Politik vs Powi: Bernbauer et al. 2022, Kapitel 1 (PDF)

Summary

Kapitel 1 von Bernbauer et al. 2022 (Politik vs Powi) stellt eine Einführung in die Politik und Politikwissenschaft vor. Es definiert Politik als soziales Handeln, das auf Entscheidungen und Steuerungsmechanismen ausgerichtet ist, die allgemein verbindlich sind. Das Kapitel beleuchtet verschiedene Aspekte der Politik, von sozialem Handeln bis hin zu politischen Institutionen.

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1. Politik und Politikwissenschaft Wer Geschichtswissenschaft, Chemie, Mathematik oder Geographie studiert, er­ hält im Gymnasium einen gewissen Vorgeschmack auf die Inhalte des jeweiligen Faches auf universitärer Stufe. Bei akademischen Disziplinen wie Psychologie, Architektur, oder Politikwissensc...

1. Politik und Politikwissenschaft Wer Geschichtswissenschaft, Chemie, Mathematik oder Geographie studiert, er­ hält im Gymnasium einen gewissen Vorgeschmack auf die Inhalte des jeweiligen Faches auf universitärer Stufe. Bei akademischen Disziplinen wie Psychologie, Architektur, oder Politikwissenschaft ist dies weniger der Fall. Meist wird dem Geschichts- oder Gemeinschaftskundeunterricht im Gymnasium ein wenig politi­ sche Bildung – manchmal auch Staatskunde genannt – beigefügt. Diese beschränkt sich jedoch meist auf die Beschreibung des politischen Systems des eigenen Lan­ des sowie die Diskussion aktueller politischer Themen. Dass das Studium der Politikwissenschaft keine Ausbildung zum:zur Politiker:in ist (auch wenn einzelne Politiker:innen ein solches Studium absolviert haben), lässt sich noch als bekannt voraussetzen. Viele staunen jedoch, wenn in den ersten Monaten des politikwis­ senschaftlichen Studiums vor allem von Variablen, Hypothesen, Theorien, Model­ len, Experimenten und Verfahren zur Datenerhebung und Datenanalyse die Rede ist und über brennende politische Probleme der Gegenwart in erster Linie in den Vorlesungspausen diskutiert wird. Haben Sie beim Einstieg in die Politikwissenschaft auf das falsche Pferd gesetzt? Nein. Auch die Autorin und Autoren dieses Buches sind nicht primär aufgrund eines Interesses an Theorien und Statistik in die Politikwissenschaft eingestiegen, obgleich bei uns im Verlauf des Studiums und der Forschungstätigkeit das Interes­ se an den abstrakteren, fundamentaleren Fragen gewachsen ist. Wir sind genauso wie Sie, liebe Leser:innen, an den größeren Zusammenhängen in der Politik sowie an aktuellen politischen Themen interessiert. Wir versuchen jedoch zu vermitteln, dass die Politikwissenschaft ein bestimmtes Set von Werkzeugen (im Wesentlichen Konzepte, Theorien und Methoden) bereitstellt. Diese helfen uns, unser Verständ­ nis von politischen Strukturen, Prozessen, Ereignissen, Verhaltensweisen und Po­ litikinhalten über das bereits existierende Alltagswissen, das Politiker:innen, Jour­ nalist:innen und Bürger:innen ebenfalls besitzen, hinaus weiterzuentwickeln. Es geht also darum, sich analytische Fähigkeiten anzueignen, die einen Mehrwert gegenüber dem politischen Alltagswissen erbringen. Ein ebenso wichtiges Ziel ist natürlich auch, dem genuin intellektuellen Bedürfnis nach einem tiefergreifenden Verständnis der Politik entgegenzukommen. Hier ist ein Beispiel – und es werden in diesem Buch noch viele folgen. Nehmen Sie an, Sie sind die Bürgermeisterin von Hamburg, Salzburg oder Neuenburg und Sie möchten wissen, welche Maßnahmen Ihre Stadtregierung ergreifen könnte, um die Innenstadt vom privaten Autoverkehr zu entlasten. Eine Möglichkeit ist, diese Frage im Stadtparlament zu diskutieren, Ihre Angestellten bzw. Expert:innen zu fragen und/oder mit vielen Bürger:innen auf der Straße oder in Publikumsfo­ ren zu sprechen. Sie könnten aber auch Politikwissenschaftler:innen bitten, ein Umfrageexperiment durchzuführen. Dafür würde eine repräsentative Zufallsstich­ probe von 1.500 Bürger:innen rekrutiert und eine Online-Befragung durchgeführt. Darin zeigen die Forscher:innen den Befragten paarweise Maßnahmenpakete, die unterschiedliche Einzelmaßnahmen enthalten, die prinzipiell möglich sind – z.B. Erhöhung der Parkgebühren, mehr 30 km/h Zonen, mehr Fußgängerzonen, 23 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft Verbilligung der Ticket-Preise im öffentlichen Verkehr in der Innenstadt. Diese Maßnahmen und ihre Ausprägungen (z.B. Parkgebühren verdoppeln oder verdrei­ fachen) werden zufällig in die Vergleichspaare eingefügt (Randomisierung). Die Befragten vergleichen dann mehrere Paare von Maßnahmenpaketen und geben an, welches der beiden gezeigten Maßnahmenpakete sie bevorzugen würden. Im Fachjargon wird diese Methode als Choice Experiment bezeichnet. Durch diese Datenerhebung und die nachfolgende Analyse der Daten, die auf statistischen Be­ rechnungen beruht, können Sie herausfinden, welche Maßnahmenpakete sowohl verkehrsreduzierend (wirksam) als auch politisch akzeptabel sind, und welche Einzelmaßnahmen innerhalb von Maßnahmenpaketen mehr oder weniger akzep­ tabel sind. Selbst wenn die Stadtregierung dazu schon vorweg ein gewisses Bauch­ gefühl hatte, das auf vielen politischen Diskussionen beruht, kann das Umfrageex­ periment einen klaren Mehrwert erbringen, weil es ein repräsentatives Bild der Politikpräferenzen in der Bevölkerung liefert und die kausalen Effekte bestimm­ ter (noch hypothetischer) Maßnahmen auf die öffentliche Akzeptanz zuverlässig schätzt. Bevor wir den Forschungsprozess (Kapitel 2) und zentrale Forschungsbereiche der Politikwissenschaft (Kapitel 3–13) näher betrachten, werfen wir nun zuerst einen Blick darauf, was Politik und was Politikwissenschaft ist. Dazu befassen wir uns mit drei Fragen: 1. Was ist Politik? 2. Was ist ein Staat bzw. ein politisches System? 3. Was ist Politikwissenschaft? Die Beantwortung dieser Fragen gibt erste Hinweise darauf, wie Politikwissenschaftler:innen arbeiten. 1.1 Was ist Politik? In sehr allgemeiner Form lässt sich Politik definieren als soziales Handeln, das auf Entscheidungen und Steuerungsmechanismen ausgerichtet ist, die allgemein verbindlich sind und das Zusammenleben von Menschen regeln. Wir diskutieren im Folgenden die wichtigsten Elemente dieser Definition (vgl. auch Jahn 2013; Patzelt 2007). 1.1.1 Soziales Handeln Bei sozialem Handeln geht es um das Verhalten von Menschen. Das menschli­ che Verhalten ist einerseits geprägt durch persönliche Merkmale psychischer und biologischer Natur. Andererseits ist es auch geprägt durch das gesellschaftliche Umfeld – z.B. durch Erwartungen der Familie oder anderer Menschen, staatli­ che Gesetze, ungeschriebene kulturell oder religiös bedingte Normen, Werte und Wertorientierungen – sowie durch nicht oder nur indirekt von Menschen beein­ flussbare Faktoren, wie z.B. Klima und Geografie. Soziales Handeln bedeutet, dass ein Mensch in direkter Verbindung zu anderen Menschen handelt. Wenn ich entscheide, bei einem Vulkanausbruch wegzulaufen oder bei einsetzendem Regen einen Regenschirm zu öffnen, kann ich dies pro­ blemlos ohne nennenswerten Kontakt zur Außenwelt tun. Somit handle ich nicht sozial. Wenn ich mit meinen Freund:innen einen gemeinsamen Konzertbesuch plane oder bei der Organisation eines Gemeindefestes mithelfe, ist dieses Handeln 24 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.1 Was ist Politik? sozial. Der Begriff sozial hat in diesem Zusammenhang keinen wertenden Cha­ rakter (im Sinne von gut oder schlecht). Wenn vier Personen zusammen einen Banküberfall planen oder eine gewalttätige Demonstration oder gar einen Terror­ anschlag organisieren, ist auch dies soziales Handeln. Soziales Handeln ist also immer interaktiv. Durch soziales Handeln entsteht soziale Wirklichkeit. Sie wird durch soziales Handeln geschaffen, gefestigt und kann sowohl kontinuierlich (z.B. durch unser Konsumverhalten) als auch abrupt (z.B. durch Wahlen oder einen Terroranschlag) verändert werden. Soziales Handeln kann sich in Form von Rollen, d.h. schema­ tisierten Handlungen, verstetigen bzw. institutionalisieren (z.B. die Rolle des:der Gemeindepräsidenten:Gemeindepräsidentin). Soziale Rollen und Institutionen sta­ bilisieren die gegenseitigen Erwartungen von Menschen. So ist der Prozess vom Flirt zur Romanze zur Lebenspartnerschaft oder Ehe ein Prozess der Verstetigung von Rollen und eine Institutionalisierung. Gleiches gilt für den Prozess, in dem sich z.B. eine Umweltbewegung zu einer grünen Partei entwickelt. Auch Organisa­ tionen wie die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU), Greenpeace, das Verteidigungsministerium, Al-Qaida und die Vereinten Nationen (UNO) sind im Kern institutionalisierte Systeme von Menschen, die bestimmte Aufgaben und Funktionen sowie Rollen einnehmen. Gemäß Douglass North (1991) sind Institu­ tionen somit durch Menschen geschaffene Rahmenbedingungen (constraints), die politische, wirtschaftliche und soziale Interaktionen strukturieren. Sie bestehen aus informellen Rahmenbedingungen (z.B. Sanktionen, Tabus, Bräuche, Traditio­ nen und Verhaltensnormen), aber auch aus formellen Regeln wie Verfassungen, Gesetzen und Besitzrechten. 1.1.2 Politisches Handeln Soziales Handeln wird dann politisch, wenn es auf allgemein verbindliche Ent­ scheidungen und gesellschaftliche Steuerungsmechanismen hinwirkt. Entscheidun­ gen können von Einzelpersonen (z.B. dem:der Staatspräsidenten:Staatspräsidentin oder dem:der Direktoren:Direktorin des World Wildlife Fund (WWF)) oder durch Gruppen von Personen (z.B. dem Deutschen Bundestag oder der Versammlung eines lokalen Bürger:innenvereins) gefällt werden. Steuerungsmechanismen kön­ nen in Form von Gesetzen, administrativen Verfahren, Deklarationen, informel­ len Vereinbarungen, ungeschriebenen Normen oder Gewohnheiten sowie damit verbundenen Organisationen auf lokaler bis globaler Ebene Gestalt annehmen. Sie können auf Einzelfälle bezogen sein (z.B. die Entscheidung, Militärberater:in­ nen oder Truppen ins Ausland zu schicken) oder dauerhaft gelten (z.B. Gesetze zum Schutz der Menschenrechte oder des Klimas). Sie sind darauf ausgerichtet, Restriktionen Handlungsvorgaben zu machen, die allgemein verbindlich sind, d.h. die von allen Mitgliedern einer bestimmten Gruppe von Menschen akzeptiert und befolgt wer­ den müssen. Politische Steuerungsmechanismen dauerhafter Natur werden häufig auch politische Institutionen genannt (siehe auch die obige Definition von North). In der Regel steigt der Bedarf an allgemein verbindlichen Handlungsvorgaben und langfristig orientierten Institutionen mit der Komplexität und Größe einer Gesellschaft (mehr dazu weiter hinten). 25 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft Die allgemeine Verbindlichkeit politischer Entscheidungen oder Steuerungsmecha­ nismen kann sich auf eine lokale Gruppe von Menschen (z.B. Anwohner:innen einer Straße), auf die Bevölkerung eines Staates oder auf die ganze Weltbevöl­ kerung beziehen. Beispiele sind Geschwindigkeitsbegrenzungen oder lokale Bau­ vorschriften, landesweite Mindestlöhne oder Hygienevorschriften für Restaurants und die von der UNO und dem Europarat vertraglich festgelegten Menschenrech­ te. Steuerungsmechanismen beinhalten meist auch organisatorische Strukturen, die der Umsetzung von Handlungsvorgaben (v.a. Überwachung, Durchsetzung, Streitschlichtung) und deren Weiterentwicklung dienen. Beispiele sind das Bundes­ amt für Umwelt (BAFU) im Schweizer Umweltschutz und die Welthandelsorgani­ sation (WTO) im Bereich der globalen Handelsliberalisierung. Ob die allgemeine Verbindlichkeit tatsächlich erreicht wird, ist für unsere Defi­ nition des Politischen unwesentlich. Auch gescheiterte Versuche, allgemein ver­ bindliche Handlungsanweisungen zu schaffen, sind für die Politikwissenschaft interessant. Beispiele sind Bemühungen zur Abschaffung der Todesstrafe auf glo­ baler Ebene, Bemühungen der Anti-Globalisierungsbewegung zur Abschaffung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds und Bemühungen zur Einfüh­ rung der direkten Demokratie auf Bundesebene in Deutschland. Für die Defini­ tion von Politik ist ebenfalls unerheblich, ob die angestrebte Verbindlichkeit aus Sicht der bestehenden Rechtslage legal ist oder ob sie moralisch vertretbar und sinnvoll erscheint. Beispiele sind die Anschläge der Roten Armee Fraktion (RAF) in Deutschland in den 1970er Jahren und die Anschläge von Al-Qaida in New York und Washington im Jahr 2001. Diese Anschläge waren gemäß den geltenden Gesetzen illegal und widersprechen allen gängigen Moralvorstellungen in den betroffenen Staaten. Dennoch haben die RAF und Al-Qaida politisch gehandelt und sind somit aus Sicht der Politikwissenschaft relevante Studienobjekte. 1.1.3 Breites Verständnis des Politischen Wie die weiter vorne genannten Beispiele zeigen, befasst sich die Politikwissen­ schaft mit einem breiten Spektrum politischer Strukturen, Prozesse, Entscheidun­ gen, Verhaltensweisen sowie Inhalte. Das traditionelle Verständnis des Politischen, welches politische Handlungen vorwiegend als Handlungen des Staates und seiner Organe sowie Handlungen der Regierten in Bezug auf diese Organe (z.B. Wah­ len) betrachtet, nimmt dabei einen wichtigen Stellenwert ein (mehr dazu weiter hinten). Unsere Definition von Politik bedeutet jedoch, dass die traditionelle Tren­ nung in eine private (Privatleben, Märkte) und eine öffentliche Sphäre (Politik, Staat), wie sie den Vordenker:innen des liberal-demokratischen Verfassungsstaates vorschwebte (siehe Kapitel 3 und 4), zunehmend verschwimmt. Abbildung 0.1 im Vorwort dieses Buches verdeutlicht dies, indem sie den Bereich der interme­ diären Politik betont. Die in diesem Bereich politisch handelnden intermediären Akteure (z.B. Parteien, Interessengruppen, Kommunikationsplattformen) spielen einerseits eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von Interessen und Forderungen der politischen Basis (Bürger:innen) in die Institutionen des zentralen politischen Entscheidungssystems hinein. Andererseits entfalten Akteure der intermediären Politik auch eigenständige politische Steuerungsfunktionen – z.B. durch Verhal­ 26 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.2 Der Staat tenskodizes, die von weltweit tätigen Unternehmen und Nichtregierungsorgani­ sationen (NGOs) erarbeitet werden und die dem Schutz der Umwelt und der Arbeitnehmer:innen dienen. 1.2 Der Staat Politisches Handeln findet in politischen Systemen statt. Der wichtigste Bezugs­ rahmen politischen Handelns innerhalb der im Vorwort gezeigten Abbildung 0.1, welcher auch die Grundstruktur dieses Buches prägt, ist der Staat. Wir befassen uns deshalb an dieser Stelle mit zwei Fragen: Wie ist das politische System des modernen Staates entstanden? Wie lässt sich ein Staat beschreiben? 1.2.1 Ein Blick in die Geschichte Rudimentäre Formen der politischen Organisation von Gesellschaften, also Vor­ läufer des heutigen Staates, lassen sich bereits im 6. Jahrtausend v. Chr. aus­ findig machen. Diverse politische Organisationsformen haben seither die Weltge­ schichte geprägt, vor allem Kaiser- und Königreiche, Theokratien, Stadtstaaten, Städtebünde und religiöse Orden. Erst relativ spät, in den letzten vier bis fünf Jahrhunderten, wichen diese Organisationsformen dem modernen National- bzw. Territorialstaat (Breuer 1998; Cederman 1997, 2001; Tilly/Blockmans 1994). Be­ zeichnenderweise erscheint der Begriff Staat erst ab dem 16. Jh. in der Literatur, so beispielsweise im 1532 erschienenen Buch „Il Principe“ (Der Fürst) von Nic­ colò Machiavelli. Ab dem späten 18. Jh. fand der Begriff auch im deutschen Sprachraum zunehmende Verbreitung. Kriegsführung und Staatenbildung haben sich über weite Strecken der Weltge­ schichte gegenseitig verstärkt. Die Beschaffung von Ressourcen von der unterwor­ fenen Bevölkerung war für die Sicherung eroberter Gebiete und zur Vorbereitung auf weitere kriegerische Auseinandersetzungen unabdingbar. Üblicherweise war die Bevölkerung nur gegen starken Druck oder gegen Entschädigungen dazu be­ reit, Herrschenden diese Ressourcen zu gewähren. Dies führte in vielen Fällen zu Allianzbildungen zwischen den Eroberern und den mächtigsten Bevölkerungs­ gruppen vor Ort sowie zu einem Ausbau von Schutz- und Konfliktlösungsmaß­ nahmen seitens der Herrschenden zugunsten der lokal ansässigen Bevölkerung. Aus politischen Organisationsformen, die in ihrer ursprünglichen Form weitge­ hend als Kriegsmaschinerien bezeichnet werden können, entwickelten sich so mit der Zeit multifunktionale staatliche Institutionen. Zumindest im europäischen Raum übte im 16. und 17. Jh. insbesondere der Über­ gang von relativ kleinen Söldnerheeren zu großen Armeen, die aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert wurden, einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung staatlicher Strukturen aus. Diese Entwicklung steigerte vor allem die Fähigkeit der Herrschenden, Ressourcen (z.B. Steuern) aus der Bevölkerung zu extrahieren. Gleichzeitig erfolgte damit eine Verstärkung der direkten Herrschaft, indem die Herrschenden eine weitreichende Kontrolle über ihre Untertanen erlangten. Ande­ rerseits stiegen durch die Bildung großer Volksheere aber auch die Ansprüche der betroffenen Bevölkerungsgruppen an die Herrschenden. Anliegen wie Rechte auf 27 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft Vergütungen für ihre Dienste vermochten die Soldaten in zunehmendem Maße durchzusetzen, da die Herrschenden auf diese Dienste angewiesen waren. Mit Ende des Mittelalters (ca. 1500) hatten sich in Europa, der Wiege des mo­ dernen Staates, drei politische Organisationsformen herauskristallisiert: der sou­ veräne Territorialstaat (z.B. in Frankreich und England), Städtebünde (z.B. der Süddeutsche Städtebund) und Stadtstaaten (z.B. Neapel im heutigen Italien). Diese drei politischen Organisationsformen hatten sich vielerorts gegenüber feudalen Herrschaftsstrukturen (d.h. Feudalherren, katholische Theokratie und Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation) durchgesetzt. Alle drei Organisationstypen können als Staaten bezeichnet werden. Der souveräne Territorialstaat setzte sich letztlich durch und wurde zur dominierenden Organisationsform des Staates schlechthin (Spruyt 1994). Er beruht auf dem Prinzip, dass die Autorität der politischen Entscheidungsträger:innen (des Souveräns) territorial beschränkt ist und dass der Souverän keine andere Autorität über sich selbst anerkennt. Damit geht auch der Anspruch des Souveräns auf die höchste Autorität im Staatsinneren einher. Der souveräne Territorialstaat ist somit geprägt durch eine klare Abgren­ zung nach außen und durch eine starke interne Hierarchie. Im Wesentlichen wurde die Entwicklung hin zum Modell des souveränen Territo­ rialstaates dadurch begünstigt, dass die feudale politische Ordnung des Mittelal­ ters sich in zunehmendem Maße als ungeeignet für das sich allmählich ausbreiten­ de vorkapitalistische Umfeld erwies. Letzteres manifestierte sich in Form eines stärkeren Wirtschaftswachstums und der Expansion des Fernhandels zwischen dem 11. und dem 15. Jh. Vor allem die Städte und ihre Handel treibenden Bürger:innen spielten in diesem wirtschaftlichen Transformationsprozess eine ent­ scheidende Rolle. Zwischen den städtischen Eliten und anderen sozialen Gruppen entstanden verschiedene Koalitions- und Kooperationsformen. Daraus resultierten unterschiedliche institutionelle Antworten auf die Krise der feudalen mittelalterli­ chen Ordnung: In Frankreich und England entstanden souveräne Territorialstaa­ ten, in Deutschland organisierten sich Städte in Städtebünden, und in Italien setzten sich die Stadtstaaten durch. Österreich und die Schweiz lassen sich die­ sen drei Modellen nicht eindeutig zuordnen. Österreich blieb bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1918) ein im Vergleich zu Frankreich und England weniger zentralistisch regierter Vielvölkerstaat mit feudalistischen Zügen. Die Schweiz ent­ sprach bis 1848 – dem Gründungsjahr des heutigen Bundesstaates – dem Modell eines Staatenbundes mit sehr heterogenem Teilnehmerkreis. Eine Unterbrechung dieser Tradition stellt dabei die zwischen 1798 und 1803 unter Napoleonischer Besatzung bestehende und nach französischem Vorbild zentralistisch organisierte Helvetische Republik dar. Die Organisationsform des souveränen Territorialstaa­ tes setzte sich letztlich im Zeitraum vom 14. bis zum 19. Jh. gegenüber den Städtebünden und Stadtstaaten durch. Der Westfälische Friede, der im Jahre 1648 das Ende des Dreißigjährigen Krieges besiegelte, wird gemeinhin als Beginn des modernen Staatensystems begriffen. Darin sicherten sich die Staaten Europas gegenseitig zu, keine gleichgesinnten religiösen Gruppierungen in anderen Staaten in ihrem Kampf gegen die zentrale Staatsgewalt zu unterstützen. Sie verpflichteten sich somit zur Nichteinmischung 28 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.2 Der Staat in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Gleichermaßen sollte es keine den Staaten übergeordnete (supranationale) Macht geben. Diese internationale Vereinbarung war der Ausgangspunkt für die territorial bezogene Autorität des modernen Staates (Breuer 1998; Reinhard 2007). Der souveräne Territorialstaat wird heute als Vereinigung von Menschen inner­ halb eines abgegrenzten geografischen Raumes definiert, die einer souveränen Herrschaftsgewalt unterworfen sind. Gemäß der Drei-Elemente-Lehre des Völker­ rechts besteht der souveräne Territorialstaat somit aus einem Staatsvolk (eine Be­ völkerung, die durch dieselbe Staatsangehörigkeit verbunden ist), einem klar defi­ nierten und gegen außen abgegrenzten geografischen Gebiet sowie einer Staatsge­ walt, die durch die Kontrolle bestimmter Staatsorgane über das Staatsgebiet und die sich darin befindenden Personen zum Ausdruck kommt (Hobe 2020). Der souveräne Territorialstaat erwies sich im Sinne der ökonomischen Effizienz und des (damit verbunden) militärischen Potenzials sowie der politischen Stabili­ tät als erfolgreicher als die Organisationsformen des Städtebundes und des Stadt­ staates. Die Herrschenden souveräner Territorialstaaten hatten erkannt, dass eine Ankurbelung der Wirtschaft und die Förderung des Handels ihren eigenen Interes­ sen zugutekamen. Im Inneren bekämpften sie den wohlfahrtsmindernden feudalen Partikularismus. Nach außen schufen sie Bedingungen, die eine stabile und länger­ fristig orientierte Zusammenarbeit mit anderen Staaten und ihren Bevölkerungen ermöglichten. Dadurch erhielten sie die Unterstützung der Städte und damit auch der wichtigen Kapitalbesitzenden. Indem sie den Wohlstand in ihrem jeweiligen Staatsgebiet förderten, erhöhten sie auch ihre Fähigkeit, Ressourcen für ihre ei­ genen Interessen zu mobilisieren und ein entsprechendes militärisches Potenzial zu schaffen. Die Mitglieder von Städtebünden sowie andere Typen staatlicher Gemeinwesen (z.B. das Großherzogtum Baden, das Königreich Württemberg und die Kantone im Gebiet der heutigen Schweiz) schlossen sich im Laufe der Zeit entweder bereits existierenden oder neu entstehenden Territorialstaaten an oder kopierten schließlich dieses Staatsmodell (Spruyt 1994; Tilly 1992). So wurden beispielsweise 1848 der Schweizer Bundesstaat, 1861–1870 Italien und 1871 das Deutsche Reich geschaffen. Der Nationalismus des 19. und 20. Jh. ist eng mit der Staatenbildung verbunden. Er verknüpfte politische Macht mit kultureller oder ethnischer Homogenität. Zu­ sammen mit der Demokratisierung politischer Systeme, d.h. der zunehmenden Mitwirkung breiter Bevölkerungsschichten an politischen Entscheidungsprozes­ sen, ausgehend von den USA und Teilen Westeuropas, verstärkte diese Homogeni­ tät in der Regel die Legitimität von Regierungen. Diese gesteigerte Legitimität wie­ derum verschaffte den Regierenden bessere Kontrollmöglichkeiten im jeweiligen Territorium (z.B. zu Zwecken der Steuererhebung oder Kriegsführung). Kulturelle und ethnische Homogenität zusammen mit Demokratie (in verschiedenen Aus­ prägungen) sind bezeichnenderweise ein fester Bestandteil der nationalen Selbst­ bestimmung im Rahmen zeitgenössischer Debatten um das Anrecht bestimmter Bevölkerungen auf einen eigenen Staat. 29 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft 1.2.2 Struktur des internationalen Systems Das in Europa entstandene territorialstaatliche Organisationsprinzip kam im 18. Jh. auch in den USA, im 19. Jh. in Lateinamerika und im 20. Jh. praktisch in der ganzen restlichen Welt zur Anwendung. Die Gründe für diese Globalisierung des souveränen Territorialstaates sind vielfältig und umfassen u.a. die folgenden: Ers­ tens konnte aufgrund der gegenseitig abgegrenzten Herrschaftsräume in Europa kein territorialer Herrschender seine Untertanen in dem Maße ausbeuten, wie dies einem feudalen Herrschenden möglich war. Die Untertanen besaßen prinzipiell die Möglichkeit, einen Territorialstaat zu verlassen und in einem anderen Staat Zu­ flucht zu suchen (vgl. die Flucht der Hugenotten aus Frankreich oder die Migrati­ on der Juden). Die Legitimitätsbasis und damit oft auch die Kohäsion souveräner Territorialstaaten waren deshalb meist größer als im Falle anderer staatlicher Or­ ganisationsformen. Zweitens wurde die Entwicklung der einzelnen Territorialstaa­ ten in Europa durch ein kompetitives Verhältnis zueinander vorangetrieben. Der Wettbewerb zwischen den Territorialstaaten förderte die innerstaatliche Entwick­ lung und institutionelle Innovation. Er machte die europäischen Territorialstaaten häufig zu militärisch und politisch schlagkräftigen Akteuren. Drittens erwiesen sich Großreiche wie beispielsweise das alte China als wenig kompatibel mit dem internationalen System der souveränen Territorialstaaten – nicht zuletzt, weil sie keine territorialen Grenzen ihres Herrschaftsanspruches anerkannten. Territorial­ staaten akzeptierten nur ähnlich strukturierte Staatswesen und integrierten diese in die internationale Arbeitsteilung. Den nichtterritorialstaatlichen Gemeinwesen blieben deshalb wichtige (v.a. auch wirtschaftliche) Vorteile der internationalen Zusammenarbeit vorenthalten. Die durch größere wirtschaftliche Effizienz und straffere innerstaatliche Organisa­ tion gewonnenen Machtressourcen vieler Territorialstaaten kamen spätestens im Zeitalter der Kolonialisierung, also ab dem 16. und 17. Jh., verstärkt zur Geltung. Durch ihre Herrschaft über weite Gebiete Amerikas, Asiens, Ozeaniens und Afri­ kas legten die europäischen Staaten den Grundstein für die heutigen Territorial­ staaten auf diesen Kontinenten. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Kolonialzeit ihrem Ende entgegenging, standen für die betreffenden Unabhängigkeitsbewegun­ gen allenfalls noch unterschiedliche Wirtschafts- und Regierungsmodelle, die in den existierenden Territorialstaaten bereits praktiziert wurden, zur Auswahl – nicht mehr aber die Form des souveränen Territorialstaates selbst. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Recht der Völker auf Selbstbestimmung von der Fähigkeit zur Selbstorganisation im Rahmen eines Staates abgekoppelt. D.h., das Recht auf einen eigenen Staat hing fortan aus völkerrechtlicher Sicht nicht mehr von der Fähigkeit einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ab, ein eige­ nes Staatswesen wirksam etablieren und unterhalten zu können. Noch in der Zwi­ schenkriegszeit (1919–1939) hatte der Völkerbund die althergebrachte Doktrin aufrechterhalten, welche die Fähigkeit und das Recht zur Unabhängigkeit eng miteinander verknüpfte. 1960 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen, dass mangelnde Fähigkeiten auf politischem, wirtschaftlichem oder so­ zialem Gebiet kein Grund für den Aufschub der Unabhängigkeit und damit der Konstituierung eines souveränen Territorialstaates sein dürfen (Crawford 2006; 30 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.2 Der Staat Hobe/Kimminich 2008). Dieser Schritt verursachte erhebliche Herausforderungen, die bis heute in vielen Ländern noch nicht gelöst sind. Mit Blick auf die lange und oft leidvolle Entwicklungsgeschichte des europäischen Staatensystems erstaunt es nicht, dass viele neue Staaten, insbesondere in Afrika, nach nur wenigen Jahrzehnten der Unabhängigkeit nicht vollständig dem Typus des souveränen Territorialstaates entsprechen. Bisweilen ist hier von Quasi-Staa­ ten die Rede. Diese verdanken ihre Existenz in erheblichem Ausmaß der Hilfe durch andere Staaten sowie internationale Organisationen. Alle Entwicklungslän­ der, die den weitaus größten Teil der neuen Staaten seit 1945 ausmachen, weisen klar definierte territoriale Grenzen auf, innerhalb derer die jeweilige Regierung das Gewaltmonopol und weitere exklusive Kontrollbefugnisse beansprucht – z.B. die Erhebung von Steuern und die Führung der Außenbeziehungen. De facto ist die Hoheit staatlicher Behörden über ihr gesamtes Staatsgebiet in etlichen Fällen jedoch unvollständig (eingeschränkte oder fehlende interne Hierarchie). In diesen Defiziten liegt die Instabilität einer beträchtlichen Zahl von heute existierenden Staaten begründet. Bezeichnend ist allerdings, dass selbst gescheiterte Staaten in den vergangenen Jahrzehnten von anderen Staaten nicht absorbiert wurden – dies war bis zum Zweiten Weltkrieg noch der Normalfall. Ein Beispiel ist Neufundland, das 1854 dem neu gegründeten Kanada nicht beitrat und somit de facto ein unabhängiger Staat wurde. Nach seinem finanziellen Staatsbankrott trat es jedoch nach 79 Jahren Unabhängigkeit 1934 dem Staat Kanada bei. Seit 1945 sind einige Staaten auseinandergebrochen, was zu neuen Staaten geführt hat, oder sie wurden unter prekären Bedingungen und durch Hilfe der internationalen Gemeinschaft am Leben erhalten, z.B. Afghanistan, die Demokratische Republik Kongo, Somalia oder der Sudan (Fiertz et al. 2021; Fragile States Index 2022; Jackson 1990; Steward 2007; Risse 2011). Die Abhängigkeit der Quasi-Staaten von der Unterstützung durch andere Länder und internationale Organisationen wird längerfristig vermutlich bewirken, dass diese Staaten sich weiter in Richtung des souveränen Territorialstaates entwickeln. Die politische und völkerrechtliche Entkoppelung der Fähigkeit zur und dem Recht auf Unabhängigkeit hat bis heute nicht zu der von einigen Beobachter:innen befürchteten Atomisierung der Staatenwelt geführt. Eine Gewährung der staatli­ chen Unabhängigkeit entlang ethnisch-kultureller Linien könnte im Prinzip Tau­ sende von neuen Staaten zur Folge haben. Die Tatsache, dass das Wachstum der Staatenzahl auf heute rund 200 (siehe Abbildung 1.1) beschränkt blieb, lässt sich auf eine weniger juristische als pragmatische Handhabung der Türsteher-Funktion durch die bestehenden Staaten zurückführen. Wie die Beispiele Palästina, (Tür­ kisch) Zypern, Abchasien, Südossetien und Kosovo zeigen, ist es für neue Staa­ ten oft schwer, vollwertige Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft zu werden. In den meisten Fällen ist die Aufnahme in die UNO der Lackmustest – die Schweiz ist eine Ausnahme; sie trat aus innenpolitischen Erwägungen der UNO erst 2002 bei. Der UNO-Beitritt eines Staates erfordert sowohl die Zustimmung des Sicherheitsrates, in dem die fünf offiziellen Nuklearmächte ein Vetorecht besit­ zen, als auch die der Generalversammlung. 31 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft Abbildung 1.1: Anzahl der Staaten im internationalen System 1784–2020 Quelle: Basierend auf Daten von Elkins und Ginsburg (2021) Das markanteste Wachstum der Anzahl souveräner Territorialstaaten seit 1945 erfolgte, abgesehen von der Dekolonialisierung der 1960er bis 1980er Jahre, im Zusammenhang mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjet­ union und Jugoslawiens. Dieser Fragmentierungsprozess hängt weitgehend mit dem Unvermögen der betreffenden Staaten zusammen, wichtige Regierungsziele und Bedürfnisse der Bevölkerung zu gewährleisten, vor allem die innere und äußere Sicherheit, Wohlfahrt und kollektive Identität und Legitimität. Diejenigen Staaten, die seit 1989 auseinandergebrochen sind, waren dann auch vorwiegend ethnisch oder kulturell sehr heterogen, wiesen ein starkes Wohlstandsgefälle inner­ halb des Landes auf, waren in eine massive Wirtschaftskrise geraten oder einer äußeren Existenzbedrohung verlustig gegangen (Bates 2008; Iqbal/Starr 2015). 1.2.3 Expansion staatlicher Funktionen Die grundlegenden Funktionen des modernen Territorialstaates haben eine star­ ke Expansion durchlaufen (Benz 2008). Am Anfang standen (und stehen immer noch) n die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Inneren, n der Schutz der Bevölkerung und des Territoriums vor äußeren Feinden sowie n die Schaffung bestimmter Rahmenbedingungen für die Wirtschaft (z.B. ein funktionierendes Finanzsystem, Eigentumsrechte, Vertragssicherheit). Insbesondere als Folge der Weltwirtschaftskrise der 1920er und 1930er Jahre erweiterten die meisten Industrieländer die politischen und wirtschaftlichen Steue­ rungsmöglichkeiten des Staates erheblich. Im Vordergrund stehen dabei Maßnah­ men zur Förderung der Wirtschaftsaktivität und Minimierung der Arbeitslosigkeit 32 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.2 Der Staat sowie zur Umverteilung von Wohlstand zugunsten benachteiligter Bevölkerungs­ gruppen (v.a. ältere Personen, Arbeitslose, einkommensschwache oder kranke Per­ sonen). Die bis in die 1990er Jahre hinein in den meisten Industrieländern steigen­ den Staats- und Steuerquoten (Anteil der Staatsausgaben bzw. Steuern am Brut­ toinlandprodukt) verdeutlichen die starke Ausweitung staatlicher Tätigkeit. Die Staatsquoten der meisten reichen Industriestaaten liegen heute bei 30% bis 60%. Ärmere Staaten durchlaufen diesen Trend meist zeitverzögert, vor allem weil ihr durch Steuern erzielbares Einkommen deutlich geringer ist. Die Errichtung des modernen Wohlfahrtsstaates in den heutigen Industrieländern, der mittlerweile einen großen Teil der Staatsausgaben beansprucht, erfolgte weit­ gehend zu Zeiten des Kalten Krieges. Während in den kommunistischen Ländern die staatliche Aktivität im Zeichen der Planwirtschaft stand, glaubten die staats­ tragenden Eliten im Westen, dass eine geschickte staatliche Steuerung der Privat­ wirtschaft, vor allem in Form von sozialen Sicherungsnetzen und einer effektiven Geld- und Fiskalpolitik, Vollbeschäftigung und stetiges Wachstum sichern oder ermöglichen könne (Schmidt 2021). Der Kalte Krieg zementierte diesen Zustand, indem er den Staat als einzigen Garanten für den Fortbestand und die Stabilität des jeweiligen Gesellschaftssystems erscheinen ließ. Wirksame wirtschaftliche und soziale Steuerung durch den Staat wurde in Ost und West auch als Voraussetzung militärischer Verteidigungsbereitschaft gesehen. Gute Beispiele sind die Landwirt­ schafts- und Energiepolitik, die von sicherheitspolitischen Kalkülen stark geprägt waren. Seit dem Ende des Kalten Krieges (1990/91) haben die ökonomischen, politischen und sozialen Verflechtungen über territorialstaatliche Grenzen hinweg stark zu­ genommen (Globalisierung). Insbesondere seit Mitte der 1990er Jahre wird in diesem Kontext bisweilen von einer durch die Globalisierung bewirkten Entmach­ tung des Staates gesprochen. Die meisten Staaten haben in jüngerer Zeit in der Tat einige Steuerungskompetenzen nach unten hin an Märkte und nicht-staatliche Organisationen (NGOs) sowie nach oben oder seitwärts an internationale oder supranationale Organisationen (z.B. die Europäische Union) abgetreten. Diverse vormals staatliche Unternehmen wurden privatisiert (Schneider 2001) und viele Staaten haben ihre sozialen Absicherungssysteme reformiert (Häusermann 2010). Nichtsdestotrotz zeigen die nach wie vor hohen Staats- und Steuerquoten sowie die vielfältigen und intensiven regulatorischen Eingriffe des Staates in fast allen ge­ sellschaftlichen Bereichen, dass der Staat immer noch der zentrale Bezugsrahmen des Politischen ist und deshalb auch folgerichtig im Zentrum des politikwissen­ schaftlichen Interesses steht (Bernauer 2000; Kersbergen/Manow 2020; Kriesi et al. 2008; Poggi 2020). Die Covid-19 Pandemie sowie der russische Aggressions­ krieg gegen die Ukraine machen zudem deutlich, dass es insbesondere in Krisensi­ tuationen kaum eine Alternative zu gut funktionierenden staatlichen Institutionen und Organisationen gibt. 33 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft 1.3 Was ist Politikwissenschaft? Die Politikwissenschaft definiert sich sowohl über ihr Studienobjekt, die Politik bzw. politische Systeme, als auch ihr analytisches sozialwissenschaftliches Instru­ mentarium zur Erforschung der Politik. 1.3.1 Politik als Studienobjekt Wie weiter vorne dargelegt, definieren wir Politik als soziales Handeln, das auf Entscheidungen und Steuerungsmechanismen ausgerichtet ist, die allgemein verbindlich sind und das Zusammenleben von Menschen regeln. Die Politikwis­ senschaft untersucht somit politische Strukturen, Prozesse, Ereignisse oder Ent­ wicklungen, Entscheidungen, Verhaltensweisen sowie politische Inhalte, die dem Politischen im hier definierten Sinne zuzuordnen sind. Die folgenden Beispielfragen (Sie werden noch vielen weiteren in diesem Buch begegnen) illustrieren die große Reichweite politikwissenschaftlicher Fragestellun­ gen: n Welche Faktoren beeinflussen die politische Partizipation und das Wahlverhal­ ten von Bürger:innen zugunsten bestimmter Parteien? n Weshalb sind bestimmte politische Systeme vor allem von zwei großen politi­ schen Parteien geprägt (z.B. die USA), während andere eine größere Parteien­ vielfalt aufweisen (z.B. die Schweiz)? n Unter welchen Bedingungen sind Interessengruppen oder politische Protestbe­ wegungen in der Lage, eine große Anhängerschaft zu mobilisieren und politi­ schen Einfluss zu erlangen, z.B. in der Asylpolitik oder dem Umweltschutz? n Schützen Demokratien ihre natürliche Umwelt besser als Autokratien, und falls ja, weshalb? n Unter welchen Bedingungen führt eine stärkere ethnische Fragmentierung von Staaten zu einem höheren Risiko von Bürgerkriegen? Die meisten politischen Phänomene und damit Studienobjekte der Politikwissen­ schaft lassen sich den Kategorien polity, politics und policy zuordnen. Im Gegen­ satz zur deutschen Sprache, die nur das Wort Politik kennt, erlauben die engli­ schen Begriffe eine relativ klare und übersichtliche Differenzierung. Der Begriff polity bezeichnet politische Strukturen. Er umfasst die Institutionen bzw. Organisationen, in denen politisches Handeln stattfindet. Diese bilden den Ordnungs- und Handlungsrahmen der Politik. Beispiele sind die zentralen Insti­ tutionen des politischen Systems, insbesondere Parlament, Regierung und Justiz, aber auch die geschriebene Verfassung. Auch die strukturelle Beschaffenheit eines politischen Phänomens fällt hierunter, z.B. dass ein Land eine Demokratie oder Autokratie sein kann oder dass es ein Proporz- oder ein Mehrheitswahlsystem aufweist. Der Begriff politics bezeichnet politische Prozesse und die beteiligten Akteure. Er umfasst Prozesse der Willensbildung (z.B. öffentliche Diskussionen, Demons­ trationen), Entscheidungen (z.B. Gesetzgebungsverfahren), Umsetzung (z.B. Erlas­ 34 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.4 Empirisch-analytische und hermeneutische Politikwissenschaft se von Verwaltungsbestimmungen, Überwachung der Einhaltung von Gesetzen, Sanktionen bei Fehlverhalten), Koalitionsbildung, das Aushandeln internationaler Abkommen und sogar Krisen und Kriege zwischen Staaten. Policy bezieht sich auf politische Inhalte, oft Politiken genannt. Unter diesen Begriff fallen die Inhalte von Politik, insbesondere in spezifischen Politikbereichen (z.B. Umweltpolitik, Außenpolitik, Familienpolitik), sowie die konkreten Aufga­ ben, Ziele und die Ausgestaltung politischer Programme, Strategien und Maßnah­ men. 1.3.2 Instrumentarium Die Politikwissenschaft beschreibt, interpretiert und erklärt politische Phänomene. Was wissenschaftliche Beschreibung, Interpretation und Erklärung bedeuten, wer­ den wir in den folgenden Kapiteln im Detail behandeln. Im Grunde besagen sie, dass die Erarbeitung von Wissen über politische Phänomene bestimmten Vorge­ hensweisen folgt. Diese unterscheiden sich von der Art und Weise, wie Nichtpoli­ tikwissenschaftler:innen in ihrem Alltag Informationen über politische Phänomene sammeln, aufnehmen, verarbeiten und wiedergeben. Die Vorgehensweisen bzw. Instrumentarien der Politikwissenschaft lassen sich zwei grundlegenden Typen zu­ ordnen: der empirisch-analytischen und der hermeneutischen Forschungsrichtung. Im folgenden Abschnitt wenden wir uns den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen diesen zwei Forschungsrichtungen zu. 1.4 Empirisch-analytische und hermeneutische Politikwissenschaft Abbildung 1.2 illustriert die empirisch-analytische sowie die hermeneutische For­ schungsrichtung in der Politikwissenschaft anhand je eines Beispiels; und wir erläutern die beiden Richtungen danach in abstrakterer Form sowie anhand von zwei konkreten Studien (Kästen 1.1 und 1.2). Beachten Sie bei der Lektüre von Abbildung 1.2 die kursiv markierten Worte. 35 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft Empirisch-analytisch Hermeneutisch Wir wollen das Auftreten von Bür­ Wir wollen verstehen, ob und weshalb gerkriegen erklären und dabei ins­ Deutschland seit dem Ende des Kalten besondere die Auswirkung ethni­ Krieges eine aktivere und stärker auf scher Fragmentierung untersuchen. die eigenen Interessen hin orientierte Au­ Dazu identifizieren wir potenziel­ ßenpolitik betreibt als in der Zeit von le Wirkungsketten bzw. Mechanis­ 1949 bis 1990. Zur Beantwortung dieser men, die von ethnischer Fragmen­ Frage untersuchen wir Reden von Ent­ tierung zu Bürgerkriegen führen scheidungsträger:innen, in denen sie ihre können und fassen diese Überlegun­ außenpolitischen Ansichten, Positionen, gen in der Hypothese zusammen, Vorschläge und Entscheidungen beschrei­ dass ethnisch fragmentierte Staa­ ben und begründen. Wir führen Inter­ ten einem höheren Bürgerkriegsri­ views mit Expert:innen für außenpoliti­ siko ausgesetzt sind. Danach sam­ sche Fragen, und analysieren Regierungs­ meln wir Daten zum ethnischen dokumente (z.B. Strategiepapiere von Fragmentierungsgrad von Staaten, Parteien und Regierung). Wir interpretie­ allen bisher aufgetretenen Bürger­ ren diese Informationen aus schriftlichen kriegen und diversen anderen Fak­ und mündlichen Quellen im Kontext ver­ toren, die das Bürgerkriegsrisiko muteter Intentionen der Redner:innen ebenfalls erklären könnten (z.B. un­ und Interviewpartner:innen sowie unse­ gleiche Wohlstandsverteilung). Wir res eigenen Vorwissens zur deutschen Au­ testen anhand dieser empirischen ßenpolitik der Vergangenheit. Durch ein Informationen (Daten) die Hypo­ tieferes Verständnis der Aussagen von these zur genannten Ursache-Wir­ Entscheidungsträger:innen und Expert:in­ kungs-Beziehung. nen beantworten wir unsere Forschungs­ frage und beleuchten mögliche Gründe für eine interessenbetontere Außenpolitik Deutschlands seit 1990. Abbildung 1.2: Beispiele empirisch-analytischer und hermeneutischer Forschung 1.4.1 Empirisch-analytische Forschung Wie Sie anhand des Beispiels vielleicht gemerkt haben, strebt die empirisch-ana­ lytische Forschung eine möglichst objektive, d.h. werturteilsfreie, Beschreibung und Erklärung der politischen Wirklichkeit an (siehe Kapitel 2). Sie geht somit davon aus, dass politische Phänomene unabhängig von dem:der Beobachter:in beschrieben bzw. gemessen und erklärt werden können. Politikwissenschaftliche Aussagen in dieser Forschungstradition werden oft (aber nicht immer) in Form von kausalen Hypothesen formuliert. Solche Hypothesen, die eine Ursache und ihre Wirkung sowie Wirkungsmechanismen identifizieren, werden durch empiri­ sche Analysen geprüft, unabhängig davon, ob der:die Forscher:in sie aus persön­ licher Sicht wünschenswert findet oder nicht. Angestrebt werden Aussagen, die sich auch über die direkt untersuchten empirischen Sachverhalte hinaus verallge­ meinern lassen. So werden z.B. aus einer Zufallsstichprobe von Personen, die zu ihrem Wahlverhalten befragt werden, Aussagen für die gesamte Wählerschaft Österreichs abgeleitet. 36 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.4 Empirisch-analytische und hermeneutische Politikwissenschaft Wie Sie in Kapitel 2 sehen werden, liegen die Gütekriterien dieser Forschungs­ richtung in der Systematik, Generalisierbarkeit von Erkenntnissen, Identifikation kausaler Mechanismen, Objektivität, Verlässlichkeit (Reliabilität) und Gültigkeit (Validität) sowie der Transparenz und intersubjektiven Prüfbarkeit. Damit ist die empirisch-analytische Richtung der Politikwissenschaft dem gleichen erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Paradigma zuzuordnen wie die Naturwissenschaf­ ten. Die politikwissenschaftliche Forschung dieser Art wird dementsprechend durch bestimmte Regeln geprägt, die legitime Vorgehensweisen bei der Entwick­ lung von theoretischen Aussagen, dem Sammeln von Informationen über die reale Welt sowie der Auswertung dieser Informationen festlegen (Goertz 2020). Zur Illustration finden Sie in Kasten 1.1 die Beschreibung einer empirisch-analytischen Studie, die untersucht, ob schönere Kandidierende bessere Wahlchancen haben. 1.1 Haben schönere Kandidierende bessere Wahlchancen? Die Politikwissenschaft befasst sich seit Jahrzehnten intensiv mit dem Wahlver­ halten von Individuen (siehe Kapitel 6). Eine wichtige Frage ist dabei, ob die Wählerschaft eher gemäß einem rationalen Nutzenkalkül ihre persönlichen In­ teressen mit den Versprechungen der Kandidierenden abgleicht und dabei auch deren bisherigen Leistungsausweis berücksichtigt, oder ob sie eher nach ihrem Bauchgefühl entscheidet. In diesem Kontext geht Lutz (2010) in einer empirisch-analytischen Studie der Frage nach, ob physisch attraktivere Kandidierende bessere Wahlchancen haben. Zu diesem Zweck untersucht er die Wahlen von 2007 auf Bundesebene in der Schweiz. Diese eignen sich für eine solche Analyse, weil in der Schweiz die Wahlberechtigten auf den Wahllisten panachieren und kumulieren können (siehe Kapitel 5). Das bedeutet, sie müssen letztlich eine Wahlliste abgeben, können auf dieser Liste jedoch von der betreffenden Partei nominierte Personen in der Rangierung umplatzieren, streichen, durch andere Kandidierende (auch solche einer anderen Partei) ersetzen sowie einzelne Kandidierende doppelt aufführen – all dies im Rahmen der Zahl der in einem Wahlkreis im Proporzverfahren zu besetzenden Parlamentssitze. Letztere werden abhängig von den Stimmen für eine Parteiliste und dann abhängig von Stimmen für bestimmte Kandidierende auf der entsprechenden Liste vergeben. Lutz untersucht, ob das diesbezügliche Verhalten der Wählerschaft mit der At­ traktivität der Kandidierenden in Zusammenhang gebracht werden kann. Seine empirische Analyse bestätigt die Attraktivitätshypothese, wobei das Resultat geschlechtsneutral ausfällt. Sowohl attraktivere männliche als auch attraktivere weibliche Kandidierende liegen in der Gunst der Wählerschaft vorne. Das Wahl­ verhalten ist also mindestens teilweise von Kriterien bestimmt, die mit dem Leistungsausweis der Kandidierenden und dem politischen Programm der jewei­ ligen Partei nichts zu tun haben. Studien zu anderen Ländern liefern ähnliche Resultate (z.B. Lawson et al. 2010). Eine Studie von Berggren et al. (2010) zu Wahlen in Finnland zeigt beispielsweise, dass Einschätzungen der Wähler­ schaft zur Schönheit von Kandidierenden für die Wahlentscheidung wichtiger sind als Einschätzungen zur Kompetenz, Intelligenz, Liebens- oder Vertrauens­ würdigkeit. Diese Schönheitsprämie ist in dieser Studie bei Frauen höher als bei Männern. Umgekehrt können Schönheitsmängel Kandidierende vor Probleme stellen. In einem berühmt gewordenen Fernsehduell trafen am 7. Oktober 1960 Vizepräsident Richard Nixon und sein Rivale John F. Kennedy aufeinander. 37 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft Im Scheinwerferlicht begann Nixon zu schwitzen und viele Beobachter:innen waren sich einig, dass Nixon die Debatte verlor, weil er neben dem perfekt gestylten und jugendlich wirkenden Kennedy „wie der einbalsamierte Lenin“ aussah (https://www.fr.de/politik/nixon-anfing-schwitzen-11044380.html). Empirische Befunde dieser Art sind von praktischer Relevanz für die Selekti­ on von Kandidierenden und für Wahlkampfstrategien der Parteien und ihrer Spin-Doctors, die den Wahlkampf durchplanen und genau mit solchen Dingen arbeiten, und dabei Kandidierende bisweilen zu einer Werbeware werden lassen. Sie liefern aber auch Antworten auf die fundamentale wissenschaftliche Frage, ob das Wahlverhalten eher vom Kopf oder vom Bauch bestimmt ist. 1.4.2 Hermeneutische Forschung Wir setzen uns an dieser Stelle nun mit der Hermeneutik etwas ausführlicher aus­ einander, weil im Rest dieses Buches die empirisch-analytische Forschungsrichtung der Politikwissenschaft im Vordergrund steht. Der Begriff Hermeneutik stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet erklären, auslegen oder übersetzen. Die Hermeneutik ist eine Theorie und Methode, die dem Auslegen und Verstehen von Texten und anderen Informationsquellen (z.B. Tondokumente, Bilder) dient (Kurt 2004). Sowohl empirisch-analytische als auch hermeneutische Studien beginnen meist mit einer konkreten Fragestellung. Im Gegensatz zu empirisch-analytischen Studien führt die Fragestellung in hermeneutischen Arbeiten jedoch meist nicht zur For­ mulierung einer Hypothese, die eine Ursache-Wirkungs-Beziehung postuliert und dann anhand von empirischen Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt getestet wird. Vielmehr versucht der:die Forscher:in die Frage mit einer interpretierenden und verstehenden Vorgehensweise zu beantworten. Wie aber geht die hermeneutische Forschungsrichtung bei der Beantwortung von Forschungsfragen konkret vor? In der hermeneutischen Methodik beruht die Interpretation von empirischen Informationen auf dem Verstehen dieser Infor­ mationen. Sie beinhaltet das Aufdecken direkter oder auch mehr oder weniger versteckter Botschaften oder Bedeutungen, die in Texten, Ton- oder Bilddokumen­ ten oder Gesprächen enthalten sind. Das Verstehen, welches im Zentrum dieser Forschungsrichtung steht, ist eine Form des Erkenntnisgewinns, die auf die Erfas­ sung von Sinn und Bedeutung zielt (im Gegensatz zur Erklärung, die primär auf die Identifikation von spezifischen Ursachen und deren Wirkungen ausgerichtet ist). Mit Sinn sind die Intentionen, Motivationen und Inhalte des Handelns oder Verhaltens von Personen oder Organisationen gemeint. Kasten 1.2 illustriert diese hermeneutische Vorgehensweise anhand einer Studie zur Europäischen Solidarität in der Covid-19 Krise. Die hermeneutische Methodik entstand vor allem in der Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft. Zu Beginn des 19. Jh. wurde sie systematisch in die Sprach- und Geschichtswissenschaft eingeführt und ist dort heute noch dominant. Die Hermeneutik bietet vor allem generelle Regeln an, die bei der Auslegung von Texten und zum Verstehen von Sinnzusammenhängen der untersuchten Ge­ 38 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.4 Empirisch-analytische und hermeneutische Politikwissenschaft genstände dienen sollen. Im Zentrum hermeneutischer Forschung stehen meist drei Fragen: Welche Bedeutung verband der:die Urheber:in von Texten, Ton- oder Bilddokumenten mit dem zu Verstehenden? In welchem Bedeutungszusammen­ hang steht das zu Verstehende? Welche Zielsetzung war damit beabsichtigt? Wie in der empirisch-analytischen Forschung wird auch mit der hermeneutischen Methode ein möglichst hohes Maß an Objektivität (auch Inter-Subjektivität ge­ nannt) angestrebt – z.B. in Bezug auf den Sinnesgehalt bestimmter Dokumente, Aussagen oder Bilder, den der:die Forscher:in zu ermitteln versucht. Dies geschieht dadurch, dass die Kultur- und Zeitabhängigkeit bestimmter Informationen sowie die Intentionen der jeweiligen kommunizierenden Akteure möglichst sachlich dar­ gestellt und untersucht werden (Kerchner 2006; Wernet 2006). 1.2 Europäische Solidarität in der Covid-19 Krise Barbara Prainsack (2020) (siehe auch Prainsack/Buyx 2017) geht der Frage nach, ob und wie die Covid-19 Krise die Solidarität zwischen Bürger:innen beeinflusst hat. In einem ersten Schritt beschreibt sie den Begriff der Solidarität und grenzt ihn von anderen Arten der Unterstützung ab. Der Begriff wird in un­ terschiedlichen Themengebieten benutzt und auf unterschiedliche Art und Weise verstanden und definiert. Dabei haben die meisten theoretischen Konzeptualisie­ rungen von Solidarität drei Gemeinsamkeiten. So steht, erstens, Solidarität für eine gewisse Art interpersoneller Unterstützung. Zweitens haben unterstützende Personen etwas gemeinsam mit den Personen, die sie unterstützen, beispielsweise ein gemeinsames Ziel, persönliche Ähnlichkeiten oder die Wahrnehmung einer Gefahr, die sowohl für die eigene Person (oder Gruppe) als auch für Personen, denen Solidarität entgegengebracht wird, Relevanz hat. Drittens ist Solidarität keine einmalige Interaktion: Solidarität steht eher in einem sozialen und poli­ tisch-institutionellen Geflecht. Solidarität wirkt außerdem stärker, wenn Perso­ nen erkennen, dass sie in Zukunft von dem jetzigen solidarischen Verhalten pro­ fitieren können. Diese Definition ermöglicht eine Abgrenzung zu anderen Unter­ stützungsarten wie empathisches Handeln, Wohltätigkeit oder freundschaftliche und familiäre Unterstützung. Solidarität kann auf der Ebene von Institutionen, Normen, Gruppen und auch interpersonell auftreten. Sobald Solidarität sich in Gesetzen und Normen manifestiert, kann von institutioneller Solidarität gespro­ chen werden. Nach dieser theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff Solidarität disku­ tiert Prainsack die Veränderung von Solidarität in der Covid-19 Pandemie. Sie argumentiert, dass Solidarität in Pandemien nicht selbstverständlich ist. Wie vor­ hergehend beschrieben ist ein Grundmechanismus von Solidarität, dass Personen aufgrund von Gemeinsamkeiten zu anderen Personen unterstützend handeln. Im Hinblick auf den Faktor Gesundheit ist diese Gemeinsamkeit die Gefahr zu erkranken, da jede:r im Laufe des Lebens erkranken wird. In einer Pandemie ist es jedoch weitaus schwieriger, Gemeinsamkeiten über die Bevölkerung verteilt zu sehen. Die Zeitperiode einer Pandemie ist meist kurz (selbst bei Covid-19), sodass es für die meisten Personen schwer vorstellbar ist, wie sie selbst in spä­ terer Folge von Solidarität profitieren könnten. Die Identifikation mit anderen Personen erfolgt in einer Pandemie auch bezogen darauf, ob eine Person einer Hoch- oder Niedrigrisikogruppe angehört oder nicht. Die Wirkungsweise von Solidarität in Pandemien wird also zu Beginn des Arti­ kels dargelegt und in weiterer Folge wird diese mittels Interviews nachgezeichnet 39 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft und begründet. Zu Beginn der Krise zeichneten v.a. die österreichischen Medien ein Bild der Solidarität in Österreich. Solidarisches Verhalten wurde beispiels­ weise mittels jüngerer Personen, die für ältere Mitbürger:innen die Einkäufe erledigten, präsentiert. Allerdings änderten sich schon kurze Zeit später grundle­ gende Argumentationsweisen und die Rhetorik wandelte sich von Wir zu Die anderen. Junge Personen verwiesen beispielsweise darauf, dass ältere Personen – also eine der Hochrisikogruppen – draußen unterwegs seien (sich also nicht an die Maßnahmen hielten) und somit keine Solidarität von den Jüngeren erfahren müssten. Prainsack argumentiert in diesem Zusammenhang, dass womöglich die Rhetorik der österreichischen Bundesregierung in der Anfangsphase der Pande­ mie, bei welcher die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Hoch- und Niedrigrisikogruppen betont wurden, zur Änderung der Stimmungslage in der Bevölkerung und damit zu einer Verringerung von gesellschaftlicher Solidarität beitrug. Die Betonung von Unterschieden zwischen Gruppen könnte die Wahr­ nehmung von Unterschieden zwischen Gruppen verstärken und so solidarisches Verhalten zwischen den verschiedenen Risikogruppen untergraben. Dies kann passieren, da Solidarität – wie zu Beginn dargestellt – auf dem Anerkennen von Gemeinsamkeiten beruht. Prainsack argumentiert, dass es, um solidarisches Verhalten in der Bevölkerung zu erhalten bzw. zu verstärken, besser gewesen wäre, die Verwundbarkeit aller Menschen hervorzuheben. Dadurch wäre das Erkennen von Gemeinsamkeiten erleichtert worden und stärkere Solidarität zu erreichen gewesen. Ein breites und umfassendes Verständnis von Solidarität wird somit aus der Studie abgeleitet. 1.4.3 Normative, präskriptive und prognostische Elemente Sowohl die empirisch-analytische als auch die hermeneutische Forschung kann positive und normative Komponenten aufweisen. In Kapitel 2 werden wir zudem sehen, dass empirisch-analytische Forschung sowohl mit qualitativen als auch mit quantitativen Informationen betrieben wird. Positive (manchmal auch positivistisch genannte) Forschung versucht, die reale Welt möglichst werturteilsfrei und damit unabhängig von dem:der Beobachter:in zu beschreiben, erklären und verstehen. Im Gegensatz zur Alltagssprache bedeu­ tet positiv in diesem Kontext nicht gut. Der Begriff ist also nicht wertend. Nor­ mativ hingegen bedeutet wertend; der:die Forscher:in bezweckt mit der Analyse die Bewertung eines politischen Sachverhalts nach bestimmten Kriterien, wie bei­ spielsweise Effizienz, Gerechtigkeit oder Wirksamkeit bei der Problemlösung, oder Kompatibilität mit gängigen gesellschaftlichen Moralvorstellungen. Die beiden Beispiele in Abbildung 1.3 illustrieren, dass politikwissenschaftliche Studien, die mit normativen Elementen angereichert sind, meist von einer positi­ ven Analyse ausgehen und darauf aufbauend eine Bewertung politischer Phäno­ mene anstreben. Mittels ihrer normativen Anreicherung versuchen sie in der Regel zur Gestaltung der politischen Realität beizutragen – so wie sie aus ihrer Sicht sein sollte. Somit weisen normative Analysen häufig, aber nicht notwendigerweise, auch präskriptive (empfehlende bzw. vorschreibende) Komponenten auf. In einer Studie zur Wahlkampffinanzierung könnten z.B. anhand der positiven Analyse 40 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.4 Empirisch-analytische und hermeneutische Politikwissenschaft und ihrer normativen Anreicherung Vorschläge für die gesetzliche Regelung von Wahlkampfspenden entwickelt werden. Empirisch-analytisch normativ Hermeneutisch normativ Wir möchten bewerten, ob die be­ Wir möchten die Frage untersuchen, ob stehenden staatlichen Vorschriften und unter welchen Bedingungen die An­ für die Parteien- und Wahlkampffi­ wendung von physischer Gewalt zum nanzierung in Österreich den grund­ Zweck des Erreichens politischer Ziele legenden Anforderungen an eine als legitim bewertet werden kann. Wir pluralistische Demokratie, welche konzentrieren uns dabei auf den Schutz die politische Chancengleichheit be­ von Tieren und die Gentechnik. Unse­ tont, genügen. Wir entwickeln zu­ re Informationsquellen sind Bekenner­ erst einen Kriterienkatalog solcher schreiben von und Interviews mit Akti­ Anforderungen. Danach erheben wir vist:innen, die gewalttätige Aktionen ge­ Daten zu den Einkünften und Aus­ gen Gentechnik-Versuchsfelder und Tier­ gaben der Parteien und Politiker:in­ versuche durchgeführt haben. Durch sys­ nen sowie ihren politischen Aktivitä­ tematisches Studium dieser Texte und ten und Wahl- und Abstimmungser­ gesprochenen Worte kristallisieren wir gebnissen. Wir untersuchen anhand heraus, mit welchen Argumenten die Ak­ dieser Fakten, inwiefern finanzstär­ tivist:innen ihr Verhalten rechtfertigen. kere Parteien und Politiker:innen po­ Diese Argumente bewerten wir dann un­ litische Vorteile genießen. Wir tun ter Einbeziehung von bekannten Recht­ dies z.B. durch das Testen der Hypo­ fertigungsmustern aus der Moralphiloso­ these, dass Politiker:innen mit grö­ phie und anderen (z.B. ökonomischen) ßeren Wahlkampfbudgets eher ge­ Theorien der Gerechtigkeit sowie unter wählt werden. Es folgt dann eine Be­ Berücksichtigung der uns bekannten Ge­ urteilung allfälliger politischer Vor­ setzeslage und der Beschaffenheit der teile finanzstärkerer Parteien und betreffenden Gentechnik- und Tierversu­ Politiker:innen im Lichte der Bewer­ che. Das Resultat der Analyse zeigt, tungskriterien. Dieses Vorgehen er­ ob spezifische gewalttätige Aktionen ge­ laubt uns, Schwachstellen bei den rechtfertigt waren und wo die legitimen bestehenden Vorschriften oder Ge­ Grenzen solchen Verhaltens liegen. Da­ setzen zu identifizieren und Verbes­ raus können auch Vorschläge dazu ent­ serungsvorschläge zu machen. wickelt werden, wie der Staat mit sol­ chen Problemen umgehen sollte. Abbildung 1.3: Empirisch-analytische und hermeneutische Forschung mit norma­ tiven Elementen Schließlich können positive Analysen auch mit prognostischen Komponenten ver­ sehen werden. Gut fundierte Prognosen bedingen jedoch ein solides und empirisch validiertes Modell und sind deshalb vor allem im Bereich der empirisch-analyti­ schen Forschungsrichtung angesiedelt. So beruhen beispielsweise Prognosemodelle der Wahlforschung auf Erklärungsmodellen des Wahlverhaltens, die immer wieder anhand von Daten zu vergangenen Wahlen getestet und weiterentwickelt werden. Gleiches gilt für Prognosen zur Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs von Bürgerkrie­ gen oder einem anderweitig verursachten Zusammenbruch staatlicher Ordnungs­ systeme (Problem der failed states). 41 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft 1.5 Politikwissenschaft im deutschsprachigen Raum Nachdem wir die wichtigsten Forschungsrichtungen der Politikwissenschaft ken­ nengelernt haben, werfen wir nun einen Blick zurück in die Geschichte der Diszi­ plin. Wir befassen uns damit, wie die Politikwissenschaft entstanden ist und wie sie sich seit ihren Anfängen entwickelt hat. Der Begriff Politikwissenschaft (Englisch: political science, was im Deutschen bis­ weilen auch mit Politische Wissenschaft übersetzt wird und damit die irreführende Konnotation einer politisierten Wissenschaft erhält) wird meist dem Historiker Herbert Baxter Adams (1850–1901) zugeschrieben. Dieser lehrte an der Johns Hopkins University in den USA. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit politi­ schen Phänomenen begann jedoch schon sehr viel früher. Im Wesentlichen ging die Politikwissenschaft aus zwei Entwicklungssträngen her­ vor. Der erste, vor allem normativ orientierte Entwicklungsstrang befasst sich damit, wie ein politisches System idealerweise aussehen sollte. Der zweite, positiv orientierte Entwicklungsstrang versucht, politische Phänomene möglichst objektiv zu beschreiben und zu erklären. Am Anfang stand die Auseinandersetzung mit der Frage, wie gesellschaftliche Or­ ganisationsformen idealerweise aussehen sollten. Bereits im antiken Griechenland befassten sich Platon, Aristoteles und andere Denker mit dieser Frage. Ihnen folg­ ten im Römischen Reich z.B. Polybius, Livius, Plutarch, Caesar und Cicero sowie im Mittelalter u.a. Augustinus, Khayyam, Avicenna, Maimonides und Averroes. Der zweite Entwicklungsstrang begann in Ansätzen mit historischen Arbeiten im antiken Griechenland und im Römischen Reich. Im Fokus dieser Werke stand die Schilderung der politischen Verhältnisse der damaligen Zeit. Es war jedoch Niccolò Machiavelli (1469–1527), der im Zeitalter der Renaissance die empirisch- analytische Richtung der modernen Politikwissenschaft einläutete. Machiavelli versuchte, allgemeine bzw. verallgemeinerbare Aussagen zur Funktionsweise der Politik zu formulieren. Er tat dies ausgehend von Analysen einzelner politischer Institutionen und Akteure. Politikwissenschaftliche Themen wurden im deutschsprachigen Raum bis Ende des 18. Jh. fast ausschließlich im Rahmen der allgemeinen philosophischen Bil­ dung und Forschung behandelt. Im Vordergrund standen die klassische Politische Philosophie und Schriften wie diejenigen von Platon, Aristoteles, Cicero oder Augustinus sowie religiös geprägte Fragen von Ethik und Politik. Ende des 18. Jh. schwand unter dem Einfluss der englischen und französischen Aufklärungsphi­ losophie das Interesse an der klassischen Politischen Philosophie auch im deutsch­ sprachigen Raum und erkenntnistheoretische Themen rückten in den Vordergrund (siehe z.B. die Werke von Hegel und Kant). Politische Themen wurden zunehmend in universitären Bereichen wie Geschichts-, Staats- und Wirtschaftswissenschaften aufgegriffen. 42 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.5 Politikwissenschaft im deutschsprachigen Raum 1.5.1 Vorboten der modernen Politikwissenschaft Im 18. bis 19. Jh. entstand die Staatswissenschaft. Deren Aufgabe war es, loyale und fähige Beamte für den Staat auszubilden und den expandierenden staatlichen Bürokratien politikrelevante Informationen zu liefern – entsprechend trug sie auch Bezeichnungen wie Polizeywissenschaft, Kameralwissenschaft oder Verwal­ tungswissenschaft. Erste Professuren für Staatswissenschaft wurden 1727 in Halle und Frankfurt an der Oder und 1763 an der Universität Wien eingerichtet. Das 1810 in Zürich eröffnete Politische Institut bot einen Lehrgang für Karrieren im öffentlichen Dienst und einen juristischen Studiengang an. Es wurde später in die juristische Fakultät der 1832 gegründeten Universität Zürich integriert. Die Bezeichnung Verwaltungswissenschaft oder Staatswissenschaft ist bis heute für Studiengänge erhalten geblieben, die aus einer Kombination von Politik-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften bestehen – z.B. an der Universität Konstanz oder bis 2022 der Ecole Nationale d’Administration (ENA, seit 2022 l'Institut national du service public (INSP)) in Straßburg. Ein Hauptziel dieser Studiengänge ist nach wie vor die Vorbereitung auf Karrieren im öffentlichen Dienst oder politiknahe Aufgaben in der Privatwirtschaft. In den 1840er Jahren wurden in Deutschland erste Anstrengungen zur Förderung von regierungsunabhängigen wissenschaftlichen Forschungsaktivitäten zu politi­ schen Fragen unternommen. Diese Bemühungen scheiterten aber zusammen mit der Märzrevolution von 1848. Im konservativeren politischen Klima der darauf­ folgenden Jahre verschwand die sog. progressive Staatslehre des Vormärz und die Ausbildung von (loyalen) Beamten gewann wieder die Oberhand. Politikwis­ senschaftliche Fragen wurden allerdings weiterhin in der Diaspora angrenzender Disziplinen, v.a. der Rechtswissenschaft, Soziologie, Wirtschafts- und Geschichts­ wissenschaft, behandelt. So zählt z.B. Max Weber zu den Klassikern der Sozio­ logie, obschon sich sein Werk von den Inhalten her gesehen genauso gut der Politikwissenschaft zuordnen ließe. In der Weimarer Republik (1918–1933) wurden erneut Versuche unternommen, die Politikwissenschaft als eigenständige Wissenschaft zu begründen. 1920 wurde in Berlin die Deutsche Hochschule für Politik gegründet. 1933 wurden diese Insti­ tution sowie ein weiteres renommiertes Institut, das Frankfurter Institut für Sozi­ alforschung, von den Nationalsozialisten jedoch geschlossen. Bedeutende Pioniere der modernen Politikwissenschaft (z.B. Ernst Fraenkel, Siegfried Landshut, Eric Voegelin, Carl Friedrich, Hans Morgentau) emigrierten in die USA und halfen dort beim Aufbau dieser Wissenschaft. Als eigenständiges universitäres Fach hatte sich die Politikwissenschaft in den USA bereits seit den 1860er Jahren etablieren können. Dies lässt sich vor allem an der Einrichtung von Professuren, Instituten oder Fachbereichen mit der entsprechenden Bezeichnung erkennen. 1.5.2 Politikwissenschaft in Deutschland Nach 1945 entwickelte sich die Politikwissenschaft in Deutschland in kurzer Zeit zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin. Sie ist die am spätesten ein­ geführte Disziplin unter den klassischen Sozialwissenschaften, zu denen z.B. auch 43 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft die Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Soziologie gehören. Bis Mitte der 1950er Jahre wurden an den meisten deutschen Universitäten Professuren für Politikwissenschaft eingerichtet. 1951 wurde die bis heute existierende Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) gegründet. Bis in die 1960er Jahre hinein war die Ausrichtung der politikwissenschaftlichen Forschung und Lehre stark normativ und praxisbezogen. Sie konzentrierte sich vor allem darauf, aus dem Niedergang der Weimarer Republik und der national­ sozialistischen Diktatur Lehren zu ziehen und die Demokratie zu fördern. Philoso­ phische und historische Fragestellungen standen im Vordergrund. In den 1960er Jahren wandelte sich das Fach stärker in Richtung einer modernen Sozialwissen­ schaft empirisch-analytischer Prägung, deren Forschungs- und Lehraktivität sich zunehmend darauf konzentrierte, politische Phänomene mit Hilfe theoretischer Konzepte und sozialwissenschaftlicher Methoden zu beschreiben und zu erklären. Die 68er-Bewegung verhalf marxistischen (oft auch als kritisch bezeichneten) Theorien zu einem Höhenflug und die normative und hermeneutische Forschung rückte an vielen deutschen Universitäten erneut in den Vordergrund. In den 1980er und 1990er Jahren trat jedoch die empirisch-analytische Richtung wieder stärker ins Rampenlicht und dominiert seither die Politikwissenschaft. Dieser Ausrichtung Rechnung tragend verschwand auch an vielen Orten die Bezeichnung Politische Wissenschaft zugunsten des Begriffs Politikwissenschaft (Singular). Letzterer betont, dass es sich um die wissenschaftliche Beschäftigung mit Phänomenen der Politik und nicht um eine politische oder gar politisierte Wissenschaft handelt (Bleek 2001; Göhler/Zeuner 1991). 1.5.3 Politikwissenschaft in der Schweiz In der Schweiz war das politische Umfeld des 19. und frühen 20. Jh. um einiges liberaler als in Deutschland. Deshalb erstaunt es umso mehr, dass die Politik­ wissenschaft in der Schweiz später als in Deutschland zu einem eigenständigen universitären Fach wurde, nämlich erst in den 1970er Jahren, obschon bereits 1959 eine Schweizerische Vereinigung für Politische Wissenschaft (SVPW-ASSP) gegründet wurde. Das 1927 gegründete Genfer Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales (IUHEI, heute IHEID) befasste sich zwar mit internationa­ ler Politik, beherbergte jedoch ausschließlich Jurist:innen und Ökonom:innen. Das 1942 in Zürich gegründete Schweizerische Institut für Auslandforschung hätte das Deutschschweizer Äquivalent zum IUHEI werden sollen. Mangels finanzieller Unterstützung durch den Bund und die Universitäten entstand jedoch lediglich ein noch heute existierender Verein, der Vortragsreihen organisiert. Dass sich die moderne Politikwissenschaft empirisch-analytischer Richtung in der Schweiz erst spät durchsetzen konnte, hängt v.a. mit ihrer starken Verankerung in benachbarten Disziplinen wie Soziologie, Rechtswissenschaft und Geschichts­ wissenschaft zusammen. An den meisten Schweizer Universitäten zeigten diese Nachbardisziplinen wenig Interesse, ein Fach in die Unabhängigkeit zu entlassen, welches an der Universität Zürich noch bis in die 1980er Jahre herablassend als Hilfswissenschaft für Historiker:innen und andere althergebrachte Wissenschaften 44 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.5 Politikwissenschaft im deutschsprachigen Raum definiert wurde. Die 1959 gegründete Schweizerische Vereinigung für Politische Wissenschaft machte sich für eine empirisch-analytische Ausrichtung neu einzu­ richtender Professuren stark. Die erste Generation von Professuren musste man­ gels eines politikwissenschaftlich ausgebildeten Bewerber:innenfeldes mit Soziolo­ gen, Juristen, Ökonomen und Historikern besetzt werden (so z.B. 1961 in Bern, 1970 in St. Gallen und 1971 in Zürich). Wie auch in Deutschland und Österreich schien es damals unmöglich, für eine aus politischer Sicht vermeintlich so sensible Wissenschaft einen Ausländer (von Frauen ganz zu schweigen!) zu berufen. Erst in den 1980er Jahren wurde es möglich, eine stark wachsende Zahl von Professuren mit umfassend ausgebildeten Politikwissenschaftler:innen zu besetzen und einen hohen Internationalisierungsgrad zu erreichen (Ruloff 2003). 1.5.4 Politikwissenschaft in Österreich Das Fach Politikwissenschaft wurde erst in den 1970er Jahren an einigen öster­ reichischen Universitäten eingeführt und institutionalisiert. Bereits für das 18. Jh. gibt es allerdings Nachweise von politischen Wissenschaften in Österreich. So gab es z.B. ab 1763 an der Universität Wien einen Lehrstuhl für Polizey- und Kameralwissenschaften. 1784 erfolgte die Zuordnung dieser Lehrkanzel zur juridischen Fakultät. Auch durch das 19. und frühe 20. Jh. hindurch waren die politischen Wissenschaften ausgerichtet als eine juristische Schulung von Staatsbe­ diensteten. 1919 wurde das Studium der Staatswissenschaften an den damaligen drei juristischen Fakultäten in Österreich (Graz, Innsbruck und Wien) eingerichtet und damit ein institutioneller Vorläufer des Studiums der Politikwissenschaft an den österreichischen Universitäten geschaffen. Nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 1960er und 1970er Jahre hinein wurde der Institutionalisierungsprozess der Politikwissenschaft in Österreich stark von Poli­ tikwissenschaftler:innen aus den USA (vor allem im Rahmen des Re-Education Programme) und aus Deutschland geprägt und fand weiterhin stark im außeruni­ versitären Bereich statt, wie die Gründung des Institut für Höhere Studien (IHS) 1963 verdeutlicht. Die Gründung des IHS erfolgte mithilfe von Geldern der Ford Foundation. Das IHS bot Postgraduiertenausbildungen u.a. in Politikwissenschaft an, was zu einer weiteren Verankerung dieser Disziplin – zumindest im außeruni­ versitären Bereich – führte. 1968 wurde dann schließlich der erste Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Universität Wien eingerichtet. Kurze Zeit später, nämlich 1970, wurde an der Uni­ versität Salzburg ein politikwissenschaftliches Institut gegründet, gefolgt von der Universität Wien 1971–1975, und der Universität Innsbruck 1976. 1971 wurde die Studienrichtung Politikwissenschaft geschaffen, welche allerdings erst 1980 an den Universitäten Wien und Salzburg praktisch umgesetzt wurde. An der Univer­ sität Innsbruck wird Politikwissenschaft erst seit 1985 als eigene Studienrichtung angeboten. Der Prozess der universitären Institutionalisierung ging einher mit der Etablierung der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft (ÖGPW) und der Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP), welche beide in den frühen 1970er Jahren entstanden (Ehs 2010; Karlhofer/Plasser 2012; Pelin­ ka 2004). 45 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft 1.5.5 Fortschreitende Ausdifferenzierung Seit den 1990er Jahren ist eine wachsende Ausdifferenzierung der Politikwissen­ schaft im deutschsprachigen Raum (und auch in anderen Ländern) zu beobachten. Im Vordergrund stehen dabei die Analyse politischer Systeme (oft Vergleichende Politikwissenschaft genannt) und Internationale Beziehungen (z.B. Schimmelfen­ nig 2021; Woyke 2007). Professuren bzw. Forschungsgruppen und Forschungsge­ biete werden jedoch zunehmend auch nach Politikbereichen konzipiert. Dies gilt vor allem für die Europapolitik, Sicherheitspolitik, Wirtschaftspolitik, Sozialpoli­ tik, Konfliktforschung, Umweltpolitik, Forschungsmethoden sowie das Themen­ feld politisches Verhalten und Wahlforschung. 1.6 Verbindung zu anderen Wissenschaftsgebieten In der universitären Lehre und Forschung im deutschsprachigen Raum ist die Politikwissenschaft seit nunmehr rund 50 Jahren fest etabliert. Sie gilt als einer der zentralen sozialwissenschaftlichen Fachbereiche, der – gerade aufgrund seiner spä­ ten Verselbständigung – starke Verbindungen zu anderen Fachbereichen aufweist. Abbildung 1.4 veranschaulicht dies. Fachbereich Charakteristika Verbindung zur Politikwissenschaft Rechtswissenschaft Beschreibung und Öffentliches Recht und die Po­ Auslegung von for­ litikwissenschaft interessieren mellem Recht, Ge­ sich für die Entstehung, Be­ wohnheitsrecht und schaffenheit, Stabilität und Ver­ Rechtspraxis; herme­ änderung formeller und infor­ neutische Methode meller sozialer bzw. politischer dominant Steuerungsmechanismen. Geschichtswissen­ Beschreibung, Inter­ Historisches Hintergrundwissen schaft pretation, Bewertung ist für die Beschreibung und (und teilweise Erklä­ Erklärung politischer Phänome­ rung) von Einzeler­ ne wichtig; Fallstudien greifen eignissen und breite­ oft auf durch die Geschichts­ ren gesellschaftlichen wissenschaft erarbeitete Infor­ Entwicklungen; her­ mationen zurück. Politikwissen­ meneutische Methode schaftliche Forschungsergebnis­ dominant se fließen in geschichtswissen­ schaftliche Untersuchungen ein. Soziologie Beschreibung, Erklä­ Ein Teilbereich der politischen rung, Bewertung so­ Soziologie befasst sich mit po­ zialer Phänomene; litischem Verhalten von Indivi­ empirisch-analytische duen, gesellschaftlichen Steue­ Methode dominant rungsmechanismen und ande­ ren für die Politikwissenschaft relevanten sozialen Phänome­ nen. 46 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.7 Fazit Fachbereich Charakteristika Verbindung zur Politikwissenschaft Wirtschaftswissen­ Beschreibung, Erklä­ Teilbereich der Politischen Öko­ schaft rung, Bewertung öko­ nomie bzw. Wirtschaftspolitik nomischer Sachver­ interessiert Wirtschafts- und halte auf Mikro- und Politikwissenschaft gleicherma­ Makro-Ebene; empi­ ßen. In der Wirtschaftswissen­ risch-analytische Me­ schaft dominierende Theorien thode dominant und Methoden (Statistik, ma­ thematische Formulierung von Theorien) kommen auch in der Politikwissenschaft häufig zur Anwendung. Psychologie Beschreibung und Er­ Politikwissenschaftliche For­ klärung von Gefüh­ schung, die Wahrnehmungen len, Verhalten und und das Verhalten politischer anderen Charakteris­ Akteure untersucht, basiert teil­ tika von Individuen; weise auf in der Psychologie empirisch-analytische entwickelten Theorien und Er­ Methode dominant klärungsmodellen. Kommunikations- Beschreibung, Erklä­ Teilbereiche der Politikwissen­ und Medienwissen­ rung, Bewertung schaft sowie Kommunikations- schaft der sozialen Bedin­ und Medienwissenschaft befas­ gungen, Folgen und sen sich mit dem Verhältnis Bedeutungen von von politischen Akteuren und interpersonaler, me­ Medien. Die Organisation des dialer und öffent­ politischen Systems und Medi­ licher Kommunikati­ ensystems wird häufig als ein­ on; empirisch-analyti­ ander wechselseitig bedingend sche Methode domi­ analysiert (demokratische Staa­ nant ten sind auf freie Medien ange­ wiesen und umgekehrt). Abbildung 1.4: Verbindung der Politikwissenschaft zu anderen Sozial- und Geis­ teswissenschaften 1.7 Fazit Dieses erste Kapitel hat gezeigt, was unter Politik und Politikwissenschaft zu verstehen ist und mit welcher Art von Fragen sich Politikwissenschaftler:innen in welcher Form beschäftigen. Daraus leiten sich auch die Inhalte der folgenden Kapitel ab: Kapitel 2 befasst sich damit, was die Politikwissenschaft analysiert und wie sie dies tut. Sie liefert sozusagen einen (vorerst noch kleinen) Werkzeugkasten, der für das Verständnis der folgenden Kapitel wichtig ist. Kapitel 3 und 4 befassen sich mit grundlegenden Unterschieden zwischen politischen Systemen bzw. Staa­ ten. Sie beschreiben und erklären die Ursachen und Konsequenzen dieser Unter­ 47 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft schiede. Kapitel 5 und 6 befassen sich damit, wie Bürger:innen ins politische System eingebunden sind und wie sie sich darin verhalten, z.B. im Kontext von Wahlen und direkten Demokratieinstrumenten. Kapitel 7–9 befassen sich mit Ak­ teuren, die als Intermediäre zwischen den Bürger:innen und den Institutionen des zentralen politischen Entscheidungssystems wirken: Parteien, Interessengruppen und Kommunikationsplattformen. Kapitel 10–12 konzentrieren sich auf die Insti­ tutionen des zentralen politischen Entscheidungssystems: Parlament, Regierung und Verwaltung sowie Gerichte. Schließlich wirft Kapitel 13 einen Blick über die nationalen politischen Systeme hinaus und befasst sich mit internationalen, supranationalen und transnationalen politischen Steuerungsstrukturen. Literaturempfehlungen Zum politischen System Deutschlands: Grotz, Florian/Schroeder, Wolfgang (2021): Das Politische System der Bundesrepublik Deutschland: Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS. Schmidt, Manfred G. (2021): Das Politische System Deutschlands. Institutionen, Willensbil­ dung und Politikfelder. München: C. H. Beck. Gabriel, Oskar W./Holtmann, Everhard. (Hrsg.) (2011): Handbuch Politisches System der Bundesrepublik Deutschland. München: Oldenbourg. Zum politischen System Österreichs: Ucakar, Karl/Gschiegl, Stefan/Jenny, Macelo (2017): Das politische System Österreichs und die EU. Wien: facultas. Helms, Ludger/Wineroither, David M. (2017): Die österreichische Demokratie im Vergleich. In: Politik und Demokratie in den kleineren Ländern Europas. Baden-Baden: Nomos. Pelinka, Anton/Rosenberger, Sieglinde (2007): Österreichische Politik. Grundlagen, Struktu­ ren, Trends. Wien: Facultas. Esterbauer, Fried (1995): Das Politische System Österreichs: Eine Einführung in die Rechts­ grundlagen und die Politische Wirklichkeit. Graz: Leykam. Dachs, Herbert (Hrsg.) (2006): Politik in Österreich. Das Handbuch. Wien: Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung. Zum politischen System der Schweiz: Linder, Wolf (2017): Schweizerische Demokratie: Institutionen, Prozesse, Perspektiven. Bern: Haupt. Papadopoulos, Yannis/Sciarini, Pascal /Vatter, Adrian/Häusermann, Silja/Emmenegger, Pa­ trick/Fossati, Flavia (Hrsg.) (2022): Handbuch der Schweizer Politik: Manuel de la Politique Suisse. Zürich: NZZ Verlag. Vatter, Adrian (2020): Das politische System der Schweiz. Baden-Baden: Nomos. Zur Einführung in die Vergleichende Politikwissenschaft: Caramani, Daniele (2020): Comparative Politics. Oxford: Oxford University Press. Jahn, Detlef (2013): Einführung in die Vergleichende Politikwissenschaft. Wiesbaden: Sprin­ ger VS. Kriesi, Hanspeter (2007): Vergleichende Politikwissenschaft. Teil I: Grundlagen. Eine Ein­ führung. Baden-Baden: Nomos. Kriesi, Hanspeter (2008): Vergleichende Politikwissenschaft. Teil II: Institutionen und Län­ derbeispiele. Eine Einführung. Baden-Baden: Nomos. 48 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1.7 Fazit Zur Einführung in die Internationalen Beziehungen: Schimmelfennig, Frank (2021): Internationale Politik. Paderborn: Schöningh, UTB. Russett, Bruce/Starr, Harvey/Kinsella David (2013): World Politics: The Menu for Choice. Boston: Wadsworth. Bueno De Mesquita, Bruce (2013): Principles of International Politics. London: Palgrave. Deitelhoff, Nicole/Zürn, Michael (2016): Lehrbuch der Internationalen Beziehungen: Per Anhalter durch die IB-Galaxis. München: C. H. Beck. Zur Einführung in die Methoden der Sozialwissenschaften: Keohane, Robert O./King, Gary/Verba, Sidney (2021): Designing Social Inquiry. Scientific Inference in Qualitative Research. Princeton: Princeton University Press. Toshkov, Dimiter (2016): Research Design in Political Science. Basingstoke: Palgrave Macmillan. Maggetti, Martino/Gilardi, Fabrizio/Radaelli Claudio M. (2013): Designing Research in the Social Sciences. SAGE Publications. Goertz, Gary (2020): Social Science Concepts and Measurement. Princeton: Princeton Uni­ versity Press. Diekmann, Andreas (2007): Empirische Sozialforschung: Grundlagen, Methoden, Anwen­ dungen. Reinbek: Rowohlt. Schnell, Rainer/Hill, Paul B./Esser, Elke (2011): Methoden der empirischen Sozialforschung. München: Oldenburg. Yin, Robert (2009): Case Study Research: Design and Methods. Thousand Oaks: SAGE. George, Alexander L./Bennett Andrew (2005): Case Studies and Theory Development in the Social Sciences. Cambridge, MA: The MIT Press. Gerring, John E. (2012): Social Science Methodology: A Unified Framework. Cambridge: Cambridge University Press. Blatter, Joachim K./Janning Frank/Wagemann Claudius (2007): Qualitative Politikanalyse: Eine Einführung in Forschungsansätze und Methoden. Wiesbaden: Springer VS. Zur Einführung in die Politische Philosophie: Wolff, Jonathan (2016): An Introduction to Political Philosophy. Oxford: Oxford Universi­ ty Press. Horn, Christoph (2012): Einführung in die politische Philosophie. wbg Academic. Braun, Eberhard/Heine, Felix/Opolka, Uwe (1984): Politische Philosophie: Ein Lesebuch: Texte, Analysen, Kommentare. Reinbek: Rowohlt. Maier, Hans/Denzer, Horst (Hrsg.) (2008): Klassiker des politischen Denkens. 2 Bände. München: C. H. Beck. Von Beyme, Klaus (2007): Theorie der Politik im 20. Jahrhundert. Von der Moderne zur Postmoderne. Frankfurt: Suhrkamp. 49 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 1. Politik und Politikwissenschaft Die wichtigsten politikwissenschaftlichen Fachzeitschriften, die in den drei deutschsprachi­ gen Ländern publiziert werden, sind: Politische Vierteljahresschrift (PVS), herausgegeben von der Deutschen Vereinigung für Poli­ tische Wissenschaft. Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft, herausgegeben von der Schweizerischen Vereinigung für Politikwissenschaft. Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP), herausgegeben von der Österrei­ chischen Gesellschaft für Politikwissenschaft. Zeitschrift für Internationale Beziehungen (ZIB), herausgegeben im Auftrag der Sektion Internationale Politik der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. 50 https://doi.org/10.5771/9783748923237-23 Generiert durch Universitätsbibliothek Duisburg-Essen, am 04.10.2023, 13:59:44. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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