Grundlagen der Englischdidaktik PDF
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This document provides an overview of English language teaching methodologies, exploring various perspectives and approaches. It examines the role of teachers, the considerations for different language learners, and the broader goals of English education.
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Grundlagen der Englischdidaktik Frage 1: Whose English? Was unterrichten wir denn da überhaupt? - möglichst nah an einer native speaker Kompetenz? - möglichst korrekt, gemessen an einer standardisierten Sprachnorm? - möglichst „kommunikativ“, ggf. Fehler in Kauf nehmend? - Wie viele Fe...
Grundlagen der Englischdidaktik Frage 1: Whose English? Was unterrichten wir denn da überhaupt? - möglichst nah an einer native speaker Kompetenz? - möglichst korrekt, gemessen an einer standardisierten Sprachnorm? - möglichst „kommunikativ“, ggf. Fehler in Kauf nehmend? - Wie viele Fehler sind „zu viele“ Fehler? - An welcher Sprachnorm wollen wir uns orientieren? - Wen betrachten wir eigentlich als „native speaker“, wenn wir an „Englisch“ denken? - Welchen Wortschatz, welches Vokabular, welche Grammatik lehren wir? - Welche Aussprache lehren wir? - Lehren wir „nur“ eine Sprache Englisch im Modell der konzentrischen Kreise - Englisch als Erstsprache: ca. 350 Mio. Sprecher*innen - ESL: Englisch als koloniale Zweitsprache: ca. 500 Mio. Sprecher*innen - ELF: Englisch als lingua franca: > 1 Mrd. Sprecher*innen Eine sprachenpolitische Entscheidung Englisch als kulturgebundene Sprache? Englishes mit den sozio-kulturellen Kontexten ihrer jeweiligen Sprecher*innen Englisch als kulturunabhängige Sprache? Englisch als lingua franca in Wirtschaft, Wissenschaft, Internet... Unsere SuS agieren (jetzt und in Zukunft) im „expanding circle“. Beispiel Baskenland: Englisch als echte „lingua franca“, d.h. spät einsetzende Fremdsprache. Unterrichtsmaterial aus diversen Kontexten, Kulturen, Sprachräumen (auch: ELF). Frage 2: How to English? Spracherwerb institutionell und individuell fördern - Lehrt man Englisch, indem man für SuS ein „Sprachbad“ gestaltet, sie also möglichst mit der Sprache umgibt, so ganzheitlich wie möglich? - Lernt man Englisch am besten, indem man es einfach ausprobiert, und sich so Stück für Stück an immer besseren „Output“ herantastet? - Lernt man Englisch besonders gut, indem man sich in kommunikative Situationen begibt, in denen man sich verständlich machen muss? - Kann man einzelne Teilkompetenzen (skills) gezielt separat fördern bzw. entwickeln? - Welche Rolle spielen andere Sprachen, die Lernende schon können? - Wie gehen wir um mit der „Lernersprache“, also einem per Definition fehlerbehafteten Sprachprodukt? Frage 3: Just English? Im Englischunterricht geht es darum, Englisch zu lernen. … aber eben auch: - um (inter)kulturelles Lernen um Persönlichkeitsbildung - um die Bildung mündiger Bürger*innen - um Demokratiebildung - um Fähigkeiten für das Leben in einer digitalisierten Welt - um die Ausbildung von Ambiguitätstoleranz - um fächerübergreifende soft skills - um das Eröffnen neuer Horizonte - um das Aufzeigen von Wegen nach der Schule In welches Verhältnis setzen wir diese Ziele (warum) zueinander – und wie? Englischdidaktik als Disziplin Wir widmen uns der Beantwortung all dieser Fragen auf drei Weisen. 1. analytisch Wir beschreiben, was ist, um zu verstehen, was ist: z.B. Wie funktioniert Sprachen lernen? Wie funktioniert Unterricht? Wie funktioniert „Gymnasium“? Wie funktioniert Lehrerbildung? 2. normativ Wir ermitteln, welche Inhalte (z.B. welches Englisch, ob und welche Literatur…) gelehrt und gelernt werden sollten. 3. operativ Wir zeigen Wege auf, auf denen diese Inhalte vermittelt werden können. Englischdidaktische Professionalisierung 1. Wozu sind Lehrer*innen da? Die primäre Funktion von Lehrkräften bzw. der Schule ist die Vermittlung von Wissen und darauf bezogener Kompetenzen. Dieses Wissen gilt als gesellschaftlich bedeutsam (denn es wurde in Lehr- und Bildungspläne aufgenommen) und kann potenziell biographisch bedeutsam werden (sofern Lernende Sinn in ihm erkennen). (vgl. Oevermann 1996) … aber ganz so straight-forward ist es nicht. Lehrer*innen sind nicht primär „Wissenstransporteure“, sondern vgl. den in anderen klassischen Professionen Tätigen (Medizin, Jura) stellvertretende Krisenbearbeiter für Ihre „Klient*innen“ – in unserem Fall: Schüler*innen, aber auch die gesamte Gesellschaft. Lehrer*innen, Mediziner*innen und Jurist*innen als „Professionelle“ - arbeiten (in der Regel) klientenbezogen, d.h. „für“ Schüler*innen, Patient*innen oder Klient*innen, - arbeiten an zentralen Problembereichen einer Gesellschaft (Wissen und Wahrheit, Gesundheit, Recht), - arbeiten auf Basis einer wissenschaftlichen Wissensbasis, daher findet die Ausbildung grundsätzlich an Universitäten statt, - verfügen über eine weitgehende Autonomie in der Berufsausübung (allerdings zunehmend eingeschränkter und kontrollierter in den letzten Jahrzehnten), - sind an hohe berufsständische Normen gebunden (berufliches Ethos). Frage: Wie würden Sie das berufliche Ethos von Lehrkräften beschreiben? Hippokratischer Eid der Mediziner*innen: Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten wird mein oberstes Anliegen sein. Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren. Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren. Auch wenn diese Kriterienkataloge nicht mehr genau so funktionieren (Stichwort Autonomie), sind sie hilfreich, um sich zu vergegenwärtigen, welche verantwortungsvolle Rolle Lehrkräfte innehaben. Lehrkräfte gründen sich, wie die beiden anderen Professionen, darauf, „stellvertretend für Laien, d.h. für die primäre Lebenspraxis, deren Krisen zu bewältigen“ (Oevermann 2002: 23). Lehrer*innen handeln krisenvorbeugend (prophylaktisch): Schüler*innen suchen die Schule, anders als ein Klient seine Anwältin, nicht aufgrund von Krisen auf, sondern wegen der Schulpflicht; aber eine missglückte Schullaufbahn hat i.d.R. gravierendere biographische Folgen. Lehrer*innen handeln krisenlösend (intervenierend): Sie initiieren durch Material und Aufgaben fachliche Lern- und Verstehensprobleme und unterstützen Lernende dabei, diese Probleme zunehmend selbstständig zu lösen. Gleichzeitig handeln Lehrer*innen damit aber auch krisenauslösend: Bildungsprozesse sind potentiell krisenhafte Prozesse, denn sie zeigen Lernenden Wissens- und Verstehensgrenzen auf, sind möglicherweise frustrierend und schmerzhaft. 2. Wann sind Lehrer*innen „professionell“? Professionalität (alltagssprachlich): Grad erreichter beruflicher Könnerschaft Professionalisierung: individueller und berufslebenslanger Prozess der Entwicklung beruflicher Könnerschaft Wir sprechen daher fachsprachlich von Professionalität als berufsbiographischem Entwicklungsproblem (vgl. Terhart 2000: 33). In der Bildungswissenschaft haben sich verschiedene Ansätze zur Beschreibung von Professionalität entwickelt. Drei davon sind wesentlich für die Englischdidaktik. Stark vereinfacht: - Professionell sein heißt, über das nötige Wissen und Können zu verfügen, um Lernenden etwas beibringen zu können (Kompetenzorientierung). - Professionell sein heißt, mit den oft widersprüchlichen Anforderungen im System Schule umgehen zu können (Strukturtheorie). - Professionell sein heißt, sich diesbezüglich seiner eigenen Prägungen bewusst zu sein und aktiv an diesen zu arbeiten (Berufsbiographie). 3. Ansätze der Professionsforschung (Fallbeispiel Birgit Wichmann) Birgit Wichmann, Ende 40, Lehrerin für Englisch und Religion an einem bilingualen Gymnasium in einem sozio-ökonomisch „starken“ Stadtteil Hamburgs. Hintergrund: narrativ-episodisches Interview (gut 1,5h) im Rahmen einer Forschungsarbeit hat sich als Interviewpartnerin unmittelbar und freiwillig auf ein allgemeines Anschreiben an die Fachschaft Englisch ihrer Schule gemeldet wurde aber indirekt-gezielt ausgewählt, weil Lehrkräfte wie sie (z.B. Schulform, z.B. Stadtteil, z.B. unterrichtete Jahrgangsstufen) bestimmte Eckfaktoren aufweisen, die stellvertretend für viele andere in einer vorgeschalteten, großen statistischen Untersuchung identifiziert wurden Interview ausgewertet mit der sog. Dokumentarischen Methode, die vertiefte Einblicke in Professionalität, Professionalisierung, Haltungen, Einstellungen und Handlungen erlaubt (vgl. Gardemann 2021) a. der kompetenzorientierte Ansatz Das fachliche und fachdidaktische Wissen der Lehrperson ist für den Lernerfolg der Schüler*innen entscheidend wichtig. Das fachdidaktische Wissen umfasst ein Wissen darüber, wie fachliche Laien (Schüler*innen) alltagssprachlich über fachliche Sachverhalte denken und welche Missverständnisse beim Lernen solcher Sachverhalte auftreten können. Fachdidaktisches Wissen ist Voraussetzung für guten Fachunterricht. Ein qualitätsvoller Fachunterricht ist ein Unterricht, der Schüler*innen zu einer eigenständigen Auseinandersetzung mit der Sache herausfordert (kognitive Herausforderung) und zugleich bei Lernschwierigkeiten zielgenau unterstützt (adaptive Unterstützung). (vgl. Baumert/Kunter 2006) Noch heute beziehen wir uns, dank empirisch nachgewiesener Sinnhaftigkeit, auf die grundlegende Strukturierung des Professionswissens für Lehrkräfte, die Lee Shulman (educational psychologist) in den 1980er Jahren vorgeschlagen hat. Das professionelle Wissen von Lehrkräften besteht aus: allgemeinem pädagogisches Wissen (general pedagogical knowledge): Wie funktioniert Lehren und Lernen ganz allgemein? Fachwissen (subject matter content knowledge) fachdidaktischem Wissen (pedagogical content knowledge) (vgl. Shulman 1986) Anmerkung: Wir trennen diese Kategorien, weil sie voneinander getrennte Wissenselemente darstellen. In der Praxis des alltäglichen Lehrerhandelns handeln eine Lehrkräfte in konkreten Situationen allerdings nicht z.B. aufgrund ihres Fachwissens, sondern auf Basis des Wissenskonglomerats all dieser Elemente, das Joachim Appel (2000) als „Erfahrungswissen“ und das im englischsprachigen Raum als „experiental knowledge“ bezeichnet wird. Fachwissen umfasst: Faktenwissen („deklaratives Wissen“) Wissen um die spezifischen Vorgehensweisen, wie das jeweilige Fach sein Wissen organisiert und zu Erkenntnissen kommt („prozedurales Wissen“), d.h. zentrale Konzepte des Faches und ihre inneren Zusammenhänge sowie Wissen um die Methoden fachlichen Erkenntnisgewinns Beispiel Frau Wichmann: Studium der Anglistik/Amerikanistik, darin literaturwissenschaftliche und linguistische Seminare Nachweis des entsprechenden Wissens durch Prüfungsleistungen im Studium sowie das sehr gute Bestehen des Ersten Staatsexamens anschließende Promotion in der Literaturwissenschaft: Arbeit über einen konkreten Autoren und dessen Werk (vgl. Gardemann 2021) Fachdidaktisches Wissen umfasst: Wissen darüber, in welcher Weise Schülerinnen und Schüler sich fachliche Inhalte aneignen und diese lernen und welche typischen Schwierigkeiten dabei auftreten können (conceptions, preconceptions, misconceptions) Beispiel Frau Wichmann, exemplarisch im Umgang mit Lyrik: Also ich hatte [ein Gedicht] angeschrieben und erstmal nix dazu gesagt. Jedenfalls hab ich dann der einen Schülerin schon angesehen, die hatte so ne ganz zerknautschte Stirn und ich so: Julie you look confused. Und sie so: Ja, I don’t get it. Ich so: Exactly! You don’t get it. Nobody gets it! „So much depends upon the red wheelbarrow“; but nothing depends upon a fucking wheelbarrow! Das hab ich SO nicht gesagt, aber so dieses Gefühl einfach, das muss ich zulassen. Das ist bei Dichtung doch immer so, dass man erstmal draufguckt und denkt: Hä? So, und vielleicht noch draufguckt und denkt: Schön. Iich weiß nicht genau wieso, aber irgendwas ist schön. So, und also wenn wir das halt hinkriegen dass Schüler damit erstmal loslegen, dann kann ja der ganze andre Kram- also: dass sie Stilmittel benennen können, dass sie die technischen Termini beherrschen, dass sie anständig drüber reden können [später kommen]. Fachdidaktisches Wissen umfasst auch: Wissen darüber, wie man als Lehrperson fachliche Gegenstände erklären und darstellen kann (the ways of representing and formulating the subject that make it comprehensible to others, beides Shulman 1986) Beispiel Frau Wichmann: begründet im Interview (fast) jede von ihr getroffene Entscheidung über Inhalte, Materialien, Aufgabenstellungen, Methoden usw. fachlich und pädagogisch erzählt von positivem Lernerfeedback auf von ihr getroffene Material- und Aufgabenauswahl sowie benannten Lernfortschritt (v.a. fremdsprachlichem) Wir wissen aufgrund empirischer Studien heute auch: Fach- und Fachdidaktik wird vor allem während der Ausbildung erworben. Ohne hinreichendes Fachwissen gibt es kein fachdidaktisches Wissen. Das fachdidaktische Wissen der Lehrkräfte erklärt 40%(!) der Könnensunterschiede bei den von ihnen unterrichteten Schüler*innen (vgl. PISA-Studie 2000 am Beispiel Mathematik Klasse 10). b. der strukturtheoretische Ansatz Vereinfacht: Wissen und Können ist notwendige Voraussetzung, um gute Lehrkraft zu sein – aber Lehrkräfte handeln in einem Bildungssystem, das bestimmte Möglichkeiten eröffnet, bestimmte Beschränkungen aufzeigt, eine bestimmte Struktur aufweist und damit den Rahmen für professionelles Handeln setzt. „Lehrer stehen vor einem komplexen Bündel von Aufgaben, deren einzelne Elemente jeweils in sich eine antinomische, also: in sich widersprüchliche Struktur aufweisen.“ (Terhart 2011, 206) Der Professionsforscher Werner Helsper (2000) bezeichnet die Struktur des Lehrerberufs daher als geprägt von Antinomien: gleichermaßen berechtigte, aber widersprüchlichen Handlungsanforderungen. Diese... können nicht dauerhaft im Sinne eines harmonischen „Mittelwegs“ oder eines einseitigen „Entweder-Oder“ aufgelöst werden. erfordern und ermöglichen situations- und personenbezogene Formen des Umgangs. Vier zentrale Antinomien, am Beispiel Birgit Wichmann 1. Autonomie vs. Zwang: Einerseits ist jede pädagogische Interaktion strukturell durch „Zwang“ in Form von Asymmetrie und Machtdifferenz gekennzeichnet. Andererseits muss die Fähigkeit zur Selbsttätigkeit bei Schüler*innen unterstellt, und die Freiheit zur Selbsttätigkeit eingeräumt werden – denn Autonomie und Mündigkeit lässt sich nicht „lehren“. „Und dann haben wir jetzt für das letzte Halbjahr [vor dem Abitur],da hatten wir als Thema halt noch übrig Multiculturalism und da kann man ja auch wieder fast alles machen. Und dann hab ich ihnen verschiedene Sachen zur Auswahl gestellt. Wahrscheinlich nicht so ganz, wie soll ich sagen, gleichmäßig präsentiert (lacht)… jedenfalls haben sie sich dann entschieden, mit mir House of Sand and Fog zu lesen.“ Hier und an anderen Stellen, an denen Frau Wichmann von Entscheidungssituationen in ihrem Englischunterricht erzählt, löst sie die Autonomieantinomie einseitig auf, indem sie als Lehrerin Entscheidungen trifft – auch wenn sie Schülerpartizipation inszeniert. Bzgl. dieser Antinomie lässt sich bei Frau Wichmann also ein Professionalisierungsdefizit beschrieben, denn dies ist für sie Handlungsmuster. 2. Nähe vs. Distanz: Einerseits sind Lehrer eben keine nahen Personen, denn sie müssen sich auf Schüler*innen in einer universalistischen Haltung beziehen und eine professionelle Distanz wahren. Andererseits beziehen sich Schüler*innen auf ihre Lehrkräfte nicht nur als Rollenträger, sondern als persönliche Gegenüber – und Lehrkräfte müssen situativ Nähe erzeugen, indem sie sich an ihren Schüler*innen und deren Hintergründen orientieren. „Wenn man dadurch mal ein Gespräch zuhause über Selbstmord lostreten kann, dass die auch mal mit ihren Eltern drüber reden oder so, dann ergeben sich da ja vielleicht auch Gespräche, zu denen es sonst nicht kommt.“ Mit der Auswahl eines Jugendromans, der das – aus Frau Wichmanns Sicht(!) – für Jugendliche wichtige Thema Suizid behandelt, zielt Frau Wichmann über die Grenzen des Raums Unterricht hinaus auf eine umfassende, „ehrlich“ gemeinte Bildung ihrer Schüler*innen. Sie wünscht sich dazu mit ihrer Klasse Gespräche, in denen man sich nahe kommt. Die Schüler*innen lehnen dieses Angebot ab: Sie äußern indirekt, dass sie mit ihrer Lehrerin über dieses Thema nicht sprechen möchten (es sei für sie nicht wichtig/aktuell). Diese Grenze akzeptiert Frau Wichmann, trotz ihrer vorherigen Grenzüberschreitung. 3. Organisation vs. Interaktion: Einerseits bietet die Organisation Schule überhaupt erst die gemeinsame Basis für pädagogisches Handeln für Lehrkräfte. Andererseits kann die Organisation der unterrichtlichen Interaktion auch im Wege stehen. „Da find ich halt immer irgendwie fiction deutlich geiler als non-fiction, weil es einfach so viel mehr Raum zur Entfaltung lässt. Das andere folgt ja oft relativ starren Vorgaben, auch formalen Vorgaben und (seufzt) ach ja, das ist dann natürlich schon schön, wenn sie so’n Zeitungsartikel dann irgendwie auch ana- lysieren (lacht) aber das andere bietet einfach mehr… Raum.“ Wir wissen bereits: Eigentlich weist Frau Wichmanns Bildungsanspruch über den Rahmen des Englischunterrichts hinaus. Das bloße Bearbeiten von formal verpflichtenden Aufgaben empfindet sie daher selbst nicht als besonders sinnvoll. Nichtsdestotrotz erkennt sie an, dass es mit Blick auf zukünftige Prüfungen für ihre Lernenden gut ist, wenn sie bestimmte Kompetenzen erwerben. Gleichzeitig nutzt sie aber auch die Struktur der Organisation, wenn sie z.B. als Lehrerin ihre persönliche Literaturwahl gegenüber den Schüler*innen durchsetzt. Bezüglich der Organisationsantinomie wägt Frau Wichmann also situationsabhängig ab. 4. Differenzierung vs. Einheitlichkeit: Einerseits vertritt die Schule konzeptionell die Idee einer Allgemeinbildung. Unterricht müsste dann ziel- und inhaltsgleich für alle sein; ebenso die darauf bezogene Leistungsbewertung. Andererseits braucht eine heterogene Schülerschaft differenzierte Lernangebote. In der Oberstufe sei „ja wenig“ der Fall, dass man „ganze Stunden der Grammatik“ widme. Für die Erläuterung von Phänomenen wie „Unterscheidung Adjektiv-Adverb“ fühle sie sich dann nicht mehr zuständig („Das müssen die sich dann schon selber erarbeiten“). Das liegt nicht an der Zeit: Laut Frau Wichmann säßen im Englisch-LK auch Schüler*innen, „die das nur deswegen gewählt haben, weil sie in Mathe noch schlechter sind“. Bezüglich der Differenzierungsantinomie wägt Frau Wichmann situationsbezogen ab, und macht dies hier exemplarisch an einer Unterscheidung nach Jahrgangsstufen und damit unterstellten Kompetenzstufen fest. Gleichzeitig benennt sie aber klar, dass die unterstellte Kompetenz bei manchen Schüler*innen nicht vorhanden sei. Diesen macht sie zwar ein Angebot (Verweis auf Übungsmaterial), das allerdings beschränkt ist, und noch dazu von anderen Unterstellungen getragen. c. der berufsbiographische Ansatz Professionalisierung als individuelle Entwicklung pädagogischer Professionalität beginnt in der Universität (Erste Phase), setzt sich fort im Referendariat (Zweite Phase) und schließlich im Beruf selbst (Dritte Phase). Der Beruf selbst hält, so u.a. Terhart, alle notwendigen Entwicklungsanforderungen und -gelegenheiten bereit, um eine ‚gute‘ Lehrperson zu werden – auf Basis der in den ersten beiden Phasen erworbenen Grundlagen. Nur wer die beruflichen Anforderungen als Herausforderungen akzeptiert und sich von ihnen beanspruchen lässt, entwickelt neue Kompetenzen und Perspektiven. Die Bereitschaft, sich durch die Bearbeitung von beruflichen Anforderungen beanspruchen zu lassen, ist der Motor der individuellen Professionalisierung im Lehrberuf. Das Einschätzen der Wichtigkeit (Relevanz), eine bestimmte berufliche Anforderung zu bewältigen, spielt dabei eine zentrale Rolle. Wichtig: „Herausforderung“ und „Beanspruchung“ sind in diesem Modell positiv konnotierte (gemeinte) Begriffe. Sie treiben berufliche Entwicklung voran – und zwar höchst individuell, basierend auf mitgebrachten und gemachten Erfahrungen. Der berufsbiographische Ansatz fasst diese Entwicklungsperspektive in Form von vier beruflichen Entwicklungsaufgaben. Berufliche Entwicklungsaufgaben beschreiben und systematisieren die objektiven Anforderungen des Berufs, die jede Lehrkraft bearbeiten muss, um in ihrer individuellen Professionalisierung voranzukommen. Man kann sich der Bearbeitung dieser Aufgaben nur auf Kosten der eigenen beruflichen Stagnation oder De-Professionalisierung entziehen (vgl. Hericks/Keller-Schneider 2012). Vor allem im Berufseinstieg nehmen neue Lehrkräfte diese Entwicklungsaufgaben „geballt“ wahr – aber sie ziehen sich durch die gesamte Berufsbiographie und müssen stetig wieder neu wahrgenommen und weiterentwickelt werden (wir sprechen dann oft von „Entwicklungsfeldern“). 4. Die Entwicklungsaufgaben des Berufseinstiegs (Fallbeispiel Tobias Jessen) Tobias Jessen, Mitte 30, Lehrer für Mathematik und Politik/Wirtschaft, der als Muttersprachler fachfremd Englisch an einer Gesamtschule in einem sozioökonomisch „schwachen“ Stadtteil Hamburgs unterrichtet (vgl. Gardemann 2021). Wir betrachten an seinem Beispiel den Stand der Bearbeitung der vier Entwicklungsaufgaben, fünf Schuljahre nach seinem Berufseinstieg. Vermittlung: Bewusst die Expertenrolle in Bezug auf die Fachinhalte des Unterrichts wahrnehmen. Anerkennung: Die Schüler*innen als zugleich entwicklungsbedürftige und entwicklungsfähige fachliche Laien wahrnehmen und anerkennen. Rollenfindung: Eine eigene Rolle und Identität als Lehrperson finden. Mit den eigenen Ressourcen haushalten, mit Schwächen und Grenzen umgehen. Kooperation: den Potenzialen und Grenzen der Organisation und Institution Schule realistisch Rechnung tragen, diese nutzen und mitgestalten. Vermittlung: Bewusst die Expertenrolle in Bezug auf die Fachinhalte des Unterrichts wahrnehmen. „Aber in der Klasse ist es für mich persönlich schwierig, vielleicht weil ich kein richtiger Englischlehrer bin, ich weiß es nicht. Ich muss sie auf diese Prüfungen vorbereiten, und sie sind auf ’nem ganz andern Niveau. Ich hab mich oft gefragt, ob das an mir liegt, weil ich nicht qualifizierter Englischlehrer bin. Ich seh natürlich, manche sind total super, da denke ich mir: Wenn die’s so gut geschafft haben, lag’s vielleicht doch nicht ganz an mir?“ Während er sich als Mathematiklehrer „gefunden“ hat, hadert Tobias Jessen mit seiner Rolle als Englischlehrer in einer leistungsschwachen Klasse. Er ist als Muttersprachler zwar Experte für die Sprache, nicht aber für das Fach Englisch. Er erzählt von verschiedenen Methoden, die er sich angelesen und ausprobiert habe, die er jedoch nicht vollständig durchdringt und deren (Miss-) Erfolg in der Klasse er nicht adäquat reflektieren kann, da ihm fachdidaktisches Wissen fehlt. Dass er die EA Vermittlung (aktuell) nicht erfolgreich bearbeitet, führt zu akuten Selbstzweifeln, die sich auf seine Person und sein unterrichtliches Handeln unmittelbar auswirken. Anerkennung: Die Schüler*innen als zugleich entwicklungsbedürftige und entwicklungsfähige fachliche Laien wahrnehmen und anerkennen. „Und ansonsten versuche ich sie wirklich einfach nur auf die Prüfungen hin vorzubereiten, also jetzt dieses Thema ganz gründlich mit denen zu behandeln auch. Dass sie da nicht völlig versagen. So ungefähr fünf Minuten frei sprechen, das können sie natürlich alles zuhause vorschreiben und auswendig lernen, das machen auch viele. Das ist ganz gut, dadurch können sie sich so ’n bisschen schon mal retten, ne?“ Tobias Jessen ist bemüht und besorgt um seine Schüler*innen, gerade aufgrund ihrer schwachen Leistungen im Fach Englisch, das aber Pflichtfach in der anstehenden Abschlussprüfung ist. Weil er (noch) mit der EA Vermittlung hadert, bleibt ihm aus seiner Sicht nur, die Anforderungen des Systems Schule subversiv zu unterlaufen, indem er seinen Schüler*innen die Möglichkeit eröffnet, Teile der Abschlussprüfung vorab vorzubereiten (nicht verboten, aber als „auswendig lernen“ nicht intendiert). Er erkennt seine Schüler*innen daher als entwicklungsbedürftig an, nimmt sie aber nicht als entwicklungsfähig wahr – was mit seiner EA Vermittlung zusammenhängt. Rollenfindung: Eine eigene Rolle und Identität als Lehrperson finden. Mit den eigenen Ressourcen haushalten, mit Schwächen und Grenzen umgehen. „Ich hab eigentlich damals mit Schwerpunkt Grundschule studiert, und wollte auch eigentlich immer an die Grundschule, bis ich dann auch so mehrere Praktika gemacht hab und gemerkt hab, dass mir doch eher mit den Älteren besser liegt. Dass ich irgendwie das Gefühl hab, auf ’ner andern Ebene kommunizieren zu können, das macht mir mehr Spaß.“ Das Motiv, das Tobias Jessen in seinen heutigen Lehrerberuf auf der Gesamtschule geführt hat, kann er in seinen eigentlichen Fächern leben, insbesondere im Fach Politik: „mit den Älteren“ „kommunizieren“. Im Fach Englisch dagegen gelingt ausgerechnet das aufgrund der geringen fremdsprachlichen Kompetenz der Schüler*innen nicht. Tobias Jessen muss, um seinen Selbstzweifeln nicht zu erliegen und als Lehrer handlungsfähig zu bleiben, daher Wege finden, mit den eigenen Ressourcen zu haushalten. Die (noch) nicht erfolgreiche Bearbeitung der bisherigen drei EA führt so zwar einerseits zu resignativem Frust, andererseits aber auch zum subversiven Unterlaufen von Abschlussprüfungen sowie zu anderen „Anpassungen“, z.B. dem Abbruch einer begonnenen Lektüre. Kooperation: den Potenzialen und Grenzen der Organisation und Institution Schule realistisch Rechnung tragen, diese nutzen und mitgestalten. „[Warum er eine bestimmte Lektüre gewählt habe] Habe ich gar nicht. Der Koordinator, der macht eigentlich so’n Jahresplan, überlegt und bespricht dann mit der Englischfachkonferenz für den Jahrgang am Anfang- äh macht der Vorschläge und das wurde einfach so abgestimmt. Deswegen.“ Da er als fachfremder Englischlehrer nur wenige Klassen unterrichtet, nimmt sich Tobias Jessen nicht als Teil der Englischfachschaft seiner Schule wahr (wie die Fachschaft ihn sieht, lässt sich aus dem Interview nicht entnehmen). Klar ist aber, dass er in Entscheidungsprozesse nicht eingebunden ist, diese also auch nicht für seine Zwecke nutzen oder mitgestalten kann – z.B. indem er eine andere Lektüre vorschlägt. Er erlebt somit die Grenzen der Institution an dieser Stelle sehr bewusst. Gleichzeitig nutzt er die Potenziale der Institution und seines Berufs: Niemand schaut ihm zu, niemand kontrolliert ihn. Dass er auch die EA Kooperation in diesem Kontext (noch) nicht erfolgreich bearbeitet, führt dazu, dass ihm für die anderen EA nur der Weg des Unterlaufens des Systems bleibt. 5. Zwischenfazit und Denkaufgabe(n) „Unsere Studien zum Berufseinstieg weisen deutlich darauf hin, dass die Komplexität der zu bewältigenden Anforderungen im Voraus nicht gedanklich vorweggenommen oder erfahrbar gemacht werden kann. [...] Die Weiterentwicklung des eigenen Unterrichts stellt dabei den zentralen Ort dar, die beruflichen Entwicklungsaufgaben dieser Phase zu bearbeiten [und] setzt die Einsicht in Veränderungsnotwendigkeiten und Veränderungsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen [...] voraus. Die dazu erforderliche reflexive Auseinandersetzung mit Theorien, Erfahrungen und Überzeugungen zu Bildung und Unterricht gilt es, im Studium zu kultivieren.“ (Hericks/Keller-Schneider 2012: 47) Zum Nachdenken und Mitbringen: Inwiefern hilft Ihnen das Wissen um die verschiedenen Ansätze der Professionsforschung bei Ihrer eigenen Professionalisierung? Inwiefern helfen Ihnen Fallbeispiele, hier z.B. die Lehrerinterviews? Welche Bezüge können Sie herstellen zwischen dem Inhalt dieser Vorlesung und Ihren in den Strukturbildern visualisierten Schulerfahrungen? Spracherwerb Sprachen lernen bewusster Prozess und Produkt formaler Instruktion Sprachen erwerben unbewusster Erwerb einer Sprache über die natürliche Umgebung und soziale Kontakte These Formales Sprachenlernen ist umso erfolgreicher, je stärker es sich natürlichem Spracherwerb annähert. Leitfragen Ist das so? Wenn ja, ist das in der Schule zu schaffen? Was unterscheidet Erst- und Zweitsprachenerwerb? Nach welchen Prinzipien können wir uns richten? In welchem Verhältnis stehen Erst- und Zweitsprache(n)? Hilft es eigentlich, etwas „lieber auf deutsch“ zu erklären? Um eine Sprache erwerben oder lernen zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen (Determinanten) vorhanden sein: Sprachverarbeiter, Input und Antrieb. 1. peripheres und kortikales Sprachvermögen: Periphere Komponenten sind der Artikulationsapparat (für die Erzeugung von Sprachlauten) und das auditorische System (für ihre Verarbeitung). Kortikale Komponenten sind Fähigkeiten wie Wahrnehmen, Assoziieren, Behalten, Lernen usw. 2. sprachlicher und nicht-sprachlicher Input: Lernangebote und Sprachzugang in sozialen Kontexten (vgl. Kaspar Hauser-Effekt, „Wolfskinder“) 3. Antrieb / Sprachmotivation: Motiv, andere verstehen zu wollen und selbst verstanden zu werden; kommunizieren zu können, Bedürfnisse äußern zu können usw. 1. Outside-In Sprache ist, wie jedes andere Wissen auch, grundsätzlich zu „lernen“. Es gibt keinen wesentlichen Aspekt, der das Erlernen einer Sprache vom Erlernen anderer Fähigkeit (Laufen, Jonglieren, Kochen…) unterscheidet. Ein Kind beobachtet, analysiert, probiert selbst aus, erhält Feedback, lernt dazu, differenziert aus usw. Names and terms you should know: B.F. Skinner, Behaviorismus Jean Piaget, Konstruktivismus 2. Inside-Out Spracherwerb ist als Fähigkeit angeboren. Ein Kind entwickelt Sprache daher eher, als dass es sie erwirbt. Die sprachliche Umwelt trägt nur minimal zum Gelingen des Spracherwerbs an sich bei, legt aber sprachstrukturelle Parameter fest (z.B. Laute, Satzstellung...). Names and terms you should know: Noam Chomsky, Nativismus 2. Ansätze zur Erklärung des Spracherwerbs: Behaviorismus menschliches Verhalten als Reiz-Reaktions-Geschehen Lernen als Konditionierung komplexes Verhalten durch Konditionierungs-Ketten/-Kaskaden menschliches Verhalten als Reiz-Reaktions-Geschehen Lernen als Konditionierung komplexes Verhalten durch Konditionierungs-Ketten/-Kaskaden Behaviorismus Spracherwerb als unbewusste Imitation Gelernt wird, was verstärkt wird. (trial-and-error) Kontrastivhypothese Analogien zwischen Sprachen werden leicht übernommen. Abweichendes führt zu negativem Transfer (Interferenz). Abweichung und die Behandlung von Fehlern muss im Zentrum stehen. Konstruktivismus Menschliches Verhalten: aktives (un-) bewusstes Handeln auf der Basis von Dispositionen Dispositionen: begriffliche Gebilde (Konzepte) in der kognitiven Struktur Lernen: Veränderung von Handlungsdispositionen durch Konzeptwechsel (conceptual change) Feedback-Schleifen: Erwartung – Handlung – Wahrnehmung Überraschung (Pertubation) kann abgewehrt werden (Assimilation) oder zu Lernen führen (Akkomodation) Nativismus Menschen haben ein language acquisition device Spracherwerb als aktiver Konstruktionsprozess des Menschen Spracherwerb als Problemlöseprozess (Hypothesen testen) Identitätshypothese Erst- und Zweitsprachenerwerb verlaufen prinzipiell gleich. Performanz (Handeln) wird durch Kompetenz (Dispositionen) gesteuert Konnektivismus / Emergentismus Spracherwerb basiert auf dem Input. Daraus bildet sich... ein Netzwerk zusammenhängender Beispiele und Muster, aber kein abstraktes Regelwerk. Lernen… besteht im Aufbau aus Assoziationen (Verbindungen) im Netzwerk, die sich durch Begegnung mit Mustern bilden. geschieht umso leichter, desto einfacher das Muster (z.B. word order) Bei Rezeption und Produktion… werden Sprachmuster aufgrund von Hinweisen (cues) erkannt oder als zu produzieren ausgewählt stehen Muster aus L1 und FL in Konkurrenz sind Bedeutungshinweise gegenüber Formhinweisen immer primär Processing Spracherwerb basiert auf dem Input. Daraus bildet sich... eine kognitive Struktur (linguistic processor), indem ...sich ein abstraktes Regelwerk generativer Regeln ausbildet. Lernen… besteht im Aufbau weiterer Regeln die sich durch Begegnung mit Sprachmaterial im Kreislauf aus Erwartung – Erfahrung – Assimilation/Akkomodation bilden geschieht umso leichter, je mehr Regeln schon vorhanden sind Bei Rezeption und Produktion… werden Sprachmuster aufgrund der Übereinstimmung mit den generativen Regeln verstanden oder konstruiert spielt Automatisierung eine wichtige Rolle, da kognitive Kapazität eingespart wird. Dies ist nicht durch Auswendiglernen erreichbar, sondern durch Sprachgebrauch.