der Suche nach Kausalitätsfaktoren Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 17 Experimentelles Design Interventionsstudie, randomisiert kontrollierte Studie (RCT) Ursache-Wirkungs-Beziehung Vermuteter kausaler Faktor wird modifiziert Randomisiert, weil zufällige Zuweisung Kontrolliert, da eine Kontrollgruppe vorliegt Spezialfall „natürliches Experiment“ z.B. nach Naturkatastrophe Modifiziert nach Bonita et al. 2013, © WHO, in Hoyer & Knappe, 2020, S. 70 Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 18 Nicht-Experimentelle Design Querschnittstudie Momentaufnahme, z.B. Auftreten bestimmter Symptome zu bestimmtem Zeitpunkt Einmalige Untersuchung einer definierten Population zu bestimmtem Zeitpunkt Keine Untersuchung hinsichtlich zeitlicher Zusammenhänge möglich Längsschnittstudie Untersuchung mit derselben Methodik über längeren Zeitraum/ zu mehreren Zeitpunkten Deskription von Verlauf Feststellung von Inzidenzen und Prävalenzen Schlussfolgern auf kausale Effekte durch zeitlich geordnetes Design Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 19 Nicht-Experimentelle Design Kohortenstudie Längsschnittstudien Auswahl der Teilnehmenden aufgrund von Merkmalen, die vor Untersuchungsbeginn festgelegt sind (z.B. Geburtsjahr, Einschulung, etc.) Modifiziert nach Bonita et al. 2013, © WHO, in Hoyer & Knappe, 2020, S. 69 Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 20 Nicht-Experimentelle Design Fallkontrollstudie Vergleich von Personen, die erkrankt sind, mit passenden Personen, die nicht erkrankt sind Durch Anpassung der Gruppen in möglichst vielen anderen Variablen Schlussfolgerung bzgl. spezifischer Variablen möglich Herausfinden, ob es in Vergangenheit Modifiziert nach Bonita et al. 2013, © WHO, in Hoyer & Knappe, 2020, S. 69 unterschiede gab -> Risikofaktoren identifizieren Retrospektive Längsschnittstudie Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 21 Analogstudien = Untersuchungen, bei der kontrollierte Variable/Stichprobe von dem Bereich abweicht, über den etwas ausgesagt wird. Beispiele: Untersuchungen an Tieren mit Medikamenten Therapeutische Methoden mit «gesunden» Teilnehmenden Generalisierbarkeit ist kritisch. Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 24 Korrelationsstudien Korrelation: Ausmaß, in dem Merkmale/Ereignisse gemeinsam auftreten / variieren Beobachtung einer ausreichend großen Anzahl von Personen nötig, um Schlüsse ziehen zu können Ergebnis: Zusammenhang zwischen Ergebnisse können statistischen Tests Lebensereignissen (A) und Depression unterzogen werden (B) festgestellt. keine kausalen Schlussfolgerungen möglich Welche Beziehung kann bestehen? – A verursacht B – B verursacht A – C verursacht A und B Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 25 Gruppenvergleiche Patient:innenstichprobe Untersuchung von spezifischen Unterschieden im Erleben und Verhalten zwischen Stichproben Gruppe mit Spinnenphobie Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 26 Qualitative Studien Durchführung von Interviews, um Hypothesen PTBS - Patient:innen mit Brandverletzungen zu Ursachen/ Interventionsmöglichkeiten zu generieren Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 27 Fallstudien ▪ Detaillierte, oft interpretierende Beschreibung der Behandlungsverläufe einiger Patient:innen ▪ Häufig qualitative Untersuchungen zur Generierung von Forschungshypothesen für eine größere Studie. Bsp: Interviews mit Patient:innen mit Depression, die Sport treiben ▪ Nur vorläufige Befunde, denn: – Unsystematisches Vorgehen – Kaum statistische Auswertung möglich, wegen meist sehr kleinen Fallzahlen – Sehr geringe Generalisierbarkeit – Keine Aussage über Kausalität möglich Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 31 Pilotstudie zur Erkundung einer neuen Intervention Veränderungen durch Intervention können gemessen werden (prä-post Effekte) Ergebnis: Depressions-Symptome waren nach Patient:innenstichprobe Sporttherapie reduziert Aber: ▪ keine Kontrolle von „Stör-Variablen“! ▪ Dadurch kann Effekt nicht eindeutig Sporttherapie zugeschrieben werden. ▪ Effekt könnte auch durch Re-test Effekt, Spontanremission, soziale Interaktion, Gruppenerfahrung… zustande kommen. Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 33 Randomized-controlled trial (RCT) ▪ „Gold-Standard“ zur Untersuchung von Interventions-Effekten Patient:innenstichprobe ▪ Effekte können der Intervention Randomisierung zugeschrieben werden, da Störvariablen durch Randomisierung und Kontrollgruppe Interventions- Kontrollgruppe gruppe kontrolliert werden können. ▪ RCTs, um Wirksamkeit einer Intervention t1 1. Untersuchung unter experimentellen Bedingungen Spezifische Alternativbehandlung (efficacy) zu belegen Intervention oder Warteliste t2 2. Untersuchung Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 35 Randomized-controlled trial (RCT) Merkmale eines RCT: ▪ Explizite Ein- und Ausschlusskriterien ▪ Randomisierte Gruppenzuteilung ▪ Kontrolliert → Vergleich mit Kontrollgruppe ▪ Manualisierung und feste Rahmenbedingungen ▪ Operationalisierte Zielkriterien ▪ Therapeut:innenunabhängige Erfolgsbeurteilung („blinde“ Beurteilende) ▪ Statistische Prüfbarkeit (Hypothesenprüfung) ▪ Katamnese Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 36 Quasi-experimentelles Design ▪ Wenn randomisierte Zuteilung nicht Patient:innenstichprobe möglich oder erwünscht ist, nutzt man real existierende Gruppen ▪ Quasi-experimentelles Design z.B. wenn zwei Behandlungen (z.B. KVT oder Psychopharmaka) verglichen werden und Patient:innen die Wahl freigestellt wird. Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 37 Placebo-Interventionen in der Psychotherapie? Placebo (med.): Scheinmedikament, pharmakologisch unwirksame Substanz, die psychologische Wirkungen haben kann. Forschung: klinisch-psychologische Intervention vs. Placebo-Intervention Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 38 Placebo-Interventionen in der Psychotherapie? Übertragung des medikamentösen Placebo-Begriffs auf klinisch-psychologische Intervention nicht möglich (Lambert & Bergin, 1994): – Med. Placebo ist mit Verum äußerlich identisch (gleiche Glaubwürdigkeit) → dies ist in PT nicht der Fall – Psych. Placebo und Intervention setzen beide im Erleben und Verhalten an → keine Differenzierung der „Wirkebene“ – Psychotherapie-Placebo: allgemeine Gruppenaktivitäten; Durcharbeiten von Büchern, Gespräche, … → diese können auch Bestandteile einer wirksamen Therapie sein – Teilweise Gleichsetzung Placebo mit allgemeinen, nicht spezifischen Faktoren der Psychotherapieforschung → problematisch, da allgemeine Faktoren durchaus echte Wirkfaktoren darstellen Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 39 Evaluationskriterien in der klinisch-psychologischen Interventionsforschung 1. Effektivität/Wirksamkeit (efficacy) Beurteilung der Wirksamkeit (unter Forschungsbedingungen „Labor“) bzgl. definierter Ziele und Vergleichsstandard 2. Praxisbewährung (effectiveness) Beurteilung der Wirksamkeit unter Praxisbedingungen 3. Effizienz (cost-effectiveness) Beurteilung des zur Zielerreichung benötigten Aufwandes (Kosten-Nutzen) 4. Patient:innen Zufriedenheit (consumer satisfaction) 5. Ethische Angemessenheit Aus Baumann & Reinercker-Hecht 2005, in Perrez und Baumann, 2006 Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie - Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 42 Hauptkategorien affektiver Störungen ICD-11 Kapitel 06 Affektive Störungen Bipolare oder verwandte Störungen Bipolare Störung Typ I Bipolare Störung Typ II Zyklothome Störung … Depressive Störungen Depressive Störung mit Einzelepisode Dysthyme Störung Gemischte depressive und Angststörung … Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 4 Typische Verläufe affektiver Störungen Wittchen & Hoyer, 2011 NVL Unipolare Depression Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 5 Diagnostische Kriterien ICD-11: Bipolare Störung Typ I Episodische affektive Störung, definiert durch Auftreten einer oder mehrere manischer oder gemischter Episoden Symptome müssen die meiste Zeit des Tages, fast jeden Tag, während eines Zeitraums von mindestens zwei Wochen vorhanden sein es gibt keine Möglichkeit mehr, manische Episoden separat/isoliert zu diagnostizieren. Sobald Grenze zur manischen Episode überschritten wird, greift Diagnose der Bipolaren Störung Typ I Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 6 Diagnostische Kriterien ICD-11: Bipolare Störung Typ II Abfolge affektiver Episoden, von denen mindestens eine depressiv und mindestens eine Phase hypoman sein soll. Depressive Phase = als eine mindestens 14 Tage anhaltende Episode mit gedrückter Stimmung, Interessenverlust und vermindertem Antrieb als Hauptsymptome sowie weiterer zusätzlicher Symptome. Hypomanie = einige Tage anhaltende Phase von euphorischer oder gereizter Stimmung sowie gesteigerten Antriebs und weiterer Symptome. Symptome weniger stark ausgeprägt und führen nicht zu massiver sozialer Einschränkung. Geschilderten Symptome dürfen nicht Folge einer körperlichen Erkrankung oder direkt auf eine Substanz zurückzuführen Müssen Funktionsbeeinträchtigung als Krankheitswert beinhalten, die hypomane Episode ausgenommen. Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 8 Diagnostische Kriterien ICD-11: Depressive Störung mind. 5 Symptome (ICD-10 4 Symptome), davon Namen der Cluster + 2 Symptome mind. eines aus affektivem Cluster NVL Unipolare Depression, S 32 Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 9 Bipolare und Depressive Störung Dysthymie anhaltende depressive Stimmung mindestens 2 Jahre (den größten Teil des Tages und an mehr Tagen als nicht) Symptome nicht ausreichend schwer, um Kriterien für depressive Störung zu erfüllen Während der ersten zwei Jahre gab es nie einen zweiwöchigen Zeitraum, in dem Anzahl und Dauer der Symptome ausreichte, um eine depressive Episode zu erfüllen. keine Vorgeschichte von manischen, gemischten oder hypomanischen Episoden. Zyklothymie andauernde Instabilität der Stimmung (≥ 2 Jahre) zahlreiche Perioden leicht depressiver Symptome (nie schwerwiegend oder lang anhaltend, um depressive Episode zu erfüllen) und hypomanische Symptome (keine hypomane Episode) Kriterien für bipolare Störungen oder schwere depressives Störung nie erfüllt Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 10 Ätiologiemodell Keine einheitliche Störungstheorie Multifaktoriell bedingt Am besten im Rahmen des Vulnerabilitäts-Stress-Modells erklärbar „Ausbruch“ einer Episode vor Hintergrund kritischer Ereignisse Aus Hoyer & Knappe, 2020, S 1043 Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 21 Depressionstheorien 3 unterschiedliche Theorien Verstärker-Verlust-Theorie nach Lewinsohn Modell der dysfunktionalen Kognitionen und Schemata nach Beck Modell der erlernten Hilflosigkeit nach Seligman Eher Theorien der Aufrechterhaltung und weniger ätiologische Theorien bei Erstmanifestation Wichtig für psychotherapeutische Interventionen Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 22 Verstärker- Verlust-Theorie nach Lewinsohn geringe Anzahl, lernpsychologisch- niedrige Qualität verstärkender verstärkungstheoretisches Modell Ereignisse (z. B. eher deskriptiv aufgrund schlechter keine kausale begründete Theorie sozioökonomischer Bedingungen) Depressives Verhalten wird als Reaktionsform und Konsequenz mangelnde einer niedrigen Verstärkerrate angesehen. Kurzfristig: soziale Verstärkung Langfristige: soziale Vermeidung Defizitäres Verhaltensrepertoire, mit niedriger Verstärkungsrate assoziiert (z. B. mangelnde soziale Kompetenz). Aus Hoyer & Knappe, 2020, S. 1047 Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 23 Modell der dysfunktionale Kognitionen und Schemata nach Beck als Basis dysfunktionale kognitive Schemata (z.B. Grundannahme: „Ich muss perfekt sein.“) → verzerren negative Wahrnehmung und Interpretation der Realität Negativen Schemata durch ungünstige frühe Erfahrungen und Lernprozesse erworben -> können aktiviert werden Automatische Gedanken (Kognitive Fehler) zeigen sich in Fehlschlüssen, die wiederum negative Schemata verstärken Theorie ist deskriptiv kaum experimentell prüfbar hinsichtlich kausaler Zusammenhänge Aus Hoyer & Knappe, 2020, S. 1048 Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 24 Modell der erlernten Hilflosigkeit (Seligman) Entstehung 1) keine Kontrolle über bestimmte Ereignisse haben, und 2) wenn man sich global, stabil und internal für mangelhafte Kontrolle verantwortlich macht Experimentell nicht umfänglich belegt, z.B. Beginn der Episode Aus Hoyer & Knappe, 2020, S. 1050 Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 25 Behandlung der Depression Zentrale Behandlungssäulen Vertrauensvolle therapeutische Beziehung Psychoedukation und Einbindung Angehöriger Medikamentöse Behandlung (v.a. Antidepressiva) Psychotherapie Weitere Behandlungsverfahren (im Einzelfall indiziert) Lichttherapie saisonale Depression Schlafentzugstherapie im Rahmen stationärer Therapie, nicht alleinige Therapie Elektrokrampftherapie schwer therapieresistente Depression Soziotherapie Wiedereingliederungsmaßnahmen Eheberatung Paarkonflikt wichtig für Depression Sport kann für Teil der Patient:innen hilfreich sein Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 27 Behandlung der Depression S3 Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie Unipolare Depression Wahl der Intervention durch aktuelle Symptomatik und Verlauf bestimmt leichte depressive Episode: Psychotherapie – niedrige Intensität mittelgradig depressive Episode: gleichwertig Psychotherapie oder Pharmakotherapie schwere depressive Episode: Kombinationsbehandlung Richtlinienverfahren 1) Verhaltenstherapie 2) Psychoanalytische begründete Verfahren 3) Systemische Therapie Vorlesung Bachelor Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 28 THERAPEUTISCHE BEZIEHUNG Wesentliches „Werkzeug“ der psychodynamischen Therapie Intrapsychische und interpersonelle Konflikte manifestieren sich in der Beziehung Sie können hier erlebbar, verstehbar und veränderbar gemacht werden Übertragung und Gegenübertragung als zentrale Konzepte Therapeutische Ich-Spaltung: erlebendes und beobachtendes Selbst (GEGEN-)ÜBERTRAGUNG emotionale Antwort des*der Therapeut*in auf die Übertragung des*der Patient*in „Was löst XY in mir aus?“, „Welches Gefühl spüre ich im Kontakt zu XY?“ „ Bin ich ärgerlich, traurig, müde? Habe ich starkes Mitgefühl? Möchte ich der Person helfen? Habe ich eher das Bedürfnis mich zurückzuziehen? Schweife ich gedanklich ab?“ Diagnostisches und therapeutisches Instrument Grundgedanke: Die emotionale Antwort enthält Aspekte der inneren Welt des*der Patient*in BESONDERHEIT D I AG N O S T I S C H E BEZIEHUNG INHALT P RO Z E S S B E F R AG U N G VS. BEGEGNUNG Was erzählt die Patientin? Wie verhält sie sich dabei? THERAPEUTISCHE BEZIEHUNG modifiziert nach Rugenstein (2018, S. 214) DREI INFORMATIONSQUELLEN Was wird verstanden? Wie wird verstanden? Evidenzkriterium Ansatz Objektiv Vom Subjekt unabhängige Logisches Verstehen: Nachprüfbarkeit explorativ Vorgänge, das historisch Verstehen des Wirkliche und der Gesprochenen Sinngehalt der Aussagen des*der Patient*in Subjektiv Vorgänge im Subjekt, Psychologisches Nachvollziehbarkeit explorativ und subjektive Bedeutung, die Verstehen: Verstehen beziehungsdynamisch der*die Patient*in dem des Sprechenden, Gesagten gibt Nacherleben Szenisch Interaktionsmuster der Szenisches Verstehen: Situative Evidenz, welche beziehungsdynamisch Subjekte mit ihrer Mit- Verstehen der Situation, alle Sinnesmodalitäten und Umwelt, der Rollenbedeutungen einschließt gemeinsames Tun/ im Lebensspiel des*der Erleben statt Reden-über Patient*in Argelander (1970) BASALE MOTIVE Bindung Bei gelungener Entwicklung ist ein flexibel-adaptiver Umgang möglich Sicherheit (psychisch integriert) Autonomie Eine Person kann dann Spannungen in Selbstbehauptung dem Bereich aushalten Sinnliches Vergnügen (Ambivalenztoleranz) Selbstwerterhöhung/ -schutz Identitätsbildung Motive nachzulesen in Benecke & Brauner (2017) BASALE MOTIVE Bindung Gravierende Verletzungen oder dauerhafte Nichterfüllung führen zu Sicherheit konflikthafter „Daueraktivierung“ Autonomie Bestimmte Bereiche sind dann für Selbstbehauptung bestimmte Personen vulnerabler Sinnliches Vergnügen Selbstwerterhöhung/ -schutz Identitätsbildung nachzulesen in Arbeitskreis OPD (2023) ABWEHR Psychischer Vorgang, der das Bewusstsein vor konflikthaften, inneren Reizen (wie Wünschen, Gefühlen) und äußeren Reizen (Traumata) schützt Ziel ist es, diese (vorübergehend oder dauerhaft) aus dem Bewusstsein fernzuhalten Jeglicher Einfluss auf das Individuum, der seine Integrität und Homöostase gefährden kann, soll durch Abwehr psychisch modifiziert, eingeschränkt oder unterdrückt werden Funktionelle Aspekte der Abwehr (nach OPD-3): Erhalt bzw. Aufgabe von Lebens- und Erlebensmöglichkeiten Intrapsychische vs. interpersonelle Abwehr Einzelne Mechanismen, die für die Abwehr eingesetzt werden OPD-3 besteht aus 4 Achsen: I. Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen II. Beziehung III. Konflikt IV. Struktur Arbeitsmaterial online Ziel, deskriptives Krankheitsverständnis zu überwinden Ziel, verschiedene psychoanalytische Konzepte zu integrieren Instrument für Klinik und Forschung OPD-3 KONFLIKTE 3 nennen und erklären können! Konflikt Thema K1 Abhängigkeit vs. Individuation Suche nach intensiver Nähe vs. betonter Selbstständigkeit und ausgeprägter Distanz/ Bedürfnis nach haltgebender Beziehung und Eigenständigkeit K2 Unterwerfung vs. Kontrolle Sich unterordnen vs. andere dominieren/ Motiv ist es, hinreichend Kontrolle über sich selbst und die Umwelt zu haben (Selbstwirksamkeit) K3 Versorgung vs. Autarkie „Etwas bekommen“ vs. sich „altruistisch“ für andere einsetzen / Bedürfnis nach emotionaler Versorgung und Geborgenheit K4 Selbstwertkonflikt Anstrengungen zur Anerkennung des Selbstwerts sind übermäßig stark und erfolglos/ Motiv ist der Wunsch nach Anerkennung und Wertschätzung K5 Schuldkonflikt Tendenz, die Schuld entweder sich oder anderen (übermäßig) aufzubürden/ Bedürfnis nach sozialer Kooperation und sozialer Verantwortlichkeit K6 Ödipaler Konflikt Rivalisieren-Können vs. Nachgeben-Können/ Motiv ist der Wunsch, Aufmerksamkeit und Anerkennung in eigener Geschlechterrolle zu erfahren K7 Identitätskonflikt (Überspielen eines) chronischen Identitätsmangels/ Bedürfnis nach kohärentem und kontinuierlichem Selbstbild K0 Abgewehrte Konflikt- und Intrapsychische und interpersonelle konflikthafte Spannungen nicht ins Gefühlswahrnehmung Bewusstsein dringen lassen, um z.B. die damit verbundene Angst abzuwehren PSYCHISCHE STRUKTUR Basis-Fähigkeiten zur Aufrechterhaltung der intrapsychischen und interpersonellen Homöostase; Funktionen können flexibel und adaptiv eingesetzt werden differenzierter Umgang mit dem Selbst, den Beziehungen und der Welt Strukturelle Fähigkeiten sind abhängig von entwicklungspsychologischen Aspekten nachzulesen in Arbeitskreis OPD (2023) ABGRENZUNG Patient*in liegt, Therapeut*in sitzt Beide sitzen sich gegenüber 2-3 Stunden/ Woche 1-2 Stunden/ Woche 200-300 Sitzungen (2-3 Jahre) 50-100 Sitzungen (1-3 Jahre) Konzentration auf die Vergangenheit Konzentration auf die Gegenwart Strukturveränderung der Person Restabilisierung und Symptomfreiheit einsichtsorientiert unterstützend und klärend Arbeit in und mit der Übertragung: Arbeit an Konflikten unter Einbezug der Mehr Übertragungs- als Inhaltsdeutungen therapeutischen Beziehung Förderung von Regression Begrenzung der Regression repetitiv-motivationale Konflikte Fokus auf Aktualkonflikt modifiziert nach Auckenthaler (2012, S. 158) Klassifikation von Angststörungen ICD-11 Kapitel 6B00 Angst- oder furchtbezogene Störungen 6B00 Generalisierte Angststörung 6B01 Panikstörung 6B02 Agoraphobie 6B03 Spezifische Phobie 6B04 Soziale Angststörung 6B05 Trennungsangststörung 6B06 Selektiver Mutismus Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie – Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 4 Zugrundeliegende Befürchtungen Störung Wahrgenommene Bedrohung durch: Generalisierte Zukünftiges, unerwartetes Eintreten von Katastrophen Angststörung Panikstörung Akuten körperlichen (oder geistigen) Zustand Agoraphobie Orte oder Situationen, von denen Flucht schwierig erscheint. Spezifische Phobien Tiere, Situationen/Umgebung oder Verbluten/Verletzung Soziale Angststörung Negative Bewertung des eigenen Verhaltens oder eigener Körperreaktionen durch andere Personen Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie – Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 5 Generalisierte Angststörung Am besten erklärt durch das Vulnerabilitäts-Stress-Modell Wichtige Bausteine zur Entstehung Genetische Faktoren – genetische Anfälligkeit für Angst Neurobiologische Faktoren – Befunde noch widersprüchlich (z.B. Hirnstrukturen, Transmitter) Psychologische Faktoren – Befunde nicht konsistent (z.B. Erziehungsstil der Eltern) Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie – Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 13 Panikstörung Kognitives Erklärungsmodel der Panikstörung nach Clark, 1986 Verstärktes Herzklopfen Herzklopfen, Schwindel Aktivierung sympathisches Wahrnehmung als Anzeichen eines Herzinfarkts Nervensystem Verstärkt Fehlinterpretation körperlicher Empfindungen Petermann et al., 2020, S. 73 Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie – Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 14 Panikstörung Psychophysiologische Modell der Panikstörung Positive Rückkopplung zwischen körperlichen Symptomen, Wahrnehmung und Assoziation Kann überall ansetzen Reduktion der Angst/Panik Durch Verfügbarkeit von Bewältigungsmöglichkeiten Durch negative Rückkopplung (z.B. Ermüdung, Ablenkung) Mod. nach Ehlers und Margraf, Hoyer & Knappe, 2002, S 1089 Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie – Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 15 Agoraphobie Mehrere Theorien, jedoch keine hat gute Befunde und ist gut belegt Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie – Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 16 Spezifische Phobie Aktivierung des Vermeidungsverhaltens setzt früh ein. „kognitive“ Erwartungsangst = Risikoabwägung Zustand der Erwartung einer Bedrohung (Angst) a) früher selbst in Kontakt mit Bedrohung b) bei anderen erlebt (Modelllernen) c) davon gehört (Lernen durch Instruktion) Furchtreaktion - situationsgebunden Fanselow 1994, aus Hoyer und Knappe 2020, S. 1146Bachelor Klinische Psychologie – Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 Vorlesung 17 Soziale Angststörung Am besten erklärt durch das Vulnerabilitäts-Stress-Modell Vulnerabilitäts- und Risikofaktoren ähneln weitgehend anderen Angststörungen Risikofaktoren Genetische und neurobiologische Faktoren – lückenhaft Psychologische Faktoren Erziehungsstil Modelllernen Vorlesung Bachelor Klinische Psychologie – Störungslehre – FU Berlin WiSe 2024/25 18 Kognitive Verhaltenstherapie bei Phobien 1. Psychoedukation und Bedingungsanalyse a) Vermittlung von Modellen zur Entstehung und Aufrechterhaltung der Angststörung b) Bedingungsanaly

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