Abstammung - PDF
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This document discusses the concept of ancestry in German civil law (BGB). It covers the legal aspects of parentage, kinship, and family relationships. It provides examples of legal contexts where these concepts are relevant (such as property law, inheritance, or marriage).
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4. 4. Abstammung 4.1 Bedeutung und Funktion des Abstammungsrechts 1 Den – nach der Bürgerlichen Ehe – zweiten großen Abschnitt im Familienrecht widmet das BGB der Verwandtschaft. Die rechtliche Zuordnung der Kinder zu den Eltern, der Generationen zueinander überhaupt, geschie...
4. 4. Abstammung 4.1 Bedeutung und Funktion des Abstammungsrechts 1 Den – nach der Bürgerlichen Ehe – zweiten großen Abschnitt im Familienrecht widmet das BGB der Verwandtschaft. Die rechtliche Zuordnung der Kinder zu den Eltern, der Generationen zueinander überhaupt, geschieht über die Begriffe der Abstammung und der Verwandtschaft. 2 Die Rechtsordnung knüpft an die Verwandtschaft im Allgemeinen und an das Mutter- Kind-Verhältnis und das Vater-Kind-Verhältnis im Besonderen vielfältige Rechte und Pflichten. Das Abstammungsrecht regelt in der Art eines – wenn auch nicht so bezeich- neten – Allgemeinen Teils die rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung und die Bestandskraft dieser Zuordnung für eine ganz Reihe besonderer Rechtsgebiete. Das Abstammungs- recht definiert also einheitlich und vorweg den Status (wer ist Mutter, wer ist Vater ei- nes Kindes?), auf den die Rechtsordnung sodann in den unterschiedlichsten Regelungs- zusammenhängen zurückgreift (Ernst NZFam 2018, 443). 3 Einige Beispiele für solche Regelungszusammenhänge, in denen die Rechtsordnung auf die Definitionen des Abstammungsrechts zurückgreift: n im Personenstandsrecht (etwa § 21 PStG: „Eltern“), n im Namensrecht (§ 1617 BGB: „Eltern“, „Vater“, „Mutter“, „Kind“), n im Sorge- und Umgangsrecht (§ 1626 BGB: „Eltern“, „Kind“; § 1671 BGB: „Mut- ter“, „Vater“), n im Eheschließungsrecht (§ 1607 BGB: „Verwandte in gerader Linie“, „Geschwis- ter“), n im Recht der religiösen Kindererziehung (§§ 1, 3 KErzG: „Eltern“, „Kind“, „Va- ter“, „Mutter“), n im Unterhaltsrecht (§§ 1601, 1589 BGB: „Verwandte in gerade Linie“; § 1615l BGB: “Vater“, „Mutter“), n im Erbrecht (§ 1924 BGB: „Abkömmling“; § 1924 BGB: „Eltern“), n im Staatsangehörigkeitsrecht (§ 4 StAG: „Kind“, „Elternteil“), n im Recht der Zeugnis- und Aussageverweigerung (§§ 383 ZPO, 52 StPO, 118 SGG, 1589 BGB: „in gerader Linie verwandt“), n im Steuerrecht (§§ 32 EStG, 1589 BGB: „im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandte Kinder“) und n im Recht des Familiennachzugs (§ 28 Abs. 1 AufenthG: „Kind“, „Elternteil“). 4 „Verwandtschaft“ und „Schwägerschaft“ beruhen auf der Abstammung. Nach § 1589 BGB sind n verwandt in gerader Linie: Personen, die unmittelbar voneinander abstammen (Großeltern, Mutter, Vater, Kinder) und n verwandt in der Seitenlinie: Personen, die einen gemeinsamen Vorfahren haben, also von derselben dritten Person abstammen (Geschwister, Onkel, Nichte). 5 Für den Grad der Verwandtschaft ist die Zahl der die Verwandtschaft vermittelnden Geburten maßgebend. Schwägerschaft (§ 1590 BGB) ist die Beziehung zwischen einem Ehegatten und dem Verwandten des anderen Ehegatten; Linie und Grad der Schwäger- schaft bestimmen sich nach Linie und Grad von Verwandtschaftslinie/-grad des Ehe- 66 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4. ABSTAMMUNG 7 Die Abstammungsvorschriften der §§ 1591 bis 1600 e BGB sind von zentraler Bedeu- tung. An die Abstammung knüpft die Verwandtschaft, an diese wiederum die Schwä- gerschaft an – insgesamt: eine in sich stimmige Regelung. Schaut man genauer hin, ent- stehen aber auch hier Fragen: Wie passen etwa die Vorschriften auf die Situation von Kindern, die während der Trennung oder des Scheidungsverfahrens der Eltern bzw. au- ßerhalb einer bestehenden Ehe geboren werden? Wie passen die Vorschriften mit den Möglichkeiten der künstlichen Fortpflanzung (Kinderwunschbehandlung mit fremden Keimzellen: Samenspende, Eizellspende, Embryoadoption; Inanspruchnahme einer Leihmutter) zusammen? Und gibt die gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, gibt die Einführung der „Ehe für alle“ Anlass und Notwendigkeit, das Abstammungsrecht neu zu überdenken? (dazu unten 4.5.) 8 Von dem eben beschriebenen Grundsatz, dass das Abstammungsrecht die rechtliche El- tern-Kind-Zuordnung (den Status) regelt und die Rechtsordnung nur an diesen Status entsprechende Rechte knüpft, gibt es allerdings drei Ausnahmen. Zum einen enthält das geltende Recht unter der Titelüberschrift „Abstammung“ in den §§ 1591 ff. BGB auch Regelungen, die nicht der Eltern-Kind-Zuordnung dienen, also nicht statusdefi- nierend, sondern statusunabhängig sind. So bezweckt § 1598a BGB die Klärung der leiblichen Abstammung ohne (unmittelbare) Auswirkung auf den Eltern-Kind-Status (Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung; dazu unten 4.4.). Zum zweiten gewährt die Rechtsordnung Rechte, die sonst typischerweise nur aus dem Eltern-Kind-Status folgen, ausnahmsweise auch solchen Personen, die nicht den Eltern-Status innehaben. Dabei knüpft das Gesetz entweder an die bloß genetische Verbindung an. Beispielswei- se stehen gemäß § 1686a BGB unter dort näher genannten Voraussetzungen Aus- kunfts- und Umgangsrechte auch dem leiblichen Vater zu, der nicht der rechtliche Va- ter des Kindes ist (die leibliche Vaterschaft wird im Umgangs- oder Auskunftsverfahren inzident und ohne Statuswirkung festgestellt; § 167a Abs. 2 FamFG). Oder das Gesetz knüpft an einen formalisierten sozialen Tatbestand an, so in den §§ 1687b BGB, 9 LPartG: Sorgerechtliche Befugnisse des mit einem Elternteil zusammenlebenden Ehe- gatten, des mit dem Vater zusammenlebenden Lebenspartners oder der mit der Mutter zusammenlebenden Lebenspartnerin, der bzw. die selbst nicht Elternteil ist (Ernst NZ- Fam 2018, 443). Zum dritten enthält neben dem Abstammungsrecht auch das Adopti- onsrecht Regeln über die Eltern-Kind-Zuordnung (siehe insbesondere § 1754 BGB). Bis zum 30.6.1998 unterschied das Gesetz beim Status zwischen ehelichen und nichteheli- chen Kindern, zwischen ehelicher und nichtehelicher Abstammung. Als nichtehelich gal- ten die Kinder, die nicht innerhalb einer bestehenden Ehe oder innerhalb von 302 Tagen nach Auflösung der Ehe geboren wurden oder deren Ehelichkeit mit Erfolg gerichtlich angefochten wurde. Außerhalb von Ehen wurde über die Jahrhunderte hinweg eine große Zahl von Kindern geboren, dies schon deswegen, weil es bis Mitte des 19. Jahrhunderts umfangreiche Heiratsverbote gab (vgl. oben 3,1,1)..Mit der außerehelichen Geburt war der Makel der Illegitimität verbunden (dazu eingehend: von Buske 2004). Deswegen war die (bevorstehende) Geburt eines Kindes häufig Anlass, die Ehe zu schließen. Seit dem 1.7.1998 spricht das Gesetz nicht mehr von „ehelichen“ und „nichtehelichen“ Kindern, auch nicht mehr von Anfechtung der „Ehelichkeit“. Der Unterschied zwischen ehelicher und nichtehelicher Geburt ist heute personenstandsrechtlich sowie familien- und erb- rechtlich ohne Bedeutung (Palandt/Siede Einf. vor § 1591 Rn. 1). An den wenigen Stellen des Gesetzes, an denen der Unterschied noch eine Rolle spielt, spricht das BGB von dem „Kind und seinen nicht miteinander verheirateten Eltern“ (siehe die Überschrift vor § 1615a BGB). 68 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4.2 Die Abstammungsregelungen im Einzelnen 4. 4.2 Die Abstammungsregelungen im Einzelnen 4.2.1 Wer ist Mutter, wer ist Vater? Anders als im naturwissenschaftlichen Sinn sind „Vaterschaft“ und „Mutterschaft“ als 9 Rechtsbegriffe keine feststehenden, unabänderlichen Größen. Bei der Vater-Kind-Zu- ordnung ebenso wie bei der Mutter-Kind-Zuordnung geht es nicht um die bloße recht- liche Abbildung biologisch-genetischer Verhältnisse. Wollte das Recht immer, wenn es um „Mutter“ und „Vater“ geht, streng an die biologisch-genetischen Verhältnisse an- knüpfen, bräuchte es überhaupt keine gesetzlichen Abstammungsregeln, also keine Re- geln über die Eltern-Kind-Zuordnung. Dann wäre im Rechtsverkehr (also immer, wenn es darauf ankommt, ob jemand Mutter oder Vater eines Kindes ist) der geneti- sche Nachweis stets erforderlich, aber auch ausreichend. Aus vielerlei Gründen hat der Gesetzgeber von einer solchen absoluten Relevanz der genetischen Verhältnisse abgese- hen. Seit jeher ist die biologische „Wahrheit“ für die rechtliche Definition der Vater- schaft lediglich einer unter mehreren determinierenden Faktoren. Hinzu kommen das Kindesinteresse an der Stabilität gelebter sozialer Bindungen, der Familienfrieden, ge- genseitige gefühlsmäßige Bindungen, die Prinzipien der Statusklarheit und Statussicher- heit und andere mehr (zum Ganzen historisch und rechtsvergleichend: Ernst 1993; un- ter dem Blickwinkel der Reformbedürftigkeit des geltenden Rechts: BMJV 2017, S. 23–30). Die Rede ist vom „Abstammungsrecht zwischen Solidarität und genetischer Wahrheit“ (Heiderhoff FamRZ 2010, 8, 11). 4.2.1.1 Mutter § 1591 BGB bestimmt, wer Mutter eines Kindes ist, nämlich die Frau, die es geboren 10 hat. Dies gilt gerade auch dann, wenn die Eizelle nicht von ihr stammt (etwa im Fall Leihmutterschaft), das Kind also genetisch nicht von ihr abstammt. Damit hat der Ge- setzgeber eine (Teil-)Antwort auf die aus den Möglichkeiten der modernen Reproduk- tionsmedizin resultierenden Rechtsprobleme gegeben (vgl. ausführlicher unten 4.5.). Auch die Anonymität einer Geburt (etwa, wenn das Kind in eine „Babyklappe“ gelegt wird; dazu unten 4.4.) ändert nichts daran, dass die Gebärende Mutter im Rechtssinne ist. Praktisch weitaus bedeutsamer ist jedoch die rechtliche Definition der Vaterschaft. 4.2.1.2 Vater a) Ehemann der Mutter Nach § 1592 Nr. 1 BGB ist Vater des Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Ge- 11 burt mit der Mutter verheiratet ist. Darauf, ob der Ehemann der Mutter das Kind tat- sächlich gezeugt hat, kommt es nicht an. Dies schließt andere Männer aus; weder durch Anerkennung (vgl. § 1594 Abs. 2 BGB) noch durch gerichtliche Feststellung der Vaterschaft eines anderen Mannes (vgl. § 1600d Abs. 1 BGB) kann die Vaterschaft des mit der Mutter verheirateten Mannes ausgehebelt werden. Wenn ein Kind in einer be- stehenden Ehe geboren wird, muss erst die rechtliche Vaterschaft des Ehemannes besei- tigt werden, regelmäßig durch Anfechtung (vgl. unten 4.2.2.), ausnahmsweise durch die Sonderregelung des § 1599 Abs. 2 BGB (gleich im Folgenden), bevor ein anderer Mann rechtlich als Vater festgestellt werden kann. § 1593 BGB dehnt den „Zeitraum der Ehe“ etwas aus und befasst sich mit dem Sonderfall, dass aufgrund einer neuen Eheschließung der Mutter das Kind theoretisch aus „zwei Ehen“ stammen könnte. An- sonsten wird mit der Regelung des § 1592 Nr. 1 BGB für alle die Fälle, in denen die 69 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4. ABSTAMMUNG Frau verheiratet ist, zunächst der Ehemann der Frau als rechtlicher Vater des Kindes formal bestimmt. 12 Eine gewisse Entschärfung der Problematik hinsichtlich der während des Scheidungs- verfahrens geborenen Kinder bringt die pragmatische Regelung des § 1599 Abs. 2 BGB. Wenn Ehemann und Ehefrau voneinander getrennt leben, ihre Ehe aber noch nicht geschieden ist und die Ehefrau von einem anderen Mann ein Kind bekommt, so gilt nach § 1592 Nr. 1 BGB ja zunächst der Ehemann als Vater. Um hier die in aller Re- gel unzutreffende und nur durch ein gerichtliches Vaterschaftsanfechtungsverfahren zu beseitigende rechtliche Zuordnung zum bisherigen Ehemann der Mutter zu vermeiden, bestimmt § 1599 Abs. 2 BGB: Wird ein Kind nach Anhängigkeit eines Scheidungsan- trags geboren, erkennt spätestens bis zum Ablauf eines Jahr nach Rechtskraft des Scheidungsurteils ein anderer Mann die Vaterschaft an und stimmen die Mutter und ihr bisheriger Ehemann diesem Anerkenntnis zu, wird das Kind (nach Rechtskraft der Ehescheidung) automatisch dem anerkennenden Mann statt dem bisherigen Ehemann zugeordnet, obwohl es noch während der Ehe geboren wurde (scheidungsakzessori- scher Statuswechsel; BGH 27.3.2013 – XII ZB 71/12, MDR 2013, 656). Liegen diese speziellen Voraussetzungen des § 1599 Abs. 2 BGB allerdings nicht vor, so bleibt es bei der Notwendigkeit eines gerichtlichen Verfahrens der Anfechtung der rechtlichen Va- terschaft des Ehemanns und der dann anschließenden Anerkennung durch den anderen Mann (den mutmaßlichen biologischen Vater des Kindes und häufig neuen Partner der Mutter). b) Freiwillige Anerkennung 13 Für den Fall, dass die Mutter bei der Geburt des Kindes nicht verheiratet ist, sieht § 1592 Nr. 2 BGB für die Festlegung der Vaterschaft vor, dass die Vaterschaft (freiwil- lig) anerkannt werden kann. Diese Möglichkeit besteht auch dann, wenn die Vater- schaft des Ehemannes (der zunächst nach § 1592 Nr. 1 BGB als Vater gilt) durch die Anfechtung (s. unten 4.2.2.) rechtlich beseitigt wurde. Die Anerkennung bedarf der Zustimmung der Mutter (§ 1595 Abs. 1 BGB): Gegen den Willen der Mutter kann ihr für ihr Kind über den Weg der Anerkennung die Vaterschaft nicht aufgenötigt werden. Grundsätzlich bedarf die Anerkennung auch der Zustimmung des Kindes, wenn der Mutter jedoch die elterliche Sorge für das Kind zusteht, ist in der Zustimmung der Mutter sozusagen die Zustimmung des Kindes enthalten (§ 1595 Abs. 2 BGB). Wie bei der Festlegung der Vaterschaft nach § 1591 Nr. 1 BGB kommt es auch bei dem Aner- kenntnis nicht darauf an, ob der anerkennende Mann der biologische Vater (Erzeuger) ist. Die Mutter und der anerkennende Mann müssen also nicht etwa einen Vater- schaftstest bei der beurkundenden Behörde vorlegen. Sowohl durch § 1591 Nr. 1 BGB, als auch durch § 1591 Nr. 2 BGB wird die rechtliche Vaterschaft festgelegt. Es ist des- halb durchaus möglich, dass – etwa im Zusammenwirken zwischen der Mutter und einem beliebigen Mann – ein bewusst unrichtiges Vaterschaftsanerkenntnis abgegeben wird (kritisch im Hinblick auf Art. 8 EMRK: Frank FamRZ 2021, 1081). 14 Diese voraussetzungsarme (Palandt/Siede § 1597a Rz. 1) Vaterschaftsanerkennung kann genutzt werden, um einem ausländischen Kind die deutsche Staatsangehörigkeit und seiner Mutter einen Aufenthalt in Deutschland zu verschaffen, was vielfach als Missbrauch der Vaterschaftsanerkennung verstanden wird. Um dies zu verhindern, hatte der Gesetzgeber zunächst den Behörden die Möglichkeit der Vaterschaftsanfech- tung eingeräumt (§ 1600 Abs. 1 Nr. 5 a.F.). Diese Regelung hat das BVerfG für verfas- 70 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4.2 Die Abstammungsregelungen im Einzelnen 4. sungswidrig und nichtig erklärt (BVerfG, 17.12.2013 – 1 BvL 6/10 – FamRZ 2014, 449–459 m. Anm. Helms). Daraufhin hat der Gesetzgeber (im Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20.7.2017, BGBl. I S. 2780) mit § 1597a BGB eine Verbotsnorm geschaffen. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift darf die Vaterschaft nicht gezielt gerade zu dem Zweck anerkannt werden, um (beispielsweise durch Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit) die rechtlichen Voraussetzungen für die erlaubte Einrei- se oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes, des Anerkennenden oder der Mutter zu schaffen (sog. missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft). Bestehen konkrete An- haltspunkte für eine missbräuchliche Anerkennung der Vaterschaft (dazu hat der Ge- setzgeber in Abs. 2 Satz 2 einen nicht abschließenden Katalog mit „Anzeichen“ formu- liert), hat die beurkundende Behörde oder die Urkundsperson (also etwa der Notar) dies der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen und die Beurkundung auszusetzen, bis das verwaltungsrechtliche Prüfungsverfahren abgeschlossen ist. Die §§ 1594 bis 1597 BGB enthalten weitere Vorschriften für die Anerkennung der 15 Vaterschaft. Grundsätzlich sind Anerkennung und Zustimmung höchstpersönliche Er- klärungen, die durch die jeweiligen Personen selbst vorzunehmen sind. Das gilt auch dann, wenn der anerkennende Mann oder die Mutter noch minderjährig (in ihrer Ge- schäftsfähigkeit beschränkt) sind, dann allerdings ist die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich (§ 1596 Abs. 1 BGB). Nur wenn sie geschäftsunfähig sind (§ 104 Nr. 1 BGB), werden sie durch den gesetzlichen Vertreter vertreten. Falls das Kind zustimmen muss (nach § 1595 Abs. 2 BGB nur dann, wenn es nicht unter der el- terlichen Sorge der Mutter steht), kommt es auf das Alter des Kindes an: Über 14 kann es nur selbst zustimmen (mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters), darunter (oder bei Geschäftsunfähigkeit) stimmt der gesetzliche Vertreter zu (§ 1596 Abs. 2 BGB). Au- ßerdem sind die Formerfordernisse des § 1597 BGB einzuhalten, wonach die öffentli- che Beurkundung erforderlich ist. Diese Beurkundung können Notare (§ 20 BNotO), Standesämter (§ 44 PStG), Amtsgerichte (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 BeurkG), in einem Erörte- rungstermin Familiengerichte (§ 180 FamFG) oder Jugendämter (§ 59 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII) sowie – im Ausland – Konsularbeamte (§§ 2, 10 KonsG) vornehmen. Die freiwillige Anerkennung (ebenso wie die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft – § 1600d BGB) hat ihre Hauptbedeutung bei Kindern, die außerhalb einer bestehenden Ehe geboren werden. Da es hier bisweilen komplizierte tatsächliche und rechtliche Fragen gibt, hat der Gesetzgeber (nach Streichung der Amtspflegschaft in den alten Bundeslän- dern) die Unterstützungsmöglichkeit durch die Beistandschaft geschaffen (ausführlich un- ter Kap. 12.1.). c) Gerichtliche Feststellung der Vaterschaft Nach wie vor von Bedeutung, wenn auch in quantitativ deutlich geringerem Umfang 16 als die Anerkennung, ist die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft – § 1592 Nr. 3 BGB. Sie ist in § 1600d BGB näher geregelt. Das Familiengericht stellt die Vaterschaft auf Antrag fest. Damit ist es bei einem außerhalb einer Ehe geborenen Kind möglich, dass dann, wenn die Mutter gar nicht will, dass der Erzeuger als Vater festgestellt wird, dieser durch entsprechenden Antrag zu einer Feststellung der Vaterschaft kom- men kann. Bei der gerichtlichen Feststellung der Vaterschaft arbeitet § 1600d Abs. 2 BGB mit 17 einer Beweisvermutung: Als Vater wird der Mann vermutet, der der Mutter während der Empfängniszeit „beigewohnt“, mit ihr geschlechtlich verkehrt hat. Angesichts der 71 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4. ABSTAMMUNG medizinischen Fortschritte in der Vaterschaftsbegutachtung spielt diese Beweisvermu- tung nur noch eine untergeordnete Rolle, in der gerichtlichen Praxis erfolgt die Fest- stellung der Vaterschaft durch Einholung eines medizinischen Abstammungsgutach- tens. Von fast ausschließlicher Bedeutung sind inzwischen die DNA-Gutachten. Die DNA-Analyse ist ein genomisches Analyseverfahren, das genetische Aussagen auf sta- tistischer Basis trifft und von hoher Genauigkeit ist (dazu BGH 24.10.1990 – XII ZR 92/89, NJW 1991, 751; BGH 12.1.1994 – XI ZR 155/92, NJW 1994, 749, 1348 f.), so- dass es zunächst nur in Kombination mit anderen Gutachtenverfahren verwendet wurde. Wegen der hohen Genauigkeit und nicht zuletzt wegen der wesentlich geringeren Kosten ist die DNA-Analyse inzwischen das zentrale Analyseverfahren bei Vaterschaftsfeststel- lungen (zum Umfang der Erhebung weiterer Beweise, wenn ein biostatistisches Vater- schaftsgutachten zwar eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten ergibt, dieser aber bestreitet, der Kindesmutter beigewohnt zu haben, sowie zur Methode biostatistischer Gutachten: BGH 3.5.2006 – XII ZR 195/03, FamRZ 2006, 1745 Wellen- hofer 1749; zum „whole genome sequencing“-Verfahren: BVerfG 18.8.2010 – 1 BvR 811/09, FamRZ 2010, 1879 und Rittner FPR 2011, 372). Die Richtlinien der Gendia- gnostik-Kommission (GEKO) beruhen auf dem allgemein anerkannten Stand der Wissen- schaft und Technik. Sie sollen eine Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben bahnen und er- leichtern, den Anliegen des GenDG angemessen Rechnung zu tragen, können aber letzt- lich eine Entscheidung entsprechend den Umständen des jeweiligen Einzelfalles in ärztli- cher Verantwortung nicht ersetzen. Sie enthalten insbesondere Anforderungen an die Durchführung genetischer Analysen zur Klärung der Abstammung und an die Qualifika- tion von ärztlichen und nichtärztlichen Sachverständigen (https://www.rki.de/DE/Content /Kommissionen/GendiagnostikKommission/Richtlinien/Richtlinien_node.html; letzter Ab ruf 2.9.2021). 18 In der Praxis wird bei außerhalb einer Ehe geborenen Kindern die Vaterschaft zum ganz überwiegenden Teil durch die freiwillige Anerkennung festgestellt, nur zu einem deutlich geringeren Teil wird sie durch gerichtliche Entscheidung festgestellt. Genaue Zahlen darüber haben wir allerdings nicht (mehr), da mit der Abschaffung des gesetz- lichen Eintritts der Amtspflegschaft bei nichtehelich geborenen Kindern in den alten Bundesländern durch die Kindschaftsrechtsreform von 1998 auch die diesbezügliche Statistik eingestellt wurde. Tabelle 4: Abstammung Mutter verheiratet Mutter nicht verheiratet n Ehemann ist grundsätzlich rechtlicher n oder erfolgreiche Anfechtung der Va- Vater: § 1592 Nr. 1 BGB terschaft bei miteinander verheirateten Eltern: §§ 1599 ff. BGB n es sei denn erfolgreiche Anfechtung der Feststellung der Vaterschaft durch: Vaterschaft: §§ 1599 ff. BGB n Sonderfall: Trennungs-/Scheidungskin- n Anerkennung: §§ 1594 ff. BGB der: § 1599 Abs. 2 BGB n gerichtliche Feststellung: §§ 1600d ff. BGB Quelle: Eigene Darstellung 72 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4.2 Die Abstammungsregelungen im Einzelnen 4. 4.2.2 Anfechtung der Vaterschaft Die Anfechtung der Vaterschaft ist in den §§ 1600–1600 c BGB geregelt. Dass nach 19 § 1600 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 BGB der Mann, der (nach § 1592 Nr. 1 und 2, § 1593 BGB) als rechtlicher Vater gilt, die Mutter und das Kind anfechten können, ist nicht verwun- derlich, obwohl dies auch nicht immer so war. Zum 1.4.2004 wurde § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB eingeführt, wonach ein Mann, der an Eides statt versichert, der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben – und damit möglicherweise der biologische Vater zu sein – anfechten kann. Diese Bestimmung geht auf eine Entschei- dung des Bundesverfassungsgerichts zurück (BVerfG 9.4.2003 – 1 BvR 1493/96, 1724/01), in der das Gericht ausgeführt hatte, dass § 1600 BGB mit Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG insoweit unvereinbar ist, als dem (möglichen) biologischen Vater (also dem Mann, der die Vaterschaft beansprucht) selbst dann das Recht auf Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft vorenthalten wird, wenn zwischen rechtlichem Vater und Kind gar keine soziale Familie besteht. Daraufhin hat der Gesetzgeber die jetzige Nr. 2 in § 1600 Abs. 1 BGB aufgenommen. Dieses Anfechtungsrecht ist jedoch gemäß Abs. 2 nur gege- ben, wenn zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind keine sozial-familiäre Bezie- hung besteht (die in Abs. 3 definiert ist), und nur erfolgreich, wenn der anfechtende Mann tatsächlich leiblicher Vater des Kindes ist. Damit wird erreicht, dass das Kind auf jeden Fall einen (rechtlichen) Vater hat: Sei es, dass der bisherige rechtliche Vater Vater bleibt, sei es, dass der anfechtende Mann zum neuen (in diesem Fall dann zu- gleich rechtlichen und biologischen) Vater wird. Es verstößt nicht gegen Art. 8 EMRK, die Klagen leiblicher oder mutmaßlicher leiblicher Väter auf Anfechtung der Vater- schaft abzuweisen, insbesondere wenn zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater eine enge sozial-familiäre Bindung besteht (EGMR 22.3.2012, FamRZ 2012, 691; siehe auch Frank FamRZ 2021, 1081). Der BGH hat klargestellt, dass bei Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater der Antrag des leiblichen Vaters auf Anfechtung der Vaterschaft stets unbegründet ist. Der BGH hat betont, dass das Zusammenleben in einem Haushalt keine Voraussetzung der sozial- familiären Beziehung ist. Die Übernahme tatsächlicher Verantwortung kann auch in anderer Form erfolgen, indem der rechtliche Vater etwa wesentliche Betreuungsleistun- gen für das Kind erbringt, ohne mit diesem dauerhaft in einem Haushalt zu leben Dass die Anfechtung dennoch möglich sein soll, wenn der leibliche Vater seinerseits eine so- zial-familiäre Beziehung zu dem Kind hat und mit ihm in einer Familie zusammenlebt, lehnt der BGH unter Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung ab (BGH 15.11.2017 – XII ZB 389/16, FamRZ 2018, 275). Allerdings hat das BVerfG jüngst entschieden, dass das Verfahren zur Erlangung der rechtlichen Vaterstellung hinreichend effektiv sein muss. Deshalb darf dem leiblichen Vater, der ein gerichtliches Vaterschaftsfeststellungsverfahren zu einem Zeitpunkt eingeleitet hat, zu dem die Vor- aussetzungen seiner Vaterschaftsfeststellung erfüllt sind, die Erlangung der Vaterstel- lung grundsätzlich nicht dadurch versperrt werden, dass ein anderer Mann während des laufenden Vaterschaftsfeststellungsverfahrens die Vaterschaft anerkennt (BVerfG 25.9.2018 – 1 BvR 2814/17, FamRZ 2019, 124). Um auf die unklare Rechtslage zu reagieren, ob bei einer künstlichen Befruchtung, die 21 mit Einwilligung des Ehemanns der Mutter durchgeführt wurde, dieser später seine Vaterschaft (im Falle einer heterologen Insemination) anfechten kann, hat der Gesetz- geber (mit Wirkung vom 12.4.2004) § 1600 Abs. 4 BGB geschaffen: Damit ist klarge- stellt, dass die Anfechtung der Vaterschaft durch den Mann oder die Mutter dann, wenn mit Einwilligung des Mannes eine künstliche Befruchtung mittels Samenspende 73 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4. ABSTAMMUNG eines Dritten durchgeführt wurde, ausgeschlossen ist. Das Kind bleibt zur Anfechtung berechtigt. Die Anfechtung ist eine höchstpersönliche Rechtshandlung, sodass grundsätzlich die Ver- tretung durch andere Personen ausgeschlossen ist (§ 1600a BGB), das gilt auch für den Fall der beschränkten Geschäftsfähigkeit des Vaters oder der Mutter, nur wenn sie ge- schäftsunfähig sind, kann ihr gesetzlicher Vertreter anfechten (im Einzelnen § 1600a Abs. 2 BGB). Für das geschäftsunfähige oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkte Kind kann nach § 1600a Abs. 2 BGB nur der gesetzliche Vertreter anfechten. In allen Fällen, in denen die gesetzlichen Vertreter tätig sind, haben sie das Wohl des Vertretenen bei der Anfechtung zu beachten (§ 1600a Abs. 4 BGB). 22 Die Anfechtung muss innerhalb von zwei Jahren, nachdem der Anfechtungsberechtigte von den Umständen erfahren hat, die gegen die Vaterschaft sprechen, erfolgen (dazu anschaulich: BGH 29.3.2006 – XII ZR 207/03, FamRZ 2006, 771). Wenn der gesetz- liche Vertreter eines minderjährigen Kindes die Vaterschaft nicht rechtzeitig angefoch- ten hat, so besteht für das Kind nach Eintritt der Volljährigkeit nochmals die Möglich- keit der Anfechtung, wiederum mit einer zweijährigen Frist ab dem Zeitpunkt, ab dem das dann volljährige Kind von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft seines bisherigen rechtlichen Vaters sprechen (§ 1600b Abs. 3 BGB). Die Anfechtungsfrist dient der Rechtssicherheit, dem Rechtsfrieden und der Bestandskraft des Kindschafts- status (OLG Karlsruhe 30.10.2012 – 2 UF 222/12, FamRZ 2013, 555). Die Fristen sind Ausschlussfristen, sodass selbst dann, wenn die biologische Vaterschaft eines an- fechtenden Vaters ausgeschlossen ist, er als Vater gilt, wenn er die maßgeblichen Fris- ten versäumt hat (OLG Brandenburg 10.5.2001 – 15 UF 95/00, FamRZ 2001, 1630 f.). 4.3 Verfahrensrecht 23 Das Abstammungsverfahren ist in den §§ 169–185 FamFG geregelt. Abstammungssa- chen sind nicht nur Verfahren auf Feststellung oder Anfechtung der Vaterschaft, son- dern insbesondere auch Verfahren zur Klärung der Abstammung unabhängig vom Sta- tusverfahren gemäß § 1598a BGB. Das Verfahren wird durch einen Antrag eingeleitet; in diesem sollen das Verfahrensziel und die betroffenen Personen benannt werden. Au- ßerdem sollen rechtlicher Vater, potenzieller biologischer Vater (also der Mann, der die Vaterschaft für sich beansprucht), Mutter und Kind – wenn sie einen Vaterschaftsan- fechtungsantrag stellen – die Umstände, die gegen die Vaterschaft sprechen, sowie den Zeitpunkt, in dem ihnen diese Umstände bekannt wurden, angeben. An dem Verfahren zu beteiligen sind Kind, Mutter und rechtlicher Vater. Einen Antragsgegner kennt das Abstammungsverfahren nicht mehr (einseitiges Antragsverfahren). Das Familiengericht hat dem minderjährigen Beteiligten einen Verfahrensbeistand zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung von dessen Interessen erforderlich ist. Das Jugendamt soll im Ver- fahren in Abstammungssachen angehört werden, wenn der Vaterschaftsprätendent (al- so der Mann, der die Vaterschaft beansprucht, § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB) oder der ge- setzliche Vertreter des Kindes (gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 4 BGB) die Vaterschaft an- ficht; in diesen Fällen ist das Jugendamt auf seinen Antrag förmlich am Verfahren zu beteiligen. Im Übrigen kann das Jugendamt angehört werden, wenn ein Beteiligter minderjährig ist. Mit dem Antrag auf Vaterschaftsanfechtung (§ 171 Abs. 2 S. 2 FamFG) ist nach der Rechtsprechung des BGH für die Schlüssigkeit des Anfechtungs- antrags ein begründeter Anfangsverdacht dafür vorzutragen, dass die rechtliche Vater- 74 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4.4 Recht auf Kenntnis der Abstammung 4. schaft mit der biologischen Vaterschaft nicht übereinstimmt (BGH 29.3.2006 – XII ZR 207/03, FamRZ 2006, 771; ausführlich Heiderhoff/Schekahn FPR 2011, 360, 363ff.). Wenn ein hinreichender Anfangsverdacht vorliegt, kommt es zum gerichtlichen Verfah- ren, und in diesem selbst wird die Vaterschaft durch Abstammungsgutachten festge- stellt, die inzwischen mit der DNA-Analyse zu sehr genauen und rechtlich anerkannten Ergebnissen kommen. Ein heimlich eingeholter DNA-Vaterschaftsnachweis reicht für den Anfangsverdacht nicht aus. weil es sich dabei um ein in rechtswidriger Weise er- langtes Mittel, das aus dem verfassungsrechtlich geschützten allgemeinen Persönlich- keitsrecht heraus einem Beweisverwertungsverbot unterliegt, handelt (BGH 12.1.2005 – XII ZR 227/03, BGHZ 162, 1; inhaltsgleich mit BGH 12.1.2005 – XII ZR 60/03; Knoche FuR 2005, 348). Diese Rechtsprechung des BGH ist mit dem GG vereinbar (BVerfG 13.2.2007 – 1 BvR 421/05, FamRZ 2007, 441). Eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 Art. 1 Abs. 1 GG stellte es nach dieser Entscheidung des BVerfG dagegen dar, dass das Gesetz bislang kein rechtsförmiges Verfahren bereitgestellt hatte, in dem die Verwirklichung des Grundrechts auf Kenntnis der Abstammung eines Kindes von sei- nem rechtlichen Vater statusunabhängig ermöglicht wird. 4.4 Recht auf Kenntnis der Abstammung Unter dem bis zum 30.6.1998 geltenden Recht konnten eheliche Kinder die Vater- 24 schaft des Ehemannes der Mutter regelmäßig nur dann anfechten, wenn die Ehe der Eltern gescheitert war; bestand die Ehe weiter, konnte das eheliche Kind deshalb grundsätzlich keine Kenntnis seiner biologischen Abstammung erlangen. Die Tatsache, dass das Kind deswegen außerhalb der gesetzlichen Anfechtungstatbestände die ge- richtliche Klärung seiner Abstammung nicht erreichen konnte, hat das Bundesverfas- sungsgericht als nicht mit Art. 1 und Art. 2 GG vereinbar und daher verfassungswidrig angesehen (BVerfG 31.1.1989 – 1 BvL 17/87, BVerfGE 79, 256 ff.; BVerfG 26.4.1994 – 1 BvR 1299/89, 1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263) und den Gesetzgeber aufgefordert, eine Regelung zu treffen, die das Recht auf Kenntnis der Abstammung realisiert. Mit den §§ 1600 Abs. 1 Nr. 4, 1600b Abs. 3 BGB ist das Recht auf Kenntnis der Ab- 25 stammung jedenfalls teilweise umgesetzt, denn nun können Kinder nach Volljährigkeit auch dann, wenn ihre gesetzlichen Vertreter während ihrer Minderjährigkeit die Vater- schaft nicht angefochten haben, dies selbst tun. Ein eigenständiges Recht auf Kenntnis der Abstammung unabhängig von der statusändernden Anfechtung der bestehenden Vaterschaft hat der Gesetzgeber mit der Reform von 1998 allerdings (noch) nicht ge- schaffen (so auch BGH 6.12.2006 – XII ZR 164/04, FamRZ 2007, 538), sondern die- ses „Recht auf Kenntnis der Abstammung“ nur über den „Umweg“ der Anfechtung der Vaterschaft eingeräumt. Bei der Realisierung des Rechts auf Kenntnis der Abstam- mung stellt sich auch die Frage, ob das Kind von seiner Mutter Auskunft über den oder die in Frage kommenden biologischen Väter verlangen kann – von Bedeutung ist dies vor allem bei außerhalb einer Ehe geborenen Kindern. Ort der Klärung dieses Rechtsproblems ist § 1618a BGB mit der Benennung der gegenseitigen Pflicht zur Bei- standschaft und Rücksichtnahme. Das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Ab- stammung ist ein wichtiger Gesichtspunkt im Zusammenhang der Diskussion über die Rechtmäßigkeit von „Babyklappen“ und medizinisch assistierten „anonymen Gebur- ten“. Um schwangeren Frauen, die Angst vor einer Entbindung bei gleichzeitiger Preis- gabe ihres Namens haben, besser zu helfen, hat der Gesetzgeber die „vertrauliche Ge- burt“ im Schwangerschaftskonfliktgesetz besonders gesetzlich geregelt (Gesetz zum 75 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4. ABSTAMMUNG Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt; siehe BT-Drs. 17/12814 und 17/13062 sowie die Stellungnahmen in ZKJ 2013, 71 ff.; NDV 2013, 12 ff.). Nach der Rechtsprechung des EGMR verstößt eine gesetzliche Regelung, die es einem Kind, das von seiner Mutter anonym zur Welt gebracht worden ist, un- möglich macht, jemals etwas über seine leiblichen Eltern zu erfahren, die also das In- teresse der Mutter, anonym zu bleiben, höher einstuft als das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung, gegen Art. 8 EMRK (EGMR 25.9.2012, FamRZ 2012, 1935). 26 Auf die Verfassungsbeschwerde eines Vaters, dem eine Vaterschaftsanfechtungsklage verwehrt war, weil sein heimlich eingeholtes DNA-Gutachten den erforderlichen An- fangsverdacht nicht begründen konnte, hat das BVerfG dem Gesetzgeber aufgegeben, einen Verfahrensweg zu eröffnen, der dem Recht auf Kenntnis und Feststellung der Abstammung aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zur Verwirklichung verhilft, und zwar ohne dies zwingend mit einem Anfechtungsverfahren verbinden zu müssen (BVerfG 13.2.2007 – 1 BvR 421/05, FamRZ 2007, 441; Balthasar 448). Der Gesetzge- ber hat in Umsetzung dieses Verfassungsauftrags das Gesetz zur Klärung der Vater- schaft unabhängig vom Anfechtungsverfahren erlassen. Der mit diesem Gesetz einge- führte § 1598a BGB sieht vor, dass zur Klärung der leiblichen Abstammung des Kindes der Vater jeweils von Mutter und Kind, die Mutter jeweils von Vater und Kind sowie das Kind jeweils von beiden Elternteilen verlangen können, dass diese in eine geneti- sche Abstammungsuntersuchung einwilligen und die Entnahme einer für die Untersu- chung geeigneten genetischen Probe dulden. Auf Antrag eines Klärungsberechtigten hat das Familiengericht eine nicht erteilte Einwilligung zu ersetzen und die Duldung einer Probeentnahme anzuordnen. Das Familiengericht setzt allerdings das Verfahren aus, wenn und solange die Klärung der leiblichen Abstammung eine erhebliche Beein- trächtigung des Wohls des minderjährigen Kindes begründen würde, die auch unter Berücksichtigung der Belange des Klärungsberechtigten für das Kind unzumutbar wäre (zum Verfahren: Helms FamRZ 2008, 1033 ff.). Zur Frage, ob der neu geschaffene Anspruch auf Abstammungsklärung und anschließender Vaterschaftsanfechtung dem Familienwohl förderlich ist, aus medizinischer, familiendynamischer Sicht: Klosinski FPR 2007, 385 ff. 4.5 Neue Familienformen und Reproduktionsmedizin: Geltendes Recht und Reformbedarf 27 Die wissenschaftlich-technischen Fortschritte der Medizin haben die natürlichen Zu- sammenhänge von Zeugung und Empfängnis veränderbar gemacht (zu einer Darstel- lung der verschiedenen Verfahren der künstlichen Befruchtung sowie der rechtlichen Zulässigkeit der künstlichen Befruchtung ausführlich: Dethloff § 10 Rn. 72–78). Da- durch können die im Abstammungsrecht miteinander verbundenen Aspekte des Ge- schlechtsverkehrs (Beiwohnung), der Zeugung, der Empfängnis und der Geburt in un- terschiedlicher Kombination auftreten. Hinzu kommt, dass die zuletzt verbesserte ge- sellschaftliche Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Beziehungen sowie die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft und schließlich die Öffnung der Ehe (§ 1353 Abs. 1 Satz 1 i.d.F. des Gesetzes vom 30.6.2017, BGBl I S. 2787; „Ehe für alle“; s. oben Kap. 3.) faktisch neue Familienformen mit sich gebracht haben („Regenbogenfamilien“, „Co-Parenting“, „soziale Elternschaft“, „Mehrelternfamilien“). In diesem Zusammen- hang stellt sich die Frage, wie der Gesetzgeber diese neuen Familienkonstellationen ab- 76 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4.5 Neue Familienformen und Reproduktionsmedizin: Geltendes Recht und Reformbedarf 4. bilden bzw. regeln soll, um den Interessen von Kindern und Eltern gerecht zu werden. Zu diesem Themenkomplex hat eine vom BMJV eingesetzte Expertenkommission im Jahr 2017 „Empfehlungen für die Reform des Abstammungsrechts“1 und das BMJV im März 2019 einen Diskussionsteilentwurf vorgelegt.2 Einstweilen hat der BGH entschieden, dass die Ehefrau der ein Kind gebärenden Frau 28 weder in direkter noch in entsprechender Anwendung des § 1592 Nr. 1 BGB Mit-El- ternteil des Kindes wird (BGH, 10.10.2018 – XII ZB 231/18, FamRZ 2018, 1919). Die direkte Anwendung des § 1592 Nr. 1 BGB komme hier bereits deshalb nicht in Be- tracht, weil die Norm nach ihrem klaren Wortlaut allein die Vaterschaft regelt und die- se einem bestimmten Mann zuweist. Für eine Auslegung gegen diesen Wortlaut sei kein Raum. Allerdings liegen dem BVerfG die Vorlagen (gemäß Art. 100 Abs. 1 GG) zweier Oberlandesgerichte vor, die es für verfassungswidrig halten, dass der Gesetzgeber es unterlässt, einem durch eine ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung im Sinne des § 1600d Abs. 4 BGB gezeugten und in der gleichgeschlechtlichen Ehe der Mutter gebo- renen Kind die Ehefrau der Mutter kraft Gesetzes als Elternteil zuzuordnen, während das Gesetz in § 1592 Nr. 1 BGB einem auf gleiche Weise gezeugten Kind, das in der verschiedengeschlechtlichen Ehe der Mutter geboren wird, den Ehemann der Mutter kraft Gesetzes als Elternteil zuordnet (KG, 24.3.2021 – 3 UF 1122/20, FamRZ 2021, 854; OLG Celle, 24.3.2021 – 21 UF 146/20, FamRZ 2021, 862). Ausdrücklich nicht vom Auftrag des BMJV-Arbeitskreises umfasst (und auch nicht Ge- genstand des Diskussionsteilentwurfs) war die Frage der rechtlichen Zulässigkeit be- stimmter nach geltendem Recht nicht erlaubter Fortpflanzungsmethoden, etwa der Leih- mutterschaft oder der Eizellspende. Mit Teilaspekten dieser Thematik hat sich der Gesetz- geber zuletzt vor knapp 30 Jahren im Embryonenschutzgesetz (ESchG) befasst. Nach § 4 ESchG ist die künstliche Befruchtung nicht verboten, wenn die beteiligte Frau und der Sa- menspender einwilligen. Die Samenspende kann sowohl vom Ehemann stammen (homo- loge Insemination), als auch von einem anderen Mann (heterologe Insemination). Die he- terologe Insemination darf von dem Arzt nur unter folgenden strengen Voraussetzungen vorgenommen werden: n Nur ein Samenspender je Befruchtungsvorgang, n die Gewissheit, dass ein früherer Befruchtungsversuch mit Drittsperma nicht zur Kon- zeption geführt hat, n Aufklärung des Samengebers über eine mögliche Vaterschaftsfeststellung und Unter- haltspflicht, wenn das Kind anficht, n Hinweis, dass der Arzt den Spendernamen nicht geheim halten darf, wenn die Vater- schaft erfolgreich angefochten ist, n Zustimmung der Ehefrau des Spermaspenders, n Unterrichtung des Ehegatten der Spermaempfängerin, n Dokumentation bei Notar oder Rechtsanwalt. 1 https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/News/Artikel/07042017_AK_Abstimmung_Abschlussber icht.pdf;jsessionid=9D8D6CBBFFA8F2B817D5C0090D8401F7.2_cid289?__blob=publicationFile&v=4; letzter Abruf 2.9.2021 2 https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/DiskE_Reform_Abstammungsrec ht.pdf;jsessionid=9D8D6CBBFFA8F2B817D5C0090D8401F7.2_cid289?__blob=publicationFile&v=1 ; letzter Abruf 2.9.2021 77 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4. ABSTAMMUNG 30 Während bei der heterologen Insemination biologischer und sozialer Vater auseinan- derfallen können (gespaltene Vaterschaft), ist eine gespaltene Mutterschaft rechtlich nicht möglich. § 1 Abs. 1 ESchG verbietet die Eizellspende (Nr. 1), den Embryonen- transfer (Nr. 6), sowie die Leih- oder Ersatzmutterschaft (Nr. 2, 6, 7). 31 Im Familienrecht stellt sich die Frage, ob die künstliche Befruchtung Auswirkung auf die Abstammung des Kindes hat. Bei der homologen Insemination ist die rechtliche Si- tuation unproblematisch: Wird das Kind in einer bestehenden Ehe geboren, so stammt das Kind auch genetisch vom Ehemann der Mutter ab, sodass er gemäß § 1592 Nr. 1 BGB (unanfechtbar) rechtlicher Vater ist. Sind die Eltern des Kindes miteinander nicht verheiratet (z.B. bei nichtehelicher Lebensgemeinschaft), so ist bei einer homologen In- semination klar, dass das Kind vom Partner der Mutter abstammt: Die Vaterschaft kann, selbst wenn der Vater die Anerkennung verweigert, gerichtlich festgestellt wer- den. Umstrittener ist die Rechtslage bei der heterologen Insemination. Erfolgt die hete- rologe Insemination in einer bestehenden Ehe, so gilt der Ehemann nach § 1592 Nr. 1 BGB als der rechtliche Vater, obwohl er nicht der biologische Vater ist. War er mit der heterologen Insemination einverstanden, was Voraussetzung für die Vornahme einer heterologen Insemination ist, so stellt sich die Frage, ob er an das Einverständnis ge- bunden ist. Was die Vaterschaft und deren Anfechtung anbelangt, so hatte der BGH dem Ehemann das Anfechtungsrecht grundsätzlich auch für den Fall zugebilligt, dass er der Samenspen- de zugestimmt hat (BGH 7.4.1983 – IX ZR 24/82, BGHZ 87, 169 ff.). Die Anfechtung sollte jedoch regelmäßig nicht zum Wegfall des Unterhaltsanspruchs führen (BGH 3.5.1995 – XII ZR 29/94, BGHZ 129, 297 ff.). Diese umstrittene Frage hat der Gesetzge- ber durch § 1600 Abs. 4 BGB klargestellt: Eine Anfechtung durch den einwilligenden Mann und die Mutter ist ausgeschlossen. 32 Was die Anfechtungsmöglichkeiten durch das Kind anbelangt, so ist klar, dass eine Vereinbarung zwischen Ehemann und Ehefrau (und möglicherweise dem Samenspen- der) das Kind nicht binden kann: Das Kind kann jederzeit die Vaterschaft des Ehe- manns anfechten – allerdings soll dies nach der Rechtsprechung die Folge haben, dass mit der Anfechtung der Vaterschaft regelmäßig der Unterhaltsanspruch des Kindes ent- fällt (BGH 3.5.1995 – XII ZR 89/94, FamRZ 1995, 865). Rechtlich anders und kom- plizierter ist es bei der heterologen Insemination außerhalb einer bestehenden Ehe (da- zu Wehrstedt FPR 2011, 400). Nach den Musterrichtlinien der Bundesärztekammer ist die heterologe Insemination grundsätzlich nur bei Ehepaaren möglich, sodass es in Deutschland nicht zu einer heterologen Insemination nicht verheirateter Frauen kom- men könnte – etwa im Rahmen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Falls es der Fall ist, so wäre bei einem durch heterologe Insemination außerhalb einer bestehenden Ehe geborenen Kind die – genetisch wahrheitswidrige – Anerkennung der Vaterschaft durch den Partner möglich; erforderlich ist dann auch noch die Zustimmung der Mut- ter und des Kindes (§ 1595 BGB). Erfolgt keine Anerkennung, käme nur die gerichtli- che Feststellung der Vaterschaft in Frage. Und da in diesem Verfahren geklärt wird, wer der biologische Vater ist, könnte der Partner einer nichtehelichen Lebensgemein- schaft, da er eben nicht biologischer Vater ist, auch nicht als rechtlicher Vater festge- stellt werden, obwohl doch mit durch seine Entscheidung das Leben des Kindes über- haupt erst entstanden ist. Jenseits des Familienrechts liegt die Frage, ob ein Kind, das im Wege heterologer Insemination gezeugt wurde, vom behandelnden Arzt Auskunft über seine genetische Abstammung verlangen kann. 78 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4.6 Internationales Abstammungsrecht 4. Dazu hat der BGH (28.1.2015 – XII ZR 201/13, FamRZ 2015, 642) entschieden, dass 33 das mittels künstlicher heterologer Insemination gezeugte Kind gegen den Reprodukti- onsmediziner einen aus den Grundsätzen von Treu und Glauben folgenden Anspruch auf Auskunft über die Identität des Samenspenders haben kann. Die hierfür erforderli- che rechtliche Sonderverbindung folgt aus dem Behandlungsvertrag, bei dem es sich um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Kindes handelt. Der Anspruch setzt kein bestimmtes Mindestalter des Kindes voraus. Machen die Eltern diesen An- spruch als gesetzliche Vertreter des Kindes geltend, ist aber erforderlich, dass die Aus- kunft zum Zweck der Information des Kindes verlangt wird. Ob es dem Reprodukti- onsmediziner zumutbar ist, Auskunft über die Identität des Samenspenders zu erteilen, ist durch eine auf den konkreten Einzelfall bezogene, umfassende Abwägung der durch die Auskunftserteilung berührten rechtlichen, insbesondere grundrechtlichen, Belange zu klären. Dabei können auch die durch die ärztliche Schweigepflicht geschützten rechtlichen Belange des Samenspenders Berücksichtigung finden. Der Rechtsposition des Kindes, der sein verfassungsrechtlich geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht zugrunde liegt, wird regelmäßig ein erhebliches Gewicht im Rahmen der Abwägung zukommen. Der Gesetzgeber hat mit dem am 1.7.2018 in Kraft getretenen Samenspenderegisterge- 34 setz (SaRegG vom 17.7.2017, BGBl I 2513) ein Register geschaffen, bei dem Kinder, die im Wege heterologer Insemination mit Hilfe einer ärztlich unterstützten fortpflan- zungsmedizinischen Behandlung gezeugt wurden, Informationen über den genetischen Vater einholen können. Es wird beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumenta- tion und Information (DIMDI) geführt. Das SaRegG enthält Vorschriften über die Er- hebung von Daten bei der Überlassung von Sperma zur Durchführung der Behand- lung, die sicherstellen sollen, dass nachvollzogen werden kann, von welcher Person das bei einer reproduktionsmedizinischen Behandlung verwendete Sperma stammt. Außer- dem normiert es die Auskunftsvoraussetzungen und das Verfahren der Auskunft. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber in § 1600d Abs. 4 BGB geregelt, dass der Samenspen- der – wenn das Kind durch eine ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung in einer Einrichtung der medizinischen Versorgung i.S.v. § 1a Nr. 9 des Transplantationsgeset- zes unter heterologer Verwendung von Samen gezeugt worden ist, der vom Spender einer Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 des SaRegG zur Verfügung ge- stellt wurde – nicht als Vater des Kindes festgestellt werden kann. Dagegen sind die Fragen, wie das deutsche Abstammungsrecht mit Fällen umgeht, in 35 denen Menschen im Ausland die (dort erlaubten) Möglichkeiten der Leihmutterschaft oder Eizellspende in Anspruch nehmen, vom Gesetzgeber bislang nicht ausdrücklich geregelt. Einstweilen bleibt dies der Rechtsprechung überlassen (s. unten 4.6.2). 4.6 Internationales Abstammungsrecht 4.6.1 Internationale Zuständigkeit Da hinsichtlich des Abstammungsrechts (noch) keine europarechtliche Regelung be- 36 steht und auch staatsvertragliche Regelungen mit Vorrang nicht vorhanden sind, rich- tet sich die internationale Zuständigkeit nach § 100 FamFG: Danach ist die internatio- nale Zuständigkeit deutscher Gerichte gegeben, wenn einer der Beteiligten (Kind, Mut- ter, Vater, Vaterschaftsprätendent) Deutscher ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. 79 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4. ABSTAMMUNG 4.6.2 Anwendbares Recht 37 Auch das Internationale Familienrecht unterscheidet nicht mehr zwischen ehelicher und nichtehelicher Abstammung, sodass sowohl für die innerhalb als auch außerhalb einer Ehe geborenen Kinder das anwendbare Recht einheitlich bestimmt wird. Geregelt wird nicht nur die Abstammung vom Vater, sondern ausdrücklich auch die von der Mutter. Art. 19 Abs. 1 EGBGB sieht drei Möglichkeiten vor, welches Recht hinsicht- lich der Abstammung von Kindern zur Anwendung kommen kann: n An erster Stelle kommt das Recht des Staates zur Anwendung, in dem das Kind sei- nen gewöhnlichen Aufenthalt hat; n außerdem kann sich hinsichtlich jedes Elternteils (also hinsichtlich Vater und Mut- ter ggf. unterschiedlich) die Abstammung nach dem Recht des Staates richten, dem der jeweilige Elternteil angehört; n und schließlich kann sich dann, wenn die Mutter verheiratet ist, die Frage der Ab- stammung auch nach dem Recht richten, das für die allgemeinen Ehewirkungen (Art. 14 Abs. 1 EGBGB) gilt (vgl. Kap. 3.1.3.). Beispiel: Vater ist Türke, Mutter ist Italienerin, sie sind verheiratet und leben in Deutsch- land, das Kind wird in Deutschland geboren. Nach der 1. Variante (gewöhnlicher Aufent- halt) richtet sich die Frage der Vaterschaft nach deutschem Recht, wonach der Ehemann gemäß § 1592 Nr. 1 BGB als Vater gilt. Nach der 2. Variante richtet sich die Frage der Vaterschaft sich nach türkischem Recht, wohingegen die Frage der Mutterschaft sich nach italienischem Recht richtet. Und da sie miteinander verheiratet sind, kommt auch die 3. Variante in Frage. Praktisch bedeutet dies, dass die deutschen Standesbeamten bei Kindern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, deutsches Recht an- wenden können und die anderen Rechtsordnungen nicht zu ermitteln brauchen. 38 Das Verhältnis der drei Anknüpfungsmöglichkeiten zueinander ist durch das Günstig- keitsprinzip gekennzeichnet. Deshalb können die Standesämter, soweit es um die Ab- stammung von einer Person geht, unter den Anknüpfungsmöglichkeiten wählen, aus denen sich positiv die Vater- bzw. Mutterschaft ergibt (Andrae § 7 Rn. 31). Die Vor- schrift des Art. 19 EGBGB stellt bei der Frage der Abstammung generell auf den ge- wöhnlichen Aufenthalt und nicht etwa auf den gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeit- punkt der Geburt des Kindes ab. Das bedeutet, dass der Abstammungsstatus des Kin- des wandelbar ist, da sich der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes im Laufe der Jahre verändern kann. Beispiel: Die Mutter und ihr Partner leben mit dem Kind in nichtehelicher Lebensgemein- schaft in Italien, nach einigen Jahren ziehen sie nach Deutschland. Hier ist dann eine An- erkennung der Vaterschaft nach § 1592 Nr. 2 BGB möglich – auch wenn das Kind nicht in Deutschland geboren wurde. Es kommt auf den Zeitpunkt an, zu dem die Anerken- nungserklärung abgegeben wird. 39 Sofern Zustimmungen erforderlich sind, gilt gemäß Art. 23 EGBGB zusätzlich das Heimatrecht des Kindes, sodass ggf. zusätzlich zu den nach deutschem Recht erforder- lichen Erklärungen noch weitere Zustimmungen notwendig sind. Beispiel: Nach dem Heimatrecht des Kindes ist zur Anerkennung der Vaterschaft die aus- drückliche Zustimmung auch des unter elterlicher Sorge stehenden minderjährigen Kin- des (also anders als § 1595 Abs. 2 BGB) erforderlich. Dann muss nach Art. 23 EGBGB auch diese Zustimmung des minderjährigen Kindes eingeholt werden. 80 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. 4.6 Internationales Abstammungsrecht 4. Bezüglich der Anfechtung der Abstammung enthält Art. 20 EGBGB eine ausdrückliche 40 Regelung. Danach kann die Abstammung nach jeder Rechtsordnung, die nach Art. 19 EGBGB für die Abstammung maßgebend wäre, angefochten werden, nach dem Hei- matrecht der Mutter, dem Heimatrecht des Vaters, dem Heimatrecht des Kindes. Satz 2 stellt darüber hinaus klar, dass das Kind die Abstammung auf jeden Fall nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthaltes anfechten kann. Große Bedeutung kommt dem Internationalen Abstammungsrecht auch in den Fällen 41 neuer Familienformen unter Inanspruchnahme der Möglichkeiten der Reproduktions- medizin zu, wenn diese Konstellationen Berührung zu einer ausländischen Rechtsord- nung haben. So hatte der BGH einen Fall zu entscheiden, in dem ein in Südafrika in einer „civil uni- 42 on type marriage“ lebendes lesbisches Paar, bei dem die eine der beiden Frauen auch die deutsche Staatsangehörigkeit hatte und aufgrund eines gemeinsamen Entschlusses beider ein mittels künstlicher Befruchtung gezeugtes Kind geboren hatte, bei dem deut- schen Standesamt die Eintragung als Eltern des Kindes begehrte. Nach südafrikani- schem Recht ist auch die Partnerin/Ehefrau der genetischen Mutter als Elternteil (Co- Mutter) anzusehen Das Standesamt hat die Beurkundung abgelehnt. Der BGH hat ge- mäß Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EGBGB südafrikanisches Abstammungsrecht angewandt und festgesellt, dass das Standesamt verpflichtet ist, die Beurkundung vorzunehmen (BGH, 20.4.2016 – XII ZB 15/15 –, BGHZ 210, 59-77). Gegenstand eines weiteren vom BGH entschiedenen Falles war die Beurkundung eines 43 deutschen schwulen Paares (eingetragene Lebenspartner) als Eltern eines in Kalifornien von einer Leihmutter geboren Kindes. Das Standesamt lehnte die Beurkundung ab. Der BGH hat entschieden, dass das Urteil des Superior Court of the State of Califor- nia, wonach die Lebenspartner die Eltern des von der Leihmutter geborenen Kindes sind (nicht aber die Leihmutter), gemäß § 109 FamFG in Deutschland anzuerkennen und das Standesamt zur Beurkundung verpflichtet ist (BGH, 10.12.2014 – XII ZB 463/13, FamRZ 2015, 240). Weiterführende Literatur: n Beurkundung von Geburten mit Auslandsbezug: Hilpert JAmt 2019, 605 ff. n Scheinvaterschaften zwecks Aufenthaltssicherung / missbräuchliche Vaterschaftsanerkennun- gen: Knittel JAmt 2017, 339 ff.; Kaesling NJW 2017, 3686 ff.; Stern NZFam 2017, 740 f.; Balzer NZFam 2018, 5. n Siede, Vertretung des Kindes in Vaterschaftsanfechtungsverfahren, FamRZ 2018, 149-156. n Helms/Kieninger/Rittner, Abstammungsrecht in der Praxis, 2010 n Taupitz/Theodoridis, Das Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstam- mung bei heterologer Verwendung von Samen, MedR 2018, 457-466. Weitere wichtige Entscheidungen: n BGH 20.3.2019 – XII ZB 320/17, FamRZ 2019, 890, und BGH 20.3.2019 – XII ZB 530/17, FamRZ 2019, 892 (in beiden Fällen deutsche Wunscheltern und in der Ukraine von einer Leihmutter geborenes Kind) 81 https://doi.org/10.5771/9783748900603-66 Generiert durch Technische Hochschule Köln, am 13.10.2024, 19:20:36. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.