Skript für Lehre Humanmedizin: Stumpfe Gewalt - Schussverletzungen PDF

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This document details the concepts of blunt trauma and gunshot wounds in human medicine. It covers definitions, causes, possible outcomes, and the evaluation of injuries, providing crucial information for medical students or professionals studying or working in this field.

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Universitätsinstitut für Rechtsmedizin Direktor: Prof. Dr. med. Rüdiger Lessig Skript für Lehre Humanmedizin: Stumpfe Gewalt - Schussverletzungen Kapitel 1 Stumpfe Gewalt 1. Definition a. Wikipedia: Gewalt … in der Rechtsmedizin im S...

Universitätsinstitut für Rechtsmedizin Direktor: Prof. Dr. med. Rüdiger Lessig Skript für Lehre Humanmedizin: Stumpfe Gewalt - Schussverletzungen Kapitel 1 Stumpfe Gewalt 1. Definition a. Wikipedia: Gewalt … in der Rechtsmedizin im Sinne einer physischen Einwirkung enger umrissen für eine Gruppe von schädigenden Ereignissen verwendet. Man … spricht von Stumpfer Gewalt, wenn breitflächige oder stumpfkantige Gegenstände oder Flächen auf den Körper treffen. b. Madea (Lehrbuch: Praxis Rechtsmedizin) „Unter stumpfer Gewalt versteht man die mechanische Einwirkung einer mehr oder minder begrenzten Fläche gegen den menschlichen Körper, wobei jedes Körperteil (Kopf, Rumpf, Gliedmaßen) gleichermaßen betroffen sein kann.“1 2. Todesursachen (mögliche) nach Einwirkung Stumpfer Gewalt a. Schädel-Hirn-Trauma b. inneres Verbluten (ab 1,5 Liter Blutverlust) c. Verbluten nach außen d. Fettembolie bei Knochenbrüchen und ausgedehnten Weichteilquetschungen e. Wundinfektion, Sepsis f. Ersticken bei Blutaspiration 3. Wundformen bestimmt durch a. Art der Einwirkung Intensität Art (Druck, Zug, Scherung. Torsion) Richtung Dauer b. Eigenschaften der betroffenen Gewebe 4. Folgen Stumpfer Gewalt a. an der Körperoberfläche (Haut und Subkutis) i. Schürfung (Exkoriation) Verletzung Stratum corneum durch tangentiale Gewalteinwirkung 1 Zusammenschieben der Hornhaut (seiden-papierartig) Verschorfung, löst sich ca. nach einer Woche Leichnam: gelb-braune Vertrocknung ii. Blutunterlaufung (Hämatom) flächenhafte Einblutung in Haut oder andere Weichgewebe Dehnung/Zerrung der Haut und der Subcutis durch u.a. lotrechte Gewalteinwirkung --> Zerreißung von Kapillaren --> Blutaustritt in die Haut und das Unterhautfettgewebe --> Verfärbung (blau-rot) Beachte: volle Intensität oft erst nach Stunden Formen: 1. Sugillation: umschriebene Einblutung Haut 2. Suffusion: flächenhafte Blutung in Subcutis Alterschätzung: rot-blau: frisch blau-violett: wenige Tage grün: 4-5 Tage gelb: 7-8 Tage prim. Färbung und Ausdehnung korreliert nicht nur mit Intensität der Gewalteinwirkung, sondern auch beeinflusst durch Gerinnungsstatus, „Lockerheit des Gewebes“, Lokalisation, Lebensalter braun-rot: schwierig zu interpretieren, abhängig u. a. von Intensität (kleine Hämatome werden schneller resorbiert), Lebensalter (s.a. Klinische Rechtsmedizin) iii. Riss-/Quetschwunden (sog. Platzwunden) Entstehung: Zerreißung der Haut nach stumpfer Gewalteinwirkung durch Druckbelastung (Zentral) --> Quetschwunde Zug- oder Scherbelastung (Randbereich) --> Risswunde Kombination: „Riss-/Quetschwunde“ meist über Knochen, Knochenkanten Morphologie: Schürfung der Wundränder (Schürfsaum) Wundränder meist unregelmäßig Gewebsbrücken in der Tiefe Evtl. im Wundgrund gepresste Haare, Fremdmaterial u.ä. iv. Ablederung (Décollement) Entstehung: massive tangentiale flächenhafte Gewalteinwirkung → Ablederung der gesamten Haut vom zerstörten Unterhautfettgewebe Morphologie: äußerlich evtl. geringer Befund (Kleidung als Schutz!) schwerste innere Verletzungen von Fettgewebe und Muskulatur, Ausbildung von Wundtaschen (Gefahr der Fettembolie!) häufig beim Überrollen / Anrollen (Verkehrsunfall) 2 b. Knochen und Skelettsystem (Beispiele) i. Knochenbrüche / Frakturen Brüche der langen Röhrenknochen Spiralbrüche durch Torsion Trümmerbrüche v. a. durch Stauchung Schaftfrakturen von Röhrenknochen lassen am ehesten Rückschlüsse auf die Richtung der Gewalteinwirkung zu Messerer-Keil Beispiele: - Rippenbrüche - Frakturen der Wirbelsäule - Beckenfrakturen ii. Schädelbrüche Einteilung: direkte, indirekte, Schädelbasisbrüche (längs o. quer, Schädelbasisringbruch) Beurteilung: - Hutkrempenregel - Puppe´sch Regel iii. Luxationen 1. HWS-Schleudertrauma iv. Risse von Bändern und Sehnen v. Muskelquetschung / Muskelrisse c. an den „inneren Organen“ Beachte: Opfer immer als System betrachten (Oberfläche, Skelettsystem, innere Organe), nicht der Pneumothorax Zimmer 7! i. direkte Verletzungen innerer Organe durch Gewalteinwirkung (Leberruptur, Lungen-quetschung, Herzkontusion, Cave: zweizeitige Milzruptur!) ii. indirekte Verletzungen z.B. durch beschädigte Knochenteile (sog. Anspießungsverletzungen) iii. Blutung in Hohlräume iv. Pneumothorax d. Gesichtsschädelbrüche, SHT und intrakranielle Blutungen i. Unterkieferfraktur (Beachte Fortleitung der Gewalt!) ii. Mittelgesichtsfraktur (Le Fort I-III) iii. SHT (Einteilung) iv. Traumatische Intrakranielle Blutungen Epi- und Subdurale Blutung, subarachnoidale Blutungen, intracerebrale Blutungen e. systemische Folgen f. Probleme bei der Begutachtung i. Bestimmung des Tatwerkzeugs ii. „Stärke/Schwere“ der Gewalteinwirkung iii. Entstehungszeitpunkt (Alter der Verletzungen) iv. Differenzierung Schlag-/Sturzverletzungen v. Beachte: Zur juristischen Bewertung nicht nur konkrete Folgen sondern auch Art der Begehung von entscheidender Bedeutung! 3 g. Vitalität der Verletzung / Vitale Reaktionen i. Lokale vitale Reaktionen Unter-/ Umblutung Entzündungsreaktion Verschorfung Narbenbildung ii. Allgemeine Vitale Reaktionen Fettembolie Luftembolie Blutaspiration „Ausbluten“ des Körpers (inneres / äußeres Verbluten) bei Brandeinwirkung: Rußaspiration, Rußverschlucken, CO-Hb Kapitel 2 Schussverletzungen 1. Definition a. Schussverletzung: Schädigung durch Einwirken eines Geschosses (Projektil), welches durch expandierende Gase (Verbrennungsgase, Luft) aus einem Waffenlauf getrieben wird und mit hoher Geschwindigkeit auf den Körper trifft Zusätzlich: Verletzungen durch Schreckschusswaffen Verletzungen durch Pfeile (Bogen, Armbrust) Verletzungen durch Explosionen (Splitter) b. Ballistik: Lehre vom Wurf und von der Bahn geworfener Körper) Formen: - Innenballistik (Vorgänge in der Waffe) - Außenballistik (Flug Projektil in der Luft) - Endballistik (Eindringen in ein Medium) - Wundballistik (Eindringen in ein biologisches Ziel) 2. Folgen der Schusseinwirkung a. abhängig von i. Waffe, Munition, Projektil, Energiegehalt, getroffenen Objekt (Körperregion) ii. Art der Verletzung (Durchschuss, Steckschuss, Prellschuss, Streifschuss, Ringelschuss, Querschläger) iii. Entfernung 4 iv. Verlauf des Schusskanals 3. Todesursachen a. Inneres und/oder äußeres Verbluten (ab 1,5 Liter Blutverlust) b. Funktionsausfall des ZNS c. Pneumothorax, Hämatopneumothorax d. Infektionen (Peritonitis) e. Sek. Wundinfektionen (als mögliche Spätfolgen) 4. Morphologie der Schusswunden a. Absoluter Nahschuss (aufgesetzt oder wenige Millimeter Abstand zwischen Mündung und Haut) i. eventuell sternförmiger Einschussdefekt (insbesondere bei knöchernem Widerlager) ii. „Schmauchhöhle“ am Beginn des Schusskanals (unter Haut, über Knochen) iii. „Schmauchring“ um den Einschuss (bei nicht ganz aufgesetzter Waffe) iv. Stanzmarke – Abbildung „Waffengesicht“ (Mündungskonturen) auf der Haut b. Relativer Nahschuss i. näherer relativer Nahschuss (bis 1-2 Lauflängen) Schmauchhof um den Einschuss, Pulvereinsprengung in die Haut, Hitzeeinwirkung an Haaren ii. weiterer relativer Nahschuss (je nach Lauflänge 30-150cm) keine Schmauchauflagerung, nur noch Pulverauflagerungen/-einsprengungen c. Fernschuss i. Fehlen von Nahschusszeichen, allgemeine Charakteristika einer Einschusswunde d. Sonderformen i. Bolzenschussgerät ii. Schrotschuss iii. Pfeilverletzungen iv. „Schreck“-Schusswaffen - keine Projektile angefeuert - extrem gefährliche Verletzungen möglich, bedingt durch den Gasdruck aus dem Lauf - Verletzungen im Augen- und Gesichtsbereich durch die heißen Pulvergase bzw. das Reizgas - „Verletzungen“ des Gehörs (Knalltrauma!) - Tödliche Verletzungen je nach Lokalisation und abhängig vom Körperbau des Opfers möglich!! v. Kröhnlein-Schuss 5. Schussentfernung, Schusskanal und Schussrichtung a. Einschuss 5 i. abhängig von Schussentfernung, getroffener Körperregion, Waffenart, Projektil (siehe Morphologie der Schusswunden) b. Ausschuss i. häufig größer als Einschuss ii. mehrstrahlig oder schlitzförmig iii. Wundränder adaptierbar (meist) iv. kein Abstreifring v. kein echter Schürfsaum (evtl. Schürfung bei Widerlager wie Hosenträger, aufliegender Körper) c. Schusskanal i. Verbindung zwischen Ein- und Ausschuss bzw. dem Projektil ii. evtl. Ablenkung durch Knochenkontakt iii. häufig trichterförmige Erweiterung (Knochensplitter, Geschoss-) iv. evtl. „Geschossembolie“ (Verschleppung im Körper z. B. in Blutgefäßen) d. Knochendurchschuss i. insbesondere bei platten Knochen (v. a. Schädel) zur Bestimmung der Schussrichtung geeignet ii. Einschuss: trichterförmige Erweiterung von außen nach innen iii. Ausschuss: trichterförmige Erweiterung von innen nach außen e. temporäre Wundhöhle bei hoher Geschwindigkeit (Jagd, Militär) wird Projektil im Gewebe radiär beschleunigt → Zerstörungen um ein Vielfaches des Geschossdurchmessers (bis zu 40-fach) f. Hydrodynamische Sprengwirkung wenn bei flüssigkeitsgefüllten Organen (z. B. Herz, Harnblase) oder am Gehirn die radiäre Expansion zur Berstung der Hüllstrukturen führt g. Methoden der Schussentfernungsbestimmung i. Einschussmorphologie (Nahschusszeichen) ii. physikalisch-chemischer Nachweis von Schmauch oder Pulverkörnern iii. Mikroradiologie, CT iv. Histochemie v. CO-Hämoglobin, CO-Myoglobin vi. „backspatter“ (Rückschleuderspuren) vii. Dispersionsradiographie 6. Begutachtung a. Indizien für Fremdbeibringung: i. Fernschuss ii. Mehrere Schussverletzungen in verschiedenen Körperregionen iii. Einschuss an relativ unzugänglicher Körperregion iv. Schuss durch Bekleidung v. Abwehr- und sonstige Begleitverletzungen 6 b. Hinweise für Suizid: i. singuläre Verletzungen ii. nur gelegentlich (7 %) Mehrfachschussverletzungen iii. meist eine Körperregion (Handlungsfähigkeit der Einzelverletzung entscheidend) iv. Einschuss an zugänglicher Stelle (Schläfe, Mundschuss) v. kombinierter Suizid (vorangegangene Schnittverletzung, Strangulationsversuch usw.) c. Handlungsfähigkeit und Schussverletzung: i. sofortige Handlungsunfähigkeit (große Teile des ZNS) ii. schnelle Handlungsunfähigkeit (Herz, Aorta, Truncus pulmonalis) iii. verzögerte Handlungsunfähigkeit (große Blutgefäße, Lunge, Leber, Milz) d. Waffe in der Leichenhand: i. immer als Hinweis für eine Fremdtötung interpretiert, da die Waffe dem Suizidenten spätestens mit Eintritt der Bewusstlosigkeit aus der Hand fällt ii. jedoch auch in etwa 20 % der Suizide (Erklärungen: Krämpfe, Unterlage für die Schusshand, Waffenbauart) 7. Schussverletzungen und Spurensicherung a. Wunden mit Maßstab fotografieren! b. bei Steckschüssen: Röntgen vor Operation bzw. Obduktion (evtl. „Geschossembolie“) c. Sicherung von eventuellen Schmauchspuren am Einschuss (Klinik: Klebefolie, Obduktion: Exzision) d. klinische Exzidate asservieren (aufspannen) e. bei durchschossener Kleidung: Kleidungsstücke einzeln asservieren f. Sicherung von eventuellen Schmauchspuren an den Händen bis zur polizeilichen Sicherung (Obduktion: Plastiktüten) g. Projektile nicht mit Metallgegenständen asservieren h. 8. Schussverletzung und Schweigepflicht: Es besteht entgegen der der weitverbreiteten Anschauung keine allgemeine Meldepflicht für jegliche Schussverletzung Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und nur zum Gebrauch in der studentischen Ausbildung des UKH zu verwenden. Seine Verbreitung oder Vervielfältigung ist - außer zum persönlichen Gebrauch - verboten. 1 Madea: Praxis der Rechtsmedizin; 2003, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 7

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