Einführung in die qualitativen Methoden PDF

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qualitative methods social research interpretative analysis

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This document provides an introduction to qualitative research methods, covering topics such as the nature of qualitative social research, different positions, theoretical foundations, and practical considerations for qualitative research projects. It also offers a discussion about different aspects and methods of qualitative research such as interviews, observation, and document analysis.

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Qualitative Sozialforschung: Grundlegendes Sonntag, 13. Oktober 2024 17:09 Paradigma=Muster oder Modell, das als Beispiel oder Vorbild in einem bestimmten Bereich dient Lernziel: Sie kennen die Merkmale und Ziele qualitativer Sozialforschung. Sie wissen, worauf es bei der Planung und D...

Qualitative Sozialforschung: Grundlegendes Sonntag, 13. Oktober 2024 17:09 Paradigma=Muster oder Modell, das als Beispiel oder Vorbild in einem bestimmten Bereich dient Lernziel: Sie kennen die Merkmale und Ziele qualitativer Sozialforschung. Sie wissen, worauf es bei der Planung und Durchführung qualitativer Forschungsprojekte besonders ankommt. 1.Was ist qualitative Sozialforschung? Qualitative Methoden werden als eigenständiger Forschungsansatz verstanden, sie unterscheiden sich mit ihren eigenen Methoden und Zielsetzungen von quantitativen Methoden. Zwei Positionen: I) Ein Ansatz integriert qualitative Methoden in die quantitativen Prozesse, ohne sie als eigenständige Disziplin zu verstehen. -Das Forschungsprogramm der qualitativen Forschung wird weitestgehend auf qualitative Verfahren übertragen -Präferenz: Leitfadeninterviews, Fokusgruppen und qualitative Inhaltsanalysen, welche stark von Forschern strukturiert und standardisiert werden II) Der zweite, vertretene Ansatz begreift qualitative Forschung als eigenes Gebiet, das spezifische Fragestellungen und Methoden nutzt, um Erkenntnisse zu generieren, die mit quantitativen Ansätzen schwer zugänglich wären. -eigene. spezifische Forschungslogik 2.Warum ein eigenständiges Programm? -Spezialisierungen auf besondere wissenschaftliche Fragestellungen ->andere Fragestellungen als die quanti. Methoden -schließe von Forschungslücken, in denen quantitative Methoden an Grenzen stoßen ->Herausforderungen: Abgrenzung von Zuständigkeiten und der Umgang mit konkurrierenden Ressourcen. 3.Erkenntnistheoretische Grundlagen Grundannahmen: -Menschen sind in ihrem Verhalten nicht instinktiv ->angewiesen auf eine Orientierung durch Sinn ->Unterschiedliche Auffassungen darüber, wie sinnvolles Handeln entsteht/woher die Orientierung kommt -Sinn entsteht situativ und ist durch soziale Interaktionen geprägt ->Interpretationen sind nie endgültig, sondern ständig offen für Überarbeitungen (ständiger reflexiver Prozess) ->können nicht vorhergesagt werden Verstehungsprozess: Ein flexibler, reflexiver Prozess, der auf kontinuierlicher Sinnüberprüfung basiert Interpretatives Paradigma: Das interpretative Paradigma sieht das Handeln als Ausdruck der Weltdeutung Pragmatismus (John Dewey): Welt als Problemfeld->Handeln als Problemlösungsprozess, Die Welt wird als ständiges Problem gesehen, das durch intelligentes Handeln gelöst wird. Symbolischer Interaktionismus (G.H. Mead): Soziale Symbole prägen Identität und Rollenverständnis, Identität und Handlung basieren auf sozialen Symbolen. Wissenssoziologischer Konstruktivismus (A. Schütz, P. Berger): Wissen wird sozial konstruiert, Einführung in die qualitativen Methoden Seite 1 Wissenssoziologischer Konstruktivismus (A. Schütz, P. Berger): Wissen wird sozial konstruiert, Wissen ist eine soziale Konstruktion und von großer Komplexität geprägt. Ethnomethodologie (H. Garfinkel, E. Goffman): Fokus auf die methodische Konstruktion von sozialen Phänomenen, Fokus auf alltägliche Methoden, durch die soziale Wirklichkeit ständig „hergestellt“ wird. Ziele und Leistungsmerkmale: Ziele: -tieferes Verständnis von sozialen Phänomenen am konkreten Fall -Entdeckung neuer Zusammenhänge oder Perspektiven -Regeln des Feldes entdecken sowie die Lösungen der Akteure durchdringen (dadurch orientiert man sich nicht an Hypothesen) Leistungsmerkmale: -Offenheit: flexible und offene Ansätze ermöglichen neue Entdeckungen -Reflexivität: fortlaufende Überprüfung der eigenen Interpretation im Forschungsprozess 4.Anforderungen an qualitative Forschungsprojekte Feldforschung = Eigene Daten in natürlichen Umgebungen generieren, um die soziale Realität möglichst unverfälscht zu erfassen Arten von Daten: Natürliche Daten: Beispielsweise Beobachtungen alltäglicher Situationen (Situationen, die so oder so auftreten würden, egal ob ich dabei bin oder nicht) -> trotzdem nie komplett objektiv, da es sich immer um eine Transformation der Wirklichkeit handelt. Interviews: gezielte Interviews und Gespräche, welche extra inszeniert werden, um spezifische Fragen zu vertiefen (findet in der "natürlichen" Umgebung statt, sind aber keine natürlichen Daten) Offenheit für Unbestimmtheit und flexible Problemstellungen: Exploratives Vorgehen: -Problemstellungen sind anfänglich oft unklar definiert und werden im Laufe der Forschung präzisiert -Ziel ist es, durch explorativ Untersuchungen das Problem und die Fragestellung besser zu verstehen und anzupassen Fallauswahl und Theoretisches Sampling: Theoretisches Sampling: -Fallauswahl erfolgt schrittweise und wird laufend an die Fragestellung angepasst -Nicht nur das Feld, sondern auch die speziellen Elemente eines Felds sind auszuwählen -erfordert eine kontinuierliche Wechselwirkung zwischen Theorie und Empirie, um die Forschung zielgerecht voranzutreiben Theoretisches Sampling bezeichnet die Parallelisierung und permanente wechselseitige Anpassung von Fragestellung, Fällen und theoretischen Konzepten. Theoretische Sättigung= Forschende können durch das theoretische Sampling keine neuen Informationen gewinnen. Einführung in die qualitativen Methoden Seite 2 Sampling-Verfahren: -Auswahl verschiedener Fälle (sowohl ähnlich als auch stark abweichend) zur maximalen bzw. Minimalen Bestätigung der Theorie ->Ziel ist es, durch Kontraste und Übereinstimmungen neue Erkenntnisse und Verfeinerungen zu gewinnen =>Kontrastgrad (jedoch nicht absolut) Konstruktion zweiter Ordnung: -Konstruktion erster Ordnung = alltägliches Denken -Konstruktion zweiter Ordnung = wissenschaftliche Interpretation und theoretische Verarbeitung der Perspektiven und Konzepte der Beforschten durch den Forschenden -Ergebnisse der Forschung (Teilnehmer-Verhalten) wird in die Theorie eingearbeitet -> Ziel: Empirische verstärken und den Theoriediskurs offen halten Gütekriterien: Gegenstandsangemessenheit: Wurden Frage, Methode und theoretische Perspektive wechselseitig angepasst? Empirische Sättigung: Wurde das Feld breit und intensiv erschlossen und wurden theoretische- begriffliche Konzepte immer wieder an konkreten Fällen herausgefordert, verfeinert oder revidiert? Theoretische Durchdringung: Wurden die Perspektiven der Teilnehmer theoretisch-begrifflich konzeptualisiert oder sind persönliche "O-Töne" der Forscher geblieben? Textuelle Performanz: Wurde über die empirischen Erfahrungen im Feld wieder zurück ins wissenschaftliche Feld gefunden oder werden v.a. Äußerungen von Teilnehmern paraphrasiert Originalität: Konnten neue Erkenntnisse gewonnen werden oder wurde vorhandenes Wissen verdoppelt oder sogar unterschritten (Dass die Herstellung sozialer Ordnung im Sinne des gemeinsamen (Weiter-)Handelns ein zwischen Menschen grundsätzlich und permanent auftauchendes Problem ist, zu dessen interpretativer Lösung sie nicht nur gezwungen, sondern auch in besonderer Weise befähigt sind, zählt mit zu den wichtigsten Grundvoraussetzungen der qualitativen Sozialforschung) Einführung in die qualitativen Methoden Seite 3 Natürliche Daten - Grundlegendes Freitag, 25. Oktober 2024 22:57 Lernziel: Sie kennen die Gegenstände, Merkmale und Ziele von qualitativen Methoden, die mit Daten aus »natürlichen« Kontexten arbeiten und können die verschiedenen Methoden voneinander unterscheiden. 1.Was sind natürliche Daten und wozu benötigt man sie? -Natürliche Daten sind Informationen, die in alltäglichen Kontexten entstehen, ohne direkte Intervention von Forschenden -Sie reflektieren authentische soziale Praktiken und die Herstellung sozialer Ordnung in ihrem Ursprung -Man möchte das szenische Zustandekommen von Handlungen und Phänomenen ins Visier nehmen ->Individuen stellen sich durch praktische Leistungen und Gebrauch von verfügbaren Mitteln da ->so, dass das Gegenüber ihn versteht -Individuen machen sich zwecks des gegenseitigen Verstehens beobachtbar ->guter Untersuchungsgegenstand für die Sozialwissenschaftler ->Ziel: erfassen des "Doing"-Aspektes sozialer Realität -> wie Menschen alltägliche Interaktionen realisieren (-Ethnomethodologie: Untersucht, wie soziale Ordnung kontinuierlich und unbewusst durch Interaktionen geschaffen wird.) 2.Formen der Forschung natürlicher Daten Zentrale Verfahren: Teilnehmende Beobachtung & Ethnografie -Forschende tauchen in soziale Settings ein, um Praktiken und Bedeutungen zu verstehen -Virtuelle und Medienethnografie ->oft im Internet (auch Radio, Fernsehen etc.), wo jedoch die Daten mangelhaft sind und der Anspruch an die Ethnografie nicht erfüllt ist Konversationsanalyse: -Analyse von Gesprächsmustern und sprachlichen Interaktionen -muss zwingend aufgenommen werden -Die Frage, mit welchen sprachlichen Methoden (welche) kommunikative(n) Probleme gelöst werden, bildet den zentralen Gegenstand der ethnomethodologischen Konversationsanalyse. Bildanalyse: -Untersuchung visueller Darstellungen und deren sozialer Bedeutung -Bilder gehören zum Alltagshandeln (bspw. Persönliche Fotos) Datenpluralität: -Kombinierte Nutzung verschiedener Datenquellen (visuell, verbal und körperlich) -Ziel: Ein umfassenderes Bild sozialer Praktiken Einführung in die qualitativen Methoden Seite 4 3.Fehler & Fallstricke bei der Forschung mit natürlichen Daten Datenproduktion statt neutralem Einsammeln: -Forschende beeinflussen durch ihre Methoden unweigerlich die Daten ->Daten sind also nie komplett objektiv -Beispiel: Die Wahl der Fragestellung bestimmt, welche Aspekte beleuchtet werden. Notwendigkeit der eigenen Datengenerierung: -Gesellschaftliche Selbstdarstellungen reichen oft nicht aus, um tieferliegende soziale Mechanismen zu verstehen. -Man kann mit den von der Gesellschaft angefertigten Daten nur bis zu einem Grad gesellschaftliche Phänomene nachvollziehen 4.Zusammenfassung Ziel der Forschung: -Rekonstruktion der Sinnkonstruktionen und Praktiken der Gesellschaftsmitglieder -Fokus auf der unmittelbaren Erzeugung sozialer Wirklichkeit Vorgehen: -Analyse alltäglicher Situationen ohne inszenierte Forschungsmethoden -Beobachtung und Interpretation von Handlungsorientierungen und sozialen Praktiken Datenformen: -Verbale Daten: Interviews, Gespräche -Visuelle Daten: Fotos, Videos -Körperliche Praktiken: Nicht-sprachliche Interaktion Einführung in die qualitativen Methoden Seite 5 Ethnografie Freitag, 25. Oktober 2024 22:57 Lernziel: Sie können teilnehmende Beobachtung und Ethnografie charakterisieren und von anderen Verfahren der (qualitativen) Sozialforschung abgrenzen. Sie können die Anforderungen für die Durchführung einer eigenen Ethnografie einschätzen. 1.Was ist Ethnografie und wozu benötigt man sie? Definition: -Ethnografie erforscht soziale Praktiken, indem sie diese in ihrem natürlichem Kontext beobachtet und dokumentiert ->wie die Gesellschaftsmitglieder Wirklichkeitsmerkmale im konkreten Handlungsvollzug interpretieren und selbst hervorbringen -Ziel: Verständnis von Handlungen in ihrer ursprünglichen Entstehung Merkmale: -Teilnehmende Beobachtung: Forschende sind aktiv im Forschungsfeld eingebunden -Kombination verschiedener Daten und Methoden: Interviews, Protokolle, Aufzeichnungen (Datenpluralität) ->weil nicht jede Methode dasselbe erfasst -Soziale Praktiken sind oft nicht sofort verständlich und müssen deshalb wissenschaftlich aufgearbeitet/theoretisiert werden -Theoretisierung und Schreiben: Dokumentation der Beobachtungen und Entwicklungen von Hypothesen -Theorien werden nicht wie Schablonen benutzt Podcast mit Larissa Schindler -hat ich mit einer Studie zum Flugreisen und zum Kampfsport beschäftigt -Im Podcast spricht sie über die (enormen Gewinne der) Verschiedenartigkeit der Daten und wie wichtig dabei das Wissen aus direkter Teilnahme ist. 2.Aspekte der Durchführung Wie man zu seinem Forschungsfeld kommt: -Auswahl eines geeigneten Falls oder Settings ->Auswahl wird durch die Problemstellung sowie den zeitlichen, finanziellen und körperlichen Grenzen der Forschenden beeinflusst -Herausforderung: Akzeptanz durch die untersuchten Personen ->manche Felder begegnen Ethnografen mit Misstrauen oder steuern deren Aktivitäten Podcast Tobias Boll -Cybersex-Studie zu Autopornographie -Im Podcast spricht er darüber, wie er das ständige Dabeihaben und permanente sensorische Benutzen des eigenen Körpers in seinen Untersuchungen erlebt. Strategien der Datensammlung: -Wiederholen: Mehrfaches Teilnehmen oder Betrachten von Aufzeichnungen -Mobilisieren: Verfolgen von Aktivitäten an verschiedene Orte und Zeiten -Fokussieren: Konzentration auf spezifische Themen oder Interaktionen -Perspektiven wechseln: Beobachtungen aus verschiedenen räumlichen und sozialen Blickwinkeln => Sind nichts strikt nacheinander angelegt, sondern wechselseitig zu organisieren Schreibformen: -Abgekürzte Feldnotizen: Kurzgefasste Aufzeichnungen während der Beobachtung (sollten an das Feld angepasst werden (Computer/Handy/Papier) -Extensive Protokolle: Detaillierte Dokumentation nach der Feldarbeit ->dabei erlangte Erkenntnisse werden sich auf die Arbeit im Feld auswirken (Fokussierungen) -Analytische Notizen: Reflexionen und theoretische Ableitungen Einführung in die qualitativen Methoden Seite 6 -Analytische Notizen: Reflexionen und theoretische Ableitungen Typen von Daten in der Ethnografie: -Beobachtungen (Feld-Notizen) und Protokolle -Interviews mit Teilnehmer*innen -Ton- und Bildaufnahmen -Textdokumente, Bilder oder Klänge des Feldes (z.B. Briefe, Tagebücher etc.) -Artefakte, räumliche und technische Objekte Virtuelle und Medienethnografie: -Keine eigenständigen Methoden, sondern Erweiterungen bestehender ethnografischer Ansätze -Fokus auf den Einfluss von Medien und Technik in sozialen Prozessen -Beispiele: Radios/Internet/Fernsehen 3.Fehler & Fallstricke bei der Ethnografie Keine Austauschbarkeit der Daten: -Interviews liefern andere Erkenntnisse als teilnehmende Beobachtungen =>Wenn man im Feld ausschließlich Interviews führt, kann man nicht das Gleiche untersuchen wie mit teilnehmender Beobachtung und Ethnografie. Keine defizitäre Beobachtung: -Forschende sind keine störenden Faktoren, sondern wichtige Akteure im Prozess der Erkenntnisgewinnung, da sie ja den Anspruch haben die Erfahrungen direkt sozialwissenschaftlich zu verarbeiten ->"Empirische Erkenntnisquelle" Keine Anmaßungen: -Ethnografische Perspektivwechsel sind keine tiefenpsychologischen Interpretationen, sondern beschreiben spezifische soziale Situationen ->es wird sich nicht in die Lebenssituation versetzt 4.Zusammenfassung Ziele: -Direkte Nachvollziehbarkeit von Handlungen in ihrem natürlichen Kontext -Integration verschiedener Methoden und Daten für ein umfassendes Verständnis Forschungsmethoden: -Zentral bleibt die teilnehmende Beobachtung -Ergebnisse werden durch kontinuierliche Reflexion und schriftliche Analyse weiterentwickelt Einführung in die qualitativen Methoden Seite 7 Konversationsanalyse Dienstag, 29. Oktober 2024 10:08 Lernziel: Sie können erklären, was die ethnomethodologische Konversationsanalyse bezweckt und auf was bei ihrer Durchführung zu achten ist. Sie können die Bedeutung des Sprechens sowie von Gattungen und Texten für die Gesellschaft ebenso beschreiben wie die Notwendigkeit ihrer qualitativen Erforschung. 1.Was ist Konversationsanalyse und wozu benötigt man sie? Definition: -Die Konversationsanalyse untersucht, wie Sprache zur Handlungskoordination genutzt wird. -Ziel: Analyse der sprachlichen Methoden, mit denen kommunikative Probleme gelöst werden. Sprache und Handlungskoordination: -Sprache ermöglicht soziale Interaktion und ist essenziell für das Verständnis der Wirklichkeit -Interaktionen sind dynamisch: Verhalten wird ständig angepasst, da Gesprächspartner*innen fortlaufend aufeinander reagieren Forschungsfragen: -Wie wird bestimmt, wer wann spricht? -Wie werden Gesprächssequenzen organisiert? -Wie lösen kommunikative Strukturen soziale und institutionelle Probleme? 2.Gesprächsorganisation und Gattungen Gesprächsorganisation: -Organisation der Redezüge: Wann ist jemand fertig mich Sprechen, wer ist als nächstes dran? -die Verknüpfung von Äußerungen oder Aktivitätsarten (z.B. das Fragen oder das Beschuldigen) -die Sequenztypen (z.B. Komplimente und deren Beantwortung oder das Eskalieren ein Streit) =>drei grundlegende Regeln der Organisation von Unterhaltungen -institutionelle Konversation (z.B. die interaktive Organisation von Gerichtsverhandlungen, Therapiegesprächen oder Notrufen) -soziale Veranstaltungen, die meist formalisierte wie auch informelle Vorgänge beinhalten, aber auch Situationen ohne formalisierten Kern sein können (z.B. Partys) => Meist werden sowohl formalisierte als auch informelle Vorgänge in Veranstaltungen zu finden sein Gattungen: Gattungen basieren auf besonderem Wissen der Kommunikationsbeteiligten und leiten die Handlungen an. Sie sind »Schemata der Ordnung kommunikativer Sequenzen, die den Teilnehmern eine Orientierung über die Art des stattfindenden Kommunikationsprozesses bieten. -Orientierungsschemata, die kommunikative Prozesse strukturieren (z.B. Diskussionen, Verhandlungen) ->leiten eine Handlung an ->lösen kommunikative Probleme ->Beispiel: Eine Rede kann eine Ehe besiegeln oder eine Straftat verurteilen. =>Gattungen sind Form der Wissensvermittlung, legen Wirklichkeit fest und leiten das Handeln an. Podcast Ruth Ayaß -Forschungsprojekt zum Thema wie Handlungen geplant werden -Sie spricht darüber, wie das Forschungsteam an seine Daten kommt, wie es mit diesen in seinen Interpretationssitzungen verfährt und wie wichtig es für die Konversationsanalyse ist, dass die Forschenden ihre Daten selbst generieren. 3.Aspekte der Durchführung Datenqualität: -natürliche Daten sind entscheidend: Alltagskommunikation wird audiovisuell aufgezeichnet (durch den Forschenden oder es werden natürlich aufgezeichnete Daten verwendet (Mailbox)) Einführung in die qualitativen Methoden Seite 8 den Forschenden oder es werden natürlich aufgezeichnete Daten verwendet (Mailbox)) -Transkriptionen: Standardisiert nach dem Gesprächsanalystischen Transkriptionssystem (GAT 2) Analyseschritte: -Alle Kommunikations- bzw. Textelemente können ordnende Phänomene sein und deshalb darf nichts von vorn herein als unwichtig aus der Analyse ausgespart werden -wiederholte Beobachtung von Mustern in mehreren Transkripten ->Beschreibung ist dann jedoch noch nicht das Ergebnis, sondern lediglich der Beginn der Rekonstruktion von kommunikativen Problemen bzw. ihren Lösungen -Weiterführung durch theoretisches Sampling; Vergleich mit anderen Fällen, um kommunikative Probleme und ihre Lösungen zu rekonstruieren => "Für welches kommunikative Problem ist das von den Handelnden erzeugte Muster eine Lösung?" 4.Fehler & Fallstrick bei der Konversationsanalyse Strukturverbeamtung: -Konversationsanalyse geht über die Beschreibung von Sprachstrukturen hinaus -Sie untersucht auch die dahinterliegenden sozialen Handlungsprinzipien -Wichtiger Ausgangspunkt: Es kann nicht in Vorhinein entschieden werden, was ordnungsleitende Strukturmerkmale sind und was nicht Detailversessenheit: -Jedes noch so kleine Element kann relevant sein -Dies ist kein "Spleen", sondern entspricht der Alltagsmethoden sozialer Akteure Relevanz der Alltagskommunikation: -Auch scheinbar banale Gesprächsdetails tragen wesentlich zur Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Ordnung bei. 5.Zusammenfassung Ziel der Konversationsanalyse: -Untersuchung der Organisation von Gesprächen, Gattungen und sozialen Veranstaltungen -Analyse, wie soziale Ordnungen durch Interaktionen erzeugt werden Methoden: -Analyse audiovisueller Daten, wenn die Interaktion nicht nur auditiv organisiert ist. -Mikroskopische Untersuchung von Details, die oft zunächst irrelevant erscheinen Fokus: -Rekonstruktion sozialer Motive und Handlungslogiken -Überwindung eines reinen strukturellen Verständnisses von Sprache Einführung in die qualitativen Methoden Seite 9 Bildanalyse Dienstag, 12. November 2024 10:10 Lernziel: Sie können die soziologische Relevanz (der Analyse) von bewegten und unbewegten Bildern beurteilen, die im Alltag erzeugt werden. Sie können bildanalytische Vorgehensweisen auf Material anwenden. 1.Was ist Bildanalyse und wozu benötigt man sie? Definition: -Bilder sind essenzielle für die Konstruktion von Sinn, sozialer Ordnung und Kommunikation -Sie ermöglichen Orientierung in der Gesellschaft ->Praktik zur Herstellung sozialer Ordnung wodurch die Gesellschaftsmitglieder ihr Wissen und Erfahrungen ordnen -natürliche Bilder sind Teil eines biografischen Konstruktionsprozesses ->Fotos zeigen ist demnach eine biografische Thematisierung Natürliche Visualität: -Visuelle Darstellungen spiegeln Alltagsprozesse und gesellschaftliche Werte wider -Sie machen soziale Praktiken und kulturelle Normen sichtbar Mediale Bilder und visuelle Gattungen: -Bilder sind Orientierungshilfen, die die Kultur und Moral einer Gesellschaft offenbaren -soziologische Film- und Fernsehanalyse zeigt, was in einer Gesellschaft als relevant oder moralisch akzeptabel gilt 2.Aspekte der Durchführung Fotoanalyse: Beobachtung: Erster Schritt, um die generelle Bildkomposition und den Kontext zu erfassen Segmentierung: zerlegen des Bildes in Abschnitte, um Details und ihre Anordnung zu analysieren Feinanalyse: Untersuchung einzelner Bilddetails und ihrer symbolischen Bedeutung Planimetrische und kompositorische Analyse: Betrachtung der räumlichen Anordnung und der visuellen Struktur des Bildes Filmanalyse: -Filme sind Ausdruck und Spiegel gesellschaftlicher Zustände -Visualisierung von Normen, Werten und sozialen Strukturen und beeinflussen diese gleichzeitig -"Orientierungshaushalt der Gesellschaft" = zeigen zu dem jeweiligen Zeitpunkt aktuelles, relevantes und wissenswertes Funktion der Filme: -Konstruktion und Verbreitung von Wissen. -Vermittlung von gesellschaftlicher Ordnung und Identität. -Sichtbarmachung sozialer Konflikte oder Wandlungsprozesse. Methodik der Filmanalyse: -Auswahl der Materialart (Filme, Serien, Spots) -Anfertigung von Sequenzprotokollen (gesamte Materialstück kann erschlossen werden, Schlüsselsequenzen ausgemacht und analysiert werden) ->Auswahl von Schlüsselszenen -Transkription: Feintranskripte sowie Kamerabewegungen und Schnitt- und Bildkompositionselemente -Fein-/Mikroanalyse der Schlüsselszenen -Fall-/Makroanalyse des Gesamtfilms (Erzählstrategie/Rollen) 3.Zusammenfassung Visuelle Methoden und ihre Bedeutungen: -Bilder und Filme sind zentrale Medien, durch die Gesellschaft Sinn herstellt und Handlungen Einführung in die qualitativen Methoden Seite 10 -Bilder und Filme sind zentrale Medien, durch die Gesellschaft Sinn herstellt und Handlungen orientiert Aufgaben der qualitativen Sozialforschung: -Rekonstruktion visueller Darstellungsweisen und ihrer sozialen Funktionen -Überwindung der früheren "Bildvergessenheit" in der deutschen Soziologie Methodischer Hinweis: -reine Inhaltsanalysen sind für tiefere soziologische Einsichten oft nicht ausreichend Einführung in die qualitativen Methoden Seite 11 Interviews - Grundlegendes Dienstag, 12. November 2024 10:10 Lernziel: Wenn Sie diese Lektion bearbeitet haben, können Sie erklären, was Interviews in der qualitativen Sozialforschung sind und wozu man sie benötigt. Ebenso lernen Sie, verschiedene Grundformen und Konstellationen qualitativer Interviews zu unterscheiden. 1.Was sind qualitative Interviews und wozu benötigt man sie? Definition und Zweck: -Qualitative Interviews sind ein zentrales Werkzeug der Sozialforschung, um Erfahrungen, Meinungen und Handlungen zu erfassen -Sie helfen soziale Wirklichkeiten zu rekonstruieren, da Individuen durch Berichte und Erzählungen Sinn und Orientierung schaffen -Menschen können sich selbst nur durch andere und die soziale Interaktion erfahren können. Interviews greifen diese Prozesse auf und machen sie analytisch zugänglich. Stimulation natürlicher Konstruktionen: -viele relevante soziale Bedeutungen werden im Alltag nicht von selbst sichtbar -Qualitative Interviews ermöglichen, diese Bedeutungen gezielt zu erforschen, indem sie spezifische Situationen und Deutungsmuster in einer konzentrierteren Form simulieren. Ersatzsituationen: -Interviews erzeugen eine Nachbildung natürlicher Interaktionen -Sie schaffen einen Rahmen, in dem Befragte ihre Erfahrungen und Perspektiven rekonstruieren und ausdrücken können. Fokus/Offenheit: -Antwortmöglichkeiten werden nicht vorgegeben ->Befragte sollen ganz nach ihrem Ermessen handeln und die Situation umfassend sprachlich darlegen -In Interviews werden Sprechhandlungen bewusst auf ein bestimmtes (Forschungs-)Thema hin zentriert und absichtlich auf bestimmte Weise organisiert (Interviews sind fokussiert und strukturiert) 2.Grundformen qualitativer Interviews Narratives Interview -Ziel: Rekonstruktion individueller, biografischer Wissensbestände -Befragte werden ermutigt, frei über ihre Lebensgeschichte oder spezifische Erfahrungen zu sprechen -Forschende greifen nur minimal ein und geben eher allgemeine Impulse -Vorteile: Tiefere Einblicke in persönliche Erfahrungen -Beispiel: Eine Erzählung über den beruflichen Werdegang, bei der sich bestimmte Herausforderungen und Erfolge herauskristallisieren Leitfadeninterview: -Ziel: Systematische Erhebung allgemeiner Wissensbestände -Forschende nutzen einen vorab entwickelten Leitfaden mit offenen Fragen, um sicherzustellen, dass bestimmte Themen behandelt werden -Vorteile: Strukturiert, aber dennoch flexibel -Beispiel: Untersuchung von Arbeitszufriedenheit in einer Organisation Spezielle Interviewkonstellationen: -Paare oder Familien: Erfassen von dynamischen Interaktionen -Berufs- oder Statusgruppen: Untersuchung von kollektiven Perspektiven -Digitale Interviews: Nutzung von Video- oder Textkommunikation, um Menschen in räumlich entfernten Kontexten zu erreichen Einführung in die qualitativen Methoden Seite 12 3.Methodische Aspekte der Durchführung Vorbereitung: Klar definierte Forschungsfragen, um den Fokus des Interviews festzulegen. Entwicklung eines Interviewleitfadens, falls strukturelle Orientierung notwendig ist. Durchführung: Offene und respektvolle Atmosphäre schaffen, um ehrliche und tiefgehende Antworten zu fördern. Einsatz aktiven Zuhörens: Forschende sollten auf Aussagen eingehen, ohne die Antworten zu lenken. Datenaufzeichnung: Interviews werden in der Regel aufgezeichnet, um eine detaillierte Analyse zu ermöglichen. Anfertigung von Feldnotizen, um nonverbale Hinweise und den Kontext zu dokumentieren. Nachbereitung: Transkription der Interviews für die qualitative Analyse. Reflexion der Interviewdynamik: Wie hat die Beziehung zwischen Interviewer:in und Befragtem die Antworten beeinflusst? 4.Vorteile und Herausforderungen Vorteile: Tiefer Einblick in individuelle und kollektive Perspektiven. Flexibilität bei der Anpassung an verschiedene Themen und Kontexte. Erhebung komplexer Daten, die sich nicht durch standardisierte Verfahren erfassen lassen. Herausforderungen: Zeitaufwändige Durchführung und Analyse. Mögliche Verzerrung durch die Beziehung zwischen Forschenden und Befragten. Subjektivität in der Interpretation der Antworten. 5.Zusammenfassung Wichtigkeit qualitativer Interviews: Sie ermöglichen es, soziale Phänomene aus der Perspektive der Betroffenen zu verstehen. Sie decken individuelle und gesellschaftliche Deutungsmuster auf. Flexibilität: Die Methode ist anpassbar an verschiedene Forschungsfragen und Kontexte. Komplexität: Interviews erfordern hohe methodische Sorgfalt bei der Planung, Durchführung und Auswertung. Einführung in die qualitativen Methoden Seite 13 Narratives Interview Mittwoch, 4. Dezember 2024 12:06 Lernziel: Sie sind grundsätzlich dazu in der Lage, ein narratives Interview durchzuführen. Sie wissen, worauf man bei der Planung und Durchführung narrativer Interviews besonders achten sollte. Definition: Im narrativen Interview werden Befragte gebeten, ihre eigenerlebten Erfahrungen ununterbrochen monologisch zu erzählen und anschließend auf Nachfragen hin wieder ins Erzählen zu kommen. Es geht dabei hauptsächlich um die Untersuchung individuell-lebenszeitlichen Wissens und daher meist um biografische Artikulationen. 1.Was ist das narrative Interview und wozu benötigt man es? Funktionen von Erzählungen: -Erzählungen sind zentrale Mechanismen, um Erlebnissen Sinn zu verleihen und Wirklichkeit zu erzeugen -Sie dienen der Handlungsorientierung und sind ein "Schauplatz des Selbst". Menschen begreifen sich selbst durch Geschichten über ihr eigenes Handeln. -im narrativen Interview werden die Befragten gebeten, ihre eigenerlebten Erzählungen monologisch zu erzählen -Dabei ist das narrative Interview eine Art "Ersatzsituation", da Zusammensetzungen dieser Art nicht häufig "natürlich" passieren Soziologische Relevanz: -Biografisches Wissen ist eine Methode, mit der sich Individuen mit der Gesellschaft verbinden, indem sie Rollen, Systeme und Lebensphasen miteinander verknüpfen. -es geht primär darum, wie sich Menschen in Bezug auf einen bestimmten Problembereich mit der Gesellschaft sinnvoll vermitteln -Für Sozialforschende ist weniger die Lebensgeschichte selbst interessant, sondern die Art und Weise, wie Menschen durch ihre Erzählungen Sinn rekonstruieren. 2.Aspekte der Durchführung Passung von Thema und Methode: -Die Methode des narrativen Interviews eignet sich besonders, wenn das Forschungsthema biografische Relevanz für die Befragten hat. Biografische Relevanz des Themas: -Forschungsfragen sollten so gestaltet sein, dass sie lebensgeschichtliche Erzählungen ermöglichen. -Prüfen Sie, ob das Thema einen "Interpretationspunkt" darstellt, an dem Menschen ihr Leben reflektieren oder ordnen können. 3.Ablauf des narrativen Interviews Erzählaufforderung: -Ziel: Die Befragten motivieren, ihre Lebensgeschichte frei und ohne Unterbrechungen zu erzählen. ->Orientierungsleistung wird durch den Befragten selbst vorgenommen -Erzählaufforderung sollte einen relativ großen Zeitraum ansteuern Autonome Erzählung: -Die Befragten erzählen autonom ihre Geschichte -> meist in der Verschachtelung mehrerer Erzählelemente: - Orientierung: Einführung in die Geschichte. - Komplikation: Darstellung von Krisen oder Herausforderungen. - Höhepunkt: Konfrontation mit den Problemen. - Auflösung: Beschreibung der Bewältigung. - Konklusion: Reflexion und Fazit. Einführung in die qualitativen Methoden Seite 14 - Konklusion: Reflexion und Fazit. -Forschende nehmen eine zurückhaltende Rolle ein und unterbrechen nicht, sondern notieren sich Fragen oder Themen für die Nachbefragung. -Die Erzählung muss von den Beteiligten während des gesamten Interviews gemeinsam hergestellt werden und geht daher auch nach dem Interviewanfang die ganze Zeit mit zahlreichen Aushandlungs- und Reparaturleistungen einher. -Es ist wichtig flexibel auf Emotionen der Befragten reagieren zu können und sich von zum Beispiel Trauma Erzählungen nicht nachträglich prägen zu lassen. Immanente narrative Nachfragen: -Immanente Nachfragen beziehen sich direkt auf die Inhalte, die der/die Befragte bereits in seiner/ihrer Erzählung erwähnt hat. Sie greifen das auf, was von der Person angesprochen wurde, und fordern sie auf, diese Aspekte weiter auszuführen. -Im Nachgang werden spezifische Themen angesprochen, die in der Erzählung erwähnt wurden. Podcast Frerk Blome -Doktorarbeit zu Klassenaufstiegen -redet darüber, was wir unseren Befragten in lebensgeschichtlichen Interviews alles zutrauen können und als Interviewende jedoch auch »mitmachen« müssen. Exmanente narrative Nachfragen: Exmanente Nachfragen führen neue Aspekte oder Themen in das Gespräch ein, die bislang nicht explizit angesprochen wurden. Sie basieren auf dem Interesse der Forschenden oder auf der Forschungsfrage, auch wenn diese Themen noch nicht von der befragten Person erwähnt wurden. -sollten auch immer noch offen gestellt sein und keine Interpretation/Beurteilung beinhalten 4.Herrausforderungne und typische Fehler Untersuchungsinteresses: Die großgeschichtliche Aufordnung des individuell-lebenszeitlichen Wissens zu einem bestimmten Problemfeld ->daher sollten methodische Anpassungen stattfinden, wenn dieses Interesse nicht befriedigt wird. -mangelnde Aufklärung -Zu starke Steuerung durch die Forschenden/fehlende Offenheit -Mangelnde Relevanz des Themas -Fehlender Umgang mit Traumata -Unzureichende Vorbereitung 5.Vorteile des narrativen Interviews -Narratives Interview liefert reichhaltige Daten, die tiefere Einblicke in individuelle Lebenswelten ermöglichen -Forschende können verstehen, wie Individuen ihre Erfahrungen und Identitäten in einen größeren sozialen Kontext einbetten. -Die Methode lässt Raum für unerwartete Themen und Perspektiven, die in standardisierten Verfahren oft verloren gehen. 6.Zusammenfassung Essenz des narrativen Interviews: -Es dient der Erfassung lebensgeschichtlicher Wissensbestände und deren gesellschaftlicher Relevanz. -Es ist nicht nur eine Methode der Datenerhebung, sondern auch eine Technik, die das Selbstverständnis der Befragten hervorbringt. Kernfragen der Forschenden: -Ist mein Forschungsthema biografisch relevant? -Fördert meine Erzählaufforderung eine freie und umfassende Darstellung? -Habe ich die richtige Balance zwischen Zurückhaltung und gezielten Nachfragen gefunden? Einführung in die qualitativen Methoden Seite 15 Leitfadeninterview Mittwoch, 11. Dezember 2024 17:44 Lernziel: Sie können das Leitfadeninterview vom narrativen sowie vom standardisierten Fragebogen-Interview unterscheiden. Sie lernen, wie Sie mit Interviewleitfäden und Frageformen umgehen sollten. Auch können Sie die Fehler reflektieren, die bei der Anwendung dieser Interviewform häufig gemacht werden. 1.Was ist das Leitfadeninterview und wozu benötigt man es? -Ein Leitfadeninterview ist eine dialogisch organisierte Interviewform, die der Erhebung von allgemeinen und alltagszeitlichen Wissensständen dient. -Im Gegensatz zu narrativen Interviews geht es nicht um freie Erzählungen, sondern um gezielte Beschreibungen, Begründungen und Argumentationen mithilfe eines vorbereiteten Leitfadens. Zwei Reflexionsformen – zwei Interviewformen: Abgrenzung zu anderen Interviewarten: Recherchegespräch: Häufig ungeschult; offene und geschlossene Fragen für Informationen Standardisiertes Interview: Quantitativ geschult, oft feste Fragebögen mit geschlossenen Fragen zur Theoriebelegung Leitfadeninterview: Qualitativ geschult, gezielte Fragetechniken zur Erhebung komplexer Informationen 2.Aspekte der Durchführung (diskursives Interview) Leitfadenentwicklung: Der Leitfaden ist mehr als eine Frageliste. Er erfordert intensive Auseinandersetzung mit dem Forschungsthema und dessen Darstellung im Alltag. Sammeln: Brainstorming möglicher Fragen und Themen Prüfen: Fragen auf Potenzial für ausführliche Antworten prüfen. Vermeidung von "Ja/Nein"-Fragen oder der Bestätigung von Vorannahmen Sortieren: Strukturierung in thematische oder zeitliche Blöcke Subsumieren: Fragen zu konkreten Sprechaufforderungen bündeln Wichtige Aspekte der Fragestruktur: -Fragen müssen offen formuliert sein, um längere und komplexe Antworten zu ermöglichen Einführung in die qualitativen Methoden Seite 16 -Fragen müssen offen formuliert sein, um längere und komplexe Antworten zu ermöglichen Fragenformulierung: 1.Die Fragestrukturierung -Ziel: Deutungsprozesse anregen und den Antwortraum öffnen -Es geht nicht darum, herauszufinden wie häufig eine bestimmte Meinung vertreten ist, sondern darum, wie die Menschen ihre Sichtweisen und Erfahrungen entwickeln/darstellen ->auch Widersprüche sind Erkenntnisse 2.Die Frage- und zu erzielenden Antwortarten -Verständnis- und Wissensfragen: "Was verstehen sie unter Obdachlosigkeit?" -Erzähl- und Beschreibungsaufforderung: "Wie würden sie einen typischen Obdachlosen beschreiben?" -Begründungsaufforderung: "Warum sind sie der Meinung, dass man Obdachlose (nicht) helfen sollte?" -Explikations- und Validierungsfragen: "Wenn ich das richtig verstanden haben, sind sie alles in allem für Hilfen an Obdachlose, aber nur wenn diese arbeiten?" -Evaluative und normative Fragen: "Stellen Sie sich vor, es gäbe ein Grundeinkommen für alle. Wie finden Sie es, wenn dies auch Obdachlosen ausgezahlt wird, sagen wir: als Barbeträge in Verwaltungsstellen, wann immer und in welcher Höhe sie jeweils möchten?" =>Genutzt werden gezielt auch Konfrontationen und Polarisierungen, Zurückspiegelungen, bewusste Suggestivfragen (Erwartungen und Unterstellungen) sowie hypothetische Situationen. ->sollten allerdings nicht am Anfang oder durchgehend eingesetzt werden Podcast mit Carsten G. Ullrich -spricht über den gezielten Einsatz von Suggestivfragen 3.Der Aufbau (und die Handhabung) des Leitfadens Ein Leitfaden sollte systematisch gegliedert sein, z. B. bei einem Thema wie Arbeitslosigkeit: -Individuelle Aspekte: Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit. -Wahrnehmung und Bewertung: Ursachen und Folgen. -Soziale Wahrnehmung: Wer ist betroffen? Typische Vorurteile. -Öffentlicher Diskurs: Medienberichte und gesellschaftliche Deutungsmuster. -Fragen sollten flüssig und natürlich eingebracht werden. -Der Gesprächsfluss sollte nicht durch ein Abarbeiten der Fragen unterbrochen werden. -Leitfaden ist kein starres Skript sondern eher eine Art Spickzettel -Leitfragen sollte wie ein Trichter konzipiert sein (Erst ein Breiteres Thema und dann die Fokussierung auf einzelne Aspekte) 3.Fehler und Fallstricke beim Leitfadeninterview -oft wissen Befragte nicht, was von ihnen erwartet wird ->klare Einführung -statt offenen Fragen werden enge Filterfragen gestellt -> schränken den Antwortraum ein -Strickte Abarbeitung des Leitfadens -> wertvolle Aussagen werden überhört -zeitliche Eingrenzung 4.Zusammenfassung -Eine dialogische, systematisch organisierte Interviewform zur Erhebung von alltagszeitlichem Wissen -Erfolgsfaktoren: -Gut vorbereiteter Leitfaden. -Offene und zielgerichtete Fragen. -Flexibilität in der Gesprächsführung. -Herausforderungen: -Vermeidung von Leitfadenbürokratie und Filterfragen. -Klarheit in der Aufklärung der Methode gegenüber den Befragten. Einführung in die qualitativen Methoden Seite 17 Gemeinschaftsverfahren Donnerstag, 9. Januar 2025 12:21 Lernziele: Sie können qualitative Interviews mit Paaren und Familien sowie Gruppendiskussionen definieren und beurteilen, ob und wie Sie diese Interviewformen auf bestimmte Forschungsprobleme anwenden können. 1.Was sind Gemeinschaftsverfahren und wozu benötigt man sie? Definition: Interviews/Diskussionen welche mit Paaren Familien oder Gruppen durchgeführt werden. Es werden drei Berufungsverfahren zusammengefasst: Paarinterview, familiengeschichtliches Gespräch, Gruppendiskussion Fokussierung: -Kollektive Deutungsmuster und Handlungsorientierungen der jeweiligen Gemeinschaft in Bezug auf ein bestimmtes Forschungsproblem (Muss aber keinen Konsens beinhalten) -Untersuchung wie eine Gemeinschaft Bedeutung aushandelt durch das in Sprache bringen durch die Diskussion -Die kollektiven Orientierungen einer Gemeinschaft entstehen in gemeinsamen Kommunikationen, weshalb sie mithilfe gemeinschaftlicher Kommunikation am besten untersucht werden können. 2.Beispiel: Das Gruppenexperiment Historischer Hintergrund: -Entwickelt in den 1950er Jahren am Frankfurter Institut für Sozialforschung (von aus dem Exil zurückgekommen Sozialforschern) Durchführung: -1121 Gruppen diskutierten an Orten, die für natürliche Kommunikation typisch sind (Gaststätten, Wohnheime, Kantinen) -Besprochene Themen: Demokratie, deutsche Schuld, Judenverfolgung und Besatzungsmächte -Ziel: Beobachtung von Gruppendynamiken und kollektiven Aushandlungsprozessen 3.Kollektives Bewusstsein -Kollektive Perspektiven sind Ergebnisse kommunikativer Handlungen ->Gemeinschaftsverfahren erfassen diese Perspektiven durch gezielte Gesprächsführung ->daher werden Personen gezielt dazu gebracht in einer Gruppensituation über ein bestimmtes Phänomen gemeinsam zu sprechen, damit eine gemeinsame Sicht produziert wird ->dabei muss kein Konsens entstehen 4.Aspekte der Durchführung Selbstläufigkeit - Paarinterviews und Gruppendiskussionen: -absolut selbstständige Kommunikation der Gemeinschaft Paarinterviews -Erzählaufforderungen, z.B. "Bitte erzählen Sie uns Ihre Familiengeschichte" Einführung in die qualitativen Methoden Seite 18 -Erzählaufforderungen, z.B. "Bitte erzählen Sie uns Ihre Familiengeschichte" -Ziel: Tiefe Einblicke in gemeinsame Perspektiven und Unterschiede ->Jedoch keine Einzelbetrachtung der Individuen Gruppendiskussionen: -Verwendung eines Grundreizes, der Emotionen und Diskussionen auslöst -Aufklärung über die "Regeln" der selbstständigen Diskussion Anschließend kommt die immanente Nachfrage 5.Fallstricke -Keine Regeln vorab ansprechen (nicht unterbrechen) -Leute, welche zurückhaltend sind motivieren zu sprechen ->Eingriff in die von der Gruppe selbst organisierte Redeordnung -keine Reihum Äußerung zu dem Thema -Raum schaffen, in dem sich jeder ungehemmt äußern kann ->im Notfall muss eingegriffen werden 6.Fazit -Gemeinschaftsverfahren bieten einzigartige Einblicke in kollektive Deutungsmuster -Ihre Stärke liegt in der Erfassung von Perspektiven, die nur in Kommunikation entstehen Einführung in die qualitativen Methoden Seite 19 Aufklärung & Dokumentation Donnerstag, 23. Januar 2025 09:59 Lernziel: Sie lernen, wie man Teilnehmer:innen qualitativer Interviews über das Forschungsprojekt und die Interviewmethode aufklärt. Sie wissen, wie man alle für die Auswertung wichtigen Dokumente bzw. Dateien zu einem Interview zusammenstellt. 1.Aufklärung im Zuge der Teilnehmergewinnung Rechtliche und methodische Notwendigkeit: -oft vergessen die qualitativ Forschenden (da sie selber im Feld tätig sind), die Teilnehmenden über das Forschungsthema und das gesamte Vorgehen aufzuklären ->Problemstellung muss angekündigt werden, ohne sie zu stark zu spezifizieren ->MÜSSEN aber auch rechtlichen und ethischen Gründen informiert einwilligen und freiwillig teilnehmen ->auch die Qualität der qualitativen Interviews leiden unter unzureichender Aufklärung Zentrale Infos im Teilnahme-Aufruf: -Thema des Interviews -Dauer und Ablauf -Datenschutzrichtlinien -Kontaktinformationen (-Wer wird gesucht? -Teilnehmereinschränkung) Ziel: -Vertrauen aufbauen -Teilnehmer motivieren 2.Aufzeichung & Transkription -vollständige, hochwertige Aufzeichnungen sichern Material für die Auswertung -ALLES wird abgetippt (keine Paraphrasierung oder Zusammenfassung) -auch parasprachliche (Betonung, Seufzen, Lachen) sowie nicht-sprachliche Zeichen (Mimik/Gestik) werden dokumentiert -Formale Angaben: -Fortlaufende Zeitangaben: in jedem Fall bei jedem Sprecher:innenwechsel, aber auch bei längeren Monologen -Fortlaufende Zeilennummern -Fortlaufende Seitenzahlen Einführung in die qualitativen Methoden Seite 20 3.Protokolle & Dokumente Erstellung eines Protokolls: -Interviewdatum und –Ort, Teilnehmer, Interviewer -Angaben zum "Fall", Teilnehmer und die Lebens-/Arbeits- und Wohnbedingungen -Wie wurde die Person zur Teilnahme gewonnen? Persönliche Beziehung zum Interviewer? -Bei Paaren oder Familien: Wer hat sich auf den Aufruf gemeldet und übernimmt die Planung -Konnten alle Teilnehmer persönlich vor dem Interview von den Forschern kennengelernt und aufgeklärt werden? -Beschreibung des Inhalts und Ablaufs der Vorkontakte, Besonderheiten in den Vorgesprächen und der Terminorganisation? -Besonderheiten und Störungen im oder unmittelbar vor dem Interview (Konflikte im Forschungsteam, schleppende Interaktion/Passagen, räumliche oder akustische Störungen, Geruchs- oder Hygieneprobleme?) Ziel: Nachvollziehbarkeit und Transparenz, Fehlerquellen dokumentieren Dokumentation: Abzulegende Dateien und Informationen Einführung in die qualitativen Methoden Seite 21 Analysestrategien Dienstag, 28. Januar 2025 22:52 Lernziel: Sie können qualitative Strategien des Samplings und des Fallvergleichens auf eigene Untersuchungen anwenden. Sie kennen die Unterschiede zwischen fallrekonstruktiven Sequenzanalysen und kategoriebildenden Codieranalysen und trauen sich zu, diese Verfahren auszuprobieren. 1.Qualitative Analyse: Grundlegendes Parallelität und Wechselseitigkeit von Theorie & Empirie: -Theoretisches Sampling: Daten werden kontinuierlich analysiert und durch neue Daten reflektiert. ->Entstehung eines dynamischen Forschungsprozesses -> Gütekriterium -Theoretische Sättigung: Neue Daten bringen keine zusätzlichen Erkenntnisse mehr -Der Fall und das Sample variieren je nach Forschungsfrage: Gruppen, Situationen, Personen Vergleichende Analysen zum erzielen theoretischer Sättigung: Sie sind zentral, um Erkenntnisse zu verallgemeinern. Ein Fall alleine reicht nicht, um fundierte Aussagen zu treffen. -Minimal- & Maximalvergleich: -Minimal = zum Erkennen von Mustern und Bedingungen -Maximal = zur Erweiterung/Modifikation theoretischer Konstrukte => Sollen zentrale Aussagen über den Gegenstand fördern =>Heuristische Strategien 2.Codieren in der interpretativen Sozialforschung (Grounded Theory) Schritte: 1. Offenes Codieren: Welche Phänomene, Dimensionen und Subdimensionen zeigen sich in den Dokumenten? Worüber geht die Studie? (Line-by-Line, word-by-word, Memeos) 2. Axiales Codieren: Weiterverarbeitungen der Erkenntnisse zu Modellen ->Theorienminiaturen 3. Selektives Codieren: Weiterverarbeitung der Theorienminiaturen zu einer einzigen Theorie (Zentralität, Beständigkeit, Relationalität, Verallgemeinerbarkeit) Bei der Codiertechnik im Rahmen der Grounded Theory werden keine Konzepte an das Material herangetragen oder einmal offen entwickelt und dann unverändert über die Daten gestülpt. Vielmehr werden Codes und schließlich auch das Schlüsselkonzept fortlaufend im Dialog mit (zumal immer wieder neuen) Daten entwickelt, d.h. umbenannt, verworfen, verschoben oder aufgelöst. 3.Offenheit des Gegenstands und Verallgemeinerbarkeit -Forschende müssen offen für unerwartete Erkenntnisse sein und können nicht von einem Sachverhalt auf einen anderen schließen -Offenheit während des gesamten Forschungsprozesses 4.Theoretisches Sampling -Permanente Anpassung von Fragestellung Daten und theoretischen Konzept (rekursiv) -Daten werden strategisch gesammelt, um bestimmte Kategorien zu erweitern oder zu bestätigen und teils auch anfängliche Annahmen zu verwerfen -Genaue Fallzahl kann nicht vorher festgelegt werden, sondern es wird bis zur theoretischen Sättigung geforscht -Ziel ist es, eine umfassende Theorie zu entwickeln, die auf empirischen Daten basiert 5.Fallrekonstruktion (Objektive Hermeneutik) -Fokus auf die innere Logik eines Falles (z.B.: Motivstruktur einer Familie oder Organisation) -Es wird nicht nur beschrieben, was die Person subjektiv meint, sondern was ihre Aussagen objektiv bedeuten Sequenzanalyse: Einführung in die qualitativen Methoden Seite 22 Sequenzanalyse: -Das Material wird Schritt für Schritt analysiert ->Verschiedene Bedeutungsmöglichkeiten werden durchgespielt ->Untersucht welche Handlungsmöglichkeiten bestehen und warum diese gewählt wurde -Handlung wird als Konsequenz vorheriger Vorgänge, aber auch als Transformation unter neuen Bedingungen analysiert "Checkliste" für die Feinanalyse einer Materialstelle (nicht starr in der Reihenfolge): 1. Extensive Gedankenexperimente: -Möglichst viele und kontrastierende Kontexte für eine Äußerung durchspielen um versteckte Bedeutungen offenzulegen -Mögliche Handlungsalternativen herausarbeiten 2. Paraphrasierung -Die Äußerung in anderen Worten wiedergeben und eventuell überspitzen 3. Bewusste Motive -Annahmen über Absichten, Interessen und Wünsche der handelnden Person 4. Objektive Bedeutung -Den tatsächlich realisierten Sinn der Äußerung klären, unter Einbeziehung von Wissen über andere Fälle und Theorien. 5. Beteiligungsstrukturen; sprachliche Besonderheiten -Besondere Merkmale der Kommunikation festhalten 6. Rekonstruktion der Sinnstrukturen -Muster im Ablauf der Äußerung erkennen und eine Hypothese dazu formulieren 7. Theoretische Einordnung -Die Analyse mit allgemeinen sozialwissenschaftlichen Theorien verknüpfen Totalitätsprinzip: Alles in dem Material zählt und muss beachtet werden. Kein Detail darf ausgelassen werden. Wörtlichkeitsprinzip: Es darf jedoch keine Bedeutung in einzelne Materialausschnitte hineininterpretiert werden. Einführung in die qualitativen Methoden Seite 23

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