Gruppentherapie in Deutschland: Grundlagen

Psychodynamische Gruppentherapien

• Die Vorlesung behandelt psychodynamische Modelle und Therapien im Wintersemester 2024/2025 am Institut für Psychologie, Universität Kassel.
• Die Sitzung am 03.02.2025 behandelt psychodynamische Gruppentherapien.
• Übersicht zur Gruppentherapie, theoretische Grundlagen und psychodynamische Gruppenpsychotherapien sind Bestandteile der Agenda.
• Ein Beispielvideo ist Teil der Agenda.

Übersicht Gruppentherapie

• Der Anteil an Gruppentherapien in der Richtlinienpsychotherapie betrug 2018 1-2 % und stieg 2021 auf 4 %.
• Es wird eine bessere Vergütung, flexible Gruppengrößen und die Kombination mit Einzeltherapie in Aussicht gestellt.
• Auf die geringe Ausbildung wird mit der Aufnahme in die neue Weiterbildungsordnung reagiert.
• Probleme sind die fehlende Anleitung, ein direkter Einstieg und Gruppenzwang in Kliniken.
• Eine soziale Gruppe besteht aus mehr als zwei Personen in unmittelbarer Beziehung zueinander.
• Ein Gruppenprozess lässt die Gruppe gemeinsam zu mehr werden als nur die Summe der Teilnehmer.
• Kleingruppen bestehen aus 3 bis 12 Mitgliedern, was direkten Kontakt ermöglicht und durch Psychotherapie-Richtlinien begrenzt wird.
• Kinder brauchen kleinere Gruppen.
• Weiterbildungsgruppen für Psychotherapeuten umfassen 10 bis 12 Personen.
• Bei Großgruppen (über 25 Mitgliedern) ist eine formale Leitung erforderlich.
• Ansonsten kommt es zu regressiven Prozesse – Zerfallen in Kleingruppen, andere Tätigkeiten (beginnt ab ca. 7 Mitgliedern).
• Großgruppen werden nicht zu therapeutischen Zwecken eingesetzt
• Ambulante Sitzungen dauern meist 100 Minuten, stationäre oft kürzer.
• Kürzere Sitzungen begrenzen Regression und Trennungserleben.
• Tiefenpsychologische Gruppentherapie dauert 40–80 Doppelstunden (ca. 1–2 Jahre).
• Analytische Gruppentherapie kann bis zu 150 Doppelstunden dauern.
• Die Zeitbegrenzung soll die Fokussierung auf erreichbare Ziele fördern.
• Zeitoffene Gruppen haben keine feste Dauer, Austritt erfolgt bei Zielerreichung oder veränderter Lebenssituation.
• Homogene Gruppen sind gut für kurze Lernprozesse, Belastungs- oder Übergangssituationen oder gemeinsame Symptomatiken.
• Psychoedukative Gruppen konzentrieren sich auf die Bewältigung von Konflikten oder Symptomen.
• Heterogene Gruppen eignen sich für längere Projekte und Therapien mit weiteren Lern- oder Behandlungszielen und werden auch als zieloffene Gruppen ohne psychoanalytischen Hintergrund eingesetzt.
• Achtung Außenseiterrollen verhindern

Theoretische Grundlagen

• Gruppenkohäsion ist die Entwicklung eines Gefühls der Zusammengehörigkeit und eines gemeinsamen Wir-Gefühls
• Gemeinsame Werte und Normen innerhalb der Gruppe können sich im Laufe der Zeit wandeln
• Art des Austausches: Möglichkeit zur unmittelbaren, persönlichen Interaktion, abhängig von der Größe der Gruppe
• Zielverfolgung: Verfolgung eines übergeordneten Ziels wie Sozialisation, Problemlösung oder Wissensvermittlung
• Die Dauer des Bestehens hängt von der jeweiligen Zielsetzung ab.
• Die Rollenausbildung beinhaltet die Herausbildung von Rollenbildern mit aufeinander abgestimmten Funktionen, z.B. leitende oder beratende Rollen.
• Modelle der Gruppentherapie (nach Arnswald, 2024): Psychoedukation, Psychotherapie in der Gruppe (einzelfallorientiert), Psychotherapie durch die Gruppe (interaktionsorientiert).
• Einflussfaktoren auf die Wirksamkeit: Patientenmerkmale, Gruppenstruktur, Therapeutenmerkmale und Gruppendynamik.

Patientenmerkmale

• Motivation spielt eine Rolle: Hohe Motivation und Erwartung führen zu besseren Ergebnissen.
• Interpersonelle Fertigkeiten: Mindestmaß an Wertschätzung für positive Zusammenarbeit mit Anderen, keine extremen sozialen Ängste
• Vorerfahrungen mit Gruppen wie Familie, Schule, Beruf etc. sind relevant.
• Bindungsstile haben Einfluss: Je unsicherer die Bindung, desto schwieriger, Gruppe aktiviert Bindungssystem.
• Es muss ein ausreichend sicherer Rahmen gegeben werden.
• Vorliegen interpersonaler Probleme: z.B. starke Aggressivität, Konkurrenzverhalten oder Abhängigkeit, Schwierigkeiten mit Autoritäten sind relevant.
• Kontraindikationen: Paranoide, akut psychotische, psychopathische Symptome, häufige SVV, akute Suizidalität und starke dissoziative Symptome.
• Indikatoren für Abbrüche sind Probleme mit Kontakt und Nähe und die Unerreichbarkeit der Ziele, ebenso die Fixierung auf Gruppenleitung.
• Heterogenität in Bezug auf intellektualisierung vs. Emotionalität, Risikobereitschaft vs. Unterstützend, verbal aktiv vs. Verbal passiv, ggf. in Bezug auf Psychopathologie.
• Homogenität in Bezug auf demographische Variablen, wie Alter, Bildung, Intellekt, psychische Struktur, Angsttoleranz und die Fähigkeit, Hilfe anzunehmen/zu geben

Therapeutenmerkmale

• Aufgaben und Kompetenzen (die „Dirigentin“): Festlegung Rahmen und Zusammensetzung der Gruppe, Sicherung des Rahmens, Förderung der therapeutischen Zusammenarbeit, Sicherheit herstellen und aufrechterhalten - Fürsorge.
• Interpersonelles Feedback fördern, auf Hier und Jetzt.
• Emotionale Stimulation und Bedeutungszuweisung -> Vertiefung von Erkundung von Inhalten, emotional und kontrolliert (MBT).
• Dynamik von Gruppen hat Entwicklungspotential und ist unberechenbar

Gruppendynamik

• Phasen von Gruppenprozessen nach Tuckmann & Jensen (1977): Forming (Vertrauensbildung, Akzeptanz der Gruppe), Storming (Koalitionen, Spannungen, Widerstand), Norming (Konhäsion, Einigkeit, Rollendifferenzierung, Vertrauen), Performing (Entscheidungen, Problemlösung, Zielerreichung), Adjourning (Rückzug, Rollenauflösung, Reduktion Zusammenhörigkeit).
• Auf und Ab in Gruppenbewegung
• Aushandlung verschiedener Konflikte, Themen, Interaktionen, z.B. auf den Gruppenleiter bezogen
• Formale Veränderungstheorie: Sigmund Freud (Unbewusste Konflikte, Übertragungsmechanismen), Wilfred Bion: Grundannahmegruppen (Abhängigkeit, Flucht-Kampf, Paarbildung), Foulkes & Anthony: Gruppenanalyse (die Gruppe als „Matrix" für Veränderung), Peter Fonagy (Mentalisierungstheorie): Förderung der Mentalisierungsfähigkeit durch Gruppendynamik.
• Einflussfaktoren auf Wirksamkeit: Patientenmerkmale, Gruppenstruktur, Gruppendynamik, formale Veränderungstheorie und Therapeutenmerkmale
• Lernen: Anleitung, Modelllernen, interpersonelles Lernen + Feedback.
• Emotionale Beteiligung: Selbstöffnung und Katharsis.
• Support und Austausch: Zugehörigkeit, Altruismus, Kohäsion, Universität des Leidens.
• Psychotherapeutische Faktoren: Verfahrensspezifische Prozesse, emotionale Einsicht in eigenes Erleben und Verhalten, Imitation, Identifikation, Internalisierung.
• Strukturiertheitsgrad: Hohes oder minimales Maß an Struktur beeinflusst die Therapie in der Gruppe oder durch die Gruppe.

Psychodynamische Gruppenpsychotherapien

• Traditionelle Verfahren nach Foulkes und Bion: Gruppenanalyse und psychodynamische Gruppentherapien.
• Weiterentwicklungen: Psychoanalytisch-Interaktionelle Gruppentherapie (Heigl-Evers & Heigl 1972, Streeck 2024) und mentalisierungsbasierte Gruppentherapie (MBT-G; Bateman & Fonagy 2004).
• Gruppenanalyse fördert Regression durch zurückhaltendes, deutendes Arbeiten des Therapeuten.
• Die „Psychoanalyse der Gruppe" (Bion, 1961) fokussiert auf die Gesamtgruppe statt auf Einzelpersonen.
• Interventionen beziehen sich auf die Gruppe als Ganzes.
• Die Analyse durch die Gruppe (Foulkes, 1992) bedeutet, dass die Gruppe selbst die analytische Funktion übernimmt und als dynamische Matrix gesehen wird.
• Der Therapeut schafft Rahmen und fördert Kommunikation.
• Psychodynamische Gruppentherapien stellen die einzelnen Patienten stärker in den Vordergrund und nutzen die Übertragungen auf andere Gruppenmitglieder, auf die Gruppe als Ganzes und auf den Therapeuten.
• Sie wenden zudem die ganze Palette der psychodynamischen Techniken an, von supportiven Aspekten bis zu Klärung, Konfrontation und Deutung.

Das Göttinger Modell

• Integration psychoanalytischer Konzepte: Verbindet verschiedene Ansätze der psychoanalytischen Gruppenarbeit.
• Sonderform: Enthält die psychoanalytisch-interaktionelle Gruppentherapie, entwickelt von Heigl & Heigl-Evers in den 1970er Jahren.
• Ziel: Förderung der Ich-Funktionen der Gruppenteilnehmer.
• Therapeutenrolle: Vorrangig stützend, wenig konfrontativ, nicht-deutend.
• Fokus auf Interaktionen zwischen den Gruppenmitgliedern und Beobachtung/Einflussnahme auf Gruppennormen.
• Spezifische Techniken: Förderung der differenzierten Wahrnehmung von Affekten und Antworten des Therapeuten auf das Verhalten der Gruppenmitglieder statt klassischer Deutung.

Psychoanalytisch – Interaktionelle Gruppentherapie

• Der Fokus liegt auf implizitem Beziehungswissen, also was zwischen den Teilnehmern passiert und wie sie sich zueinander in Beziehung setzen.
• Ziel ist es, das interpersonelle Geschehen für die Personen erlebbar und transparent zu machen.
• Die Wirkung zielt darauf ab, dass Patienten verstehen, wie ihr eigenes Beziehungswissen in die Beziehungsgestaltung einwirkt und die Förderung interpersoneller Fähigkeiten.
• Die Haltung ist progressorientiert, Regressions-begrenzend mit Verzicht auf Deutungen und Fokus auf manifeste Interaktionen/Situationen/Normen, selektiv authentisch.
• Techniken fokusieren auf implizites Beziehungswissen im Antwortendem Modus. Antworten beziehen sich auf Gesamtgruppe, Subgruppen, Einzelne und Situationsdefinitionen und soziale Normen; Kann komplementär oder konkordant sein.
• Mentalisierungsbasierte Psychotherapie - Gruppe fokusiert auf der Mentalisierungsfähigkeit der Gruppenmitglieder, das eigene Verhalten und das Verhalten anderer als Ausdruck innerer mentaler Zustände zu verstehen und zu interpretieren.
• Ziel ist die Förderung der Mentalisierungsfähigkeit und damit Behandlung struktureller Einschränkungen.
• Die Wirkung zielt darauf ab, dass Patienten verstehen, welche inneren Zustände und Affekte und Ziele während Interaktionen vorherrschen und diese von denen anderer unterscheiden lernen.
• Haltung: Aktiver Leitungsstil, meist in Co-Leitung, Vermeidung von Schweigephasen mit gesunder Autorität, haltgebend, direktiv und empathisch.
• Technik: Neugierde auf interpersonelles Geschehen nach dem Prinzip „Fragen stellen“ in Bezug auf das Mentalisieren, Priorität im Hier und Jetzt, einfache und kurze Interventionen, Affektfokussierung und bewusstseinsnahe Inhalte fokussieren.
• Beispielvideo: Verlustgruppe – Psychodynamische Gruppentherapie.