Skript T1 LA Kapitel 2 PDF
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This document introduces vector calculus and linear algebra concepts, including vector spaces, vector operations, and linear independence. It defines vector addition, scalar multiplication, linear combinations, and bases, and gives examples of how to calculate the scalar product. With exercises to practice the learned concepts.
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## 2 Vektorrechnung ### 2.1 Grundlagen Man möchte Rechenoperationen wie + oder . auf gewissen kartesischen Produkten definieren. Motiviert ist dies vor allem durch die Geometrie. Die formale mathematische Struktur ist die eines Vektorraums. **Definition 2.1 (informale Definition eines Vektorraums)...
## 2 Vektorrechnung ### 2.1 Grundlagen Man möchte Rechenoperationen wie + oder . auf gewissen kartesischen Produkten definieren. Motiviert ist dies vor allem durch die Geometrie. Die formale mathematische Struktur ist die eines Vektorraums. **Definition 2.1 (informale Definition eines Vektorraums).** Eine Menge V mit einer sinnvoll definierten Addition von Elementen und skalaren Multiplikation mit Elementen einer Menge F bezeichnet man als Vektorraum (über F). **Ein Vektor v ist ein Element aus einem Vektorraum V**. Diese sehr wenig anschauliche Definition wollen wir nun konkreter verstehen. **Beispiel 2.2.** Wir werden uns hauptsächlich mit dem Vektorraum R<sup>n</sup> und der Menge F=R beschäftigen. Das bedeutet, dass Vektoren für uns Elemente v sind, die aus Komponenten v<sub>1</sub>, v<sub>2</sub>, ..., v<sub>n</sub> bestehen. Vektoren aus dem R<sup>n</sup> werden meist als Spaltenvektoren dargestellt: ``` v = (v<sub>1</sub>) : (v<sub>n</sub>) ``` Wir können auch v=(v<sub>1</sub>, ..., v<sub>n</sub>)<sup>T</sup> schreiben. Dies meint das selbe Objekt. Die Notation (...)<sup>T</sup> steht für das sogenannte Transponieren, das aus Zeilen Spalten und umgekehrt macht. Die Zahl n ist die Dimension des Vektorraums. Sie bestimmt, wie viele Komponenten ein Vektor v besitzt. Die geometrisch wichtigsten Beispiele sind R<sup>2</sup> = R x R, was man sich anschaulich als Ebene vorstellen kann und R<sup>3</sup>, was den dreidimensionalen Raum repräsentiert. **Bemerkung 2.3 (Geometrische Interpretation eines Vektors).** Einen Vektor kann man sich als eine gerichtete Strecke im Raum bzw. in der Ebene vorstellen. Er wird durch einen Pfeil dargestellt. Die Länge des Pfeils entspricht dabei dem Betrag/der Größe des Vektors und die Richtung des Pfeils zeigt die Orientierung. Die einzelnen Komponenten des Vektors entsprechen den Koordinaten in einem kartesischen Koordinatensystem. **Bemerkung 2.4 (Vektoren in der Physik).** In der Physik oder Mechanik werden Vektoren verwendet, um richtungsabhängige Größen zu beschreiben. Beispiele sind die Strecke s, Geschwindigkeit v, Beschleunigung a, Kraft F, Impuls p, etc. Richtungsunabhängige Größen werden dagegen als Skalare, d.h. Zahlen dargestellt. Das sind zum Beispiel die Masse m, die Tempereatur T oder die Spannung U. **Merke:** Skalare (zahlen) beschreiben lediglich den Betrag, also die Größe einer physikalischen Größe, während Vektoren geeignet sind, sowohl den Betrag als auch die Richtung zu beschreiben. ### 2.2 Vektoroperationen Wir definieren nun eine Addition von Vektoren und eine Skalarmultiplikation, d.h. eine Multiplikation von Zahlen mit Vektoren. **Definition 2.10.** Seien v, w ∈ R<sup>n</sup> und λ ∈ R. Dann definieren wir ``` v + w = (v<sub>1</sub>) + (w<sub>1</sub>) = (v<sub>1</sub> + w<sub>1</sub>) : : : (v<sub>n</sub>) + (w<sub>n</sub>) = (v<sub>n</sub> + w<sub>n</sub>) ``` sowie ``` λv = λ(v<sub>1</sub>) = (λv<sub>1</sub>) : : (v<sub>n</sub>) = (λv<sub>n</sub>) ``` Die Addition zweier Vektoren und die Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar werden also komponentenweise durchgeführt. **Satz 2.11.** Es gelten die folgenden Rechenregeln: Seien u, v, w ∈ R<sup>n</sup> und λ, μ ∈ R. Dann gilt: - u + v = v + u, - u + (v + w) = (u + v) + w, - λ(u + v) = λu + λv, - (λμ)u = λ(μu) = μ(λu), - (λ+μ)u = λu + μu, - |λ| = |λ| · |u|, **Bemerkung 2.12.** Wir können die Vektoraddition graphisch verstehen. Seien v, w ∈ R<sup>2</sup> gegeben. Um die Summe v + w zu bestimmen, verschiebt man w parallel so, dass sein Anfang an der Spitze von v liegt. Der Vektor v + w ist dann gegeben durch die Verbindungsstrecke zwischen dem Ausgangspunkt von v und dem Endpunkt des verschobenen Vektors w. ## 2.3 Lineare Unabhängigkeit und Basen Wir haben im letzten Abschnitt die Summe von Vektoren und die Skalarmultiplikation definiert. Damit können wir nun die Begriffe der Linearkombination, der linearen Abhängigkeit und der Basis definieren. **Definition 2.23.** Seien v<sub>1</sub>, ..., v<sub>k</sub> ∈ R<sup>n</sup> Vektoren. Dann nennt man jeden Vektor v ∈ R<sup>n</sup> eine Linearkombination der Vektoren v<sub>1</sub>, ..., v<sub>k</sub>, der sich als ``` v = λ<sub>1</sub>v<sub>1</sub> + λ<sub>2</sub>v<sub>2</sub> + ... + λ<sub>k</sub>v<sub>k</sub> ``` mit λ<sub>1</sub>, λ<sub>2</sub>, ..., λ<sub>k</sub> ∈ R darstellen lässt. Die Zahlen λ<sub>1</sub>, λ<sub>2</sub>, ..., λ<sub>k</sub> ∈ R bezeichnet man als Koeffizienten der Linearkombination. **Beispiel 2.24.** Seien v<sub>1</sub> = (3, 1)<sup>T</sup> und v<sub>2</sub> = (2, 4)<sup>T</sup>. Der Vektor v = (4, -2)<sup>T</sup> ist eine Linearkombination von v<sub>1</sub>, v<sub>2</sub>, denn es gilt ``` ( 4 ) = 2 ( 3 ) + ( - 1 ) ( 2 ) ( - 2 ) ( 1 ) ( 4 ) ``` Graphisch bedeutet das, dass sich v durch Addition von skalierten und gespiegelten Versionen von v<sub>1</sub>, v<sub>2</sub> darstellen lässt. **Übungsaufgabe 2.8.** Wir betrachten folgende Vektoren im R<sup>3</sup>: - v<sub>1</sub> = (1, -2, 0)<sup>T</sup> - v<sub>2</sub> = (0, 0, 3)<sup>T</sup> - u = (-3, 6, 2)<sup>T</sup> - w = (2, 1, 1)<sup>T</sup>. Überprüfen Sie, ob sich einer der beiden Vektoren u, w als Linearkombination von v<sub>1</sub> und v<sub>2</sub> darstellen lässt. Wir wollen nun ein Kriterium finden, unter dem die Darstellung eines Vektors v als Linearkombination von v<sub>1</sub>, v<sub>2</sub>, ..., v<sub>k</sub> eindeutig ist, also dass die Koeffizienten λ<sub>1</sub>, λ<sub>2</sub>, ..., λ<sub>k</sub> eindeutig sind. **Beispiel 2.25.** Betrachte v<sub>1</sub> = (1, 2), v<sub>2</sub> = (0, -1), v<sub>3</sub> = (3, 1). Dann gilt ``` 0 = 3v<sub>1</sub> + (-5)v<sub>2</sub> + (-1)v<sub>3</sub> = 0v<sub>1</sub> + 0v<sub>2</sub> + 0v<sub>3</sub>. ``` Die Darstellung des Nullvektors als Linearkombination ist also nicht eindeutig (man kann sowohl λ<sub>1</sub> = 3, λ<sub>2</sub> = -5, λ<sub>3</sub> = -1 als auch λ<sub>1</sub> = λ<sub>2</sub> = λ<sub>3</sub> = 0 wählen). **Definition 2.26.** Eine Familie von k Vektoren v<sub>1</sub>, v<sub>2</sub>, ..., v<sub>k</sub> heißt linear abhängig, wenn sich der Nullvektor nicht trivial kombinieren lässt, also wenn ``` 0 = λ<sub>1</sub>v<sub>1</sub> + ... + λ<sub>k</sub>v<sub>k</sub>, ``` wobei mindestens ein λ<sub>i</sub> ≠ 0. Äquivalent dazu ist, dass sich mindestens einer der Vektoren als Linearkombination der anderen darstellen lässt. Eine solche Familie von Vektoren heißt linear unabhängig, wenn die einzige Möglichkeit, den Nullvektor als Linearkombination zu erhalten ist, dass λ<sub>1</sub> = λ<sub>2</sub> = ... = λ<sub>k</sub> = 0. **Bemerkung 2.27.** Sollte es eine weitere nicht triviale Linearkombination des Nullvektors geben, dann gibt es automatisch unendlich viele solcher Linearkombinationen. Das System aus dem obigen Beispiel ist demnach linear abhängig. Ein linear abhängiges System beinhaltet „zu viele" Vektoren, weil sich mindestens einer der Vektoren bereits durch die anderen darstellen lässt. Man kann also mindestens einen Vektor entfernen und trotzdem die gleichen Vektoren als Linearkombinationen darstellen. **Übungsaufgabe 2.9.** Prüfen Sie, ob die folgenden Systeme linear abhängig oder linear unabhängig sind: 1. v<sub>1</sub> = (5, 4), v<sub>2</sub> = ( 3, 1), v<sub>3</sub> = ( 1, -3) im R<sup>2</sup>. 2. w<sub>1</sub> = (1, 2, 0)<sup>T</sup>, w<sub>2</sub> = (0, 2, -3)<sup>T</sup>, w<sub>3</sub> = (0, 0, 1)<sup>T</sup> im R<sup>3</sup>. 3. v = (2, -4, 3)<sup>T</sup>, w = (-3, 3, -21)<sup>T</sup> im R<sup>3</sup>. **Übungsaufgabe 2.10.** Begründen Sie: Eine Familie v<sub>1</sub>, v<sub>2</sub>, ..., v<sub>k</sub> von Vektoren im R<sup>n</sup> ist immer linear abhängig, wenn einer der Vektoren der Nullvektor ist, also v<sub>i</sub> = 0 für ein i. **Satz 2.28.** Die Anzahl der Vektoren in einer linear unabhängigen Familie ist im R<sup>n</sup> auf n Vektoren beschränkt. Beweis. Das können wir später beweisen, wenn wir das Gaußsche Eliminationsverfahren kennengelernt haben (siehe Kapitel 3.1). Wir wollen nun besondere linear unabhängige Familien betrachten, die sogenannten Basen: **Definition 2.29.** Eine Familie von Vektoren v<sub>1</sub>, ..., v<sub>k</sub> heißt Basis des Vektorraums R<sup>n</sup>, wenn sie folgende Eigenschaften hat: 1. Die Vektoren v<sub>1</sub>, ..., v<sub>k</sub> sind linear unabhängig. 2. Die Vektoren v<sub>1</sub>, ..., v<sub>k</sub> bilden ein Erzeugendensystem, d.h. für jedes v ∈ R<sup>n</sup> gibt es λ<sub>1</sub>, λ<sub>2</sub>, ..., λ<sub>k</sub> ∈ R so, dass ``` v = λ<sub>1</sub>v<sub>1</sub> + λ<sub>2</sub>v<sub>2</sub> + ... + λ<sub>k</sub>v<sub>k</sub> ``` gilt. Das bedeutet, dass jeder Vektor v aus dem Vektorraum eindeutig als Linearkombination der Basisvektoren v<sub>1</sub>, ..., v<sub>k</sub> dargestellt werden kann. Die Länge der Basis (d.h. Anzahl der Basisvektoren) k bezeichnet man als Dimension des Vektorraums. **Satz 2.30.** Die Dimension von R<sup>n</sup> ist n. **Beispiel 2.31 (Standardbasis).** Die Standardbasis, auch kanonische Basis genannt, des R<sup>2</sup> ist gegeben durch ``` e<sub>1</sub> = ( 1 ) , e<sub>2</sub> = ( 1 ). ( 0 ) ( 0 ) ``` Beachte, dass es sich bei e<sub>1</sub>, e<sub>2</sub> um Einheitsvektoren handelt. Jeder Vektor v ∈ R<sup>2</sup> kann als Linearkombination von e<sub>1</sub>, e<sub>2</sub> dargestellt werden: ``` v = ( v<sub>1</sub> ) = v<sub>1</sub>e<sub>1</sub> + v<sub>2</sub> e<sub>2</sub> = v<sub>1</sub> ( 1 ) + v<sub>2</sub> ( 1 ). ( v<sub>2</sub> ) ( 0 ) ( 0 ) ``` **Merke:** Die Komponenten des Vektors v sind die Koeffizienten der Linearkombination bezüglich der kanonischen Basis e<sub>1</sub>, e<sub>2</sub>. Die Standardbasis des R<sup>3</sup> ist analog gegeben durch ``` e<sub>1</sub> = ( 1 ) , e<sub>2</sub> = ( 1 ) , e<sub>3</sub> = ( 1 ). ( 0 ) ( 0 ) ( 0 ) ( 0 ) ( 1 ) ( 0 ) ( 0 ) ( 0 ) ( 1 ) ``` Auch diese Basis besteht aus Einheitsvektoren und die Komponenten eines Vektors sind die Koeffizienten der Linearkombination bezüglich der kanonischen Basis. Genau so definiert man die Standardbasis des R<sup>n</sup> für jedes n ∈ N. Dabei ist jeweils ``` e<sub>i</sub> = (0, 0, ..., 0, 1, 0, . . ., 0), ``` wobei die 1 in der i-ten Komponente des Vektors steht. **Übungsaufgabe 2.11.** Zeigen Sie die lineare Unabhängigkeit der drei Vektoren ``` a = ( 0 ) , b = ( 1 ) , c = ( 0 ). ( 1 ) ( 1 ) ( -1 ) ( 1 ) ( 0 ) ( 1 ) ``` und stellen Sie den Vektor r = ( -1 ) als Linearkombination dieser Vektoren dar. ( 1 ) Wie lauten die Vektorkomponenten von r bezüglich a, b, c? ## 2.4 Skalarprodukt Das Skalarprodukt zweier Vektoren ist eine Zahl. Wir werden sehen, dass das Skalarprodukt eine geometrische Bedeutung hat. **Definition 2.32 .** Das Skalarprodukt zweier Vektoren v, w ∈ R<sup>n</sup> ist definiert durch ``` v ⋅ w = ( v<sub>1</sub> ) ⋅ ( w<sub>1</sub> ) = v<sub>1</sub>w<sub>1</sub> + v<sub>2</sub>w<sub>2</sub> + ... + v<sub>n</sub>w<sub>n</sub> = ∑<sup>n</sup><sub>i=1</sub> v<sub>i</sub>w<sub>i</sub> : : : ( v<sub>n</sub> ) ⋅ ( w<sub>n</sub> ) ``` Man multipliziert also die passenden Komponenten der beiden Vektoren miteinander und addiert die Produkte. Manchmal nutzen wir auch die Notation (v, w) für das Skalarprodukt. **Beispiel 2.33 .** Wir berechnen das Skalarprodukt der Vektoren ``` v = ( 2 ) , w = ( -1 ) ( - 3 ) ( - 4 ) ( 1 ) ( 2 ) ``` Es gilt ``` v ⋅ w = 2 · (-1) + (-4) · (-3) + 1 · 2 = -2 + 12 + 2 = 12. ``` **Übungsaufgabe 2.12.** Berechnen Sie das Skalarprodukt der folgenden zwei Vektoren: 1. v = (-1, 2)<sup>T</sup>, w = (4, 3)<sup>T</sup>. 2. v = w = (-2, 1, 0)<sup>T</sup>. **Satz 2.34.** Seien u, v, w ∈ R<sup>n</sup> und λ ∈ R. Es gelten: 1. Symmetrie: v ⋅ w = w ⋅ v. 2. Linearität in beiden Argumenten: - (u + λv) ⋅ w = u ⋅ w + λ(v ⋅ w) = u ⋅ w + (λv) ⋅ w = u ⋅ w + v ⋅ (λw) - u ⋅ (v + λw) = u ⋅ v + λu ⋅ w. 3. **Positive Definitheit:** Für v ∈ R<sup>n</sup>\{ 0} gilt: v ⋅ v = |v|<sup>2</sup> > 0. Das Skalarprodukt ist also eine symmetrische positiv definite Bilinearform. Die geometrische Bedeutung des Skalarprodukts sieht man in folgender bemerkenswerter Aussage **Satz 2.35.** Seien v, w ∈ R<sup>n</sup>. Mit φ bezeichnen wir den (kleineren) Winkel 0° ≤ φ ≤ 180°, der zwischen v und w eingeschlossen ist. Dann gilt ``` v ⋅ w = |v| |w| cos(φ). ``` Diese Aussage wollen wir geometrisch herleiten. Wir tuen dies exemplarisch in R<sup>2</sup> für Winkel 0° ≤ φ ≤ 90°. Zunächst halten wir aber noch fest: **Satz 2.36.** Seien v, w ∈ R<sup>n</sup>. Die Vektoren sind genau dann orthogonal zueinander, stehen also im kartesischen Koordinatensystem senkrecht aufeinander, wenn v ⋅ w = 0. Wir schreiben dann v ⊥ w. **Bemerkung 2.37.** Ein möglicher Beweis benutzt den Satz des Pythagoras: Sind zwei Vektoren v, w zueinander orthogonal, dann gilt ``` |v + w|<sup>2</sup> = |v|<sup>2</sup> + |w|<sup>2</sup>. ``` Wenn man dann die Definition des Betrags einsetzt und äquivalent umformt, erhält man, dass diese Gleichheit äquivalent zu 2(v ⋅ w) = 0 ist. **Übungsaufgabe 2.13.** Führe den Beweis für Vektoren im R<sup>2</sup> durch: Zeige, dass zwei Vektoren v ≠ 0 und w≠ 0 orthogonal zueinander sind, genau dann wenn ihre Skalarprodukt Null ist. **Beispiel 2.38 (Standardbasis).** Die Vektoren der Standardbasis, die wir in Beispiel 2.31 kennengelernt haben, sind jeweils orthogonal zueinander. Da die Vektoren auch Einheitsvektoren (also normiert) sind, bezeichnet man die Standardbasis als eine Orthonormalbasis. **Beweis von Satz 2.35.** Wir zerlegen den Vektor w in die Summe w = w<sub>⊥</sub> + w<sub>||</sub>. Dabei ist w<sub>⊥</sub> orthogonal zu v und w<sub>||</sub> ist parallel zu v. Bekanntlich gilt ``` cos(φ) = |w<sub>⊥</sub>| / |w| = Länge der Ankathete / Länge der Hypothenuse. ``` Damit berechnen wir mit der Linearität ``` v ⋅ w = v ⋅ (w<sub>⊥</sub> + w<sub>||</sub>) = v ⋅ w<sub>⊥</sub> + v ⋅ w<sub>||</sub> = 0 = v ⋅ w<sub>||</sub>. ``` Nun halten wir fest, dass w<sub>||</sub> und v parallel zueinander sind und daher haben sie den gleichen Einheitsvektor ``` w<sub>||</sub> = ( w<sub>||</sub> ) = ( w<sub>||</sub> ) v = w<sub>||</sub>v. ||w<sub>||</sub>|| ||v|| ``` Damit berechnen wir weiter ``` v ⋅ w<sub>||</sub> = |v| v ⋅ w<sub>||</sub> = |v| |w<sub>||</sub>| (v ⋅ v) = |v| |w<sub>||</sub>| |v|<sup>2</sup> = |v| |w<sub>||</sub>|, ``` weil |v|<sup>2</sup> = 1 gilt. Mit der obigen Formel für den Cosinus folgt ``` v ⋅ w = |v| |w| cos(φ). ``` **Bemerkung 2.39.** Sind speziell v, w Einheitsvektoren, d.h. |v| = |w| = 1, die einen spitzen Winkel 0° < φ < 90° einschließen, so sehen wir mit dem Beweis von gerade, dass ``` v ⋅ w = cos(φ) = |w<sub>||</sub>|. ``` Das Skalarprodukt ist also der Anteil von w in Richtung v. Auch umgekehrt gilt: v ⋅ w ist der Anteil von v in Richtung w. **Bemerkung 2.40.** Mit Hilfe der äquivalenten Darstellung des Skalarprodukts erhalten wir eine Formel zur Winkelberechnung. Für den Winkel φ zwischen zwei Vektoren v und w gilt ``` φ = arccos(v ⋅ w / |v| |w| ). ``` **Beispiel 2.41.** Wir wollen den Winkel zwischen ``` v = (3, 2, 4)<sup>T</sup>, w = (2, 1, -1)<sup>T</sup> ``` berechnen. Es gilt ``` φ = arccos ( v ⋅ w / |v| |w| ) = arccos ( 3.2 + 2.1 + 4.(-1) / √3<sup>2</sup> + 2<sup>2</sup> + 4<sup>2</sup>.√2<sup>2</sup> + 1<sup>2</sup> + (-1)<sup>2</sup>) = arccos(4 / √29√6) ≈ 72,37°. ``` **Proposition 2.42.** Weil der Cosinus Werte zwischen -1 und 1 annimmt, gilt für beliebige Vektoren v ≠ 0, w ≠ 0: ``` -1 ≤ v ⋅ w / |v| |w| ≤ 1. ``` Dann gibt es drei Fälle: - -1 ≤ v ⋅ w / |v| |w| ≤ 0: Die beiden Vektoren v, w schließen einen **stumpfen Winkel**, also 90° ≤ φ ≤ 180° ein. - v ⋅ w / |v| |w| = 0: Die beiden Vektoren sind zueinander **orthogonal**, der eingeschlossene Winkel beträgt 90°. - 0 < v ⋅ w / |v| |w| ≤ 1: Die beiden Vektoren schließen einen **spitzen Winkel**, also 0° ≤ φ ≤ 90° ein. Im Beweis der Cosinus-Formel für das Skalarprodukt haben wir eine orthogonale Projektion verwendet. Diese können wir wiederum mit Hilfe des Skalarprodukts beschreiben. Es gilt folgende Formel: **Satz 2.43.** Die orthogonale Projektion eines Vektors w auf den Vektor v ist gegeben durch ``` w<sub>||</sub> = ( v ⋅ w / |v|<sup>2</sup> ) v. ``` Zur Veranschaulichung dieser Formel: Die Richtung des Vektors w<sub>||</sub> ist die gleiche wie die von v, also enthält die Formel den Einheitsvektor v = v / |v|. Die Länge der orthogonalen Projektion ist die Richtungsähnlichkeit (gegeben durch v ⋅ w / |v| |w|) multipliziert mit der Länge von w, also |w|. Die Vektoren w und v sind kollinear. Im Fall v ⋅ w > 0 sind sie parallel, im Fall v ⋅ w < 0 sind sie antiparallel. Die Länge/der Betrag des Projektionsvektors w<sub>||</sub> ist ``` |w<sub>||</sub>| = | v ⋅ w / |v|<sup>2</sup> |. ``` **Beispiel 2.44.** Wir berechnen die orthogonale Projektion des Vektors w = (4, - 1, 7)<sup>T</sup> auf den Vektor v = (3, 0, 4)<sup>T</sup>. Dazu berechnen wir zunächst das Skalarprodukt ``` v ⋅ w = ( 3 ) ⋅ ( 4 ) = 12 + 0 + 28 = 40. ( 0 ) ( - 1 ) ( 4 ) ( 7 ) ``` Der Betrag von v ist ``` |v| = √ 3<sup>2</sup> + 0<sup>2</sup> + 4<sup>2</sup> = √9 + 16 = √25 = 5. ``` Die orthogonale Projektion berechnet sich damit durch ``` w<sub>||</sub> = ( v ⋅ w / |v|<sup>2</sup> ) v = ( 40 / 25 ) ( 3 ) = ( 4,8 )<sup>T</sup>. ( 0 ) ( 0 ) ( 4 ) ( 6,4 ) ``` **Beispiel 2.45 (Physikalisches Beispiel).** Wir interessieren uns für die Komponente F<sub>||</sub>, die der Kraftvektor F = ( 2 ) N in Richtung des Verschiebungsvektors s = ( 2 ) m besitzt. Welchen Betrag hat diese Komponente? ( - 1 ) ( - 1 ) ( 2 ) ( 2 ) ( 4 ) ( 1 ) Zunächst berechnen wir das Skalarprodukt ``` F ⋅ s = ( 8 - 2 + 12 ) Nm = 18Nm. ``` Außerdem gilt |s|<sup>2</sup> = (2<sup>2</sup> + (-1)<sup>2</sup> + 2<sup>2</sup>)m<sup>2</sup> = 9m<sup>2</sup>. Mit der Formel für die orthogonale Projektion gilt dann ``` F<sub>||</sub> = ( F ⋅ s / |s|<sup>2</sup> ) s = ( 18Nm / 9m<sup>2</sup>) ( 2 ) m = ( 4 ) N. ( - 1 ) (- 2 ) ( 2 ) ( 4 ) ( 1 ) ( 2 ) ``` Der Betrag der Komponente ist also ``` F<sub>||</sub> = √4<sup>2</sup> +(-2)<sup>2</sup> + 4<sup>2</sup>N = √36N = 6N. ``` **Beispiel 2.46 (Arbeit einer Kraft).** Wird ein Massepunkt m durch eine konstante Kraft F um die Strecke s verschoeben, so ist die an ihm verrichtete Arbeit W per Definition das Skalarprodukt ``` W = F ⋅ s = F ⋅ s cos(φ). ``` Nach den Formeln zur orthogonalen Projektion gilt für die in Richtung des Weges s wirkende Kraftkomponente F<sub>||</sub> die Formel ``` F<sub>||</sub> = F ⋅ s / |s| = F cos φ. ``` Damit erhalten wir die folgende Formel: ``` W = F ⋅ s = F ⋅ s cos(φ) = F<sub>||</sub> ⋅ s. ``` Die Arbeit ist also das Produkt aus dem Betrag der Kraftkomponente in Wegrichtung und der Länge des zurückgelegten Wegs. **Übungsaufgabe 2.14.** Gegeben sei der Vektor a = (0, - 2, 3)<sup>T</sup>. Bestimmen Sie alle Vektoren v, die orthogonal zu a sind. **Übungsaufgabe 2.15.** An einem längs eines geraden Weges s verschiebbaren Körper greift eine konstante Kraft F an, die mit der Bahn des Körpers einen Winkel von α einschließt. Die Arbeit ist definiert als das Produkt aus dem Anteil der Kraft F in Richtung des Weges und dem zurückgelegten Weg. (a) Berechnen Sie die verrichtete Arbeit W für F = 100N, |s| = 200m und α = 60°. (b) Berechnen Sie die verrichtete Arbeit W für F = ( 50 ) N und s = ( 200 ) m. ( 86,6 ) ( 0 ) ( 0 ) **Übungsaufgabe 2.16.** Berechnen Sie die orthogonale Projektion des Vektors v = ( 2, -1, 1)<sup>T</sup> in Richtung des Vektors w = (5, 4, 3)<sup>T</sup> sowie den Winkel zwischen v und w. **Übungsaufgabe 2.17.** Beweisen Sie den Kosinussatz c<sup>2</sup> = a<sup>2</sup> + b<sup>2</sup> - 2ab cos(γ ). ## 2.5 Kreuzprodukt Das Kreuzprodukt ist eine weitere Operation, die zwei Vektoren miteinander verknüpft. Hierbei kommt aber, anders als beim Skalarprodukt, ein Vektor raus. Daher heißt das Kreuzprodukt auch Vektorprodukt. Es ist nur für Vektoren im R<sup>3</sup> definiert. **Definition 2.47.** Für v, w ∈ R<sup>3</sup>, definiere das Kreuzprodukt oder Vektorprodukt als ``` v × w = ( v<sub>1</sub> ) × ( w<sub>1</sub> ) = ( v<sub>2</sub>w<sub>3</sub> - v<sub>3</sub>w<sub>2</sub> ) ( v<sub>2</sub> ) ( w<sub>2</sub> ) ( v<sub>3</sub>w<sub>1</sub> - v<sub>1</sub>w<sub>3</sub> ) ( v<sub>3</sub> ) ( w<sub>3</sub> ) ( v<sub>1</sub>w<sub>2</sub> - v<sub>2</sub>w<sub>1</sub> ) ``` Bevor wir Eigenschaften des Kreuzproduktes festhalten, erklären wir eine Hilfestellung zur Berechnung: Man ergänzt unterhalb der beiden Vektoren jeweils die erste und zweite Komponente noch einmal: ``` ( v<sub>1</sub> ) ( w<sub>1</sub> ) ( v<sub>2</sub> ) ( w<sub>2</sub> ) ( v<sub>3</sub> ) ( w<sub>3</sub> ) ( v<sub>1</sub> ) ( w<sub>1</sub> ) ( v<sub>2</sub> ) ( w<sub>2</sub> ) ``` Dann bildet man immer Differenzen von Produkten, die „überkreuz" liegen. ``` ( v<sub>1</sub> ) ( w<sub>1</sub> ) ( v<sub>2</sub> w<sub>3</sub> - v<sub>3</sub> w<sub>2</sub> ) ( v<sub>2</sub> ) ( w<sub>2</sub> ) ( v<sub>3</sub> w<sub>1</sub> - v<sub>1</sub> w<sub>3</sub> ) ( v<sub>3</sub> ) ( w<sub>3</sub> ) ( v<sub>1</sub> w<sub>2</sub> - v<sub>2</sub> w<sub>1</sub> ) ( v<sub>1</sub> ) ( w<sub>1</sub> ) ( v<sub>2</sub> ) ( w<sub>2</sub> ) ``` **Beispiel 2.48.** Wir berechnen ``` ( 1 ) × ( 2 ) = ( -15 ) ( - 5 ) ( 3 ) ( 0 - 1 ) ( 3 ) ( 1 ) ( 10 ) ``` Jetzt halten wir wichtige Eigenschaften des Kreuzproduktes fest: **Satz 2.49.** 1. Der Vektor v × w is sowohl zu v, also auch zu w orthogonal. 2. Die Vektoren v, w, v × w bilden in dieser Reihenfolge ein **rechtshändiges System** (lassen sich also durch die drei ersten Finger der rechten Hand visualisieren). 3. Es gilt ``` | v × w | = |v| |w| sin(φ), ``` wobei 0° ≤ φ ≤ 180° der von v und w eingeschlossene Winkel ist. 4. Das Kreuzprodukt ist **antikommutativ**: v × w = - (w × v). 5. Das Kreuzprodukt erfüllt die **Distributivgesetze**: Seien u, v, w ∈ R<sup>3</sup>. Dann gelten ``` v × (u + w) = v × u + v × w, (v + w) × u = v × u + w × u. ``` 6. Es gilt für beliebiges λ ∈ R: ``` λ(v × w) = (λv) × w = v × (λw). ``` Die meisten dieser Eigenschaften kann man sehr einfach nachrechnen, nur Nummer 3 ist ein bisschen trickreich. Ein möglicher Beweis benutzt die Tatsache, dass v ⋅ w = |v| |w| cos(φ) sowie die Tatsache, dass für beliebige Winkel cos<sup>2</sup>(φ)+sin<sup>2</sup>(φ) = 1 gilt. Dann rechnet man von Hand mit der Definition aus, dass ``` | v ⋅ w |<sup>2</sup> + | v × w |<sup>2</sup> = |v|<sup>2</sup> |w|<sup>2</sup> ``` gilt. Einige der obigen Eigenschaften sind Teil der folgenden Übungsaufgabe: **Übungsaufgabe 2.18.** Gegeben seien die Vektoren ``` a = ( 4 ) , b = ( 2 ) , c = ( 3 ). ( 6 ) (-1) ( 2 ) ``` Berechnen Sie (a) a × b, (b) (-a + 2c) × (-b). **Übungsaufgabe 2.19.** Überprüfen Sie anhand der Charakterisierung von Orthogonalität durch Skalarprodukte, dass v × w sowohl zu v, als auch zu w orthogonal ist. **Übungsaufgabe 2.20.** Zeigen Sie anhand der Definition, dass das Kreuzprodukt antikommutativ ist. Direkt aus der Formel |v × w| = |v| |w| sin(φ) bekommen wir eine weitere Charakterisierung für Kollinearität und Orthogonalität. **Lemma 2.50.** Für zwei Vektoren v ≠ 0, w ≠ 0 im R<sup>3</sup> gilt v × w = 0 genau dann, wenn die beiden Vektoren **kollinear**, also entweder parallel oder antiparallel sind. Außerdem gilt |v × w| = |v| |w| genau dann, wenn v und w **orthogonal** zueinander stehen. Wir wollen nun noch geometrisch und physikalisch die Relevanz der Kreuzprodukts verstehen. **Bemerkung 2.51 (Geometrische Interpretation).** In einem Parallelogramm, aufgespannt durch die Vektoren a und b, deren Längen wir mit |a| = a und |b| = b bezeichnen, gilt für den Flächeninhalt ``` A = a h = ab sin(φ), ``` weil sin(φ) = h / b gilt. Also ist a × b der Flächeninhalt des durch a und b aufgespannten Parallelogramms. **Bemerkung 2.52 (Physikalische Interpretation).** Mehrere physikalische Größen werden durch Kreuzprodukte berechnet: 1. Wir betrachten einen starren Körper in Form einer Kreisscheibe, der um seine Symmetrieachse drehbar gelagert ist. Das Drehmoment M, das eine im Punkt P angreifende angreifende (in der Scheibenebene liegende) Kraft F erzeugt, ist gegeben durch ``` M = r × F ``` wobei r der Ortsvektor des Angriffspunktes P vom Mittelpunkt der Scheibe ist. 2. Bewegt sich ein geladenes Teilchen mit der Geschwindigkeit v durch ein homogenes Magnetfeld mit der magnetischen Flussdichte B, so erfährt es die sogenannte **Lorentz-Kraft** ``` F<sub>L</sub> = q(v × B), ``` wobei q die Ladung des Teilchens ist. 3. Auch der Drehimpuls L eines rotierenden Körpers lässt sich als Kreuzprodukt berechnen, nämlich als Kreuzprodukt des Ortsvektors und des Impulses. **Beispiel 2.53.** Aufgabe: Wir betrachten Elektronen mit Geschwindigkeit ``` v = ( 2000 ) m ( 2000 ) s ( 0 ) ``` in einem Magnetfeld der Flussdichte ``` B = ( 0 ) Vs ( 0 ) m<sup>2</sup> ( 0,1 ) ``` Wir runden den Wert der Elementarladung (das Negative der Ladung eines Elektrons) auf e = 1,6 · 10<sup>-19</sup>C. Welche Lorentz-Kraft erfährt ein Elektron mit diesen Werten? **Lösung:** Wir nutzen die Formel F<sub>L</sub> = -e (v × B). ``` F<sub>L</sub> = -e (v × B) = -1,6 · 10<sup>-19</sup> ( 2000 ) × ( 0 ) C ⋅ m Vs / sm<sup>2</sup> ( 2000 ) ( 0 ) ( 0 ) ( 0,1 ) =-1,6 · 10<sup>-19</sup> ( -200 ) N