Zusammenfassung der Museumstheorie PDF
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Prof. Dr. Thomas Thiemeyer
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This document provides a summary of museum theory, covering topics like the history of museums, their functions, and how they operate in different contexts, including the roles of preservation, research, and display. The document also examines how museums relate to cultural and political perspectives.
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Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums VL 1 – Was ist ein Museum? Was ist ein Museum? Wissens- und Repräsentationsort (EKW; curiositas und repraesentatio) Institution des kulturellen Erbes Ausdruck...
Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums VL 1 – Was ist ein Museum? Was ist ein Museum? Wissens- und Repräsentationsort (EKW; curiositas und repraesentatio) Institution des kulturellen Erbes Ausdruck und Produkt von Erinnerungskultur Ort der Kulturaushandlung Doppelte Begriffsherkunft: kultisch (Museum = Tempel der Musen) und wissenschaftlich (Museion von Alexandria) Wann und wie entstand das moderne Museum? Aufklärung (1650ff.); um 1800 Neu: Öffentlichkeit, Konzept von Kulturerbe, Bürgertum, Nationalidee Welche Aufgaben hat ein Museum? (nach ICOM 2022) à Begriff Museum lange Zeit offen, erst spät Festlegung auf Institution Status: Gemeinnützig, dauerhaft, im Dienste der Gesellschaft Aufgaben: Forschung, Sammlung, Bewahrung, Interpretation, Ausstellung von materiellem und immateriellem Erbe Verpflichtung: Öffentlichkeit, Inklusion, Vielfalt, Zugänglichkeit, Nachhaltigkeit Ethos: Ethisch, professionell, partizipativ Zweck: Vielfalt, Bildung, Genuss, Reflexion, Wissensaustausch Welche Funktionen hat ein Museum? 1. Forschen 2. Sammeln 3. Bewahren 4. Interpretieren 5. Ausstellen Wie funktioniert Sammeln? Erkenntniszweck Epistemische Praxis à Wissensordnungen erzeugen Systematische Objektauswahl, öffentlich konsensfähige Kriterien Motive: o Wissenschaftlich: (Wissensproduktion) – MacDonald (2006) o politische (Repräsentation) – o Psychologisch (Nostalgie, Kompensation) Pearce (1994): Positive intellektuelle Handlung um Message rüberzubringen Krzyszstof (1998): Zusammenstellung natürlicher oder künstlicher Gegenstände, die zeitweise oder endgültig aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgehalten werden; an abgeschlossenem Ort à Ausstellung und Ansehe Welche Arten der Sammlung gibt es? 1. wissenschaftlich: Dinge als Wissensspeicher 2. politisch: Dinge als Statussymbole (Repräsentation) 3. psychologisch: Sammeln als Kompensation für Verluste (Hermann Lübbe 1 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums Was ist Bewahren? Erschließen o Ordnung / Klassifikation o Provenienzprinzip: Bewahren nach Herkunftszusammenhang – Überlieferungszusammenhang unverändert o Pertinenzprinzip: Sortieren nach neuen Kategorien der Museumssammlung. Abhängig von den Erkenntnisinteressen der jew. Bezugsdisziplin Erhalten: Konservieren oder Restaurieren Was ist Forschen? Wissenschaftliche Methodik systematische Suche nach neuer Erkenntnis entlang der Sammlungen Neues Wissen – Dokumentation und Veröffentlichung Forschungsmuseen der Blauen Liste (seit 1977): o Orte der Bildung / Wissenschaftskommunikation / Wissenstransfers o z.B. Deutsches Museum München, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven Was ist Ausstellen? Thiemeyer 2018: o Ausstellung als zeitlich begrenzte Präsentation o Zweck: Demonstration o Ortsungebunden o Schauzusammenhänge: sinnliche Erfahrungen o Anspruch: Unterhaltung und Wissensvermittlung Dauerausstellung: o 10-15 Jahre o „Schausammlung“ Wechselausstellung: o wenige Monate o Wanderausstellung o Leihgaben o Aktuelle Themen, zugespitzt „Interventionsausstellung“ Was ist das Prinzip der Inszenierung beim Ausstellen?: Korff 2007: „Anordnung und Installation der Objekte in einem Raum […], und zwar nach Maßgabe einer Deutung“ Thiemeyer: Inszenierungen in Ausstellungen setzen Exponate gezielt in Szene, um Deutungen zu vermitteln und sinnliche Erfahrungen zu ermöglichen – sie sind erlebbar, aber nur bedingt analytisch fassbar. Was ist Interpretieren? : Ganzheitliches Konzept von (Kultur-)Vermittlung, die das Museum als Ganzes betrifft und nicht nur die Ausstellungsbegleitung (Citizen Science, popularisierte Wissenschaft), kulturelle Bildung und Teilhabe Vermitteln o Dialog Besucher und Objekte o neue Perspektiven 2 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums o selbstständige, reflektierte Nutzung des Museums als Wissens- und Erlebnisort kulturelle Bildung und Teilhabe o am kulturellen und gesellschaftlichen Leben à Partizipation! VL 2 – Kultur, Geschichte, Identität, Wissen Welche Elemente / Koordinaten von Museen gibt es? Museum als Medium, Aushandlung von Kultur 1. Kultur: Legitimation 2. Geschichte: Identitätszuschreibung 3. Identität: Zugehörigkeiten 4. Wissen: Vermittlung à Kultur basiert auf Geschichte und hilft, Identität zu stiften Welche zwei Kulturbegriffe gibt es? Eng: Kunst und Bildungsgut (Hochkultur) o normativ (1900Jh.), franz. Rev. o 1970er: Kultur für alle (Hoffmann) o heute: Kommodifizierung von Kultur § „Kulturindustrie“ (Horkheimer / Adorno 1969): Kommodifizierte Kultur als „Ware“ Mehrheitsgedanke Populäre vs. Ernste Kultur? Weit (heute): „Culture as a whole way of life“ (R. Williams) – Lebensweise einer Gruppe inkl. Umgangsformen, politisches System, Symbole,… o Prozesshaftigkeit Was hat es mit Hyperkultur vs. Kulturessenzialismus auf sich? (A. Reckwitz 2017) o Was ist Hyperkultur?: § Bejaht kulturellen Wandel, Vielfalt und Hybridität § Getrieben durch Globalisierung und Kulturkapitalismus o Was ist Kulturessenzialismus?: § Kritisiert Wandel als Entwurzelung und Verlust von Stabilität § Plädiert für feste kulturelle Normen und Homogenität à Allg: Beschleunigter Wandel durch Globalisierung, hybride Kulturformen, Ökonomisierung von Kultur Geschichte Moderner Mensch: Abgrenzung zur Vergangenheit und Geschichtsbewusstsein (18.Jh) Kulturerbe: historische Bezüge (z.B. Traditionen) / symbolische Identitätsstiftung Geschichte vs. Vergangenheit: 3 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums o Geschichte: Konstrukt, das durch kulturelle Praxis geschaffen wird, um die Vergangenheit zu interpretieren / „Sinnbildung über Zeiterfahrung“ (Jörn Rüsen) o Vergangenheit = Unwiederbringlich verloren und nur durch Erinnerung in Form von Geschichte zugänglich. à Geschichte als Konstruktion von Vergangenheit bzw. andersrum Geschichte vs. Tradition: Geschichte wird aktiv konstruiert, während Traditionen oft unreflektiert weitergegeben werden Geschichtskultur: „praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewusstsein im Leben einer Gesellschaft“ (Jörn Rüsen) o Dimensionen: Ästhetik, Politik und Wissenschaft Identität Museum als Identitätsagentur (des modernen Nationalstaats) o Kollektive Identität / Geschichte als „natürlicher Grund“ o Sie vermitteln historisch legitimierte Regeln, Werte und die „repräsentative Kultur“ (Friedrich Tenbruck) einer Gemeinschaft. Ziel ist die Erzeugung von „habituellen Passungen“ (Tony Bennett), also die Anpassung von Individuen an gesellschaftliche Normen durch den „exhibitionary complex“ (Ausstellungskomplex) Identität im 21. Jahrhundert = Migrationsgesellschaften, nicht-essenzialistisch und nicht territorial gebunden. Das Museum als „agonaler Ort“ = „konfliktfähiger sozialer Raum des Aushandelns von Regeln des Zusammenlebens“ (Gottfried Fliedl) Moderne Gesellschaften brauchen für ihre Selbstbilder Geschichte als Bezugspunkt Museen als Orte der Identitätsstiftung, die geteilte Werte, Normen und Regeln vermitteln und grundlegende Verhaltensregeln einüben Wissen Identitäts- und Wissenparadigma (Thiemeyer 2015) o Museen: Identitätsstiftung + Wissensvermittlung o Wissen: kontextabhängiger Fundus von Erfahrungen („situiertes Wissen“) à Erkenntnismedium synästhetische Epistemik: Wissensvermittlung UND -erzeugung à wegen multisensorischer Präsentation Logik der Evidenz: Zeigen – sichtbare Einsicht „Museum as Method“ (Nicholas Thomas 2010) à Prozess Wissen als Der Begriff ‚Wissen‘ ist zur Chiffre eines aufgeklärten, selbstreflexiven Wissens- und Wissenschaftsverständnisses geworden Es geht nicht mehr um naives Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnis, sondern herausfinden will, wie sie zustande kommt. Frage nach Wissensordnungen. Selbstreflexive Metaausstellungen VL 3: Wunderkammern und Aufklärungszeit (15.-18. Jahrhundert) 1. Renaisssance: Kunst- und Wunderkammern – Curiositas und Representatio 4 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums 2. Aufklärung (1650-1800): Der Beginn des modernen Museums 1. Renaissance (1400-1600): Kunst- und Wunderkammern Wie zeigte sich Curiositas (= Wissensbegierde)? Humanisten und Gelehrte: Interesse an Antike und Natur und dessen Sammlung (ab 1500; exklusive Räume) o Bsp. Theatrum Naturae des Ulysses Aldrovandi (1522-1605), versuch der Sortierung o Bsp. Die Stuttgarter Kunst- und Wunderkammern ab 1596, erster Besuch 1616 P. Hainhofer Sammen als Wissenspraxis von Naturforschern (naturalia) + Humanisten (Antiken) Objekte verschiedener Gattungen (Natur, Kunst, Geschicht) à macrocosmos in microcosmo à prärationale Sortierungen: Kosmologie, allegorisch, Elemente Nicht irrational, sondern wichtige Wegbereiter der modernen Wissenschaften à neue empirische Methoden + Beginn evidenzbasiertes Denken Wie zeigte sich Repraesentatio? Höfische Schatz- und Kunstkammern à repräsentativer Anspruch Erster dokumentierter Besuch in der Stuttgarter Kunstkammer: Philipp Hainhofer 1616 o „Indiannische“ Objekte (Harnisch, Schreibtisch, Orgel, Geschirr, Truhen, Dolche...) o Objekte von Tieren und Pflanzen (Hirschgeweihe, Muscheln, Rhinozeros-, Gazellen Horn...) o Kunsthandwerkliche Objekte (Uhren, Bronzen, Kristall Objekte...) Objektgruppen der Kammern: Von Menschen gefertigte artificialia, wissenschaftliche scientifica, naturalia und wundersame mirabilia Samuel Quiccheberg, von 1559 an Kunstberater und Sammlungsverwalter In Stuttgart 1669/70 das erste Inventar nach 42 übergeordneten Kategorien im Inventar von 1785 dann nur noch acht Frühe Kammern à Assoziativ abgelegt; persönlichen Empfindungen folgend / nicht wissenschaftlich-rational Versammlung, Systematisierung, Zeigen Theater als Oberbegriff: o theatrum naturae, theatrum mundi (Theater der Welt) o theatrum sapientiae (Theater der Weisheit) o Theater als Synonym für Schaustellung der Ding in räumlichem Arrangement à Erkenntnisgewinn o Topologische Ordnung im Raum à Gedächtnishilfe (nach dem Vorbild antiker Memotechniken) o Nicht öffentlich Wie war der Beginn des modernen Museums in der Aufklärung (1650-1800)? Ratio Basis: Bildung à Notwendigkeit öffentlicher Bildungseinrichtungen wie Museen 5 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums Descartes (1596-1650): Gegen Sinnliches; Gegensatz: res cogitans (Ideen) und res extensae (Dinge) Empirische Wissenschaften und neue Ordnungskonzepte: Klassifikationen, Chronologien, Taxonomien etc. Sammlung als Katalog statt Wunderkammer als poetisch organisiertes Theater der Dinge und Sinne à Geburt von epistemischen Wissenschaften Neues Verständnis von Wissenschaft: rationale Verfahren der Wissenserzeugung und -ordnung, Sammlungen als Orte der Wissenserzeugung Beispiel: Das British Museum (1759ff.) und die Wissenschaft – Das moderne Museum Nachlass des Physikers Hans Sloane (1660–1753): Pflanzen, Korallen, Bücher, Muscheln, Medaillen, Münzen, Manuskripte, „Kuriositäten“ etc. / Rosetta Stein! Allgemein: Rich people giving stuff Um 1800 – Professionalisierung: Museum als Basis für naturwiss. Forschungen und Antikenforschung. Nomenklaturstreit 1813: Arbeitspraktiken mit den Sammlungen bestimmen, wie und welches wiss. Wissen entstehen kann. 3 wichtige Aspekte am Bsp. des British Museum: o Siegeszug neuer, aufgeklärter Wissensordnungen, in die sich jedes Ding einfügen musste o Institution statt Sammler als maßgebliche Autorität. o Neues geschichtliches Denken, das Relikte der Vergangenheit nutzt, um mit Blick auf die Gegenwart und Zukunft Sinn zu stiften. o Sammlungsbestände beeinflussen zunehmend, was die Menschen über die Welt wussten. à Museum weg von Theater hinzu Katalog à Mit der Aufklärung ändern sich die Wissens-, Repräsentations- und Bildungsorte: neben bzw. an die Stelle von Kunst- und Wunderkammern treten moderne Museen Übergang vom Wunderkammer-Konzept zum modernen Museum (schleichender Prozess im 18. Jahrhundert) Parallelexistenz von Kunst-/Schatzkammern und modernen Museen o Höfische Sammlungen (z. B. Grünes Gewölbe, Dresden, August der Starke) o Aufklärungsmuseen (z. B. British Museum, gegründet 1759) Zugang und Öffentlichkeit im British Museum o Gesamtgesellschaftliche Verpflichtung o Ursprünglich begrenzter Zugang („all studious and curious persons“) o Soziale Exklusivität: bestimmte Gruppen unerwünscht (Zitat Dr. Ward, 1759) o Vorrang des Sammlungsschutzes → Zutritt nur mit Führung Modernes Museum: Wandel um 1800 o Stärkere Öffnung für die Öffentlichkeit o Professionalisierung und Differenzierung der Sammlungen o Spezialmuseen ersetzen enzyklopädische Kunst- und Wunderkammern 6 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums VL4: Das 19. Jahrhundert als Museumszeitalter 1 Wie hängen Französische Revolution und Museen zusammen? Erfindung des Kulturerbes, Leveée en Masse, Patrimoine und Louvre Französische Revolution: o Zerstörung von Kulturgut und Entstehung des Patrimoine als kollektiver Besitz der neuen Nation o Patrimoine (Kulturerbe) = Kanon materieller Werte – Gemälde, Skulpturen, historischer Relikte, Denkmäler oder Urkunden –, die für die nationale Geschichte und Kultur Frankreichs unverzichtbar seien à Patrimoine ist nicht mehr Eigentum des Adels oder Klerus, sondern Volkseigentum. Zugang zu den Sammlungen wurde zu einem Recht für jedermann und war keine Gnade des Königs. à Eröffnung des Muséum central des Arts im Pariser Louvre 1793 Louvre: Der Louvre war in mehrfacher Hinsicht für das moderne Museum wegweisend: o Er etablierte eine moderne Idee von Kulturerbe o Er symbolisierte das revolutionäre Leitbild von Liberte, Fraternite und Egalite o In ihm manifestierte sich ein verändertes Verhältnis zur Öffentlichkeit aus demokratischem Anspruch Inwiefern kann man das Museum als Erziehungsanstalt sehen? Was ist der Exhibitionary Complex? Der Exhibitionary Complex: das Museum als bürgerliche und nationalstaatliche Disziplinierungsanstalt im Dienste der Politik und Volkserziehung Benett: o Ex.Com. bilden unterschiedliche Institutionen des 19. Jh, die ältere Arten des Sehens und Zeigens überwinden: Museen, aber auch Weltausstellungen, Dio- und Panoramen, Arkaden und Department Stores. o Disziplinarinstitutionen, heißt sie vor allem als politische Machtagenturen zu sehen à Analog zu Michel Foucaults Analysen der Disziplinarmacht Bürgerliche Museen à „Regime des Sehens“ – Wie und Kontext des Zeigens, prägte „bürgerlichen Blick, der die in dieser Darbietung verkörperten bürgerlichen Lehrern für die Museumsbesucher sichtbar, verständlich, und auf das eigene Leben übertragbar macht“ (Bennett 2010). Fazit: Höfische Kultur: Kultur als Mittel zur Unterhaltung und Machtdemonstration, nicht als Selbstzweck. Das wurde sie erst in den bürgerlichen Museen. Kultur und Bildung als „deutsches Deutungsmuster“ (Georg Bollenbeck 1994), das den Wert von Kulturgut mit seinem Bildungswert zusammenspannt. 7 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums Aufstieg des Bürgertums: Durchsetzung bgl. Werte, bgl. Ideale und bgl. Geschmacks durch die Museen; Historisches Museum Frankfurt (1877/78) VL5: Das 19. Jahrhundert als Museumszeitalter 2 1. National- und Heimatmuseen Idee von Deutschland als föderaler „Kulturnation“ „Eine“ deutsche Kultur – Geschichte, Sprache, Heroen, Kunstwerke der Hochkultur à Idee der dt. Einheit: weltlich, Verwaltungsstaat à Was war dafür prägend? Nationale Bewegung / Heimatbewegung! Nationalmuseen im Dienst nationaler Ziele. 1848: erste demokratische Bewegung Deutsche Geschichts- und Altertumsverein versuchte als Sachwalter der ‚deutschen‘ Vergangenheit die nationale Idee ‚von unten‘ voranzutreiben: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg und Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz. Beide eröffneten 1852; 19 Jahre, bevor die Vision eines Deutschen Reichs politische Realität werden sollte. à Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (1852) Ziel, verstreute deutsche Sammlungen zu vereinen und als „Nationalanstalt für alle Deutschen“ bedeutende Zeugnisse der Geschichte, Kunst und Literatur zu bewahren Kleindeutsche Lösung: So wie heutige Bundesrepublik Großdeutsche Lösung: Habsburgerreich also Österreich und Elsass à Germanisch, Germanistik Wie enstanden Heimatmuseen? Zwischen 1890 und 1918 entstanden knapp 400 Heimatmuseen Durch Heimatschutzbewegung o Romantisierung Landleben o Nähe zu Natur o Gegenentwurf zur industrialisierten „anonymen“ Großstadt o In Mittel- und Kleinstädten auf engagierter Bürger oder lokaler Geschichtsvereine von Laien getragen, daher oft sehr volkstümlich Land- und Handwerkerleben als Inbegriff einer heilen, noch nicht industriell entfremdeten Lebenswelt: „antiurbanistisch und agrarromantisch“ (Korff 2007, 53) „Stubenprinzip“: Szenografien, die ganzen Bauernstuben originalgetreu nachbauen (wofür sie oft Versatzstücke aus verschiedenen Regionen und Zeiten nutzten). Heimatmuseen erzählten die Geschichte des Deutschen Reichs anhand regionaler und lokaler Geschichten 8 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums Statt von Eliten erzählten sie vom einfachen Mann, statt von Großereignissen in Metropolen vom Alltagsleben auf dem Lande. Museumsreformen und Massenkultur (Übergang zum 20. Jhd.) Worum ging es bei der Krise des Museums Krise des Großstadtmuseums um 1900 („Fin de siècle“): wachsende Kritik an Präsentationen und schlechter Didaktik Zahlreiche Neugründungen: Industrie-, Gewerbe- oder Technikmuseen (1906 Deutsches Museum in München), Heimat- und Regionalmuseen, Arbeitsschutz- und Hygieneschauen (aus letzteren entstand 1912 das Deutsche Hygienemuseum in Dresden). Selbstverständnis als ‚Volksbildungsstätten‘ – alltagsnah, aktuell, breite Masse Verschiebung: Didaktik wichtiger als Sammlungspflege (für gesell. Wertschätzung) à Ausstellungszeitalter Was gab es für Museumsreformen? Ab mid 19. Jhd (Englnad) – naturkundliche und kunsthistorische Museen Im Deutschen Reich: im Zuge der Reformpädagogik um 1900 unter dem Stichwort „Volksbildungsdebatte“ o Vorreiter in deutschen Kunstmuseen: Alfred Lichtwark (Hamburg), Hugo von Tschudi (Berlin/München), Ludwig Justi (Frankfurt/Berlin). Sammlungsteilung in Schausammlung (Ausstellung) und Studiensammlung (Depot) Grund für Neuerfindung: Massenkultur Freizeit und Einkommen von Unterschicht (erstmalig, viele) Eigenständige, nicht-bürgerliche „Populärkultur“ „Kulturindustrie“ (Adorno / Horkheimer 1944) –Ziel: Gewinn statt Erziehung Propaganda oder Erbauung à Massenkultur + angepasst an Vorlieben und Lebensgewohnheiten der Unterschicht – „Element der Demokratisierungsprozesse der Moderne“ (Maase 2007) Dichtomie: ernste Kultur / Bildung vs. Leichte Unterhaltung VL6: Das 20. Jahrhundert als Ausstellungszeitalter 1914–1933: Großausstellungen und Inszenierungskultur Ausstellungen dienten der Siegesgewissheit (z.B. Kriegsbeute), Kriegspropaganda und Trauerarbeit. Neue Innenarchitektur und Nachbildungen von Kriegsschauplätzen (z. B. Pressa 1928) 1933–1945: NS-Kulturpolitik Ausstellung Entartete Kunst (1937) als Propaganda gegen moderne Kunst Die Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in Berlin begann nach „das Haus der Kunst“ in München Heimatmuseen als ideologische Bildungsorte Museen hatten größere Freiheiten als andere Medien 1939–1979er: Museumsapathie 9 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums Schutz von Kulturgütern während des Kriegs, Wiederaufbau nach 1945 Nach Krieg: Plünderungen DDR nutzte Museen zur Konstruktion einer (dogmatisch) sozialistischen (antifaschistischen) Geschichtserzählung à Museologie als ostdeutsche Tradition o 1958: Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar Westdeutschland duldete Gedenkstätten, unterstützte sie aber kaum 1977ff.: Museumsboom und Blockbusterausstellungen Wieder mehr Finanzierungen Ausbau neuer Museen, Großausstellungen neue Kulturpolitik – Demokratisierung der Kultur (Kultur für alle) = Teilhabe an Kulturerbe Neue Professionen: Pädagogen und Kuratoren Museumsbesuche wurden populär (Blockbuster-Ausstellungen) HFM (1972) als Vorreiter (weniger Objekte, mehr Text: Entauratisierung) Centre Pompidou (1977) (transparente Architektur) 1980er: Neue Geschichtspolitik und Nationalmuseen Neu: EU! Umdenken Nationalstaatlichkeit Ost-West-Konflikte spiegelten sich in Ausstellungen wider Museen als Teil nationaler Identität und Geschichtspolitik Beispiel: Preußen-Ausstellung 1981 mit unterschiedlichen Inszenierungen: szenografische Darstellung in Bonn vs. quellenkritischer Ansatz im DHM Berlin à Kontroversen über richtige Umsetzung Beispiele (Teil der Geschichtspolitik Kohls): Deutsches Historisches Museum Berlin, Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bonn. Fazit: 1. WK u. Weimarer Republik: Großausstellungen als innovative Formate, Inszenierungskultur, erstes bisschen Kommunikationsdesign NS-Zeit: Ideologisierte Kulturpolitik (Entartete Kunst) und Heimatmuseen Nachkriegszeit: Sammlungspflege und Wiederaufbau / Apathie Ab 1977: Museumsboom („Blockbusterausstellungen“), neue Professionen, breitere Zugänglichkeit 1980er: Nationalmuseen als geschichtspolitische Instrumente VL7: Das 21. Jahrhundert: Themen der Gegenwart Worum geht es bei Partizipation? Kulturelle Teilhabe Beteiligung von Besuchern am Sammeln und Ausstellen Erzählung neuer Geschichten aus Mitte der Gesellschaft Historisches Museum Frankfurt (1972) o Frankfurt Einst? (2017) – Partizipatives Stadtmodell mit Fragebogen o Partizipatives Sammeln – Migration, Frankfurt Jetzt (Stadtlabor) o Mitarbeit - Station o Inklusion 10 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums o Glaskugel Was tun Museen in der Migrationsgesellschaft? Museen als Orte der Reflexion über Migration Neue Zielgruppen und Perspektiven HFM: o Partizipatives Sammeln als Method o HFM: Interviews zum Anhören, Inklusiv!) § Migrationsgeschichte wird überhaupt thematisiert § Zielgruppe und Ausrichtung für M.m.M. § Migration als Ausstellungsperspektive à agonaler Ort: verschiedene Perspektiven treffen aufeinander: nötige Selbstreflexivität des Museums (v.a. bzgl. Inklusion) Kulturerbe und Provenienzforschung Materiell und immateriell Kulturerbe als wirtschaftlicher und identitätspolitischer Faktor Spannungsverhältnis zwischen: o Kultur als exklusives Eigentum („unsere Kultur“), Alleinstellungsmerkmale o Kommerzielle Nutzung von Kultur o Urheberrechte und Authentizität (schnell wischi waschi) Provenienzforschung: o Rekonstruktion der Objektgeschichte o Untersuchung der Besitzverhältnisse o Restitution von Raubkunst à Ansprüche geltend machen! Beispiele: o Humboldt-Forum Berlin: Völkerkundliche Teile – problematic! o Körbe aus Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), Linden-Museum Stuttgart Museen als Wissens- und Forschungsorte Museen als Orte wissenschaftlicher Erkenntnis, über Besucher hinaus Forschung zu Sammlungsgeschichte und Ausstellungspraxis + Provienzforschung Beispiel: Ausstellung Täuschend echt, Museum der Universität Tübingen, 2013 à Interesse an universitären Sammlungen gewachsen Was für Grenzen des Wachstums gibt es? Geld / Finanzierung Flächen / Kapazitäten à Frage nach Priorisierungen These des „Kulturinfarkts“ Nachhaltiges Sammeln: o Entsammeln o „Sammeln auf Zeit“ Was macht Digitalisierung in Museen? Digitale Öffnung der Sammlungen Herausforderungen Partizipation (Audiosysteme, KI, Social Media,…) 11 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums Veränderung des sozialen Miteinanders durch digitale Infrastrukturen à Uhrheberrecht? Beispiel: #openhfm2017 Fazit Partizipation: Besucherbeteiligung am Sammeln und Ausstellen als zentrale Entwicklung – Geschichten erzählen aus Mitte der Gesellschaft Migration: Museen reflektieren Migration als Thema und Zielgruppe Kulturerbe: Ökonomisches und identitätspolitisches Interesse seit den 1970er Jahren Provenienzforschung: Erforschung der Herkunft von Museumsobjekten Museen als Wissensorte: Provenienzforschung, universitäre Sammlungen, Depotausstellungen Grenzen des Wachstums: Debatte über das Sammeln und mögliche Alternativen Digitalisierung: Transformation von Museumsarbeit und Teilhabe durch digitale Technologien VL8: Dinge Dinge im Museum Darin liegt Unterschied zu anderen Kultureinrichtungen – materielle Kultur! o Museen entstehen aus Sammlungen, nicht Ausstellungen o Dinge sprechen nicht, Dinge zeigen! Repräsentationsobjekte: Selbstdarstellung durch Dinge (Bsp. Adelige) o Status repräsentieren, abbilden o Positionen aushandeln Wissensspeicher: Sammeln als epistemische Praxis des Museums o Curiositat o Rekonstruktion der Welt mit Dingen als Erkenntnisträger Zeugnisse der Vergangenheit: o Spuren behaftet o Dauerhaft und anschaulich o Widerständig, ermöglichen neue Deutungen (Kontext; Intervention) o Fragmentarisch, vielfältig interpretierbar – Rekontextualisierung nötig Zwei Zustände von Dingen im Museum: o Archivalien: Materielle Speicher des kulturellen Gedächtnisses (Sammlungsdepots): Quelle sind befragte Archivalien o Exponate: In Ausstellungen sichtbar, als Quellen oder Anschauungsobjekte Was ist die Sprache der Dinge? Bis ins 17:Jh Dinge und Name der Dinge zusammen Epistemischer Bruch (Focault) – Dinge sprechen nicht von selbst, sondern werden „zum Sprechen gebracht“ – Bedeutungszuschreibung durch Repizienten Dadurch wird nur das gesehen, was Hintergrundkontext mitbringt Dinge haben eine einzigartige Ausstrahlung, die für die Erkenntnis fundamental ist à Eigenwirkung, Herausfodernd Was ist der Status der Dinge „Resonance (intellektuelle Herausforderung) and Wonder (Effekt)“ (Greenblatt 2004) 12 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums Erkennen und Staunen Walter Benjamin: o Das Kunstwerk (Fotografie) im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit o Verlust der Aura durch Reproduktion o Authentizität als „Hier und Jetzt“ des Originals Es geht nicht um das Abbild, sondern um materielle Substanz, die Echtheit- Autorität der Sache gerät ins Wanken Museumsdinge und ihre Wirkung: o Dinge erzeugen eine eigene Atmosphäre („Ekstasen der Dinge“, Böhme 1995) o Museumsausstellungen folgen keiner Ursache-Wirkungs-Logik, sondern individuelle Wirkung o Kunst oder Kontext? Dinge als Anschauuungsding, Zeugen oder Exemplare o Anders: Bildende Kunst o Wo entsteht die Aura – im Objekt selbst oder in seiner Inszenierung? Beispiel: Ausstellung Täuschend echt, MUT Tübingen, 2013/14 Was ist die Relevanz der Dinge? Warum noch echte Dinge? Authentizität = Originalität + relevanter Zusammenhang Wandel des Exponats: o Früher primärer Zweck des Museums o Heute nur noch ein Mittel unter vielen zur Vermittlung o Bsp. Museum BaWü Zäune von Stuttgart 21 Protesten - ohne Kontext nur Bauzäune, so: authentisch Restaurierungswissenschaften: Wie lange kann man etwas am Leben erhalten, sodass es aber trotzdem authentisch bleibt? Sammeln ist Mittel des Museums, Hauptding ist Ausstellung Wie verstehen kuratorische Praktiken Dinge? Dinge als Werk, Exemplar, Zeuge Werk: Kunstwerke mit einmaliger ästhetischer Bedeutung, aber wenige schauen’s direkt an o Beispiel: Mona Lisa im Louvre Exemplar: Repräsentatives Beispiel einer Kategorie o Beispiel: Doppelhornvogel im Überseemuseum Bremen Zeuge: Objekt mit historischer Bedeutung und emotionaler Aufladung o Beispiele: § Adenauers „Adenauer“ im Haus der Geschichte Bonn § Marcel Duchamp: The Fountain, 1917 (2006 im Centre Pompidou) Soziale Wertzuschreibung (Panzerglas, Wärter, Holzbrüstung) Werk: Original, Einzigartig, einzigartige Wirkung und Wert Exemplar: singulärer Schauwert, nicht um Einzigartigkeit, Informationsvehikel Zeuge: Historisches Zeugnis, Original, emotional, Geschichte; kontextualisiert durch andere Medien, Kontext à Die Dinge sind es nicht, sondern werden dazu gemacht à Kuratorische Praktiken sind zentral, dass wir in den Dingen etwas erkennen und 13 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums erkennen, worin ihr Wert liegt à Die Rahmung gibt ihnen ihren Wert Fazit Wert von Museumsdingen: o Dauerhafte, anschauliche Zeugnisse o Wissensspeicher, widerständig, fragmentarisch Archivalie vs. Exponat: Unterschiedliche Funktionen in Museumspraxis Sprache der Dinge: Dinge werden erst durch Interpretation verständlich Status der Dinge: o Logik der Evidenz statt kausaler Erklärungen o Kunst oder Kontext? o Aura durch Objekt oder Inszenierung? Relevanz der Dinge: o Authentizität als Kombination aus Originalität und Kontext o Wandel der Rolle von Exponaten o Objekt als Zweck bzw. Mittel der Ausstellung Kuratorische Praktiken: Dinge werden durch Auswahl und Kontextualisierung zu Werk, Exemplar oder Zeuge VL9: Räume Museum und Raum Das Museum ist ein „Ort einer raumdeterminierten Wahrnehmung“ (G. Korff) Wahrnehmungsmodus: „Gehen und Sehen“ als zentrale Art der Rezeption Erzählen im Raum: o Alleinstellungsmerkmal des Museums o Kommunikation nicht nur über Exponate, sondern auch durch räumliche Inszenierung Ausstellung als Erlebnisraum: o Eigene Atmosphäre, beeinflusst durch Licht, Architektur, Raumgestaltung o De- und Rekontextualisierung von Dingen durch Inszenierung o „Räumliche Merkwelt“ (G. Korff): Ausstellungen erzeugen Bedeutungen durch räumliche Gestaltung Unterschied zwischen Museum und Ausstellung: o Museum: Feste Räume (Depot und Ausstellungen) o Ausstellung: Räumlich flexibel, kann außerhalb traditioneller Museumsräume stattfinden Museum und Raum am Bspw. Mercedes-Benz-Museum o Privatmuseum; es geht um Markenkommunikation o Soll jeden Ansprechen o Raumtederminierte Wahrnehmung (Gottfried Korff) o Gehen und Sehen ist wichtig -> der ganze Körper nimmt das Museum/den Raum wahr o Man gibt dem Besucher zwar Hinweise um was es geht aber der Rest ist dem o Besucher und seiner Assoziation und Fantasie überlassen (was er darin sieht, empfindet, mit was er es verknüpft) o Räume sind an die jeweilige Zeit angepasst, um diese widerzuspiegeln und die Atmosphäre zu unterstreichen o Es wird mit Formern gespielt die passend zur Zeit waren 14 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums o Prinzipien, um die Inhalte zu vermitteln: Denkanstöße, Licht, eigenes Denken, interaktive Inhalte, die Wege die man selber ablaufen muss (chronologisch), Atmosphäre schaffen (durch Materialen, die Objekte, Kontraste, Farbgebung) o Ausstellungen und Museen sind Eigenrechts und funktionieren anders als andere Medien in der Umsetzung etc. o Puristischer Ansatz, der auf die Objekte der Ausstellung reduziert und minimalistisch arbeitet, um die Autos im Mittelpunkt zu halten Paradigmatische Museumsbauten Entwicklung der Museumsarchitektur als Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen Innovative Architekturkonzepte Gedenkstätten und politische Museen: o Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald (1958) – Gedenkstätte gegen den Faschismus Museen als urbane Wahrzeichen: o Guggenheim-Museum New York (1959) – Organische, spiralförmige Architektur Freilicht- und Living-History-Museen: o Freilichtmuseum Beuren (1995) – Erhalt und Vermittlung ländlicher Architektur Fazit Museumsräume sind zentrale Kommunikationsmittel: o Wahrnehmung durch „Gehen und Sehen“ o Inszenierung als Mittel der Bedeutungsproduktion o Unterschied zwischen flexiblen Ausstellungen und festen Museumsräumen Entwicklung der Museumsarchitektur: o Historische Bauten als repräsentative Orte der Nationenbildung o Moderne Museumsbauten als flexible, interaktive Räume o Gedenkstätten und politische Museen als narrative Orte Zukunft der Museumsarchitektur: o Experimente mit digitalen Räumen o Architektur als inhaltlicher Bestandteil der Museumserfahrung o Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit als zentrale Planungsansätze VL 10: Methoden der Museumsanalyse und Fazit Methoden: Ethnografie: o Feldforschung im Museum: § Interviews mit Museumsmachern- und besuchern § Teilnehmende Beobachtung: „Gemeint ist damit die unmittelbare Partizipation des Forschenden am alltäglichen sozialen Leben im jeweiligen Untersuchungsfeld und ein empathiegeleitetes, nachvollziehendes Verstehen bei gleichzeitig gewahrter analytischer Distanz.“ (Schmidt-Lauber 2007, S. 220). o Fallstudien: Handler/Gable zu Colonial Wiliamsburg: Was passiert im Museum? Wie verhalten sich die Leute dort? Welche Botschaften 15 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums verbreiten sie und wie kommen diese bei den Besuchern an? Das Museum als „social world“, die in ihrer Gänze interessiert. Praxeologie: Umgang mit Objekten, kuratorische Praktiken (Thiemeyer 2018) Beispiel: Colonial Williamsburg, Living-History-Site Mercedes-Benz-Museum, Stuttgart 2006 Wissen(schaft)sgeschichte o Bruno Latour: Übersetzungsprozesse von Wissen methodisch fassen. Konstruktion von wissenschaftlichem Wissen. Wie werden aus Dingen Begriffe? Wie wird das Zeug zum Zeichen? Es geht um die Verfahren,mit denen Komplexität reduziert wird und dadurch neues Wissen entstehen kann. o Felicitas Hartmann: Objektbiografie und -migration von ausgewählten Objekten in Ausstellung/Gedenkstätte/Archiv nachvollziehen. Ein Objekt bei seiner Wanderung an verschiedene Orte begleiten und die semantischen Qualitäten herausarbeiten, die es am jeweiligen Ort hat. Praxis des Archivierens und Auswählens darstellen. o Praxeologie: Umgang mit Objekten, kuratorische Praktiken: Werk, Exemplar, Zeuge (Thiemeyer 2018) § Stahlhelm Ernst Jünger Diskursanalyse o Foucault Diskurstheorie: Der Diskurs ordnet und fixiert das Wissen; er reproduziert die Klassifikationssysteme, auf denen er beruht. o Tony Bennetts exhibitionary complex: Diesen bilden unterschiedliche Institutionen des 19. Jhd., die ältere Arten des Sehens und Zeigens erneuern. Das Museum des 19. Jhd. als Schule des Sehens und visuellen Verführens, das seinen Besuchern die Welt ordnet und interpretiert. o James Clifford: Museums as contatct zones. Plädoyer für freie Verfügbarkeit der Sammlungen nicht nur für die Museumsmitarbeiter, sondern für alle Interessierten und Interessengruppen, d. h. kein Zugriffsmonopol für bestimmten Gruppen auf die Sammlungen. Semiotik/Sprachwissenschaft o Mieke Bal: Rhetorik (Sprechakt) und Narratologie (Kultur als Text, als Erzählung). Rhetorik (Sprechakt) fungiert darin als Überzeugungs- strategie des Museums, das Objekte zur Aufführung bringt, sie inszeniert, also etwas mit den Dingen tut (sie nicht bloß darstellt). Narration ist das Darstellungsverfahren dieses Sprechaktes, die Art und Weise, wie er ausgeführt wird (als Erzählung), die Voraussetzung für den Sprechakt und sein Überzeugungskraft sind. o Jana Scholze: Unterteilung der musealen Kommunikation in Denotation, Konnotation und Metakommunikation. Methodenbricolage Muttenthaler/Wonisch: Methodenbricolage, die schriftliche und visuelle Zeichen (Text und Bilder) im Raum erfassen soll. Kombiniert drei Ansätze miteinander: 1.) semiotischen Ansatz: Ausstellung als Sprechakt und als Text 2.) ethnografischen Ansatz: Dichte Beschreibung, freie Assoziation 16 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums 3.) semantischen Ansatz: Was wird gezeigt und wofür steht es? Was macht das Museum? Sammeln 3 Arten des Sammlns wissenschaftlich: Dinge als Wissensspeicher politisch: Dinge als Statussymbole (Repräsentation) psychologisch: Sammeln als Kompensation für Verluste Kompensationstheorie (Hermann Lübbe) 20 Thomas Thiemeyer © Universität TübingenVorlesung Museumsstudien Was macht das Museum? Bewahren Erhalten: konservieren und restaurieren Erschließen: Ordnung und Verzeichnung (Dokumentation) Dokumentieren: Provenienz- und Pertinenzprinzip 21 Thomas Thiemeyer © Universität TübingenVorlesung Museumsstudien Was macht das Museum? Forschen Dinge als Wissensspeicher Grundlagenforschung an den Beständen Systemtisch betrieben und methodisch abgesichert 22 Thomas Thiemeyer © Universität TübingenVorlesung Museumsstudien Was macht das Museum? Ausstellen/vermitteln Zeigen als zentrale Operation des Ausstellens Dinge in neue Zusammenhänge einbetten (De- und Rekontextualisierung) Aus Archivalien werden Quellen (= befragte Archivalien) 23 Thomas Thiemeyer © Universität TübingenVorlesung Museumsstudien Womit arbeitet das Museum? Dinge Sammeln und zeigen von Dingen als Wissensspeicher Widerständigkeit der Dinge dauerhaft und anschaulich Zeugnisse vergangener Zeiten Dinge als Fragmente, die stets in neue Zusammenhänge eingebettet und 17 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums dabei interpretiert werden müssen Werk, Exemplar, Zeuge: Produkte kuratorischer Praktiken 24 Thomas Thiemeyer © Universität TübingenVorlesung Museumsstudien Womit arbeitet das Museum? Räume Das Museum ist „Ort einer raumdeterminierten Wahrnehmung“ (G. Korff) und zeichnet sich aus durch: Erzählen im Raum = Alleinstellungsmerkmal des Museums Die Ausstellung als „Erlebnisraum“ mit eigener Atmosphäre De- und Rekontextualisierung der Dinge im Raum durch Inszenierung Inszenierung = „räumliche Merkwelt“ (G. Korff), Ausstellung = „Raumbild“ Wahrnehmungsmodus: gehen und sehen Differenz Ausstellung und Museum (Depot und Ausstellung) 25 Thomas Thiemeyer © Universität TübingenVorlesung Museumsstudien 4 Koordinaten (kultur-)historischer Museen Kultur enger Kulturbegriff = Kunst- und Bildungsgut, bildungsbürgerliche Kultur als Ideal Weiter Kulturbegriff = „Kulturen“ als Gesellschaften, mit ähnlichen Normen, Traditionen, Lebensstilen etc. Kultur und Bildung vs. Unterhaltung und Vergnügen „Demokratisierung“ von Kultur: „Kultur für alle“ Kulturerbe als Inwertsetzung von Kultur, erfunden in Frz. Rev. Aus dem Rettungsgedanken Geschichte Identität Wissen 26 Thomas Thiemeyer © Universität TübingenVorlesung Museumsstudien 4 Koordinaten (kultur-)historischer Museen Kultur Geschichte „Geschichte im Singular“ als Sinnstiftung für die Gegenwart Bezug auf Geschichte ist zentral für das Selbstbild der Moderne Relikte der Vergangenheit sichern, um Geschichte habhaft zu werden Vergangenheit als Geschichte 18 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums Geschichte vs. Tradition Identität Wissen 27 Thomas Thiemeyer © Universität TübingenVorlesung Museumsstudien 4 Koordinaten (kultur-)historischer Museen Kultur Geschichte Identität Museen stiften „kollektive Identität“ = gruppenbezogen, dient zur Abgrenzung von anderen „Zugehörigkeit“ = Identitäten werden gemacht, sind nicht gegeben Identität in der Migrationsgesellschaft, Idee vom homogenen Nationalstaat funktioniert nur noch bedingt Idee des „agonistischen Museums“, das verschiedene Identitäts- vorstellungen aufeinandertreffen lässt, ohne sie zusammenzuführen Wissen 28 Thomas Thiemeyer © Universität TübingenVorlesung Museumsstudien 4 Koordinaten (kultur-)historischer Museen Kultur Geschichte Identität Wissen Wissen = Fundus an Erfahrungen, die zeitlich und räumlich situiert sind Synästhetische Epistemik = verstehen mit allen Sinnen Museen produzieren neues, eigenes Wissen aus ihren Sammlungen und mithilfe von Ausstellungen; explorativ statt hypothesengeleitet Selbstreflexiver Wissensbegriff: Wissensordnungen statt Geschichten zu den Dingen 29 Thomas Thiemeyer © Universität TübingenVorlesung Museumsstudien Was will das Museum? 3 Ansprüche Politisch (repraesentatio): Machtdarstellung/Repräsentation, Erziehung, Identitätsbildung, Gegenwartsbewältigung. Ästhetisch: Geschmackserziehung, Genuss, Erkenntnis durch sinnliche Erfahrung (Aisthesis) 19 Prof. Dr. Thomas Thiemeyer Kulturwissenschaftliche Museumsstudien: Geschichte und Theorie des Museums Wissenschaftlich (curiositas): Erkenntnisort, Wissen durch Ordnung der Dinge im Raum, Klassifikation, Evolution Damit inzwischen immer häufiger verbunden: Unterhaltungsanspruch: Museumsbesuch soll/darf „Spaß machen“ ökonomische Logik: viele Besucher anziehen, um Quote zu machen, Kommodifizierung von Kultur („Kulturindustri 20