DGNB Workbook: Grundlagen des nachhaltigen Bauens PDF
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DGNB
2023
Mario Schneider, Maya Worm, Maresa Schmid, Dr. Anna Braune, Mieke Schleife
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This DGNB workbook provides foundational knowledge on sustainable building practices. It covers topics like environmental impacts, sustainability definitions, planning strategies, and evaluation methods for buildings and entire neighborhoods. It's aimed at professionals in the construction industry.
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BEGLEITENDES WORKBOOK GRUNDLAGEN DES NACHHALTIGEN BAUENS 1 Grundlagen des nachhaltigen Bauens Autor:innen und Mitwirkende (DGNB): Mario Schneider, Maya Worm Maresa Schmid, Dr. Anna Braune, Mieke Schleife © DGNB 2023 Alle Rechte vorbehalten. Alle Angaben wurden mit größt...
BEGLEITENDES WORKBOOK GRUNDLAGEN DES NACHHALTIGEN BAUENS 1 Grundlagen des nachhaltigen Bauens Autor:innen und Mitwirkende (DGNB): Mario Schneider, Maya Worm Maresa Schmid, Dr. Anna Braune, Mieke Schleife © DGNB 2023 Alle Rechte vorbehalten. Alle Angaben wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet und zu- sammengestellt. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Inhalts sowie zwischen- zeitliche Änderungen übernimmt die DGNB keine Gewähr. Die Nutzung des Workbooks ist ausschließlich zur persönlichen, nicht kommerziellen Nutzung gestattet. Die Weitergabe an Dritte oder Verbreitung, Vervielfältigung, Bear- beitung oder Zugänglichmachung ist nicht gestattet. Insbesondere die Veröffentli- chung beispielsweise in Internetportalen (Sharing) ist untersagt. Kontakt zur DGNB Akademie DGNB GmbH Tübinger Straße 43 70178 Stuttgart Sie haben inhaltliche Fragen zum Kurs? Nutzen Sie bitte die Live-Session die im Rahmen des Kurses veranstaltet wird. Sie haben Fragen zu unseren Fort- und Weiterbildungsprogrammen? Das Team der DGNB Akademie steht Ihnen gerne zur Verfügung. [email protected] +49 711 722322-42 www.dgnb.de/akademie i Grundlagen des nachhaltigen Bauens Inhalt Inhalt Kapitel 1: Kurseinführung.............................................................................................................................. 2 Worum geht’s?........................................................................................................................................... 2 Kursaufbau und Kursziele......................................................................................................................... 2 Über dieses Workbook.............................................................................................................................. 3 Weiterführendes Info-Paket...................................................................................................................... 4 Weiterer Fortbildungsweg......................................................................................................................... 4 Kapitel 2: Die Klimakatastrophe................................................................................................................... 6 Worum geht’s?........................................................................................................................................... 6 Ökologischer Fußabdruck der Baubranche............................................................................................. 7 Krise 1: Klimawandel................................................................................................................................. 8 Krise 2: Ressourcenverbrauch................................................................................................................ 11 Krise 3: Biodiversitätsverlust.................................................................................................................. 12 Ökonomische Folgen des Klimawandels............................................................................................... 13 Zusammenfassung.................................................................................................................................. 14 Kapitel 3: Was ist Nachhaltigkeit?.............................................................................................................. 17 Worum geht’s?......................................................................................................................................... 17 Nachhaltigkeitsdefinitionen.................................................................................................................... 19 Nachhaltigkeitsmodelle.......................................................................................................................... 20 Sustainable Development Goals (SDGs)............................................................................................... 22 Nachhaltigkeit bei der DGNB.................................................................................................................. 23 Nachhaltigkeitsstrategien....................................................................................................................... 24 Zusammenfassung.................................................................................................................................. 25 Kapitel 4: Im Einklang mit dem Planeten: Ökologisch planen und bauen............................................... 28 Worum geht’s?......................................................................................................................................... 28 Ressourcenschonung.............................................................................................................................. 31 Zusammenfassung.................................................................................................................................. 38 Resiliente Städte...................................................................................................................................... 41 Zusammenfassung.................................................................................................................................. 45 Kapitel 5: Zusammen gedacht: Ganzheitlich planen und bauen.............................................................. 49 Worum geht’s?......................................................................................................................................... 49 Ganzheitlichkeit....................................................................................................................................... 51 Grundlagen des nachhaltigen Bauens ii Inhalt Integrale Planung..................................................................................................................................... 54 Zusammenfassung.................................................................................................................................. 58 Kapitel 6: Die Nutzenden im Mittelpunkt: Gesundheitsfördernd planen und bauen............................... 62 Worum geht’s?......................................................................................................................................... 62 Innenräume und Wohlbefinden............................................................................................................... 64 Zusammenfassung.................................................................................................................................. 68 Luftqualität im Außenraum..................................................................................................................... 71 Luftqualität im Innenraum: schadstoffarme Baustoffauswahl............................................................ 72 Zusammenfassung.................................................................................................................................. 76 Kapitel 7: Mit Weitsicht: Planen und bauen für den gesamten Lebenszyklus................................... 80 Worum geht’s?......................................................................................................................................... 80 Lebenszyklusorientierte Planung........................................................................................................... 83 Zusammenfassung.................................................................................................................................. 87 Ökobilanzierung....................................................................................................................................... 91 Zusammenfassung.................................................................................................................................. 99 Lebenszykluskostenrechnung..............................................................................................................102 Zusammenfassung................................................................................................................................106 Kapitel 8: Nachhaltigkeit bewerten...........................................................................................................110 Worum geht’s?.......................................................................................................................................110 Warum Nachhaltigkeit bewerten?........................................................................................................111 Die DGNB................................................................................................................................................112 Das DGNB System.................................................................................................................................113 Zusammenfassung................................................................................................................................119 Kapitel 9: Ausblick.....................................................................................................................................120 Literaturverzeichnis...................................................................................................................................123 Abkürzungsverzeichnis.............................................................................................................................128 iii Grundlagen des nachhaltigen Bauens 1 Kurseinführung Kapitel 1 Kurseinführung 1 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 1 Kurseinführung Kapitel 1: Kurseinführung Worum geht’s? Der Grundstein aller nachhaltigen Bau- Überblick über die vielfältigen Anknüp- projekte ist das Wissen darüber, wel- fungspunkte und deren Wechselwir- che Aspekte bei der Umsetzung rele- kungen. Zusätzlich zeigen wir Ihnen vant und zielführend sind. In diesem konkrete Handlungsmöglichkeiten auf, Kompaktkurs lernen Sie die wesentli- um Nachhaltigkeit in der Baubranche chen Grundlagen des nachhaltigen zu realisieren. Bauens kennen – sei es bei einzelnen Wir freuen uns, dass Sie dabei sind! Gebäuden oder im ganzen Quartier. Der Kurs gibt Ihnen einen kompakten Kursaufbau und Kursziele Der Kurs „Grundlagen des nachhaltigen Bauens“ besteht aus neun Kapiteln und einer Live-Session. In den Kapiteln werden die folgenden Kernfragen beantwortet: 1 Kurseinführung ▪ Wie funktioniert das Lernen über die Lernplatt- form? ▪ Welche Perspektiven eröffnet mir der Kurs? 2 Die Klimakatastrophe ▪ Welchen Einfluss wird eine Veränderung des Klimas und der Biodiversität in Zukunft auf un- sere Versorgung, unsere Wirtschaft und unser (Zusammen-)Leben haben? ▪ Welche Rolle spielt dabei die Baubranche? 3 Was ist Nachhaltig- ▪ Was versteht man unter Nachhaltigkeit? keit? ▪ Welche wichtigen Nachhaltigkeitsvereinbarun- gen und -ziele gibt es auf internationaler Ebene? 4 Im Einklang mit dem ▪ Wie können wir dem hohen Ressourcen- und Planeten: Ökologisch Flächenverbrauch sowie dem Biodiversitätsver- planen und bauen lust entgegentreten? ▪ Wie können wir unsere Städte besser an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen? Grundlagen des nachhaltigen Bauens 2 1 Kurseinführung 5 Zusammengedacht: ▪ Ganzheitlichkeit: Was ist das und was bedeutet Ganzheitlich planen es in Bezug auf nachhaltiges Bauen? und bauen ▪ Welche Planungsmethodiken helfen dabei, ganzheitlich nachhaltig zu planen? (Stichwort: Integrale Planung) 6 Die Nutzenden im ▪ Wie können wir behagliche, komfortable, lang- Mittelpunkt: Gesund- fristig lebenswerte Innenräume schaffen, bei heitsfördernd planen denen die Bedürfnisse der Nutzer:innen im Vor- und bauen dergrund stehen? 7 Mit Weitsicht: Planen ▪ Welche Lebenszyklusphasen durchläuft ein Ge- und bauen für den ge- bäude und wie können wir die Langlebigkeit för- samten Lebenszyklus dern? (Flexibilität und Umnutzungsfähigkeit) ▪ Wie können wir über den Lebenszyklus mög- lichst geringe Umweltwirkungen verursachen? (Ökobilanz) ▪ Wie können wir Gebäude planen, die langfristig nutzbar und über den Lebenszyklus hinweg ökonomisch sinnvoll sind? (Lebenszykluskos- ten) 8 Nachhaltigkeit be- ▪ Wie können wir Nachhaltigkeit durch Zertifizie- werten rung bewerten? ▪ Wie funktioniert in diesem Zusammenhang das DGNB Zertifizierungssystem? 9 Ausblick ▪ Wie kann es für Sie in Richtung nachhaltiges Bauen weitergehen? Über dieses Workbook In diesem Dokument sammeln Sie Ihr Das Workbook ist analog zur Kurs- Wissen zum Kurs „Grundlagen des struktur aufgebaut. Zu jedem Kapitel nachhaltigen Bauens“. Sie erarbeiten und jeder Lektion gibt es auch hier ei- sich damit eine Dokumentation zur nen Abschnitt. Schulung, auf die Sie auch nach Kurs- Achtung: Auch Sie haben einen aktiven ende immer wieder zugreifen können. Part in diesem Workbook. Über das 3 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 1 Kurseinführung Bearbeiten von Übungen und Lücken- Die Inhalte im Workbook bereiten Sie texten sorgen Sie selbst für die Vervoll- auch auf die Prüfung zum DGNB Re- ständigung aller Inhalte. Deshalb lautet gistered Professional bzw. den Prü- unsere Empfehlung: Öffnen Sie das fungsteil zu den Grundlagen des nach- Workbook parallel zur Bearbeitung in haltigen Bauens in der DGNB Consul- der Online-Kursumgebung und glei- tant-Prüfung vor. Beachten Sie zur chen Sie ab, ob im Workbook alles Vorbereitung insbesondere die Zusam- steht, was Sie mitnehmen möchten. menfassungen und darin enthaltene Prüfungshinweise. Um die Lückentexte in den Übungen auszufüllen, nutzen Sie die Text- Tipp Funktion in Ihrem PDF-Anzeigeprogramm. In Adobe Acrobat Reader: Werkzeuge >> Kommentieren >> Textkommentar hinzufügen Weiterführendes Info-Paket Unter folgendem Link können Sie sich ein umfangreiches Info-Paket herunterladen: https://www.dgnb.de/rp-info Das Paket enthält gesammelt weiterführende Info-PDFs, z.B. DGNB Reports DGNB Kriterien und Tools Hinweise zur Prüfung zum DGNB Registered Professional Auch hier im Workbook weisen wir auf Dokumente im Info-Paket hin. Weiterer Fortbildungsweg Die Inhalte des Kurses bereiten Sie auf als DGNB Consultant oder DGNB Audi- die 60-minütige Online-Prüfung zum tor. Falls Sie einen weiterführenden DGNB Registered Professional (RP) Abschluss anstreben, können Sie die vor. Mit diesem Titel positionieren Sie Prüfung zum DGNB Registered Profes- sich als angehender Experte bzw. an- sional überspringen. Sie erhalten dann gehende Expertin im Wachstumsmarkt in der Prüfung zum DGNB Consultant nachhaltiges Bauen. Weitere Informati- zusätzlich Fragen zum Kurs „Grundla- onen zum Ablauf der Prüfung finden gen des nachhaltigen Bauens“. Sie in Ihrem Info-Paket. Weitere Informationen finden Sie im Der DGNB Registered Professional ist Dokument „Wege zum DGNB Experten“ zudem der erste Schritt für eine Karri- in Ihrem Info-Paket. ere im Bereich der DGNB Zertifizierung Grundlagen des nachhaltigen Bauens 4 2 Klimakatastrophe Kapitel 2 Die Klimakatastrophe 5 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 2 Klimakatastrophe Kapitel 2: Die Klimakatastrophe Worum geht’s? Mit diesem Kapitel möchten wir Ihnen Zusammenhang mit dem Klimawandel helfen, ein umfassendes Verständnis und weiteren Umweltherausforderun- der aktuellen Problemstellungen im gen zu entwickeln. Kernfragen ▪ Welchen Einfluss wird eine Veränderung des Klimas und der Biodiversität in Zukunft auf unsere Versorgung, unsere Wirt- schaft und unser (Zusammen-)Leben haben? ▪ Welche Rolle spielt dabei die Baubranche? Themen und Lernziele Ökologischer Fußabdruck der Baubranche ▪ Sie können die Auswirkungen der Baubranche auf die Umwelt (Emissionen, Ressourcenverbrauch, Biodiversität, etc.) beschreiben. Krise 1: Klimawandel ▪ Sie können den Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und Erderwär- mung, sowie das Konzept der Tipping Points erklären. ▪ Sie können Folgen des menschengemachten Klimawandels für unsere zu- künftigen Lebensbedingungen, die Wirtschaft und die Ökosysteme beschrei- ben. ▪ Sie wissen, was das Pariser Klimaabkommen ist, und kennen sein Hauptziel. Krise 2: Ressourcenverbrauch ▪ Sie wissen, was unter den Begriffen „ökologischer Fußabdruck“ und „Bioka- pazität“ verstanden wird. ▪ Sie verstehen die Problematik des zu hohen Ressourcenverbrauchs durch die Menschen. Krise 3: Biodiversitätsverlust ▪ Sie können wiedergeben, was unter dem Begriff „Biodiversität“ verstanden wird. ▪ Sie kennen zentrale Funktionen von Biodiversität. ▪ Sie verstehen, warum der Verlust von Biodiversität problematisch ist und wie er in Wechselwirkung zum Klimawandel steht. Grundlagen des nachhaltigen Bauens 6 2 Klimakatastrophe Ökologischer Fußabdruck der Baubranche In der öffentlichen Diskussion um Um- dagegen oft noch sehr vernachlässigt weltschutz und Klimawandel stehen – zu Unrecht, denn er hat einen massi- meist Themen wie Fliegen, Autofahren, ven Einfluss auf nahezu alle ökologi- Ernährung, und Konsum im Zentrum. schen Krisenthemen. Der Bau- und Immobiliensektor wird Abbildung 1: Ökologischer Fußabdruck der Baubranche. Zahlen, Daten, Fakten. 7 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 2 Klimakatastrophe Krise 1: Klimawandel Problematik Tipp Um die Lückentexte in den Übungen auszufüllen, nutzen Sie die Text- Funktion in Ihrem PDF-Anzeigeprogramm. In Adobe Acrobat Reader: Werkzeuge >> Kommentieren >> Textkommentar hinzufügen Seit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts ist die globale Durchschnittstemperatur um über 1° C gestiegen. Das liegt an der zunehmen- den Konzentration von Treibhausgasen in unserer Atmosphäre. Zu den Treib- hausgasen gehören z.B.: ______________________, ______________________, und ______________________. ______________________ ist dabei mit einem Anteil von fast 90 % an allen Treib- hausgasemissionen das bedeutendste Klimagas. CO2 wird v.a. durch die Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas sowie durch die Abholzung von Wäldern freigesetzt (Rechid, 2021; Petit et al., 2000). So liegt der aktuelle CO2-Wert deutlich über ___________________ der Atmosphäre oder – anders ausgedrückt – bei über 400 parts per million (ppm) (National Oceanic and Atmospheric Administration, 2024). Folgen Die durch den Klimawandel steigenden Kälteperioden führen kann. Gleichzeitig Temperaturen führen u.a. zu sich stark beobachten wir eine starke Zunahme verändernden Wetterlagen. Hoch- und von Extremwetterereignissen in Heftig- Tiefdruckgebiete bleiben länger stabil, keit und Frequenz ihres Eintretens. was zu längeren Hitze- und Grundlagen des nachhaltigen Bauens 8 2 Klimakatastrophe Abbildung 2: Anzahl weltweiter Naturkatastrophen pro Jahr. 1980 und 2017 im Vergleich. Quelle: Münchner Rückversicherungsgesellschaft (2018) Übung: Listen Sie weitere Folgen der Erderwärmung auf Das Pariser Klimaabkommen Das UN-Klimaschutzabkommen von wurde im Rahmen der 21. UN-Klima- Paris (EU-Kommission, 2022) ist das konferenz (COP21) im Dezember 2015 erste universelle, rechtsverbindliche in Paris verabschiedet. Die UN-Klima- globale Klimaschutzabkommen. Es konferenz (engl. Originaltitel "United 9 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 2 Klimakatastrophe Nations Climate Change Conference"), auf die Überblicksstudie von Steffen et auch (Welt-)Klimagipfel oder Welt-Kli- al. (2018), die besagt, dass bereits das makonferenz genannt, ist die jährlich 2-Grad-Ziel nicht ausreichen könnte, stattfindende Vertragsstaatenkonfe- um irreversible Rückkopplungen durch renz der UN-Klimarahmenkonvention. Kippelemente im Erdsystem sicher zu Das von seinerzeit 195 Staaten und der verhindern (siehe nächstes Kapitel), EU verabschiedete Übereinkommen verpflichten sich die Staaten zudem zu sieht die Begrenzung der menschenge- Bemühungen für ein ambitionierteres machten globalen Erwärmung auf Temperaturlimit von 1,5 °C. deutlich unter 2 °C gegenüber vorin- dustriellen Werten vor. In Bezugnahme Kipppunkte des Klimasystems Abbildung 3 Mögliche Kippelemente des Klimasystems (nach: Potsdam-Institut für Klimafolgen- forschung, o.J. Klima-Kippelemente sind wichtige Be- stabil, können dann aber ab einem be- standteile des Erdsystems, die ein stimmten Schwellenwert bereits durch Schwellenverhalten aufweisen: Bei zu- kleine zusätzliche Störungen in einen nehmender globaler Erwärmung blei- qualitativ neuen Zustand versetzt wer- ben sie zunächst im Wesentlichen den, d.h. sie „kippen". Grundlagen des nachhaltigen Bauens 10 2 Klimakatastrophe Krise 2: Ressourcenverbrauch Abbildung 4: Ökologischer Fußabdruck der Menschen vs. Biokapazität der Erde seit 1961. Nach: World Wildlife Fund (2020, S. 57) Als ökologischen Fußabdruck bezeichnet man den Verbrauch an ökologisch produktiven Flächen auf der Erde, die notwendig sind, um den Lebensstil und Lebensstandard der Menschen zu ermöglichen. Biokapazität ist die Kapazität des Planeten, nützliche biologische Materialien zu produzieren und durch den Menschen erzeugte Abfallstoffe zu absorbieren (z.B. CO2). Bis _________ waren wir „in der Balance“: Wir haben nicht mehr verbraucht, als die Erde uns in einem Jahr zur Verfügung gestellt hat. Mittlerweile herrscht je- doch ein ökologisches Defizit, insbesondere durch das massive Freisetzen von Treibhausgasen. 11 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 2 Klimakatastrophe Krise 3: Biodiversitätsverlust Biodiversität bezeichnet das gesamte Biodiversität ist für den Menschen un- Spektrum des Lebens auf der Erde. erlässlich, denn Ökosysteme erbringen Dazu gehören alle vorkommenden (Dienst-)Leistungen für uns, die in ih- Tier- und Pflanzenarten, Mikroorganis- rem (nicht nur finanziellen) Wert kaum men und Pilze sowie die Vielfalt der Le- zu erfassen sind. Und das tun sie kos- bensräume und ihre Wechselwirkun- tenlos. Wir hängen in vielen Bereichen gen. Biodiversität bedeutet biologische mehr von der Natur ab, als uns be- Vielfalt – Vielfalt von Arten, innerhalb wusst ist. von Arten und innerhalb der Ökosys- teme. Sie ist Kern dessen, was wir ge- meinhin als Natur bezeichnen. Abbildung 5: Ökosystemleistungen: Das alles tun Ökosysteme für uns (nach: Fischer & Ober- hansberg, 2021) Durch menschliche Handlungen nimmt Stadtentwicklung und Landwirtschaft, die biologische Vielfalt heute schneller die übermäßige Ausbeutung von Pflan- ab als je zuvor in der Geschichte der zen und Tieren, Umweltverschmutzung Menschheit (Intergovernmental Sci- und invasive gebietsfremde Arten ence-Policy Platform on Biodiversity (World Wildlife Fund (WWF), 2020). In and Ecosystem Services (IPBES), Zukunft werden durch den Klimawan- 2019). Die wichtigsten direkten Ursa- del veränderte Lebensbedingungen mit chen für die Verschlechterung der Öko- großer Wahrscheinlichkeit einen systeme sind: die veränderte Land- Hauptgrund für den Rückgang der Bio- und Meeresnutzung z. B. durch diversität darstellen (WWF, 2020). Grundlagen des nachhaltigen Bauens 12 2 Klimakatastrophe Abbildung 6: Ursachen für den Rückgang von Biodiversität in Europa. (siehe Living Planet Report des WWF, S. 20/21, (2020) Der Verlust von Biodiversität verstärkt etwa 60 % davon (IPBES 2019). Durch wiederum den Klimawandel. Meeres- Abholzung von Wäldern und Übernut- und Festlandökosysteme sind die ein- zung der Meere gehen diese Ökosys- zigen natürlichen Senken für Kohlen- teme immer weiter zurück. Das setzt stoffemissionen, sie binden global eine Negativspirale in Gang. Ökonomische Folgen des Klimawandels Es gibt viele Anhaltspunkte dafür, dass Review (dt. Stern-Bericht) des ehema- sich Klimaschutz wirtschaftlich rech- ligen Weltbank-Chefökonomen Nicho- net. Eine entscheidende Schlussfolge- las Stern aus dem Jahr 2006. rung enthält der sogenannte Stern- Der Stern-Bericht geht davon aus, dass ______ % des jährlichen globalen Brutto- inlandsprodukts ausreichen würden, um die Erderwärmung einzudämmen. Um- gekehrt warnt der Bericht vor Folgekosten bei Untätigkeit von bis zu _____ % des Bruttoinlandsprodukts und vor daraus resultierenden globalen Wirtschaftskri- sen. Das Umweltbundesamt (2021) berechnet, dass die Folgekosten aufgrund von Infrastruktur- und Ökosystemschäden pro ausgestoßener Tonne CO 2 bei etwa _______________ Euro liegen. Deshalb empfinden viele Kritikerinnen und Kritiker den derzeitigen CO 2-Preis von ______ Euro pro Tonne CO2, den das nationale Emissionshandelssystem vorgibt, als zu gering. 13 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 2 Klimakatastrophe Zusammenfassung ▪ Als Menschheit sorgen wir momentan durch unseren Ressourcenverbrauch und unsere Treibhausgasemissio- nen für die Überschreitung aller planetaren Grenzen. ▪ Wir stoßen mehr Treibhausgase aus, als die Erde aufneh- men kann, und sorgen so für einen immer schneller vo- ranschreitenden Klimawandel. Die Herstellung und der Betrieb der gebauten Umwelt haben einen hohen Anteil an den Emissionen (Klimaschutz). ▪ Durch die Klimaveränderung sind wir nicht nur mit stei- genden Temperaturen und Hitzeextremen konfrontiert, Problemstellung/Herausforderung sondern auch mit einer Zunahme von Extremwetterereig- nissen. An beides müssen wir uns anpassen (Klimaan- passung). ▪ Wenn der Ausstoß von Treibhausgasen nicht zurückgeht, könnten wir Kipppunkte im Klimasystem auslösen. Diese selbstverstärkenden Effekte beschleunigen den Klima- wandel und treiben ihn weiter voran, unabhängig von al- len folgenden menschlichen Bemühungen den Klimawan- del zu bekämpfen. ▪ Wir verbrauchen Ressourcen in einer Geschwindigkeit die die Regerationsfähigkeit des Planeten überschreitet. ▪ Durch den menschengemachten Klimawandel, die hohen Ressourcen- und Flächenverbräuche sowie aufgrund der Umweltverschmutzung durch unsere Produktions-, Bau- und Entsorgungsprozesse sorgen wir für einen massiven Rückgang der Biodiversität weltweit. Wir beobachten ge- rade das sechste erdgeschichtliche Massensterben. ▪ Die Folgen des Klimawandels haben auch ökonomische Aspekte. Die volkswirtschaftlichen Schäden durch Emis- sionen, steigende Temperaturen und Zunahme von Ext- remwetterereignissen sind enorm und werden in Zukunft weiter zunehmen. Aktiver Klimaschutz ist günstiger als Klimaanpassung. Grundlagen des nachhaltigen Bauens 14 3 Was ist Nachhaltigkeit? empfehlungen Handlungs- ▪ In den folgenden Kapiteln werden wir näher auf die Kon- sequenzen für das Planen und Bauen eingehen und da- rauf, welche Handlungsmöglichkeiten es gibt, um diesen globalen Problemen zu begegnen. Weiterführende Informationen ▪ Report Living Planet Report 2022. WWF (Deutsch) ▪ Report IPCC Sixth Assessment Report (Englisch) ▪ Report Stern Review: The Economics of Climate Change (Englisch) Chapter 3 How climate change will affect people around the world ▪ Studie Tipping elements in the Earth's climate system. Lenton et al. 2008 Prüfungsvorbereitung Für die Prüfung sollten Sie vor allem folgende Punkte mitnehmen ⌂ Welche globalen Krisen wir neben der Klimakatastrophe noch bewältigen müssen. ⌂ Welchen Anteil der Bausektor an verschiedenen Ressourcenverbräuchen hat. ⌂ Was das Pariser Klimaabkommen ist und welches Ziel es verfolgt ⌂ Was unter den Kipppunkten des Klimasystems verstanden wird und welche es gibt. ⌂ Welche ökonomischen Folgen der Klimawandel hat. ⌂ Was die Ursachen für den Verlust von Biodiversität sind. 15 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 2 Klimakatastrophe Kapitel 3 Was ist Nachhaltigkeit? Grundlagen des nachhaltigen Bauens 16 3 Was ist Nachhaltigkeit? Kapitel 3: Was ist Nachhaltigkeit? Worum geht’s? In den letzten Lektionen wurde deut- Denn ja: Wir können noch (und müssen lich, unter welchem Stress unser Öko- dringend!) etwas tun, um den Klima- system Erde derzeit steht. Wir haben wandel und seine Folgen zu bekämp- gesehen, wie sich der Klimawandel fen. heute und in Zukunft auf unsere Um- In diesem Kapitel betrachten wir Rah- welt, Wirtschaft und Lebensweise aus- menbedingungen auf der politischen wirkt. Wir haben auch gesehen, wie er Ebene. Anfangen wollen wir mit der De- in Wechselwirkung zu Themen wie dem finition des heutzutage viel – manch- Ressourcenverbrauch und dem Verlust mal vielleicht zu viel – benutzten Be- von Biodiversität steht. griffs der Nachhaltigkeit, damit wir ein Nun wollen wir erste Ansätze zur Lö- gemeinsames Verständnis davon ha- sung dieser globalen Probleme be- ben, was wir überhaupt meinen, wenn trachten. wir von „Nachhaltigkeit” sprechen. Kernfragen ▪ Was ist Nachhaltigkeit? ▪ Welche wichtigen Nachhaltigkeitsvereinbarungen und -ziele gibt es auf internationaler Ebene? 17 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 3 Was ist Nachhaltigkeit? Themen und Lernziele Nachhaltigkeitsdefinitionen ▪ Sie kennen die drei Kernelemente von Nachhaltigkeit und die Ursprünge des Begriffs im deutschen Sprachraum. ▪ Sie können die gängige Definition von nachhaltiger Entwicklung nach dem Brundtland-Bericht wiedergeben. Nachhaltigkeitsmodelle ▪ Sie kennen die Unterschiede zwischen dem Vorrangmodell und dem Drei- Säulen-Modell der Nachhaltigkeit, sowie zwischen schwacher und starker Nachhaltigkeit. Sustainable Development Goals ▪ Sie wissen, was die Sustainable Development Goals (SDGs) und ihre grund- sätzlichen Zielsetzungen sind. ▪ Sie können Bezüge von den SDGs zur Baubranche herstellen und kennen die SDGs, die für die Baubranche am relevantesten sind. Nachhaltigkeit und Klimawandel ▪ Sie kennen den Zusammenhang zwischen nachhaltiger Entwicklung und dem Klimawandel. Nachhaltigkeit bei der DGNB ▪ Sie wissen, mit welchem Nachhaltigkeitsverständnis die DGNB agiert. Nachhaltigkeitsstrategien ▪ Sie können die Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konsistenz, und Suffizi- enz in Bezug auf die Baubranche erklären. Grundlagen des nachhaltigen Bauens 18 3 Was ist Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeitsdefinitionen Es gibt keine allgemeingültige Definition von „Nachhaltigkeit“. Meist werden folgende Ideen damit 1714), ein Oberberghauptmann aus verbunden: Freiberg in Sachsen, als Begründer des Prinzips der Nachhaltigkeit. Angesichts - Langfristigkeit („Lassen Sie einer drohenden Holzknappheit for- uns eine nachhaltige Lösung derte von Carlowitz 1713 in seinem finden, die auch in 20 Jahren Werk „Sylvicultura oeconomica" erst- noch sinnvoll ist“) mals, es solle nur so viel Wald geschla- - Umweltschutz, Ökologie und gen werden, wie durch planmäßige Ressourcenschonung Aufforstung, durch Säen und Pflanzen - Soziale Gerechtigkeit wieder nachwachsen kann (Aachener Im deutschen Sprachraum gilt gemein- Stiftung Kathy Beys, 2015). hin Hans Carl von Carlowitz (1645 – Eine der heute geläufigsten Definitionen stammt aus dem „Brundtland-Bericht“ der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (World Commission on Environment and Development, WCED) der Vereinten Nationen (United Nations, UN) von 1987: Nach·hal·tige Entwicklung, [die] im globalen Süden – muss die Bevöl- = eine Entwicklung, welche die Lebens- kerung schon mit Ressourcenknapp- qualität der gegenwärtigen Generation heit und Extremwetterereignissen sichert und gleichzeitig zukünftigen kämpfen. Je länger wir damit warten, Generationen die Wahlmöglichkeit zur Klimaschutzmaßnahmen ernsthaft und Gestaltung ihres Lebens erhält.“ umfänglich umzusetzen, desto größer wird die Last und desto geringer wer- Die im UN-Ziel benannten Wahlmög- den die Wahlmöglichkeiten zur Le- lichkeiten sind infolge des Klimawan- bensgestaltung zukünftiger Generatio- dels – auch aufgrund des zu zögerli- nen. chen Handelns der Politik – bereits heute und besonders für zukünftige Generationen eingeschränkter. An vie- len Orten der Erde – besonders auch 19 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 3 Was ist Nachhaltigkeit? Abbildung 7: Schlaglichter in der Nachhaltigkeitsentwicklung. Eigene Darstellung. Nachhaltigkeitsmodelle In den vergangenen Jahrzehnten hat Wirtschaftssysteme, die nicht aus- sich gemeinhin das Verständnis etab- schließlich auf Gewinnmaximierung liert, dass Nachhaltigkeit auf drei sich ausgerichtet sind, sondern Strategien gegenseitig beeinflussenden Dimensi- für eine langfristige Wirtschaftlichkeit onen beruht: Ökologie, Ökonomie und verfolgen, die auch den beiden anderen Soziales. Dimensionen zugutekommen. Die Dimension der Ökologie bezieht Doch wie stehen die drei Dimensionen sich auf den Erhalt der Umwelt und na- in Beziehung zueinander? türlicher Ressourcen. Die soziale Di- Dazu gibt es zwei grundsätzliche Be- mension konzentriert sich auf die The- trachtungsweisen: das sogenannte men Menschenrechte, Lebensqualität Vorrangmodell und das Drei-Säulen- und Gesundheit. Bei der ökonomischen Modell der Nachhaltigkeit. Dimension geht es um Grundlagen des nachhaltigen Bauens 20 3 Was ist Nachhaltigkeit? ÜBUNG Ordnen Sie den Grafiken das richtige Nachhaltigkeitsmodell zu. Als schwache Nachhaltigkeit bezeich- Humankapital ersetzbar sind. Daraus net man die Vorstellung, dass natürli- folgt, dass erneuerbare Ressourcen nur che Ressourcen durch Human- und in dem Maße genutzt werden können, Sachkapital ersetzt werden können. wie sie sich regenerieren. Erschöpfbare Danach wäre es beispielsweise vertret- Ressourcen wie fossile Energiequellen bar, ein Biotop durch eine Baumaß- dürften in einem solchen System gar nahme zu stören, solange in gleichem nicht genutzt werden. Maße Gelder für Kompensationsmaß- Mit einem starken Nachhaltigkeitsver- nahmen fließen. ständnis ist es möglich, mit dem Vor- Als starke Nachhaltigkeit wird die Vor- rangmodell und dem Drei-Säulen-An- stellung bezeichnet, dass natürliche satz nachhaltige Entwicklung zu för- Ressourcen nicht durch Sach- oder dern. 21 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 3 Was ist Nachhaltigkeit? Sustainable Development Goals (SDGs) Der Zielzustand der nachhaltigen Ent- sind dazu aufgefordert, die Agenda wicklung wurde in der Agenda 2030 2030 in „kooperativer Partnerschaft” definiert und ist eine Art Weltzukunfts- umzusetzen. Mithilfe der SDGs soll das vertrag, der 2015 in der Generalver- Prinzip Nachhaltigkeit ins allgemeine sammlung der Vereinten Nationen Bewusstsein gelangen und durch die (United Nations, UN) beschlossen Konkretisierung besser plan- und wurde. messbar gemacht werden, denn erst- mals beziehen sich Menschen auf der Das Kernstück der Agenda bildet ein ganzen Welt auf dieselben 17 Themen. Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Die 17 SDGs sind die Basis für die Um- Entwicklung, den Sustainable Develop- setzung von nationalen Nachhaltig- ment Goals (SDGs), die an 169 Indika- keitsstrategien, z.B. auch in Deutsch- toren gemessen werden. Die SDGs be- land. rücksichtigen erstmals alle drei Dimen- sionen der Nachhaltigkeit – Soziales, Die Baubranche ist mit fast allen SDGs Umwelt, und Wirtschaft. verknüpft. Alle Länder, Interessenträger, Kommu- nen, Unternehmen und Organisationen ÜBUNG Wie heißen die 17 SDGs? Welche sind für den Bausektor besonders relevant? Grundlagen des nachhaltigen Bauens 22 3 Was ist Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit bei der DGNB Nachhaltiges Bauen bedeutet für die Von nachhaltigem Handeln kann dann DGNB: gesprochen werden, wenn diese drei Dimensionen in Einklang gebracht - Einen bewussten Umgang mit und sind. Einsatz von vorhandenen Ressour- cen, die Minimierung von Energie- Das Nachhaltigkeitskonzept der DGNB verbrauch und ein Bewahren der geht jedoch noch einen Schritt weiter Umwelt (Ökologie). und setzt auf insgesamt sechs The- - Gebäude wirtschaftlich sinnvoll und menfelder. So spielen zusätzlich zur über ihren gesamten Lebenszyklus Ökologie, Ökonomie und den soziokul- zu betrachten turellen Aspekten auch die Quer- (Ökonomie) schnittsthemen Technik, der Prozess - Die Nutzenden bei Planung und Be- sowie der Standort bei der Planung trieb von Gebäuden im Fokus zu se- und dem Bau von Gebäuden eine Rolle. hen (Soziales). Abbildung 8 Gewichtung von Nachhaltigkeitskriterien im DGNB System für den Neubau (Version 2023) 23 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 3 Was ist Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeitsstrategien ÜBUNG Ordnen Sie den Grafiken die richtige Nachhaltigkeitsstrategie zu. Verbesserung des Verhältnisses von eingesetztem Aufwand zu generiertem Nutzen. Einsatz naturverträglicher Technologien und Verfah- ren, die vorhandene Stoffe und Leistungen der Öko- systeme nutzen. Geringerer Verbrauch von Ressourcen durch eine ge- ringere Nachfrage nach Gütern (angepasstes Verhal- ten). Abbildung 9: Beispiele für Effizienz-, Konsistenz- und Suffizienzmaßnahmen. Die größten Ein- sparungen lassen sich durch eine Kombination aller drei Strategien und der entsprechenden Maßnahmen erzielen. Eigene Darstellung. Grundlagen des nachhaltigen Bauens 24 3 Was ist Nachhaltigkeit? Zusammenfassung ▪ Nachhaltigkeit kann ein schwammiger Begriff sein und sollte Problemstellung/Heraus- daher genau definiert werden, damit alle Projektbeteiligten von derselben Sache sprechen. ▪ Nachhaltige Entwicklung ist ein Prozess. Heutige und zukünf- forderung tige Generationen sollen dieselben Wahlmöglichkeiten zur Ge- staltung ihres Lebens haben. Aber Klimaschutzmaßnahmen werden bisher zu langsam umgesetzt und belasten zukünftige Generationen mehr. ▪ Der alleinige Fokus auf die Steigerung von Effizienz bei Res- sourcen- und Energieverbräuchen kann zur Rebound-Effekten führen. ▪ Nur mit einem starken Nachhaltigkeitsverständnis, bei dem endliche Ressourcen nicht beansprucht werden und die pla- netaren Grenzen nicht überschritten werden, lässt sich Nach- haltigkeit erreichen. empfehlungen Handlungs- ▪ Nachhaltigkeitsziele wie die Sustainable Development Goals machen die nachhaltige Entwicklung messbar und helfen da- bei einen zeitlichen Rahmen für die Umsetzung der Maßnah- men zu definieren. ▪ Die drei Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz helfen dabei, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Sie sollten alle drei berücksichtigt werden um Rebound-Effekten vorzubeugen. ▪ DGNB Report zu den SDGs Weiterführende Informationen „Bauen für eine bessere Welt. Wie Gebäude einen Beitrag zu den globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leisten.“ (Die Publikation ist Teil Ihres Downloadpakets http://www.dgnb.de/rp-info) ▪ Report Beispiele für bei Projekten umgesetzte SDGs (eng- lisch). An Architecture Guide. Verfügbar unter: https://uia2023cph.org/the-guides 25 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 3 Was ist Nachhaltigkeit? Prüfungsvorbereitung Für die Prüfung sollten Sie vor allem folgende Punkte mitnehmen ⌂ Die behandelten Definitionen von Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwick- lung. ⌂ Was die Sustainable Development Goals sind und welche davon besonders relevant für die Bauwirtschaft sind. ⌂ Was unter den Begriffen starke und schwache Nachhaltigkeit, Drei-Säulen- Modell sowie Vorrangmodell der Nachhaltigkeit verstanden wird. ⌂ Was unter Effizienz, Konsistenz und Suffizienz in Bezug auf Nachhaltigkeit zu verstehen ist. Grundlagen des nachhaltigen Bauens 26 4 Im Einklang mit dem Planeten Kapitel 4 Im Einklang mit dem Planeten: Ökologisch planen und bauen 27 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 4 Im Einklang mit dem Planeten Kapitel 4: Im Einklang mit dem Planeten: Ökologisch planen und bauen Worum geht’s? Was bedeutet Nachhaltigkeit für Ihr Ab diesem Kapitel widmen wir uns konkretes Bau- oder Immobilienpro- konkreten Ansätzen für mehr Nachhal- jekt? Wie können Sie mit Ihrem Projekt tigkeit in der Baubranche. etwas besser machen? Anfangen möchten wir mit Handlungs- feldern im Bereich der Ökologie. Kernfragen ▪ Wie können wir dem hohen Ressourcen- und Flächenverbrauch sowie dem Biodiversitätsverlust entgegentreten? ▪ Wie können wir unsere Städte besser an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen? Themen und Lernziele Ressourcenschonung ▪ Sie können das Konzept der Kreislaufwirtschaft und die Idee des „Cradle to Cradle“ wiedergeben ▪ Sie kennen Strategien der Abfallvermeidung und können sie priorisieren. ▪ Sie wissen, was unter nachwachsenden Rohstoffen verstanden wird, und kennen deren Vorzüge. ▪ Sie wissen, was unter Urban Mining verstanden wird, und können Vor- und Nachteile gegenüber dem klassischen Bergbau zur Ressourcengewinnung erläutern. ▪ Sie können Beispiele nennen, bei denen durch Symbiose Abfall vermieden wird. ▪ Sie kennen verschiedene Formen der Innenentwicklung und ihre Vorzüge hinsichtlich des Flächenverbrauchs. ▪ Sie kennen die „3 E“ zur Reduzierung des Energieverbrauchs und können zugehörige Handlungsoptionen erläutern. Grundlagen des nachhaltigen Bauens 28 4 Im Einklang mit dem Planeten Resiliente Städte und Biodiversität ▪ Sie können die Notwendigkeit der Klimaanpassung in der Städteplanung (resiliente Stadt) erläutern. ▪ Sie verstehen, was unter kontextorientierter Planung und autochthonem Bauen verstanden wird. ▪ Sie kennen die Vorteile von Begrünung und wichtige Aspekte, die bei der Pflanzenauswahl zu beachten sind. ▪ Sie kennen den Zusammenhang zwischen der Beleuchtung im Quartier und der Biodiversität. ▪ Sie können erläutern, wie dezentrales Regenwassermanagement der Klima- resilienz zugutekommt. 29 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 4 Im Einklang mit dem Planeten Kapitel 4 – Im Einklang mit dem Planeten: Ökologisch planen und bauen Ressourcen- schonung Grundlagen des nachhaltigen Bauens 30 4 Im Einklang mit dem Planeten Ressourcenschonung Ziel: Kreislaufwirtschaft In einer Kreislaufwirtschaft wird über Man spricht in diesem Zusammenhang die Wertschätzung sowie die Wieder- daher von einer Abkehr vom „Cradle to verwendung und Verwertung von Res- Grave” Prinzip hin zum „Cradle to sourcen deren Verfügbarkeit sowie Cradle Prinzip”. Also nicht mehr “Von Qualität für kommende Generationen der Wiege bis zur Bahre”, sondern „Von sichergestellt. der Wiege (wieder) bis zur Wiege”. Abbildung 10: Lineares Wirtschaftsmodell. Quelle: DGNB (2019). 31 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 4 Im Einklang mit dem Planeten Abbildung 11: Zirkuläres Wirtschaftsmodell. Quelle: DGNB (2019). Handlungsfelder Grundlegende Strategien Um den hohen Ressourcenverbrauch zu reduzieren, gibt es drei grundsätzliche Strate- gien: Das nachhaltigste Gebäude ist eines, das gar nicht ge- 1 Einsparung baut werden muss. Falls doch Baumaßnahmen notwen- (Abfallvermeidung dig sein sollten, stehen der geringe Materialaufwand bzw. -verringerung) und die Nutzung des Bestands im Vordergrund. (Abfall- vermeidung → Suffizienzstrategie). 2 Wiederverwendung Weiternutzung von kompletten Bauteilen Grundlagen des nachhaltigen Bauens 32 4 Im Einklang mit dem Planeten Up-/Recycling: Demontage von Bauteilen in ihre einzel- nen Bestandteile und Materialien und Nutzung dieser Ressourcen, um ein mindestens gleichwertiges, im bes- ten Fall höherwertiges Produkt herzustellen. Downcycling: Demontage von Bauteilen in ihre einzel- nen Bestandteile und Materialien und Nutzung dieser 3 Stoffliche Verwer- Ressourcen, um ein im Vergleich zum Ausgangsprodukt tung „minderwertiges“ Produkt herzustellen (z.B. beim Re- cycling von Kunststoffen ist nur eine begrenzte Anzahl von Aufbereitungszyklen möglich, bevor die Rohstoffe degenerieren). Die Produkte können nach einer oder wenigen erneuten Nutzungen meist nur noch entsorgt werden. Nutzung nachwachsender Rohstoffe Die Nutzung von nachwachsenden Nahrungs- und Futtermittelbereichs Rohstoffen stellt einen zentralen Hebel verwendet (z.B. Energieversorgung) dar, um ressourcenschonend zu bauen … können theoretisch nicht aufge- und sich der Kreislaufwirtschaft zu nä- braucht werden, weil die Natur sie hern. immer wieder neu bereitstellen kann. Nachwachsende Rohstoffe (z.B. Holz, Nicht erneuerbare Rohstoffe (z.B. Me- Naturfasern, Pflanzenöle)… talle, Gesteine, Sand, fossile Rohstoffe wie Erdöl)… … sind organische Rohstoffe, die aus land- und forstwirtschaftlicher Pro- … sind Rohstoffe die sich über lange duktion stammen Zeiträume natürlich bilden, aber … werden vom Menschen zielgerichtet durch den Menschen in einer Ge- für weiterführende Anwendungszwe- schwindigkeit verbraucht werden, die cke außerhalb des die Geschwindigkeit ihrer Regenera- tion übersteigt 33 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 4 Im Einklang mit dem Planeten ÜBUNG Tragen Sie die Vorteile nachwachsender Rohstoffe in die Liste ein: __________________________________________ __________________________________________ __________________________________________ __________________________________________ __________________________________________ __________________________________________ Achtung: „Nachwachsend“ bedeutet wie etwa Holz muss auch darauf ge- nicht unbedingt „nachhaltig“! achtet werden, wie sie hergestellt wer- den und wo sie herkommen. Bei Holz Nachhaltigkeit wird nicht automatisch bieten Siegel wie FSC, PEFC in Verbin- durch die Verwendung von nachwach- dung mit einem Cain-of-Custody- senden Rohstoffen erreicht, denn auch Nachweis (COC-Handelszertifikat) Ori- die Anbau- und Förderbedingungen entierung. So kann sichergestellt wer- sind entscheidend für die Nachhaltig- den, dass nachhaltig erwirtschaftete keit der verwendeten Bauprodukte. Ge- Hölzer nicht mit konventionell geschla- rade bei nachwachsenden Rohstoffen genem Holz vermischt werden. Grundlagen des nachhaltigen Bauens 34 4 Im Einklang mit dem Planeten Urban Mining als Rohstoffquelle Urban Mining (= städtischer Bergbau): die Gewinnung von Wertstoffen aus all jenen Quellen, die von Menschenhand geschaffen worden sind. ÜBUNG Urban Mining und traditioneller Bergbau im Vergleich. Kreuzen Sie an, welche Art der Ressourcengewinnung in den verschiedenen Kategorien jeweils vorteilhafter ist. Primärbergbau Urban Mining Explorationsgrad Wertstoffgehalt Transportentfernung Nachfrageorientierung (Skalierbarkeit) Aufbereitungsaufwand Umweltauswirkungen Gesellschaftliche Akzeptanz Damit Wiederverwendung und Recyc- Materialien möglichst sortenrein ver- ling gelingen können, ist es von zentra- baut und in Gebäuderessourcenpässen ler Bedeutung, dass die verwendeten etc. dokumentiert werden. 35 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 4 Im Einklang mit dem Planeten Flächenverbrauch reduzieren Die Innenentwicklung, d.h. die Nutzung von innerörtlichen, bereits erschlossenen Flä- chen, reduziert unseren Flächenverbrauch „auf der grünen Wiese“. ÜBUNG Man unterscheidet drei Formen der Innenentwicklung. Nennen Sie jeweils ein Bei- spiel. Umnutzung/Konversion Vertikale Nachverdichtung Horizontale Nachverdichtung Studien legen nahe, dass in Deutschland etwa 1.155 km² an Flächen durch Umnut- zung und horizontale Nachverdichtung aktivierbar sind (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, 2014). Abbildung 12: Potentiale der Innenentwicklung durch Umnutzung und horizontale Nachverdich- tung in Deutschland (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, 2014) Grundlagen des nachhaltigen Bauens 36 4 Im Einklang mit dem Planeten Energieverbrauch reduzieren Für den nachhaltigen Umgang mit Energie lassen sich drei Strategien formulieren, die „3 E“: ÜBUNG Nennen Sie die zur jeweiligen Beschreibung passende „E“-Strategie: Benötigte Energie mit möglichst wenig Energieein- satz bereitstellen. Benötigte Energie durch lokale und unendliche Res- sourcen emissionsarm bereitstellen. Bedarf an Energie grundsätzlich senken. Für Bestandsbauten ist die energeti- Im Eigenheimbereich sind Reihen ab sche Sanierung ein zentrales Hand- fünf Wohneinheiten gegenüber freiste- lungsfeld. Durch Dämmung, Dreifach- henden Einfamilienhäusern oder Dop- verglasungen und den Austausch der pelhäusern zu bevorzugen. Im Ge- Heizungs- und Warmwasseranlagen schosswohnungsbau sind längere Ge- können in Wohngebäuden bis zu 80 % bäude energietechnisch effizienter als Energie eingespart werden (Kreditan- Punkthäuser, in der Höhe optimal sind stalt für Wiederaufbau (KfW), 2022). vier- bis fünfgeschossige Gebäude. Bei der Planung von Neubauten oder Auch die Orientierung der Gebäude zu- ganzen Quartieren können wir im Sinne einander ist ausschlaggebend: Der der Suffizienzstrategie ganz vorne an- Energiebedarf kann durch gegenseitige setzen, denn durch die passende Ar- Verschattung, Verschattung durch chitektur und die Materialwahl für den Pflanzen oder gegenseitigen Wind- Standort können wir den späteren schutz erhöht oder reduziert werden. Heizwärmebedarf senken. 37 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 4 Im Einklang mit dem Planeten Zusammenfassung ▪ Die Bauwirtschaft trägt durch den Bau und Betrieb von Gebäu- den maßgeblich zum weltweit hohen Ressourcen- und Energie- Problemstellung/ verbrauch bei. Herausforderung ▪ Wir überschreiten die Regenerationsfähigkeit des Planeten und Rohstoffe werden knapp. ▪ Die aktuellen Wirtschaftsprozesse entsprechen einer Abfall- wirtschaft, nur wenige Ressourcen werden in Kreisläufen ge- führt und zu viele Rohstoffe werden entsorgt. ▪ Energieverbräuche sind zu hoch und werden noch zum Großteil aus nicht erneuerbaren und emissionsstarken Ressourcen ge- deckt. ▪ Die Flächenverbräuche tragen zur Klima- und Biodiversitäts- krise bei. ▪ Konsequente Umsetzung der Kreislaufwirtschaftsprinzipien. Ressourcenbedarfe reduzieren und Rohstoffe durch Wiederver- wendung und Up-/Recycling im Kreislauf halten. ▪ Konstruktionsweisen wählen, die die Wiederverwertung der Rohstoffe ermöglichen (mechanisches Fügen, statt Kleben) und genau dokumentieren, wo welche Rohstoffe verbaut sind. ▪ Die drei Nachhaltigkeitsstrategien Effizienz, Konsistenz und Suffizienz sind bei der Reduktion unserer Ressourcen- und empfehlungen Handlungs- Energiebedarfe entscheidend. ▪ Entsprechend der Suffizienzstrategie bedarfsgerecht planen, um die beste Lösung mit dem geringsten Ressourcenbedarf zu finden (Wohnungsgrößen, Bürokonzepte, Innenentwicklung etc.). ▪ Entsprechend der Konsistenzstrategie lokale und erneuerbare Ressourcen und Energieträger verwenden. ▪ Entsprechend der Effizienzstrategie den notwendigen Ressour- cen- und Energiebedarf mit dem geringsten Aufwand decken. ▪ Die Biodiversitätskrise kann durch entsprechende Maßnahmen – wie die Innenentwicklung – beim Bauen und Betreiben von Gebäuden sowie Freiflächen gemindert werden. Grundlagen des nachhaltigen Bauens 38 4 Im Einklang mit dem Planeten Prüfungshinweise Für die Prüfung sollten Sie vor allem folgende Punkte mitnehmen ⌂ Was die Unterschiede zwischen Abfall- und Kreislaufwirtschaft sind. ⌂ Was die Vorzüge nachwachsender Rohstoffe sind. ⌂ Welche Rolle Siegel und Chain-of-Custody Nachweise bei nachwachsenden Rohstoffen spielen. ⌂ Welche Strategien es gibt, um den Flächenverbrauch zu verringern. ⌂ Welche Strategien es gibt, um den Abfall zu reduzieren. ⌂ Welche Strategien es gibt, um den Energieverbrauch zu reduzieren („3 E“). 39 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 4 Im Einklang mit dem Planeten Kapitel 4 – Im Einklang mit dem Planeten: Ökologisch planen und bauen Resiliente Städte Grundlagen des nachhaltigen Bauens 40 4 Im Einklang mit dem Planeten Resiliente Städte Problematik Bis 2030 werden voraussichtlich 60 Derzeit sind viele Gebäude und Ort- Prozent der Menschen weltweit in schaften noch nicht dafür gerüstet, Städten leben (United Nations, 2018). diese Extreme abzupuffern oder einen Dort sind durch den Klimawandel aus- positiven Beitrag zum Stadtklima zu gelöster Hitzestress und Extremwetter- leisten. ereignisse eine große Gefährdung. Wie können wir die Resilienz der Städte erhöhen? Handlungsfelder Kontextorientiertes Bauen Im Kontext mit dem Standort zu bauen in die Planung einzubeziehen, denn bedeutet, eine an die Klimabedingun- durch entsprechende Bauformen kön- gen angepasste Architektur zu wählen, nen wir z.B. extreme Hitzeperioden auf lokale Ressourcen zurückzugreifen besser verträglich für die Menschen (Konsistenzstrategie) und sich an den machen. Bedürfnissen der späteren Nutzer:in- Vorbild ist hier die traditionelle Archi- nen zu orientieren. tektur des autochthonen Bauens (von Damit ist kontextorientiertes Bauen griech. „auto“ „selbst“ und „chthon“ wichtig für sehr viele Aspekte von „Erde“, also etwa „einheimisch, einge- Nachhaltigkeit. sessen, bodenständig“). Gerade in Bezug auf die Klimaresilienz muss es unser Ziel sein, den Standort 41 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 4 Im Einklang mit dem Planeten Abbildung 13: Frankfurt, Bangkok, Shanghai – drei Klimazonen eine bauliche Antwort. Anstatt ortsangepasst unter Berücksichtigung von lokalen Ressourcen- und Energiequellen bauen wir überall gleich und setzten viel Haustechnik ein, um die Nutzbarkeit des Gebäudes zu gewähr- leisten. Wasser und nachhaltiges Regenwassermanagement Wasser wird für den Bau und Betrieb Jeder Mensch verbraucht im Durch- unserer gebauten Umwelt zur doppel- schnitt _______ Liter Trinkwasser pro ten Herausforderung. Einerseits sinkt Tag (Bundesverband der Energie- und die Trinkwasserverfügbarkeit durch Wasserwirtschaft, 2022) heißere und trockenere Sommer auch Unser Ziel sollte daher sein, unseren in Deutschland (Roth, 2022; Wunsch et Trinkwasserbedarf zu reduzieren sowie al., 2022). Andererseits steigt das Ri- den natürlichen Wasserkreislauf mög- siko für Starkregenereignisse und lichst zu erhalten. Überschwemmungen. Grundlagen des nachhaltigen Bauens 42 4 Im Einklang mit dem Planeten Dezentrale Regenwasserbewirtschaf- ▪ Reduzierter Wasserverbrauch tung bedeutet, dass Regenwasser nicht durch Regenwassernutzung mehr zentral durch die Kanalisation ▪ Naturnahe Gestaltung von abgeleitet wird. Stattdessen verbleibt Freiflächen es möglichst an Ort und Stelle, also auf ▪ Gewässerschutz durch gerin- dem Grundstück. Dort kann es in Bo- gere Schmutzeinleitung den und Grundwasser versickern, über ▪ Förderung des Kleinklimas Pflanzen verdunsten oder auch vom ▪ Kosteneinsparung beim Bau Menschen genutzt werden. von Infrastruktur ▪ Vermeidung von Überschwem- Zu den Vorteilen einer dezentralen Re- mungsereignissen (Hochwas- genwasserbewirtschaftung zählen: serschutz) ▪ Versickerung vor Ort zur ▪ Förderung des natürlichen Grundwasserneubildung Wasserkreislaufs Biodiversität fördern Die Aufrechterhaltung der Biodiversität - Am Gebäude: Dachbegrünung, ist von zentraler Bedeutung für die Ein- Biodiversitätsdächer, vertikale dämmung des Klimawandels, aber Grünflächen auch für die Klimaanpassung einzelner - Im Quartier: Trockenmauern, Stadtviertel. Feuchtgebiete und Gewässer, sowie Wiesen anlegen, Sträu- Maßnahmen zur Förderung der Bio- cher, Hecken und Bäume diversität: pflanzen; auf die richtige Be- leuchtung achten ÜBUNG Was sind die ökologischen, ökonomischen und sozialen Vorteile von grüner Infra- struktur bzw. von vielfältigen Grünräumen am Gebäude und im Quartier? 43 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 4 Im Einklang mit dem Planeten Wichtig: Um keine negativen Wechsel- naturnah gestaltet und gepflegt sein wirkungen zu verursachen, sollten nur sowie Pflanzen gewählt werden, die heimische Pflanzen verwendet werden. auch den zukünftig steigenden Tempe- Um Pflege- und Instandhaltungskos- raturen und veränderten Nieder- ten gering zu halten, sollten die Grün- schlagsverhältnissen standhalten. räume Abbildung 14 Maßgaben zur Lichtplanung zum Schutz von Biodiversität. Eigene Darstellung. Grundlagen des nachhaltigen Bauens 44 4 Im Einklang mit dem Planeten Zusammenfassung ▪ Die Klimaerwärmung sorgt für erhöhten Hitzestress in unse- ren Siedlungsräumen und führt zur Zunahme von Extremwet- Problemstellung/Herausforderung terereignissen. Unsere Gebäude und Siedlungen sind für diese Veränderungen noch nicht gerüstet. ▪ Die bisherigen Klimaanpassungsstrategien orientieren sich an den vergangenen Extremwerten (Niederschlagsmengen, Hochwasserstände, Hitzetage etc.). Zukünftig werden wir bei voranschreitendem Klimawandel diese Extreme aber immer wieder und immer schneller überschreiten. Die umgesetzten Schutz- und Anpassungsmaßnahmen, die sich an vergange- nen Werten und dem Status quo orientieren, werden dann nicht ausreichen. ▪ Vielerorts tragen die Flächenversiegelung und der Mangel an Grünflächen zur Verschärfung des Schadausmaßes bei Starkregenereignissen und Hitzeperioden bei. ▪ Weltweit geht die Artenvielfalt zurück. Dieses Massensterben gefährdet alle Ökosysteme und die Lebensgrundlagen für uns Menschen. ▪ Erhöhung der Resilienz unserer gebauten Umwelt. Durch Ana- lysen der Gefährdungspotenziale können entsprechende Pla- nungsmaßnahmen umgesetzt werden (Schwammstadt, Grün- empfehlungen Handlungs- räume, Pflanzenwahl, etc.). ▪ Nachhaltiges Regenwassermanagement kann helfen, die Resilienz von Gebäuden und Quartieren zu erhöhen. ▪ Die Förderung der Biodiversität am Standort erhöht u.a. die Resilienz, trägt zur Artenvielfalt bei, verbessert die Aufent- haltsqualität, steigert die Klimaanpassungsfähigkeit, usw. 45 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 4 Im Einklang mit dem Planeten ▪ [Ressourcen] DGNB Report Circular Economy Kreisläufe schließen, heißt zukunftsfähig sein. (Die Publikation ist Teil Ihres Downloadpakets http://www.dgnb.de/rp-info) ▪ [Energie] DGNB Rahmenwerk für klimaneutrale Gebäude und Standorte (Die Publikation ist Teil Ihres Downloadpakets http://www.dgnb.de/rp-info) ▪ [Ressourcen] Handbuch Atlas Recycling Gebäude als Materi- alressource; Hillebrandt, et al. 2021, Edition ▪ DGNB Kriterien Gebäude Neubau Version 2023 mit Bezug zu den vorgestellten Faktoren: ENV1.2 Risiken für die lokale Umwelt [Ressourcen] ENV1.3 Verantwortungsvolle Ressourcengewinnung [Ressourcen] Weiterführende Informationen ENV2.2 Trinkwasserbedarf und Abwasseraufkommen [Wasser] ENV2.3 Flächeninanspruchnahme [Flächen] ENV2.4 Biodiversität am Standort [Biodiversität] ECO2.4 Klimaresilienz [Resilienz, Klimaanpassung] TEC1.4 Einsatz und Integration von Gebäudetechnik [Energie] TEC1.6 Zirkuläres Bauen [Ressourcen] ▪ DGNB Kriterien Quartiere Neubau Version 2020 mit Bezug zu den vorgestellten Faktoren: ENV1.5 Stadtklima [Resilienz, Klimaanpassung] ENV2.2 Wasserkreislaufsysteme [Wasser] ENV2.3 Flächeninanspruchnahme [Flächen] ENV2.4 Biodiversität [Biodiversität] SOC1.1 Mikroklima [Resilienz, Klimaanpassung] TEC2.1 Energieinfrastruktur [Energie] TEC2.2 Wertstoffmanagement [Ressourcen] TEC3.1 und TEC 3.2 Mobilitätsinfrastruktur [Ressour- cen & Energie] Grundlagen des nachhaltigen Bauens 46 4 Im Einklang mit dem Planeten Prüfungshinweise Für die Prüfung sollten Sie vor allem folgende Punkte mitnehmen ⌂ Wieviel Trinkwasser wir pro Tag benötigen. ⌂ Welche Maßnahmen positiven Einfluss auf Stadtklima und Mikroklima am Standort nehmen können. ⌂ Welche Aspekte bei der Freiraumplanung im Hinblick auf die Erwärmung des Klimas berücksichtigt werden sollten. ⌂ Was unter autochthonem Bauen zu verstehen ist. ⌂ Was die Vorteile eines nachhaltigen Regenwassermanagements sind. ⌂ Welche Maßnahmen Biodiversität am Standort fördern können. 47 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 5 Zusammen gedacht Kapitel 5 Zusammen gedacht: Ganzheitlich planen und bauen Grundlagen des nachhaltigen Bauens 48 5 Zusammen gedacht Kapitel 5: Zusammen gedacht: Ganzheitlich planen und bauen Worum geht’s? Wir haben bereits gesehen: Nachhal- Alles hängt miteinander zusammen. Es tigkeit ist nicht nur Umweltschutz. Es gibt Wechselwirkungen zwischen den geht auch darum, sich an den Bedürf- einzelnen Aspekten. nissen der Menschen zu orientieren Und: Niemand kann sich in allen der und gleichzeitig langfristig wirtschaft- vielen Nachhaltigkeitsbereichen aus- lich sinnvoll zu handeln. kennen. Um das bestmögliche Ergeb- Im vorliegenden Kapitel wollen wir auf nis zu erzielen, sind deshalb Zusam- diesen Aspekt der Ganzheitlichkeit bei menarbeit und Austausch wichtig. In- Ökologie, Ökonomie und Sozialem ge- tegrale Planung wird zum Gebot der nauer eingehen. Und wir werden sehen: Stunde. Kernfragen ▪ Ganzheitlichkeit: Was ist das und was bedeutet es in Bezug auf nachhaltiges Bauen? ▪ Welche Planungsmethodiken helfen dabei, ganzheitlich nach- haltig zu planen (Stichwort: Integrale Planung)? 49 Grundlagen des nachhaltigen Bauens 5 Zusammen gedacht Themen und Lernziele Ganzheitlichkeit: Was ist das? ▪ Sie verstehen, was unter Ganzheitlichkeit im Baukontext verstanden wird. ▪ Sie können die Verantwortung der Baubranche hinsichtlich soziokultureller Themen (Segregation und Teilhabe, Gesundheit, Nutzendenkomfort) be- schreiben. ▪ Sie können den Zusammenhang zwischen lebenszyklusorientierter Planung und langfristiger Risikominimierung darstellen. Wechselwirkungen ▪ Sie können anhand der Beispiele „funktionale und soziale Mischung“ sowie „Nachverdichtungen“ und „Mobilität“ die Synergien und (negativen) Wech- selwirkungen zwischen einzelnen Nachhaltigkeitsbereichen erläutern. Integrale Planung ▪ Sie können die Methodik der Integralen Planung zur Erreichung von Nach- haltigkeit erläutern. ▪ Sie kennen die verschiedenen Akteur:innen am Bau und ihre Interessen. ▪ Sie kennen verschiedene Stufen der Partizipation im Planungsprozess. ▪ Sie verstehen, wie transdisziplinäre Zusammenarbeit die Planungen verbes- sern kann. ▪ Sie können erläutern, was unter problemorientierter Planung verstanden wird. Baukultur ▪ Sie können den Zusammenhang zwischen dem Konzept der Baukultur und Nachhaltigkeit erklären. Grundlagen des nachhaltigen Bauens 50 5 Zusammen gedacht Ganzheitlichkeit Problematik Was bedeutet überhaupt Ganzheitlich- Zweitens bedeutet Ganzheitlichkeit, die keit? Wirkung von Einzelmaßnahmen im Ge- samtkontext zu betrachten. Wir sind Ganzheitlichkeit bedeutet erstens, bei darin geübt, Dinge sauber nach Fach- der Betrachtung eines Problems all und Lebensbereichen zu trennen. Zwi- seine Dimensionen zu berücksichtigen, schen verschiedenen Bereichen gibt es ein Thema also vollständig anzugehen. jedoch vielfältige Abhängigkeiten und In Bezug auf Nachhaltigkeit heißt das, Synergien. Das ist auch beim nachhal- sich nicht allein auf die grüne, also die tigen Bauen so: Ob eine Maßnahme als ökologische Säule zu fokussieren, son- nachhaltig eingestuft werden kann, dern auch soziale Belange und die hängt z. B. neben den verwendeten langfristige Wirtschaftlichkeit über den Materialien auch von deren Fügeme- gesamten Lebenszyklus mitzudenken. thode und vom Standort des Gebäudes ab. Beispiele Soziale Mischung Um einer fragmentierten Stadt entgegenzuwirken, sollte von den Planenden der rich- tige Grad an sozialer Mischung angestrebt werden. Unter sozialer Mischung innerhalb eines Stadtquartiers wird ein Zusammenleben von verschiedenen Bevölkerungsgrup- pen verstanden, z.B.: Verschieden Altersgruppen