V: Einführung in die Soziologie Vorlesung 3: Wirtschaft, Markt, und Arbeit PDF

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This document provides lecture notes on sociology, focusing on economic systems, labor markets, and the evolution of capitalism. The lecture discusses historical perspectives and theories related to these concepts.

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V: Einführung in die Soziologie Vorlesung 3: Wirtschaft, Markt, und Arbeit Prof. Dr. Christian Joppke 1 Lektüre Joas/Mau, Kap. 18 (`Wirtschaft und Arbeit`) Autor: Prof. Dr. Jens Beckert (Max-Planck Institut für Gesellschaftsforschung, Köln) 2 Überblick 1. Wirtschaft 2. Kapitalistische Wirtscha...

V: Einführung in die Soziologie Vorlesung 3: Wirtschaft, Markt, und Arbeit Prof. Dr. Christian Joppke 1 Lektüre Joas/Mau, Kap. 18 (`Wirtschaft und Arbeit`) Autor: Prof. Dr. Jens Beckert (Max-Planck Institut für Gesellschaftsforschung, Köln) 2 Überblick 1. Wirtschaft 2. Kapitalistische Wirtschaft 3. «Einbettung» von Märkten, am Beispiel Arbeitsmarkt 4. Arbeit im Wandel 5. Institutionelle Einbettung des Kapitalismus 3 1. Wirtschaft • Wirtschaft: institutionelle Sphäre (analog zu Familie, Staat u. Politik, Kultur, etc.) • Ihr funktionaler Bezug (`Problem`): Befriedigung materieller Bedürfnisse (Hunger, Durst, Kälte etc.) • Definition: `soziale Organisation der Herstellung und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen zum Zwecke der Befriedigung materieller Bedürfnisse` (Beckert). • Arbeit: Herstellung von Gütern u. Dienstleistungen • Markt: ein Mechanismus ihrer Verteilung (über `Preise`; alternativ: Reziprozität) 4 2. Kapitalistische Wirtschaft • Historisch: von der Subsistenzwirtschaft zur Erwerbswirtschaft • Subsistenz: Zweck des Wirtschaftens ist eigene bzw. gemeinschaftliche Bedürfnisbefriedigung • Erwerben: Zweck des Wirtschaftens ist die Erzielung von Gewinn • Resultat: enorme Beschleunigung von Wandel und Fortschritt 5 2. Kapitalismus • Def. Kapitalismus: `auf die systematische Erwirtschaftung von Gewinn ausgerichtete(s), auf der Basis von Arbeits- u. Gütermärkten operierende(s) Wirtschaftssystem` (Beckert) • 4 Elemente: – Privateigentum an den Produktionsmitteln (vom Staat zu garantieren; Quelle sozialer Macht) – Eigeninteresse u. Gewinnorientierung (ermöglicht Effizienz u. Leistungssteigerung; aber gefährlich für soziale Integration → Ungleichheit, Armut) Marx (1848): `kein anderes Band…als das nackte Interesse` – Märkte für Arbeit u. Güter (Marx: `doppelt freie` Lohnarbeit als Bedingung des Kapitalismus) – Reinvestition des Gewinns (Quelle von Expansion u. Fortschritt) Marx (1848): `Alles Ständische und Stehende verdampft` 6 2. Kapitalismus • Liberale Theorie (A. Smith (1723-1790): Markt als invisible hand (garantiert, dass eigeninteressiertes Handeln das Gemeinwohl fördert); minimaler Staat • Radikale Kritik (K.Marx, 1818-1883): Kapitalismus als Ausbeutung und Verelendung (siehe Das Kapital 1867, Kap. 8, `Der Arbeitstag`) – Arbeit als Quelle von Reichtum (`Arbeitswerttheorie`) – Arbeitskraft als Ware: hat `Gebrauchs-` u. `Tauschwert` (TW) (TW=Kosten der Reproduktion der Arbeitskraft) – Der `Gebrauchswert` der Arbeit (=Wert zu produzieren) übersteigt ihren `Tauschwert` (die Differenz ist `Mehrwert` u. wird von Kapitalisten angeeignet) – Konkurrenz führt zu Monopolisierung u. `Verelendung` der Arbeiter – Revolution: Sozialismus und Kommunismus als Alternative 7 2. Kapitalismus • Liberale Kritik (K.Polanyi, 1896-1964): self-regulating markets als Ursache der Krisen • Notwendigkeit der Ergänzung von Märkten durch andere Mechanismen des wirtschaftlichen Austauschs (`Einbettung`): – Redistribution (Verteilung durch zentrale Instanz aufgrund von Bedürftigkeit) – Reziprozität (Austausch auf Basis von Gegenseitigkeit) – Haushalt (Produktion für Eigenbedarf) • Arbeit und Boden als `fictitious commodities`: nicht für den Austausch produziert (Arbeit ist `Leben`, Boden ist `Natur`) • Notwendigkeit ihres Schutzes durch staatliche Regulierung (`Einbettung`); Reform statt Revolution 8 3. `Einbettung`, am Beispiel Arbeitsmarkt • Probleme der `fiktiven Ware` Arbeit (u.a.): – Starre des Angebots (lässt sich nicht zurückziehen) – Qualifikationsprofil nicht kurzzeitig anpassbar – Begrenzte räumliche Mobilität, etc. → Macht des Arbeitgebers (bei hohem Angebot von Arbeit den Preis der Arbeit niedrigzuhalten) • Institutionelle Einbettungen des Arbeitsvertrags: – – – • Staatliche Gesetze (Kündigungsschutz, Verbot v. Kinderarbeit, Gesundheitsschutz, Begrenzung des Arbeitstags, Einwanderungskontrolle etc.) Tarifliche u. betriebliche Vereinbarungen (Tariflöhne, Sozialpläne bei Kündigungen, Betriebsräte u. `Mitbestimmung` etc.) Soziale Sicherungen (Arbeitslosen-, Kranken-, Unfall- , Rentenversicherungen etc.) `Einbettung` erhöht die Kosten der Arbeitskraft (`Lohnnebenkosten`); wird im Zeitalter der «Globalisierung» durch Liberalisierung (bzw. `Entbettung`) konterkariert. 9 4. Arbeit im Wandel `Tertiärisierung`, am Beispiel Deutschland (% Erwerbstätiger pro Sektor): 1882 1950 2004 Primärsektor (Landwirtsch.) 43 % 22 % 2% Sekundärsekt. (Industrie) 34 % 45 % 31 % Tertiärsektor (Dienstleist.) 23 % 33 % 67 % 10 4. Arbeit im Wandel • Tertiärisierung = Deindustrialisierung (Abwanderung der Industrie in die 3.Welt) • Vom `Normalarbeitsverhältnis` zur flexiblen Teilarbeit (Globalisierungsdruck) • Arbeitsmarktsegmentierung (geschützter primärer v. prekärer sekundärer Arbeitsmarkt für Frauen, Jugendliche, Minderheiten, lowskilled) 11 4. Arbeit im Wandel • Fordismus: – Standardisierte Massenproduktion (`Model T`) – Basis: F.Taylor`s `scientific management` (Zerlegung v. Arbeitsprozessen in kleinste Schritte) – Vorteil: Konsumgüter für alle (durch Verbilligung) – Nachteile: • Rigidität u. Standardisierung der Produkte (Model T `in jeder Farbe verfügbar, solange es schwarz ist`); • Monotonie und Einseitigkeit der Arbeit (`Fliessband`; siehe C.Chaplin, Modern Times 1936) 12 4. Arbeit im Wandel • Von Fordismus zum Post-Fordismus: – `flexible Spezialisierung` (M.Piore/Ch.Sabel 1984) – Aufwertung des sekundären Sektors: individualisierte Güter in kleiner Menge (Design-Möbel, Modetextilien etc.) – mithilfe neuer Produktionstechnologien (CAD = Computer Aided Design) – Klein- u. Mittelbetriebe mit qualifiziertem Personal (Gruppenarbeit, `team work`) – in gewissen Regionen (Norditalien, Baden-Württemberg) • Aber: weitere De-Qualifizierung von Dienstleistungen (z.B. offshore call centers) 13 5. Institutionelle Einbettung des Kapitalismus • New economic sociology: untersucht die sozialen, institutionellen, u. kulturellen Voraussetzungen von Märkten (embeddedness) • Vorläufer: Max Weber (Protestantische Ethik) u. Emile Durkheim (`nicht-vertragliche Grundlagen des Vertrags`, in der Form geteilter Normen u. Werte) • Warum verschärfter soziologischer Blick auf `Märkte`? – Rückgang des Staats (post-1989) – Von `Redistribution` zu `Markt` als Regulator von wirtschaftlichem Austausch = Effekt von Globalisierung 14 5. Institutionelle Einbettung des Kapitalismus • 2 Themen der new economic sociology: – A. soziale Voraussetzungen von Märkten – B. Varieties of Capitalism (P.Hall/D.Soskice 2001) • A. Soziale Voraussetzungen von Märkten – Kulturelle Legitimation (nicht alles darf `vermarktet` werden: Zins im Mittelalter; Organe; Drogen; Sex; lancer de nain) – Wertbeimessung (Luxusgüter u. Mode bedürfen der `Anerkennung durch Dritte`) – Strukturierung von Wettbewerb (Interesse an der Beschränkung des Wettbewerbs, da perfekte Märkte keinen Profit erzeugen) (`Marktkampf`, M.Weber) – Lösung von Kooperationsproblemen (asymmetrische Verteilung der Information bei Tauschpartnern erzeugt Tauschblockaden → Beseitigung durch Vertrauen, Netzwerke, Recht, Normen, Macht etc.) 15 5. Institutionelle Einbettung des Kapitalismus • B. Varieties of Capitalism (Hall/Soskice) – Interne Varianz des Kapitalismus gewinnt ab 1989 an Bedeutung (gleiche Koordinationsprobleme bei unterschiedlichen nationalen Lösungen, bedingt durch institutionelle Unterschiede) – 2 Typen: liberaler v. koordinierter Kapitalismus (USA v. Deutschland/Skandinavien); letzter relativiert den Markt durch Koordination – Institutionelle Unterschiede: • 1. industrielle Beziehungen (`Flächentarifvertrag` in D vs. Individualvertrag in USA → hohe Löhne, Einkommensgleichheit, u. Stabilität der Beschäftigung in D; hohe Flexibilität, Mobilität, Prekarität in US) • 2. Unternehmenskontrolle («Hausbankprinzip» in D. vs. Aktienmärkte zur Kapitalfinanzierung in USA; langfristige Investitionsstrategien in D vs. Fokus auf kurzfristige Gewinnsteigerung in USA) 16 5. Institutionelle Einbettung des Kapitalismus (varieties of capitalism) • Auswirkung der institutionellen Unterschiede auf Produktionsstrategien u. Weltmarktnischen (D. vs. USA): – Deutschland: Spezialisierung auf Auto- u. Maschinenindustrie (`inkrementelle Innovation` durch firmentreue, gut ausgebildete u. sozial abgesicherte, relativ immobile Facharbeiter) – USA: Spezialisierung auf IT u. Computerindustrie (erfordert schnelle u. radikale Innovation u. Mobilität von Arbeit u. Kapital, die durch das amerikanische ökonomische Institutionengefüge begünstigt wird) 17 5. Institutionelle Einbettung des Kapitalismus (varieties of capitalism) • Nischenspezialisierung (D v. USA) erklärt, warum sich institutionelle Variationen trotz Globalisierung erhalten können (sichern Wettbewerbsvorteile in spezifischen Sektoren) • Aber: Globalisierung schwächt den `koordinierten` Typ des Kapitalismus (der bezügl. Arbeit `teuer` ist u. den Markt einschränkt), via erhöhtem Kostendruck u. Möglichkeit der Standortverlagerung 18

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