Hoheitliches Handeln im demokratischen Rechtsstaat PDF

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2024

Andreas Berg

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verwaltungsrecht hoheitliches handeln demokratischer rechtsstaat vorgehensweise

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This document is a lecture on administrative law, covering the concepts of governmental action in a democratic state. Topics include administrative procedures, principles of administrative action, and the role of the administrative authority in a democratic legal framework.

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Hoheitliches Handeln im demokratischen Rechtsstaat Dr. iur. Andreas Berg [email protected] Foliensatz 2 WiSe 2024/25 A. Grundlagen I. Begriff und Funktionen des Verwaltungsrechts, Tätigkeitsbereiche II. Rechtsquellen des allg. Verwaltun...

Hoheitliches Handeln im demokratischen Rechtsstaat Dr. iur. Andreas Berg [email protected] Foliensatz 2 WiSe 2024/25 A. Grundlagen I. Begriff und Funktionen des Verwaltungsrechts, Tätigkeitsbereiche II. Rechtsquellen des allg. Verwaltungsrechts III. Verwaltungsorganisation IV. Verwaltungsverfahren V. Grundsätze des Verwaltungshandelns VI. Grundbegriffe: Ermessen, unbestimmter Rechtsbegriff, Beurteilungsspielraum, subjektiv öffentliches Recht 2 A. IV. Verwaltungsverfahren (1) 1. Begriff des Verwaltungsverfahrens § 9 VwVfG: Verwaltungsverfahren ist die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist. Die Verfahrensgrundsätze sind in Teil II, Abschnitt 1 (§§ 9–30) des VwVfG geregelt Nicht in Anwendungsbereich der Verfahrensgrundsätze fallen ◦ rein verwaltungsinterne Vorgänge ◦ schlichtes Verwaltungshandeln (Realakte) ◦ Normsetzung der Verwaltung (Satzungen, Verwaltungsvorschriften) 3 A. IV. Verwaltungsverfahren (2) 2. Arten des Verwaltungsverfahrens Allgemeines bzw. nichtförmliches Verfahren (§ 10 VwVfG) ◦ Regeltyp, wenn kein anderes Verfahren vorgeschrieben ist ◦ Grundsätzlich formlos (beachte aber Verfahrensgrundsätze!) ◦ Soll einfach, zweckmäßig und zügig ablaufen Förmliches Verfahren (§§ 63 ff. VwVfG) ◦ Nur, wenn ausdrücklich gesetzlich angeordnet (z.B. Enteignungsverfahren nach §§ 104 ff. BauGB, Indizierung jugendgefährdender Schriften nach §§ 12 ff. GjS) ◦ Anträge sind schriftlich bzw. zur Niederschrift zu stellen ◦ Im Regelfall mündliche Verhandlung ◦ Mitwirkung von Zeugen und Sachverständigen besonders geregelt ◦ Schriftliche, begründete und zuzustellende Entscheidung 4 A. IV. Verwaltungsverfahren (3) Rechtsbehelfsverfahren (§§ 79 f. VwVfG) ◦ Nach § 79 I VwVfG gelten für Rechtsbehelfe gegen VA im Regelfall die VwGO ( §§ 68 ff. VwGO) sowie die AGVwGO der Länder, das VwVfG nur subsidiär (insb. §§ 11 ff., 22 ff., 28 ff.) ◦ Gem. § 68 VwGO (Widerspruchsverfahren) wird die Rechtmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit von Verwaltungsakten überprüft ◦ Doppelcharakter des Widerspruchsverfahrens: ◦ Verwaltungsverfahren (d.h. wird von Behörden innerhalb von Behörden durchgeführt); gleichzeitig aber auch ◦ Gerichtliches Vorverfahren und (in NRW mittlerweile nur noch z.T., vgl. § 110 JustG NRW) Zulässigkeitsvoraussetzung verwaltungsgerichtlicher Gestaltungsklagen  Hierzu näher im Abschnitt C. (Verwaltungsprozessrecht)! 5 A. IV. Verwaltungsverfahren (4) 3. Verfahrensbeteiligte (§§ 11 ff. VwVfG) Beteiligtenfähigkeit (§ 11 VwVfG) ◦ Fähigkeit, am Verwaltungsverfahren beteiligt zu sein ◦ Beteiligtenfähig sind natürliche und juristische Personen (durch Vertreter), Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann (politische Parteien, Gewerkschaften), sowie Behörden Handlungsfähigkeit (§ 12 VwVfG) ◦ Fähigkeit, Verfahrenshandlungen (z.B. Anträge stellen) selbst vornehmen zu können ◦ Steht geschäftsfähigen natürlichen Personen, juristischen Personen und Behörden (jeweils durch gesetzlichen Vertreter oder Beauftragten) zu 6 A. IV. Verwaltungsverfahren (5) Beteiligte (§ 13 VwVfG) ◦ Antragsteller und Antragsgegner ◦ Diejenigen, an die die Behörde den VA richten will bzw. gerichtet hat ◦ Diejenigen, mit denen die Behörde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließen will bzw. geschlossen hat ◦ Hinzugezogene nach § 13 II VwVfG, deren rechtliche Interessen nach durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können 4. Verfahrensablauf Beginn des Verfahrens ◦ § 22 S. 1 VwVfG: Behörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen ◦ Ausnahme: Einleitungspflicht von Amts wegen 7 A. IV. Verwaltungsverfahren (6) Gang des Verfahrens ◦ Amtssprache ist deutsch (§ 23 I VwVfG) ◦ Amtsermittlungs- oder Untersuchungsgrundsatz: Behörde ermittelt Sachverhalt selbst, ist nicht an Vorbringen und Beweisanträge der Beteiligten gebunden, § 24 I VwVfG [ im Zivilprozess gilt im Unterschied dazu der Beibringungsgrundsatz, d.h. es kommt auf Parteivorbringen an] ◦ Behörde muss aber alle für Einzelfall bedeutsamen Umstände berücksichtigen (§ 24 II VwVfG), also meist auch Parteivorbringen ◦ Beweismittel (§ 26 I VwVfG): Anhörung Beteiligter, Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, Urkunden, Akten, Augenschein Ende des Verfahrens Verfahren endet, wenn über Erlass des VA bzw. Abschluss des öffentlich- rechtlichen Vertrages entschieden wurde, sich das Verfahren aus bestimmten Gründen erledigt oder Anträge von Beteiligten zurückgezogen wurden 8 A. IV. Verwaltungsverfahren (7) 5. Rechte und Pflichten der Verfahrensbeteiligten Recht auf Anhörung (§ 28 VwVfG) ◦ Bevor ein belastender VA erlassen wird, ist dem Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern, § 28 I VwVfG ◦ Beinhaltet auch Pflicht der Behörde, Beteiligte über entsprechende Tatsachen zu informieren ◦ Unter bestimmten Voraussetzungen kann (§ 28 II VwVfG, z.B. bei Gefahr im Verzug oder bei Allgemeinverfügungen) oder muss auf die Anhörung verzichtet werden (§ 28 III VwVfG) Recht auf Akteneinsicht (§ 29 VwVfG) Beteiligte können Einsicht in Verfahrensakten nehmen, wenn nicht z.B. Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen (§ 29 II VwVfG) 9 A. IV. Verwaltungsverfahren (8) Geheimhaltung (§ 30 VwVfG) Beteiligte haben Anspruch darauf, dass Geheimnisse aus dem persönlichen Lebensbereich bzw. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht unbefugt offengelegt werden Vertretungsrecht (§ 14 VwVfG) Beteiligte können sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen sowie zu Verhandlungen oder Besprechungen mit einem rechtlichen Beistand erscheinen Mitwirkungspflicht der Beteiligten (§ 26 II VwVfG) ◦ Beteiligte sollen bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und insb. Tatsachen und Beweise angeben, die ihnen bekannt sind ◦ Spezialgesetze normieren z.T. weitergehende Mitwirkungspflichten (Bsp.: Duldung des Betretens von Grundstücken, § 22 II GastG) 10 A. Grundlagen I. Begriff und Funktionen des Verwaltungsrechts, Tätigkeitsbereiche II. Rechtsquellen des allg. Verwaltungsrechts III. Verwaltungsorganisation IV. Verwaltungsverfahren V. Grundsätze des Verwaltungshandelns VI. Grundbegriffe: Ermessen, unbestimmter Rechtsbegriff, Beurteilungsspielraum, subjektiv öffentliches Recht 11 A. V. Grundsätze des Verwaltungshandelns (1) 1. Grundsatz der Recht- und Gesetzesmäßigkeit Nach Art. 20 III GG ist die vollziehende Gewalt (Regierung und Verwaltung) an Recht und Gesetz gebunden: Vorrang des Gesetzes: Umfassende Bindung der Verwaltung an das Gesetz, Art. 20 III GG  kein Handeln gegen Gesetze Vorbehalt des Gesetzes: Erfordernis gesetzlicher Grundlage („Ermächtigungsgrundlage“) insbes. für Eingriffshandeln der Verwaltung, Art. 20 III GG sowie Wesentlichkeitstheorie des BVerfG, wonach alle wesentlichen Entscheidungen, die den Bürger unmittelbar betreffen, durch förmliches Gesetz getroffen werden müssen  kein Handeln ohne Gesetz 12 BVerfG v. 22.05.2014 cc) (1) Die Trennung des Kindes von seinen Eltern darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen und aufrechterhalten werden (vgl. BVerfGE 60, 79 ). Das setzt voraus, dass die Trennung zur Erreichung der Abwendung einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr geeignet und erforderlich ist und dazu in angemessenem Verhältnis steht. Insbesondere muss der Staat wegen des Erforderlichkeitsgebots zur Vermeidung der Trennung der Kinder von ihren Eltern nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfGE 24, 119 ; 60, 79 ). In Übereinstimmung mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen erklärt § 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur dann für zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. A. V. Grundsätze des Verwaltungshandelns (2) 2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Relation von Mittel und Zweck behördlichen Handelns als Ausfluss von Art. 20 III GG; gilt insb. bei allen Ermessensvorschriften Verbietet, dass staatliches Handeln den Betroffen übermäßig belastet (Übermaßverbot) Beinhaltet im Einzelnen folgende Prüfungsschritte: (1) Von Behörde gewähltes Mittel legitim und legitimem Zweck dienend? (2) Mittel geeignet, um angestrebtes Ziel zu erreichen (zwecktauglich)? (3) Mittel erforderlich zur Zielerreichung (kein milderes, gleichermaßen geeignetes Mittel vorhanden)? (4) Mittel angemessen (Mittel nicht außer Verhältnis zum Zweck stehend; umfassende Güter- /Interessenabwägung)? 14 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rottweiler Gottlieb (51,3 kg mit großer schlabberiger Zunge) der Nachbarin N springt nicht angeleint Passanten an. Mehrfach kam es schon zu Schädigungen (Sabberflecken auf Kleidungsstücken), aber leider auch Verletzungen Dritter (Schürfwunden, Knochenbrücke, Schleudertraumata). Aggressives Verhalten zeigte er bisher nicht – eher im Gegenteil. N beschwert sich bei der zuständen Behörde; diese handelt sofort per Verwaltungsakt. Die Behörde ordnet an: Der Hund wird eingeschläfert! 2. Der Hund muss einen Maulkorb tragen! 3. Der Hund hat dauerhaft „Ausgehsperre“! 4. Der Hund bekommt eine Leinenpflicht! 15 A. V. Grundsätze des Verwaltungshandelns (3) 3. Willkürverbot Ausfluss aus dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 I GG Unterschiedliche Anwendung des Rechts darf nicht willkürlich, sondern muss aufgrund sachgerechter Erwägungen erfolgen. Von einer gefestigten Verwaltungspraxis, insbesondere bei der Ausübung von Ermessen (festgelegt z.B. in internen Verwaltungsvorschriften), darf die Behörde nicht ohne sachliche Gründe abweichen  Selbstbindung der Verwaltung Auf Selbstbindung kann sich nicht berufen werden, wenn die Verwaltungspraxis rechtswidrig war  „keine Gleichheit im Unrecht“ 16 A. V. Grundsätze des Verwaltungshandelns (4) 4. Vertrauensschutz / Treu und Glauben Ausfluss aus Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten Verbietet der Verwaltung Verhalten, das zwar von Rechtsvorschriften gedeckt ist, aber schutzwürdiges Vertrauen der betroffenen Bürger verletzt. Schlägt nur durch, wenn das Vertrauensschutzinteresse des Bürgers höher zu werten ist als das öffentliche Interesse an der Vornahme der jew. Maßnahme Bsp.: Der Aufhebung eines VA kann schutzwürdiges Vertrauen entgegen stehen, §§ 48 II 2 VwVfG (dazu später) 17 A. Grundlagen I. Begriff und Funktionen des Verwaltungsrechts, Tätigkeitsbereiche II. Rechtsquellen des allg. Verwaltungsrechts III. Verwaltungsorganisation IV. Verwaltungsverfahren V. Grundsätze des Verwaltungshandelns VI. Grundbegriffe: Ermessen, unbestimmter Rechtsbegriff, Beurteilungsspielraum, subjektiv öffentliches Recht 18 Tatbestand – Rechtsfolge Nur wenn alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind / vorliegen, kann auch die Rechtsfolge zum Tragen kommen! Tatbestands- Wenn TBM nicht erfüllt, greift merkmale auch keine Rechtsfolge! Wenn TBM erfüllt, … Rechtsfolge (ist oder kann)! Beachte immer: Juristische Gutachtentechnik! 1) Oberssatz; 2) Definition; 3) Subsumtion; 4) Ergebnis 19 § 15 Gaststättengesetz (1) Die Erlaubnis zum Betrieb eines Gaststättengewerbes ist zurückzunehmen, wenn bekannt wird, daß bei ihrer Erteilung Versagungsgründe nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 vorlagen. (2) Die Erlaubnisist zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die die Versagung der Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 rechtfertigen würden. kann (3) Sie widerrufen werden, wenn 1. der Gewerbetreibende oder sein Stellvertreter die Betriebsart, für welche die Erlaubnis erteilt worden ist, unbefugt ändert, andere als die zugelassenen Räume zum Betrieb verwendet oder nicht zugelassene Getränke oder Speisen verabreicht oder sonstige inhaltliche Beschränkungen der Erlaubnis nicht beachtet, 20 A. VI. Ermessen Entschließungs- Auswahl- ermessen ermessen 21 Betrifft immer die Rechtsfolgenseite einer Norm: Eine Vorschrift schreibt der Verwaltung bei Vorliegen des Tatbestands ein bestimmtes Handeln vor (z.B. § 35 I GewO, wonach unzuverlässigen Gewerbetreibenden die Ausübung des Gewerbes zu versagen ist)  dies nennt man gebundene Entscheidung Eine Ermessensvorschrift (z.B. § 48 I 1 VwVfG  lesen!) belässt, wenn der Tatbestand vorliegt, der Verwaltung einen Ermessensspielraum („kann“, „darf“ etc.) hinsichtlich des ◦ „ob“ des Tätigwerdens (Entschließungsermessen), teils zusätzlich ◦ Art u. Weise bzw. dem „wie“ des Tätigwerdens (Auswahlermessen) Neben dem „ist“ und „kann“ findet sich in einigen Vorschriften das sog. intendiertes Ermessen („soll“). Der Normgeber bezweckt damit eine grundsätzlich einzuhaltende Rechtsfolge, eröffnet allerdings unter gewissen Umständen (einzelfallabhängig) Abweichungsmöglichkeiten. 22 Ermächtigungsgrundlagen Polizeigesetz NRW § 8 Generalklausel Allgemeine Befugnisse als Ermächtigungsgrundlage (1) Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende, konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 9 bis 46 die Befugnisse der Polizei besonders regeln. § 35 Gewahrsam als Ermächtigungsgrundlage (1) Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn 1. das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet,… 23 § 2 Polizeigesetz NRW Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat die Polizei diejenige zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. (2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. (3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. 24 Die § 3 Abs. 1, § 8 Polizeigesetz-NRW: Polizei trifft ihre Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen. 25 Ermessen / Verhältnismäßigkeit Ermessens- überschreitung 100 € 200 € 500 € 1.000 € § 1157 Abs- 2 Gesetz zur Erläuterung der Verhältnismäßigkeit: Ein Bußgeld zwischen 100 € bis maximal 500 € kann erteilt werden, wenn….. 26 Verhältnismäßigkeit: Abwägung zwischen Höhe der Strafe und Schwere der Tat Höhe der Strafe Schwere der Tat 100 Euro 150 Euro 400 Euro 500 Euro 1.000 Euro 27 Darf der Staat zur Wahrung des Kindeswohls aus rechtlicher Sicht einschreiten und die Rechte der elterlichen Sorge einschränken? Diskurtieren Sie! 28 Inobhutnahme durch das Jugendamt Verfassungsrechtlichen Grundlage Art. 6 Abs. 2 GG enthält die vorstehende staatliche Schutzfunkton (Grundrechte als Abwehrrechte): „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft [Anm.: Mit Gemeinschaft sind staatliche Institutionen] Eingriffsverwaltung §§ 8a Abs. 3, 42 Abs. 1 SGB VIII: Ermächtigungsgrundlage für die Inobhutnahme durch das Jugendamt Familienrecht: Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (vgl. „elterliche Sorge“ § 1626 I 1 BGB); Gesetzliche Vorgabe der Verhältnismäßigkeit in § 1666a Abs. 1 BGB: „Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann.“ Ermessensfehler Ist eine Behörde gem. § 40 VwVfG „…ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.“ Ermessensfehler lassen sich wie folgt typisieren: Ermessensüberschreitung ◦ Gesetzliche Grenzen des Ermessens nicht eingehalten, d.h. gewählte Entscheidung liegt außerhalb des möglichen Rechtsfolgerahmens  Bsp.: Behörde verhängt ein Bußgeld i.H.v. 7.500 €, obwohl nach der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage nur ein Bußgeld zwischen 1.000 und 5.000 € erhoben werden darf. 30 Ermessensnichtgebrauch (= Ermessensunterschreitung) ◦ Behörde stellt keinerlei Ermessenserwägungen an, d.h. sie verkennt, dass es sich um eine Ermessensentscheidung handelt  Bsp.: Die Behörde verweigert einem Landwirt eine mögliche Subvention i. H. v. 5.000 €, ohne ihm ihre Erwägungen mitzuteilen, weshalb die ablehnende Entscheidung getroffen wurde. Ermessensfehlgebrauch (= Ermessensmissbrauch) ◦ Zweck der gesetzlichen Ermessenseinräumung wird nicht hinreichend beachtet, d.h. es werden sachfremde Erwägungen einbezogen  Bsp.: Ein Verwaltungsakt (z.B. eine Subvention) wird von Gegenleistungen abhängig gemacht, die gesetzlich nicht vorgesehen sind; parteipolitische oder persönliche Motive etc. werden als Ablehnungsgründe genutzt 31 Annahme 1: Die Stadt Siegen ist 100% Eigentümerin der Siegerlandhalle und betreibt diese selbstständig. Die entsprechende Satzung sieht vor, dass die Halle auch für private Zwecke von Externen gemietet werden kann. Annahme 2: Die Siegerlandhalle gehört zu 100% der Sieg-GmbH; der Stadt Siegen gehören GmbH-Anteile von 75%. Auch hier besteht der Geschäftszweck aus gewerblicher und privater Vermietung. 32 Überprüfbarkeit des Ermessens richtet sich nach § 114 VwGO Gerichte dürfen nicht anstelle der Verwaltung das Ermessen ausüben und nicht über die Zweckmäßigkeit einer Maßnahme befinden; sie dürfen also nicht selbst die „richtige“ Entscheidung treffen, sondern müssen Sache an die Behörde zurück verweisen, welche dann unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet Es besteht für den Bürger somit kein Anspruch auf eine von ihm gewünschte Rechtsfolge einer Ermessensentscheidung, sondern lediglich auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde 33 „Ermessensreduzierung auf Null“ In bestimmten Fällen gibt es nur eine Möglichkeit für die Verwaltung, das ihr überantwortete Ermessen korrekt auszuüben. Ihr Ermessen ist nun auf eine „gebundene Entscheidung“ geschrumpft. Wird hier eine andere Möglichkeit gewählt, ist das Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Bsp.: Das nach den jeweiligen Landesgesetzen bestehende (Entschließungs- )Ermessen reduziert sich für Polizei- und Ordnungsbehörden auf „Null“ (d.h. wird zur gebundenen Entscheidung), wenn eine konkrete Lebensgefahr besteht; korrekte Rechtsfolge ist somit nie das Untätigbleiben! 34 A. VI. Unbestimmter Rechtsbegriff (1) Betrifft im Gegensatz zum Ermessen nicht die Rechtsfolgenseite, sondern die Tatbestandsseite einer Norm. Unbestimmte Rechtsbegriffe zeichnen sich durch Mehrdeutigkeit, Abstraktheit und resultierende Definitions- und Auslegungsbedürftigkeit aus. Abstraktheitsgrad nötig, da im Gesetz nicht jeder denkbare Einzelfall reglementiert werden kann. Gerichtlich grds. in vollem Umfang überprüfbar, d.h. Gerichte können eine andere als die behördlich gewählte Auslegung vornehmen und zugrunde legen. 35 A. VI. Unbestimmter Rechtsbegriff (2) Bsp.: „Unzuverlässig“ (§ 35 I 1 GewO, 4 GastG), „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ (z.B. § 14 I OBG NRW), „wichtiger Grund“, „Härtefall“, „Gemeinwohl“, „Gefahr“… Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe erfolgt sachverhaltsunabhängig und anhand der bekannten Auslegungsmethoden: ◦ Wortlaut, grammatikalisch ◦ Systematische Stellung der Norm bzw. des Rechtsbegriffs ◦ Historischer Hintergrund und Entstehungsgeschichte (insb. Parlamentsberatungen) ◦ Telos (Sinn und Zweck) 36 Beispiel: „Zuverlässigkeit“ (BVerfG-Beschluss vom 04. August 2009 - 1 BvR 1726/09) „Verfassungsrechtlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass der Gesetzgeber sich in § 7 LuftSiG […] des unbestimmten Rechtsbegriffs der Zuverlässigkeit bedient. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist verfassungsrechtlich nicht schlechthin bedenklich (vgl. BVerfGE 21, 73 (79)). Entscheidend ist vielmehr, dass der Begriff der Zuverlässigkeit vom Gesetzgeber seit jeher verwendet wird und aufgrund einer langen Tradition von Gesetzgebung, Verwaltungshandhabung und Rechtsprechung so ausgefüllt worden ist, dass sich an seiner rechtsstaatlich hinreichenden Bestimmtheit im Grundsatz nicht zweifeln lässt, mögen auch für jeden neuen Sachbereich neue Konkretisierungen erforderlich sein.“ (vgl. BVerfGE 49, 89 ) Allgemeine - und je nach Sachgebiet anpassbare - Definition: Unzuverlässig ist, wer nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß zu betreiben (vgl. BVerwG 09. März 1994, Az 1 B 33.94) Definition „Gefahr“ Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in absehbarer Zeit und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schutzgut der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung schädigen wird (vgl. Urteil BVerwG aus dem Jahr 1974, BVerwGE 45, 51(57)). Definition „Öffentliche Sicherheit“ Öffentliche Sicherheit im Sinne der Gefahrenabwehr ist (1) Schutz der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen und Veranstaltungen und sonstiger Träger der hoheitlicher Gewalt, (2) der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen und (3) der objektiven Rechtsordnung. 1. Die drei aufbauenden Schutzgüter:  1. Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen und kollektive Schutzgüter etc. (z.B. Behörden, Daseinsfürsorge, Radarfalle etc.) 2.  2. Individuelle Rechte und Rechtsgüter (z.B. Individualrechte ohne Verstoß gegen Rechtsnormen (z.B. Gesundheitsschutz bei „unfreiwillig obdachlos“ vs. „freiwillig obdachlos“)  3. Unverletzlichkeit der Rechtsordnung (Kollision mit geltenden Normen) 3. 39 Definition „Öffentliche Ordnung“ „…die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Zusammenlebens betrachtet wird“.  Quasi ein Auffangtatbestand, wenn die Öffentliche Sicherheit nicht als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden kann. 40 Exkurs: „Peep-Show“ und „Zwergenweitwurf in der Disco“ Art. 1 I GG schützt den personalen Eigenwert des Menschen. Die Menschwürde ist verletzt, wenn die einzelne Person zum Objekt herabgewürdigt wird. […] Aufgrund seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht ist der Staat in einem solchen Falle gehalten, die mit der Rechtsanwendung gegebenen Möglichkeiten zur Abwehr eines derartigen Angriffs auszuschöpfen (vgl. BVerwG „Sittenwidrigkeit von Peep-Shows“, NJW 1982, 664). Diese Verletzung der Menschenwürde wird nicht dadurch ausgeräumt oder gerechtfertigt, daß die in einer Peep- Show auftretende Frau freiwillig handelt. Die Würde des Menschen ist ein objektiver, unverfügbarer Wert (BVerfGE 45, 187 (229) = NJW 1977, 1525), auf dessen Beachtung der einzelne nicht wirksam verzichten kann (vgl. BVerwG, NJW 1982, 664). Der "sogenannte "Zwergenweitwurf" verletzt die Würde des Menschen. Bei dieser Veranstaltung geht es darum, daß Personen aus dem Publikum einen - hier kleinwüchsigen - Menschen möglichst weit werfen. Dadurch, daß der Geworfene hierbei wie ein Sportgerät gehandhabt wird, wird ihm eine entwürdigende, objekthafte Rolle zugewiesen. Der geworfene Mensch - sei er nun kleinwüchsig wie der Ast. [Antragsteller] oder auch besonders leicht - wird zum Zwecke der allgemeinen Belustigung zum bloßen Objekt der Werfer aus dem Publikum gemacht. Die Attraktivität der Darbietung liegt nicht in der vom Ast. in den Vordergrund gerückten artistischen Leistung, der professionellen Beherrschung des Flugverhaltens, sondern in der vom Veranstalter gebotenen Möglichkeit, unter dem Beifall des Publikums seine körperliche Überlegenheit an einem Menschen zu demonstrieren, der sich dies gegen Geld gefallen und wie ein Objekt behandeln läßt. Ein solcher Umgang mit Menschen ist herabwürdigend und trägt nicht zuletzt das beachtliche Risiko des Abbaus von Hemmschwellen im Umgang mit anderen Menschen in sich. Allein das Werfen eines Menschen wie ein Sportgerät begründet deshalb bereits das Urteil der Sittenwidrigkeit. Im konkreten Fall kommt als besonders anstößiges Moment hinzu, daß es sich bei dem Geworfenen um einen kleinwüchsigen Menschen handelt, wobei in diskriminierender Weise dieser als "Zwerg" und die Veranstaltung als "Zwergenweitwurf" bezeichnet wird. (vgl. VG Neustadt NVwZ 1993, 98f.) 41 A. VI. Beurteilungsspielraum (1) Unterfall des unbestimmten Rechtsbegriff, d.h. einer auslegungsbedürftigen Bestimmung auf der Tatbestandsseite einer Norm Besteht nur in besonderen Fällen, wenn es sich um Wertentscheidungen der Verwaltung handelt, die aufgrund besonderer Umstände der Entscheidungsfindung nicht oder nur eingeschränkt (vom Gericht) nachvollzogen werden können Nur in bestimmten Fallgruppen anerkannt 42 A. VI. Beurteilungsspielraum (2) Fallgruppen, für die die Existenz eines Beurteilungsspielraumes anerkannt ist: Prüfungs- und prüfungsähnliche Entscheidungen (z.B. Abitur-, Universitäts- oder Laufbahnprüfungen; Versetzung ins nächsthöhere Schulklasse); Beamten- und soldatenrechtliche Beurteilungen; Prognoseentscheidungen und Risikobewertungen, insbesondere im Umwelt- und Wirtschaftsrecht; Wertentscheidungen fachkundiger Gremien (z.B. Indizierung durch Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften) 43 A. VI. Beurteilungsspielraum (3) Im Gegensatz zum unbest. Rechtsbegriff nur eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit, z.B. dahingehend, ob Verfahrensvorschriften gewahrt wurden (z.B. ob eine Prüfung zeitlich nicht kürzer als angekündigt stattgefunden hat); einer Entscheidung falsche Tatsachen zugrunde gelegt wurden (Prüfer verwechselt Aufgabenstellung); Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 I GG vorliegt (Redezeiten in mündlicher Gruppenprüfung); sachfremde oder willkürliche Erwägungen ausschlaggebend waren; allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze oder –maßstäbe beachtet wurden. 44 A. VI. Beurteilungsspielraum (4) Wie bei Ermessenentscheidungen dürfen Gerichte aber nicht Entscheidung selbst treffen, sondern müssen Sache an Behörde zurück verweisen, die unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts dann erneut entscheiden müssen Im Einzelfall ist auch eine Reduktion des Beurteilungsspielraums auf Null denkbar (Bsp.: Rechenfehler bei Ermittlung der Gesamtnote einer aus mehreren Teilnoten bestehenden Prüfung  nur ein Ergebnis korrekt); hier darf das Gericht im Ausnahmefall die begehrte Rechtsfolge unmittelbar selbst aussprechen 45 A. VI. Objektiv öffentliches Recht (1) Objektiv öffentliches Recht ◦ Summe aller geschriebenen und ungeschriebenen Rechtssätze, die dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind ◦ Häufig werden dem Normadressaten zu erfüllende Verpflichtungen auferlegt ◦ Bsp.: Nach Art. 20a GG ist der Staat verpflichtet, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen; die Gemeinden müssen nach § 1 III 1 BauGB Bauleitpläne aufstellen (ACHTUNG: Beschluss vom 24. März 2021, 1 BvR 2656/18, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20, 1 BvR 288/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 78/20 = ökologisches Existenzminium. Hier findet aktuell eine Wende hin zur Entwicklung eines Subj.-öff. Rechts statt.) ◦ Verpflichtung des Staates aus diesen Normen bedeutet aber noch nicht, dass Bürger auch einen Anspruch gegenüber dem Staat auf Tätigwerden haben 46 A. VI. Subjektiv öffentliches Recht (2) Subjektiv öffentliches Recht ◦ Rechtsnorm, die nicht nur objektive (allgemeine) Rechtspflichten statuiert, sondern auch hierauf gerichtete Ansprüche (auf ein staatliches Tun, Dulden oder Unterlassen) begründet ◦ Bsp.: § 1 BAföG lautet: „Auf individuelle Ausbildungsförderung besteht […] ein Rechtsanspruch“. ◦ Ob eine Rechtsnorm ein subjektiv öffentliches Recht statuiert, ist im Zweifelsfall anhand der sog. „Schutznormtheorie“ zu ermitteln  „Eine Rechtsnorm gewährt ein subjektiv öffentliches Recht, wenn sie zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen zu dienen bestimmt ist.“ ◦ Prozessrechtlicher Hintergrund: Nach z.B. § 113 I 1 VwGO ist eine Anfechtungsklage nur begründet, wenn der angegriffene VA rechtswidrig ist und den Kläger in seinen individuellen Rechten verletzt 47

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