Gerichtssachverständige: Arten und Auswahl

Mögliche Sachverständige

• Gerichtliche Sachverständige können Einzelpersonen, Behörden oder sonstige öffentliche Stellen sein.

Einzelpersonen als gerichtliche Sachverständige

• Einzelpersonen sind der Regelfall im Zivil- und Strafprozess.
• Für Sachverständige als Einzelpersonen gelten spezielle Vorschriften, z. B. zur Vereidigung oder Ablehnung.
• Jede natürliche Person mit Sachkompetenz kann Sachverständiger sein.
• Charakterliche Reife ist erforderlich; daher werden Minderjährige selten beauftragt.
• Die deutsche Staatsangehörigkeit ist keine Voraussetzung.
• Öffentlich bestellte Sachverständige sind bevorzugt zu wählen, außer besondere Umstände erfordern einen anderen.
• Richter haben freie Wahl, aber öffentliche Bestellung bietet eine Garantie für Sachkunde und Eignung.

Öffentlich bestellte Sachverständige

• Die öffentliche Bestellung und Vereidigung erfolgt durch Verwaltungsakt der zuständigen Stelle.
• Sachverständige müssen ihre Sachkunde nachweisen.
• Persönliche Eignung, Zuverlässigkeit und Fortbildungsbereitschaft sind wichtig.
• Wiederholte Fehler oder Pflichtverletzungen können zum Entzug der Zulassung führen.
• Die Bestellung erfolgt durch Industrie- und Handelskammer (IHK), Handwerkskammer (HWK) oder Landwirtschaftskammer/Bezirksregierung.
• Eine Zertifizierung nach Euro-Normen ist nicht gleichwertig, wird aber zunehmend als solche betrachtet.
• IHKs sind für die Bestellung aller Sachverständigen zuständig, außer für Landwirtschaft.
• Die Sachverständigenordnungen der IHK sind im Satzungsrecht verankert und basieren auf Mustern des DIHK.
• Landwirtschaftliche Sachverständige werden von unterschiedlichen Stellen in den Bundesländern bestellt.
• Die Zulassung erfolgt auf Basis von Sachverständigenordnungen, die sich an den DIHK-Mustern orientieren.
• Voraussetzung ist der Nachweis besonderer Sachkunde und persönlicher Eignung.
• Die IHK kann die Sachkunde in einem prüfungsähnlichen Verfahren feststellen.
• Vorausgesetzt werden überdurchschnittliches Fachwissen und langjährige Berufserfahrung.
• Der Bewerber muss das Wissen in Gutachten umsetzen können.

Persönliche Eignung

• Die persönliche Eignung basiert auf Zuverlässigkeit, Gesetzestreue und Redlichkeit.
• Die persönliche Eignung ist abzulehnen, wenn sich jemand fälschlich als öffentlich bestellter Sachverständiger ausgibt oder straffällig geworden ist.
• Eine Bestellung kann verweigert werden, wenn vertrauliche Personen sich gegen die Bestellung aussprechen, der Bewerber nicht im Bezirk der IHK wohnt oder ein Insolvenzverfahren läuft.
• Eine Bestellung kann befristet werden.
• Altersgrenzen bei der Bestellung wurden 2012 aufgehoben, da sie eine ungerechtfertigte Benachteiligung darstellen.
• Öffentlich bestellte Sachverständige werden von der bestellenden Stelle vereidigt.
• Bestellung und Vereidigung gelten für ein bestimmtes Sachgebiet.
• Sachverständige müssen die Bezeichnung „öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für..." führen. Andernfalls verstößt es gegen die Sachverständigenordnung und der mit dem Auftraggeber geschlossene Vertrag kann nichtig sein.

Prozessuale Bevorzugung

• Die prozessuale Bevorzugung öffentlich bestellter Sachverständiger gilt nur für das benannte Sachgebiet.
• Für dieses besteht eine Begutachtungspflicht bei Beauftragung durch Gericht/Staatsanwaltschaft.
• Diese Pflicht entfällt bei Aufträgen außerhalb des Fachgebietes.
• Die IHK prüft, ob für ein bestimmtes Sachgebiet Bedarf besteht.
• Öffentlich bestellte Sachverständige unterliegen der Schweigepflicht.
• Die Berufsbezeichnung "öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger" ist gesetzlich geschützt.
• Bei Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit unterliegt der Sachverständige der Gewerbesteuer.

Bestellung nach § 91 HwO

• Sachverständige für Gutachten über Qualität und Preise von Handwerksleistungen werden nach § 91 I Nr. 8 HwO öffentlich bestellt und vereidigt.
• Zuständig ist die jeweilige Handwerkskammer.
• Maßgebliche Vorschriften werden von der Vollversammlung der Handwerkskammern erlassen.
• Gutachten, die lediglich den Wert von Fahrzeugen, Gebäuden etc. bestimmen, gehören nicht zu den Aufgaben eines Handwerkssachverständigen.
• Die Bestellung ist abhängig vom Bedarf für ein bestimmtes Sachgebiet.
• Auswahl, Ablehnung und Bestellung entsprechen dem Vorgehen bei gewerblichen Sachverständigen.
• Abweichungen zu den IHK-Vorschriften ergeben sich aus der Mustersachverständigenordnung des Deutschen Handwerkskammertages.

Ärzte, Wirtschaftsprüfer, Vermessungsingenieure

• Bestimmte Vertreter freier Berufe sowie Beamte/Angestellte werden bevorzugt als Sachverständige herangezogen.
• Ärzte werden nicht öffentlich zu Sachverständigen bestellt, sind aber zur Erstattung von Gerichtsgutachten verpflichtet.
• In Bayern gibt es Landgerichtsärzte, die an dem Landgericht tätig sein müssen, für das sie aufgestellt sind.
• Sie erstatten Gutachten vor allem zur Geschäftsfähigkeit, Verhandlungsfähigkeit, zur Verantwortlichkeit und zur Feststellung von psychischen Erkrankungen.
• Weiterhin werden sie zur Leichenschau und Leichenöffnung herangezogen.
• Das Gericht kann aber auch einen anderen Arzt wählen, wenn zu erwarten ist, dass er auf dem speziellen Gebiet die größere Fachkunde besitzt.
• Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer sind weitgehend gleichgestellt, wenn sie auf der Grundlage Wirtschaftsprüfungsordnung bestellt/anerkannt werden.
• Ein vereidigter Wirtschaftsprüfer kann als Sachverständiger in der Beie wirtschaftlichen Betriebsführung auftreten.
• Für den vereidigten Buchprüfer ist es die betriebliche Rechnungsführung.
• Freiberufliche Vermessungsingenieure werden auf der Grundlage länderrechtlicher Berufsordnungen zugelassen und können für Sachverhalte auf vermessungstechnischem Gebiet als Sachverständige zum Einsatz kommen.

Amtliche und amtlich anerkannte Sachverständige

• Personen, die im Interesse der öffentlichen Sicherheit Prüfungs- und Überwachungsaufgaben wahrnehmen, gehören nicht zu den öffentlich bestellten Sachverständigen.
• Sie werden vom Gericht bevorzugt zum Gutachter bestellt, wenn es sich um die Aufklärung sicherheitstechnischer Sachfragen handelt.
• Sachverständige nach dem Gerätesicherheitsgesetz (GSG) sind für die Überprüfung überwachungspflichtiger Anlagen wie Dampfkessel, Gasbehälter, Aufzüge zuständig.
• In den meisten Bundesländern werden die Prüfungen solcher Anlagen von amtlich anerkannten Sachverständigen durchgeführt, die den technischen Überwachungsvereinen (TÜV) angehören.
• Amtlich anerkannte Sachverständige für den Kraftfahrzeugverkehr sind auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts tätig.
• Voraussetzung ist eine Prüfung auf Grundlage des Kraftfahrsachverständigengesetzes.
• Sie gehören den technischen Prüfstellen für den Kraftfahrzeugverkehr an, welche wiederum Abteilungen des TÜV sind.
• Zu den Personen, welche mit Prüfungsaufgaben im Interesse der öffentlichen Sicherheit betraut sind, gehören auch die Bezirksschornsteinfegermeister.
• Aufgabe ist die Prüfung und Begutachtung von Schornsteinen, Feuerstätten.
• Sie können außerdem von der Handwerkskammer als Sachverständige öffentlich bestellt und vereidigt werden.

Staatlich anerkannte Sachverständige

• Staatlich anerkannte Sachverständige werden mit der bauaufsichtlichen Prüfung vor Erteilung einer Baugenehmigung beauftragt.
• Ihre Tätigkeit ist durch Verordnungen über staatlich anerkannte Sachverständige geregelt, welche auf den jeweiligen Landesbauordnungen basieren.

Angehörige des öffentlichen Dienstes

• Beamte, Richter und andere Personen des öffentlichen Dienstes werden nach beamtenrechtlichen Vorschriften als Sachverständige vernommen.
• Die Sachverständigentätigkeit, die im Rahmen der Dienstaufgabe des Angehörigen des öffentlichen Dienstes vor Gericht erbracht wird, ist von der Sachverständigentätigkeit als Nebentätigkeit zu unterscheiden.
• Unter Umständen ist eine Genehmigung des Dienstvorgesetzten für die Sachverständigentätigkeit erforderlich.
• Beamte des Bundes dürfen nur mit Genehmigung des Dienstvorgesetzten vor Gericht Erklärungen abgeben.

Behörden und andere öffentliche Stellen

• Nach § 83 StPO kann das Gericht oder die Staatsanwaltschaft auch eine Fachbehörde mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragen.
• Behörden und öffentliche Stellen sind als gerichtliche Sachverständige anzusehen.
• Behörden erfüllen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung sowie sonstige öffentliche Stellen als gerichtlich Sachverständige in Frage.
• Diese gehören rechtsfähigen Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen an.
• Industrie- und Handelskammern, Landeskriminalämter, Bundesbank sind nur einige Beispiele.
• Gutachterausschüsse nach dem Baugesetzbuch und Wetterämter können auch als Sachverständige dienen.

Prozessuale Besonderheiten der Verwertung eines Behördengutachtens nach der ZPO

• Bei Behörden als Sachverständige ergeben sich Abweichungen zu den Vorschriften für Einzelpersonen.
• Eine Behörde kann nicht wegen Befangenheit abgelehnt werden und nicht vereidigt werden.
• Eine Behörde kann nicht zur mündlichen Erörterung geladen werden.
• Parteien können schriftlich Fragen zur näheren Erläuterung eines Behördengutachtens stellen.
• Auch für Einwände müssen die Parteien die schriftliche Form wählen.
• Eine mündliche Erläuterung ist durch die natürliche Person, welche das Gutachten erstellt hat, oder durch einen Vertreter zu entsenden.

Prozessuale Besonderheiten der Verwertung eines Behördengutachtens nach der StPO

• Behördengutachten haben im Strafverfahren besondere Bedeutung.
• Sie können bei Verfahren zur Aufklärung bedeutender Sachverhalte eingeholt werden.
• Urkundenbeweis kann durch Verlesung erhoben werden, auch wenn der Verfasser nicht persönlich vernommen wird.
• Dieses prozesserleichternde Verfahren stellt einen Vorteil der Behördengutachten dar.
• Bei mündlicher Vernehmung wird ein Vertreter auszuwählen und beauftragt.
• Der Vertreter kann aber nicht vereidigt werden.

Private Organisationen oder Institute

• Die Verwertung von Gutachten privater Organisationen und Institute ist sowohl im Straf- als auch im Zivilprozess unzulässig.
• Gutachten dürfen nur von natürlichen Einzelpersonen oder von Behörden eingeholt werden.
• In der gerichtlichen Praxis werden Gutachten privater Organisationen dennoch häufig verwendet, was einen Verfahrensfehler darstellt.
• Wird dieses Vorgehen aber nicht beanstandet, gilt der Fehler als geheilt.
• Delegiert das Gericht die Auswahl des begutachtenden Mitarbeiters an die private Organisation, liegt ein Verstoß gegen § 404 I ZPO vor.

Sachverständigengruppen, Teamgutachten

• Das Gericht kann mehrere Sachverständige bestellen, wodurch eine Sachverständigengruppe zum gerichtlichen Sachverständigen wird.
• Es muss hervorgehoben werden, welches Mitglied des Teams für welchen Teil des Gutachtens zuständig ist.
• Eine Team-Arbeit, bei der die Mitglieder gemeinschaftlich die Fragen bearbeiten, ist im gerichtlichen Verfahren eine Ausnahme.
• Problematisch ist, dass nicht jeder Gutachter gleichermaßen für die Arbeit eines anderen mit vereidigt würde.
• Jedoch kommt der Team-Arbeit im privatrechtliche Bereich breite Anwendung zu.
• Dies muss auch im Gutachten dargestellt werden.

Weitere Informationen zu Sachverständigengruppen und Hilfskräften

• Nach strenger Befolgung der ZPO und StPO wären alle Mitglieder einzeln zu hören und zu vereidigen, was aber toleriert wird.
• Oft wird nur der Leiter der Gruppe vernommen, wenn er die Ergebnisse zusammenfasst, prüfen und die Verantwortung übernehmen kann.
• Der Leiter der Sachverständigengruppe übernimmt oft Verantwortung für Teilgebiete, die er nicht mit erarbeitet hat.
• Die Mitglieder der Sachverständigengruppe werden dadurch nicht zu "Hilfsgutachtern".

Abgrenzung Sachverständigengruppe – Hilfskräfte

• Von den Mitgliedern einer Sachverständigengruppe zu unterscheiden sind die Hilfskräfte.
• Ein gerichtlicher Sachverständiger kann Hilfskräfte hinzuziehen.

Tätigkeitsfelder der Hilfskräfte

• Einfache, untergeordnete manuelle Tätigkeiten, welche keinen Einfluss auf die Aussage des Gutachtens haben können.
• Unterstützende Tätigkeiten wie das Bedienen von Maschinen, welche nur bei arglistiger Handlung das Gutachten beeinflussen
• Untersuchungen zur Feststellung Tatsachen, welche die Grundlage für die Bewertung der Sachlage durch den Sachverständigen bilden und somit das Ergebnis des Gutachtens beeinflussen können, selbst aber keine Bewertungen enthalten müssen (Laboranalysen, Materialprüfungen, medizinische Untersuchungen u.s.w.).
• Untersuchungen und Bewertungen, wie Untersuchungen von Tauglichkeit und Funktionsfähigkeit von Maschinen und Anlagen
• Gutachten sind die Tätigkeiten der „Hilfskräfte" darzulegen, so dass sich das Gericht ein Bild davon machen kann, wie das Gutachten verfahrensrechtlich korrekt zu verwerten ist.

Auswahl des gerichtlichen Sachverständigen

• Die Auswahl der gerichtlichen Sachverständigen ist Aufgabe des Gerichts.
• Das Gericht kann diese Aufgabe nicht delegieren.
• Dennoch kann sich das Gericht bei der Auswahl des Sachverständigen von Fachleuten oder Sachverständigenorganisationen beraten lassen.

Auswahl des gerichtlichen Sachverständigen in der Zivilprozessordnung

• Kollegialgerichte müssen die Auswahl des Sachverständigen gemeinsam treffen.
• Beauftragt ein Kollegium ein Mitglied mit der Beweisaufnahme, so kann es diesen beauftragen Richter auch zur Auswahl des Sachverständigen ermächtigen

Auswahl des gerichtlichen Sachverständigen in der Strafprozessordnung

• Im Strafprozess gibt es keine dem § 405 ZPO entsprechende Vorschrift.
• Wird der Sachverständige gem. § 223 StPO kommissarisch vernommen, kann die Auswahl des Sachverständigen an den ersuchten Richter eines anderen Gerichts übertragen werden.

Einfluss der Prozessbeteiligten auf die Auswahl

• Nach § 404 III ZPO, können die Parteien Personen bezeichnen, „die geeignet sind, als Sachverständige vernommen zu werden".
• Im Zivilprozess bestimmt § 404 IV ZPO, dass das Gericht der Auswahl des Sachverständigen durch die Parteien folgen muss, wenn sich diese über bestimmte Personen als Sachverständige geeinigt haben
• Auch im Sozialgerichtsverfahren findet § 404 IV ZPO keine Anwendung.

Vorgehensweise und Hilfsmittel bei der Auswahl

• Vor der persönlichen Auswahl eines Sachverständigen erfolgt die Auswahl der Fachrichtung des zuzuziehenden Sachverständigen.
• Bei der Auswahl der Person des Sachverständigen kann sich das Gericht der Sachverständigenverzeichnisse der Industrie- und Handelskammern, der Handwerkskammern, der Bezirksregierungen sowie von Verbänden bedienen.
• Bei sehr ausgefallenen oder spezialisierten Fachgebieten empfiehlt es sich für das Gericht, telefonisch bei den Auskunftstellen oder auch bei dem Sachverständigen selbst Einzelheiten nachzufragen.