Summary

Dieses Kapitel befasst sich mit der Ethik von Technologie und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Es analysiert den Unterschied zwischen Digitalisierung und digitaler Transformation und die Rolle der Informationsethik in dieser Entwicklung.

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Ethik 7 Fazit Ethik und Technologie stellt die Gesellschaft vor neue zentrale Überlegun- gen, die im Geiste gesellschaftlichen Denkens und Fortschritts bedacht wer- den müssen. Es stellt sich die Frage nach einem neuen Ausgleich zwischen öffentlichen Akteuren und unternehmerischem Handeln, geleitet...

Ethik 7 Fazit Ethik und Technologie stellt die Gesellschaft vor neue zentrale Überlegun- gen, die im Geiste gesellschaftlichen Denkens und Fortschritts bedacht wer- den müssen. Es stellt sich die Frage nach einem neuen Ausgleich zwischen öffentlichen Akteuren und unternehmerischem Handeln, geleitet von der Frage, wie eine wirksame Arbeitsteilung zwischen diesen Kräften beschaffen sein kann. Der klassische Begriff von Informationsethik selbst würde anfänglich darauf zielen, konkrete Festlegungen zu treffen, wie Daten sicher übertragen, ge- speichert und genutzt werden können. Diese Frage stellt sich gerade im Rah- men des Ausbaus des Internets der Dinge wesentlich. Die Anzahl an Daten, die durch Kommunikation zwischen Maschinen und der Anwendungen von Sensoren erhoben wird, erreicht ein davor unbekanntes Ausmaß. Informati- onsethik würde also vor allem darauf fokussieren, legale Sicherheitsstan- dards für diesen Sachverhalt zu erwirken. Die Datenschutzgrundverordnung, die von der Europäischen Union lanciert wurde, bildet diesbezüglich bereits einen globalen Standard. Informationsethik gemäß eines weiteren Begriffsverständnisses reicht über diese Perspektive hinaus. Es ist wie der Unterschied zwischen Digitalisierung und digitaler Transformation selbst. Digitalisierung meint den schlichten Prozess, Informationen in Form von Da- ten abzulegen, sie in Form von Bits und Bytes zu speichern, verfügbar und zugänglich zu halten. Merksatz Digitale Transformation hingegen bezeichnet die gesellschaftlichen und un- ternehmerischen Wandlungsprozesse, die sich auf Grundlage dieses techno- logischen Fortschritts materialisieren. Informationsethik in dieser Lehrveranstaltung nimmt genau diese Phäno- mene in Betracht. Die digitale Transformation verlangt von demokratischen Gesellschaften sich selbst zu befragen, wie von den technologischen Mög- lichkeiten abseits ideologischer Rhetorik nützlich Gebrauch gemacht werden kann. Es stellt sich die wesentliche Frage, welche Entscheidungen privaten Akteuren überlassen werden und wann gesellschaftliche Rahmenbedingun- gen festzulegen sind, die einen gemeinsamen Standard definieren. Gerade für Europa zeigt sich, dass entsprechende allgemein verbindliche Prinzipien entscheidend wären. Oft wird die technologische Zukunft als eine Konfrontation der wiederaufstrebenden Supermacht China und der ver- meintlich absteigenden Supermacht USA gelesen. Während amerikanische Technologiekonzerne den europäischen Binnenmarkt in einer Form bespie- len, dass die europäische Konkurrenz kaum zum Zuge kommt, agiert das 86 Ethik zentralistische China in Form von Privat-Public Partnerschaften, um die ei- gene digitale Transformation voranzubringen. Die chinesische Vorgehens- weise zielt darauf, möglichst viele Daten über gesellschaftliche Vorgänge zu aggregieren, um a) die Vormachtstellung der kommunistischen Staatspartei abzusichern, b) durch das bessere Verständnis von Kundenwünschen die entstehende Mittelklasse mittels eigener Unternehmen zu bedienen und c) über exorbitante Datenmengen zu verfügen, um die beste Künstliche Intelli- genz zu entwickeln – alles in der Absicht, bei dieser industriellen Revolution Vorreiter zu sein und nicht wie bei der I. Industriellen Revolution von ande- ren Mächten überholt zu werden und zwei Jahrhunderte lang in den Rück- stand zu geraten. Diese strategische Überlegung führt die Entscheidungen. Wo also könnte sich Europas Perspektive finden? Das entscheidende Expe- riment für Europa mag darin liegen, die Vorteile der technologischen Revo- lution eigenständig so anzuwenden, dass sie mit den Grundprinzipien demo- kratischer Gesellschaften einen lebenswerten Ausgleich findet. Diese Auf- gabe und der Imperativ, dass Technologie dann Sinn ergibt, wenn sie vor al- lem dabei unterstützt, den ökologischen Kollaps abzuwenden, mögen Leit- planken des eigenen Entwicklungshorizonts sein. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt: Die Nutzung von Technologie reflek- tiert immer die politische Ökonomie bestehender Verhältnisse. Sie wird durch manifeste Interessen strukturiert. Wenn heute grundsätzliche Funkti- onen des Internets, seien es die Suche nach Informationen oder die Vernet- zung von Personen vor allem privatisiert, monopolisiert und ökonomisiert wurden, stellt sich die Frage, ob das weiter so gehandhabt werden soll oder ob es sich um einen so notwendigen Service handelt, dass er öffentlich und nicht kommerziell organisiert werden sollte. In diesem Zuge wird der oligo- polistische Zugang, den die dominanten US-Konzerne zeigen anders sein als der zentralistische Instanzenzug in China. Europa wird auf Basis eines eige- nen Selbstbewusstseins womöglich eigenständig herausfinden müssen, wel- chen Anforderungen Technologie zu entsprechen hat. Diese resultierenden Lösungen können nicht nur Interesse am Weltmarkt wecken, sondern auch den Fortschritt in ein besseres Zeitalter weisen. Das darf nicht im Geiste ei- nes solipsistischen Übermuts geschehen, der meint, Europa wäre weiterhin das eigentliche Zentrum der Welt. Weit gefehlt. Vielmehr geht es darum, sich eine mutige Rolle zuzumessen, in unternehmerische Vielfalt zu ver- trauen, öffentliche Akteure mit Selbstbewusstsein auszustatten, um der di- gitalen Weltgemeinschaft einen interessanten Selbstversuch zu präsentie- ren. Denn eines gilt es auch schonungslos anzuerkennen: Momentan machen wir von den vorhandenen Möglichkeiten nicht nur zu wenig, sondern vor allem zu unreflektiert Gebrauch. Technologischer Fortschritt führt zur sozialen 87 Ethik Ausdifferenzierung, soziale Netzwerke begründen politische Radikalisie- rung, Mobilität belastet das Ökosystem, Software unterstützt manchmal den menschlichen Geist weniger, als dass sie verlangt, gegen ihn erfolglos zu kon- kurrieren. Außerdem fordern uns zwei grundlegende und abweichende Erzählungen darüber heraus, was die anstehenden Veränderungen bedeuten. Das eine Narrativ, dass die Gegenwart von sich selbst in Bezug auf die digitale Trans- formation erzählt, besagt, dass die Gesellschaft am Beginn eines exzeptio- nellen Zeitalters stehe. Die ubiquitäre Verfügbarkeit von Information und Wissen wäre in der Geschichte menschlicher Zivilisation ohne Vorbild und kenne keine ähnlich gelagerte Erfahrung. Die Überzeugung, ohne Vorbild zu agieren, verursacht den Eindruck, nicht nur einen Bruchpunkt in der ge- schichtlichen Entwicklung menschlicher Gesellschaften zu markieren, son- dern aus der bisherigen Geschichte selbst auszutreten. Was meint diese Hypothese? Als technologische Zivilisation betrachten wir uns weniger als Teil eines historischen Prozesses, sondern als eine Art Neu- start und Neubeginn. Als ökonomisches Erklärungsmuster mag diese Auffas- sung Berechtigung haben, auch wenn sich hier immanente und beschleu- nigte Kontinuitäten ausmachen. Als historische Entwicklungsgeschichte hin- gegen erscheint die Auffassung irreführend. Bezeichnenderweise lässt sich anhand der Argumentationslinien von zwei renommierten Historikern ein zweiter Erklärungshorizont ausmachen. Der Ansatz besagt, dass sich auch die heutigen Transformationen sowohl durch historische Vergleiche kanonisieren ließen, als auch durch die Permanenz klassischer Realpolitik ein Erklärungsmuster findet. Timothy Snyder, ein in Yale lehrender Historiker, erklärt, wie die Ausbreitung des Internets und die Entwicklung von Demokratien zusammenhängen. Aus- gehend vom Jahr 2018 stellt er rückblickend fest, dass in den zwölf Jahren davor der Anteil der Weltbevölkerung, der regelmäßig im Internet surft, von knapp 20 % auf rund 60 % angestiegen sei. Im selben Zeitraum lässt sich ge- mäß der Analyse von Freedom House, eine renommierte und unabhängige NGO, ein globaler Rückzug demokratischer Standards und der verstärkte Aufstieg des Autoritarismus beobachten. Die einzige Region, die diesbezüg- lich eine Ausnahme darstellen würde, wäre der afrikanische Kontinent. Inte- ressanterweise jener Erdteil, wo der Zugang zum Internet noch am wenigs- ten ausgebaut ist. Hier lässt sich zumindest eine Korrelation feststellen, wenn nicht sogar eine Kausalität ausmachen. Der Historiker führt diese ein- schneidende Entwicklung unter anderem darauf zurück, dass Austausch im Internet unter anderem den faktenbasierten Diskurs zerstören würde, der demokratisches Agieren ermöglicht. Fakten und die Relevanz von Fakten 88 Ethik wären aber auch die Voraussetzung dafür, machthabende Institutionen für ihr Handeln verantwortlich zu halten. Nur wenn Fakten Bedeutung haben, lassen sich Mächtige zur Verantwortung ziehen. Form und Handhabung des Internets wirken diesem faktenbasierten Diskurs aus zwei Gründen entge- gen: Internetbasierte Kommunikation fördert Ablenkung. Wenn beispiels- weise der eigene Newsfeed auf den sozialen Plattformen betrachtet wird, dann zeigt sich, dass dort entscheidende Nachrichten gleichgereiht mit Tri- vialität und schlichten Falschbehauptungen rangieren. Das führt zur Ablen- kung, verunmöglicht Konzentration und begründet die Verkennung der Be- deutung von wahren Sachverhalten. Die demokratische Urteilskraft kriti- scher Bürger schwindet. Der andere entscheidende Grund liegt seiner Auf- fassung nach in der bereits beschriebenen Stärkung der eigenen Vorurteile durch die Darstellung bevorzugter Suchresultate und Inhalte entsprechend eigener Vorlieben. Das Internet wird also nicht mehr zum geteilten Gemein- schaftsraum, sondern zersplittert in individualisierte Erfahrungswelten auf- grund von algorithmischer Segregation. Diese Faktoren erschweren die de- mokratische Auseinandersetzung und stützen eher autoritäre Strömungen, die gerade auch bei freien Wahlen vor allem soziale Medien mit entspre- chenden Botschaften geschickt zu bespielen verstehen. Sie profitieren von der Polarisierung. Was also heute den Internet-Diskurs bestimmt, wäre eine politische Auseinandersetzung, die dem zivilen Austausch besserer Argu- mente entgegensteht. 38 Die Grafik unten visualisiert die entsprechenden Ergebnisse einer Studie, die dokumentiert, wie oft und von wem Tweets mit moralischen Aussagen zu Themen wie dem Klimawandel, Schusswaffenkontrolle und gleichge- schlechtlicher Ehe in den USA geteilt werden. 563.312 Tweets von amerika- nischen Twitter-Nutzern wurden dabei ausgewertet. Die roten Punkte sind einer konservativen Einstellung zuzuordnen, die blauen einer liberalen. Es zeigt sich, dass nur die wenigsten Botschaften übergreifend geteilt werden, vielmehr finden die Messages innerhalb der klar teilbaren, fast hermeti- schen Präferenzgruppen Verbreitung, eine ausgleichende Mitte erodiert.39 38 Vgl. Snyder, 2018, S. 111 ff. 39 Vgl. Goldhill, 2017 89

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