Zwangsstörungen (Kapitel 52) PDF
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These lecture notes cover the topic of obsessive-compulsive disorder (OCD). The lecture notes detail the symptoms, diagnosis, and treatment of OCD, according to the DSM-5. The lecture notes also include practical diagnostic tools and evaluation methods for OCD.
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Zwangsstörungen (Kapitel 52) Rituale und Gewohnheiten > Rituale: Orientierung, Sicherheit und Hilfe v.a. im Kontext von emotionalen Erlebnissen > Gewohnheiten & Automatismen: Erleichtern den Alltag Abb. Buch: (Langlotz et al., 2010) Aufdringliche Gedanken > Habe ich mich angesteckt? > Bin ich mit Sc...
Zwangsstörungen (Kapitel 52) Rituale und Gewohnheiten > Rituale: Orientierung, Sicherheit und Hilfe v.a. im Kontext von emotionalen Erlebnissen > Gewohnheiten & Automatismen: Erleichtern den Alltag Abb. Buch: (Langlotz et al., 2010) Aufdringliche Gedanken > Habe ich mich angesteckt? > Bin ich mit Schmutz in Berührung gekommen? > Was ist, wenn ich ein Kind verletze? > Habe ich jemanden/etwas angefahren? «normal» pathologisch Automatismen, Rituale, Alltagssorgen: Merkmale pathologischer Zwänge: Kaum bedrängend innerer, subjektiver Drang Widerstand nicht nötig Widerstand gegen den Drang Nimmt kaum gedanklichen Raum ein Erkenntnis, dass sinnlos Keine Beeinträchtigung in Erleben und Verhalten Deutliche Beeinträchtigung in Erleben und Verhalten Leitfragen > > > > > > Welche Störungen lassen sich (mittels DSM‐5) klassifizieren? Wie sind diese Störungen charakterisiert und definiert? Welche (differential)diagnostischen Überlegungen sind relevant? Wie verbreitet sind diese Störungen? Wie verlaufen sie typischerweise? Welche Erklärungsmodelle für diese Störungen gibt es? Zwangsgedanken & Zwangshandlungen Zwangshandlungen (~rituale): ‐ wiederkehrende Handlungen ‐ behavioral oder in Vorstellung ‐ bestimmte, festgelegte Art ‐ nicht angenehm ‐ Ziel: Unheil abwenden, Spannung reduzieren Beten, Zählen Ordnen Berühren …. Zwangsgedanken: ‐ wiederkehrende Gedanken, bildhafte Vorstellungen, Impulse ‐ häufig mit gewalttätigem, obszönen, bedrohlichem Inhalt ‐ Effekt: Rufen Spannung, negative Emotionen hervor Zwangsgedanken & Zwangshandlungen Häufige Themen: Religion Sünde Schuld Schmutz Ansteckung Sexualität Aggression Tod Y‐BOCS, Goodman et al, 1991 Zwangsstörung (DSM‐5): Defini on von Zwangsgedanken & Zwangshandlungen (→Krit. A) Zwangsgedanken Zwangshandlungen sind durch (1) und (2) definiert: sind durch (1) und (2) definiert: 1. Wiederholte Verhaltensweisen/mentale 1. Wiederkehrende und anhaltende Handlungen, zu denen sich die Person als Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die Reaktion auf einen Zwangsgedanken oder im Krankheitsverlauf mindestens zeitweilig aufgrund von streng zu befolgenden Regeln als aufdringlich und ungewollt empfunden gezwungen fühlt. werden, und die meist ausgeprägte Angst und großes Unbehagen hervorrufen. 2. Die Verhaltensweisen/die mentalen Handlungen dienen dazu, Angst/Unbehagen 2. Die Person versucht, diese Gedanken, zu verhindern/zu reduzieren oder Impulse oder Vorstellungen zu gefürchtete Ereignissen/Situationen ignorieren/zu unterdrücken/sie mithilfe vorzubeugen; anderer Gedanken oder Tätigkeiten zu neutralisieren (z. B. durch eine diese Verhaltensweisen/mentalen Zwangshandlung). Handlungen stehen jedoch in keinem realistischen Bezug zu dem, was sie zu neutralisieren/zu verhindern versuchen, oder sie sind deutlich übertrieben. (APA, 2015) Zwangsstörung (DSM‐5) A. Entweder Zwangsgedanken, Zwangshandlungen oder beides. B. Die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen sind zeitintensiv oder verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. C. Die Symptome der Zwangsstörung sind nicht Folge der physiologischen Wirkung einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktors. D. Das Störungsbild kann nicht besser durch das Vorliegen einer anderen psychischen Störung erklärt werden. Zusatzspezifikationen: > Mit guter/angemessener/wenig/fehlender Einsicht > Mit/ohne Tic‐Störung (APA, 2015) Leitfragen > > > > > > Welche Störungen lassen sich (mittels DSM‐5) klassifizieren? Wie sind diese Störungen charakterisiert und definiert? Welche (differential)diagnostischen Überlegungen sind relevant? Wie verbreitet sind diese Störungen? Wie verlaufen sie typischerweise? Welche Erklärungsmodelle für diese Störungen gibt es? Diagnostik > Strukturierte Interviews zur Diagnosestellung (z.B. SKID) > Schweregradeinschätzung und Symptomhäufigkeit, z.B.: Yale‐Brown Obsessive Compulsive Scale (Y‐BOCS, Goodmann et al., 1989; für Kinder: CY‐BOCS) → Explora on vorliegender Zwangsgedanken und Zwangshandlungen → Schweregradeinschätzung (Zeitaufwand, Beeinträchtigung, Leidensdruck, Widerstand, wahrgenommene Kontrolle) > Selbstbeurteilungsfragebögen (z.B. Hamburger Zwangsinventar, HZI) Differentialdiagnostik > Schizophrenie: Ursprung der Gedanken bei Zwangsstörungen innen (≠ eingegeben). Einsicht in realitätsferne der Gedanken geringer als bei Zwangsstörung > Tics: eher kurzlebige sensomotorische Dranggefühle > Pathologisches Horten: ohne Zwangsgedanken > Hypochondrie: weniger ritualisierte (Zwangs‐)Handlungen, weniger Einsicht > Depression: Gedanken oft stärker selbstabwertend, nicht primär angstauslösend > Generalisierte Angststörung Sorgen zukunftsbezogen, oft realitätsnäher, variabler. Keine Zwangshandlungen Vgl. auch Hoyer & Knappe, 2020, S 1186 & 1187 Leitfragen > > > > > > Welche Störungen lassen sich (mittels DSM‐5) klassifizieren? Wie sind diese Störungen charakterisiert und definiert? Welche (differential)diagnostischen Überlegungen sind relevant? Wie verbreitet sind diese Störungen? Wie verlaufen sie typischerweise? Welche Erklärungsmodelle für diese Störungen gibt es? Epidemiologie > 12‐Monatsprävalenz: 0.7‐1.2% > Prävalenzzahlen über Länder, Kulturen, Geschlechter hinweg stabil > Ersterkrankung: Ø 19.5 → Beginn häufig (bei 75% der Patient:innen) in Adoleszenz & frühem Erwachsenenalter > Über 90% der Patient:innen weisen komorbide Störung auf Vgl. Hoyer & Knappe, 2020, Kapitel 42.3, ergänzt durch Kessler et al 2005, 2009, nach Caspar, Pjanic, Westermann, 2017 Verlauf > Beginn oft schleichend & Zwangsstörungen oft verheimlicht: später Behandlungsbeginn (9‐10 Jahre nach Störungsbeginn) > Waschzwänge beginnen abrupter, Kontrollzwänge schleichender > Spontanremission sehr selten. Chronizität und phasenartiger Verlauf häufig. Leitfragen > > > > > > Welche Störungen lassen sich (mittels DSM‐5) klassifizieren? Wie sind diese Störungen charakterisiert und definiert? Welche (differential)diagnostischen Überlegungen sind relevant? Wie verbreitet sind diese Störungen? Wie verlaufen sie typischerweise? Welche Erklärungsmodelle für diese Störungen gibt es? Aetiologie: 2‐Faktoren‐Theorie (Mowrer) > Erklärt: ‐ Aufrechterhaltung von Zwangshandlungen > Kritikpunkte: ‐ nicht plausibel für Zwangsgedanken ‐ Angst oft nicht primär relevante Emotion ‐ Vermeidungsverhalten bei Zwangsstörungen beinhaltet eine extra herbeigeführte Konfrontation mit Situation («aktives Vermeidungsverhalten») ‐ die im ersten Faktor geforderte «Traumatisierung» selten auffindbar ‐ kein Raum für relevante Kognitionen im Modell Aetiologie: Kognitiv‐behaviorales Modell Abb. Wittchen & Hoyer, 2011, vgl. auch Abb. 52.2 (S. 1191) in Hoyer & Knappe, 2020 Aetiologie: Kognitiv‐behaviorales Modell Auch in Allgemeinbevölkerung sehr häufig ≠ Zwangsgedanke Abb. Wittchen & Hoyer, 2011, vgl. auch Abb. 52.2 (S. 1191) in Hoyer & Knappe, 2020 Aetiologie: Kognitiv‐behaviorales Modell Durch Biographie, Lerngeschichte & aktuelle Situation geprägt Verstärkt durch Versuch, Gedanken zu unterdrücken Stimuluskomponente! Erhöht Unruhe Abb. Wittchen & Hoyer, 2011, vgl. auch Abb. 52.2 (S. 1191) in Hoyer & Knappe, 2020 Aetiologie: Kognitiv‐behaviorales Modell Verstärkt (langfristig) Bewertung Erhöht (langfristig) die Auftretenswahrscheinlichkeit von (1) Reaktionskomponente! Reduziert (kurzfristig) Unruhe Abb. Wittchen & Hoyer, 2011, vgl. auch Abb. 52.2 (S. 1191) in Hoyer & Knappe, 2020 Aetiologie: Kognitiv‐behaviorales Modell unterschiedliche Funktion Abb. Wittchen & Hoyer, 2011, vgl. auch Abb. 52.2 (S. 1191) in Hoyer & Knappe, 2020 Aetiologie: Besonderheiten der Informationsverarbeitung > > > > > > Gefahrenüberschätzung: Überschätzung der Auftretenswahrscheinlichkeit und Intensität negativer Ereignisse Überhöhte Verantwortlichkeit («Inflated Responsibility»): Verantwortungsübernahme auch für nicht beeinflussbare Ereignisse Überbewertung von Gedanken macht Gedankenkontrolle subjektiv notwendig und ebnet Weg für «Thought action fusion»: Grenze zwischen Gedanken und Handlungen subjektiv durchlässiger. Unsicherheitsintoleranz: vollkommene Sicherheit scheint nötig (und erreichbar) Perfektionismus: Fehler/Unvollkommenheit = inakzeptabel Unvollständigkeitsgefühle: gefühlsmässiger Eindruck, etwas sei noch nicht abgeschlossen oder unstimmig Vgl. Hoyer & Knappe, 2020, S. 1192 Aetiologie: Evolutionstheorie, Psychodynamik, Entwicklungspsychologie > Evolutionstheoretische Überlegungen zu den Inhalten der Zwangsgedanken: Themen beschäftigen sich mit Reproduktion und Überleben, möglicherweise evolutionär geprägt und Zwangsstörung extreme Ausprägung. > Psychodynamische Theorien: Doppelter Ich‐Konflikt: Ich konfrontiert mit «unmoralischen» Impulsen des Es und besonders strengem Über‐Ich. > Entwicklungspsychologie: Entwicklungspsychologische Übergänge scheinen Risiko für Zwangsstörungen zu erhöhen. → Im Ablösungsprozess können Rituale Sicherheit geben. Aetiologie: Neurobiologie Störung der kortiko‐striato‐thalamo‐kortikalen Regelkreise: Fronto‐striatale Hyperaktivität… →nachgewiesen während Symptomprovokation und im Ruhezustand →reduziert nach Therapie Vgl. Hoyer & Knappe, 2020, Kapitel 52.4.2 Aetiologie: Neurobiologie ACC: Handlungsüberwachung Striatum: habituelles Verhalten, Automatismen OFC: adaptives Lernen (→ vgl. Studienbox «Handlungsüberwachung und ERN», S. 1191 & Abb. 52.3) Vgl. Hoyer & Knappe, 2020, Kapitel 52.4.2 Aetiologie: Neurobiologie Unklar: Symptomkorrelat oder Ursache? Heterogenität der Zwangssymptome Differenziertere Betrachtung von Subregionen Beteiligung weiterer Hirngebiete (z.B.: Amygdala) Vgl. Hoyer & Knappe, 2020, Kapitel 52.4.2