Innovationen für gemeinsamen Gewinn (PDF)
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Wirtschaftsuniversität Wien
2023
Gerhard Speckbacher
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Summary
This book focuses on innovation in business administration. It defines innovation as the entrepreneurial implementation of new ideas for joint value creation, emphasizing social orientation, sustainability, and positive impact as core elements of modern business. It aims to inspire the development of new ideas and provide the fundamental knowledge for their professional implementation. The book also explores globalisation and digitalisation.
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Gerhard Speckbacher Innovationen für gemeinsamen Gewinn Mit betriebswirtschaftlichem Denken und unternehmerischem Handeln die Zukunft gestalten Innovationen für gemeinsamen Gewinn Gerhard Speckbacher Innovationen für gemeinsamen Gewinn Mit betriebswirtschaftlichem Denken und unternehmerischem Ha...
Gerhard Speckbacher Innovationen für gemeinsamen Gewinn Mit betriebswirtschaftlichem Denken und unternehmerischem Handeln die Zukunft gestalten Innovationen für gemeinsamen Gewinn Gerhard Speckbacher Innovationen für gemeinsamen Gewinn Mit betriebswirtschaftlichem Denken und unternehmerischem Handeln die Zukunft gestalten Gerhard Speckbacher Institut für Unternehmensführung Wirtschaftsuniversität Wien Wien, Österreich ISBN 978-3-658-43223-2 ISBN 978-3-658-43224-9 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-43224-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verar- beitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Lektorat/Planung: Vera Treitschke Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Das Papier dieses Produkts ist recyclebar. Vorwort Das vorliegende Buch stellt Innovation in den Mittelpunkt der Betriebswirtschaftslehre (BWL). Innovation wird definiert als die unternehmerische Umsetzung neuer Ideen für gemeinsame Wertschöpfung. Soziale Orientierung, Nachhaltigkeit, Weltverbesserung und Purpose sind somit nicht Nebenbedingungen der Betriebswirtschaft oder „nichtökono- mische“ Ziele, die im Gegensatz zu betriebswirtschaftlichen Zielen stehen, sondern Kern unternehmerischer Wertschöpfung. Betriebswirtschaftliches Denken und unternehmeri- sches Handeln sind ausgerichtet darauf, neue Ideen für Verbesserungen umzusetzen, Wert für Stakeholder zu schaffen und die Zukunft positiv zu gestalten. Das erste Ziel des Buches ist, Begeisterung zu wecken für die Entwicklung neuer Ideen für gemeinsame Wertschöp- fung in erwerbswirtschaftlichen Unternehmen und sozialen Organisationen. Das zweite Ziel ist, das für die professionelle Umsetzung solcher Ideen notwendige Grundlagenwissen bereitzustellen. Ebenso wie das vorliegende Buch Nachhaltigkeit und soziale Orientierung nicht als neuartige Nebenbedingungen, sondern als Kern der modernen BWL behandelt, sind Glo- balisierung und Digitalisierung längst keine neuen Phänomene mehr, sondern Normalität. Daher werden Fragen der internationalen BWL ebenso wie die Auswirkungen der Digi- talisierung auf das Entstehen plattformbasierter Wertschöpfungsmodelle und netzwerk- artiger Business-Ecosystems nicht in Sonderkapiteln behandelt, sondern in „klassische“ BWL-Inhalte integriert. Das Buch unterscheidet sich von anderen Einführungen in die BWL durch seine durchgängige Ausrichtung an der gemeinsamen Wertschöpfung durch Innovation. Dabei fokussiert das Buch vor allem auf „Entrepreneurial Businesses“, also auf unternehme- risch geführte Organisationen, erst in zweiter Linie geht es um Großkonzerne bzw. große Kapitalgesellschaften. Alle Konzepte und Zusammenhänge werden anhand von Fallbei- spielen und Geschichten motiviert und in einer direkten Alltagssprache vermittelt. Ziel ist, die Inhalte greifbar und erlebbar zu machen. Fast alle Beispiele habe ich getestet in V VI Vorwort Lehrveranstaltungen, Seminaren und Vorträgen, ob sie Interesse wecken und Neugier, Dingen auf den Grund zu gehen. Begriffsunterscheidungen und Begrifflichkeiten betone ich nur da, wo mir das unerläss- lich für das Verständnis von Zusammenhängen erscheint, beispielsweise im Rechnungswe- sen. Da Detailwissen und Zusatzinformationen sehr einfach digital zugänglich sind, liegt der Fokus auf der Vermittlung und dem Verstehen von Zusammenhängen. Wer wesentli- che Zusammenhänge verstanden hat, kann sich bei Bedarf leicht Detailwissen hierzu aus Internetquellen oder mit Hilfsmitteln wie ChatGPT beschaffen. Das Auswendiglernen von Aufzählungen und Detailwissen halte ich weitgehend nicht mehr für zeitgemäß. Obwohl dieses Buch vor allem begeistern will für die Entwicklung und unternehmeri- sche Umsetzung neuer Wertschöpfungsideen, braucht man neben Begeisterung auch das nötige betriebswirtschaftliche Fachwissen und Denken. Aufgrund der hohen Dynamik des Wandels in der Wirtschaft reicht es dabei nicht, Konzepte und Lösungsrezepte, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, zu verstehen und einsetzen zu können. Man muss vielmehr auch in neuen Situationen wirtschaftlich weiterdenken können. Dafür finde ich zwei „überfachliche“ Kompetenzen besonders wichtig – gesunden Menschenverstand und Abstraktionsfähigkeit. Wir leiden heutzutage nicht an mangelnder Informationsbreite, sondern an einem Mangel an Orientierung in der unüberschaubaren Meinungs- und Faktenvielfalt. Gerade zu Fragen der Wirtschaft findet man sehr schnell eine Vielzahl unterschiedlicher Exper- tenmeinungen, sowie angeblicher und echter Fakten und Studien. Die oft verwirrende Vielfalt an Information macht uns anfällig für „einfache Erklärungen“, hinter denen dann aber oft fragwürdige Dogmatik und Ideologie stecken. Vereinfacht ausgedrückt ist wissen- schaftliches Vorgehen nichts anderes als ein Instrumentarium, wie man Fakten von „Fake News“ unterscheidet, wie man gute von schlechten Studien unterscheidet, wie man Dingen auf den Grund geht, sich im Dickicht von Studien und Meinungen zurechtfindet und sich selbst eine unabhängige Meinung bildet. Wissenschaftliches Denken ist nichts anderes als eine systematische Weiterentwicklung des gesunden, kritischen Menschenverstands und in diesem Sinne soll das vorliegende Buch einen wissenschaftlich orientierten gesunden Menschenverstand im Bereich BWL trainieren. Daneben ist Abstraktionsfähigkeit die zweite wichtige überfachliche Kompetenz. Weil die Herausforderungen für eine menschengerechte und nachhaltige Betriebswirtschaft der Zukunft groß sind, muss groß gedacht werden. Dazu darf man sich nicht zu sehr in Details verfangen. In der Managementpraxis gebraucht man oft das Bild einer „Heliko- pterperspektive“. Aus dem Helikopter erscheint alles gleichmäßig kleiner, was natürlich einen besseren Überblick ermöglicht. Ein wissenschaftliches Modell ist viel besser als eine Helikopterperspektive. Ein Modell macht zwar alles kleiner und gröber, aber es werden zusätzlich gezielt Dinge weggelassen, und alles wird auf das für eine bestimmte Fragestel- lung Wesentliche reduziert. Das hilft, sich in völlig neuen, komplexen Situationen zurecht zu finden und (als Führungskraft) Zusammenhänge anderen prägnant zu erklären, so dass diese sich zurechtfinden. Eine wissenschaftliche Ausbildung in Betriebswirtschaft unter- scheidet sich von einer rein fachlichen Ausbildung, indem sie diese beiden überfachlichen Vorwort VII Fähigkeiten vermittelt und dadurch hilft, neue Problemstellungen systematisch anzugehen und die Wirtschaft von morgen zu gestalten. Vor über 15 Jahren wurde ich als neuer Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien gefragt, ob ich Lust hätte, eine innovative Vorlesung zur Einführung in die Betriebs- wirtschaft zu halten, die Studierende motiviert und für BWL begeistert. Bis dahin gab es erstaunlicherweise keine Einführung in die BWL. Da mir die bewährten Bücher als Einführung in die BWL zu umfangreich und detailliert erschienen, führte ich eine Reihe von Gesprächen mit Führungskräften, Entrepreneurs und erfahrenen Geschäftsleuten, was man unbedingt über Betriebswirtschaft wissen sollte. Aus diesen Gesprächen machte ich Notizen, las nach zu Geschichten, die mir erzählt wurden und sammelte Inhalte, die in einer Einführung vorkommen müssen. Anschließend hatte ich das Glück, an einem internationalen Programm zu universitärer Lehre am IMD in Lausanne teilnehmen zu können. In besonderer Erinnerung blieben mir mein Coach Janelle Shubert vom „Cen- ter for Women’s Entrepreneurial Leadership“ am Babson College und Aswath Damoda- ran von der Stern School New York. Janelle hat mir eindringlich geraten, mich so wenig wie möglich an bestehenden Einführungen zu orientieren und etwas Neues, Innovatives zu versuchen. Und sie ermunterte mich, dabei dem Grundgedanken des Problem Based Learning zu folgen: Wenn man will, dass andere sich intensiv mit einem Thema befassen, dann muss man dafür sorgen, dass sie das Thema interessant und spannend finden. Das geht am besten, indem man das Thema mit dem Erleben und den Erfahrungen der Ziel- Leserschaft verbindet, und indem man eine Neugier erzeugt, darüber mehr wissen zu wol- len. Aswath steht für die innovative Auflösung von drei Tradeoffs: Exzellente universitäre Lehre entsteht über Exzellenz in der Forschung, Großlehrveranstaltungen sind die besten Lehrveranstaltungen, und ein Lehrbuch ist für junge Studierende nur dann gut, wenn es auch für erfahrene Executives interessant ist. Ich bin nicht einmal sicher, ob er es genauso ausgedrückt hat – mich hat er jedenfalls sehr beeindruckt und inspiriert. Das daraus neu entwickelte Grundkonzept für eine Einführung in die BWL wurde an der Wirtschaftsuniversität Wien regelmäßig gehalten und mehrfach mit Lehrpreisen aus- gezeichnet. In etwas abgewandelter und durch ein Planspiel erweiterter Form wurde diese Einführung auch an der FU Berlin gehalten und dort ebenfalls mit einem Lehrpreis aus- gezeichnet. Die Umsetzung des Lehrveranstaltungskonzeptes in ein Buch habe ich immer als privates Hobby betrachtet, dem ich nur in meiner Freizeit nachgegangen bin. Daher hat es lang gedauert. Vor allem wollte ich dem Rat von Janelle Shubert, etwas Neues zu wagen, besonders in der Umsetzung als Buch gerecht werden, obwohl man natürlich eine Einführung in die BWL nicht ganz neu erfinden kann. Allerdings habe ich versucht, mit dem innovationsorientierten Ansatz und dem konsequenten Fokus auf die gemeinsame Wertschöpfung für die Stakeholder eine durchgängige Leitidee umzusetzen. Beim Schrei- ben der ersten Version des Buches bin ich genau wie seinerzeit beim Erstellen des ersten Grundkonzeptes vorgegangen. Ich habe zwar immer mit vielen Menschen aus Wissen- schaft und Unternehmenspraxis über die jeweiligen Kapitel gesprochen, aber ich habe sowohl die bewährten Inhalte als auch neu hinzugekommene Inhalte ohne Zuhilfenahme von Literatur und Unterlagen aufgeschrieben, um mich nicht zu sehr von den etablierten VIII Vorwort Mustern bestehender Einführungen in die BWL leiten zu lassen und um mich zum Fokus auf das Wesentliche zu zwingen. Das Schwierigste ist ohnehin, Dinge wegzulassen und zu vereinfachen. Erst bei der Überarbeitung habe ich dann alles überprüft und Fakten aus zusätzlichen Quellen ergänzt. Die Rohfassung habe ich einigen Kolleginnen und Kollegen zur Durchsicht gegeben, denen ich für das wertvolle Feedback danke. Noch eine Bemerkung zu Sprache und Layout: Sprache prägt Denkweisen und daher ist die gestiegene Sensibilität für eine inklusive und diskriminierungsfreie Sprache ein Fortschritt. Das Sichtbarmachen und Betonen aller Geschlechterkategorien in der Spra- che, beispielsweise durch ein Sternsymbol, sehe ich als Zwischenschritt zur Dekonstruk- tion diskriminierender Geschlechterkategorien, in den USA als Gender Abolition bezeich- net. Dekonstruktion diskriminierender Geschlechterkategorien erfordert nicht nur, dass Geschlechterkategorien z.B. in Formularen und Pässen entfallen, sondern auch, dass in der Sprache das gedankliche Aufzählen von Geschlechterkategorien durch Sternsymbole und Sprechpausen wegfällt, da dieses ja gerade die soziale Kategorisierung betont, die es zu überwinden gilt. Die Frage ist, wie eine Sprache aussehen kann, die Kategorisierung ebenso wie männliche Muster vermeidet. Wo immer möglich, habe ich Begriffe wie „Per- son“, „Kundschaft“ und „Führungskraft“ verwendet, wo das grammatikalische Geschlecht weitgehend frei von sozialen Geschlechtszuschreibungen ist. Das jeweilige Pronomen verwende ich immer gemäß dem grammatikalischen Geschlecht (z.B. „sie“ bei Person, Kundschaft oder Führungskraft). Ansonsten verwende ich Beispiele mit Personen, denen ich ein Geschlecht zuordne. Einen Kompromiss mache ich bei Wortzusammensetzungen wie Konsumentenrente, wo ich mich durchgerungen habe, nicht Konsumierendenrente zu schreiben, zumal das grammatikalische Geschlecht unabhängig vom ersten Wortbestand- teil ist. Ich hoffe, mein Versuch löst den Tradeoff zwischen einer genderneutral-inklusiven und einer gut lesbaren Sprache zufriedenstellend. Ein letzter Punkt zum Design. Vor einiger Zeit war ich auf einer Veranstaltung mit dem Chief Digital Economist von Amazon, Phil Leslie, in Seattle, wo sich auch das Headquarters von Amazon befindet. Dort erzählte Phil Leslie, welche Entscheidung Jeff Bezos, der Gründer und langjährige CEO von Amazon, rückblickend heute als „probably the smartest thing we ever did at Amazon“ bezeichnet. Es ist die vor vielen Jahren getroffene Entscheidung, in Meetings Powerpoint Präsentatio- nen mit bunten Grafiken und anschaulich aufbereiteten Inhalten zu verbieten. Stattdessen verlangt Bezos, dass Führungskräfte neue Ideen oder Vorschläge auf wenigen Seiten in ganzen Sätzen in einem strukturierten, verständlichen Text ohne Bilder und Abbildungen ausformulieren. In Meetings bei Amazon herrscht zu Beginn eine Viertelstunde oder län- ger Ruhe, weil alle die ausgeteilten Texte zuerst lesen, bevor darüber diskutiert wird. Ich würde mich freuen, wenn die Gestaltung dieses Buches als reines Textbuch sich ebenfalls als „Smartest Thing“ herausstellt. Gerhard Speckbacher Grundidee und Aufbau In den vergangenen Jahren haben sich die Wertschöpfungsstrukturen in Unternehmen fundamental verändert. Bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sprach man vom Übergang des Industriezeitalters in das Informations- oder Wissenszeitalter auf- grund der kontinuierlichen Abnahme der Bedeutung von physischem Kapital, wie Gebäu- den und Fertigungsanlagen, und der gleichzeitigen Zunahme der Bedeutung immateri- eller Ressourcen, wie Informationen, Wissen, Markenwert und Kundenbeziehungen, als Treiber von Wettbewerbsvorteilen. Ein weiterer grundlegender Wandel von Wertschöp- fungsstrukturen wurde in jüngerer Zeit ausgelöst durch die Digitalisierung von Gütern und von Produktionsprozessen, die Digitalisierung von Arbeitsbeziehungen sowie die Digitalisierung in der Vermarktung von Produkten. Im Vergleich zu den linearen Wert- schöpfungsketten, wie sie noch vor 20 Jahren in jedem BWL-Lehrbuch als Standard eines Wertschöpfungsmodells zu finden waren, sind die Wertschöpfungsstrukturen moderner Unternehmen wesentlich komplexer, und Plattform-basierte Wertschöpfungsprozesse, Wertschöpfungsnetzwerke und Wertschöpfung in Business Ecosystems haben stark an Bedeutung gewonnen. Während die Bedeutung von Informationen und Wissen für Unternehmen weiterhin steigt, wird zunehmend klarer, dass Maschinen eine immer wichtigere Rolle bei der Nut- zung bekannter Informationen und bekannten Wissens übernehmen werden, während der komparative Vorteil des Menschen hingegen bei der völlig neuen Verknüpfung von Informationen und Wissen, also bei Kreativität und Innovation, liegt. Kreativität und Innovation für das Schaffen gemeinsamer Werte setzen Empathie und Perspective Taking voraus, wie im Kapitel zur unternehmerischen Perspektive ausgeführt werden wird. In der möglichst breiten Nutzung menschlichen Kreativitätspotentials liegt daher die vermut- lich größte wirtschaftliche Herausforderung. Tatsächlich beobachten wir seit Jahren einen grundlegenden Wandel in betrieblichen Innovationsprozessen. Immer weniger werden Innovationen ausschließlich in spezialisierten Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Unternehmen entwickelt, und immer mehr werden Stakeholder auch selbst Teil von IX X Grundidee und Aufbau Innovationsprozessen, die dann wiederum die Basis für die gemeinsame Wertschöpfung für alle Stakeholder sind. Es scheint offensichtlich, dass diese fundamentalen Veränderungen der (Betriebs-) Wirtschaft auch zu fundamentalen Änderungen in dem führen, was als BWL gelehrt wird. Das vorliegende Buch stellt die veränderten Innovations- und Wertschöpfungsprozesse ins Zentrum der BWL. Wesentlicher Gegenstand der im 20. Jahrhundert entwickelten Betriebswirtschafts- lehre war die geeignete Modellierung von Entscheidungssituationen und von Tradeoffs bei gegebener Ressourcenknappheit. Schumpeter hätte das als Lehre des Arbitrageunterneh- mertums bezeichnet: Die Optimierung von Herstellungsprozessen für gegebene Produkte bei gegebener Technologie, mit dem Ziel der Maximierung von Arbitrage (Gewinn). Das vorliegende Buch stellt nicht Arbitrageunternehmertum ins Zentrum der BWL, sondern das, was Schumpeter als schöpferisches Unternehmertum bezeichnet: Die Über- windung von Knappheit und von Tradeoffs und die Wertschöpfung für Stakeholder durch Innovation. Das Buch startet mit einer sehr kurzen Darstellung der traditionellen Sichtweise auf Wirtschaften als Entscheidungsfindung bei Knappheit. Zentrales Konzept ist hierbei der Tradeoff: bei knappen Ressourcen müssen Abwägungsentscheidungen getroffen werden. Ein nach wie vor zentraler Beitrag der BWL ist die geeignete Beschreibung und Optimie- rung von Abwägungsentscheidungen bei der Produktion von Gütern und Leistungen in Betrieben. Ausgehend davon wird die innovationsorientierte BWL mit ihrem Fokus auf die Überwindung von Tradeoffs und auf die gemeinsame Wertschöpfung eingeführt. Um diese Grundidee zu konkretisieren, wird zunächst anhand des Konzepts der Produzen- ten-/Konsumentenrente der Tradeoff zwischen Produzentenzielen und Konsumentenzie- len beschrieben und erläutert, wie Produktinnovationen ermöglichen, diesen Tradeoff teil- weise zu überwinden, indem sie sowohl eine zusätzliche Konsumentenrente als auch eine zusätzliche Produzentenrente ermöglichen. Diese Überlegung wird auf alle Stakeholder eines Unternehmens erweitert. Bezugnehmend auf Schumpeter wird Arbitrageunterneh- mertum (Optimierung von Tradeoffs) von schöpferischem Unternehmertum (Überwin- dung von Tradeoffs durch Innovation) abgegrenzt. In den weiteren Kapiteln des Buches wird der unternehmerische Wertschöpfungspro- zess aus sieben unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, die sich gegenseitig ergänzen. Das Kapitel zur unternehmerischen Perspektive enthält Grundlagen zu Entrepreneurship und Innovation, und der unternehmerische Wertschöpfungsprozess wird anhand eines Rechenbeispiels erläutert. Danach wird der Zusammenhang zwischen Wertschaffung und Wertverteilung beschrieben und dieser wird anhand eines Fallbeispiels (IBM Story) ver- tieft. Das Kapitel zur strategischen Perspektive geht der Frage nach, wie Unternehmen dau- erhaft für ihre Stakeholder Wert schaffen können. Diese Frage wird anhand marktbasier- ter und ressourcenbasierter Ansätze beantwortet. Einen Schwerpunkt der strategischen Perspektive bildet auch die Frage, wie Partnerunternehmen Teil des Wertschöpfungs- prozesses werden können, indem beispielhaft auf strategische Allianzen und strategi- sche Business Ecosystems eingegangen wird. Neben Internationalisierungsstrategien und Grundidee und Aufbau XI Strategieentwicklung in Nonprofit Organisationen wird auch die Strategieumsetzung behandelt. Das umfangreichste Kapitel ist der Finanzperspektive gewidmet, deren Fokus die finanzielle Erfolgsermittlung im Sinne der Produzentenrente ist. Neben den Grund- lagen des Rechnungswesens werden die Grundlagen von Finanzierung und Investition behandelt. Während dieses Kapitel für Studierende von besonders grundlegender Bedeu- tung ist, kann dieses übersprungen werden, wenn man mit den klassischen Grundlagen in Accounting und Finance vertraut ist, bzw. sich vorwiegend für den innovationsorientier- ten Ansatz der BWL interessiert. Kapitel 5 behandelt die Kundenperspektive und widmet sich schwerpunktmäßig der Konsumentenrente. Dabei stehen die Vermarktung digitaler Güter und die Möglichkeiten des digitalen Marketings im Zentrum sowie die Rolle des Marketings bei der Nutzung neuer Wertschöpfungsmöglichkeiten, die durch geänderte Kundenbedürfnisse in einer sozial und ökologisch ausgerichteten Wirtschaft entstehen. Kapitel 6 widmet sich der Produktionsperspektive und entwickelt dabei schrittweise, ausgehend von der traditionellen Produktionstheorie und dem Konzept der Wertschöp- fungskette, wie moderne Plattform-orientierte Geschäftsmodelle vor allem durch digitale Technologien nicht nur eine Produzentenrente, sondern Wert für ein Business Ecosystem schaffen. Kapitel 7 widmet sich der Personalperspektive und damit schwerpunktmäßig der Wertschöpfung durch und für das Personal eines Unternehmens. Die siebte Perspektive zu Ethik und Corporate Governance liefert eine abschließende Gesamtschau der zuvor behandelten Perspektiven. Im Buch werden folgende Symbole verwendet: Stories: Geschichten und Fälle zur Motivation und Illustration : Digital Economy: Inhalte mit starkem Digitalisierungsbezug Q International Business: Inhalte mit stark internationalem Bezug Theory: Grundsätzliche Zusammenhänge und Erklärungsansätze Reflection: Entspannen und Nachdenken Inhaltsverzeichnis Vorwort........................................................................................................................................... V Grundidee und Aufbau................................................................................................................IX 1. Was ist Betriebswirtschaft?...................................................................................... 1 1.1 Ohne Wirtschaft und Recht funktioniert nur ein Schlaraffenland ….............. 1 1.2 Drei Sichtweisen, die sich gegenseitig ergänzen................................................... 2 1.2.1 Entscheidungsorientierte BWL: Entscheidungssituationen beschreiben, Tradeoffs optimieren, und bessere Entscheidungen treffen............................................................................. 3 1.2.2 Verhaltensorientierte BWL: Begrenzte Rationalität und das Ausbalancieren von Stakeholder-Interessen......................................... 5 1.2.3 Innovationsorientierte BWL: Betriebswirtschaft als unternehmerische Umsetzung neuartiger Wertschöpfungsmöglichkeiten für die Stakeholder............................. 8 1.3 Zusammenfassung und Ausblick.......................................................................... 14 2. Unternehmerische Perspektive.............................................................................. 17 2.1 Beispiele.................................................................................................................... 17 2.2 Unternehmertum ist mehr als Erfolgsgeschichten............................................. 24 2.2.1 Warum gibt es bei den erfolgreichsten Unternehmensgründungen so wenig Diversität?............................... 25 2.2.2 Am Anfang steht der Entrepreneurial Spirit....................................... 27 2.2.3 Was zeichnet Entrepreneure außerdem aus, was müssen sie können?......................................................................... 29 XIII XIV Inhaltsverzeichnis 2.2.4 Keine Gründung ohne Businessplan: Von der Customer Value Proposition zum Finanzplan und zur Wahl der Rechtsform.............................................................. 31 2.2.5 Einige Highlights aus Wissenschaft und Forschung zu Entrepreneurship.................................................................................... 33 2.3 Wertschaffung für Stakeholder durch Innovation: Erweiterung des Konzeptes der Konsumenten-/Produzentenrente auf alle Stakeholder................................................................................................. 36 2.3.1 Ein Rechenbeispiel zur Wertschöpfung aus subjektiver Stakeholder-Sicht................................................................ 36 2.3.2 Der Zusammenhang zwischen Wertschaffung und Wertverteilung............................................................................... 42 2.3.3 Wertschaffung und Wertverteilung: Die IBM Story.......................... 45 2.3.4 Wertschaffung für Stakeholder durch Innovation: Wichtige Erkenntnisse............................................................................ 49 2.4 Reflexion................................................................................................................... 51 2.4.1 Survivorship Bias..................................................................................... 51 2.4.2 Die Bedeutung von Perspective Taking für erfolgreiche Innovation.......................................................................... 52 2.4.3 Wertschöpfung und Fairness................................................................. 53 3. Strategische Perspektive......................................................................................... 55 3.1 Was ist eine Strategie?............................................................................................ 55 3.2 Strategieentwicklung: Wettbewerbsvorteile, Wertschaffung und Wertverteilung................................................................................................. 59 3.2.1 Erklärung von Wettbewerbsvorteilen: Market-based und Resource-based View............................................ 60 3.2.2 Die SWOT Analyse: Ein Alltagsbeispiel............................................. 68 3.2.3 Wertschaffung und Wertverteilung aus strategischer Sicht.............. 71 3.3 Von der Strategieentwicklung zur Strategieimplementierung.......................... 74 3.4 Internationalisierung, Strategische Allianzen und Business Ecosystems........ 78 3.5 Strategien und Wertschöpfung für Stakeholder in Nonprofit Organisationen...................................................................................... 83 3.6 Reflexion: Strategie und Mythologie.................................................................... 86 4. Finanzwirtschaftliche Perspektive......................................................................... 87 4.1 Pronto Taxi Klara: Wieviel verdient man mit einem Taxiunternehmen?........ 87 4.2 Die drei Grundpfeiler des finanziellen Rechnungswesens................................ 97 4.3 Die Aufbereitung finanzieller Informationen: Einige wichtige Finanzkennzahlen.....................................................................107 4.4 Internes Rechnungswesen: Entscheidungen treffen und das Unternehmen steuern..................................111 Inhaltsverzeichnis XV 4.4.1 Kimyas Geschäftsidee: Kann man von Kunst leben?.......................111 4.4.2 Kostenrechnung und Controlling.......................................................119 4.5 Corporate Finance: Investition, Finanzierung und Unternehmensbewertung....................................................................................127 4.5.1 Pronto Taxi Klara als Investitions- und Finanzierungsproblem.....127 4.5.2 Investition, Finanzierung und Unternehmensbewertung...............133 4.6 Reflexion.................................................................................................................145 4.6.1 Kapitalismus, Unternehmertum und Gewinn..................................145 4.6.2 Gewinn- und Verlustrechnung: Ist Unternehmensführung ein Nullsummenspiel?..........................................................................147 5. Kundenperspektive............................................................................................... 149 5.1 Beispiele..................................................................................................................149 5.2 Marketing und Kundenwertschöpfung..............................................................151 5.2.1 Kundenwert eines Produktes: Nutzungswert, sozialer Wert, emotionaler Wert..............................152 5.2.2 Werteinschätzungen sind beeinflussbar.............................................153 5.2.3 Innovative Kundenwertschöpfung......................................................154 5.3 Wie entwickelt man ein Marketingkonzept?.....................................................156 5.4 Von den 4 P’s zur Customer Journey..................................................................163 5.5 User Innovation.....................................................................................................165 6. Produktionspektive.............................................................................................. 169 6.1 Beispiele..................................................................................................................169 6.2 Produktionswirtschaftliche Wertschöpfung......................................................171 6.2.1 Traditionelle Produktionstheorie: Produktion bei Arbitrageunternehmertum..................................................................172 6.2.2 Produktion als Prozess.........................................................................175 6.2.3 Logistik und Supply Chain Management..........................................180 6.2.4 Von der Value Chain zum Value Network.........................................182 6.3 Von der Innovation in Value Chains zur Innovation in Value Networks......186 7. Personalperspektive.............................................................................................. 191 7.1 Warum Arbeit nicht einfach ein Produktions-Inputfaktor ist........................191 7.2 Verhaltensorientierte Ansätze zur Beschreibung von Arbeitsbeziehungen.......................................................................................193 7.2.1 Verhaltenstheorie und Organizational Behavior..............................193 7.2.2 Arbeitsmotivation.................................................................................195 7.2.3 Arbeitszufriedenheit.............................................................................197 7.3 Organisationsdesign: Die Gestaltung von Organisationen.............................198 7.3.1 Arbeitsteilung, Interdependenz und Koordination..........................199 7.3.2 Organisationsstruktur: Aufbauorganisation und Ablauforganisation....................................200 XVI Inhaltsverzeichnis 7.3.3 Organizing for Innovation bei Apple.................................................205 7.3.4 Organizing for Innovation bei Spotify...............................................208 7.3.5 Zusammenfassung................................................................................209 7.4 Wertschöpfung in Arbeitsbeziehungen..............................................................210 7.4.1 Recruiting...............................................................................................211 7.4.2 Gestaltung der Arbeitsbeziehung........................................................212 7.4.3 Zusammenfassung................................................................................219 8. Unternehmensethik und Corporate Governance................................................ 221 8.1 Was hat BWL mit Ethik zu tun?..........................................................................221 8.2 Wer bestimmt in Unternehmen, wer trägt die Verantwortung?.....................224 8.3 Rahmenbedingungen der Unternehmensführung: Corporate Governance.........................................................................................228 8.4 Kapitalismus versus Entrepreneurship: Der Saatchi & Saatchi Case..............230 8.5 Schlussbemerkungen............................................................................................231 8.6 Reflexion zu Verantwortung und Ethik in der Wirtschaft...............................232 Was ist Betriebswirtschaft? 1 1.1 Ohne Wirtschaft und Recht funktioniert nur ein Schlaraffenland … Aurea prima sata est aetas, Als erstes entstand das Goldene Zeitalter, quae vindice nullo, das ohne Strafvollstrecker, sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat. freiwillig, ohne Gesetz Treue und Recht pflegte. Vor über 2000 Jahren hat der römische Dichter Ovid mehrere Bücher unter dem Titel Metamorphosen geschrieben. Diese Bücher enthalten in Gedichtform eine Mischung aus Ovids eigener Vorstellung über die Menschheitsgeschichte und damals bekannten, über- lieferten Geschichten. Das goldene Zeitalter der Menschheitsgeschichte, das Aurea Aetas, beschrieb Ovid als einen paradiesischen Urzustand, in dem die Menschen alles was sie sich wünschen im Überfluss vorfinden und friedlich und unschuldig zusammenleben. Weil jeder Mensch von sich aus immer das Rechte tut, braucht man in diesem Goldenen Zeital- ter keine Gesetze, keine Strafen und keine Richterinnen oder Juristen. Weil alles Notwen- dige im Überfluss vorhanden ist und weil die Menschen mit dem Vorhandenen zufrieden sind, gibt es auch keine Wirtschaft, keine Unternehmen, die Güter produzieren, keinen Handel, keinen Markt. Das nachfolgende Silberne Zeitalter beschreibt Ovid schon etwas weniger paradiesisch. Es gibt dann keinen ewigen Frühling mehr, es gibt Jahreszeiten und die Menschen können nur noch durch eigene Arbeit in Form von Ackerbau die Lebensmittelversorgung sichern. Es sind auch nicht mehr alle Menschen ausschließlich rechtschaffen und Gesetze werden notwendig, um das Zusammenleben zu regeln. Im Bronzenen und Eisernen Zeitalter wer- den dann Bodenschätze ausgebeutet, und es entstehen Habgier und Kriege. Das von Ovid als Idealzustand einer Gesellschaft beschriebene Goldene Zeitalter ist aus zwei Gründen eine unrealistische Utopie. Erstens entsprechen wir alle nicht dem Ide- albild der Menschen im goldenen Zeitalter. Wir sind nicht immer genügsam, mit dem © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 1 ein Teil von Springer Nature 2023 G. Speckbacher, Innovationen für gemeinsamen Gewinn, https://doi.org/10.1007/978-3-658-43224-9_1 2 1 Was ist Betriebswirtschaft? Vorhandenen zufrieden, und nicht alle Menschen sind von sich aus rechtschaffen, ehr- lich und friedlich. Zweitens gibt es auf der Welt keinen Überfluss an allen Gütern, die wir benötigen oder gerne hätten. Nahrungsmittel, Wohnungen, Smartphones und Theaterti- ckets sind knapp. Knapp heißt, dass es mehr Menschen gibt, die diese Güter haben wollen, als davon vorhanden ist. Das Goldene Zeitalter, so schön es klingt, könnte also nur dann Wirklichkeit werden, wenn alle Menschen einem „Ideal“ entsprächen und wenn ohne Arbeit alle Bedürfnisse und Wünsche befriedigt werden könnten. Die zwei Voraussetzun- gen für ein Paradies im Sinne von Ovids goldenem Zeitalter sind also ideale Menschen keine Knappheit. Weil diese zwei Voraussetzungen in der Realität nicht erfüllt sind, geht es nicht ohne Recht und Wirtschaft. Mit Recht sind Regeln gemeint, deren Durchsetzung von der Gemeinschaft gewährleistet wird, und deren Zweck ist, ein friedliches und geordnetes Zusammenleben zu sichern. Die Wirtschaftswissenschaften befassen sich damit, wie Men- schen mit Güterknappheit umgehen und Entscheidungen so treffen, dass ihre eigenen Ziele und gesamtwirtschaftliche Ziele bestmöglich erreicht und keine Güter vergeudet werden. In der Betriebswirtschaft geht es insbesondere darum, wie Menschen durch Innovation Güterknappheit reduzieren und damit das eigene Wohl und das Wohl anderer verbessern. So gesehen sind Rechtswissenschaften und Wirtschaftswissenschaften die zwei funda- mentalen Wissenschaften, die sich mit der Erforschung praktischer Fragen des menschli- chen Zusammenlebens und mit der besseren Gestaltung dieses Zusammenlebens beschäf- tigen. Sowohl in den Rechtswissenschaften als auch in den Wirtschaftswissenschaften wird stark auf Erkenntnisse aus anderen Wissenschaftsdisziplinen zurückgegriffen. Besondere Bedeutung haben die Psychologie, die sich der Erforschung des menschlichen Erlebens und Verhaltens widmet, und die Soziologie, die sich mit dem sozialen Verhalten, also dem Verhalten von Menschen bezogen auf andere Menschen oder eine Gemeinschaft beschäf- tigt. Aus dem Bereich der Philosophie spielt vor allem die Ethik, also die Lehre vom rech- ten Handeln, eine wichtige Rolle, z.B. in der Wirtschaftsethik, in der es um die morali- sche Bewertung wirtschaftlichen Handelns geht, oder in der Rechtsethik, die sich damit beschäftigt, wann Recht moralisch gut und gerecht ist. 1.2 Drei Sichtweisen, die sich gegenseitig ergänzen Der folgende Abschnitt stellt drei wesentliche Sichtweisen zur (Betriebs-)Wirtschaft vor. Direkt aus dem vorigen Abschnitt ergibt sich die erste Sicht, wonach es beim Wirtschaften um Entscheidungen bei Güterknappheit geht. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht stehen dabei Entscheidungen in Organisationen im Vordergrund. Aus der zweiten Sichtweise von Wirtschaft geht es darum, was Menschen antreibt, in Organisationen zusammenzuwir- ken und wie aus den Zielen und Handlungen der einzelnen Menschen Organisationziele 1.2 Drei Sichtweisen, die sich gegenseitig ergänzen 3 und Organisationshandeln werden. Drittens kann man Wirtschaft als einen Prozess der Innovation verstehen, also der ständigen Erneuerung durch Entdeckung und Umsetzung neuartiger Wertschöpfungsmöglichkeiten. Die Betriebswirtschaft befasst sich dabei mit der Frage, wie neue Ideen für Wertschaffungsmöglichkeiten in Unternehmen und anderen Organisationen umgesetzt werden. Keine dieser drei Sichtweisen ist alleine richtig. Viel- mehr ergänzen sich die drei Sichtweisen, indem sie jeweils unterschiedliche Aspekte der Wirtschaft und des Wirtschaftens in den Vordergrund stellen. Die drei Sichtweisen werden nachfolgend genauer dargestellt. 1.2.1 Entscheidungsorientierte BWL: Entscheidungssituationen beschreiben, Tradeoffs optimieren, und bessere Entscheidungen treffen Anders als in Ovids paradiesischem Goldenen Zeitalter, gibt es in der realen Welt keinen Überfluss für alle. Daher müssen wir immer wieder überlegen, wie wir mit knappen Mitteln (Güter, Ressourcen) möglichst gut zurechtkommen. Zum Beispiel müssen wir überlegen, wofür wir das Geld, das uns im aktuellen Monat oder Jahr zur Verfügung steht, am besten einsetzen, wie viel und was wir konsumieren und wie viel wir für zukünftigen Konsum sparen (Konsumentscheidungen, consumer choice). Unternehmen müssen entscheiden, wie sie die Produkte, die sie herstellen wollen, am besten produzieren. Zum Beispiel muss ein Restaurant entscheiden, welche Gerichte angeboten werden und wie diese aus den verfügbaren Zutaten hergestellt werden, so dass die Gerichte den Gästen des Restaurants gut schmecken, aber in der Herstellung nicht zu viel kosten (Produktionsentscheidungen, production decisions). Mit Produktion ist dabei aber nicht nur die Herstellung materieller Güter gemeint, sondern ebenso die Herstellung von immateriellen Gütern. Beispielsweise kann eine Werbeagentur im Rahmen einer Werbekampagne einen neuen Markennamen produzieren oder ein Friseursalon kann einen Haarschnitt produzieren. Der Markenname und der Haarschnitt sind immaterielle Güter, die man oft auch als Leistungen bezeichnet. Knappheit von Ressourcen bedeutet, dass man Entscheidungen treffen muss, wofür die Ressourcen am besten verwendet werden. Ohne Knappheit müsste man sich nicht entschei- den, sondern man könnte alles gleichzeitig haben. Eine Entscheidung für eine bestimmte Verwendung bedeutet bei Knappheit in der Regel gleichzeitig eine Entscheidung gegen eine andere Verwendung. Wenn wir unser knappes Geld für eine große Wohnung ausge- ben, dann können wir uns weniger Theaterbesuche leisten, wenn wir unsere knappe Zeit mit Lesen verbringen, dann können wir nicht gleichzeitig ins Fitnessstudio. Wir müssen uns also entscheiden, was wir mit den knappen Mitteln (im Beispiel: Geld, Zeit) am besten machen. Der entgangene Nutzen – in obigen Beispielen der Nutzen der entgangenen Thea- terbesuche oder der entgangenen Fitness-Einheit – wird als Opportunitätskosten bezeich- net. Wenn der entgangene Nutzen in Geld messbar ist, dann können Opportunitätskosten als Geldbetrag ausgedrückt werden. Beispielsweise könnte ein Jurist argumentieren, wenn er nicht einen Schokokuchen vorbereitet und gebacken hätte, dann hätte er in dieser Zeit 4 1 Was ist Betriebswirtschaft? über eine Onlineplattform Rechtsfragen gegen Geld beantworten können und dafür 300 EUR verdient. Statt seine knappe Zeit in die Produktion eines Kuchens zu stecken, hätte er auch rechtliche Ratschläge produzieren und verkaufen können. Die Opportunitätskosten der in das Kuchenbacken investierten Zeit waren im Beispiel also 300 EUR. Vielleicht hat ihm Kuchenbacken aber einfach mehr Spaß gemacht als Rechtsfragen zu beantworten und das war ihm das entgangene Geld wert. Eng verbunden mit dem obigen Opportunitätskostenkalkül ist der Begriff Tradeoff, der eine Abwägungsentscheidung zwischen unterschiedlichen Zielen, Zwecken oder wün- schenswerten Ergebnissen bezeichnet, wenn alles gleichzeitig nicht möglich ist. Bei knap- pen zeitlichen Ressourcen ist abzuwägen, ob man seine zur Verfügung stehende Zeit besser nutzt, um ein Buch zu lesen oder ins Fitnessstudio zu gehen, wobei man sich beim Lesen des Buches weiterbildet und Sport die Gesundheit verbessert. Insofern geht es bei dieser Entscheidung um die persönliche Optimierung des Tradeoffs zwischen Weiterbildung und Gesundheit. Bei der Entscheidung, ob man knappe Geldmittel ausgibt oder besser spart, geht es um den Tradeoff zwischen dem Nutzen heutiger Verwendung der Geldmittel und deren zukünftiger Verwendung. Manchmal gelingt es durch Kreativität und Innovation Tradeoffs teilweise zu überwinden. Beispielsweise kann man durch moderne Trainings- methoden in kürzerer Zeit dieselben Effekte erzielen und dann noch etwas Zeit haben, um zu lesen. Oder man kann während des Trainings einen Podcast bzw. ein Hörbuch anhören. Dazu mehr im Abschnitt 1.2.3. Oft bleibt uns aber nichts übrig als Tradeoffs zu akzeptieren und zu versuchen, unter den gegebenen Bedingungen eine möglichst gute Abwägungsent- scheidung zu treffen. In der BWL spielte und spielt der entscheidungsorientierte Ansatz, der u.a. durch Edmund Heinen maßgeblich geprägt wurde, eine wichtige Rolle. Dabei wird erstens zu erklären versucht, wie Ziele von Menschen und von Organisationen zustande kommen, wie unterschiedliche Ziele (z.B. Streben nach Gewinn und Streben nach Prestige) zusam- menwirken und wie bei gegebenen Zielen in einer bestimmten Situation mit knappen Ressourcen Entscheidungen getroffen werden. Aufgabe der BWL ist demnach, das Ent- scheidungsverhalten von Menschen und Organisationen strukturiert zu beschreiben, um Konsum- und Produktionsentscheidungen besser zu verstehen. Das ist die sogenannte Erklärungsfunktion der BWL. Zweitens hat die BWL eine Gestaltungsfunktion. Aufbau- end auf der Erklärungsfunktion bietet die BWL praktisch nützliche Verfahren an, um Kon- sum- und Produktionsentscheidungen besser treffen zu können. Konkrete praktische Beispiele für solche Verfahren, die helfen, Entscheidungen bei knappen Ressourcen geeignet zu beschreiben und zu lösen, werden in Kapitel 4 (Finanz- wirtschaftliche Perspektive) behandelt, etwa bei Fragen der Kostenrechnung und Investiti- onsrechnung. Der entscheidungsorientierte Ansatz der BWL spielt aber auch in allen ande- ren Kapiteln eine wichtige Rolle. Beispielsweise geht es im Marketing um die Entscheidung, wie viel Geld in Werbung investiert werden soll und welche Arten von Werbung bei einem bestimmten Produkt und einer bestimmten Zielgruppe am wirksamsten sind. Im Perso- nalbereich geht es unter anderem um die Entscheidung, welche Arten der Bezahlung und welche Zusatzleistungen Arbeitskräften angeboten werden sollen, um deren Motivation 1.2 Drei Sichtweisen, die sich gegenseitig ergänzen 5 und Zufriedenheit zu erhöhen. Allgemein geht es in der entscheidungsorientierten BWL darum, Entscheidungen bei Knappheit geeignet zu beschreiben und vor allem die dabei auftretenden Tradeoffs zu erkennen. Außerdem werden Gestaltungsempfehlungen gege- ben, wie man Entscheidungen besser treffen und Tradeoffs optimieren kann. 1.2.2 Verhaltensorientierte BWL: Begrenzte Rationalität und das Ausbalancieren von Stakeholder-Interessen Der entscheidungsorientierte Ansatz der BWL verfolgt das Ziel, Entscheidungen nach- vollziehbar und mit Hilfe etablierter Verfahren zu treffen. Allerdings ist es in der Praxis sehr häufig nicht möglich, Entscheidungen streng rational nach Sammlung aller relevan- ten Informationen und Bewertung aller möglichen Alternativen anhand klar vorgegebener Ziele zu treffen. Selbst bei relativ einfach scheinenden Entscheidungen ist oft weder ein Ziel definiert, noch ist genau klar, wie sich die Alternativen unterscheiden. Nehmen wir das Beispiel der Gestaltung der Verpackung eines Produktes. Soll die Verpackung aufwän- dig sein und den Wert des Produktes unterstützen oder sollen eher Kosten gespart oder Müll vermieden werden? Wie kommen unterschiedliche Verpackungen bei welchen Kun- den an? Auch in anderen alltäglichen Unternehmensentscheidungen, wie der Besetzung einer Leitungsposition im Unternehmen ist es schwer, Ziele zu benennen und erst recht die Zielerreichung zu messen. Selbst im Nachhinein ist kaum möglich zu beurteilen, ob eine Entscheidung über eine Stellenbesetzung richtig war und ob die ausgewählte Führungs- kraft tatsächlich besser war als andere Personen, die in Frage gekommen wären. Der Nobelpreisträger Herbert A. Simon ist bekannt für seine Theorien zur Bounded Rationality und zum Satisficing Behavior, wonach es in vielen Entscheidungssituationen gar nicht möglich ist, optimale Entscheidungen in Unternehmen zu treffen, weil hierfür Informationen fehlen oder die Informationssuche zu teuer wäre. Vielmehr muss man sich oft damit begnügen, Entscheidung zu treffen, die bestimmte Mindestanforderungen erfüllen. Ein Beispiel ist, dass bei der Besetzung einer Führungsposition der aufwändige Suchprozess beendet wird, sobald eine Person gefunden wurde, die bestimmte Anforde- rungen in ausreichendem Maße erfüllt. Generell werden im Unternehmenskontext sehr häufig Mindestziele (Targets) gesetzt, beispielsweise im Qualitätsmanagement (maximal zulässiger Ausschuss in der Produktion) oder im Verkauf (Mindestabsatz). Weil die Unbestimmtheit der Ziele und die Unsicherheit über die Auswirkungen von Entscheidungen oft sehr hoch sind und daher unklar ist, welche Entscheidungen inwie- fern optimal sind, ist zu erwarten, dass Faktoren wie Macht, Überredungskunst, soziales Geschick, Gefühle, Netzwerke und Kompromissbereitschaft und dergleichen in Entschei- dungsprozessen eine wichtige Rolle spielen. Ausgehend von der grundlegenden Arbeit von Richard M. Cyert und James G. March entwickelte sich eine Vielzahl von verhaltensori- entierten Ansätzen in der BWL. Diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass Entscheidungen in Unternehmen als Ergebnis eines komplexen Entscheidungsfindungsprozesses unter Betei- ligung unterschiedlicher Gruppen mit teils gegenläufigen Interessen gesehen werden. 6 1 Was ist Betriebswirtschaft? Neben der Einsicht, dass in Unternehmen aus den genannten Gründen oft nur begrenzt rational entschieden werden kann (Bounded Rationality) und damit oft vereinfachte Ent- scheidungsregeln zum Einsatz kommen, besteht eine zweite wesentliche Erkenntnis der Behavioral Theory of the Firm darin, dass in Unternehmen typischer Weise unterschied- liche Interessengruppen aufeinandertreffen mit teilweise sich widersprechenden Zielset- zungen, die immer wieder neu verhandelt und ausbalanciert werden müssen. Beispiels- weise sind die Arbeitskräfte eines Unternehmens an besseren Arbeitsbedingungen (z.B. flexiblere Arbeitszeiten, besserer Kündigungsschutz, höhere Sicherheitsstandards) inter- essiert, wobei flexiblere Arbeitszeiten und besserer Kündigungsschutz unter Umständen die Macht ihrer Führungskräfte einschränken, und höhere Sicherheitsstandards könnten unter Umständen wieder die Produktionskosten erhöhen und damit die Unternehmens- gewinne aus Eigentümersicht reduzieren. Um ihre Interessen besser durchzusetzen, bil- den die Interessengruppen, ähnlich wie in der Politik, Koalitionen. Beispielsweise könnten einfachere Kündigungen und längere Arbeitszeiten sowohl aus Eigentümersicht als auch aus Sicht von Führungskräften erstrebenswert erscheinen, so dass beide Stakeholder- gruppen eine Koalition bilden. Wenn es um höhere Arbeitssicherheit geht, dann könn- ten hingegen Arbeitskräfte und Führungskräfte gemeinsam versuchen, bessere Standards durchzusetzen. In der Wissenschaft und in der Unternehmenspraxis hat sich für die Interessengruppen in Unternehmen der Begriff Stakeholder durchgesetzt. Ursprünglich wurde der Begriff Sta- keholder in der BWL als Erweiterung des Begriffes Shareholder (Anteilseigner, Aktionär) geprägt. Seit den 1980er Jahren wurde der Stakeholder-Ansatz zunehmend als Ansatz der Unternehmensführung gesehen. Demnach ist die zentrale Aufgabe der Unternehmens- führung zu erkennen, welche Stakeholder für die Wertschaffung im Unternehmen von Bedeutung sind und wie das Unternehmen umgekehrt Wert für seine Stakeholder schafft. Der Stakeholder Ansatz grenzt sich damit zum Shareholder Value Ansatz ab, der eine Aus- richtung der Unternehmensführung vorrangig auf die Aktionärsziele fordert. Neben den Shareholdern eines Unternehmens werden in der Regel Arbeitskräfte und Führungskräfte des Unternehmens als Stakeholder bezeichnet, ebenso Banken, die dem Unternehmen Geld leihen, Zulieferunternehmen von denen Rohstoffe oder Vorprodukte bezogen wer- den, Partnerunternehmen, mit denen beispielsweise in der Produktentwicklung zusam- mengearbeitet wird, und natürlich auf der Absatzseite des Unternehmens alle, die dessen Produkte und Dienstleistungen nutzen, weiterverarbeiten oder konsumieren. Stakeholder sind also alle diejenigen Personengruppen, die im Rahmen der Aktivitäten eines Unter- nehmens etwas „auf dem Spiel stehen“ (at stake) haben und ein Interesse an den Aktivitä- ten des Unternehmens haben. In vielen Fällen geht die Beziehung von Stakeholdern zum Unternehmen in zwei Richtungen. Stakeholder liefern einerseits einen Beitrag zum Wert- schaffungsprozess des Unternehmens (z.B. indem sie Finanzkapital oder ihre Arbeitskraft ins Unternehmen einbringen, Rohstoffe zuliefern oder Geld für gekaufte Produkte bezah- len) und sie profitieren umgekehrt durch den Wertschaffungsprozess im Unternehmen (z.B. indem sie am Gewinn beteiligt sind, einen Arbeitslohn erhalten, Geld für gelieferte Rohstoffe erhalten oder ein Produkt bekommen, dessen Wert höher ist als der Kaufpreis). 1.2 Drei Sichtweisen, die sich gegenseitig ergänzen 7 Darüber hinaus werden aber auch Personengruppen als Stakeholder bezeichnet, die kei- nen unmittelbaren Beitrag zur Unternehmenstätigkeit leisten, aber (negativ) durch die Unternehmenstätigkeit betroffen sind, beispielsweise in Form von Umweltschäden. Die im Rahmen des verhaltensorientierten Ansatzes maßgeblich von Chester Barnard bereits in den 1930er Jahren entwickelte Anreiz-Beitragstheorie betont, dass Arbeitskräfte und andere Stakeholder nur dann bereit sein werden, für den Weiterbestand und den Erfolg des Unternehmens wesentliche Beiträge zu leisten, wenn diesen Beiträgen entspre- chende Anreize gegenüberstehen. Damit das Unternehmen also dauerhaft existieren kann, muss ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen den erbrachten Leistungen der Stakehol- der und den Gegenleistungen des Unternehmens bestehen. Die Gegenleistungen, die ein Unternehmen für die Beiträge einer bestimmten Stakeholder-Gruppe (z.B. Arbeitskräfte) erbringen kann, hängen wiederum davon ab, welche Beiträge von allen Stakeholdern gemeinsam zum Unternehmenserfolg geleistet werden. Beispielsweise kann ein Unterneh- men seinen Arbeitskräften umso attraktivere Gehälter und Weiterbildungsmöglichkeiten bieten, je mehr im Unternehmen aufgrund der Beiträge aller Stakeholder erwirtschaftet wird. Diese Sichtweise des verhaltensorientierten Ansatzes ist von grundlegender Bedeu- tung für die moderne, Stakeholder-orientierte Sicht der BWL. Insgesamt verdeutlicht der verhaltensorientierte Ansatz der BWL also, dass Unterneh- men oft keine einheitliche Zielsetzung verfolgen, sondern in einem komplexen Verhand- lungsprozess immer wieder Lösungen finden und Entscheidungen treffen müssen, die die unterschiedlichen Interessen der Stakeholder geeignet ausbalancieren. Stakeholder, die erwarten, dass sie außerhalb des Unternehmens (beispielsweise in anderen Unternehmen) bessere Gegenleistungen für ihre geleisteten Beiträge bekommen, werden das Unterneh- men auf Dauer nicht mit ihren Beiträgen unterstützen, was die Weiterexistenz des Unter- nehmens gefährdet. Ganz ähnlich wird Unternehmensführung auch in der neueren ökonomischen Theorie (Institutionenökonomik) gesehen. Die Beiträge von Stakeholdern werden hier als Investi- tion in die Kooperationsbeziehungen mit dem Unternehmen interpretiert, und die Diffe- renz aus dem einkalkulierten Ertrag aus dieser Investition und dem Ertrag, den man bei einer ebensolchen Investition in der besten alternativen Verwendung hätte erwarten dür- fen, wird als Quasirente bezeichnet (manchmal auch einfach nur als Rente). Im nachfol- genden Abschnitt wird der darauf aufbauende Begriff der Stakeholderrente (Konsumen- tenrente, Produzentenrente, Arbeitnehmerrente etc) eingeführt, also der Wertschöpfung von Stakeholdern im Rahmen einer Kooperationsbeziehung. Die Notwendigkeit einer Balance zwischen Leistungen und Gegenleistungen für die nachhaltige Existenz eines Unternehmens bezieht sich aber auch auf Stakeholder, die keine unmittelbaren Beiträge für das Unternehmen leisten (also keine „Investition“ im ökonomischen Sinne tätigen), die von den Aktivitäten des Unternehmens aber z.B. durch Umweltschäden negativ betroffen sind. Ein Ungleichgewicht kann hier dazu führen, dass das Unternehmen seine gesellschaftliche Akzeptanz und Legitimität verliert. Aus ökono- mischer Sicht kann man wieder ganz ähnlich argumentieren, dass beispielsweise durch Umweltschäden Reputationsverluste für ein Unternehmen entstehe, die sich langfristig auf 8 1 Was ist Betriebswirtschaft? die Kaufwahrscheinlichkeit für die hergestellten Produkte, aber auch auf die Attraktivität des Unternehmens für Arbeitskräfte und Führungskräfte, und sogar auf die Attraktivität für Investmentfonds auswirken. Wie im folgenden Abschnitt beschrieben, baut die im Mittelpunkt des vorliegenden Buches stehende innovationsorientierte BWL auf der entscheidungsorientierten BWL auf, indem sie Knappheit und bestehende Tradeoffs als Ausgangspunkt für Innovation sieht. Innovation ist aus Sicht der innovationsorientierten BWL die Umsetzung neuer Ideen zur (teilweisen) Überwindung von Tradeoffs. Die innovationsorientierte Sichtweise der BWL baut zudem wesentlich auf der verhaltensorientierten BWL auf, indem sie Innovationen als Umsetzung neuer Ideen für Win-win Situationen zwischen mehreren Stakeholdern als Kern schöpferischen Unternehmertums sieht. Innovationen sind in diesem Sinne umge- setzte kreative Ideen, die Wert für Stakeholder schaffen und das Unternehmen für seine Stakeholder damit dauerhaft attraktiver machen und so seine nachhaltige Existenz fördern. 1.2.3 Innovationsorientierte BWL: Betriebswirtschaft als unternehmerische Umsetzung neuartiger Wertschöpfungsmöglichkeiten für die Stakeholder Welches Handymodell wurde bisher am häufigsten verkauft? Es ist das Nokia 1100, das 2003 auf den Markt kam, damals etwa 50 Euro kostete und von dem weit über 200 Mil- lionen Stück verkauft wurden, mehr als bisher von jedem iPhone oder Samsung Galaxy Modell. Mehrere Jahre lang waren das Nokia 1100 und seine Nachfolgemodelle Verkaufs- schlager, bis dann 2007 das erste iPhone auf den Markt kam, anfangs für knapp 400 Euro. Warum kaufen Menschen ein Handy für 400 Euro und verschmähen ein bewährtes Handy für 50 Euro? Der Grund liegt in neuen Produkteigenschaften, die einen zusätzlichen Kun- dennutzen schaffen. Ein zusätzlicher Kundennutzen entsteht beispielsweise durch bessere Technik, völlig neue Einsatzmöglichkeiten, ein schöneres Design, umweltverträglichere Herstellung oder was auch immer aus subjektiver Kundensicht als „wertvoll“ erachtet wird. Was bedeutet Wertschaffung? Produzentenrente und Konsumentenrente Im Jahr 2017, zehn Jahre nach dem ersten iPhone, kam das iPhone X für etwa 1000 Euro auf den Markt. Die Produktionskosten für ein iPhone X haben für Apple schätzungsweise 350 Euro betragen. Bei einem Verkaufspreis von, je nach Ausstattung, etwa 1.000 Euro hat Apple pro verkauftem Stück demnach etwa 650 Euro verdient. Allerdings hat der Ansturm vor Apple Stores bei Verkaufsstart deutlich gezeigt, dass viele bereit gewesen wären, deut- lich mehr als 1.000 Euro zu zahlen. Generell kann angenommen werden, dass eine Per- son nur dann ein Produkt kauft, wenn ihr dieses subjektiv mehr wert ist als der dafür gezahlte Preis. Nehmen wir an, eine Käuferin wäre damals bereit gewesen, für ein iPhone X maximal 1.500 Euro zu zahlen. Wenn diese Käuferin das iPhone tatsächlich für 1.000 Euro kaufen konnte, dann hat sie durch diesen Kauf einen „Wertvorteil“, den man mit 500 Euro beziffern kann, weil ihr das iPhone ja sogar 1.500 Euro wert gewesen wäre. Beim 1.2 Drei Sichtweisen, die sich gegenseitig ergänzen 9 gegebenen Verkaufspreis von 1.000 Euro, hat Apple als Produzent dann einen geldmäßigen Gewinn von 650 Euro pro verkauftem Smartphone, während diese Käuferin einen Nutzen- gewinn hatte, den man mit 500 Euro beziffern kann. In Anlehnung an ein auf Alfred Marshall (1842-1924) zurückgehendes Konzept kann man den Vorteil von Apple, also im Beispiel den Gewinn pro verkauftem Smartphone, als Produzentenrente (producer surplus) bezeichnen, den Vorteil der Käuferin als Konsu- mentenrente (consumer surplus). Dadurch dass Apple das iPhone X neu entwickelt und auf den Markt gebracht hat, entstand also auf dieses eine zusätzlich verkaufte Handy bezo- gen eine zusätzliche Wertschaffung für Apple und die Käuferin zusammengenommen von 650+500=1.150 Euro. Natürlich kann es auch beispielsweise Käuferinnen geben, die für ein neues iPhone X nur maximal knapp über 1.000 Euro gezahlt hätten, andere hätten aber vielleicht sogar noch mehr als 1.500 Euro bezahlt. Rechnet man mit einer geschätzten Zahl von 50 Millionen Stück verkaufter iPhone X, ergäbe sich bei einer Produzentenrente pro Stück von 650 Euro eine gesamte Produzentenrente von 32.5 Milliarden Euro. Wenn man schätzt, dass im Durchschnitt die Käuferinnen und Käufer bereit gewesen wären 1.250 Euro zu bezahlen, also im Durchschnitt pro verkauftem iPhone X eine Konsumentenrente von 250 Euro entstanden ist, dann ergibt sich auf 50 Millionen verkaufte Stück eine gesamte Konsumentenrente von 12.5 Milliarden Euro. Insofern hat nicht nur Apple durch den Ver- kauf von 50 Millionen iPhones X 32.5 Mrd. Euro verdient, sondern auch die 50 Millionen Käuferinnen und Käufer hätten nach der obigen Rechnung durch dieses neue Produkt zusammengenommen 12.5 Mrd. Euro an Nutzengewinn und insgesamt wäre damit durch Produktion und Verkauf der 50 Millionen iPhones X eine auf Apple und alle Kundinnen und Kunden bezogene Wertschaffung von 45 Mrd. Euro entstanden.1 An obigem Beispiel kann man gut erkennen, dass der wirtschaftliche Kern einer Inno- vation in der dadurch entstehenden Wertschaffung besteht. Durch eine Produktinnova- tion, also eine Idee für ein neues Produkt, entsteht für diejenigen, die das Produkt kaufen und nutzen eine Wertschaffung in Form der Konsumentenrente, für das produzierende Unternehmen entsteht eine Wertschaffung in Form der Produzentenrente. Wichtig dabei ist, dass ein Produkt, das keinen zusätzlichen Kundennutzen gegenüber bisherigen Pro- dukten schafft, auch keine Produzentenrente schaffen kann. Etwas alltäglicher ausge- drückt: Ein Unternehmen kann mit einer Innovation nur etwas verdienen, indem diese Innovation zusätzlichen Kundennutzen schafft. Auf das einzelne verkaufte iPhone bezo- gen, wird die Produzentenrente umso höher, je höher der Verkaufspreis ist und die Konsu- mentenrente wird entsprechend kleiner. Allerdings hat Apple keinen Anreiz den Preis so 1 Bei der obigen Berechnung ist natürlich noch zu berücksichtigen, dass Apple in die Entwicklung des iPhone X sehr viel Geld investiert hat, was in der Berechnung der Produzentenrente noch nicht berücksichtigt wurde, weil hier ja nur die direkten Produktionskosten pro iPhone angesetzt wurden (Kapitel 4 widmet sich ausführlich der Berechnung der Produzentenrente). Im Falle der Konsumentenrente ist zu berücksichtigen, dass auch andere Hersteller (z.B. Samsung) Smartphones angeboten haben, die mit dem iPhone X vergleichbar waren. Man könnte dann argu- mentieren, dass man die Konsumentenrente eigentlich als Zusatznutzen messen müsste, den der Kauf des iPhones gegenüber dem Kauf vergleichbarer Konkurrenzprodukte bringt. 10 1 Was ist Betriebswirtschaft? hoch anzusetzen, dass nur noch ein paar wenige besonders Zahlungskräftige das Smart- phone kaufen, weil die Produzentenrente insgesamt wächst, wenn der Preis niedriger ist und daher sehr viele Menschen ein Smartphone kaufen. Je höher der Preis, umso mehr kann Apple zwar pro verkauftem Smartphone verdienen aber umso weniger Smartphones werden gekauft. Während die Produzentenrente pro verkauftem Smartphone im Beispiel der Differenz zwischen Preis und Herstellungskosten entspricht, ist die Konsumentenrente durch die Differenz zwischen dem von der Käuferin subjektiv empfundenem Wert des Smartphones und dem Kaufpreis definiert. Der subjektiv empfundene Wert des Smartphones für die Käuferin lässt sich in Geld ausdrücken, indem man diese fragt, welchen Preis sie maximal dafür ausgegeben hätte (Zahlungsbereitschaft, willingness-to-pay, WTP). Das Beispiel zeigt auch, dass die Wertschaffung für beide Parteien zwar durch den Tausch „Smartphone gegen Geld“ realisiert wird, die eigentliche Ursache für diese Wert- schaffung ist aber die Innovation. Im Beispiel also die Erfindung eines neuartigen Smart- phones und dessen Produktion und Vermarktung. Weil Innovationen, wie später noch ausführlich argumentiert, eng mit Kreativität, also „Schöpfung von Neuem“ zusammen- hängt, wird im Folgenden auch der Begriff Wertschöpfung anstatt des Begriffes Wertschaf- fung verwendet – vor allem dann, wenn das „Schöpferische“ an einer Innovation betont werden soll. : Produktinnovationen, Prozessinnovationen und Geschäftsmodellinnovationen Eine Innovation muss nicht unbedingt eine Produktinnovation sein. Wenn z.B. ein Unternehmen, das Autos produziert, eine neue Idee hat, wie man den Produktionspro- zess verbessern kann, so dass die Autos kostengünstiger oder mit besserer Qualität herge- stellt werden können als bisher, dann nennt man das eine Prozessinnovation. Ebenso wie Produktinnovationen ermöglichen auch Prozessinnovationen sowohl eine (zusätzliche) Produzentenrente als auch eine (zusätzliche) Konsumentenrente. Eine Prozessinnovation kann beispielsweise dazu führen, dass die Herstellungskosten sinken, wodurch das Unter- nehmen in der Lage ist, die Preise etwas zu senken und dadurch mehr Autos profitabel zu verkaufen. Durch eine Prozessinnovation kann auch die Qualität der produzierten Autos steigen, ohne dass zusätzliche Produktionskosten entstehen, wodurch mehr Autos verkauft werden können. Hierdurch steigt die Produzentenrente. Die Konsumentenrente steigt, wenn durch die Prozessinnovation Herstellungskosten eingespart und der Verkaufspreis gesenkt wird oder wenn durch die Prozessinnovation die Qualität und damit der Wert des Produkts steigt. Große Teile der betriebswirtschaftlichen Innovations-Literatur widmen sich der Frage, wie durch Produktinnovationen und Prozessinnovationen zusätzlicher Kundennutzen und zugleich Gewinnmöglichkeiten für das produzierende Unternehmen geschaffen wer- den können. In der neueren Innovationsliteratur wird darüber hinaus die Bedeutung von 1.2 Drei Sichtweisen, die sich gegenseitig ergänzen 11 Geschäftsmodellinnovationen (Business Model Innovations) hervorgehoben, bei denen es nicht primär um neuartige Produkte, sondern allgemeiner um neuartige Wege geht, wie Unternehmen profitabel Kundennutzen schaffen können. Als Beispiele werden oft neue Geschäftsmodelle wie bei Uber oder Airbnb genannt. Die zugrundeliegenden Leistungen (Personentransport, Wohnungsvermittlung) sind in diesen beiden Beispielen nicht neu, aber die Art, wie damit Geld verdient wird, ist neu. Häufig nutzen neue Geschäftsmodelle die sich aus der Digitalisierung ergebenden Möglichkeiten. Sowohl bei Uber als auch bei Airbnb ist die Abwicklung über eine App ein Kernaspekt des Geschäftsmodells. Traditio- nelle Taxis bestellte man meist telefonisch in einer Taxizentrale, bekam dabei die Auskunft, wann das Taxi in etwa da sein wird, und man konnte sich darauf verlassen, dass man von vertrauenswürdigen, amtlich registrierten Personen chauffiert wurde. Bei Uber erfolgt der Bestellvorgang hingegen über eine App, die international funktioniert, man kann verfol- gen, wo sich das Taxi gerade befindet und wann es ankommen wird, und ein Bewertungs- system dient als vertrauensbildende Maßnahme, durch die man mehr über die Person erfährt, die einen zum Ziel fahren wird. In ähnlicher Weise werden persönlich erbrachte Maklerleistungen bei Airbnb durch eine digitale Plattform in Form einer App ersetzt. Im Unterschied dazu war bei den Geschäftsmodellen von Facebook oder Google nicht nur das Revenue Model, also die Art und Weise wie im Rahmen des Geschäftsmodells Umsätze gemacht werden, neu – indem die Dienste kostenlos angeboten wurden und, statt über den Verkauf der Dienste, Geld über die Sammlung und Verwertung von Nutzerdaten und Onlinewerbung verdient wurde. Auch die eigentliche Dienstleistung gab es vor dem Internet-Zeitalter in dieser Form nicht. Damit handelt es sich hier gleichzeitig um Produk- tinnovationen und Geschäftsmodellinnovationen. Sowohl bei Produktinnovationen als auch bei Prozessinnovationen und Geschäftsmo- dellinnovationen wird Innovation in der bisherigen Literatur hauptsächlich aus der Kun- den- oder Nutzerperspektive gesehen. Innovation wird dementsprechend als das profitable Schaffen von Kundenutzen gesehen, also als gleichzeitiges Generieren einer Konsumen- tenrente und einer Produzentenrente. Innovation als Umsetzung kreativer Ideen zur Wertschaffung für Stakeholder Das vorliegende Buch fasst den Begriff der Innovation allerdings weiter als das gleichzei- tige Schaffen von Konsumentenrente und Produzentenrente: Innovation wird im Folgen- den verstanden als die Umsetzung kreativer Ideen zur gleichzeitigen Wertschaffung für Stakeholder eines Unternehmens. Beispielsweise entstand durch die Herstellung und den Verkauf des iPhone X nicht nur eine Produzentenrente und eine Konsumentenrente. Durch die Produktion haben auch Zulieferfirmen profitiert, und profitiert haben auch die Anbieter von Apps, die mit dem Smartphone genutzt werden. Andererseits sind aber auch Umweltschäden entstanden, es wurden nicht nachwachsende Rohstoffe verbraucht, vielleicht wurden auch einzelne Teile 12 1 Was ist Betriebswirtschaft? des iPhone unter moralisch inakzeptablen Bedingungen, etwa durch Kinderarbeit, produ- ziert. Für eine ganzheitliche Betrachtung der Wertschaffung durch Innovationen sind also deren Auswirkungen auf alle Stakeholder mit einzubeziehen. Als einfaches Beispiel dafür, wie sich die Wertschaffung durch Innovationen auf unter- schiedliche Stakeholder beziehen kann, stelle man sich eine Prozessinnovation in Form der Umsetzung einer kreativen Idee zur Verbesserung der Arbeitssicherheit vor, durch die auch Kosten gespart werden. Dadurch haben die Beschäftigten des Unternehmens einen Vorteil. In Anlehnung an die Begriffe Produzentenrente und Konsumentenrente könnte man sagen, durch die Innovation entsteht eine Arbeitnehmerrente oder Beschäftigten- rente, wobei diese Rente den Vorteil bezeichnet, der durch diese Idee für die Arbeitskräfte des Unternehmens entsteht. Wenn dadurch auch Kosten für das Unternehmen gespart werden, weil beispielsweise Arbeitszeitausfall durch Arbeitsunfälle vermieden wird, oder wenn besser qualifizierte und leistungsfähigere Arbeitskräfte angezogen werden, weil durch die höhere Arbeitssicherheit das Unternehmen attraktiver wird, dann entsteht durch die Innovation bei der Arbeitssicherheit zusätzlich eine Produzentenrente. Wenn Kosten eingespart werden, dann kann ein Teil der eingesparten Kosten vielleicht in Form nied- rigerer Produktpreise als zusätzliche Konsumentenrente weitergegeben werden. Denkbar wäre auch, dass ein Kundennutzen entsteht, ohne dass die Produktpreise gesenkt werden. Vielleicht ist das Produkt aus Kundensicht attraktiver, wenn dieses unter besseren Arbeits- bedingungen und bei höherer Arbeitssicherheit produziert wurde. Dieses Beispiel macht erstens deutlich, dass sich die durch Innovationen entstehende Wertschaffung zwischen Stakeholdern umverteilen lässt, so dass im Idealfall am Ende alle Stakeholder profitieren können. Zweitens macht das Beispiel deutlich, dass es sich bei der durch Innovationen entstehenden Wertschaffung keineswegs um Geld handeln muss. Eine Wertschaffung für die in einem Unternehmen Beschäftigten kann auch durch bessere Arbeitsbedingungen bei gleichen Löhnen entstehen, und eine zusätzliche Wertschaffung aus Kundensicht kann allein durch das Gefühl entstehen, ein sozial oder umweltfreundlich produziertes Produkt gekauft zu haben. Durch eine Innovation muss auch nicht zwingend eine Produzentenrente bzw. ein höherer Unternehmensgewinn entstehen, es können auch ausschließlich andere Stakehol- der von der Innovation profitieren. Der hier verwendete Begriff der Wertschaffung bezieht sich auf subjektiv empfundene Werte bzw. subjektive Wertzuwächse und beschränkt sich nicht auf Gewinn, höhere Arbeitslöhne oder andere geldliche Vorteile von Stakeholdern. Allerdings kann man natürlich versuchen, die Vorteile der Stakeholder in Geld auszudrü- cken, beispielsweise durch die Überlegung, wie viel man für ein Produkt mehr bezahlen würde, wenn dieses umweltschonender hergestellt wird oder auf wie viel Arbeitslohn jemand verzichten würde, wenn die Arbeitssicherheit verbessert würde. Ganz zentral für den Wertschaffungsprozess in Unternehmen ist die folgende, durch obige Beispiele illustrierte Erkenntnis: Innovation ist die Umsetzung neuer Ideen zur gemeinsamen Wertschöpfung für Stakeholder. Erst indem eine Innovation potentiell das Wohl von Stakeholdern verbessert, wird auch eine Produzentenrente (Unternehmensge- winn) geschaffen. Im Fall der Produktinnovation führt der Weg zur Produzentenrente 1.2 Drei Sichtweisen, die sich gegenseitig ergänzen 13 über den zusätzlichen Kundennutzen. Die Produzentenrente (Gewinn) wird also ermög- licht, indem durch die Produktinnovation zusätzlicher Kundennutzen geschaffen wird. Eine Prozessinnovation verbessert beispielsweise die Arbeitsbedingungen oder reduziert Ressourcenverbrauch, und eine Geschäftsmodellinnovation schafft üblicher Weise Zusatz- wert für mehrere Stakeholder gleichzeitig. Der Ausgangspunkt finanzieller Wertschaffung aus Produzentensicht durch Innovation ist also in der Regel eine kreative Idee, wie man aus Kundensicht, aus Arbeitnehmersicht oder aus Sicht anderer Stakeholder Wert schaffen kann. Nachhaltigkeit der Wertschaffung Stellen wir uns eine Unternehmerin vor, die eine neue Idee entwickelt hat, wie regional, ökologisch und zu fairen Produzentenpreisen Lebensmittel über eine Internetplattform verkauft und umweltfreundlich angeliefert werden können. Wenn diese Idee funktioniert, dann profitiert nicht nur die Unternehmerin in Form des Gewinns (Produzentenrente) und die Kundschaft in Form gesunder, preiswerter Lebensmittel (Konsumentenrente). Es profitieren offensichtlich auch die in der Landwirtschaft tätigen Personen, die die Lebens- mittel an das Unternehmen zu fairen Preisen zuliefern (Lieferantenrente), es profitieren die im Unternehmen Beschäftigten, die einen guten Job in einem verantwortungsvollen Unternehmen bekommen (Arbeitnehmerrente) und vielleicht profitiert auch noch ein ökologisch orientiertes Transportunternehmen, das alle Transportleistungen in Koopera- tion mit der Unternehmerin übernimmt. Im Idealfall profitiert auch noch die Region, in der das Unternehmen angesiedelt ist. Je langfristiger alle Stakeholder von dem durch eine Innovation geschaffenen Wert profitie- ren, umso nachhaltiger ist die Innovation. Jeder mögliche negative Effekt der Innovation auf Stakeholder ist hingegen ein Risiko für das langfristige Funktionieren der Innovation und der Geschäftsidee der Unternehmerin. Negative Effekte auf Stakeholder, deren Bei- träge für das Funktionieren des Geschäftsmodells notwendig sind (z.B. Arbeitskräfte) sind ein besonders hohes Risiko. Wenn aus Sicht eines Stakeholders im Rahmen einer Koopera- tionsbeziehung kein Wert geschaffen wird, dann wird dieser Stakeholder langfristig nicht bereit sein, zum Funktionieren der Kooperationsbeziehung beizutragen und stattdessen nach anderen Möglichkeiten suchen, wo mit den eigenen geleisteten Beiträgen eine posi- tive Wertschaffung möglich ist. Im Sinne der im vorliegenden Buch entwickelten innovationsorientierten BWL bezeichnet ein Geschäftsmodell die grundlegende Logik, wie eine Organisation Wert für ihre Stakeholder schafft, und wie die Stakeholder von dieser Wertschaffung nachhaltig, also dauerhaft, profitieren. Eine Geschäftsmodellinnovation ist dementsprechend eine neue Idee, durch deren Umsetzung die Logik der Wertschaffung durch und für die Stake- holder der Organisation verändert wird. In der Regel hat eine solche neue Idee das Ziel, mehr Wert für die Stakeholder zu schaffen und damit das dauerhafte Funktionieren der Organisation zu verbessern. 14 1 Was ist Betriebswirtschaft? 1.3 Zusammenfassung und Ausblick BWL befasst sich damit, wie Unternehmen wirtschaften. Betriebswirtschaft lässt sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, die sich gegenseitig ergänzen. Die entscheidungsorientierte BWL untersucht, wie Unternehmen und die in Unter- nehmen handelnden Personen Entscheidungen bei Knappheit treffen und wie die vorhan- denen knappen Ressourcen (Geldmittel, Personal, Knowhow usw.) so eingesetzt werden können, dass nichts verschwendet wird und Ziele möglichst gut erreicht werden. Hauptge- genstand ist damit die Spezifikation von Tradeoffs bei Ressourcenknappheit und die Opti- mierung dieser Tradeoffs. Die verhaltensorientierte BWL beschreibt Unternehmensführung als Zusammen- wirken und Ausbalancieren der zum Teil konträren Interessen unterschiedlicher Inte- ressengruppen (Stakeholder). Damit werden insbesondere Tradeoffs zwischen Stake- holder-Interessen zum Gegenstand der Unternehmensführung. Zusätzlich betont die verhaltensorientierte BWL, dass Entscheidungen in Unternehmen oft nicht rein rational, sondern durch politische Verhandlungsprozesse unter unvollständigen und ungleichmä- ßig verteilten Informationen getroffen werden. Diese beiden etablierten Sichtweisen der BWL erweitert das vorliegende Buch durch eine dritte Sichtweise, die innovationsorientierte Sicht der BWL. Die innovationsorien- tierte BWL befasst sich damit, wie Unternehmen kreative Ideen für neuartige Wertschöp- fungsmöglichkeiten erfolgreich umsetzen. Während die entscheidungsorientierte BWL die Knappheit von Ressourcen als Aus- gangspunkt hat, sowie das Erkennen und die Optimierung dadurch entstehender Tra- deoffs, fokussiert die innovationsorientierte BWL auf Innovationen als die Umsetzung neuer Ideen zur Überwindung von Knappheit und zur Überwindung von Tradeoffs. Das Erkennen von Tradeoffs ist immer der erste Schritt. Nicht alle Tradeoffs können durch Innovationen teilweise überwunden oder gar vollkommen beseitigt werden. Zumindest kurzfristig müssen viele Tradeoffs so wie sie sind akzeptiert werden und es muss ver- sucht werden, damit bestmöglich umzugehen. In manchen Fällen ist es aber möglich, neue Ideen der gemeinsamen Wertschöpfung umzusetzen, die es vorher nicht gab – also Knappheit und Tradeoffs zu überwinden. Knappheit und Tradeoffs bieten einen Ansatz- punkt für kreative Ideen für wertschöpfende Innovationen. Besonders bedeutsam sind dabei Tradeoffs zwischen Stakeholder-Interessen, wie sie von der verhaltensorientierten BWL beschrieben werden. Aus Sicht der innovationsorientierten BWL sind Innovationen neue Ideen zur Überwindung von Tradeoffs zwischen Stakeholder-Interessen, also neue Ideen für die gemeinsame Wertschöpfung für Stakeholder. Im Sinne der verhaltensorien- tierten BWL verbessern und sichern solche Ideen die langfristige Überlebensfähigkeit von Unternehmen. 1.3 Zusammenfassung und Ausblick 15 Verwendete Literatur Barnard, Ch. 1938. The Functions of the Executive. Harvard University Press, Cambridge MA. Cyert, R., March, J.G. 1963. A Behavioral Theory of the Firm (2 ed.), Wiley-Blackwell. Freeman, R.E. 1984. Strategic Management. A Stakeholder Approach, Pitman. Heinen, E. 1971. Industriebetriebslehre. Entscheidungen im Industriebetrieb, Gabler, Wiesbaden Lettl, Ch., Speckbacher, G.. 2014. Business Model Innovation. Zeitschrift für Führung und Organisation (ZFO) 83(3), 168-173. Simon, H. 1961. Administrative behavior (2nd ed.), Macmillan, New York. Speckbacher, G.. 2004. Shareholder Value und Stakeholder Ansatz. In: Schreyögg, G., Werder, A.v. (Hrsg.): Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation, 1319- 1326, Stuttgart. Unternehmerische Perspektive 2 2.1 Beispiele Henry Ford (1863-1947) Bereits 1862 war von Nikolaus August Otto der nach ihm benannte Ottomotor entwickelt worden, aber erst Gottlieb Daimler und Carl Benz gelang es, kleinere und leichtere Ver- brennungsmotoren zu entwickeln, die sich dazu eigneten, ein Fahrzeug anzutreiben. Carl Benz ließ im Jahr 1886 ein erstes funktionsfähiges Automobil patentieren. Bis dahin gab es als Antriebsmotoren neben der knapp 100 Jahre vorher von James Watt maßgeblich miten- twickelten Dampfmaschine nur erste Elektromotoren, die aber als Antrieb in der Industrie und für Autos zunächst kaum eine Rolle spielten. Für Elektromotoren gab es noch kein geeignetes Stromnetz und keine leistungsfähigen Batterien für den mobilen Einsatz. Henry Ford hatte sich seit seiner Kindheit für technische Apparate interessiert und mit großem Geschick unter anderem Taschenuhren repariert. Im Alter von 15 Jahren baute er sogar in seinem selbst eingerichteten Werkraum einen funktionsfähigen Verbrennungs- motor. Im Jahr 1896, also nur 10 Jahre nach Carl Benz, baute er sein erstes Automobil. Zwei Jahre später gründete Henry Ford die Detroit Automobile Company, die allerdings weitere zwei Jahre später bereits zahlungsunfähig war. Mit neuen Geldgebern wagte Ford einen zweiten Versuch mit der Henry Ford Company. Dieses Unternehmen verließ Henry Ford nach einem Jahr schon wieder und das Unternehmen wurde in Cadillac Motor Company umbenannt. Henry Ford gründete dann 1903 die Ford Motor Company. Autos waren zu dieser Zeit nicht nur sehr teuer, sondern auch unzuverlässig und nur wenige Autos wurden verkauft. Nachdem das Unternehmen einige bei Autorennen sehr erfolgreiche Fahrzeuge her- gestellt hatte und dadurch bekannt wurde, setzte Henry Ford, der auch selbst Autorennen fuhr, 1908 seine Vision von einem „billigen Auto für jedermann“ um. Das vom ungari- schen Maschinenbauingenieur József Galamb im Auftrag von Henry Ford konstruierte © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 17 ein Teil von Springer Nature 2023 G. Speckbacher, Innovationen für gemeinsamen Gewinn, https://doi.org/10.1007/978-3-658-43224-9_2 18 2 Unternehmerische Perspektive Model T (Ford hatte seine Automodelle, angefangen mit Model A, jeweils mit Buchstaben benannt – eine Idee die später Elon Musk aufgriff) war so einfach, so zuverlässig und so preisgünstig, dass es zum Massenprodukt wurde. 1918 war jedes zweite Auto in den USA ein Model T und bis 1927 wurde 15 Millionen Stück von diesem Auto verkauft. Bevor Henry Ford mit seinem Model T eine arbeitsteilige Fließbandproduktion und Massenfertigung in der Autoherstellung einführte, wurden Autos in Teams in Einzelferti- gung hergestellt, wobei ein Team alle Fertigungsschritte ausführte. Das Grundprinzip der Fließbandfertigung war bereits seit mehreren Jahren bekannt und wurde unter anderem in Schlachthöfen in Detroit eingesetzt. Durch die Fließbandfertigung konnte die durch- schnittliche Herstellungszeit für ein Auto von vorher 12 Stunden auf eineinhalb Stunden reduziert werden, was eine enorme Reduktion der Herstellungskosten ermöglichte, und ein Model T konnte zum Preis von nur 295 Dollar angeboten werden. Allerdings funk- tionierte das nur durch massive Standardisierung. Im Unterschied zur vorher üblichen Teamproduktion, wo unterschiedliche Teams problemlos unterschiedliche Autotypen her- stellen konnten, funktionierte die Fließbandfertigung am besten, wenn jedes produzierte Auto gleich war. Henry Ford führte bereits 1914, als wesentlich längere Arbeitszeiten üblich waren, den Achtstundentag ein, und er zahlte mit 5 Dollar pro Stunde doppelt so hohe Löhne wie damals für derartige Tätigkeiten üblich. Bei 5 Dollar Stundenlohn entsprach der Preis für ein Model T nur 59 Stunden Arbeitszeit. Der Achtstundentag ermöglichte Ford, seine Produktion in drei Schichten pro 24 Stunden rund um die Uhr laufen zu lassen. Aller- dings hat Henry Ford auch diese Innovation im Herstellungsprozess nicht selbst erfun- den. Bereits 1906 hatte der deutsche Unternehmer Robert Bosch den Achtstundentag und damit drei Arbeitsschichten in seinen Produktionsbetrieben eingeführt, was ihm zu deut- lichen Produktivitätssteigerungen verhalf. Robert Bosch hatte zudem auch Betriebsärzte, eine Alters- und Hinterbliebenenunterstützung sowie eine Förderung junger, besonders begabter Arbeitskräfte eingeführt. Mit seiner immer weiter entwickelten und verfeinerten Idee, Autos in Fließbandpro- duktion herzustellen, gelang es Henry Ford ein zum damaligen Stand der Technik quali- tativ sehr gutes und gleichzeitig extrem preisgünstiges Auto herzustellen. Durch die Pro- zessinnovation der Fließbandproduktion von Autos gelang es ihm, den Tradeoff zwischen Qualität und Preis zu „verschieben“ und höhere Qualität zu niedrigerem Preis zu bieten. Dies ermöglichte gleichzeitig eine Konsumentenrente und eine Produzentenrente. Zudem schuf Ford viele Arbeitsplätze mit sehr hohen Löhnen für ungelernte Arbeitskräfte, mit für damalige Verhältnisse guten Arbeitsbedingungen (Achtstundentag). Das bedeutete auch eine hohe Wertschöpfung für Arbeitskräfte. Henry Fords Sturheit, die am Anfang seiner Karriere als Unternehmer mit verant- wortlich war, dass er trotz großer Widrigkeiten nicht aufgab, wurde ihm später beinahe zum Verhängnis, als er zu lange am Model T festhielt, obwohl die Konkurrenz inzwischen günstige und bessere Autos herstellte und seine Absatzzahlen immer mehr zurückgin- gen. Obwohl er sich sehr lange dagegen gewehrt hatte, gab er schließlich dem Drängen 2.1 Beispiele 19 seines Sohnes Edsel Ford nach und brachte ein neues Automodell (das wieder als Model A bezeichnet wurde) auf den Markt. Q Ray Kroc (1902-1984) Als mäßig erfolgreicher Verkäufer von Mixern für Milkshakes wurde Ray Kroc 1954 auf ein Restaurant in San Bernardino, Kalifornien, unweit von Los Angeles aufmerksam, das bereits zwei Mixer bestellt hatte und nun gleich nochmal sechs seiner Multimixer nach- bestellte. Diese Mixer kosteten je 150 Dollar und man konnte mit ihnen bis zu fünf Milk- shakes gleichzeitig herstellen. Ray Kroc wunderte sich, was ein einzelnes Restaurant mit so vielen Mixern machte. Er fuhr also nach San Bernardino, wo er auf die Brüder Richard (Dick) und Maurice (Mac) McDonald traf, die ein Hamburger-Restaurant betrieben. Die beiden Brüder waren eigentlich nach Kalifornien gezogen, um in Hollywood als Schau- spieler Karriere zu machen, als dies aber nicht gelang, gründeten sie eine Imbissbude auf einem Parkplatz. Der Schnellimbiss lief zunächst sehr gut und entwickelte sich zu einem beliebten Treffpunkt für Teenies. Man konnte im Auto bestellen und Servicekräfte auf Rollschuhen brachten das Essen direkt ans Auto. Als aber Ende der 1940er Jahre immer mehr Schnellimbissanbieter den Brüdern Konkurrenz machten, lief das Geschäft zuneh- mend schlechter und die Brüder McDonalds mussten sich etwas Neues überlegen. Die Servicekräfte wurden entlassen und die Burger wurden nun in Anlehnung an das Vorbild Henry Fords durch angelernte Arbeitskräfte in einem ausgeklügelten arbeitsteiligen Pro- duktionsprozess frisch zubereitet und für nur 15 Cent verkauft. Von der Bestellung bis zum Verkauf dauerte es nur etwa 60 Sekunden. Ähnlich wie bei Henry Ford wurde die Produktpalette stark reduziert auf ganz wenige Burger und Drinks, die dann standardisiert fast wie in einer Fließbandproduktion zubereitet wurden. Sonderwünsche zur Zuberei- tung gab es nicht mehr. Die Prozessinnovation der McDonalds Brüder hatte den Tradeoff zwischen Zeit und Frische neu definiert, indem man mit einer extrem kurzen Wartezeit von 60 Sekunden frisch zubereitetes Essen bekommen konnte. Durch diese Prozessinno- vation war gleichzeitig eine Produktinnovation entstanden: Frisch zubereitetes Fastfood. Als nun Ray Kroc in San Bernardino ankam wunderte er sich über die große Betrieb- samkeit vor dem Restaurant der Brüder McDonalds und als er gesehen hatte, wie die Pro- duktion funktionierte, war er sofort begeistert von dieser Geschäftsidee. Er überzeugte die McDonalds Brüder schließlich, ihm die Franchising-Rechte für die Eröffnung eines McDonalds Restaurants in Des Plaines, einem Vorort von Chicago, zu übertragen. In die- sem Restaurant machte er alles gleich, wie im ersten Restaurant in San Bernardino, gleiche Herstellung, gleiche Produkte, gleiche Preise. Das Restaurant wurde ein genauso großer Erfolg wie in San Bernardino, nach einem Jahr hatte Ray Kroc schon 12 Restaurants in den USA nach demselben Prinzip eröffnet, 1959 waren es bereits 100 Restaurants und ein Jahr später mehr als 200. Im Jahr 1961 kaufte Ray Kroc mit dem Geld verschiedener Investoren das Unternehmen der McDonald-Brüder inklusive der Markenrechte für 2,7 Millionen US-Dollar. Einzig ihr Restaurant in San Bernardino behielten die beiden Gründer. 1965 20 2 Unternehmerische Perspektive wurde McDonald’s dann an die Börse gebracht, um mit frischem Investorenkapital inter- national zu expandieren. In den 1980er Jahren kam es zu einem sehr harten Wettbewerb zwischen McDonald’s und anderen Fastfood Ketten in den USA, insbesondere Burger King und Wendy’s. Dabei versuchte McDonalds, sich durch teure Marketing-Kampagnen und Preisreduktionen der Konkurrenz zu erwehren. Das führte sowohl bei McDonalds als auch bei der Konkur- renz zu sinkenden Gewinnen, McDonalds konnte seine führende Position aber letztlich verteidigen. Nach einer Phase enormen Wachstums und internationaler Expansion während der 1980er und 1990er Jahre, wandte sich Anfang der 2000er Jahre vor allem junge Kundschaft ab von McDonalds, hauptsächlich aufgrund sich ändernder Essgewohnheiten und des Trends zu gesünderen und frischen Produkten. Dies führte zu Umsatzrückgängen und 2003 schließlich zum ersten Verlust in der Geschichte von McDonald’s. Der Börsenkurs brach ein und McDonald’s wurde bei der weltweiten Anzahl von Filialen 2010 von Subway überholt. Mit dem Motto „Eat Fresh“ hatte Subway den Trend zu gesünderem Essen aufgenommen und bot auch die Möglichkeit, sich ein Subway Sandwich selbst zusammenzustellen. Einige Jahre später, ab 2015, wurde mit den McDonalds Digital Boards (Kioske) eine neue Technologie eingeführt, mit der es möglich wurde, sich selbst Produkte zusam- menzustellen. Diese neue digitale Technologie ermöglichte McDonalds eine Innovation, um den bisherigen Tradeoff zwischen Produktionseffizienz durch Standardisierung und Anpassung der Produkte auf Sonderwünsche („Customization“) zu überwinden. Nun war es möglich, auf Kundensonderwünsche einzugehen, ohne dass dadurch lange Wartezeiten entstanden. Ab 2017 wurde mit der McDonalds App eine Geofencing Technologie in aus- gewählten Märkten getestet und später flächendeckend eingeführt. Dadurch wurde mög- lich, bequem über eine App individuelle Sonderwünsche bei der Bestellung anzugeben. Sobald man sich auf 200 Meter dem McDonalds Restaurant nähert, erhält man einen Hin- weis, um die Bestellung final zu bestätigen. Bei Eintreffen im Restaurant bekommt man dann das frisch zubereitete Essen. Da das Frühstücksgeschäft besonders gut lief, wurde das Ganztages-Frühstück einge- führt. McDonalds hatte auch beobachtet, dass eine andere Kette, Starbucks, zwischen 1990 und 2010 enorm expandierte mit dem Konzept gemütlicher und entspannter Kaffeehäuser für eine junge Zielgruppe. McDonalds versuchte nun seinerseits diese erfolgreiche Idee nachzuahmen und mit dem eigenen Fastfood-Geschäft zu kombinieren. Q Dietrich Mateschitz (1944-2022) Nach seinem Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien war Dietrich Mateschitz als Marketingexperte für Jacobs Kaffee und für den Zahnpastahersteller Blendax tätig. Anfang der 1980er Jahre stieß er bei einem Thailandaufenthalt auf ein Taurin- und Koffein-haltiges sirupartiges Aufputschgetränk mit dem Namen Krating Daeng, was man auf Englisch mit Red Bull übersetzen könnte. Dieser Energy Drink war vor allem in Thailand seit längerer Zeit recht verbreitet und erfolgreich. 2.1 Beispiele 21 Mit knapp 40 Jahren, war Mateschitz ohnehin gerade am Überlegen, ob er das Leben als Marketing-Manager in einem internationalen Konzern, ständig auf Reisen und in Hotels, so weiterführen wollte oder ob er besser seinem Unabhängigkeits- und Freiheits- drang folgen und sich selbständig machen sollte. Mateschitz sah das große Potential in diesem Energy Drink und gründete schließlich gemeinsam mit dem Eigentümer der Her- stellerfirma und Erfinder des Getränks, dem thailändischen Unternehmer Chaleo Yoo- vidhya, und desssen Sohn die Red Bull GmbH. Während das Getränk in Asien weiterhin erfolgreich mit der alten Rezeptur verkauft wurde, änderte Mateschitz die Rezeptur leicht. Er machte ein kohlensäurehaltiges Getränk daraus, von dem er hoffte, dass es besser den europäischen Kundengeschmack traf (lokale Anpassung). Nach langwierigen Zulassungs- verfahren vor allem hinsichtlich des Inhaltsstoffes Taurin wurde der Energy Drink 1987 zunächst in Österreich eingeführt, 1994 in Deutschland und der Schweiz und 1997 in den USA. Heute ist Red Bull Weltmarktführer bei Energy Drinks und verkauft jährlich weltweit über 10 Milliarden Dosen. Mateschitz wurde mit einem geschätzten Vermögen von 15-20 Mrd. Euro zum reichsten Österreicher und er gehörte bei seinem Tod im Jahr 2022 zu den reichsten hundert Menschen weltweit. Die wenigen bekannten Interviews mit dem Red Bull Gründer deuten aber darauf hin, dass ihm Unabhängigkeit und unternehmerische Gestaltungsfreiheit immer wichtiger waren und ihn mehr motivierten, als die Aussicht, einmal einer der 100 reichsten Menschen zu werden. Der große weltweite Erfolg von Red Bull zog weit mehr als hundert Nachahmer und Konkurrenten an, wie etwa Rockstar, Monster oder Flying Horse. Während Konkurrenz- unternehmen problemlos die im wesentlichen gleichen Inhaltsstoffe verwenden dürfen und damit relativ einfach ein ähnliches Getränk herstellen können, sind der Name Red Bull und das Design der Dose mit der Farbkombination Blau und Silber geschützt, sowie der Spruch „…verleiht Flügel“. Zumindest bei allzu leicht verwechselbaren Nachahmun- gen des Produktnamens konnte Red Bull erfolgreich gegen Nachahmer-Produkte, wie etwa das in sehr ähnlich aussehenden Dosen verkaufte Red Bat aus Schweden, vorgehen. Sehr erfolgreich wurde Rockstar mit einem Energy Drink, der in doppelt so großen Dosen wie Red Bull angeboten wird, und auch die kleinen Energy Shots von 5-hour ENERGY wurden recht erfolgreich. Red Bull versuchte daraufhin ab 2009 ebenfalls Energy Shots am Markt zu etablieren, allerdings mit überschaubarem Erfolg. Ab 2008 wurde zusätzlich Red Bull Cola auf den Markt gebracht, wobei man hier versuchte, den Trend zu natürlichen Inhaltsstoffen durch ein Getränk aus Pflanzenextrakten aufzugreifen. Nach Jahren gigantischer Steigerungsraten bei den Umsätzen gab es bei Red Bull 2009 erstmals einen vorübergehenden Umsatzrückgang. Seit 2016 gibt es eine Summer Edition mit zusätzlichen Geschmacksrichtungen, seit 2017 gibt es eine neue Produktvariante mit der Bezeichnung „Organics by Red Bull“. Red Bull ist ein eher ungewöhnliches Beispiel für eine Produktinnovation, weil kein vorher erkennbarer Tradeoff aufgelöst oder ein Problem bzw. Kundenbedürfnis adres- siert wird. Vielmehr wurde in Europa und USA erst ein Bedürfnis bzw. ein Markt für Energy Drinks geschaffen. Daher ist auch schwieriger zu beschreiben, worin genau die 22 2 Unternehmeris