Stadtplanung im 19. Jahrhundert PDF
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Dieses Dokument behandelt die Stadtplanung im 19. Jahrhundert, insbesondere die Gartenstadtbewegung. Es beleuchtet die Reaktionen auf die Industrialisierung und die damit einhergehenden Probleme in den Städten. Schlüsselthemen sind die Entwicklung von Stadtplanungskonzepten und die Entstehung neuer, spezifischer Stadtformen.
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435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen Das 19Jhdt Stadtplanung - Gartenstadtbewegung ….Industrialisierung- In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Aufgrund sozialer und hygienische Mängel, basierend auf den enormen Zuzug von Arbeitern i...
435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen Das 19Jhdt Stadtplanung - Gartenstadtbewegung ….Industrialisierung- In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Aufgrund sozialer und hygienische Mängel, basierend auf den enormen Zuzug von Arbeitern in die Städte und Vorstädte, eine verstärkte Kritik am gründerzeitlichen Städte- und Wohnungsbau laut. Ausgehend von England, Bevölkerungszuwachs 1780-1900 von 8 auf 32mio EW. London war von 1825-1925 weltgrößte Stadt (ca 2,7mio EW). ….Die Architektur wird Gegenstand allgemeinen bürgerlichen Interesses. ….Im Zuge der Industrialisierung entsteht auch ein neues Expertentum: Stadtplaner, Soziologen, Mediziner, Ökonomen…. Architekten/ Stadtplaner: Friedrich Weinbrenner 1766-1826 (BRD), Ebenezer Howard 1850-1928 (En) Camillo Sitte 1843-1903 (Ö), Otto Wagner 1841-1918 (Ö), Eugen Fassbender1854-1923 (Ö), ….Stadtplanung- diese orientierte sich in zwei grundsätzliche Richtungen: a) Ablehnung der Großstadt– Großstadtkritik: Nicht-großstädtische Siedlungsformen Gartenstadtidee………… Ebenezer Howard… b) Akzeptanz der Großstadt als Lebensform: Basierend auf rechtliche Rahmenbedingungen, Zonenpläne, Verbesserung der technischen und sozialen Infrastruktur……… Camillo Sitte, Otto Wagner… ….Arbeitersiedlungen entstehen: Krupp`scher Werkswohnungsbau 1861 Österreich-Wien: nach dem Stadtplaner und Architekten Camillo Sitte, traten mit theoretischen städtebaulichen Überlegungen, vor allem Otto Wagner und Eugen Fassbender hervor. Sir Ebenezer Howard: Engl. Stenotypist, Autodidakt, Stadtplaner- Theoretiker, 1850-1928 Ebenezer Howard war zuerst als Stenotypist im Parlament tätig und befasste sich auf Grund seiner parlamentarischen Erfahrung und Information, Ende des 19.Jahrhunderts, ebenfalls mit den Problemen der wachsenden Stadt- London. Inspiriert wurde er insbesonders auf einer USA-Reise von den Philosophen und Dichtern Walt Whitman und Ralph Waldo, sowie von Eduard Bellamys Buch „Looking Backward“ (ersch.1888..eine sozialistische Utopie..). Howard, der sich stark mit der Verbesserung der Lebensqualität auseinandersetzte, veröffentlichte daraufhin 1898 sein Buch „To- Morrow. A peaceful path to real reform“, das 1902 neu unter dem Titel „Garden Cities of To-Morrow“ aufgelegt wurde. 1899 gründete er die Garden-City-Association und bemühte sich zeit seines Lebens um dieses Projekt. In England wurden zwei dieser neuen Konzept-Städte verwirklicht. 1927 wurde er für seine Verdienste zum Ritter geschlagen. NUR ZUM UNTERRICHTSGEBRAUCH ARCHITEKTUR U WOHNEN 435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen Howards Gedanken versuchten nicht nur neuen Wohnraum zu schaffen, sondern erarbeiteten ein ganz neues Konzept des sozialen Zusammenlebens. Sein Ansatz beinhaltete nicht die Überbevölkerung der Städte durch Sanktionen oder Gebote zu bewältigen. Er suchte viel eher nach einem Anreiz, die Menschen wieder in die ländliche Umgebung zu führen. Dazu beschrieb er in seinem Werk den Menschen als Kompassnadel, der immer zwischen dem Stadtmagneten mit seinem gesellschaftlichen Leben, Arbeitsplätzen, aber auch den schlechten Wohnbedingungen und dem Landmagnet mit den schweren Arbeitsbedingungen, aber auch mit der frischen Luft und sauberen Wasser pendelte. Sein Lösungsansatz war die Schaffung eines dritten Magneten, genannt Town-Country. Hier sollten sich alle Vorteile von Land und Stadt vermengen. Dazu sollten neue Städte gegründet werden, die sich in der Nähe der Großstädte befinden, aber grundsätzlich eigenständig sind. Durch die Umwidmung von Ackerland, auf dem die neue Stadt entstehen soll, werden Gewinne erwirtschaftet, die aber in der Hand der Gemeinschaft bleiben sollen. So soll einer Spekulation mit Grundstückspreisen Einhalt geboten werden. Die Bewohner mieten oder kaufen ihre Häuser, der Grund jedoch wird gepachtet (Erbpacht- heute Baurechtsvertrag). Howard skizzierte seine Ideen in sogenannten Diagrammen. Diese beinhalten jedoch reine Konzepte und sollten auch so gelesen werden. Die Darstellungen seiner Städte erdachte er alle kreisrund, die tatsächlichen gebauten Gartenstädte waren es aber nicht! GROSSSTADT 58t/EW. ÖFFENTL. GEBÄUDE LANDWIRTSCHFT. ZENTRALPARK GARTENHÄUSER GEWERBE/INDUSTRIE TRABANTEN 32t/EW. Die Gartenstädte sollten in „kleinen“ Grüppchen entstehen, die Platz für ca. 250.000 Menschen bieten. Eine größere Gartenstadt mit etwa 58.000 Einwohnern soll umringt von sechs weiteren kleinen Städten von 32.000 Einwohnern werden. Ein Eisenbahnnetz und eine gemeinsame Kanalisation verbinden die Städte miteinander. Zwischen den Städten sollen sich weite Agrarflächen befinden, die aber auch Platz für Wasserreservoire, Friedhöfe oder aber auch Waisenhäuser oder Sanatorien bieten. Durch die Wiederbelebung der ländlichen Gegend sollte auch die Landwirtschaft in der Umgebung einen Aufschwung erfahren. Da sich in den Gartenstädten nun neue Märkte auftun sollen und die Bevölkerung mit gesunder Nahrung versorgt werden sollte, konnten auch die umliegenden Bauern ihren Vorteil daraus ziehen. NUR ZUM UNTERRICHTSGEBRAUCH ARCHITEKTUR U WOHNEN 435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen 1903 wurde in England tatsächlich die erste Gartenstadt gegründet. Etwa 50 km nördlich von London, in Hertfordshire, wurde von einer zuvor gegründeten Errichtungsfirma Ackerland aufgekauft und die Stadt Letchworth Garden City gegründet. Als Architekten wurden Raymond Unwin und Berry Parker beauftragt die Planung durchzuführen. Howards Konzept kam zur Anwendung, jedoch nicht mit den perfekt runden Strukturen, sondern an das Gelände angepasst. Äußerst wichtig war die strikte Trennung der einzelnen Gebiete der Stadt, die auch Howard in seinen Diagrammen schon vorgeschlagen hatte. So konnte es nicht passieren, dass sich große Fabriken mitten im Wohngebiet ansiedelten. Die Wohngebiete selbst wurden von Gebäuden im Cottage-Stil dominiert. Es entstanden hauptsächlich Reihenhäuser, Doppelhaushälften, und Einfamilienhäuser, allesamt mit großem Garten für Freizeit und Selbstversorgung. Es wurden auch Wohnhöfe geplant zum gemeinschaftlichen Leben. WaKÜ TEC Generell wurde darauf geachtet, die Baukosten ZI niedrig zu halten und somit leistbare Häuser zu bauen. KÜ ZI In Letchworth wurden auch Ausstellungen für WZ ZI günstiges Wohnen abgehalten, um so gleich interessierte Käufer in die neue Stadt zu locken. Die Häuser und Cottages sind, für unsere heutigen Verhältnisse, relativ überschaubar mit kleinen Zimmergrößen. Die Aufteilung war einfach gehalten, doch im Gegensatz zu den Stadtwohnungen und Mietskasernen in London war es wohl purer Luxus. Howard selbst war vom fertig gebauten Letchworth nur mäßig begeistert. Es war ihm tatsächlich „zu grün“ und es wurde zu wenig auf Möglichkeiten für das gesellschaftliche Leben geachtet. Letchworth entwickelte sich bis heute weiter und hatte 2011 ca. 33.000 Einwohner. Nach der Gründung Letchworths verbreitete sich die Idee der Gartenstadt schnell über ganz Europa und auch die USA. Vor allem in Deutschland entstanden Siedlungen nach diesem Vorbild, wie zum Beispiel die „Kruppianersiedlung“ Margarethenhöhe/ Essen, oder Hellerau bei Dresden. Nach dem ersten Weltkrieg, der die Bautätigkeiten etwas bremste, war die Nachfrage nach qualitativ gutem Wohnraum enorm gestiegen. Es entstanden rund um die Großstädte viele Trabantenstädte, die New Towns. Diese lehnten sich oft an den Ideen Howards an, erfüllten aber nicht seine Vorgaben in Bezug auf das soziale Zusammenleben und den Gedanken der Genossenschaft. NUR ZUM UNTERRICHTSGEBRAUCH ARCHITEKTUR U WOHNEN 435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen 1920 wurde ein weiterer Versuch unternommen eine Gartenstadt zu errichten, so wurde Welwyn Garden City gegründet. An diesem Projekt, das ebenfalls in Hertfordshire zwischen Letchworth und London entstand, beteiligte sich Howard selbst auch in planerischen Belangen. Diese Stadt sagte ihm so sehr zu, dass er selbst bis zu seinem Tod 1928 dort wohnte. Auch hier wurde wieder Ackerfläche gemeinschaftlich gekauft und gemeinschaftlich verwaltet. Dies wurde zu Anfang auch in der deutschen Gartenstadt Hellerau so gehandhabt. Nach der Eingemeindung zu Dresden wurden die Grundstücke jedoch zum Einzel-Verkauf frei gegeben. So blieben die beiden Städte Letchworth und Welwyn die Einzigen, die das Prinzip des gemeinschaftlichen Grundbesitzes beibehielten. Auch in Österreich wurden Gartenstädte umgesetzt. Die Umgebung von Linz bietet hier gleich zwei Beispiele: In Kleinmünchen wurde ab 1919 der Stadtteil Scharlinz neu geplant und Wohnsiedlungen im Stil der Gartenstädte von Architekt Curt Kühne errichtet. Diese Strukturen und Gebäude sind auch heute noch sichtbar und teilweise Denkmalgeschützt. Das zweite Beispiel befindet sich westlich von Linz. Die hier von 1963-2000 entstandene Gartenstadt Puchenau wurde von Architekt Roland Rainer entworfen. Auch hier kam ein gesamtheitliches Konzept von wohnen, (arbeiten) und Freizeit zusammen. In relativ verdichteten Wohnsiedlungen, die jedoch auch genügend Grünfläche bieten, haben die Bewohner auch schnellen Zugang zu Geschäften, Schulen, Kindergärten oder Kirchen. Auch heute noch werden neue Trabanten- oder Satellitenstädte nach einigen Prinzipien Howards verwirklicht→ Solar City…… NUR ZUM UNTERRICHTSGEBRAUCH ARCHITEKTUR U WOHNEN 435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen Otto Wagner: Architekt u. Stadtplaner 1841-1918 In Wien geboren, studierte er an der Akademie der bildenden Künste, war dort auch Assistent und arbeitete später als Bauführer für die großen Wiener Ringstraßen- architekten Theophil Hansen und Ludwig Förster. Er war unter anderem auch Mitglied der „Wiener Secession“, Prorektor und Prof. der Meisterklasse Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien…. Geprägt durch seine Ausbildung (u.a. bei Ringstraßenarchitekt Sicardsburg) war Wagners Frühwerk noch einer streng historistischen Auffassung verpflichtet (Rekurs auf vergangene Stilformen). In den 1880er Jahren setzte ein Paradigmenwechsel ein, in dem sich Wagner zunehmend eines freieren Umgangs des historischen Formen- vokabulars bediente und sich mit neuen Grundrisslösungen und Konstruktions- verfahren beschäftigte. Der vorangegangene Historismus wurde als verlogener „Maskenball der Stile“ abqualifiziert. Wagner blieb jedoch bei aller Offenheit dem Stildenken verpflichtet. Neben zahlreichen Wohnbauten, die Wagner in den ersten Jahren errichtete, konnte er sich mit dem Bau der Österreichischen Länderbank (Wien 1, Hohenstaufengasse 3, 1882) bei einer Konkurrenz( Wettbewerb) für öffentliche Gebäude durchsetzen. Der endgültige Durchbruch gelang Wagner anlässlich des Wettbewerbes für einen Generalregulierungsplan für Wien (1893), der nach der Eingemeindung der Vororte ausgeschrieben worden war, wo er für sein Projekt den ersten Preis erhielt. ……In der Gründerzeit nach 1840 beginnt die verstärkte Industrieansiedelung in Wien. Durch den Zuzug vieler Menschen aus anderen Landkreisen (Böhmen, Mähren..). führte dazu, dass Wien Anfang des 20. Jahrhunderts die fünftgrößte Millionenstadt wurde. ~1830- 400.000EW. ~1880- 1.162.000EW. Bild: Wien Stadtzentrum in der ersten Hälfte des 19. Jhdt und in der 2. Hälfte- nach Bebauung des Ringes NUR ZUM UNTERRICHTSGEBRAUCH ARCHITEKTUR U WOHNEN 435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen Von der Voraussetzung einer ständig wachsenden Stadt ausgehend, sah Wagner die Lösung in der „Fixierung von Ring- und Radiallinien“, wobei selbstverständlich die Ringstraße und die Innere Stadt das Zentrum bilden sollten. Wagners Entwurf erhob die Mobilität zur Matrix der Stadtplanung. Ausgehend von der Ringstraße verstand Wagner die alten Stadtmauern gleichsam als Wachstumsringe der Großstadt. An die Stelle der einstigen Begrenzungen traten nun tangentiale, konzentrische Straßenringe, die in periodischen Abständen analog zum Stadtwachstum neu angelegt werden konnten. Obwohl sein Plan nicht zur Realisierung gelangte, spielte er ab diesem Zeitpunkt jedoch eine Schlüsselrolle beim Ausbau der städtischen Infrastruktur. Bild: Otto Wagner, Plan für Wien, Doppelseite aus Ebenezer Howard, Gartenstadtkonzept 1902 „Die Großstadt, eine Studie über diese, 1911“ Der Generalregulierungsplan sah die funktionelle Grobgliederung des Stadtgebiets für 50 Jahre vor. Man ging davon aus, dass Wien 1940 eine 4-Millionen-Stadt sein werde. (Bauzonenplan= Wohn, Industrienutzung, Gebäudehöhen..). Die Zielvorgaben waren die Ausgestaltung des Verkehrsnetzes, sowie die weitgehende Berücksichtigung ästhetischer Gesichtspunkte bei allen städtebaulichen Fragen (siehe Camillo Sitte). Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914) und dessen desaströse Folgen für Wien machten diese Pläne für Jahrzehnte zunichte. Mit Erlass der Bauordnung von 1929 wurden die bestehenden Generalregulierungs- pläne, gemeinsam mit den Generalbaulinienplänen zur ersten Fassung des Flächenwidmungs- und Bebaubungsplans erklärt. Bild:Otto Wagner, Blick auf das Luftzentrum den künftingen XXII. 1911 NUR ZUM UNTERRICHTSGEBRAUCH ARCHITEKTUR U WOHNEN 435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen Wagner spielte eine Schlüsselrolle beim Ausbau der städtischen Infrastruktur (Wiener Stadtbahn, Regulierung der Donau- Kai`s..), zeitweise beschäftigte er bis zu 70 Mitarbeiter in seinem Atelier (darunter später so bedeutende Architekten wie Josef Olbrich, Josef Hoffmann, Leopold Bauer und Josef Plecnik). Im Zuge der Unterrichtstätigkeit an der Akademie, etablierte sich Wagner zu einem wichtigen Theoretiker und Vordenker der Wiener Moderne, wobei auch seine Schüler und Mitarbeiter zur Propagierung und Verbreitung dieser Ideen beitrugen. Foto: Kirche am Steinhof © P. Diem Foto: Linke Wienzeile 38- Majolikahaus, © Ewald Judt Quelle: Felix Czeike: Historisches Lexikon Wien, Architekturzentrum Wien; TU Wien- FB Soziologie; „Zeit-online“; Austria-Forum Howard, E. (1902). Gartenstädte von morgen: Das Buch und seine Geschichte. In J. Posener (Hrsg.), Berlin : Wien [u.a.] : Ullstein (1968) Empfohlene Fachliteratur: Renate Schweitzer: Der Generalregulierungsplan für Wien (1893-1920) Wolfgang Mayer: Die städtebauliche Entwicklung Wiens bis 1945 Rudolf Wurzer. Eugen G. B. Faßbenders Beitrag zur Entwicklung der Stadtplanung in Österreich Sitte, C. (1909). Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. (C. Sitte, Hrsg.) Basel, Schweiz: Birkhäuser - Verlag für Architektur. Michael Kitl,(2015). Analyse von Camillo Sittes Idee eines idealen Stadtbildes. (G. u. Fakultät für Geowissenschaften, Hrsg.) Universität Wien. NUR ZUM UNTERRICHTSGEBRAUCH ARCHITEKTUR U WOHNEN 435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen Camillo Sitte: Architekt, Stadtplaner, Kulturtheoretiker 1843-1903 Er studiert an der damaligen Bauschule des polytechnischen Instituts, der heutigen TU Wien, Architektur und belegt außerdem Kurse in Archäologie, Anatomie und Kunstgeschichte an der Hauptuniversität Wien. Seine Studienreisen führen in nach Italien, Griechenland, Frankreich und Ägypten. Er arbeitet zwei Jahre im Baubüro seines Vaters Franz Sitte „den Wiener Architekten“. 1875 wird er Direktor an der Salzburger Staatsgewerbeschule. Ab 1883 unterrichtet er auch an der Wiener Staatsgewerbeschule und übernimmt 1899 die Direktion. Mit der Veröffentlichung seines Buches 1889: “Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. Ein Beitrag zur Lösung der modernsten Fragen der Architektur und monumentalen Plastik unter besonderer Beziehung auf Wien”, galt er als Wiederbegründer der Stadtbaukunst. Sitte bezeichnet seine Zeit als ein mathematisches Jahrhundert, er kritisiert, dass Stadterweiterungen und Städteanlagen eine rein technische Angelegenheit waren und war der Meinung, es dürfe nicht eine technische Frage, sondern im höchsten Sinne eine Kunstfrage sein. Die Präferenz der wirtschaftlichen Interessen zerstöre die humane Struktur der Stadt. Er wolle aus der Langweiligkeit moderner Stadtanlagen ausbrechen. In seinen Schriften sollen alte und neue Städte rein kunsttechnisch analysiert werden, um die Motive der reinen Komposition bloßzulegen. Es geht ihm darum, einen Ausweg zu finde, aus dem modernen Häuserkastensystem im Rastergrundriss mit dem Ziel die Schönheit der Altstädte zu retten und wieder ähnliches hervorzubringen. ….Im Zentrum seiner Betrachtungen steht der städtische Platz. Sitte vertrat folgende Gedanken: 1 Das Freihalten von Platzmitten durch das Vermeiden freigelegter Gebäude. Anstatt ein Monument in die Mitte eines Hauptplatzes zu stellen, rät Sitte, dieses vor einen neutralen Hintergrund am Rand eines Platzes zu tun. Foto: Nürnberg Schöner Brunnen, https://cdn.getyourguide.com NUR ZUM UNTERRICHTSGEBRAUCH ARCHITEKTUR U WOHNEN 435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen 2. Die Geschlossenheit von Plätzen durch schräg angelegte Straßenmündungen und architektonische Motive wie beispielsweise Kolonnaden oder Torbögen. Möglichkeiten, Platzwände zusammen zu halten, sind Torbögen oder auch Säulen, wie man sie von den Uffizien (Florenz) oder dem Petersplatz (Rom) kennt. Foto: Florenz Uffizien, https://www.florenceby.com 3 Anlage von Platzgruppen, Gärten und Höfen (siehe barocke Bauweisen: drei geschlossenen Seiten, die offene Seite gewährt den Einblick auf den Hof und die Architektur.) Modernere Bauweisen begannen dann, die Gebäude an allen vier Seiten zu schließen, der Platz, der sich in ihrem Inneren befindet, zählt nun automatisch zum Innenraum des Gebäudes und bleibt somit der Öffentlichkeit verschlossen. Als Beispiel führt Sitte die Universität Wien an, er schreibt: „dass den schönen Platz im Inneren wohl nur fünf Prozent der Wiener/innen je zu Gesicht bekommen haben“. In dieser Aussage ist erkennbar, dass es ihm ein Anliegen war, schöne Plätze für alle zugänglich zu machen. Foto: Innenhof Universität Wien, https://event.univie.ac.at 4 Berücksichtigung der bestehenden Beziehung zwischen Bauten, Monumenten und den Plätzen. Früher spielte ein Hauptplatz eine bedeutsame Rolle für die Menschen, er war der Ort des öffentlichen Lebens. Schon zu Sittes Lebzeiten waren Hauptplätze nur mehr notwendig, um etwas Luft und Licht in das Häusermeer zu bringen. Sitte bezeichnet die Städte: „als monoton, unter anderem liegt das an der Art, wie sie konzipiert werden“. Symmetrieachsen und Mittelpunkte machen Stadtplanung aus: dabei geht es laut Sitte viel mehr: „um Rhythmus, Proportionen und Gefühl“. BEZIEHUNG VERDICHTUG DISTANZ- BETRACHTUNG Foto:FlorenzPl.Signoria(David) NUR ZUM UNTERRICHTSGEBRAUCH ARCHITEKTUR U WOHNEN 435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen 5 Er unterscheidet in Breiten- und Tiefenplätzen. Das Format wie auch die Größe des Platzes stehen im Idealfall in Bezug auf das Hauptgebäude und sind der Form der Fassade dieses Gebäudes entsprechend angepasst (demnach sind Rathausplätze häufig Breitenplätze und Kirchenplätze Tiefenplätze). Für die Größe und auch die Form eines Platzes sind die dominierenden Bauwerke des Platzes von großer Bedeutung. Große Gebäude benötigen mehr Platz, um wirken zu können. Wichtig ist zu betonen, dass die gegenseitigen Verhältnisse bedeutsamer sind, als die absolute Größe. RATHAUS Foto: Piaristenplatz Kirche Maria Treu- 47m, https://www.atkultur.at 6 das Vermeiden dreieckige Plätze („fatalen Zwickel“) Diese waren für Sitte ebenso unerträglich wie dreieckige Zimmer. Das grundsätzliche Anliegen Sittes ist das Empfinden der Bürgerinnen und Bürger einer Stadt zu berücksichtigen und etwas „Künstlerisches“, „Ästhetisches“ und „Harmonisches“ zu schaffen, das dem ausgeglichenen Seelenleben zu Gute kommt. Camillo Sitte war ein Dissident in dieser Zeit, ein Rebell. Er hat den Grundsatz geprägt: ein Quadratmeter Grün auf einen Quadratmeter verbaute Fläche.“ HEUTE: ab 100m2 Flachdachfläche ist Begrünung erforderlich→ Extensivbegrünung! NUR ZUM UNTERRICHTSGEBRAUCH ARCHITEKTUR U WOHNEN 435.033 – VO GTT B 6.3 Architektur u. Wohnen Die einzige Stadt, die wirklich nach dem urbanistischen Konzept von Camillo Sitte errichtet wurde, ist Přívoz / Oderfurt. Heute ist sie ein Teil der Stadt Ostrava / Ostrau im Nordosten Tschechiens mit ca 1,2 MioEW an der polnischen Grenze. Foto: Stadtplan Privoz, https://encyklopedie.ostrava.cz Foto: Privoz 1907, https://www.stavebni-forum.com Quelle: Semsroth, K., Jormakka, K., & Langer, B. (2005). Kunst des Städtebaus Neue Perspektiven auf Camillo Sitte. Wien: Böhlau Verlag. Sitte, C. (1901, 3. Auflage). Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. Wien: Springer Verlag. Empfohlene Fachliteratur: Sitte, C. (1909). Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. (C. Sitte, Hrsg.) Basel, Schweiz: Birkhäuser - Verlag für Architektur. Michael Kitl,(2015). Analyse von Camillo Sittes Idee eines idealen Stadtbildes. (G. u. Fakultät für Geowissenschaften, Hrsg.) Universität Wien. NUR ZUM UNTERRICHTSGEBRAUCH ARCHITEKTUR U WOHNEN