Summary

This document discusses educational disparities, analyzing how factors like social background, gender, and migration impact educational outcomes. It explores the concept of social capital and its relation to educational attainment and examines research findings, including studies from PISA 2022, on disparities in the German education system.

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Bildungsgerechtigkeit und Bildungsdisparitäten Ziel: keine Bildungsungleichheiten Gleichheitsgrundsatz: gleichberechtigter Zugang zu Bildungsinstitutionen (Art. 3 GG) Leistungsprinzip: Unterschiede in Bildungsabschlüssen allein aufgrund unterschiedlicher Leistungen Problem: Leistungen of...

Bildungsgerechtigkeit und Bildungsdisparitäten Ziel: keine Bildungsungleichheiten Gleichheitsgrundsatz: gleichberechtigter Zugang zu Bildungsinstitutionen (Art. 3 GG) Leistungsprinzip: Unterschiede in Bildungsabschlüssen allein aufgrund unterschiedlicher Leistungen Problem: Leistungen oft von sog. askriptiven (zB. Geschlecht, soziale Herkunft) bzw. zugeschriebenen Merkmalen abhängig (im Unterschied zu erworbenen Merkmalen (zB. Berufserfahrung, Bildungsabschluss)) Analyse von Bildungsdisparitäten Zusammenhänge? Indikatoren des Askriptive Merkmale Bildungserwerbs Soziale Herkunft Erworbene Kompetenzen Zuwanderungshintergrund Bildungsbeteiligung Geschlecht Bildungsabschlüsse —> Ergebnisse aus PISA 2022 „Soziale Herkunft“ als mehrdimensionales Merkmal Anknüpfung an soziologische Konzepte (Bourdieu, 1983; Coleman, 1988) —> ökonomisches Kapital, soziales Kapital, kulturelles Kapital —> Merkmale, Faktoren ◦ökonomisches Kapital: finanzielle Mittel, Macht, Prestige —> zB. Beruf und Einkommen der Eltern ◦soziales Kapital: Netzwerk sozialer Beziehungen —> zB. politische Parteien, Vereine, Arbeitsumfeld, Nachbarschaft, Familie, haben Eltern bereits studiert? (Insiderwissen zum Studium), … ◦kulturelles Kapital: 3 Formen ‣ 1. Inkorporiert/verinnerlicht (zB. (Vor)Wissen, Kompetenzen, Wertorientierungen —> zB. Einstellung zur Schule) ‣ 2. In institutionalisiertem Zustand (zB. Bildungsabschlüsse —> häufig höchster Bildungsabschluss der Eltern abgefragt) ‣ 3. Objektiviert (Besitz kultureller Güter zB. Anzahl der Bücher im Haushalt; kulturelle Praxis zB. Besuch von Museen) Unterscheidung zwischen familiärerer Struktur- und Prozessmerkmalen (Baumert et al., 2003) Strukturmerkmale Prozessmerkmale Indikatoren des zB. zB. Bildungserwerbs Sozioökonomische Besitz von zB. Stellung Kulturgütern Kompetenzen Bildungsniveau Kulturelle Praxis Bildungsbeteiligung Bildungsabschlüsse Soziale Bildungsdisparitäten im Grundschulbereich Kindern aus sozial begünstigten Familien erreichen i.d.R. bessere Leistungen Kompetenzunterschiede bereits bei Eintritt in die Grundschule? Erhebliche Unterschiede in „Vorläuferkompetenzen“ (zB: Daten des Nationalen Bildungspanels; Autorengruppe Bildungsberichtserstattung 2014) Einfluss unterschiedlicher Anregungsmilieus von Familien (zB. welche Spiele werden gespielt, wie oft wird mit dem Kind gesprochen, …) Lebensjahre vor Beginn der Schulpflicht von zentraler Bedeutung! Rolle qualitativ hochwertiger Angebote der Kindertagesbetreuung Wie verändern sich Kompetenzunterschiede im Laufe der Grundschulzeit? Eher Verstärkung der Kompetenzunterschiede Erklärungsansätze: ◦Bestehende Kompetenzunterschiede führen zu „Matthäuseffekten“ (=„wer hat, dem wird gegeben“) ◦Unterschiedliche schulische Lernbedingungen je nach sozialer Herkunft ‣ zwischen Schulen —> zB. Zusammensetzung der Lerngruppe ‣ innerhalb derselben Schule —> zB. stereotype Erwartungen von Lehrkräften —> Exkurs zu Erwartungseffekten Pygmalion-Effekt: Studie von Rosenthal & Jacobson (1968) IQ-Tests von SuS der Klasse 1-5 Lehrkräfte werden über angebliche „Bloomer“ informiert (20% der SuS nach dem Zufallsprinzip bestimmt) Erneuter IQ-Test nach 8 Monaten Ergebnis: tatsächliche Intelligenzunterschiede zwischen „Bloomer“ und Kontrollgruppe (die jedoch v.a. auf Unterschiede der Klasse 1 und 2 zurückgingen) —> Erwartungshaltungen von Lehrkräften können zu tatsächlichen Kompetenzunterschieden führen —> Effekte jedoch typischerweise klein bis moderat (s. Überblick: Jussim & Harber, 2005) ——————————————————————————————————— Ende Exkurs ———————————————————————————————————————— Unterschiedliche außerschulische Lernbedingungen je nach sozialer Herkunft ◦Studien zum „Sommerloch“ (s. Cooper et al., 1996) —> Kompetenzzuwächse unterscheiden sich während schulfreier Zeit noch stärker (Schule wirkt etwas ausgleichend auf diese „Scheren“) ◦Studien zu den pandemiebedingten Schulschließungen (s. Betthäuser et al., 2023) —> Ausbau schulischer Ganztagsbetreuung (wichtig: mit hochwertigen lernunterstützenden Angeboten) Soziale Bildungsdisparitäten im Sekundarschulbereich Übertritt in die Sekundarstufe Unterschiedliche Übertrittswahrscheinlichkeiten je nach sozialer Herkunft Primäre und sekundäre Herkunftseffekte nach Boudon (1974) ◦Primäre Herkunftseffekte: unterschiedliche Übertrittswahrscheinlichkeiten resultieren aus unterschiedlichen Leistungen ◦Sekundäre Herkunftseffekte: drei Formen nach Maaz & Nagy (2009= ‣ … der Leistungsbeurteilung (subjektive Einschätzungen der Lehrkräfte) ‣ … der Übergangsempfehlung (2 Schüler mit gleicher Leistung, aber zB andere Empfehlung für sozial privilegierter Schüler) ‣ … der letztlichen Übergangsentscheidung (stimmt häufig mit Empfehlung überein, aber bei Unterscheidungen: privilegierte Familien entscheiden sich tendenziell für höhere Schulform, sozial weniger privilegierte Familien eher niedrigere Schulformen; beachte auch: Ressourcen) Differenzielle Lern- und Entwicklungsbedingungen je nach Schulform —> Unabhängig von und zusätzlich zu unterschiedlichen individuellen Voraussetzungen —> Schereneffekte Mögliche Ursachen von Schereneffekten Differentielle Lernraten zB. aufgrund von Unterschieden im Vorwissen Kompositionseffekte Unterschiedliche Zusammensetzungen der Klassen zB. nach Leistungs- und sozialen Aspekten Differentielle Lern- und Entwicklungsbedingungen Institutionelle Unterschiede zB. unterschiedliche Lehrpläne, Stundentafeln, Unterrichtskulturen, Lehrerausbildung Bildungsdisparitäten nach sozialer Herkunft Herausforderung für den Abbau sozialer Bildungsdisparitäten nach Maaz & Dumont (2019) Ausbau qualitativ hochwertiger frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote Ausbau des schulischen Ganztagsbetriebs (qualitativ hochwertige Angebote (!)) Frühzeitige Diagnose von Leistungsdefiziten und deren individuelle Förderung Einführung von Mindeststandards? Zuwanderungshintergrund: Ein mehrdimensionales Merkmal Differenzierung nach… Zuwanderergeneration ◦Personen, die selbst zugewandert sind (1. Generation) ◦Personen, deren Eltern zugewandert sind (2. Generation) ◦[Personen, deren Großeltern zugewandert sind (3. Generation)] Herkunftsland/-länder und zu Hause gesprochene Sprache(n) Analyse von Bildungsdisparitäten (Schema von oben) Indikatoren des Askriptive Merkmale Bildungserwerbs Soziale Herkunft Erworbene Kompetenzen Zuwanderungshintergrund —> Nachteile für SuS mit Bildungsbeteiligung Geschlecht Migrationshintergrund Bildungsabschlüsse Probleme bei der Interpretation Zuwanderungshintergrund als mehrdimensionales Merkmal (keine Rückschlüsse nur durch Stichproben möglich) Starker Zusammenhang zwischen Zuwanderungshintergrund und sozialer Herkunft Migrationsspezifische Effekte Primäre und sekundäre Effekte Primäre Effekte ◦Beherrschung der Unterrichtssprache Sekundäre Effekte ◦Bildungsaspirationen —> bei gleicher Leistung und sozialem Hintergrund höher Bildungsdisparitäten nach Zuwanderungshintergrund Fazit Unterschiedliche Effekte je nach spezifischer Kombination (zB. Herkunftsland, Zuwanderungsgeneration, Familiensprache) Starker Zusammenhang zwischen Zuwanderungshintergrund und sozialer Herkunft ◦—> ähnliche Ansatzpunkte zum Abbau von Bildungsungleichheiten Bildungsdisparitäten nach Geschlecht Analyse von Bildungsdisparitäten (Schema von oben) Indikatoren des Askriptive Merkmale Bildungserwerbs Soziale Herkunft Erworbene Kompetenzen Zuwanderungshintergrund Bildungsbeteiligung Geschlecht —> verschiedene Bildungsabschlüsse Nuancen auf Bezug verschiedener Bereiche Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Bildungsbeteiligung Beteiligung an den Schulformen der Sekundarstufe Gymnasium: mehr Mädchen (53% im SJ 22/23) Hauptschule/Mittelschule: mehr Jungen (56% im SJ 22/23) Realschule: relativ ausgeglichen (51% m., 49% w.) Erworbene Bildungsabschlüsse Abitur: mehr Mädchen (2022: 55% der Abiturient:innen) Hauptschulabschluss: mehr Jungen (2022: 59% der Absolvent:innen) Kein Schulabschluss (2022) ◦8% der männlichen Schulabgänger ◦5% der weiblichen Schulabgänger Hochschulbildung Relativ ausgeglichene Geschlechterverteilung (WS 22/23: 49,5% w., 50,5% m.) jedoch geschlechtsspezifische Unterschiede in den Übergangsquoten „Leaky Pipeline“ Fazit Frauen verlassen das allgemeine Schulsystem durchschnittlich mit höheren Abschlüssen Männer erreichen im späteren Berufsleben durchschnittlich höhere Positionen / mehr Einkommen Welches Land hat den größten Frauenanteil unter den Berufstätigen im Bereich Informatik? Geschlechtsspezifische Unterschiede im Kompetenzerwerb Fallen je nach Kompetenzbereich anders aus Im Mittel… … höhere Lesekompetenz der Mädchen (z.B. IQB- Bildungstrends 2021; IGLU-Studie 2021, PISA 2022) … etwas höhere mathematische Kompetenz der Jungen (z.B. IQB-Bildungstrends 2021; TIMSS 2019; PISA 2022) - jedoch internationale Unterschiede! —> ABER: weniger stark ausgeprägte Unterschiede als beim Lesen … keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der naturwissenschaftlichen Kompetenz (TIMSS 2019; PISA 2022) Aber… In der Regel nur kleine Effektstärken (z.B. d=0.2 im IQB-Bildungstrend 2021) Kompetenzunterschiede innerhalb der Geschlechtergruppe deutlich ausgeprägter als zwischen den Geschlechtergruppen Geschlechtsspezifische Unterschiede im Kompetenzniveau können geschlechtsspezifisch the unterschiedliche Studienfachwahlen nicht erklären. Geschlechtsspezifische Unterschiede in motivationalen Merkmalen MINT-Bereich Jungen: Positivere Einstellung zur Mathematik (d= 0.22; TIMSS 2019) und höheres Fähigkeitsselbstkonzept (d= 0.41; TIMSS 2019) Mädchen: unterschätzen ihre Leistungen in Mathematik, Physik und Chemie eher (Jansen & Stanat, 2016) Mädchen: höhere mathematikbezogene Ängstlichkeit (d= 0.54; PISA 2022) Erklärungsansätze Geschlechtsspezifische Sozialisationserfahrungen Stereotype = Zuweisung bestimmter Attribute (z.B. Persönlichkeitseigentschaften, Verhaltensweisen, Kompetenzen) zu den Mitgliedern einer sozialen Kategorie (Hannover & Wolter, 2019) Wirkung über unterschiedliche Mechanismen ◦z.B lerntheoretische Annahmen ◦z.B. Angebote in der Umwelt (Spielzeug etc.) Interessenentwicklung als Ausdruck der Identitätsregulation (Kessels et al., 2014) ◦Ausbildung der Geschlechtsrollenidentität als zentrale Entwicklungsaufgabe ◦Hintergrund: Image verschiedener Schulfächer ◦Diskrepanz zwischen Stereotypisierung eines Fachs und eigener Geschlechtsrollenidentität —> negative Effekte auf Interesse, Engagement & Wahlverhalten Beispiel für Ausbildung der Geschletsrollenidentität „Baby-X-Experimente“ (z.B. Sidorowicz & Sparks Lunney, 1980) ◦Babys wurden geschlechtsneutral gekleidet —> Erwachsene wurden aufgefordert mit ihnen zu spielen Geschlechtsspezifische Vermarktung von Spielzeug (z.B. Heß, 2021) Leichte Abnahme geschlechtsspezifischer Spielzeugpräferenzen (Todd et al., 2018) Bewusst breites Spieleangebot der Eltern eher bei Mädchen (Waburg et al., 2021) Schulische Faktoren Darstellung in Schulbüchern Erwartungshaltungen von Lehrkräften (Erwartungseffekte) ◦Kompetenzeinschätzungen von Lehrkräften und Eltern erklären geschlechtsspezifische Unterschiede im Fähigkeitsselbstkonzept (Steinmayr et al., 2019) ◦Lehrkräfte erwarten bereits in der 2. Klasse bessere künftige Mathematikleistungen von Jungen als von Mädchen (Muntoni et al., 2019) —> Erwartungen waren tatsächlich prädiktiv Interventionsansätze zeitweise monoedukativer Unterricht (getrennte Geschlechter) Unterrichtsgestaltung ◦Vermeidung der Aktivierung von Geschlechtsstereotypen im Unterricht ◦Berücksichtigung heterogener Interessenslage (zB. Leseförderung: Auswahl an Themen) ◦Kontextualisiertes Lernen, v.a. im MINT-Bereich ‣ Lerninhalt: Alltagsbezug, gesellschaftliche Relevanz (zB. Socio-scientific Issue, SSI) ‣ Lernumgebung: Mediale Elemente, Einbezug außerschulischer Lernorte Positive Rollenmodelle

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