Projektmanagement Grundlagen (PDF)

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DAA-Technikum Essen

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This document outlines the fundamentals of project management. It covers various aspects including project types, project management standards (DIN 69901, ISO 21500, IPMA), and the phases of a project (initiation, planning, execution, controlling, and closure). The document also introduces examples like the 'New CNC Machine' project.

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Fachrichtung: alle Fachrichtungen Schwerpunkte: alle Schwerpunkte MODUL 1: Projekte planen, realisieren und auswerten Lernskript 1: Grundlagen des Projektmanagements Grundlagen des Projektmanagements Inhaltsverzeichnis Einleitung......................................

Fachrichtung: alle Fachrichtungen Schwerpunkte: alle Schwerpunkte MODUL 1: Projekte planen, realisieren und auswerten Lernskript 1: Grundlagen des Projektmanagements Grundlagen des Projektmanagements Inhaltsverzeichnis Einleitung................................................................................................................. 5 1 Betriebliches Projektmanagement................................................................... 7 1.1 Aufgabe des Projektmanagements verstehen.............................................. 7 1.1.1 Was ist ein Projekt?........................................................................... 7 1.1.2 Ausprägungen und Arten von Projekten.......................................... 10 1.1.3 Grundzüge des Projektmanagements.............................................. 12 1.2 Standards im Projektmanagement kennen................................................ 21 1.2.1 DIN 69901 und ISO 21500.............................................................. 21 1.2.2 IPMA Individual Competence Baseline............................................ 24 1.2.3 PMI Project Management Body of Knowledge (PMBOK Guide)..... 25 1.2.4 PRINCE2........................................................................................ 26 Aufgaben zu Kapitel 1...................................................................................... 30 2 Kurzvorstellung des klassischen Projektmanagements am Beispiel „Neue CNC-Maschine“.............................................................................................. 31 2.1 Beispielprojekt „Neue CNC-Maschine“ erfassen........................................ 31 2.1.1 Das Vier-Phasen-Modell des klassischen Projektmanagements...... 32 2.1.2 Vollständige Handlung im Projektmanagement................................ 33 2.2 Projektinitiierung am Beispielprojekt „Neue CNC-Maschine“ durchführen... 34 2.2.1 Schritte der Initiierungsphase.......................................................... 35 2.2.2 Überlegungen zu Stakeholdern....................................................... 36 2.2.3 Projektleitung und Projektteam........................................................ 36 2.2.4 Prioritäten....................................................................................... 37 2.2.5 Lastenheft und Pflichtenheft............................................................ 38 2.2.6 Projekt„steckbrief“ als Grundlage für den Projektauftrag.................. 38 2.3 Projektorganisation und -planung am Beispielprojekt „Neue CNC-Maschine“ durchführen........................................................... 41 2.3.1 Projektorganisation.......................................................................... 41 2.3.2 Projektstrukturplan.......................................................................... 42 2.3.3 Ablauf- und Terminplanung im Projektmanagement: Gantt und PERT....................................................................................... 46 2.3.4 Budget-Planung und Planung sonstiger Ressourcen....................... 52 2.3.5 Software als Planungshilfe.............................................................. 52 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 3 Grundlagen des Projektmanagements 2.4 Projektcontrolling am Beispielprojekt „Neue CNC-Maschine“ durchführen..53 2.4.1 Controlling als Lenkungsinstrumentarium.........................................53 2.4.2 Zeitcontrolling..................................................................................54 2.4.3 Kostencontrolling.............................................................................55 2.4.4 Qualitätscontrolling..........................................................................55 2.4.5 Informationsbeschaffung..................................................................56 2.4.6 Problemerkennung, -beurteilung und -lösung...................................59 2.4.7 Dokumentation von Veränderungen.................................................62 2.4.8 Systemeinführung............................................................................62 2.5 Projektende am Beispielprojekt „Neue CNC-Maschine“ durchführen..........63 Aufgaben zu Kapitel 2.......................................................................................64 Lösungsanhang......................................................................................................66 Lösungen zu Kapitel 1.......................................................................................66 Lösungen zu Kapitel 2.......................................................................................68 Kurze Lernsteuerung Die Inhalte dieses Lernskripts werden für die Bearbeitung der Lernsituation 1 des Moduls 1 benötigt. Eine Zuordnung der Themen dieses Lernskriptes zu den jeweiligen Lernsituationen kann mithilfe der zugehörigen Lernsituationsskripte erarbeitet werden. Der Lernaufwand des gesamten Lernskripts entspricht in etwa 12 Unterrichtsein- heiten à 45 Minuten. 4 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Einleitung Die heutige (global) vernetzte Arbeitswelt verlangt von Technikerinnen und Technikern aller Fachrichtungen die Mitarbeit in Projekten, sei es als Projektmitarbeitende, als Teil- projektleitung oder als Gesamtprojektleitung. Der Name Projekt leitet sich aus dem lateinischen (proiectus = nach vorn geworfen, vergl. auch Projektil) ab. Es handelt sich also um ein Unterfangen, welches den Betrieb nach vorn bringen soll. Indem es dies tut, greift es in die bisherigen betrieblichen Struk- turen und/oder Prozesse ein: Daraus ergibt sich, dass Projekte Instrumente der Ver- änderung darstellen. Projekte werden - nicht zuletzt aus Gründen der Wettbewerbsfä- higkeit - durchgeführt, um neuen oder geänderten Anforderungen flexibel und schnell begegnen zu können. Ein Projekt ist ein einmaliges, einzigartiges, zeitlich begrenztes („endliches“) Vorhaben, mit dem ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Damit tritt es neben die gewöhnlichen Geschäftsprozesse, also die auf Dauer angelegten Aktivitäten, mit denen das Unter- nehmen „sein Geld verdient“ und die eine kontinuierliche Abfolge von Handlungen in ständiger Wiederholung darstellen. Zwar folgt auch jedes Projekt einem Ablaufplan von der Initialisierung bis zum Projektabschluss, und innerhalb dieses Prozesses gibt es zahlreiche Teilprozesse - aber wegen seiner Einmaligkeit und Einzelartigkeit kann das Projekt selbst kein Geschäftsprozess sein. Jedoch folgt die Art und Weise, wie Projekte generell in Gang gesetzt und durchgeführt werden, einem (mehr oder weniger) standardisierten Prozess, der als Projektmanage- mentprozess bezeichnet wird. In einem Unternehmen, in dem häufig Projekte anfallen und das sich in seiner Struktur und seinen Abläufen auf die Durchführung von Projekten ausgerichtet hat, kann dieser Projektmanagementprozess durchaus eine dauerhafte Managementaufgabe sein und, wenn er alle oben beschriebenen Eigenschaften auf- weist, als Geschäftsprozess aufgefasst werden. Nicht oder schlecht gemanagte Projekte beinhalten die Gefahren der Verzettelung, Ver- teuerung, Verspätung und ähnlicher Probleme, die häufig, insbesondere bei Projekten für betriebsexterne Auftraggeber, zu empfindlichen Konventionalstrafen führen. Deswe- gen ist ein systematisches, strukturiertes Vorgehen bei der Projektbearbeitung uner- lässlich. Die dazu etablierte Methodik nennt sich Projektmanagement. Sie umfasst die Gesamt- heit von Führungsaufgaben, -organisation, -techniken und -mitteln für die Initiierung, Definition, Planung, Steuerung und den Abschluss von Projekten und die Anwendung von Methoden, Hilfsmitteln, Techniken und Kompetenzen in einem Projekt. Auf die ver- schiedenen Normen zum Projektmanagement wird an späterer Stelle vertiefend einge- gangen. Die Mitarbeit an - oder Leitung von - Projekten stellt eine Schlüsselrolle für Technikerin- nen und Techniker dar, in der sie interdisziplinär agieren, definieren, beschreiben, or- ganisieren, abarbeiten, kontrollieren, dokumentieren und ggf. motivieren können müs- sen. Die auf sie zukommenden Aufgaben sind Informationsbeschaffung, Informations- analyse und -auswertung, qualifiziertes Schätzen, Planungen unter Zuhilfenahme ge- eigneter Planungswerkzeuge, Aufbereiten von Unterlagen und Dokumenten, Koordina- tion (zeitlich, personell, fachlich, örtlich), Abarbeitung und Kontrolle von Tätigkeiten. © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 5 Grundlagen des Projektmanagements Nomenklatur In diesem und den nachfolgenden Kapiteln fallen immer wieder bestimmte Begriffe. Die wichtigsten werden hier einmal zusammengefasst kurz erklärt. Da sich einige erst spä- ter im Zusammenhang voll erschließen werden, ist es nicht erforderlich, alle diese Be- griffe sofort durchzulesen: Vielmehr kann diese Auflistung als Nachschlagewerk dienen. Tabelle 1: Nomenklatur zum Projektmanagement Nomenklatur zum Projektmanagement Beschreibung von Einzelaspekten der Auftraggeberseite im  Anforderungen Lastenheft Aufgabe Sich potenziell wiederholende Handlung oder Handlungsabfolge Sicherstellung des gesetzes- und regelkonformen Compliance Verhaltens des Unternehmens Handlungen, die sich aus den Anforderungen ableiten. Einzelvorgang Einzelvorgänge sind grundsätzlich Tätigkeiten und erfordern ein Verb bei ihrer Beschreibung. Gantt-Diagramm Visualisierung der zeitlichen Abfolge von Handlungen in Balkenform. Interne Richtlinien für die Unternehmensführung Governance für korrektes und ethisches Handeln. Diejenige Handlungsabfolge, deren zeitliche Komponenten den Kritischer Weg Endtermin bestimmen. Es gibt keinerlei Zeitreserven (Puffer). Auftraggeberseitige Gesamtheit aller Anforderungen Lastenheft in allgemeiner Form. Vereinbarte Treffen der Projekt- und der Auftraggeberseite ggf. unter Einbeziehung der Stakeholder oder vereinbarten Teilen davon Milestone/Meilenstein zur Feststellung von Zielerreichungen/-abweichungen mit Vertragscharakter. Milestones werden festgelegt und abgearbeitet, nicht verschoben. Netzplan Visualisierung der Verkettung von Handlungen. Program Evaluation and Review Technique – PERT Verbreitete Form für Netzpläne. Auftragnehmerseitig ausgearbeitete Vorschläge der Pflichtenheft Projektleitung zur konkreten Umsetzung des Lastenheftes in Lösungen; das Pflichtenheft bedarf der Zustimmung durch den Auftraggeber. Projekt Einmalige Handlungsabfolge zur Erreichung von Veränderung. Projektauftrag Verbindlicher Vertrag zwischen Projektleitung und Auftraggeber. Projektrahmen Summe aller Gegebenheiten, unter denen das Projekt ablaufen soll. Projektstrukturplan Visualisierte Gliederung des Projekts. Puffer Zeitliche Reserven in den unkritischen Wegen. Auflistung aller denkbaren Störungen und Restriktionen für den Risikoanalyse Projektablauf und folgenminimierender Maßnahmenkatalog. Sammelbegriff Oberbegriff für thematische zusammenhängende Anforderungen. Personen oder Gruppen mit berechtigtem Interesse am Verlauf/ Ergebnis des Projektes - Anspruchsgruppen, zu denen auch Stakeholder Organisationen wie Betriebsrat, Umweltorganisationen, Anwohner, öf- fentliche Verwaltung etc. gehören können. Tabellarische Darstellung von Reihenfolge und Dauer von Vorgangsliste Handlungen inklusive der Vorgänger-Nachfolger-Beziehungen. Vorweggenommener Endzustand einer Handlung oder Ziel Handlungsabfolge. 6 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements 1 Betriebliches Projektmanagement 1.1 Aufgabe des Projektmanagements verstehen 1.1.1 Was ist ein Projekt? Für den Begriff „Projekt“ gibt es keine normierte Definition. Was ein Projekt ist, kann aber aus den Kennzeichen eines Projekts abgeleitet werden, die in DIN 69901 (auf die später ausführlicher eingegangen wird) festgeschrieben sind: ▪ Zielgerichtetheit: Mit dem Projekt soll ein bestimmtes Ziel - eine bestimmte Verän- derung des Ist-Zustands - bewirkt werden. ▪ Einmaligkeit/Einzigartigkeit: Die Aufgabe stellt sich in der aktuell vorliegenden Form kein zweites Mal. ▪ Endlichkeit: Die Aufgabe ist mit einem Zeithorizont versehen, d.h. sie ist innerhalb eines vorab festgelegten Zeitraums zu erfüllen. ▪ Restriktionen: Die zur Projektdurchführung verfügbaren Ressourcen (Sachmittel, Geld, Arbeitskräfte) sind begrenzt und wirtschaftlich einzusetzen. ▪ Abgrenzbarkeit: Das Projekt ist gegenüber anderen Projekten und gegenüber dem laufenden Geschäftsbetrieb klar (inhaltlich, zeitlich und finanziell) abgegrenzt. ▪ Spezifische Organisation: Projekte werden in spezifischer Weise in die dauerhafte Organisation eingebettet. Dabei wird ein Projektleiter eingesetzt, dem für die Dauer des Projekts Weisungsbefugnisse gegenüber Mitarbeitern verliehen werden, die ihm ansonsten nicht unterstehen. Weitere in der einschlägigen Literatur übereinstimmend hervorgehobene Merkmale: ▪ Komplexität: Die Aufgabe besitzt einen erheblichen Schwierigkeitsgrad (Anforde- rung der „Nichttrivialität“). ▪ Innovation: Das Projekt selbst ist wegen seiner Einmaligkeit und Einzigartigkeit zwangsläufig innovativ. Das Ergebnis des Projekts besitzt – wenigstens für das je- weilige Unternehmen – einen Neuigkeitswert. ▪ Unsicherheit/Risiko: Der Weg zur Lösung der Projektaufgabe ist nicht eindeutig vorgezeichnet, und auch die Lösung selbst ist es nicht zwangsläufig, d. h. es gibt möglicherweise mehr als eine oder auch gar keine Lösung. ▪ Diskontinuität/Veränderlichkeit: Die Durchführung ist nicht unabhängig von Um- welteinflüssen. Während der Projektlaufzeit können sich die Eingangsvoraussetzun- gen (Prämissen) verändern und zu Plan- und Verfahrensänderungen oder auch zum Projektabbruch führen. ▪ Interdisziplinäre Bearbeitung: Die Aufgabenlösung erfordert Expertenwissen aus verschiedenen Fachbereichen, ggf. auch Internationalität. Projekte können sehr unterschiedlichen Inhalts sein, wie die folgenden Beispiele belegen: Eine Portfolioanalyse hat ergeben, dass die vorhandene Produktpalette überal- tert ist. Die Geschäftsleitung befürchtet nun mittelfristige Umsatz- und Gewinn- einbußen und sorgt sich um die langfristige Existenz des Unternehmens. Sie dringt daher auf Anstrengungen in der Entwicklung neuer, zukunftsträchtiger Pro- dukte. Die Suche danach soll Gegenstand eines Projektes sein. Dieses Projekt umfasst zahlreiche Aktivitäten, die geplant, angeschoben und koordiniert werden müssen, z.B. Produktforschung und -entwicklung, Konstruktion, ggf. Fertigung © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 7 Grundlagen des Projektmanagements von Prototypen, Kalkulation, Markttests und ggf. Nachbesserungen. Produktions- aufnahme und Markteinführung sollen gleichfalls vom Projektteam begleitet wer- den. Die Kernprozesse im Unternehmen sollen künftig durch ein Enterprise-Resource- Planning-System (ERP-System) unterstützt werden. Von dieser Veränderung sind mehrere Fachabteilungen betroffen. Die Vorbereitung und Einführung die- ses Systems ist Gegenstand eines Projektes. Mitarbeitende der direkt betroffe- nen Abteilungen, der betrieblichen IT-Abteilung und ein Mitglied der Geschäfts- leitung bilden die hierarchieübergreifende Projektgruppe. Ein bisher nur in Deutschland operierendes Unternehmen will ein Zweigwerk in Südamerika aufbauen. Dieses Vorhaben soll im Rahmen eines internationalen Projekts angegangen werden. Daran werden auch betriebsexterne Spezialisten aus beiden Ländern mitwirken. Ein auf den Bau individueller Luxusyachten spezialisiertes Schiffbauunterneh- men plant, sich im nächsten Jahr erstmals auf der Boots- und Wassersportmesse BOOT in Düsseldorf zu präsentieren. Eine Projektgruppe aus Mitarbeitern ver- schiedener Fachbereiche unter Leitung des für Öffentlichkeitsarbeit zuständigen PR-Managers soll den Messeauftritt vorbereiten. Ein Großkunde hat den Auftrag für eine innovative Maschinenstraße erteilt, die die Neuentwicklung etlicher Bauteile und Verfahrenslösungen erfordert. Dieser Auftrag gibt den Anstoß für die Einrichtung eines Projekts. Eine besondere Art von Projekt ist das Gemeinschaftsprojekt. Dabei schließen sich mehrere rechtlich und wirtschaftlich voneinander unabhängige Unternehmen oder Insti- tutionen zu einem gemeinsamen Vorhaben („Joint Venture“) zusammen, wenn dieses zu groß (teuer, risikobehaftet) ist, um von einem Unternehmen allein bewältigt zu wer- den, oder wenn das Ergebnis später gemeinsam genutzt werden soll. Derartige Zusam- menschlüsse erfolgen häufig im Rahmen sogenannter Arbeitsgemeinschaften (ARGE), bei denen es sich rechtlich oft um Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) handelt. Beispiel: Der Neubau einer Schleusenkammer im Nord-Ostsee-Kanal in Brunsbüttel wurde an eine ARGE vergeben, an der drei, zwei deutsche und eine niederländi- sche Gesellschaft beteiligt sind. Sie haben für dieses Projekt die „ARGE Neubau 5. Schleusenkammer Brunsbüttel“ in der Rechtsform der GbR gebildet, in der Wasserbauexperten aus allen drei beteiligten Unternehmen zusammenarbeiten. Auch andere Gesellschaftsformen (vor allem Kapitalgesellschaften, um die Haftung zu beschränken) sind häufig anzutreffen. Beispiel: In den 1990er-Jahren gründeten die Bahn AG und das Land NRW gemeinsam die „Projektgesellschaft Metrorapid mbH“ zu dem Zweck, bis zur Fußballwelt- meisterschaft 2006 eine Transrapidstrecke zwischen Dortmund und Düsseldorf zu bauen. Bekanntlich ist dieses Projekt gescheitert. 8 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Die vorstehenden, in ihren Dimensionen sehr unterschiedlichen Beispiele zeigen die mögliche Bandbreite dessen, was unter „Projekt“ verstanden werden kann. Eines haben sie alle gemeinsam: Es geht um Veränderung. „Wow – ein Zweigwerk in China und eine Transrapidstrecke – da brauche ich mit meiner CNC-Maschine ja gar nicht anzukommen!“ Frank Teichert, vor drei Wochen vom Gruppenleiter Komponentenbau zum Pro- duktionsleiter befördert, nachdem der bisherige Stelleninhaber den wohlverdien- ten Ruhestand angetreten hat, nutzt die Mittagspause in der Kantine der Hage- dorn KG, um in seinen Unterlagen von der Technikerweiterbildung zu blättern. Eigentlich hatte er sich Hinweise darauf holen wollen, wie er das Projekt „Ersatz der veralteten konventionellen Biegemaschine durch eine moderne CNC-Ab- kantpresse“ angehen soll, das gleich zu Beginn des nächsten Jahres ansteht, aber angesichts der vorgefundenen Beispiele kommen ihm jetzt doch Zweifel: „Kann denn die Ersatzbeschaffung einer Maschine überhaupt ein Projekt sein?“ „Business as usual“, Vorhaben und Projekte Unternehmen sind grundsätzlich bestrebt, so störungsarm und erfolgreich wie irgend möglich zu agieren. Jede Störung eines Vorgangs, jedes Ereignis kostet Zeit, Geld, Qualität und Nerven. Die Unternehmensorganisationen sind daher bestrebt, Störungen möglichst zu vermeiden oder wenigstens zu minimieren. Angestrebt wird das so genannte „Business as usual“ (BAU), der ereignisarme Ablauf von Prozessen. Daneben kommt es aber aus verschiedensten Gründen immer wieder auch zu Handlungsabfolgen außerhalb des normalen Betriebs. Viele davon lassen sich aber mit den vorhandenen Strukturen handhaben: In diesem Falle spricht man von Vor- haben. Viele Vorhaben sind einmaliger Natur, z.B. Sonderaufträge. Es gibt aber auch Vorhaben, die kontinuierliche Prozesse darstellen: So kann etwa der Kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) als Grundphilosophie des Qualitätsmanagements als Vorhaben aufgefasst werden. Manchmal jedoch sehen sich Unternehmen jedoch mit Herausforderungen konfrontiert, die mit den normalen Strukturen und Abläufen nicht mehr zu bewerkstelligen sind. An dieser Stelle bietet sich ein Ausscheren aus der normalen Struktur mit eigener und ei- genständiger Organisation an. So wird aus dem Vorhaben ein Projekt, mit dem das verfolgte Anliegen zielgerichtet und ressourcenschonend nach vorn gebracht werden soll. Die Einrichtung eines Qualitätsmanagementsystems, das das permanente Vorha- ben KVP in Gang setzen soll, wird in Unternehmen durchweg ein Projekt sein. Wie weiß man, ob ein Projekt ins Leben gerufen werden sollte? Insbesondere bei klei- neren Aufgabenstellungen ohne nennenswerten Schwierigkeitsgrad wird mit Recht auf ein Projekt verzichtet und lediglich ein Vorhaben durchgeführt. Projektwürdigkeit ist abhängig vom Umfang und von der Komplexität einer Aufgabenstellung. Beispielsweise wird niemand für das Anbringen von Funkuhren in fünf vorhandenen Konferenzräumen eines Unternehmens ernsthaft eine Projektstruktur aufbauen oder anfordern: Diese e- her triviale Aufgabenstellung ist nicht mehr als ein Vorhaben und relativ unaufwändig lösbar. Auch innerhalb der Gruppe der Projekte existieren unterschiedliche Aufwände und Auf- merksamkeiten. Angefangen bei kleinen, schlanken operativen Bereichsprojekten wie beispielsweise der Beschaffung und Einbindung einer neuen Maschine in den Produk- tionsprozess, reicht die Bandbreite bis hin zu strategischen, risikobehafteten © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 9 Grundlagen des Projektmanagements hochkomplexen Großprojekten, denen die Aufmerksamkeit des Topmanagements si- cher ist, wie beispielsweise der Aufbau neuer Fertigungskapazitäten im Ausland. Hierbei ist zu beachten, dass nicht der Umfang allein den Aufmerksamkeitslevel be- stimmt, sondern vor allem der strategische Einfluss und die (auch politische oder fir- menpolitische) Brisanz des Themas. Beispiel: Gegenstand eines Projekts kann die Ermittlung und Festlegung von Bezugsquel- len für ständig benötigte Materialien sein. Dabei entscheidet nicht allein das Auf- tragsvolumen über die Bedeutung des Projekts: Befinden sich etwa mögliche Be- zugsquellen in anderen politischen Systemen und/oder Ländern der so genann- ten Dritten Welt, ist üblicherweise deutlich mehr Aufmerksamkeit erforderlich als bei inländischen Quellen, weil Arbeitsbedingungen, Sozialstandards, Umwelt- standards usw. zu berücksichtigen sind und die Zusammenarbeit mit Lieferanten aus bestimmten Ländern auch außenpolitisch und in der Öffentlichkeitswirkung Brisanz entfalten kann. Ob eine Aufgabenstellung zum Anlass für ein Projekt genommen wird, entscheidet die zuständige Instanz im Unternehmen. Wenn das Vorhaben die oben dargestellten Merk- male eines Projekts aufweist und für den Firmenerfolg von Bedeutung ist, kann dies die Einrichtung einer Projektorganisation rechtfertigen. 1.1.2 Ausprägungen und Arten von Projekten Projekte können nach den Charakteristika ihrer Aufgabenstellung wie folgt unterschie- den werden: Tabelle 2: Projektunterscheidung nach Aufgabenstellung Aufgabenstellung ist... Klare, bekannte Aufgabenstellung, geschlossen begrenzte Lösungsmöglichkeiten Viele Aufgabenstellungen denkbar; offen keine Lösungsvorstellungen/ -vorgaben Nach ihrer sozialen Komplexität, d.h. den Anforderungen an die Zusammenarbeit der Projektbeteiligten, können folgende Unterscheidungen getroffen werden: Tabelle 3: Projektunterscheidung nach sozialer Komplexität Soziale Komplexität ist... Kennzeichen: Unkomplizierte Zusammenarbeit in überwiegend niedrig (tief) homogenen Teams aus Mitgliedern eines Fachgebiets; geringe Interessensunterschiede; wenige Stakeholder Viele Stakeholder bzw. unterschiedliche Interessen der hoch Stakeholder oder Teammitglieder; Heterogenität im Team; hohes Konfliktpotenzial 10 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Daraus ableitbar sind folgende Projektgrundtypen: Tabelle 4: Projektausprägungen Projektausprägung Beschreibung Aufgrund von Erfahrungen standardisiertes, relativ leicht Standardprojekte abarbeitbares Projekt. Beispiel: Maschinenersatz Projekte mit klar umrissener Aufgabenstellung, die aufgrund von Erfahrungen methodisch weitgehend formalisier- und standardisierbar ist. Aufgrund potenzieller Akzeptanzprob- Akzeptanzprojekte leme besteht die Notwendigkeit ausgeprägter Kommunikation mit den Stakeholdern. Beispiele: Straßenbauvorhaben; Verle- gung des Rechenzentrums, Erstellen und Implementieren komplexer Software Projekte mit offenen Fragestellungen bei der Aufgabenstel- lung, mit denen Möglichkeiten (Potenziale) erkundet werden sollen. Sie sind wenig mit dem Umfeld vernetzt, risikoarm Potenzialprojekte und erfordern keine große Projektorganisation. Beispiele: Forschungsprojekte, Machbarkeitsstudien, Portfolioerweite- rungen, Innovationen Projekte mit hohem Innovationsgehalt und größeren Eingrif- fen in bekannte Strukturen, deren vollständiger Umfang Pilotprojekte/ schwer absehbar und die geeignet sind, soziale Ängste zu Pionierprojekte schüren. Beispiele: Firmenzusammenschlüsse, Umstellung auf erneu- erbare Energien Den Zusammenhang zeigt die folgende Matrix: hoch Akzeptanzprojekt Pionierprojekt Soziale Komplexität Standardprojekt Potenzialprojekt tief Aufgabenstellung geschlossen offen Abbildung 1: Projektausprägungen nach Aufgabenstellung und sozialer Komplexität © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 11 Grundlagen des Projektmanagements Projekte können mit fortschreitender Projektdauer ihren Grundtyp verändern und stel- len damit auch unterschiedliche Anforderungen an die Qualifikationen sowohl der Pro- jektleitung als auch der Projektmitarbeitenden. Projekte lassen sich auch zweckgebunden klassifizieren. Dazu wurden von verschiede- nen Gremien und Verbänden einige Standard-Projektarten entwickelt. Beispiele hierfür sind: ▪ Investitionsprojekte ▪ Produktentwicklungsprojekte ▪ Organisationsentwicklungsprojekte ▪ Change-Projekte ▪ IT-Projekte ▪ Auftragsabwicklungsprojekte, Kundenprojekte ▪ Infrastrukturprojekte ▪ Bauprojekte ▪ Forschungs- und Entwicklungsprojekte ▪... Projekte im betrieblichen Kontext Die vorstehenden Ausführungen sollten deutlich gemacht haben, dass es vor allem vom Unternehmen - seiner Branchenzugehörigkeit, Größe, Organisationsstruktur, Unterneh- menskultur und weiteren Faktoren - abhängt, welche Art von Projekten auftreten, wel- che Bedeutung ihnen beigemessen wird und wie weiter mit ihnen verfahren wird. Un- ternehmen, in denen Projekte eine große Rolle spielen, werden ihre Organisationsstruk- tur insgesamt darauf abstellen. Hierauf wird im weiterführenden Lernskript LSK_2 noch ausführlich eingegangen werden. 1.1.3 Grundzüge des Projektmanagements Seine Anfänge nahm das moderne Projektmanagement in den 1950er-Jahren, als ins- besondere in der Raumfahrt und beim Bau komplexer industrieller Anlagen zahlreiche Planungsmethoden - etwa die Netzplantechnik - entwickelt wurden. Heute existiert eine Fülle von Standards und Normen, Vorgehensmodellen, Methoden und Instrumenten, die leicht zu Unübersichtlichkeit und Verwirrung führen kann. Dabei kann die Aufgabe des Projektmanagements sehr einfach umrissen werden: Aufgabe des Projektmanagements ist die reibungsarme, ressourcenscho- nende und wirtschaftliche Durchführung von Projekten. Zur Annäherung an die Frage, wie diese Aufgabe gemeistert werden kann, sollen nach- folgend die wesentlichen Kompetenzen betrachtet werden, die ein erfolgreiches Pro- jektmanagement von den verantwortlichen Akteuren erwartet. Außerdem wird auf be- währte Vorgehensweisen und die Formulierung von Projektzielen eingegangen. 12 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Kompetenzbereiche des Projektmanagers Nach dem Zertifizierungsansatz der International Project Management Association (IPMA, näher behandelt in Abschnitt 1.2.2) sind diese durch die notwendigen Kompe- tenzen eines Projektmanagers beschrieben, nämlich ▪ soziale/persönliche Kompetenzen, ▪ Verhaltenskompetenzen (Kontext-Kompetenzen = Handlungskompetenzen/Per- spektiven in Bezug auf das Umfeld, das die Rahmenbedingungen setzt), und ▪ technische Kompetenzen (Praktiken, Methoden, Vorgehensweisen. Für diese drei Kompetenzen hat die IPMA den Begriff des „Eye of Competence“ ge- prägt. Mit der Darstellungsform als Auge soll ausgedrückt werden, dass alle Elemente, die insgesamt das Projektmanagement ausmachen, nach diesem Modell mit Weitblick und Klarheit durch die Augen des Projektmanagers betrachtet werden. Bei der Wahl der Kurzbezeichnungen wurde dabei auf die beliebte, das Verständnis aber nicht unbedingt steigernde Vorgehensweise zurückgegriffen, die drei professionel- len Kompetenzen plakativ mit drei Schlagwörtern zu bezeichnen, die jeweils mit dem Buchstaben „P“ beginnen: People, Perspective, Practice. Die folgenden Abbildungen zeigen zwei unterschiedliche, in der Fachliteratur gleichermaßen häufige Darstellungen, wobei die rechte Abbildung der vom IPMA selbst verwendeten Form entspricht. Perspective People Soziale Project Kompetenzen Verhaltens- kompetenzen Technische Kompetenzen Practice Abbildung 2: Das „Eye of Competence“ nach IPMA - Zwei Darstellungsformen, eine Bedeutung Soziale/persönliche Kompetenzen (People) Das Kompetenzfeld People befasst sich mit den individuellen und sozialen Kompeten- zen des Individuums und definiert dabei zehn Kompetenzelemente: ▪ Selbstreflexion und Selbstmanagement ▪ Integrität, Verlässlichkeit und Loyalität ▪ Kommunikation ▪ Beziehungen und Engagement ▪ Führung ▪ Teamarbeit ▪ Umgang mit Konflikten und Krisen ▪ Ideenreichtum ▪ Verhandlungsgeschick ▪ Ergebnisorientierung und Leistungsbereitschaft © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 13 Grundlagen des Projektmanagements Diese Kompetenzen des Projektmanagers, aber auch jedes einzelnen Teammitglieds tragen entscheidend zum Projekterfolg oder Misserfolg bei. Ein Projektteam aus Indivi- duen, die alle gegeneinander statt miteinander arbeiten, wird kaum erfolgreich arbeiten können und erhebliche Zeitanteile für negative Interaktion aufwenden, die dann für an- dere Arbeiten schlicht fehlen. Verhaltenskompetenzen (Kontext/Perspective) Das Kompetenzfeld Perspective befasst sich mit den Kompetenzen zur Handhabung der Rahmenbedingungen eines Projekts. Die einzelnen Kompetenzen werden nachfol- gend kurz erläutert, da sie - im Gegensatz zu den vorgenannten persönlichen Kompe- tenzen - nicht unbedingt selbsterklärend sind. ▪ Strategie: Fähigkeit, im Hinblick auf die Ziele und Visionen des Unternehmens stra- tegisch zu denken und zu handeln. ▪ Governance, Strukturen und Prozesse: Kompetenz, die etablierten Regeln, die für das Unternehmen insgesamt gelten, auch in Projekten anzuwenden. ▪ Compliance, Standards und Regulationen: Kompetenz, die internen und externen Restriktionen und Erfordernisse des Umfelds (etwa des betreffenden Rechtsraums) zu berücksichtigen und das Projekt in dem dadurch abgesteckten Rahmen zum Er- folg zu führen. Im Punkt Compliance macht es einen Unterschied, ob ein Projekt z.B. in Europa oder den USA durchgeführt wird, weil jeweils unterschiedliche Standards (Gesetze, Normen, Regularien und Gepflogenheiten) zu berücksichtigen sind. ▪ Macht und Interessen: Kompetenz, Einflussnahmen durch Stakeholder und deren Motive und Machtgrundlagen zu erkennen, positiv im Sinne des Projekts zu verwer- ten und Stakeholder zufriedenzustellen. ▪ Kultur und Werte: Kompetenz, den Einfluss interner und externer kultureller As- pekte auf den Ansatz, die Ziele, Prozesse und die Nachhaltigkeit der Ergebnisse eines Projekts zu erkennen und zu integrieren. Diese Dimension setzt den Projektrahmen und definiert das Umfeld des Projekts. Technische Kompetenzen (Practice) Das Kompetenzfeld Practice beinhaltet das Handwerkszeug des Projektmanagements und dessen Anwendung in Bezug auf eine große Zahl von Aufgaben und Anforderun- gen, die im Rahmen eines Projekts bearbeitet werden müssen. Diese sind: ▪ Projektdesign ▪ Anforderungen und Ziele ▪ Leistungsumfang und Lieferobjekte ▪ Ablauf und Termine ▪ Organisation, Information und Dokumentation ▪ Qualität ▪ Kosten und Finanzierung ▪ Ressourcen ▪ Beschaffung ▪ Planung und Steuerung ▪ Chancen und Risiken ▪ Stakeholder ▪ Change und Transformation Für all diese Themen wurden zahlreiche Methoden (Instrumente, Werkzeuge) entwi- ckelt, auf die an späterer Stelle noch eingegangen werden wird. 14 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Bewährte Vorgehensweisen im Projektmanagement In der Praxis des Projektmanagements haben sich bestimmte Vorgehensweisen be- währt und etabliert, von denen einige nachfolgend vorgestellt werden sollen: ▪ Vom Groben zum Detail - Top Down/ Bottom Up ▪ Variantenbildung ▪ Phasengliederung Vom Groben zum Detail - Top Down/ Bottom Up TOP Bei jedem Projekt empfiehlt es sich, eine Grundhaltung einzunehmen, die von der Betrachtung des weiten Felds der Möglichkeiten ausgehend eine immer weiter verfeinernde Fokussierung auf Details anstrebt. Dies betrifft die Ziel- bildung ebenso wie den Entwurf möglicher Lösungen. Diese Vorgehensweise wird häufig als Top-Down-Ansatz bezeichnet. „Top“ steht dabei für das weitwinklig betrach- tete Gesamtfeld und „Down“ für die Richtung, in die sich das Denken bewegt, nämlich Vertiefung. DOWN Abbildung 3: Vom Groben zum Detail: Top-Down-Vorgehensprinzip Zur Klarstellung. Es geht hier nicht um Top-Down-Betrachtungen innerhalb der Un- ternehmenshierarchie „von der Unternehmensspitze zu den ausführenden Arbeits- plätzen“, die in der Personalführung („Befehlskette“) und in der Unternehmenskom- munikation („vertikaler Informationsfluss“) eine Rolle spielen. Der Top-Down-Ansatz empfiehlt sich vor allem bei konzeptionellen, innovativen Prob- lemstellungen. Dabei erfolgt nach einer groben Strukturierung des Problems eine schrittweise Detaillierung. Zunächst wird generell über mögliche Lösungen nachge- dacht; danach erfolgt eine Festlegung auf bestimmte Ansätze und eine immer weiter verfeinerte Lösung. © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 15 Grundlagen des Projektmanagements Die gegenteilige Strategie heißt Bottom-Up. Sie macht dann Sinn, wenn bereits eine Lösung vorhanden ist und praktiziert wird und nach möglichen Verbesserungen gesucht wird: In diesem Falle kann es sich empfehlen, den Blick zu weiten und das Feld mögli- cher Lösungen auszudehnen. Im Zuge einer Projektdurchführung wird letztlich eine Mischung aus beiden Betrach- tungsweisen zum Einsatz kommen, häufig in dem Sinne, dass ▪ das Auffinden einer möglichen Lösung im Top-Down-Verfahren und ▪ die Erwägung der Auswirkungen dieses Lösungsansatzes nach dem Bottom-Up-An- satz erfolgt. Problemfeld Top-Down Findung Wirkung Bottom-Up Lösung Abbildung 4: Ursache und Wirkung: Denkrichtung wechseln! Dieses Zusammenspiel wird häufig übersehen oder die Brisanz der Bottom-Up Ergebnisse schlicht ignoriert. Ende der 1990er Jahre sollte ein staatliches Unternehmen des Transportwesens (Personen und Güter) an die Börse gebracht werden. Unter einem neuen Vor- stand wurden die größten Kosteneinsparungspotenziale ermittelt und daraus entstand der Plan, knapp 8% der vorhandenen Strecken und rund 25% der vor- handenen Weichen und Kreuzungen abzuschaffen. Dabei wurde offenbar prob- lemfreier Verkehr unterstellt, denn seitdem können sich Züge bei Problemen kaum noch überholen, sondern müssen zeitaufwändig abwarten, bis die Stre- cken vor ihnen wieder frei sind. 16 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Variantenbildung Oft gibt es mehr als eine Lösung für ein Problem und mehr als einen Lösungsweg. Variantenbildung meint das Denken in Alternativen und stellt eine sinnvolle Ergänzung des Top-down Prinzips dar. Sie kann - und wird üblicherweise - in Stufen erfolgen. Un- terbleibt die Variantenbildung, kann es zu erheblich verspätetem Einbringen alternativer Lösungsansätze kommen, welche dann durch erneute Planung auch zu erheblichem Ressourcenverbrauch führen können. Notwendigkeit für neues Verkehrsmittel ? Lösungs- prinzipien Konzept- varianten Detail- varianten Benzin Elektro Hybrid Abbildung 5: Variantenbildung über mehrere Stufen Phasengliederung Projekte werden durchweg in Phasen abgearbeitet. Die Phasengliederung kann dabei als erweitertes Top-Down-Prinzip aufgefasst werden. Vergleicht man verschiedene übliche Phasenmodelle miteinander, wird schnell klar, dass im Grunde immer derselbe Prozess beschrieben wird, der mit einer Projektidee beginnt und bis zum Projektabschluss einer mehr oder weniger vorgegebenen Sachlo- gik folgt. Nach dieser Logik wird das Problem zunächst identifiziert und ausformuliert (definiert). Daran schließt sich eine Planung an, die – je nach Umfang des Projekts in fortschreitenden Detaillierungsgraden – mehrere Phasen umfassen kann, bevor die Umsetzung in Angriff genommen wird. Diese Inangriffnahme der Umsetzung bildet in manchen Phasenschemata die letzte Phase; andere schließen die Realisierung und die Übernahme der neuen Strukturen in den Echtbetrieb ein. © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 17 Grundlagen des Projektmanagements Die Phasenunterteilung - und damit die Anzahl der Phasen - resultiert dabei vor allem aus der Komplexität und Bedeutung der Aufgabe: Kleine Projekte bedürfen einer weni- ger differenzierten Gliederung als große; Projekte von großer wirtschaftlicher Bedeu- tung oder Projekte, die mit besonderen Risiken behaftet sind, erfordern eine besonders differenzierten Untergliederung der Vorbereitungs- bzw. Planungsphase. Auch die Größe und Organisationsform der planenden Unternehmung, namentlich die Anzahl der zu beteiligenden Hierarchieebenen und Instanzen, wirkt sich auf die Projektgliederung aus. Allen Phasenmodellen ist gemeinsam, dass sie - oft nicht realitätsangemessen - die Projektbearbeitung in separate Schritte einteilen, wobei ein Schritt immer erst dann be- gonnen wird, wenn der vorige abgeschlossen ist. In der Realität bilden sich dagegen auch parallele Phasenmodelle heraus, bei denen - wie bei einem Netzplan - Phasen teilweise parallel und überlappend ablaufen. „Spiralmodelle“ und Modelle des agilen Projektmanagements tragen dieser Realität besser Rechnung. Die folgende Abbildung zeigt einige gängige Phasenmodelle. Klassische Drei-Phasen-Modelle Projektauswahl/ Realisierung Projekt- -planung Steuerung abschluss System- System- Systemanalyse gestaltung einführung Drei-Phasen-Modell für Kleinprojekte Systembau/ Vorstudie Hauptstudie -einführung Vier-Phasen-Modelle Projekt- Organisation Projekt- Projektende initiierung Planung controlling Konstruktion Konzeption Vorbereitung Ausführung (Entwurf) Fünf-Phasen-Modelle Vorstudie Hauptstudie Detailstudie Realisierung Einführung Sechs-Phasen-Modelle Vorstudie Hauptstudie Detailstudie Realisierung Einführung Erhaltung Abbildung 6: Auswahl verschiedener Phasenmodelle im Vergleich In Kapitel 2 wird das klassische Vier-Phasen-Modell ausführlich an einem Beispiel vor- gestellt. 18 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Projektziele Eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen eines Projekts ist die präzise Formu- lierung der mit dem Projekt verfolgten Ziele und des nach Abschluss des Projekts er- warteten Soll-Zustands. DIN 69901 beschreibt Projektziele als „Gesamtheit von Einzelzielen, die durch das Projekt erreicht werden“. Es gibt also nicht das eine Ziel, sondern ein Bündel von Teil- zielen, die erreicht werden sollen. Häufig werden Teilziele, die während der Projektbe- arbeitung als Zwischenziele erreicht und überprüft werden sollen, als Meilensteine oder Milestones bezeichnet. Für die Kriterien, denen Ziele im Rahmen von Projekten genügen sollen, hat sich im angelsächsischen Sprachgebrauch die Abkürzung S.M.A.R.T als Akronym aus den fol- genden Begriffen etabliert: Spezifisch (specific = präzise, eindeutig) Messbar (measurable = messbar, überprüfbar) Akzeptiert (accepted = einvernehmlich ausgehandelt und in Übereinstimmung mit den Zielen derjenigen Personen, die das Projekt durchführen), Realistisch (realistic = mithilfe der verfügbaren Mittel unter den gegebenen Bedingun- gen erfüllbar) Terminiert (timely; auch: time-bound, time-limited = mit einem Zeithorizont versehen). Außerdem gilt, dass Ziele operationalisierbar (handhabbar) und widerspruchsfrei (kon- sistent) sein müssen. Auf diese Zielkriterien wird in Lernskript 2 noch näher eingegan- gen. Bei der Zielfestlegung zeigt sich immer das Dilemma von Zeit, Kosten und Qualität: Es ist praktisch nicht möglich, diese drei Größen gleichzeitig zu optimieren. Für jedes Pro- jekt muss daher seine Position im „magischen“ Z-K-Q-Dreieck des Projektmanage- ments bestimmt werden. so schnell wie möglich Zeit Kosten Qualität max. 20.000 € perfekt Abbildung 7: Das „magische“ Z-K-Q-Dreieck © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 19 Grundlagen des Projektmanagements Formen der Projektorganisation Projektorganisation meint die Einbindung eines Projekts die organisatorische Struktur des Unternehmens, insbesondere die Stellung des Projektleiters und des Projektteams innerhalb des hierarchischen Gefüges. In Unternehmen, in denen häufig Projekte abgewickelt werden, ist darüber meist schon im Vorfeld generell entschieden. Oft ist die Regelung wie folgt: ▪ Kleine Projekte, die keine oder wenig Interdisziplinarität fordern und innerhalb eines Bereichs (einer Abteilung) bearbeitet werden können, werden im Rahmen der be- stehenden Organisation abgearbeitet, also „in der Linie“. Die Projektleitung ist einer Bereichs- bzw. Abteilungsleitung unterstellt; die Mitarbeitenden im Team sind nur mit Zeitanteilen (stundenweise oder sporadisch) für das Projekt tätig und erfüllen ansonsten ihre angestammte Stellenaufgabe. ▪ Für große Projekte mit weit reichender Bedeutung für das Unternehmen, insbeson- dere wenn sie eine hohe Interdisziplinarität erfordern, wird eine eigene Organisation eingerichtet. Dabei werden der Projektleitung feste Mitarbeitende als Mitglieder des Projektteams zugeordnet und für die Dauer des Projekts unterstellt; außerdem wer- den Befugnisse übertragen, besondere Ressourcen zugeordnet usw. Die bisherige Organisation (Primärorganisation) bleibt bestehen. Daneben treten wechselnde Pro- jekte, deren Leitung sich auf einer Ebene mit den Abteilungs- bzw. Bereichsleitern befindet. Diese Form wird als reines Projektmanagement bezeichnet. Die stärkste Ausprägung dieser Form findet sich bei Unternehmen, in denen große, oft mehrjährige und nur in mittlerer bis langer Frist wechselnde Projekte prägend sind, wie etwa Architektur- und Ingenieurbüros, Projektierungsgesellschaften oder Bauunternehmen: Dort ist die Primärorganisation häufig von untergeordneter Be- deutung, weil auch Mitarbeitende mit Bürotätigkeiten wie Abrechnung und Buchhal- tung einem Projekt für dessen Dauer fest zugeordnet werden. Unterhalb der Ge- schäftsleitung sind direkt die verschiedenen Projekte angeordnet, die jeweils von einem Projektleiter oder einer Projektleiterin verantwortet werden. Sekretariat, Leitung allg. Verwaltung Projekt Projekt Projekt "Messepavillon" "Sportzentrum" "Schwimmhalle" Konstruktion Konstruktion Konstruktion Bauleitung Bauleitung Bauleitung Abrechnung Abrechnung Abrechnung......... Abbildung 8: Projektorganisation einer Projektierungsgesellschaft Auf die Unterschiede der organisatorischen Einbindung wird in Lernskript 2 noch aus- führlich eingegangen. In jedem Falle ist eine Projektleitung zu bestimmen, die mit der weiteren Vorbereitung und der Durchführung des Projekts beauftragt wird. 20 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements 1.2 Standards im Projektmanagement kennen Projektmanagement ist ein komplexes Handlungsfeld im Management. Für die erfolg- reiche Umsetzung wurden zahlreiche Hilfestellungen in Form geeigneter Methoden und Werkzeuge entwickelt und erprobt. Wenn viele unterschiedliche Beteiligte und Be- troffene (insgesamt als Stakeholder bezeichnet), etwa Auftraggeber, Projektmitarbei- tende, Lieferanten oder Expertengruppen, ein komplexes Vorhaben gemeinsam zum Erfolg führen wollen, sollten sie eine „gemeinsame Sprache sprechen“. Misslungene Kommunikation, unterschiedliche Softwareapplikationen und Methoden, Berichte mit Kennzahlen, die nicht zusammenpassen, unterschiedliche Dokumentations- und Steu- erungsvorgaben kosten Nerven, Zeit und Geld. Die steigende Bedeutung von Projektmanagement hat daher in den letzten Jahren und Jahrzehnten verstärkt dazu geführt, dass sich ein System von Standards entwickelt hat. Diese Standards helfen bei der Festlegung von unternehmensspezifischen Projek- tabläufen und -strukturen sowie deren Optimierung. Nichtstandardisierte Abläufe lassen dagegen kaum Erfahrungsgewinn - im Sinne von Rückschlüssen für künftige Projekte - zu. Die verbreitetsten Normen und Standards des Projektmanagements sollten technische Fachkräfte, die mit Projekten betraut werden (könnten), in den Grundzügen kennen, auch um in der Lage zu sein, den geeigneten Standard für ein konkretes Projekt aus- wählen zu können. Bekannte Standards sind: ▪ die seit 2009 entwickelten und fortgeschriebenen Projektmanagement-Normen DIN 69901 (Projektmanagement – Projektmanagementsysteme) und 69900 (Projektma- nagement - Netzplantechnik; Beschreibungen und Begriffe), ▪ die Multiprojektmanagementnorm DIN 69909, ▪ die Norm ISO 21500 als internationales Gegenstück zur DIN 69901, ▪ die Individual Competence Baseline ICB 4.0 der International Project Management Association (IPMA) ▪ der Project Management Body of Knowledge (PMBOK) des Project Management Institute (PMI) und ▪ das Projektmanagementsystem PRINCE2 der britischen Axelos Ltd. Diese Konzepte zur Systematisierung des Projektmanagements haben alle ein Ziel: den Projekterfolg im klassischen Spannungsfeld von Terminen, Ressourcen und Ergebnis- sen zu maximieren. 1.2.1 DIN 69901 und ISO 21500 Die DIN 69900 „Netzplantechnik“, die fünfteilige DIN 69901 „Projektmanagement-Pro- jektmanagementsysteme“ und die ebenfalls mehrteilige DIN 69909 „Multiprojektma- nagement - Management von Projektportfolios, Programmen und Projekten“ gehören zur den wichtigsten Projektmanagement-Normen in Deutschland. Diese DIN-Reihe folgt dem prozessorientierten Ansatz in traditioneller Vorgehensweise. So wird in der DIN 69901-2 vorgeschlagen, ▪ das Projekt in die fünf Phasen Initialisierung, Definition, Planung, Steuerung und Ab- schluss zu gliedern, ▪ jeder dieser Phasen Projektmanagementprozesse zuzuordnen. DIN 69901-2 be- schreibt insgesamt 59 Projektmanagementprozesse. Eine Zuordnung von Projekt- managementprozessen zu Prozessgruppen und -phasen zeigt auszugsweise die folgende Tabelle: © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 21 Grundlagen des Projektmanagements Tabelle 5: Phasenzuordnung von Projektmanagementprozessen Phase → Initialisie- Definition Planung Steuerung Abschluss rung Prozess- gruppe  Vorgänge Meilen- planen Ablauf und steine defi- Terminplan Termine nieren erstellen (...) Änderun- gen Qualität Risiken Risiko analysieren Projektpha- Projekt- sen definie- struktur ren... Ziele defi- nieren und Ziele und analysieren Ziele skiz- Anforde- zieren Anforderun- rungen gen definie- ren Die nacheinander (sequentiell) ablaufenden Projektphasen, die gute Vorhersagbarkeit des künftigen Projektverlaufs und dessen Controlling auf der Grundlage einer guten Planung werden dabei als vorteilhaft betrachtet. Konkrete traditionelle Vorgehensmodelle (wie nachfolgend sowie in Lernskript 2 be- schrieben) und agile Projektmanagementmethoden (behandelt in Lernskript 3) werden dabei nicht erwähnt. Die fünfteilige, mehr als 130 Seiten umfassende Norm soll hier nicht in ihren Einzelhei- ten nachgezeichnet werden. Mit der folgenden Tabelle wird lediglich kurz umrissen, wo- rum es in den einzelnen Teilen im Wesentlichen geht. 22 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Tabelle 6: Überblick über Inhalte der DIN-Normen für Projektmanagement Inhalte (Kurzbeschreibungen) DIN Titel (PM = Projektmanagement) DIN 69901 Projektmanagement - Projektmanagementsysteme PM-Systeme: Ziele und wesentliche Eigenschaften; DIN 69901-1 Grundlagen Erwartungen der Trägerorganisation an das PM-Sys- tem; Regeln für ein leistungsfähiges PM-System Beschreibung von insgesamt 59 PM-Prozessen (z.B. „Ziele skizzieren“, „Meilensteine definieren“), geglie- Prozesse, Pro- dert in 11 Prozessgruppen (z.B. „Ablauf und Ter- DIN 69901-2 zessmodell mine“, „Organisation“, „Ressourcen“) und 5 Phasen (Initialisierung, Definition, Planung, Steuerung, Ab- schluss; vgl. Abschn. 2.3.4). Kurzdarstellung der Methoden Aufwandsschätzung (div. Methoden benannt) Earned Value Analysis Projekt- Fertigstellungsgradermittlung Controlling- Soll-/Ist-Vergleiche Methoden DIN 69901-3 Methoden Meilensteintrendanalyse Projektvergleich Projektstrukturierung jeweils mit Angabe des Zwecks, der Anwendungsbe- reiche und der Ein- und Ausgangsgrößen. Der Me- thodeneinsatz ist nicht beschrieben. Beschreibung elementarer Datenstrukturen des PM. Daten, DIN 69901-4 Zwecke: Spezifikationsanforderungen an PM-Soft- Datenmodell ware; Datenaustausch; Datenarchivierung. DIN 69901-5 Begriffe Definition von 110 Begriffen aus dem PM DIN 69900 Projektmanagement - Netzplantechnik Beschreibung der Netzplantechnik mit ihren grundle- Beschreibungen DIN 69900 genden Elementen und Verfahren; Begriffsdefinitio- u. Begriffe nen. Multiprojektmanagement - Management von Projektportfolios, Program- DIN 69909 men und Projekten Begriffe, Ziele, Eigenschaften des Multi-PM; Erwar- DIN 69909-1 Grundlagen tungen der / Unterstützung durch die Organisation; Dokumentation Beschreibung eines Prozessmodells, gegliedert in 3 Prozesse, Führungsprozesse und 3 Prozessgruppen (Projekt- DIN 69909-2 Prozessmodell portfolio-, Programm- und PM-Prozesse; letztere mit Verweisung auf DIN 69901-2). Wie bei allen DIN-Normen gilt auch in diesem Falle, dass ihre Anwendung freiwillig ist, solange der Gesetzgeber ihre Anwendung nicht zwingend vorschreibt (was für DIN 69900 und DIN 69901 nicht der Fall ist). Unternehmen und Institutionen, die eine Pro- jektkooperation eingehen, können die Anwendung der Normen jedoch vertraglich ver- einbaren. DIN-Normen werden privatwirtschaftlich erarbeitet und sind nicht frei zugäng- lich, sondern können nur kostenpflichtig bezogen werden. Die Begründungen hierfür sind auf der Homepage des DIN e.V. nachlesbar. © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 23 Grundlagen des Projektmanagements 1.2.2 IPMA Individual Competence Baseline Im Gegensatz zum prozessorientierten Ansatz der DIN 69901 oder zum PMI-Ansatz sieht die Individual Competence Baseline (ICB) nicht vor, den Projektbeteiligten mittels eines Prozessmodells vorzugeben, wann was getan werden soll: Vielmehr wird ihnen zugetraut, dies viel besser aus der Situation heraus selbst entscheiden zu können. Vo- raussetzung ist die entsprechende individuelle Kompetenz, was bedeutet, Wissen, Fer- tigkeiten und Fähigkeiten so anwenden zu können, dass das gewünschte Ergebnis er- zielt wird. Das ICB definiert die Begriffe Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten hierarchisch aufei- nander aufbauend: ▪ Wissen bedeutet Kennen - etwa die Kenntnis, den Projektablaufplan lesen und ver- stehen zu können, ▪ Fertigkeiten erlauben die Nutzung des Wissens, z.B. indem für das selbst zu verant- wortende Teilprojekt eigene Pläne erstellt werden, ▪ Fähigkeiten bauen auf dem Wissen und den Fertigkeiten auf und ermöglichen ihre Anwendung in einem bestimmten Zusammenhang (Kontext), etwa um den Ressour- ceneinsatz bei sich abzeichnenden Abweichungen vom Terminplan in geeigneter Weise anzupassen. Die für ein erfolgreiches Projektmanagement notwendige Handlungskompetenz gliedert die IPMA in der ICB drei Kompetenzarten, denen insgesamt 29 Einzelkompetenzen zu- geordnet sind. Die Kompetenzarten „Persönliche Kompetenzen (People)“, „Technische Kompetenzen (Practice)“ und „Kontextuale Kompetenzen (Perspective)“ sind bereits aus dem in Abschnitt 1.1.3 vorgestellten „Eye of Competence“ bekannt. Tabelle 7: Kompetenzen und Kompetenzelemente nach IPMA ICB Technische Kompeten- Kontext-Kompetenzen Persönliche und sozi- Kompe- zen (Practice) = (Perspective) = ale Kompetenzen tenzart Methoden, Werkzeuge, Interaktion mit der (People) Techniken Umwelt Selbstreflexion und Projektdesign Strategie Selbstmanagement Persönliche Integrität Governance, Strukturen Anforderungen und Ziele und Verlässlichkeit und Prozesse Persönliche Kommuni- Leistungsumfang und Compliance, Standards kation Lieferobjekte und Regularien Beziehungen und En- Ablauf und Termine Macht und Interessen Kompetenzelemente gagement Organisation, Information Führung Kultur und Werte und Dokumentation Teamarbeit Qualität Konflikte und Krisen Kosten und Finanzierung Vielseitigkeit Ressourcen Verhandlungen Beschaffung Ergebnisorientierung Planung und Steuerung Chancen und Risiken Stakeholder Change und Transformation Erläuterung: Governance = Interne Richtlinien für die Unternehmensführung für korrektes und ethisches Handeln; Compliance = Sicherstellung des gesetzes- und regelkonformen Verhaltens des Unternehmens. 24 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) bietet auf Basis der ICB 4.0 ein Basiszertifikat für Einsteiger im Projektmanagement sowie ein vierstufiges, in vier Level gestaffeltes Zertifizierungssystem an: von Level D (Grundlagenzertifikat für in Pro- jekten tätige Personen) über Level C und B (Projektmanager für begrenzt komplexe bzw. komplexe Projekte) bis Level A (für Leitungen strategischer Großprojekte und Füh- rungskräfte in projektbasierten Organisationen). 1.2.3 PMI Project Management Body of Knowledge (PMBOK Guide) Der Guide to the Project Management Body of Knowledge (PMBOK Guide), der vom Project Management Institute (PMI) in den USA herausgegeben wird, ist neben der ICB der IPMA der zweite weltweit gültige Standard für Projektmanagement und zugleich anerkannter Standard des American National Standards Institute (ANSI). Das PMI gliedert den Lebenszyklus eines Projekts in die vier Phasen ▪ Projekt beginnen ▪ Strukturierung und Vorbereitung ▪ Arbeit durchführen ▪ Projekte abschließen und beschreibt fünf Prozessgruppen, die sich in jeder einzelnen Projektphase wieder- holen: ▪ Initiierung ▪ Planung ▪ Ausführung ▪ Überwachung und Steuerung ▪ Abschluss sowie zehn Wissensgebiete: ▪ Integrationsmanagement ▪ Inhalts- und Umfangsmanagement ▪ Terminmanagement ▪ Kostenmanagement ▪ Qualitätsmanagement ▪ Personalmanagement ▪ Kommunikationsmanagement ▪ Risikomanagement ▪ Beschaffungsmanagement ▪ Stakeholdermanagement Einzelne Prozesse werden in einer Matrix den verschiedenen Prozessgruppen und Wissensgebieten zugeordnet. © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 25 Grundlagen des Projektmanagements Tabelle 8: Projektmanagementprozesse nach PMBOK Guide, zugeordnet zu Prozessgruppen und Wissensgebieten Phase → Initiierung Planung Ausfüh- Überwa- Abschluss rung chung und Wissens- Steuerung gebiete  Inhalts- Inhalts- und Projektaus- Projektaus- und Um- Projektauf- Umfangs- führung führung len- Projekt fangs- trag entwi- manage- überwa- ken, mana- abschließen manage- ckeln ment pla- chen und gen (...) ment nen steuern (...) Termin- Terminma- manage- nagement ment planen Kosten- Kostenma- manage- nagement ment planen Qualitäts- Qualitäts- manage- manage- ment pla- ment nen Personal- Personal- manage- manage- ment pla- ment nen... 1.2.4 PRINCE2 Bereits 1975 wurde in Großbritannien für Projekte im IT-Bereich die Methode PROMPT (Project Resource Organisation Management Planning Technique) entwickelt, die sich allerdings wegen ihrer strikt sequenziellen Vorgehensweise (ein Projektabschnitt wird durchgeführt und abgeschlossen, bevor der nächste beginnen darf) bald als zu wenig flexibel erwies. Daraufhin erfolgte mit PRINCE (Projects In Controlled Environments) eine Weiterent- wicklung in Richtung Prozessorientierung und agilem Projektmanagement. Die Me- thode erfreute sich bald großen Zuspruchs auch außerhalb von IT-Umgebungen. Seit einer großen Revision im Jahr 1996, die insbesondere durch verschiedene Verein- fachungen die Öffnung für alle Arten von Projekten erleichterte, ist PRINCE2 („PRo- jects IN Controlled Environments“ bzw. „Projekte in kontrollierten Umgebungen“) der gültige Standard. Auch dieser wird immer wieder überarbeitet. PRINCE2 ist gekenn- zeichnet durch 7 Grundprinzipien, 7 Themen und 7 Prozesse auf 3 Management-Ebenen. 26 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Grundprinzipien von PRINCE2: Tabelle 9: Grundprinzipien von PRINCE2 Grundprinzip Beschreibung Berechtigter Grund für die Projektingangsetzung Fortlaufende geschäft- liche Rechtfertigung Berechtigter Grund für die Projektfortsetzung = durchgängig wird ein Nutzen erwartet Lernen aus Erfahrun- Erfahrungen aus anderen Projekten fließen gezielt mit ein gen Erfahrungen aus dem laufenden Projekt werden dokumentiert Rollen und Verantwortlichkeiten müssen definiert, strukturiert und Definierte Rollen und bekannt gemacht werden. Dabei sind die Interessen des Unter- Verantwortlichkeiten nehmens, der Benutzer und der Lieferanten (des Projekts) zu be- rücksichtigen. Jedes Projekt besteht aus mindestens zwei Projektphasen (= Ini- Steuern über Manage- tiierungsphase + eine weitere Phase). Jeder Phasenübergang mentphasen muss vom Lenkungsausschuss freigegeben werden. Für wesentliche Projektziele werden Toleranzen festgelegt, die Steuern nach dem den Handlungsrahmen für den/die Verantwortlichen definiert. Bei Ausnahmeprinzip Überschreitung wird die nächsthöhere Entscheidungsinstanz ein- geschaltet. Jedes Projekt ist auf die Lieferung eines Produkts (=Ergebnisses) Produktorientierung ausgerichtet, das den definierten Qualitätsanforderungen genü- gen muss. Die konkret anzuwendenden Verfahren aus der Projektmanage- Anpassen an die Pro- mentmethode PRINCE2 werden unternehmens- und projektspe- jektumgebung zifisch ausgewählt und angepasst. Insbesondere im Grundprinzip „Anpassen an die Projektumgebung“ zeigt sich die hohe Flexibilität der Methode PRINCE2. © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 27 Grundlagen des Projektmanagements Themen von PRINCE2: Die folgenden Themen sind analog zu den PMBOK-Wissens- gebieten zu sehen. Jedes Thema soll dabei eine bestimmte Frage beantworten. Tabelle 10: Themen von PRINCE2 Thema / beantwortete Beschreibung Frage Projekt-Initiationsdokument ohne Formvorgabe, beinhaltet Business Case / Begründung für das Projekt: Idee, Vision, erwarteter Nutzen Warum? Warum überhaupt? Warum jetzt? Durchführungs- und Abschlussverantwortliche werden benannt Organisation / Wer? Rollen im (interdisziplinären) Projektteam werden beschrieben Qualitätsanforderungen an das zu liefernde Produkt (Ergebnis) Qualität / Was? Maßnahmen zur Sicherstellung des Erreichens des Qualitäts- ziels Projekte laufen auf Grundlage der vom Lenkungsausschuss genehmigten Pläne (Projektpläne, Phasenpläne, ggf. Teampläne) ab. Sie legen fest, was in welcher Weise, in wel- Pläne / Wie? Wie viel? chem Ausmaß, mit welchem Zeitbedarf und –horizont getan Wann? werden soll. Maßnahmen: Schritte zur Entwicklung der Pläne werden festgelegt Techniken zur Entwicklung der Pläne werden ausgewählt Projekte sind mit Unsicherheit/Risiken behaftet. Festlegungen Risiken / Was ist, betreffen Risikotoleranzen (bzgl. Zeit, Budget, Zielabweichung) wenn...? Risikoverantwortlichkeit, Risikoüberwachung Auftretende Probleme, Änderungsanträge, Abweichungen vom Änderungen / Was sind erwarteten Ergebnis sind „Issues“. Zu beschreiben ist, wie das die Auswirkungen? Projektmanagement Issues bewertet und behandelt. Fortschritt / Wo stehen Die Durchführung bzw. Durchführbarkeit der gefassten Pläne wir jetzt? (Wie) geht es muss fortlaufend überprüft werden, auch im Hinblick darauf, ob weiter? und wie das Projekt fortgeführt werden soll. Prozesse, Managementebenen und Phasen von PRINCE2: Die folgende Abbildung zeigt die Prozesse ▪ Vorbereiten eines Projekts ▪ Lenken eines Projekts ▪ Initiieren eines Projekts ▪ Steuern einer Phase ▪ Managen eines Phasenübergangs ▪ Abschließen eines Projekts ▪ Managen der Produktlieferung in ihrer Zuordnung zu den Managementebenen ▪ Lenken, ▪ Managen und ▪ Liefern und in Bezug auf die zu durchlaufenden Managementphasen. Zur Erinnerung (vgl. Grundprinzip „Steuern über Managementphasen“): Es sind mindestens zwei Phasen (die Initiierungsphase und eine weitere Managementphase) zu durchlaufen. 28 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Ph M as an en Vor dem Initiierungs- Nachfolgende Letzte eb eag Projekt phase Phase(n) Phase en me en nt - Lenken eines Projekts Lenken Vor- bereiten eines Projekts Managen des Managen des Abschließen Phasenübergangs Phasenübergangs eines Projekts Managen Initiieren eines Steuern einer Steuern einer Projekts Phase Phase Managen der Managen der Liefern Produktlieferung Produktlieferung Abbildung 9: Prozesse, Managementebenen und Phasen von PRINCE2 PRINCE2 geht bei Projekten generell von einer Kunden-/Lieferantensituation aus. Da- her werden Themen wie Teamführung, Konfliktmanagement, Motivation usw. nicht be- rücksichtigt: Sie sind nicht Aufgabe des Projektmanagements, sondern allein des Lie- feranten. In der Praxis kann es bei einem geringen organisatorischen Reifegrad der Organisation (= nicht allen Beteiligten bekannte/transparente Kommunikationswege und Abläufe) zu Problemen kommen – dies gilt allerdings auch für den Einsatz jeder anderen Methode. PRINCE2 stellt eine flexible, anpassbare Projektmanagementmethode dar, in die in der Praxis erfolgreich agile Ansätze (vgl. Lernskript 3) integriert werden können. Hierzu soll hier jedoch nicht vorgegriffen werden. © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 29 Grundlagen des Projektmanagements Aufgaben zu Kapitel 1 Aufgabe 1 Kommentieren Sie die folgenden Aussagen. Geben Sie an, ob Sie sie für richtig oder falsch halten, und begründen Sie Ihre Auffassung. a) Alle Projekte sind Vorhaben, aber nicht alle Vorhaben sind Projekte. b) Projekte sind grundsätzlich innovativ. c) Ein geschlossenes Projekt mit geringer sozialer Komplexität ist wahrscheinlich ein Pionierprojekt. d) Projekte weisen immer fünf Phasen auf. Aufgabe 2 In Kapitel 1.1.2 heißt es über Akzeptanzprojekte: „Aufgrund potenzieller Akzeptanz- probleme besteht die Notwendigkeit ausgeprägter Kommunikation mit den Stakehol- dern.“ Geben Sie zu jedem der dort genannten Beispiele a) Straßenbauvorhaben, b) Verlegung des Rechenzentrums, c) Erstellen und Implementieren komplexer Software zwei mögliche Stakeholder an, bei denen mit Akzeptanzproblemen zu rechnen wäre, und schildern Sie, worin das Problem bestehen könnte! Aufgabe 3 „Ich erwarte, dass Sie und Ihr Team die optimale Softwarelösung für unsere Bestellab- wicklung in kürzest möglicher Zeit liefern und dabei so wenige Kosten wie möglich ver- ursachen“, gibt Ihnen Ihr Geschäftsführer mit auf den Weg, nachdem Sie ihm den Pro- jektplan vorgestellt haben. a) Nehmen Sie Stellung zu dieser Forderung: Können Sie sie erfüllen? b) Ist die vom Geschäftsführer formulierte Zielsetzung SMART? Begründen Sie Ihre Antwort anhand von drei Aspekten! c) Unterbreiten Sie einen Vorschlag für eine SMARTe Formulierung! Aufgabe 4 Abschnitt 1.1.3 enthält Ausführungen zum „Eye of Competence“. Beschreiben Sie den Aussagegehalt dieses Konzepts in einem einzigen selbstformulierten Satz! Aufgabe 5 „Wir brauchen keinen von irgendwelchen Vereinigungen herausgegebenen Projektma- nagement-Standard, um unsere Projekte abzuwickeln. Wir wissen auch so, wie es geht – schließlich haben wir schon mehrere Projekte erfolgreich zu Ende gebracht“, erklärt der Geschäftsführer eines kleinen Industriebetriebs. a) Ist es zwingend erforderlich, dass einer der in Abschnitt 1.2 beschriebenen Stan- dards zum Einsatz kommt? Begründen Sie Ihre Antwort! b) Nennen Sie dem Geschäftsführer drei Vorteile, die sein Unternehmen aus der An- wendung eines anerkannten Standards ziehen könnte! 30 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements 2 Kurzvorstellung des klassischen Projektmanagements am Beispiel „Neue CNC-Maschine“ 2.1 Beispielprojekt „Neue CNC-Maschine“ erfassen Frank Teichert hat sich alles aufmerksam angehört und angeschaut. „Ok, reden wir noch mal über den Ersatz unserer CNC-Maschine.“ Er überlegt. „Manches ist ja schon erledigt: Die neue Maschine ist ausgewählt, bestellt und steht beim Lieferanten auf Ab- ruf bereit. Die Finanzierung steht auch. Jetzt kommen erst mal Weihnachten und der Jahreswechsel, aber gleich in der ersten Woche im neuen Jahr soll die Umsetzung los- gehen. Aber es gibt noch so viel zu planen! Das Ding ist nämlich eine riesige Spezial- konstruktion und so teuer wie ein Ferrari. Da darf nichts schiefgehen! Also: Das Problem hat doch wohl alles, was so ein Projekt ausmacht“. Seine projekterfahrene Kollegin Sandra Fitz, die inzwischen ihm gegenüber am Tisch Platz genommen hat, lässt ihre Gabel sinken: „Und was wäre das, bitteschön?“ Teichert überlegt und beginnt dann, seine verbliebenen Rosenkohl-Röschen eines nach dem anderen auf seinem Teller herumzuschieben, bis sie senkrecht übereinander lie- gen. Dabei erklärt er: „Da, ganz oben, das ist der Auftraggeber, nämlich unsere Geschäftsleitung, die mir ge- rade gehörig Dampf macht, weil die Produktion sichergestellt sein muss. Wir haben nämlich echt volle Auftragsbücher. Die alte Maschine steht noch da, wo die neue hin soll. Wir haben zwar für eine gewisse Zeit vorproduziert, aber der Austausch muss schnell vonstattengehen, damit wir liefer- bereit bleiben. Dafür müssen wir ein paar Pläne aufstellen. Erstmal müssen wir genau planen, welche Arbeiten zu erledigen sind und in welcher Reihenfolge wir dabei vorge- hen. Heißt: Wir brauchen einen Ablaufplan. Wir müssen dabei aber auch planen, wann was gemacht werden soll, das heißt, wir brauchen auch einen Terminplan. Der und der Ablaufplan müssen zusammenpassen.“ Fitz ergänzt: „Kapazitäten sind auch immer ein Problem. Die Leute, die daran mitarbei- ten sollen, müssen ja zur Verfügung stehen, und zwar die richtigen Leute am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Also müssen die auch eingeplant werden.“ „Stimmt“, sagt Teichert. „Und dann müssen meine Mitarbeiter auch noch lernen, mit dem Teil umzugehen....Sonst noch was?“ Fitz überlegt. „Was ist mit dem Budget?“ Teichert winkt ab. „Hier geht es nicht um Geld - wir sollen nicht als erstes auf die Kosten sehen, sondern auf die Qualität, sagt der Boss. - Also: Ist das nun ein Projekt?“ Sandra nickt. „Also, das ist jetzt nicht das weltgrößte Projekt...“, sie legt eine Kunst- pause ein, um Teicherts beleidigten Gesichtsausdruck einen Moment zu genießen, „...aber natürlich ist es eins! Und ich kann dir auch helfen, es anzugehen.“ „Ok - dann bist du jetzt in meinem Team!“ © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 31 Grundlagen des Projektmanagements 2.1.1 Das Vier-Phasen-Modell des klassischen Projektmanagements Nachfolgend soll das von Herrn Teichert geschilderte Projekt Schritt für Schritt nach dem Vier-Phasen-Schema des klassischen Projektmanagements abgearbeitet werden. Dieses Projekt ist aufgrund seiner geschlossenen Aufgabenstellung und der relativ ge- ringen sozialen Komplexität ein Standardprojekt (vgl. Kapitel 1.1.2) und damit relativ einfach und überschaubar. Bei einem komplexeren Potenzial- oder Pionierprojekt wä- ren sehr viel mehr Vorarbeiten in der Initiierungsphase und der Organisations- und Pla- nungsphase nötig, und auch die Projektsteuerung während der Durchführung wäre sehr viel aufwändiger. Auf das Vorgehen bei komplexen Problemstellungen wird an späterer Stelle in den Lernskripten 2 und 3 eingegangen. Bei der Vorstellung der unterschiedlichen Phasenmodelle in Kapitel 1.1.3 wurde bereits darauf hingewiesen, dass damit im Grunde immer ein und derselbe Prozess beschrie- ben wird, der 1. mit der Projektidee und -ingangsetzung beginnt, 2. eine Reihe organisatorischer und planerischer Aufgaben durchläuft, 3. überwacht und ggf. durch steuernde Eingriffe auf Kurs gehalten werden muss und 4. mit der erfolgreichen Eingliederung des Projektergebnisses in die bestehende Struktur sein - hoffentlich - erfolgreiches Ende nimmt. Diese Abfolge findet sich im klassischen Vier-Phasen-Modell des Projektmanagements in folgenden Phasen wieder: ▪ Projektinitiierung (von der ersten Idee über die Definition der Projektziele bis hin zum konkreten Projektauftrag), ▪ Projektorganisation und –planung (Festlegung der Projektstruktur und Planung von Ressourcen, Abläufen, Terminen und Budgets), ▪ Projektcontrolling (= die eigentliche Ausführungsphase, begleitet von Steuerung, Überwachung, Sicherung und Dokumentation des Projektablaufs) und ▪ Projektende (Abschlusspräsentation, Abnahme/Implementierung, Resümee, Teamauflösung). Der Unterschied zu DIN 69901, die fünf Projektphasen vorsieht, besteht einzig darin, dass das DIN-Schema nach der ersten Phase des klassischen Modells („Projektinitiie- rung“) eine gesonderte zweite Phase „Projektdefinition“ mit der Erstellung von Anforde- rungskatalogen, Lasten- und Pflichtenheften eingefügt ist - diese wird im klassischen Modell im Rahmen der Projektinitiierung vorgenommen. Die weiteren Phasen („Pla- nung“, „Steuerung“ und „Abschluss“) unterscheiden sich nicht. Die nachfolgenden Kapitel 2.2 bis 2.5 sind analog zu den obigen vier Hauptphasen be- zeichnet. 32 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements 2.1.2 Vollständige Handlung im Projektmanagement „Irgendwie erinnert mich das an dieses ‚Sechs-Phasen-Modell der vollständigen Handlung‘, von dem wir im Unterricht und beim Lernen für die Ausbildereignungprü- fung immer gesprochen haben“, sagt Frank Teichert. „Da waren es aber sechs Pha- sen. Oder hat das eine mit dem anderen gar nichts zu tun?“ Tatsächlich gibt es zwischen der systematischen Bearbeitung eines Projekts und dem bekannten Modell der vollständigen Handlung deutliche Zusammenhänge: ▪ Im Zentrum steht eine definierte Aufgabe. Im Modell der vollständigen Handlung ist dies eine Situation, die zum konkreten Handeln auffordert. Gleiches lässt sich auch über jedes Projekt sagen, das im Zentrum eines systematischen Projektmanage- ments bearbeitet werden soll. ▪ Sowohl das Modell der vollständigen Handlung als auch das des klassischen Pro- jektmanagements bieten einen Rahmen für eine Abfolge von Handlungsschritten, der die Bewältigung auch komplexerer Situationen unterstützt und verhindert, dass Schritte übersprungen werden. ▪ Das Modell der vollständigen Handlung ist auf Teamarbeit ausgerichtet: Dies gilt gleichermaßen für das Projektmanagement. ▪ Beide Modelle sind auf die Erzielung eines Ergebnisses mit gegebenen Mitteln und innerhalb einer vorbestimmten Zeit ausgerichtet. Die Phasen, die im Modell der vollständigen Handlung durchlaufen werden, finden sich im Vorgehen des Projektmanagements wieder: Die folgende Abbildung soll dies ver- deutlichen. Projektinitiierung Projektabschluss Informieren Reflektieren Planen Projekt/ Projektorganisation Aufgabe und -planung Kontrollieren Entscheiden Ausführen Projektcontrolling Abbildung 10: Modell der vollständigen Handlung und Phasenmodell des klassischen Projektmanage- ments im Zusammenhang © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 33 Grundlagen des Projektmanagements 2.2 Projektinitiierung am Beispielprojekt „Neue CNC-Maschine“ durch- führen Woher kommt die Initiative für ein Projekt? Und was beinhaltet sie? „Wieso Initiative? Dass wir etwas tun müssen, lag doch auf der Hand. Die alte Biegemaschine läuft auf dem Zahnfleisch; ständig müssen wir nachjustieren, und die Ausschussquote ist enorm. Das konnte so nicht mehr weitergehen.“ „Du willst sagen, dass das Projekt alternativlos ist?“ fragt Sandra Fitz nach. „Ja, im Grunde schon. Wir hätten zwar die Wahl gehabt, wieder eine konventio- nelle Maschine zu kaufen oder meinetwegen auch mehrere anstatt einer CNC- Maschine, aber die Alternative, nichts zu tun und alles beim Alten zu belassen, gab es nicht.“ „Also gab es schon Entscheidungen zu treffen. Kann es sein, dass dein Projekt, die Maschinen auszutauschen, in Wahrheit Teil eines größeren Projekts ist, das schon längst begonnen hat?“ Teichert überlegt. „Ja, ich denke, da hast Du recht. Irgendwie hat es nur niemand als Projekt bezeichnet. Trotzdem ist es ja wie eines abgelaufen. Es waren einige Leute beteiligt: Mein Vorgänger, also der bisherige Produktionsleiter, der die in Frage kommenden Maschinen recherchiert hat. Ein, zwei Leute aus der Be- schaffung, die die Angebote eingeholt und aufbereitet haben. Die Finanzabtei- lung, die die Finanzierung geklärt hat. Und die Schulungsabteilung, die die Kol- legen aus der Produktion für die neue Maschine fit gemacht hat. Und das alles ist inhaltlich und zeitlich aufeinander abgestimmt gelaufen.“ „Siehste. Dann war es ein Projekt. Aber wer hat das Projekt initiiert?“ „Tja...“, Teichert zuckt mit den Achseln, „das war dann wohl die alte Biegema- schine.“ Fitz lacht. „Nein, die Maschine hat nur den Anlass dafür geliefert. Zur Initiierung eines Projekts gehört wesentlich mehr, jede Menge Handlungen und Entschei- dungen - nichts, wozu eine Maschine imstande wäre. Aber der Reihe nach...“. Anstoß für ein Projekt ist der Wunsch nach Veränderung. Auslösend ist häufig, wie im gegebenen Fall, ein Problem. Allerdings führt nicht jedes Problem zwangsläufig zu einem Projekt oder sonst einer Handlung: Derjenige, dem das Problem auffällt, wird häufig in Versuchung sein, die Angelegenheit „auszusitzen“, also nichts zu tun, bis der Leidensdruck so groß gewor- den ist, dass er das Problem nicht mehr ignorieren kann. Gern wird in der Praxis auch geschaut, ob es nicht jemand anderen gibt, dem man das Problem „um den Hals hän- gen kann“. Beide Taktiken sind Ausprägungen von Verschieben: im ersteren Falle zeit- lich (ich kümmere mich nicht jetzt, sondern irgendwann später), im zweiten Falle per- sönlich durch Delegation, also gewissermaßen örtlich (ich will, dass es gelöst wird, aber nicht hier / nicht von mir). Ein Problem ist nicht zwangsläufig unangenehm: Auch ein „Geistesblitz“ für eine neue Produktidee oder die Anfrage eines Kunden nach einer Leistung, die das an- gefragte Unternehmen aktuell nicht anbieten kann, aber gern anbieten würde, kann Auslöser für ein Projekt sein – und ein Problem im Sinne einer Aufgabe, für die eine Lösung erarbeitet werden soll. 34 © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 Grundlagen des Projektmanagements Im hier vorliegenden Fall ist Dringlichkeit zweifellos vorhanden; es muss gehandelt wer- den. Tatsächlich wurde bereits gehandelt, denn es wurde eine neue Maschine ausge- wählt und sogar schon bestellt. 2.2.1 Schritte der Initiierungsphase Folgende Teilschritte der Phase „Projektinitiierung“ sind also bereit vollzogen – auch wenn das Projekt vielleicht nicht als solches bezeichnet wurde. ▪ Problemerkennung: Die Qualitätskontrolle fand an den nachgeprüften Werkstü- cken zunehmend häufige und höhere Abweichungen von den definierten Toleranzen vor. Die Produktion bekam immer mehr Stücke zur Nacharbeitung, und zugleich wa- ren immer mehr Stücke sogar unbrauchbarer Ausschuss. Das Wartungs- und In- standsetzungsteam musste immer häufiger tätig werden. Die Klagen liefen beim Produktionsleiter zusammen, der irgendwann erkennen musste, dass es ein Prob- lem gibt und grundsätzlicher Handlungsbedarf besteht. ▪ Problemerfassung: Allen Beteiligten war klar, dass die alte Biegemaschine die Schlechtleistung verursachte. Der Produktionsleiter ordnete eine umfassende Revi- sion der Maschine an. Das Wartungs- und Instandsetzungsteam lieferte ihm eine Mängelliste, aus der zweifelsfrei hervorging, dass die Maschine verschlissen und nicht mehr zu reparieren war. ▪ Problembeurteilung: Musste sofort gehandelt werden? Zweifellos, denn einige nicht austauschbare Teile der Maschine wiesen erhebliche Materialermüdung auf und drohten zu versagen. ▪ Einschätzung der Problembedeutung: Die Arbeitsgänge auf der Biegemaschine sind zwingend erforderlich und können auf keine andere Art und Weise bewerkstel- ligt werden. Bei einem Totalausfall der Maschine wäre die Produktion zum Stillstand gekommen: Darauf durfte keinesfalls gewartet werden! ▪ Skizzieren möglicher Problemlösung(en): Fremdbezug von Bauteilen war keine Lösung, da es sich nicht nur um einzelne Teile handelte, sondern die Produktion insgesamt betroffen war. Die Maschine musste schnellstmöglich ersetzt werden. Al- lerdings gab es mehrere Ersatzalternativen: Ersatz durch eine baugleiche neue oder gebrauchte Maschine, Ersatz durch mehrere kleinere konventionelle Maschinen o- der Ersatz durch eine moderne CNC-Maschine. Wäre für das Vorhaben von vornherein die Einrichtung eines Projekts erwogen worden, hätte auch der folgende Schritt dazugehört: ▪ Prüfung der Projektwürdigkeit: Zur Abgrenzung, ob der notwendige Maschinener- satz nur ein einfaches Vorhaben darstellte, das als Auftrag in der Linie bearbeitet werden konnte, oder ob es tatsächlich Anlass für ein Projekt bot, beantwortete sich der Produktionsleiter folgende Fragen: ▪ Sind andere Bereiche betroffen? Eindeutig ja! Welche? Es ändern sich nicht nur das Werkstatt-Layout und Teile des Produktionsverfahrens, sondern es wird eine bedeutende Investition erforderlich, die möglicherweise fremdfinanziert werden muss und zur Verschiebung anderer geplanter Investitionsvorhaben führt. Zugleich eröffnen sich Chancen für neue Produkte und Kunden. Mitarbeitende müssen ge- schult, vielleicht auch Arbeitsplätze umbesetzt werden. Betroffen und damit Stake- holder sind also mindestens die Bereiche Produktion, Finanzwesen, Beschaffung, Marketing, Personalwesen und ggf. Arbeitnehmervertretung, und es macht Sinn, Mitarbeitende aus all diesen Bereichen von vornherein mit einzubeziehen. Damit wird aus dem einfachen Vorhaben ein Projekt mit einem interdisziplinär besetzten Projektteam. ▪ Welche Bedeutung hat das Projekt für das Unternehmen? Die Aufrechterhaltung der Produktion ist von existenzieller Bedeutung. Die Frage, was wäre, wenn das Vorhaben nicht durchgeführt würde, stellt sich also gar nicht. Die Entscheidung, von einer konventionellen auf eine CNC-Maschine umzusteigen, hätte Impulswirkung für weitergehende Innovationen in näherer Zukunft. © DAA-Technikum Essen / M1_00_LSK1_01.00.01 35 Grundlagen des Projektmanagements ▪ Welche Risiken bestehen, wenn das Projekt durchgeführt wird? Bei Umstieg auf einen völlig neuen Maschinentyp, z.B. CNC, ist bei einigen Mitarbeitenden Ableh- nung zu erwarten. Denkbar wären auch anfängliche Qualitätsprobleme bei der Pro- duktion. Mittelfristig könnte ein Auftragsrückgang, z.B. wegen abflauender Konjunk- tur, dazu führen, dass sich eine teure Ersatzinvestition ni

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