Frauengeschichte Mittelalter zum drucken PDF

Summary

This document is a research paper about medieval women's history. It discusses the historical context of women and gender roles during the Middle Ages, touching on different perspectives and interpretations. It also includes a section about the history of research in this field.

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**[Frauengeschichte Mittelalter]** 1. **Einführung in die mediävistische Frauen- und Geschlechtergeschichte** Die vielschichtige historische Frauen- und Genderforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten als anerkannte Disziplin innerhalb der Geschichtswissenschaften etabliert und auch in de...

**[Frauengeschichte Mittelalter]** 1. **Einführung in die mediävistische Frauen- und Geschlechtergeschichte** Die vielschichtige historische Frauen- und Genderforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten als anerkannte Disziplin innerhalb der Geschichtswissenschaften etabliert und auch in der Mediävistik ihren Platz gefunden. Ihr Anspruch war und ist, einer männerdominierten Geschichtsschreibung auch die weibliche Sicht an die Seite zu stellen und den Frauen in der Geschichte einen neuen Stellenwert einzuräumen. 1. **Frauengeschichte** - Frauen früherer Zeiten um ihres Geschlechtes willen zu betrachten, ist eine Errungenschaft und Ausdruck einer modernen Geschichtswissenschaft, die seit den 1970er- und 1980er- Jahren im deutschsprachigen Raum an Intensität gewinnt. - Frauengeschichte ist in ihren Anfängen eine Forderung der feministischen Geschichtswissenschaft, verstanden als „historische Forschung am Leitfaden des Interesses an der Befreiung der Frau". „Tragische und heroische Geschichtsschreibung": - Das Bild der unterdrückten, minderwertigen und entrechteten Frau einerseits und jenes der starken, heroisch und männlich agierenden Frau andererseits ist mittlerweile mit Hilfe einer differenzierten und auch entemotionalisierten Vorgangsweise relativiert worden - Soziale Gruppenzuordnung: z. B. Bäuerinnen, Bürgerinnen, Adelige. - Lebensstationen: Kindheit, Jugend, Ehe, Witwenschaft, Klostereintritt. - Zeit- und ortsgebundene Rahmenbedingungen. 2. **Geschlechtergeschichte** - Den „Mann im Mittelalter" gibt es ebenso wenig. Es sind immer Männer in unterschiedlichen Lebenssituationen und Lebensmodellen, die zeit- und ortsgebundenen Rahmenbedingungen unterworfen sind. - Männer und Frauen stehen in wechselseitigen Beziehungsverhältnissen und Abhängigkeiten, die nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. - Women´s Studies und Men´s History zu verbinden, ist eine zentrale Forderung und ein Kernziel der Geschlechtergeschichte. - Geschlechtergeschichte ist aber keine Teildisziplin der Geschichte, sondern eine Perspektive, eine historische Kategorie. - bezogen auf alle Lebensbereiche, Gesellschaftsstrukturen und Ausdrucksformen, - anhand der Quellenüberlieferung und mit den Methoden, die der Geschichtswissenschaft und anderen historisch arbeitenden Disziplinen (z. B. Archäologie, Anthropologie, Kunstgeschichte, Theologie usw.) zur Verfügung stehen, - Denk-und Handlungsweisen von Frauen und Männern, - ihre Rollen und ihr Verhalten aufgrund des Geschlechts - und die Beziehung der Geschlechter im historischen Wandel. - Frauen- und Geschlechtergeschichte ist Teil der Geschichtswissenschaft und damit deren Methoden verpflichtet. - Frauen- und Geschlechtergeschichte ist zeitspezifisch und im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu verorten. Die Frage nach den Frauen und Männern in der Geschichte ist daher stets auch eine Frage nach der Gesellschaft an sich. - Gender ist eine historische Kategorie, aber nicht die einzige und im Mittelalter auch nicht die wichtigste. - Geschlecht und Geschlechtsbindung sind keine biologischen Konstanten, sondern historische Kategorien und daher Bestandteil zeitspezifischer, sind wandelnder Strukturen und Werte. 3. **Forschungsgeschichte** In den 1970er- und 1980er-Jahren kennzeichnen vor allem allgemeine Gesamtdarstellungen (Shulamit Shahar, Edith Ennen) zur Geschichte der Frauen sowie zum Teil sehr ergiebige Quellensammlungen (Ketsch) die moderne Frauengeschichte. - Edith Ennen, Frauen im Mittelalter, München 1984 (6. Auflage 1999) - Shulamit Shahar, Die Frau im Mittelalter, Königstein 1981. - Peter Ketsch/Annette Kuhn (Hg.), Frauen im Mittelalter 1: Frauenarbeit im Mittelalter, Düsseldorf 1983. - Peter Ketsch/Annette Kuhn (Hg.), Frauen im Mittelalter 2: Frauenbild und Frauenrechte in Kirche und Gesellschaft: Quellen und Materialien, Düsseldorf 1984. - Edith Ennen lehnte eine „feministisch inspirierte" Geschichtswissenschaft ab. Sie sah darin eine zu starke gegenwartspolitische Motivation, die eine vorurteilsfreie Quelleninterpretation verhinderte. - „Frauengeschichte" wurde aber sehr schnell konzeptionell weitergeführt hin zu einer methodisch fundierten, innovativen und produktiven „Geschlechtergeschichte" sowie einer neueren Männergeschichte. - Auch das von Gegner der Frauen- und Geschlechtergeschichte in den Anfängen vorgebrachte Argument einer zu schmalen Quellengrundlage hat sich als Irrtum erwiesen. In dem von Bea Lundt 1991 herausgegebenen Sammelband „Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter" (https://digi20.digitale sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00043506\_00001.html ) fanden sich sehr viele Frauen. - Sex = das biologische Geschlecht. - Gender = das kulturell konstruierte soziale Geschlecht. Geschlecht ist ein kulturell variabler Faktor. - Zu Debatten führte die Feststellung, dass Geschlecht im Mittelalter bzw. in vormodernen Gesellschaften nicht wie in der Moderne die dominante Kategorie ist, um die agency von Männern und Frauen zu erklären. Geschlecht ist in mittelalterlichen Kontexten ein Faktor neben anderen. Stand, Alter, Herkunft, Religion und Recht sind weitere Grundlagen für Handlungen und Machtverhältnisse. - Biographische Einzeldarstellungen zu „Ausnahmefrauen", wie sie in der älteren Forschung vertreten sind, sind gruppenspezifischen Analysen gewichen. Besonders deutlich wird das in der sogenannten Queenship-Forschung. Auch Fürstinnen als soziale Gruppe sind mehrfach Gegenstand wissenschaftlicher Studien geworden. 4. **Deutungsdebatten** Beispiel 1: These von Jo Ann McNamara und Suzanne Wemple, das um 1000 der strukturelle Wandel auch zu einer Benachteiligung der (adeligen) Frauen geführt habe. Bis ins 11. Jahrhundert seien adelige Frauen reich und mächtig gewesen mit umfangreichem Besitz und unbeschränkten Handlungsfreiheiten. Die hierarchische Festigung von Kirche, Staat und Gesellschaft, der Aufbau von Ämtern und der Ausschluss der Frauen aus Universitäten und Bildung habe die Ungleichwertigkeit der Geschlechter vergrößert und die Situation von Frauen gegenüber Männern verschlechtert. Dieser verallgemeinernden Argumentationslinie ist vielfach widersprochen worden, zugunsten einer differenzierten Sichtweise. Die Diskussion führte u.a. auch zu der Frage nach der Sinnhaftigkeit von Thesenbildungen, die Wandlungsphänomene zum Besseren oder Schlechteren ausmachen wollen. Beispiel 2: Die getrennten Lebensräume von Frauen (weiblich-private Räume) und Männern (männlich-öffentliche Räume) als Erklärungsmuster der Geschlechterverhältnisse. Diese Dichotomisierung (Zweiteilung, Trennung) und Komplementierung der Geschlechter in eine private und öffentliche Sphäre wurde für vormoderne Gesellschaften kritisch hinterfragt. Binär (privat öffentlich) angelegte Erklärungsmuster für die Beschreibung des historischen Wandels der Geschlechterverhältnisse werden nun als ungeeignet angesehen. Stattdessen ist vielmehr von Vielfalt und Heterogenität auszugehen. Diese Perspektive prägt die weitere Forschung. 2. **Periodisierung des Mittelalters** - Epocheneinteilung ist ein konstantes Problem der historischen Wissenschaften. - Im Falle des Mittelalters hat sich durchgesetzt, diese Epoche zwischen 500 und 1500 anzusiedeln. - Diese 1000 Jahre Mittelalter sind aber kein statischen System, weshalb es sinnvoll ist, eine zeitliche Binnengliederung einzuführen: - Frühmittelalter (6. Jh. bis ca. 900) - Hochmittelalter (ca. 900 bis ca. 1250) - Spätmittelalter (ca. 1250 bis ca. 1500 5. **Anfang** - 313 Edikt von Mailand - 375 Beginn der Völkerwanderung/Hunnensturm - 391 Christentum Staatsreligion (Theodosius I.) - **476 Absetzung des Romulus Augustulus** - 529 Monte Cassino/Ende der Akademie in Athen - 568 Landnahme der Langobarden - 622 Hedschra (Flucht Mohammeds von Mekka nach Medina) - 800 Kaiserkrönung Karls des Großen 6. **Ende** - 1453 Untergang Konstantinopels - Ca. 1450 Buchdruck - 1492 Entdeckung Amerikas - 1517 Thesenanschlag Martin Luthers - 1525 Bauernkriege 7. **Begriff „Mittelalter"** - Christoph Cellarius (1634 -- 1707): *Historia universalis breviter ac perspicue exposita, in antiquam, et medii aevi ac novam divisa, cum notis perpetuis* (kurz auch „**Historia tripartita").** - Humanismus: Petrarca (1304 -- 1374): *tenebra zwischen nova et antiqua aetas;* 1373 *erstmals medium tempus.* 8. **Überall ist Mittelalter** - Städtewesen - Europäische Staatenwelt - Kirchliche Institutionen - Parlamente - Universitäten - Burgen, Kirchen, Städte, Siedlungsformen - Feste - Namensformen 3. **Geschlechterordnungen im Mittelalter** - Was bedeuteten die Kategorien Frau und Mann, weiblich und männlich nach mittelalterlichem Verständnis? - Was waren die gemeinsamen Charakteristika von Frauen und Männern? - Was waren die unterschiedlichen Charakteristika von Frauen und Männern? - Verhielten sich die Geschlechter polar oder komplementär, gleichrangig oder hierarchisch zueinander? Zu berücksichtigen ist die Vielfalt an Konzeptionen: Weder im naturwissenschaftlich-naturphilosophischen, im medizinischen noch im theologischen Diskurs oder im populären Denken waren die Auffassungen über die geschlechtsspezifischen Wesenszüge von Frauen und Männern übereinstimmend. Ausgangspunkt der meisten Konzepte war die Annahme, dass der Mensch durch zwei Geschlechter repräsentiert wird. Diese Zweigeschlechtlichkeit kommt in der feststehenden Bezeichnung homines utriusque sexus zum Ausdruck. 1. **Frauenbild der Bibel und in theologischen Texten** Das Neue Testament kennzeichnet eine frauenfreundliche Haltung. Von Jesus sind keine diskriminierenden Äußerungen oder geschlechts spezifische Wertungen überliefert. - Das kirchliche Frauenbild basiert auf Aussagen in der Bibel und der Kirchenväter. Die widersprüchlichen Wertungen führten zu unterschiedlichen Interpretationen durch mittelalterliche Theologen und Philosophen. - Die frühchristliche Kirche betont dann allmählich die Ungleichheit von Frauen und Männern und beruft sich u. a. auf die Argumentation des Apostel Paulus, nach der die Frau dem Mann untertan ist 1. **Frauenbild -- Gottesebenbildlichkeit** Basis der Auslegung sind die zwei Fassungen des Schöpfungsberichts. Nach der jüngeren Darstellung schuf Gott den Mensch nach seinem Abbild als Mann und Frau. Nach dem älteren Bericht schuf Gott zuerst den Mann und dann aus dessen Rippe die Frau. Demnach war nur der Mann Gottes Ebenbild, die Frau ein Abbild des Mannes. Gleichheit und Differenz standen einander gegenüber! - Die Auslegung der Kirchenväter, vor allem des hl. Augustinus (354-430), bestimmten das kirchliche Frauenbild. Sie vermengten die patriarchalischen Normen ihrer Umwelt mit ihrem Verständnis von Christentum. - Aus Evas Erschaffung aus Adams Rippe folgerten viele Theologen, dass die Frau dem Mann von Anfang an nach- und untergeordnet gewesen sei. Andere (Hugo von St. Victor, Thomas von Aquin) sahen das Verhältnis von Mann und Frau als eine partnerschaftliche Verbindung. Eva sei als Adams Gefährtin geschaffen worden. - Augustinus (und auch Thomas von Aquin) bewerten aber auch die Frau als Gehilfin des Mannes nur in Hinblick auf die Fortpflanzung. 2. **Frauenbild -- Eva und der Sündenfall** Neben der Gottesebenbildlichkeit wurde der Sündenfall zur Erklärung des Geschlechterverhältnisses herangezogen. Erst die Vertreibung aus dem Paradies unterwarf die Frau der Gewalt des Mannes. Ohne Sündenfall wäre die Frau eine gleichwertige Partnerin des Mannes geblieben (so Augustinus). Andere Theologen interpretierten den Sündenfall als Verschärfung der Unterordnung der Frau. Mit Evas Verführbarkeit verband sich die Annahme einer spezifisch weiblichen Schwäche. Frauen waren minderbegabt und moralisch gefährdet. In ihrem Körper dominiert das Gefühl gegenüber dem Verstand. 3. **Frauenbild** - Die Lehrmeinungen mittelalterlicher Theologen zum Geschlechterverhältnis wurden vor allem in den frühen Phasen feministischer und frauengeschichtlich orientierter Theologie und Geschichtswissenschaft pauschal als frauenfeindlich und diskriminierend charakterisiert. - Angesichts der Pluralität der Meinungen berücksichtigt die Forschung den jeweiligen religiösen und sozialen Kontext (androzentrisches Weltbild, patriarchale Gesellschaftsstrukturen). 4. **Wirkmacht des kirchlichen Frauenbildes** Denkfiguren der Gleichheit bzw. Ungleichheit der Geschlechter flossen in kirchliche Rechtssätze sowie in die Vorstellung idealer weltlicher und geistlicher Lebensführung ein: - Frauen waren zwar von allen kirchlichen Ämtern und liturgischen Funktionen ausgeschlossen, in der Praxis erteilten Äbtissinnen oder religiös lebende Frau den Segen, lehrten und predigten. - Kirchliches Eherecht und Verhaltensvorschriften für Eheleute wiederum vereinbarten den Grundsatz, dass der Mann der Frau übergeordnet sei, jedoch in den Rechten und Pflichten ehelicher Lebensführung gleichgestellt sei. - Die Grundsätze christlicher Lebensführung unterschieden nicht nach Geschlecht. 2. **Frauen und Männer in medizinischen Texten** - Grundsatz einer hierarchisch geordneten Geschlechterdualität: Mann ist höherwertiger als die Frau. Geschlechter ergänzen sich. - Vorbild der naturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Geschlechtern waren die seit dem 11. Jh. wieder intensiver rezipierten medizinischen und naturphilosophischer Texte antiker Gelehrter (Platon, Aristoteles, Hippokrates, Soran von Ephesos, Galen). - Im Frühmittelalter hingegen war das Wissen vom menschlichen Körper dürftig. Bestimmend war die Auslegung Isidors von Sevilla (560-636) in seinen „Etymologien", wo er auch die Unterschiede der Geschlechter thematisiert. **3.2.1. Vier-Säfte-Lehre** Grundlage der medizinischen Geschlechterdifferenz war die von der Antike (vor allem vom griechischen Arzt Galen von Pergamon) übernommene Vier-Säfte-Lehre (Humoralphathologie): - Im Körper zirkulieren heiße, kalte, trockene und feuchte Säfte, die mit den vier Elementen korrespondieren. - In jedem Menschen dominiert einer der Säfte und bestimmt seinen Charakter (sanguinisch, phlegmatisch, cholerisch, melancholisch). - Konstellation der Säfte bei Frauen feucht-kalt (schwächer), bei Männern trocken warm (vollkommener) **3.2.2. Weibliche und männliche „Natur"** Hinsichtlich des generativen Beitrags von Mann und Frau gab es zwei aus der Antike übernommene und gegensätzliche Lehren: - Nach Hippokrates und Galen wirken bei der generatio Frau und Mann gleichwertig zusammen (Zwei-Samen-Theorie). - Nach Aristoteles übernimmt der Mann die aktive und formende Rolle, die Frau stellt nur die Materie bereit und hat die passive Rolle. Diese Theorie wurde vor allem von Thomas von Aquin vertreten. **3.2.2. Nicht nur Geschlechterdualität?** - In medizinischen Texten findet sich die Beobachtung abweichender Formen von der weiblichen und männlichen Norm (maskuline Frauen und feminine Männer). - Zur Erklärung diente die Lage des Fötus. Sie bestimmt nicht nur das Geschlecht des Kindes, sondern auch die Ausprägung weiblicher oder männlicher Merkmale: In der rechten warmen Kammer des Uterus entsteht ein Bub, in der linken, kalten ein Mädchen, hingegen in der mittleren Kammer ein Hermaphrodit (Doppelgeschlechtlichkeit). Dazwischen gibt es je nach Wärmeeinwirkung einen weiblichen Mann oder eine männliche Frau. - Geschlechtliche Abweichung von der als ideal angesehenen Norm werden in medizinischen und naturkundlichen Texten als Naturphänomene akzeptiert. - Hingegen gehen religiös-belehrende Texte und auch die weltliche Literatur vehement gegen jede Unordnung in den Geschlechterrollen vor Bilder:Runkelstein, Reigentanz und Ballspiel, um 1390 3. **Maria -- das weibliche Ideal** - Maria, die jungfräuliche Mutter Gottes, ist für das Verständnis der Mentalität der Frauen ebenso wichtig wie das Gegenbild der Eva. - Maria verkörpert die ideale Frau. - Maria ist die Befreierin von der Erbsünde und kompensiert den Sündenfall Evas Seit dem 12. Jahrhundert intensiviert sich die Marienverehrung. Maria repräsentiert Gnade und Milde und wird zur Fürsprecherin der Menschen bei Gott - Das Bild der Jungfräulichkeit Marias erfährt eine Vermenschlichung und ihre Rolle als liebevolle Mutter gewinnt an Bedeutung. - Maria vereint Tugenden wie Keuschheit und Reinheit mit Mütterlichkeit und Hilfsbereitschaft und wird so zum Vorbild für Frauen aller Gesellschaftsschichten. - Das Ideal der Muttergottes wertet das gesellschaftliche Ansehen der Frauen auf. 4. **Die höfische Literatur und ihr Frauenbild** - Das Rittertum wurde zum Träger einer neuen höfischen Kultur mit neuen ethischen und sozialen Normen, die die Distanz zu den anderen gesellschaftlichen Gruppen verfestigte. - Minnekult und Frauendienst spielten eine zentrale Rolle und werden vor allem in der höfischen Literatur transportiert. - In Abgrenzung zur asketischen und frauenfeindlichen Haltung der Kirche zeichnet die höfische Literatur ein neues Frauenbild. Sie wird idealisiert und aufgewertet (auch gegenüber dem Mann). - Tugenden der höfischen Frau: Treue, Keuschheit, Ehre, Milde, Güte, Freude. In der Hohen Minne dient der höfische Mann der verehrten, meist verheirateten Frau. Ihretwegen besteht er Abenteuer, gewinnt im Turnier etc. Nur durch sie wird er zum tugendhaften Ritter und kann Ruhm und Ehre gewinnen. Der Minnelohn besteht in der Aufwertung des Ritters oder aber in der Aufnahme einer echten Beziehung zur Frau. Das wäre aber Ehebruch gewesen, weshalb der Wunsch des Ritters meist unerfüllt bleiben muss. - Der Konflikt zwischen Minnedienst und Ehebruch führt zu einer Konzeptänderung: Ziel der Minne wird nun zunehmend die unverheiratete Frau oder die eigene Ehefrau. Damit wird das Verhältnis der Ehepartner zum Minneverhältnis: Der Mann dient der Frau, sie berät und fördert ihn. - Aber das höfische Frauenbild erfährt eine Änderung: Sie ist nun nicht mehr die unerreichbare Minneherrin, sondern die fürsorgliche Ehefrau, die ihrem Ehemann treu ergeben ist. - In den höfischen Epen und in der Minnelyrik bleibt aber der Mann die zentrale Figur, die Frau ist Werkzeug. Ihre Glorifizierung soll die Leistungen des Mannes zum Beispiel im Kampf rechtfertigen. Er kämpft zu Ehren der Frau. In der Minnelyrik ist die Frau ein Konstrukt des Mannes, eine austauschbare Abstraktion. - Dennoch: die sittliche Überhöhung der Frau in der höfischen Literatur steht im Gegensatz zur Abwertung der Frau in der mittelalterlichen Theologie. Sie betont auch die Geschlechtsliebe und gegenseitiger Zuneigung. - Der sittliche Vorrang der Frau in der höfischen Literatur bedeutet aber keine soziale oder rechtliche Emanzipation. 5. **Frauen und Männer in der mittelalterlichen Märendichtung** - Märe = Texte in Versform mit belehrendem Erzählcharakter. 1250-1500 sind ca. 220 Texte bekannt. Zielgruppe ist das adelige und bürgerliche Publikum. Dienen der Unterhaltung und Belehrung. Das Verhältnis der Geschlechter spielt eine große Rolle. - Ambivalentes Frauenbild. Selten werden Frauen als moralisch integer und liebevolle Ehefrauen gezeichnet. Häufiger werden sie diesen Ansprüchen nicht gerecht. Frauen werden als verschlagen und untreu dargestellt, die ihre Männer zum Narren halten und die männliche Autorität in Frage stellen. - Ein Drittel der Mären thematisiert Ehebruch, meist von Seiten der Frau - In den Ehebruchsgeschichten sind Frauen die Hauptakteurinnen, Liebhaber und Ehemänner sind ihnen ausgeliefert. Meist bleibt der Ehebruch unentdeckt. Märendichter verurteilen aber nicht das moralische Vergehen, sondern die weibliche List und den Angriff auf die männliche Autorität. - Zahlreich sind die „übel-wip"-Geschichten, in denen Frauen sich den Männern widersetzen, ihn beschimpfen und demütigen. Dagegen haben sich die Männer zu wehren, um die männliche Herrschaft in der Ehe wieder herzustellen. - In den Mären wird aber die grundsätzlicher Unterwerfung der Frau unter den Mann nicht bezweifelt. Nur im Haus hat sie Verfügungsrechte und kann ihn bei Abwesenheit auch nach außen vertreten. Aber der Mann bleibt der dominierende Part. - Bei Eheschließungen bleibt die Braut passiv und Rechtsobjekt. Selten wird der emotionale Ehekonsens beider Partner verlangt. Wenn, dann ändert es meist tragisch. 4. **Einfluss des Klimas auf die demographische Entwicklung** - Die klimatischen Gegebenheiten beeinflussten die landwirtschaftlich geprägte Lebenswelt des Mittelalters massiv. Naturkatastrophen, Missernten und Hungersnöte hatten Auswirkungen auf die Geburtenhäufigkeit und die Sterblichkeit. - 500 bis 1200: warmes Klima mit trockenen Sommern und milden, feuchten Wintern. Gesteigerte Ernteerträge bedeuteten bessere Ernährung und eine höhere Lebenserwartung. In diesen Jahrhunderten wuchs die Bevölkerung. - Ab dem 13. Jahrhundert wird das Klima zunehmend kälter, für die Zeit von 1550 bis 1850 spricht man sogar von der „kleinen Eiszeit": Kalte Winter und verregnete Sommer - Die Klimaverschlechterung machte Wein- und Weizenanbau unmöglich, Siedlungen in den Alpen wurden aufgegeben; Ernteausfälle führten zu Hungersnot und Krankheit. Die Wohn- und Lebenssituationen wurden beschwerlicher. - Klimatische Veränderungen wirken sich nicht nur schichten-, sondern auch geschlechts- und altersspezifisch aus. - Zur Erklärung von Wetterphänomenen, die Krisen und soziale Spannungen verursachten, suchten die mittelalterlichen und neuzeitlichen Menschen Schuldige und Verantwortliche. - Die Hexenverfolgung (1560-1630), die Männer und Frauen betraf, fällt daher in eine Zeit schlechter klimatischer Verhältnisse und Agrarkrisen. 9. **Bevölkerungsentwicklung** Die demographische Entwicklung im mittelalterlichen Europa beruht auf Schätzungen. Zuverlässiges statistische Material gibt es nicht. - ![](media/image2.png)Spätantike: 16,8 Mio- - Frühmittelalter: 11,9 Mio - Um 1000: 23,7 Mio- Mitte 14. Jahrhundert: 53,9 Mio - Nach 1348 (Große Pest): 37 Mio - Seit Mitte 15. Jahrhundert wieder Bevölkerungsanstieg - Wachstumskurve zeigt Tiefpunkte im 6. und 14. Jahrhundert. Infektionskrankheiten verursachten den Bevölkerungseinbruch. - Hungerkrisen wirkten sich auf die Bevölkerungsentwicklung hingegen geringer aus, weil sie vor allem kleine Kinder und alte Menschen betraf. Reproduktionsfähige Männer und Frauen überlebten eher und konnten Verluste relativ rasch ausgleichen. - Mangelernährung und Hunger beeinflussten aber grundsätzlich Krankheitsanfälligkeit, Fruchtbarkeit und Sterbealter. 10. **Bevölkerung und Landesausbau** Das mittelalterliche Bevölkerungswachstum verändert auch die Siedlungsverhältnisse in Europa: - Dünne Besiedelung im Frühmittelalter mit großflächigen Waldgebieten. - Bevölkerungszunahme erfordert seit Ende des 11. Jahrhunderts die Erschließung neuer Siedlungsräume (Rodung, Trockenlegung, Höhensiedlungen). - Dadurch ändern sich die Gesellschaftsstrukturen, die Wirtschafts- und Herrschaftsformen. Die Menschen werden mobiler, Städte entstehen, Infrastrukturen werden ausgebaut (Straßennetz), Abhängigkeiten in der Grundherrschaft gelockert. 11. **Alterstrukturen** - Wichtige Basis sind die archäologisch-anthropologischen Befunde von Skelettuntersuchungen aus mittelalterlichen Gräberfeldern. - Die mittelalterliche Bevölkerung bestand zwischen 45 % und 60 % aus Kindern und Jugendlichen (unter 20 Jahre). Über 60 Jahre waren ca. 12 %. - Durchschnittliche Lebenserwartung 30-35 Jahre. Diese niedrige Zahl geht auf die hohe Kindersterblichkeit zurück. - Auf 105 Buben kommen 100 Mädchen. Der Unterschied gleicht sich bis ins Alter von 4-6 Jahren aus (höhere Sterblichkeit bei Buben). - Im Erwachsenenalter erreichen weniger Frauen als Männer das 40. Lebensjahr. Über 40 wurden mehr Frauen als Männer über 60 Jahre alt. Es handelt sich hier um Tendenzen. Schichtenzugehörigkeit, ländliches oder urbanes Umfeld spielen bei den quantitativen Geschlechterverhältnissen eine Rolle. 12. **Überlebenschancen von Mädchen und Buben** - Hohe Kindersterblichkeit zwischen 0 und 7 Jahren. - Höhere Überlebenschancen zwischen 10 und 14 Jahre, ebenso im juvenilen Alter bis ca. 20 Jahre. - Im vorpubertären Alter ist die archäologische Geschlechtsbestimmung schwierig. Geschlechtsbezogene Grabbeigaben helfen weiter, diese hören aber im Hochmittelalter auf. - Geschlechtsunterschiede bei der kindliche Sterberate ist daher höchst interpretativ. - Die Beobachtung, dass Söhne gegenüber Töchtern in allen sozialen Schichten bevorzugt wurden, führt zur Annahme, dass Söhne mehr „Elterninvestment" bekamen als Töchter. - Diese These lässt sich aber nur eingeschränkt belegen (Mädchenüberschuss in italienischen Findelhäusern, Versorgung der weiblichen Babies durch aushäusige und billigere Ammen, längere Stillzeit für Buben). Ungleicher Fürsorgeaufwand galt auch für jüngere Geschwister und ist nicht nur ein geschlechtsspezifisches Phänomen. - Ebenfalls nicht verifizierbar ist die verbreitete Ansicht, Mädchen seien im frühen Mittelalter regelmäßig getötet worden. - Kindstötungen unabhängig vom Geschlecht gab es aber (für körperlich beeinträchtigte oder schwächliche Säuglinge, unehelich geborene Kinder). - Schwer quantifizierbar sind die verdeckten Kindstötungen. - Kindstötung wurde von der Kirche schwer verurteilt. - ![](media/image4.png) Alternativen zur Kindstötung war die Kindesaussetzungen durch die Mütter. Sie häuften sich Ende des Mittelalters. Aufnahme fanden die Kinder in Findel- und Waisenhäusern oder bei Pflegeeltern. - Für kontrazeptive Maßnahmen, Abtreibung, Kindstötung und Kindesaussetzung wurden den kirchlichen Strafbestimmungen zufolge Frauen zur Rechenschaft gezogen. Die Verantwortung lag bei den Frauen, während sich Männer kaum darum gekümmert haben dürften. - Gefährdung durch Unfälle galt für beide Geschlechter. In der gemeinsamen Sozialisationsphase bis zum 7. Lebensjahr ist das Risiko ausgeglichen. - Danach beginnt die geschlechtsspezifische Ausbildung, die Buben höheren Unfallgefahren aussetzte (sportliches Training, Mobilität, Kriegseinsatz, Hirtenarbeit, Raufereien und Gewalt). Mädchen waren mehr ans Haus gebunden, hatten aber schichtenspezifisch oft ähnliche Aufgaben als Buben. - Ungleichgewicht der Überlieferung lässt das Unfallrisiko für Buben proportional höher erscheinen (Autobiographien, Heiligenviten). - Hohes Risiko für junge Mädchen durch frühe Schwangerschaften. - Volljährig und geschlechtsreif waren Mädchen nach dem Kirchenrecht und weltlichen Rechtstexten mit 12 Jahren (Buben mit 14). - Heiraten im adeligen Milieu häufig mit 12 Jahren, erste Schwangerschaften hingegen ab ca. 14. Jahren. - Mädchen aus unteren sozialen Schichten waren wegen körperlicher Belastung und Mangelernährung später geschlechtsreif. 13. **Trauerverhalten beim Tod von Kindern** Geschlechtsspezifischer Unterschiede sind im Trauerverhalten nicht verallgemeinernd festzustellen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Tod eines Kindes von den Eltern betrauert wurde (sorgfältige Bestattung von Kleinkindern, schriftliche Trauerklagen, Grabmäler). Abb.: Kapitell von Vezelay (um 1140). Ein Bauer betrauert sein totes Kind und hofft auf ein Wunder des hl. Benedikt. „In Dunkelheit hast du, meine Lucia, deinen Vater zurückgelassen, nachdem du, meine Tochter, mir aus dem Licht in die Finsternis entrissen worden bist. Oder weilst du gar nicht in der Finsternis, hast sie schon verlassen, und strahlst klar inmitten der Sonne? So sehe ich dich am Himmel, meine Tochter; siehst auch du deinen Vater? Oder schafft sich dein Vater nur ein Trugbild? Nun deckt dich dieses Grab und kann den Schmerz über den grausamen Tod nicht lindern. Im Staub wohnt kein Leben mehr; doch wenn ein Teil von dir am Leben ist, so schätze dich glücklich, mein Kind, dass dich der Tod in der frühesten Jugend hinweggenommen hat. Wir aber führen ein Leben in Düsternis und Trauer: dies ist der Preis, meine Tochter, den ein Vater zahlen muss, wenn er Kinder hat." Totenklage des Humanisten Giovanno Pontano, 1498 5. **Erziehung und (Aus-)Bildung** - Bis zum 7. Lebensjahr Koedukation von Kleinkindern durch die Mutter oder weibliches Personal (Ammen, Kindermädchen, Erzieherin). - Säuglingspflege: Aufenthalt in dunklen Räumen (in den ersten Wochen), häufiges Baden, Fatschen (zur Vermeidung von Verformungen der Gliedmaßen). - Spielen als zentraler Faktor in der Kinderentwicklung bereits von Augustinus formuliert. Z.B. Bewegung und Spielen in der frischen Luft. - Geschlechtsspezifische Sozialisation durch Kinderspielzeug: - Buben: Steckenpferd, Schaukelpferd, Ritter- und Reiterfiguren, Schwertspiele etc.- - Mädchen: Puppen, Puppenwagen, Puppenstuben seit dem 13. Jahrhundert erhalten. - Rolle der Väter im Erziehungsalltag von Kleinkindern gegenüber jener der Mütter nachrangig. Autoritäts- und Respektsperson. Im bäuerlichen Bereich ist der Einfluss der Väter auf die Kindererziehung durch die höhere Präsenz intensiver. - Nach dem 7. Lebensjahr begann die geschlechtsspezifische arbeitsrelevante Ausbildung und Einbindung in die schichtenbezogenen Produktionsprozesse. - **Bäuerliches Milieu**: In der Regel keine Schulbildung für Buben und Mädchen. Erziehung und Ausbildung erfolgte im Elternhaus, getrennt nach den männlichen und weiblichen Aufgabenbereichen. - **Adel**: die Mädchenerziehung bot drei Varianten:- - Erziehung und Unterricht durch die Mutter oder eine Erzieherin. Unterweisung in den weiblichen Arbeitsbereichen (Textilherstellung, Handarbeiten), in die höfische Sitte, in Tanz, Musik oder das Spielen von Instrumenten, in fremde Sprachen (v.a. französisch) und in die höfische Literatur und Religion. - Ausbildung in einem Kloster als „Kostkind" (äußere Klosterschule). Von Seiten der Orden war das klösterliche Bildungsangebot für Mädchen, die nicht zum Kloster gehörten, allerdings nicht erwünscht. - Erziehung an einem fremden Hof mit dem üblichen Ausbildungsgang (höfisches Benehmen, höfische Tugenden etc.). - Berufschreiberinnen (z.B. die Augsburgerin Klara Hätzlerin, Mitte 15. Jh.) - Buchmalerinnen - Berufsdichterinnen - Übersetzerinnen Bilder: Christine de Pizan (1364-1429)- Autorin. Sie überreich ihr Werk der Königin Isabeau von Frankreich - Unterricht durch Hauslehrer und Erzieher in den Elementarkenntnissen der artes liberales mit Schwerpunkt auf der Rhetorik (Ausnahme: gründlichere Bildung für Söhne, die Geistliche werden sollten) und in der Religion. Lese- und Schreibkompetenzen gewinnen im Spätmittelalter an Bedeutung. - Ausbildung in Sport und Kampftechniken und in den höfischen Sitten. Unterweisung in Recht und Verwaltung. Abhärtung und Disziplin **Schule und Unterricht in der Stadt** Während adelige Kinder im häuslichen bzw. höfischen Umfeld geschult wurden, erhielten die Mädchen und Buben anderer sozialer Schichten Unterricht in schulischen Institutionen. Bis ins 13. Jahrhundert war Schule Aufgabe geistlicher Institutionen (Klosterschulen, Domschulen, Pfarrschulen), v. a. für geistliche Karrieren. Einrichtung von städtischen Schulen mit dem Aufstieg des Städtewesens und dem Bedürfnis des Bürgertums nach entsprechender Ausbildung ihrer Kinder (12./13. Jh). Im 14. Jahrhundert setzte ein Alphabetisierungsschub in den Städten ein. Ab ca. 1400 ist ein Aufschwung im Mädchenunterricht zu beobachten. Konkurrierende kirchliche, städtische, private, lateinische und deutsche Schulen unterschiedlicher Größe mit Schulmeistern und Schulmeisterinnen; meist getrennter Unterricht von Buben und Mädchen. Mädchen erwarben meist nur Elementarkenntnisse (3-4jährige Schulausbildung) ohne Latein. - Buben in der Stadt konnten nach der Elementarschule eine höhere Schule bis ca. 14/15 Jahren besuchen. - Dem schloss sich ein Universitätsstudium an, sofern die Eltern daran interessiert waren. Meist war es ein Artesstudium mit dem Baccalaureat als Abschluss (2 Studienjahre). Magister- und Doktorgrad wurde seltener angestrebt. - Mädchen waren an Universitäten nicht zugelassen 6. **Ehe und Partnerschaft** Ehe ist die kleinste Einheit der gesellschaftlichen Ordnung. Sie stellt eine vertraglich abgesicherte Bindung zwischen Individuen und Familienverbänden her. Funktionen der Ehe: - Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft. - Absicherung der familiären Kontinuität durch die Zeugung von Nachkommen (Erben, Nachfolger). - Stiftung von „Freundschaft" mit strategischen Partner, Stärkung politischer Allianzen. - Sozialer und wirtschaftlicher Aufstieg.- Im Adel auch Kulturaustausch (Stichwort: Kulturtransfer), territoriale Expansion. - Für Frauen war die Ehe (im Idealfall) eine soziale, vermögens- und erbrechtliche Absicherung. Die Kernfamilie mit Ehepaar und Kindern bildet den Mittelpunkt der Haushalts- und Familienorganisation. Kirchenrecht regelt Ehe und Eheleben: - christlich legitimierte, monogame und unauflösliche Ehe. - Eheverbindungen zwischen Verwandten bis zum vierten Grad, bei Schwägerschaft bis zu dritten Grad waren untersagt - Konsensehe: Die Brautleute mussten mit der Ehe einverstanden sein (ehemündig mit sieben Jahren). Der Einfluss der kirchlichen Reglementierung auf Eheschließungen dürfte in der Praxis weniger relevant gewesen sein, als in der älteren Forschung angenommen: - Häufig Heiraten ohne kirchlichen Segen. - Ehehindernisse des Kirchenrechts wurden vielfach ignoriert bzw. mittels Suppliken wurde an der päpstlichen Kurie um (nachträgliche) Legitimierung der Ehen angesucht und mittels Dispens auch gewährt. - Die päpstlichen Dispense waren andererseits auf dynastischer Ebene für den Papst auch ein politisches Instrument (Verweigerung konnte Ehen verhindern). Ehe war nicht zwingend der Normalfall weltlicher Lebensführung: - Untere soziale Schichten konnten aus finanziellen Gründen nicht heiraten. Alternative „Ehe auf Zeit" oder „klandestine (heimliche) Ehen" ohne Zeugen und Priester. - Gesellen unterlagen ebenfalls dem Heiratsverbot (lockert sich im 15. Jahrhundert). - Frauen mit unehelichen Kindern oder arme Witwen hatten schlechte Heiratsaussichten. - Eheschließungen sind vom sozialen Niveau der Beteiligten abhängig. 14. **Eheschließung und vermögensrechtliche Norm** Vereinbart wurden von den Familien der Braut und des Bräutigams das Heiratsgut der Braut: - **Mitgift** (Heimsteuer): Aufgabe der Familie der Braut. - **Widerlage**: Aufgabe der Familie des Bräutigams. - **Morgengabe**: sie erhielt die Braut nach der Hochzeit und nach dem Beilager. Das Heiratsgut gewährleistete eine Gütertrennung und damit eine gewisse vermögensrechtliche Unabhängigkeit der Eheleute voneinander. Vielfach sicherten gegenseitige Testamente das Auskommen der Witwe bzw. des Witwers ab Eheliche Geschlechterverhältnis: ungleiche Partner, die einander ergänzten und aufeinander angewiesen waren mit schichtenspezifisch unterschiedlicher Gewichtung (z. B. Nähe und Distanz). Z. B.: - Kaufmannsbetriebe erforderten enge familieninterne Zusammenarbeit und Fertigkeiten. - Komplementäre Aufgaben- und Rollenverteilung in der Landwirtschaft trennte hingegen stärker die Lebensbereiche zwischen Mann und Frau. - Im fürstlichen Adel bestimmte das Eheleben der Rahmen von Regierung und Hof. Gemeinsame Lebensführung eher die Ausnahme, Beispiele partnerschaftlichen Regierens gibt es aber. Mit der Heirat löste sich die Frau aus der Vormundschaft (Munt) des Vaters und wechselte in die Munt des Ehemannes Geschlechtsvormundschaft des Ehemannes bei Gericht und bei Geschäftstätigkeit wurde in der Praxis häufig durchbrochen. Zum Beispiel waren im städtischen Umfeld Frauen Zeuginnen oder Beisitzerinnen bei Gericht und waren geschäftsfähig. Im Adel bedeutete für die Frau der Übergang von der Herkunfts- in die Ankunftsfamilie eine tiefe Zäsur und stellte sie vor Integrationsprobleme (z. B. andere Kultur, andere Sprache). In der Stadt waren Eheschließungen im engeren familiären Umfeld die Regel (Geschäftspartner, Zunftgenossen) Für den Mann brachte die Heirat keinen vergleichbaren Einschnitt, was seine familiale Zugehörigkeit und seinen Rechtsstatus betraf. Wegen größerer Handlungsvollmachten waren Männer in der Regel weniger abhängig von ihren Frauen als umgekehrt. Haushalts- und Betriebsführung ging aber nicht ohne die Ehefrau. Das galt auch für die „generative" Arbeit. Auch Männer waren durch die kollektiven Strukturen nicht frei in ihren Entscheidungen und in ihrem Handeln. Partnerwahl, soziale Kontrolle und gesellschaftlicher Druck galten für Ehefrau wie Ehemann. Die Verwaltung des von der Frau in die Ehe eingebrachten Vermögen bedurfte deren Zustimmung. Vielfach ist aber aus den Gerichtsprotokollen missbräuchlicher Umgang des Ehemannes mit dem Vermögen der Frau belegt. **Ehe und Kirchenrecht:** - Gegenseitige Geduld, Rücksichtnahme und Kompromissbereitschaft wird von Seiten der Seelsorger für beide Ehepartner erwartet. Weiter: „In der Ehe gibt es nur ein Gesetz für Männer und Frauen". - Andererseits wird die Unterordnung der Frau unter den Mann nicht in Frage gestellt (Geschlechterhierarchie). - Eheliche Treue wird von Männern und Frauen erwartet. In der kirchlichen Rechtspraxis zeigt sich das in Bußstrafen bei Ehebruch für Frauen und Männer. Ehebruch ist auch ein Grund für eine Ehetrennung. Dennoch war Ehebruch der Männer eine übliche, wenig geahndete Praxis. - Einlösung der „ehelichen Pflicht" galt für beide Ehepartner. Enthaltsamkeit an kirchlichen Feiertagen und Fasttagen wurde aber von den kirchlichen Ehelehren erwartet. 15. **Ehetrennung** - Seit 1184 war die Ehe ein Sakrament und unauflöslich. - Seit dem 12. Jahrhundert im kanonischen Eherecht: Irrtum und Impotenz gelten als Trennungsgrund, eigenmächtige Verstoßung der Ehepartnerin wird nicht mehr akzeptiert. Gerichtsprozesse belegen, dass bei Eheunfähigkeit (durch Gewalt z.B.) Ehen getrennt wurden. - Bei Zustimmung des Ehepartners/der Ehepartnerin Eintritt in ein Kloster oder Priesterweihe möglich. „Verchristlichung" der Ehe war ein langwieriger Prozess, brachte aber für Frauen im Vergleich zu den alten germanischen Rechtstraditionen eine Besserstellung. Bei Ehestreitfällen vor geistlichen Gerichten hatten auch Frauen Chancen, ihr Recht gegenüber dem Partner durchzusetzen 7. **Frauen und Männer im Arbeitsleben** „Arbeit" ist eine zentrale Analysekategorie für die Bewertung der gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse und der Geschlechtscharaktere. - Komplementäre Arbeitsbeziehung. - Geschlechtsspezifische Trennung der Arbeitsbereiche war aber im Mittelalter nicht so ausgeprägt, wie in der älteren Forschung angenommen (Arbeitsteilung und räumliche Segregation: Frauen im „häuslichen" (reproduktiven) Bereich tätig, Männer im „außerhäuslichen" (produktiven)). Neue Studien zeigen, dass ländliche und städtische Topographien neben exklusiven Frauen- und Männerorten viele Zonen aufwiesen, in denen beide Geschlechter interagierten. 16. **Land** Frauen- und Männerarbeit war ländlich geprägt, weil der überwiegende Teil der Bevölkerung am Land und von der Landwirtschaft lebte (Subsistenzwirtschaft). Arbeitszuteilung nach den individuellen Möglichkeiten (alters- und geschlechtsabhängig). Größere Arbeitsdifferenzierung und -spezialisierung nur in Großhaushalten. Die Rekonstruktion der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung erfolgt über Abgaben und Dienste an die Grundherren, und vor allem über bildliche Überlieferungen auf sogenannten Monatsbildern, Buchillustrationen und Holzschnitte. Auch wenn bei den männlichen und weiblichen Arbeitsbereichen die Übergänge oft fließend waren, lassen sich Zuständigkeitsbereiche verallgemeinernd einteilen: - Mann: Feldbau (Pflügen etc.), Wald- und Holzwirtschaft, Herstellung von Arbeitsgeräten, Bau- und Reparaturarbeiten (Wege, Zäune, Gebäude), Viehhüten. - Frau: Haus, Hof und Garten (Anbau von Hülsenfrüchten, Wurzel- und Knollengewächsen, Kohl, Kräutern, sowie Obstbäumen etc.). Weiterverarbeitung des Getreides war ursprünglich Frauenarbeit. Mit Aufkommen der Wassermühlen (12. Jh.) und der Backhäuser wurden das spezialisierte Männerarbeit. Versorgung des Viehs und die Milchwirtschaft. Schlachten der Tiere war mehrheitlich Gemeinschaftsarbeit. Textil- und Bekleidungsherstellung; Getränke, Kerzen- und Seifenherstellung, Sammeln und Konservieren von Beeren etc. - Zubereitung der Speisen war in Großhaushalten Aufgabe männlicher Arbeitskräfte. - Kochen im Alltag, Wäschewaschen und Reinigung, Feuermachen und Heizen war Frauenarbeit. - Getreideanbau: Pflügen = weitgehend Männerarbeit, Hilfeleistung der Frauen, ebenso bei der Ernte (Binden und Aufstellen der Garben). Mit Aufkommen der Sense, die die Sichel ersetzte, erhöhte sich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung (Schnitter und Binderin/Recherin). Bilder: Adlerturmfresken: Monate; Trient, castel Buoncosoglio um 1390 17. **Stadt** Die alte Vorstellung einer Berufstätigkeit für Frauen in der Stadt ist vielfach anachronistisch. „Außerhäusliche" Erwerbsformen waren mit „häuslichen" verknüpft, Haushalt und Beruf oft nicht zu trennen. - Frauen und Männer prägten das städtische Wirtschaftsleben. In der Forschung verlagert sich der Schwerpunkt auf geschlechterorientierte Fragestellungen: - Entwicklung von Arbeitsidentitäten bei Frauen? - Karrierechancen von Frauen? - Weibliche Netzwerke? - Folgen von Krisen (z.B. Pest) für den Arbeitsmarkt und das Erwerbsleben von Frauen und Männern. Forschungen zu den Geschlechterverhältnissen und den Geschlechterrollen im städtischen Arbeitsleben stehen vor dem Problem, dass es kaum Studien zur „Männerarbeit" bzw. zum „Mannsein" von Handwerkern, Kaufleuten usw. gibt. Räumliche Rahmen des Erwerbslebens: - Werkstatt, Laden, Marktstand, Ausschank, Kaufmannskontor, Garten und Feld, Baustelle etc. sind Arbeitsstätten von Frauen und Männern für ihre gemeinsame Arbeit oder ihre arbeitsteilige Tätigkeit. - Bergbau: Arbeit unter Tage war Frauen untersagt. Fernhandel und Fuhrwesen war mehrheitlich männlich. - Textilherstellung und -verkauf waren weiblich dominiert, ebenso der Kleinhandel, die Viehhaltung und das Dienstbotenwesen. - Zusammenwirken von Ehepaaren bei Produktion und Verkauf in Familienbetrieben: der Mann produziert, die Frau verkauft (arbeitsteilige Organisation). Aber auch umgekehrte Rollenverteilung kam vor. - Städtische Ämter wurden auch an Ehepaare gemeinsam vergeben (Diensteid von Mann und Frau verlangt) oder auch an Familien und Gesinde. Letzteres betraf u.a. die Ausübung von Gewerben wie Wein- und Bierausschank. - Im Allgemeinen erzeugten Frauen (Ehefrauen, Töchter, Mägde) aber in erster Linie Gebrauchsgüter für den eigenen Haushalt (Textilherstellung, Brotbacken, Kerzenziehen, Lebensmittelverarbeitung) und waren für Kindererziehung und Krankenpflege zuständig. **Frauenberufe** Frauen waren auch in spezifisch männlichen Berufen tätig. Z. B.: - Chirurgin, Baderin. - Schwere körperliche Arbeit auf Baustellen und in Salinen meist mit geringerer Entlohnung. Im Bergbau arbeiteten Frauen in der Erzverarbeitung (z. B. Waschen und Zerkleinern der Erze). Typische Frauenberufe (Trennung von Hausarbeit und Erwerbstätigkeit häufig nicht eindeutig möglich): - Textilproduktion - Klein- und Hausierhandel - Gastgewerbe Frauen der Unterschichten fanden in den Städten günstige Verdienstmöglichkeiten. Lohnarbeiten (Waschen, Wassertragen, Botengänge, Krankenpflege), Heimarbeit, im Baugewerbe und als Mägde. Insgesamt war der Anteil der gewerbetreibenden Frauen aber im Vergleich zu den Männern gering. Daneben gab es eine Vielzahl weiterer Erwerbstätigkeiten. Für Frankfurt wurden für das 14./15. Jh. 90 Frauenberufe errechnet. Allerdings war die Beteiligung von Frauen an zünftischen Gewerben gering. Insgesamt war die Erwerbstätigkeit von Frauen nicht mit jenen der Männer gleichberechtigt. **Zünfte** = wichtigste Organisationform des städtischen Handwerks. - Zusammenschluss von Meistern und Meisterinnen des gleichen Gewerbes zur beruflichen, geselligen und religiösen Vergemeinschaftung. Die Mitgliedschaft in Zünften bestimmte die wirtschaftliche und soziale Existenz (für Männer wichtiger als für Frauen). - Spezifisch weibliche Zünfte gibt es nur selten. Z. B. in Paris (5 Frauenzünfte für Seidenspinnerinnen) und in Köln (4 Frauenzünfte für Garnmacherinnen, Seidenmacherinnen, Seidenspinnerinnen und Goldspinnerinnen). Vollberechtigte Stellung von Frauen in den Zünften aber fraglich. Meist dürfte es sich um „mithelfende" Ehefrauen, Töchter und Witwen von Meistern handeln, die das Handwerk nicht selbständig ausübten. Wegen fehlender Ausbildung sei die Fortführung des Betriebes auch für Witwen nicht möglich gewesen. Demgegenüber sieht die jüngere Forschung auch weibliche Lehrlinge und in „hauswirtschaftlichen" Berufen wie Bäckerei, Gärtnerei, Brauerei usw. die Qualifikation von Frauen durch deren familienwirtschaftliche Erfahrung gegeben (fließender Übergang von „Hauswerk" zu „Handwerk"). **Witwen in den Zünften** - Zunftordnungen regelten die Versorgung der Witwe meist verbunden mit einem Fortführungsrechts des Handwerks (unbestimmt oder zeitlich begrenzt). Witwen übernahmen Geschäftsleitung und waren nicht zwingend auch im Produktionsbetrieb tätig. - Lehrlingsausbildung in Witwenbetrieben häufig untersagt (z.B. in Nürnberg). Anstellung eines Gesellen wird oft zur Bedingung. - Witwen nahmen aber nur in geringer Zahl von ihrem Fortführungsrecht Gebrauch. 18. **Die soziale Lage des Dienstpersonals** - 10-20 % der Bevölkerung ist im Spätmittelalter dem Dienstpersonal (Knechte und Mägde) zuzurechnen und lebte im Haushalt des Arbeitsgeber. - Geschlechterproportionen im Dienstpersonal sind von Ort/Region, Arbeitsplatzangebot und Wirtschaftsstruktur bestimmt, z.B. in Handelsstädten mehr Mägde, in Handwerksstädten mehr Knechte. In städtischen Vierteln der Oberschicht waren mehr Mägde tätig, in ärmeren, handwerklich geprägten Vierteln mehr Knechte. - Männliches Gesinde war in der gewerblichen Produktion beschäftigt, weibliches in hauswirtschaftlichen Tätigkeitsfeldern. - Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Entlohnung. Mägde verdienten deutlich weniger als Knechte. 19. **Randgruppen Fahrendes Volk und Prostitution** 5. **Fahrende Frauen und Männer** - Zu den am Rande der Gesellschaft Lebenden zählten die „Fahrenden", die ohne festen Wohnsitz von Ort zu Ort zogen. Darunter waren auch viele Frauen, die als Tänzerinnen, Spielweiber, Heilkundige, Bettlerinnen etc. ihr Leben finanzierten. Zusätzlich oder ausschließlich arbeiteten sie häufig auch als Prostituierte. - Soziale Herkunft heterogen: Verbannte, verarmte Bauern und Bäuerinnen, Studenten, Soldaten, Fremde, entlaufene Nonnen und Mönche, Kleriker, Schüler, Kriminelle etc. - Krisen (Hungersnot, Krieg, Seuchen) führten zu wirtschaftlichen Notlagen. - Fahrende Prostituierte waren integraler Teil mittelalterlicher Heere (seit 12. Jh. belegt). Die Zahl steigerte sich im Spätmittelalter mit den Landsknechtsheeren. Sie standen unter der Aufsicht eines Amtmannes („Hurenweibels"). - Fahrende Prostituierte waren auf Reichstagen, Konzilien, Messen oder allgemein Großveranstaltungen in großer Zahl vertreten. Z. B. am Konzil von Konstanz (1414-1418) 1.500 Dirnen. 6. **Prostitution** - In den Städten waren Frauenhäuser institutionalisiert (Blütezeit 14./15. Jh.). - Viele unverheiratete Männer (aus religiösen oder sozialen Gründen); hohes Heiratsalter z.B. bei Handwerkern; reisende Kaufleute, Studenten, aber auch verheiratete Männer etc. besuchten regelmäßig die Frauenhäuser. Dienten auch zur Unterhaltung (Musik, Tanz, Glücksspiele). - Besuch von Frauenhäusern war nicht ehrenrührig. Ändert sich im 16. Jh. - Häufig zwang existenzielle Not die Frauen in die Frauenhäuser; meist war der Eintritt nicht freiwillig (Schieberbanden; Schuldenabbau, Verkauf oder Verpfändung von Mädchen an Frauenhäuser durch Eltern oder Verwandte; Wirte/Wirtinnen verkauften und versetzen die Mädchen ebenso). - Gesetzliche Regelungen dienten dem Schutz der Prostituierten (Abgaben und Gebühren, soziale Absicherung bei Krankheit und im Alter). - Geringes Einkommen; im Alter als Kupplerinnen oder als Kleinhändlerinnen tätig. - Frauenhäuser waren häufig Eigentum oder Lehen der Städte. Eigene städtische Aufsicht war zuständig (Ratsknechte oder Henker) und die Leitung oblag den Frauenhauswirt/innen. - Die öffentlichen Frauenhäusern wehrten sich gegen die Konkurrenz privater Frauenhäuser, Schenken und Badhäuser sowie gegen die Straßenprostitution. Sie fühlten sich als Zunft mit ausschließlichem Gewerberecht. - Ambivalente gesellschaftliche Position: Prostituierte nahmen am öffentlichen gesellschaftlichen Leben teil und waren als Bestandteil der Gesellschaft akzeptiert. Andererseits zählte Prostitution zu den unehrlichen Berufen, deren soziale Diskriminierung seit dem 16. Jh. zunahm: Frauen hatten sich durch besondere Kleidung kenntlich zu machen, sie waren meist am Stadtrand oder außerhalb untergebracht (soziale Diskriminierung), durften nicht auf dem Friedhof begraben werden. Umgang mit Prostituierten oder gar eine Heirat war ehrenrührig (seit 16. Jh.). Im Mittelalter war man aufgeschlossener gegenüber der Prostitution. Maßnahmen zur sozialen Reintegration durch Förderung der Heiratschancen (Stiftung der Mitgift) oder Eintritt in einen Orden (Reuerinnen) mit strenger Klausur oder private Stiftungen von Bußhäusern. Sie boten Unterkunft und Verpflegung und sollten die Frauen in ein bürgerliches Leben zurückführen. Gelang häufig nicht. 8. **Abkehr von der Welt -- Frauen und Männer im Kloster aus geschlechtergeschichtliche Perspektive** - Die asketische Formen christlicher Lebensführung in Spätantike und Mittelalter sahen Frauen und Männer spirituell ebenbürtig. Religiöse Frauen- und Männergemeinschaften ähnelten sich daher in vielen Bereichen (Gründungsprozesse, Organisation, religiöse Funktion). Ideal des Klerikermönchtums führte aber zu Unterschieden. - Klöster entstanden seit Mitte des 4. Jhs. für Frauen und Männer. Anfang 6. Jh. formulierte Caesarius von Arles eine Regel für Männerklöster und eine eigene für Frauenklöster. In der Regula ad virgines wird die Klausur betont. Sie wird charakteristisch für mittelalterliche Frauenklöster. - Weitere Klosterregeln entstanden, die wichtigste ist die Regel des Benedikt von Nursia (480-560), die für Frauen- und Männerkonvente galt. - Zahlreiche Klostergründungen seit dem 7. Jh., wobei sich die Konvente die Regel für sich passend formulierten. Um 900 gab es im deutschen Raum ca. 900 Frauenkommunitäten, am meisten in Sachsen 20. **Synode von Aachen 816:** - Versuch der Vereinheitlichung gemeinschaftlicher religiöser Lebensformen; die Benediktsregel wurde Standard auch für weibliche Klöster. - Alternative zur monastischen Variante: Regel für Kanoniker (Klerikerkongregationen) und Kanonissen (gemeinschaftliches Leben mit Weltbindung, persönlichem Eigentum, eigenen Räumen und Personal, Ausstiegsmöglichkeiten und keiner strengen Klausur). - Mittelalterlicher Monastizimus ist aristokratisch geprägt. Laienbrüder und schwestern (ohne Gelübde) konnten auch aus nichtadeligen Schichten stammen. - Ordo canonicus (im Frauenstift) und ordo monasticus (im Frauenkloster) bei weiblichen Religiosen für das frühe Mittelalter nicht immer klar abzugrenzen. Erst im Zuge der religiösen Bewegung im 11./12. Jh. wurde klarer unterschieden. - Um 1100 entstanden neue Orden neben den Benediktiner/innen: Zisterzienser/innen (monastisch) und Prämonstratenser/innen und Augustiner Chorherren bzw. Chorfrauen (kanonikal). - Doppelkonvente: weibliche und männliche Gemeinschaften in einem Kloster; bis ins 13. Jh. sehr verbreitet, dann verschwinden sie (Auflösung der Doppelklöster, Verbot neuer Gründungen). Im 12./13. Jh. kam es neuerlich zu einem religiösen Aufbruch, die neue Gemeinschaften hervorbrachte. Es entstanden die Bettelorden, Franziskaner und Dominikaner mit ihren weiblichen Zweigen (Klarissen und Dominikanerinnen). Auch hier kam es im Laufe des 13. Jhs. zur Ablehnung der Doppelklöster bzw. der Aufnahme von Frauenklöstern generell (Belastung durch die cura monialium = Seelsorge; Angst vor Verführung und wirtschaftlichen Belastungen). 21. **Unterschiede in der monastischen Lebensweise** - Mönche kombinierten Klosterleben in Armut mit weltlichen Aufgaben, kontemplatives Leben mit körperlicher Arbeit, Rückzug aus der Welt mit Seelsorge (Predigt, Mission). Sie verbanden die vita contemplativa mit der vita activa. - Nonnen waren der Kontemplation verpflichtet und hatten in Klausur zu leben (keine außerklösterliche Aufgaben). Waren auf Schenkungen und Stiftungen angewiesen. Armutsgebote wurde aber häufig durchbrochen. Sie hatten nur wenig weltliche Handlungsräume. - Als Alternative zum monastischen Leben entstand in den Städte eine Form gemeinschaftlichen religiösen Lebens ohne Ordenszugehörigkeit: Beginen (Frauen) und Begarden (Männer). - Beginen: keine Klausur, kein Gelübde, Eigenbesitz erlaubt; sehr heterogene Gemeinschaften; Textilarbeiten, Bildungsarbeit, Predigttätigkeit etc. auch Schenkungen ermöglichten den Lebensunterhalt. - Im 14. Jh. wurden Beginen und Begarden verketzert und verboten. Ihre Nachfolger sind die Tertiarinnen und Tertiarier. Großer Beginenhof in Leuven - Die Entwicklung monastisch geprägter Lebensformen zeigt im Geschlechterverhältnis mehr egalitäre Züge als laikale Lebensweisen. Das gilt vor allem für die religiösen Reformzeiten im Hochmittelalter. - Ähnlich ergibt auch der systematische geschlechterspezifische Zugang Gleichheit, aber auch viele Bereiche von Ungleichheit und Abweichungen. - Klostereintritt: häufig bereits im Kindesalter als Entscheidung der Eltern. Die geistliche Laufbahn für Buben und Mädchen basierte auf Erbstrategien, Karriereüberlegungen, wirtschaftlichen und familienpolitischen Zielen. Söhne konnten aber Geistliche werden und zu Bischöfen aufsteigen, für Töchter war nur die klösterliche Laufbahn möglich. - Klöster sind nicht als Versorgungsanstalten für adelige Kinder zu reduzieren. Klöster waren auch kulturelle und politische Zentren mit weltlichen Befugnissen. Äbte und Äbtissinnen hatten fürstenähnlichen Rang; hohes soziales Ansehen, wirtschaftliche Prosperität. - Bildungsauftrag in Frauen- und Männerklöster wahrgenommen. - Religiöse Aufgabe im Gebet und Totengedenken. - Hierarchische Ordnung in Frauen- und Männerklöstern: Abt oder Äbtissin wurden von der Gemeinschaft gewählt; hielten engen Kontakt zur Herkunftsfamilie. Weihe durch den Bischof. - Handlungsräume von Äbtissinnen unterschiedlich; großer Einfluss im Frühmittelalter auf das politische Geschehen außerhalb des Klosters; z. B. Lioba (700-782), Äbtissin des Klosters Tauberbischofsheim, die maßgeblich an der Missionsbewegung Mitteleuropas beteiligt war und viele Bischöfe beriet. - Politische Mitsprache und Mobilität von Äbtissinnen durch die Klausur aber eingeschränkt. Für Äbte war der weltliche Handlungsspielraum ungleich größer 22. **Klosteralltag** - Tagesablauf im Kloster durch die Gebetszeiten strukturiert (4-5 Gebetsstunden täglich; ab 2 Uhr früh). Bibellesungen, Psalmengesänge, Messe, gemeinsames Gebet, Meditation und Andacht. - Lese- zum Teil auch Schreibkompetenzen von Mönchen und Nonnen vorausgesetzt. Kopiertätigkeit in Frauen- und Männerklöstern, ebenso die Ausstellung von Urkunden und die Anlegung von administrativen Gebrauchsschriften, Memorialbüchern etc. In Frauenklöstern spielte außerdem die Textilherstellung eine große Rolle. - Für diese Fertigkeiten brauchte es eine entsprechende Ausbildung für Novizen und Novizinnen. Klöster bildeten die geistliche Elite aus (in unterschiedlicher Intensität). Bildung betraf aber nur Mönche und Nonnen und war den Konversen (Laienbrüdern und Laienschwestern im Klosterbetrieb) verschlossen. - Frauen- und Männerkonvente waren gleichermaßen Zentren der Intellektualität; Unterschiede im Niveau waren nicht geschlechtsspezifisch. Auch Frauenklöster hatten Skriptorien und stellen prachtvolle Handschriften her, verfassten theologische Traktate etc. - Mit der Etablierung der Universitäten im 12. Jh. verloren die Klöster ihre Bildungshoheit und die Frauenklöster den wissenschaftlichen Anschluss. In spätmittelalterlichen Frauenklöstern werden vermehrt volkssprachliche Texte verfasst, die mystische und visionäre Inhalte hatten (Frauenmystik), die weniger wissenschaftlich dafür lebensnäher waren Bild: Vision der hl. Hildegard von Bingen „Liber Scivias", um 1180 - Trennung in männlich dominierte lateinische Theologie und volkssprachlich formulierte visionäre Gotteserfahrungen, die vor allem von geistlichen Frauen verfasst wurden. Die spätmittelalterliche Mystik war weiblich geprägt, auch wenn es ähnliche Texte männlicher Mystiker gab. Die neuere Forschung sieht daher Unterschiede oder Gemeinsamkeiten in Textsorten, sprachliche Gestaltung und Themenwahl nicht nur im Geschlecht begründet, sondern auch abhängig von Bildung, religiösem Status, persönliche Eignung und Interessenlage. - Mittelalterliche Bildsprache vermischt gender-Elemente: z. B. der ideale Abt stillt seine Mitbrüder mit geistiger Nahrung; auch Mönche werden als „Bräute Christi" stilisiert. 23. **Klausur in Frauenklöstern** - Seit dem 6. Jahrhundert die bestimmende Norm für Frauenklöster; aktive (Klausur darf nicht verlassen werden) und passive Klausur (Klausurbereich darf von Außenstehenden nicht betreten werden). - Abschluss von der Welt durch Klausur gewährleistet und kontrollierbar. Auch in Doppelklöster strenge Klausurbestimmungen vor allem für Nonnen. - In der Praxis gab es zahlreiche Abstufungen in der Anwendung der Klausur. Kontakt zu weltlichen Netzwerken und Wahrnehmung gesellschaftlicher Funktionen standen oft über dem monastisch-asketischen Ideal. - Auch Inklusen, die in strengster Klausur und allein lebten, hielten Kontakt durch Austausch mit Besuchenden. 24. **Klerikalisierung des Mönchtums** - Angleichung von Mönchen und Priestern beginnt schon im frühen Mittelalter. Äbte und Mönche erhielten auch die Priesterweihe und waren liturgisch autonom, im Unterschied zu den Frauenklöster, die auf die cura monialium angewiesen waren. - Ansehen der Priestermönche innerhalb der Kirche höher als für Weltgeistliche, die oft nicht zölibatär lebten. Ideal monastischer Männlichkeit erhielt eine Aufwertung durch die Kirchenreform und religiöse Erneuerungsbewegung des 11. und 12. Jahrhunderts. Häufiger traten nun Erwachsene ins Kloster ein, die schon eine männliche Identität entwickelt hatten. Das führte zu Spannungen. Das Problem des Altersunterschieds betraf auch Frauenklöster. Ebenso die Änderung der geschlechtlichen Rolle und des gesamten Lebensstils. 9. **Gender und Herrschaft** - Die moderne Forschung sieht mittelalterliche Herrschaft als konsensuale Herrschaft mit unterschiedlichen AkteurInnen und Personenverbände. In ihrem ritualisierten, stark von Symbolen dominierten Handeln und Kommunizieren lässt sich die Dynamik von Machtverhältnissen fassen und analysieren. - Diese Forschungsperspektive schließt auch Frauen als Akteurinnen im politischen Handeln ein und sieht in politischer Herrschaft keine reine Männerdomäne. In Dynastenfamilien dienten Frauen und Männer der Herrschaftssicherung und erweiterung. Alle hatten Aufgaben und Rollen, die durch Geschlecht, aber auch durch Alter, persönliche Disposition, politische Rahmenbedingungen, Geschwisterfolge, Verwandtschaftsverhältnis bestimmt waren. - Lehensfähigkeit auch für Töchter, strategische Heiraten für Töchter und für Söhne zum Ausbau der Netzwerken. Generative Verantwortung traf Herrscherpaare gleichermaßen. - Rolle und Einfluss von Frauen und Männern in der innerdynastischen Hierarchie nach Lebensphasen unterschiedlich: Minderjährige Söhne, Witwen hatten instabile Positionen, Krankheit und Alter von Herrscher beeinträchtigen, Erbfolge war von elterlicher Entscheidung abhängig. 25. **Herrscherpaare -- Könige und Königinnen** - „Queenship" und „female rulership" sind in der modernen Forschung zum europäischen Königtum sehr präsent und führten zu neuen Erkenntnissen in der königlichen Herrschaftspraxis insgesamt. Quellen zu weiblicher Herrschaft sind aber dürftig. - Positive Herrscherqualitäten sind männlich. Weibliche Herrscherinnen mussten daher auch viriliter handeln. Herrscher sind Friedenssicherer und Kriegshelden (galt auch für Frauen). - Erbschaft oder Wahl bestimmten das männliche Königtum; weibliches Königtum funktionierte über Heirat und war kombiniert mit der Rolle der Ehefrau und Mutter. Bild: Christus krönt Heinrich II. und Kunigunde; Perikopenbuch Heinrichs II., München, Bayerische Staatsbibliothek 7. **Strukturen** **Phasen und Wandel des römisch-deutschen Königtums** - Dynastische Kontinuität (5.-8. Jh.) während der Merowingerzeit. - Relative Kontinuität während der Ottonen, Salier und Staufer als Königs/Kaiserdynastien (10.-13. Jh.). - Rascher Wechsel der Dynastien im Spätmittelalter (13.-15. Jh.). **Sakrales Königtum** - Seit den Karolingern (8. Jh.) wird der König vom Papst gesalbt und damit kirchlich sakral legitimiert (Dei gratia = Von Gottes Gnaden). Das galt auch für die königliche Ehefrau - Seit der Kaiserkrönung Karls des Großen 800 war das römisch-deutsche Königtum mit dem Papsttum verbunden. Dies führte aber im Investiturstreit (11. Jh.) zu einer prinzipiellen Auseinandersetzung über die Führungsrolle. Der Kaiser wurde entsakralisiert und zu den Laien gerechnet. Damit verlor er die Kompetenz Geistliche in ihr geistliches Amt einzusetzen. Königinnen nahmen keine symbolischen Investiturhandlungen vor, zumindest nicht nachweisbar. Bistumsbesetzungen durch königliche Witwen zur Zeit minderjähriger Herrscher gab es aber. **Reichsteilungen** Frankenreich: unter Merowingern und Karolingern üblich. Die vielen Erbteilungen führten zur Schwächung des Gesamtreiches. Im römisch-deutschen Reich galt zunächst das dynastische Prinzip (seit Ottonen 10. Jh.). Als sich der Wahlcharakter seit dem 12. Jh. durchsetzte, ging die Bedeutung der Dynastie zurück. Auch die Position der Königin erfuhr eine Schwächung. Bild: Kaiserpaar Heinrich III. und Agnes übergeben der Muttergottes den Codex Aureus; Speyerer Evangeliar, um 1045 **Konsensuale Herrschaft** - Die Teilhabe des Adels an der Regierung ist für das mittelalterliche Königtum charakteristisch. Auch Regentinnen herrschten mit Hilfe des loyalen Adels. Vertrauensverhältnis zu männlichen Beratern konnte zu Diffamierungen führen (z.B. Kaiserwitwe Agnes und Bischof Adalbert von Bremen). - Im Spätmittelalter verschob sich das Kräfteverhältnis zugunsten der adeligen Elite. Kurfürsten entschieden über die Königswahl, der Aufbau von Landesherrschaften verschärfte den Dualismus zwischen König und Fürsten. Dennoch blieb das Prinzip der konsensualen Herrschaft aufrecht. Der Handlungsrahmen der Königin wurde aber durch die Kräfteverschiebung enger und reduzierte sich auf ihr Erbe (z. B. Kaiserin Margarete, zweite Frau Kaiser Ludwigs des Bayern, als Gräfin von Hennegau, Holland, Friesland und Seeland; 1310-1356). **Mobile Herrschaft** Der mittelalterliche römisch-deutsche König hatte keine feste Residenz und übte seine Herrschaft ambulant aus. Königspaare reisten gemeinsam und auch getrennt, immer in Ausübung politischer Herrschaft. Im Spätmittelalter änderte sich dieses Bild etwas und gemeinsame Auftritte des Königspaares wurden seltener, wie sich auch die politische Teilhabe der Königin reduzierte. In ihren repräsentativen Aufgaben wirkte sie aber auch in einem politischen Sinn. - Für die merowingische und ottonisch-salische Zeit ist herausgearbeitet worden, dass das Königtum als Familienherrschaft zu definieren ist, in die alle Mitglieder der Dynastie eingebunden waren, Männer und Frauen. Wenn es die Umstände erforderten, konnten auch Frauen regieren (für unmündige Söhne, in Vertretung des Königs, in ihren eigenen Besitzungen). - Das „Königinnentum" des Spätmittelalters ist noch nicht entsprechend untersucht. **Merowinger** - Heiratsverhalten der merowingischen Könige im Frankenreich war vergleichsweise frei: neben Heiraten aus politischen Bündnisabsichten, ehelichten sie vielfach auch unfreie Frauen, trennten sich häufig und hatten zahlreiche Konkubinen. - Königinnen lebten in Unsicherheit, waren auch vor Übergriffen und Mord nicht geschützt. - Die Ehe mit einem Merowinger bedeutete aber für manche Ehefrauen einen unglaublichen sozialen Aufstieg, der auch mit großen finanziellen Vorteilen verbunden war. Ihre Teilhabe an politischen Entscheidungen war oft groß. Beispiele für eine durchsetzungsstarke und aktive Politik sind Königin Brunichilde (gest. 613), Ehefrau Königs Chlodwigs (gest. 511) und Königin Fredegunde (gest. 597). 8. **Beispiele** - Witwen führten Regierung für unmündigen Nachfolger, was häufig vorkam. Eine besonders lange und tatkräftig herrschende Witwe war Königin Brunichilde, die später auch mit ihrem Sohn (Childebert II.) gemeinsam regierte. Bischofseinsetzungen, Förderung der fränkischen Kirche, Verfügung über Eigenbesitz. - Weibliche Herrschaft folgte männlichen Mustern mit den gleichen Rechten und Pflichten. **Karolinger** - Beispiel: Judith (gest. 843), zweite Ehefrau Ludwigs des Frommen, kämpfte für ihren Sohn Karl um das Erbe gegen dessen Halbbrüder und versuchte, ihre Situation im Falle ihrer Witwenschaft zu festigen. - Bis ins 12. Jahrhundert waren die römisch-deutschen Königinnen politisch aktiv und übten herrscherliche Funktionen aus. Das Konzept der Mitregierung der Königin brachte Herrschaftssicherung auch nach dem Tod des Kaisers. Die Intensität des Engagements unterschied sich aber und war von verschiedenen Parametern abhängig (Herkunft und Erziehung der Königin, Netzwerk, Lebenssituation, persönliches Interesse und Eignung). - Weitere Beispiele für politisch aktive Königinnen/Kaiserinnen: Agnes (gest. 1077), Frau und Witwe Heinrichs III., Kunigunde (gest. 1033), Frau und Witwe Heinrichs II., und Mathilde (gest. 1167), Frau und Witwe Heinrichs V. (in zweiter Ehe mit Gottfried von Anjou verheiratet; Königin von England). Sie übernahmen interimistisch nach dem Tod ihrer Ehemänner die Herrschaft. **Ottonen und Salier (10.-12. Jh.)** - Regentinnen waren Theophanu (955-991), Adelheid (931-999) und Agnes (1025-1077), die für ihre unmündigen Söhne die Regierung führten. - Consors-Regni/Imperii: Seit Otto I. (gest. 973) und Adelheid sind die Herrscherfrauen als Mitregentinnen offiziell anerkannt wie die consors-Formel in den Urkunden ausdrückt. Sie werden wie ihre Ehemänner gesalbt und gekrönt. Im Mainzer Krönungsordo (960) ist diese Rolle der Mitregentin enthalten. - Theophanu von Byzanz, Frau Ottos II., wird coimperatrix genannt. - Adelheid (Otto I.) und Theophanu (Otto II.): Mutter und Schwiegertochter gestalteten ottonische Politik maßgeblich mit, vermittelten in Konflikten, entschieden gemeinsam mit ihren Ehemännern (consilium), übten in ihren Witwengütern selbständig Herrschaft auf, erzogen und berieten ihre Söhne. Nach dem frühen Tod Ottos II. (983) übernahmen beide die Regentschaft und sicherten dem unmündigen Otto III. seine Herrschaft. Sie vertraten auch den Herrscher in seiner Abwesenheit (Statthalterschaft). - Seit Adelheid bis um 1150 sind Königinnen/Kaiserinnen in den Urkundenformeln der Intervention (Fürsprache) und der Petition (Bitte) regelmäßig erwähnt. Ihre Fürsprache garantierte den Erfolg des jeweiligen Anliegens beim Herrscher. **Stauferzeit und Spätmittelalter** - Consors-Konzept verlor an Bedeutung, ebenso wurden die Interventionen der Königinnen seltener. Keine Regentschaften oder Statthalterschaften im Reich (aber Kaiserinwitwe Konstanze als Mutter Friedrichs II. in Sizilien). Konzentration auf offizielle Funktion bei Festlichkeiten oder Versammlungen. - Relative Unabhängigkeit nur bei Regierung und Verwaltung der Witwengüter oder des Familienerbes. - Ausnahmen: Elisabeth von Tirol (gest. 1313), Frau König Albrechts I., und Barbara von Cilli (gest. 1451), 2. Frau Kaiser Sigismunds. Bild: Karl IV. und Elisabeth von Pommern (4. Ehefrau) beim Festmahl, 1400; ebd., fol. 42 Bild: Kaiser Karl IV und Elisabeth von Pommern auf der Reise zu einem Hoftag, 1400; ÖNB, Cod. 338, fol. 39 26. **Fürstenhof Männerräume und Frauenräume** - Im Spätmittelalter bilden sich Länder heraus mit einem Fürsten an der Spitze. Die Fürstenherrschaft war zunächst auch eine Reiseherrschaft und wurde erst allmählich durch Residenzbildungen ortsgebunden. - Gemeinsame und getrennte Reisetätigkeit von Fürst und Fürstin üblich, später zog sich die Fürstin auf die Residenz zurück (v.a. 15. Jh.). - Fürstenhof: hierarchisch organisiert mit dem Fürsten an der Spitze. Frauen waren zahlenmäßig und auch in ihrer Bedeutung in der Minderzahl („homosozialer" Hof). Alle wichtigen Ämter waren in Männerhand (Ausnahme Hofmeisterin in Frauenhof). Viele Aufgaben und Aktivitäten fanden ohne Frauen statt. - Fürstenhof: ohne Frauen war er aber nicht funktionstüchtig. Weibliche Bedienstete, Hofdamen, Fürstin und ihre Töchter mit Gefolge. Sie waren wichtige Elemente im repräsentativen Hofleben. Geschlechtertrennung aber auch bei öffentlichen Anlässen üblich. - Fürstenhof (curia domini) und Fürstinnenhof (curia domine) hatten parallel nahezu deckungsgleiche Ämter (Ausnahme Hofmeisterin), unterschieden sich aber im Umfang. Außerdem war der Fürstinnenhof in dem Haupthof des Fürsten integriert, konnte aber unabhängig agieren. - Beispiel: Hof Herzogs Friedrichs IV. von Österreich in Innsbruck: 68 % des Personals arbeitete für den Fürsten, 14 % für seine Ehefrau Anna von Braunschweig und 18 % für den Neffen und das Mündel Friedrich V. 9. **Frauenhof der Anna von Braunschweig (gest. 1432), 2. Ehefrau Herzog Friedrichs IV. von Österreich** - Hofmeisterin und Hofmeister - Jungfrauen (Hofdamen) - Hebammen, Ammen, Kinderfrauen, Erzieher (für Siegmund) - Kanzler plus Personal - Truchsess, Küchenmeister, Kämmerer - Mundschenk - Kaplan - Schneider - Heizer - Türhüter - Dienerinnen und Diener - Musiker 10. **Fürstenhof Männerräume und Frauenräume** - Seit Mitte 15. Jahrhundert waren die Frauen an deutschen Fürstenhöfen im sogenannten Frauenzimmer untergebracht: abgeschlossene Räume werden von der Fürstin, ihren Kindern und ihren Bediensteten bewohnt. - Frauenzimmer schränkte Bewegungsfreiheit der Frauen bei Hof ein. Oberster Herr war der Fürst, der auch die wichtigsten Posten im Frauenzimmer besetzte. Leben war sehr reglementiert und kontrolliert. - Frauenzimmer waren Orte der Versorgung, Erziehung, der Geselligkeit und Unterhaltung. Lebensmittelpunkt der fürstlichen Familie

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