Einführung in qualitative Forschungsmethoden (Kalthoff) WS 2024/25 PDF
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2024
Herbert Kalthoff
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This document provides lecture notes for a course on qualitative research methods, covering topics such as the logic of quantitative research processes, methodologically qualitative sociology, and issues relating to scientific theory. The lecture slides, part of a Winter Semester 2024-2025 course, discuss themes like the nature of language related to sociological theories and the role of interpretation in understanding social phenomena.
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Prof. Dr. Herbert Kalthoff Vorlesung Einführung in qualitative Forschungsmethoden WS 2024/25 Merkmale qualitativer Forschung | Wissenschaftstheorie Teil I und II 1 Logik qua...
Prof. Dr. Herbert Kalthoff Vorlesung Einführung in qualitative Forschungsmethoden WS 2024/25 Merkmale qualitativer Forschung | Wissenschaftstheorie Teil I und II 1 Logik quantitativer Forschungsprozesse 1. Fragestellung 2. Hypothesenbildung 3. Begriffsbildung 4. Erhebungsinstrument konstruieren 5. Datenerhebung 6. Datenanalyse 7. Interpretation 8. Publikation ➔ lineare Struktur 2 Leitlinien methodisch-qualitativer Soziologie Wie findet man ein Thema? – Suchfragen - Bekanntes / Selbstverständliches zum Thema machen - Orientierung an Theorie (Fachliteratur) - Gelegenheitsbeobachtungen - Gesellschaftliche Probleme → Eingrenzung der Forschung Spezifizierung des ‚Falls‘ - vom Thema zum Fall (Forschungsobjekt) - vom Fall (Forschungsobjekt) zum Thema 3 „Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt. Es ist die gewöhnlichste Selbsttäuschung wie Täuschung anderer, beim Erkennen etwas als bekannt voraus zu setzen, und es sich ebenso gefallen zu lassen; mit allem Hin- und Herreden kommt solches Wissen, ohne zu wissen wie ihm geschieht, nicht von der Stelle.“ (Hegel, PhG, 35) 4 Erschließung des Feldes − Zugang zu Personen − Zugang zu Organisationen / Institutionen − Beginn der empirischen Forschung Dreischnitt − Herstellung von Texten/Material („Datenerhebung“) − Aufbereitung des Materials („Datenbearbeitung“) − Analyse des Materials („Datenanalyse“) Überarbeitung: − Reformulierung der Fragestellung − Respezifizierung der Methode 5 Ein zirkulärer Thema Erkenntnisinteresse Forschungsprozess Offene Fragestellungen offene Fragen/ Begriffe Analyse des Generierung von Materials Material Materialbearbeitung Publikation 6 Offenheit Wie halte ich meine Methoden offen? Wie halte ich mich offen und sensibel? → Forschungshaltung: zusehen, zuhören, lernen → Vorrang des Feldes, nicht der Methode! Offenheit ist Vorsicht und Vor-Sicht 7 Introspektion - Forscher/in: Nutzung des Vorverständnisses - Methoden: Kontrolle des Instrumentariums - Introspektion der Situation 8 Sozialforschung - kommunikativ - Akteure sind interpretations- und theoriemächtig - Reaktivität des Feldes / der Akteure - Auseinandersetzung mit Alltagstheorie / professioneller Theorie 9 Anwendungen - Einzelfallforschung - Dokumentenanalyse - Feldforschung - Praxisforschung 10 − Ressourcen (Finanzierung, Zeit) Vorbereitung I − Arbeit an Theorieperspektiven − Arbeit an Stand der Forschung − Feldauswahl − Feldzugang Vorbereitung II − Methode spezifizieren − Leitfaden entwickeln − Interviews Durchführung I − Feldforschung − Dokumentensammlung − Transkription Durchführung II − Fertigstellung der Protokolle − Aufbereitung des Materials 11 − Hermeneutische Verfahren Analyse des − Kodierungen (Grounded Theory) Materials − Ethnografische Semantik − … − Überarbeitung der Fragestellung Arbeit an − Integration von empirischer Analyse und Theorie Theorie − Gegenstandsanalyse soziologische − Beitrag zur Sozialtheorie Theorie − Modifizierung theoretischer Konzepte Theoretische Empirie 12 Stichworte zur Wissenschaftstheorie Sprache - (verschiedene) Worte für (gleiche) Dinge (Baum, tree, l‘arbre….) - mehrere Worte für ein Phänomen (interpretieren, deuten, auslegen…) - Bezeichnung des Gegenstandes - Ontologie und Erkenntnis „Soziologie ist die Wissenschaft vom gesellschaftlichen Verhalten und Handeln des Menschen, von sozialen Gruppen und Institutionen, von Gesellschaftsstrukturen und deren Wandel, von Ideen über die Gesellschaft.“ 13 Wissenschaft als Verstandestätigkeit Immanuel Kant - Rationalistische und empiristische Positionen verbinden > Synthese - Verstandestätigkeit hat Vorrang > Korrektur durch Erfahrung - Begriffsarten - apriorische Begriffe - aposteriorische Begriffe - Urteilsarten - analytische Urteile - synthetische Urteile - synthetische Urteile a priori - Urteilsmodalitäten - problematische Urteile - assertorische Urteile - apodiktische Urteile 14 Wissenschaftssprache Otto Neurath - Wissenschaft ist in die Alltagswelt eingebettet > Fachsprache + Alltagssprache - Forschungspraxis: Verwendung einer vagen und mehrdeutigen Sprache „Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zu zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können. Die unpräzisen ‚Ballungen‘ (Alltagsbegriffe, HK) sind immer irgendwie Bestandteil des Schiffs“ (Otto Neurath). 15 Wissenschaftstheoretische Perspektiven I 1. Die empirisch-analytische Perspektive: (Neo-)Positivismus - Verbindung von Empirismus und Realismus - Erkennen: durch wissenschaftliche Sprache und logische Gesetze - Theorien: rational, allgemeingültig, wertfrei, nachprüfbar Deduktion Alle Bohnen in diesem Sack sind weiß. Diese Bohnen sind aus diesem Sack. Diese Bohnen sind weiß. vs. Induktion Diese Bohnen sind aus diesem Sack. Diese Bohnen sind weiß. Alle Bohnen aus diesem Sack sind weiß 16 Wissenschaftstheoretische Perspektiven II 2. Der kritische Rationalismus - Falsifikationsprinzip: nicht Theorien bestätigen, sondern widerlegen - Empirisches Sinnkriterium: empirische Aussagen an Wirklichkeit prüfen - ‚Irrtumsfähigkeit der Wissenschaft‘: Fehler, Irrtümer aufspüren - Beobachtung: - Theorien lassen sich nicht einfach widerlegen - ‚Widerlegte‘ Theorien werden weiter verwendet - Schlussfolgerung - Empirie kann Theorie nicht widerlegen > Theorien sind nicht empirisch bestimmt 17 Wissenschaftssoziologie Interessenmodell - externe, außertheoretische Faktoren (Interessen, Macht, Einfluss…) - Relevanz kultureller Zugehörigkeiten Diskursmodell - Fokus: Wissenschaftliche Kommunikationen und Kontroversen - Anerkennung von wissenschaftlichen Befunden durch die scientific community - Experimenteller Regress: zuverlässige Messung richtige Daten > Praxismodell - Fokus: das konkrete experimentelle und Forscherhandeln - Relevanz des Sozialen und des Materiellen > Infrastrukturen der Forschung - Sich-auf-etwas-Verstehen 18 Zusammenfassung 1. Zirkularität qualitativer Forschung 2. Forschungshaltungen I - Objektivismus: Empirie ist das Kriterium der Wahrheit einer Theorie → Korrespondenztheorie der Wahrheit - Anti-Objektivismus: Empirie ist als Wahrheitskriterium ungeeignet → offenes Verhältnis von Theorie und Empirie 3. Forschungshaltungen II - Realismus: eine von Menschen unabhängige Wirklichkeit wird durch Sinneswahrnehmung oder Bewusstsein erkannt (je nach Realismus). - Anti-Realismus: Wirklichkeit wird von Menschen nicht vorgefunden, sondern konstruiert. 4. Ausblick: Soziolog/innen konstruieren mit ihren Methoden eine ganz eigene Wirklichkeit > Konstruktivismus 19