Einführung in die Sozialpsychologie PDF
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This document provides an introduction to social psychology. It covers the principles and key concepts in the field. It also touches upon related subjects such as group dynamics and individual behaviour.
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14 Einführung 1 Einführung Warum haben Menschen Vorurteile und wie lassen sich diese überwinden? Wie bilden Menschen Eindrücke voneinander und wann finden sie einander attrak...
14 Einführung 1 Einführung Warum haben Menschen Vorurteile und wie lassen sich diese überwinden? Wie bilden Menschen Eindrücke voneinander und wann finden sie einander attraktiv? Ist Gruppenarbeit effektiver als Einzelarbeit oder verleitet sie nur dazu, sich auszuruhen und andere die Arbeit machen zu lassen? Welche Auswirkungen haben Gewaltdarstellungen in Medien auf den Zuschauer? Dies sind einige der Forschungsfragen, mit denen sich wissenschaftlich arbeitende Sozialpsycholog*innen beschäf- tigen. 1.1 Was ist Sozialpsychologie Was ist der zentrale Forschungsgegenstand? Was sind forschungsleitende Grundannahmen? 1.1.1 Begriffsbestimmung Erleben und Die Sozialpsychologie ist eine grundlagenwissenschaftliche Teildisziplin der em- Verhalten von pirischen Psychologie. Sie untersucht das Erleben und Verhalten von Menschen Menschen in sozialen Situationen in sozialen Situationen, d.h. Situationen, in denen Kognitionen, Emotionen, Motive und Handlungen einer Person durch die tatsächliche, vermutete (oder mitunter lediglich vorgestellte) Anwesenheit anderer Menschen beeinflusst werden (Allport, 1954). Die Sozialpsychologie ist eine vergleichsweise junge empirische Wissenschaft – ihre akade- mische Institutionalisierung begann erst in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts (Jones, 1998). Bis in die 1960er Jahre hinein entwickelte sich die Sozialpsychologie im Wesentlichen in den USA. In Europa erfolgte eine breite akademische Institutionalisierung etwa ab Mitte der 1970er; in Deutschland ging dies, wie in vielen anderen Ländern auch, mit der Etablierung der Sozialpsychologie als einem der Kernfächer der akademischen Grundlagenausbildung in Psycho- logie einher (zur historischen Entwicklung der Sozialpsychologie in [West-]Deutschland s. Lück, 2002). Ein Hauptziel sozialpsychologischer Forschung besteht darin, empirisch überprüfbare Theorien und Modelle zu entwickeln, um zu beschreiben, zu prognostizieren und zu erklären, wie Men- schen sich in sozialen Situationen verhalten – wie sie einander wahrnehmen, wie sie Einfluss aufeinander ausüben und wie sie ihre Beziehungen zueinander gestalten. Zur Erkenntnisgewinnung bedient sich die Sozialpsychologie eines breiten Spektrums empirischer Forschungsmethoden, das Beobachtungsverfahren, korrelative Verfahren und experimentelle Ver- fahren umfasst. Zahlreiche grundlagenwissenschaftliche Forschungen wurden (und werden) durch soziale und gesellschaftlich relevante Fragen inspiriert (z.B. die Vorurteilsforschung, die Forschung zu Kooperationsprozessen in Gruppen, die Aggressionsforschung). Sozialpsychologische Theorien und Erkenntnisse werden daher in vielfältigen Anwendungsbereichen der Psychologie zur Erklä- rung und Lösung praktischer und sozialer Probleme herangezogen (z.B. der Arbeits- und Organi- sationspsychologie, der Gesundheitspsychologie, der Gemeindepsychologie, der Klinischen Psy- chologie und der Rechtspsychologie). Einführung 15 Obwohl die Sozialpsychologie eine Vielzahl unterschiedlicher sozialer Phänomene untersucht, gibt es eine Reihe forschungsleitender Prämissen. Eine dieser Prämissen ist, dass Menschen das, was sie als soziale Realität wahrnehmen, aktiv konstruieren. Sie reagieren also nicht darauf, wie eine Situation „objektiv“ ist, sondern darauf, wie diese Situation von ihnen selbst subjektiv wahrge- nommen und interpretiert wird (z.B. Ross & Nisbett, 1991). Eine zweite Prämisse sozialpsycholo- gischer Forschung steht im Einklang mit der von Kurt Lewin, einem der Mitbegründer der empir- ischen Sozialpsychologie, aufgestellten Verhaltensgleichung (Lewin, 1951), die menschliches Ver- halten (V) als eine Funktion von Personfaktoren (P) und Umweltfaktoren (U) beschreibt. V = f (P, U) Die sozialpsychologische Forschung untersucht daher zum einen wie und auf welche Weise Per- sonenmerkmale (z.B. Eigenschaften, Einstellungen, Motive, Emotionen) Wahrnehmung, Erleben und Verhalten in sozialen Situationen beeinflussen. Zum anderen werden die Effekte von Merk- malen der (subjektiv wahrgenommenen) sozialen Situation auf Wahrnehmung, Erleben und Ver- halten untersucht (z.B. wird das Verhalten in Anwesenheit oder Abwesenheit anderer Personen ausgeführt? Ist die Person Mitglied der eigenen Gruppe oder gehört sie zu einer anderen Gruppe? Sozialpsycholog*innen erforschen zudem die Wechselwirkung (Interaktion) der Effekte von Per- sonen- und Situationsfaktoren auf das menschliche Erleben und Verhalten in sozialen Situationen. Der Begriff der Wechselwirkung wird in der psychologischen Forschung unterschiedlich verwendet (Buss, 1977). Sozialpsycholog*innen interessieren sich insbesondere für Wechselwirkungen im Sinne statistischer Interaktionen. Man könnte sogar sagen, dass die Sozialpsychologie die psycho- logische Wissenschaft der Interaktion von Person und sozialer Situation ist (Ross & Nisbett, 1991). Interaktion: Eine Interaktion zwischen zwei Einflussfaktoren liegt vor, wenn Interaktion die Stärke des Effekts, den ein bestimmter Faktor (z.B. ein Situationsmerkmal) auf eine Variable (z.B. ein bestimmtes Verhalten) ausübt, systematisch mit der Ausprägung eines anderen Faktors (z.B. einem Personenmerkmal) variiert. Zur Illustration ein empirisches Beispiel: In einer experimentellen Studie zu Determinanten von Versöhnungsprozessen zwischen verfeindeten nationalen Gruppen untersuchten Arie Nadler und Ido Liviatan (2006) die Auswirkungen von Entschuldigungen von politischen Führern der Gegen- seite auf die Versöhnungsbereitschaft. Zu diesem Zweck präsentierten sie ihren Versuchspersonen (jüdischen Israelis) unterschiedliche Versionen der Rede eines Palästinenserführers; in einer Version drückte er Mitgefühl für das durch den Konflikt verursachte Leiden der jüdisch-israelischen Bevöl- kerung aus; in einer anderen Version fehlte der Ausdruck von Mitgefühl. Intuitiv könnte man erwarten, dass sich der Ausdruck von Mitgefühl generell positiv auf die Versöhnungsbereitschaft auswirkt. Wie die Forschenden vermutet hatten, war dies allerdings nur bei denjenigen Israelis der Fall, die Palästinenser*innen schon vor der Rede ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenbrach- ten. Bei denjenigen, die Palästinenser*innen generell wenig oder gar nicht vertrauten, wirkte sich der Ausdruck von Mitgefühl durch den politischen Führer hingegen sogar negativ auf ihre Ver- söhnungsbereitschaft aus (wahrscheinlich, weil sie hinter dem Verhalten ein politisches Täu- schungsmanöver vermuteten). Dieses Ergebnismuster verdeutlicht, wie der Effekt eines sozialen Situationsfaktors (hier: Ausdruck von Mitgefühl des Gegners für das erlittene Leid) systematisch 16 Einführung durch die Ausprägung eines Personenfaktors (hier: Vertrauen des Rezipienten) beeinflusst werden kann („Person-Situation-Interaktion“). 1.1.2 Die Person und die Situation Die oben beschriebene Verhaltensgleichung wirkt auf den ersten Blick leicht nachvollziehbar. Was aber meinen Sozialpsycholog*innen eigentlich genau, wenn sie die Begriffe Person und Situation verwenden? Dies soll im Folgenden genauer erläutert werden. Dabei werden wir eine Reihe wei- terer Begriffe präzisieren, die uns innerhalb der Sozialpsychologie immer wieder begegnen wer- den. Personenfaktoren: Der Begriff, der vermutlich den meisten Menschen in den Sinn kommt, wenn sie andere Personen beschreiben sollen, ist der Begriff der Persönlichkeitseigenschaft. Persönlichkeitseigenschaft: In der psychologischen Forschung bezeichnet der Begriff der Persönlichkeitseigenschaft (engl. trait) eine zeitlich relativ überdauernde und über Situationen generalisierte Erlebens- und Verhaltenstendenz. Die meisten eigenschaftstheoretischen Modelle konvergieren in den folgenden fünf Definitions- kriterien von Persönlichkeitseigenschaften (s. z.B. Fleeson, 2012). 1. Der Begriff der Persönlichkeitseigenschaft bezieht sich auf Individuen. Er beschreibt die Art und Weise wie Individuen handeln, denken, fühlen usw. Personen, mit hohen Ausprägungen der Persönlichkeitseigenschaft „Verträglichkeit“ tendieren beispielsweise dazu anderen zu verzeihen, sie sind eher milde bei der Beurteilung anderer Menschen, sie neigen dazu Kom- promisse einzugehen und mit anderen zu kooperieren (z.B. Ashton & Lee, 2007). 2. Persönlichkeitseigenschaft sind Merkmale, anhand derer sich Individuen voneinander unter- scheiden. Um beim Beispiel zu bleiben: Manche Zeitgenossen sind verträglicher als andere. 3. In der Regel unterscheiden sich Individuen nicht darin, ob sie eine bestimmte Eigenschaft be- sitzen oder nicht, sondern im jeweiligen Ausprägungsgrad der Eigenschaft. Einflussreiche Per- sönlichkeitsmodelle wie das Big-Five Modell (z.B. Costa & McCrae, 1992) oder das HEXACO- Modell (z.B. Ashton & Lee, 2007) gehen davon aus, dass „Verträglichkeit“ eine universelle Persönlichkeitsdimension ist, anhand der sich Menschen im Allgemeinen beschreiben lassen. Worin sich Menschen unterscheiden ist also nicht, ob sie die Eigenschaft Verträglichkeit besit- zen oder nicht, sondern wie stark diese Eigenschaft ausgeprägt ist. 4. Um von einer Persönlichkeitseigenschaft zu sprechen, muss dieses Merkmal über einen län- geren Zeitraum hinweg bestehen bzw. beobachtbar sein. Um davon zu sprechen, dass ein Individuum eine hohe Ausprägung der Eigenschaft Verträglichkeit aufweist, muss eine zeitli- che Stabilität dieser Eigenschaftsausprägung beobachtbar sein. Das Kriterium der zeitlichen Stabilität unterscheidet Persönlichkeitseigenschaften von den zeit- lich fluktuierenden Befindlichkeiten einer Person (sog. „States“). Einführung 17 5. Persönlichkeitseigenschaften beschreiben Regelmäßigkeiten des Verhaltens, Denkens und Fühlens, und dies nicht nur über die Zeit hinweg, sondern auch über unterschiedliche Situatio- nen hinweg. Personen mit hohen Ausprägungen in Verträglichkeit sollten sich also in unter- schiedlichen Situationen als tolerante, kompromissbereite und kooperative Individuen erwei- sen. Die persönlichkeitspsychologische und differentialpsychologische Forschung hat eine Vielzahl von psychologischen Eigenschaften identifiziert, anhand derer sich Menschen unterscheiden lassen. Diese auch als Dispositionen bezeichneten Eigenschaften können angeboren oder erworben sein. Sie können relativ breit konzeptualisiert sein, wie z.B. Persönlichkeitseigenschaften im Sinne des Big-Five Persönlichkeitsmodells (z.B. Costa & McCrae, 1992) oder sich auf ein sehr spezifisches Merkmal beziehen (z.B. Selbstwirksamkeitserwartungen im Fach Mathematik). Sozialpsycho- log*innen untersuchen, wie diese individuellen Eigenschaften das Erleben und Verhalten in sozi- alen Situationen beeinflussen, ob und wie soziale Situationen den Einfluss von Persönlichkeitsei- genschaften auf das Erleben und Verhalten in diesen Situationen beeinflussen und wie der Einfluss von sozialen Situation auf das Erleben und Verhalten durch Persönlichkeitseigenschaften beein- flusst wird. Persönlichkeitseigenschaften sind allerdings nur eine Klasse von Personenfaktoren, die im Rahmen sozialpsychologischer Forschung relevant sind. Eine weitere Klasse umfasst die Motive von Perso- nen. Motivation: Motivationale Ansätze beschreiben Personen danach, welche Ziele sie verfolgen und mit welcher Intensität sie dies tun. Im Rahmen motivationaler Forschung wird eine Reihe von Begriffen verwendet, die sich anhand der Dimensionen Spezifität und Bewusstheit voneinander abgrenzen lassen. Ziele (goals) sind spezifische und bewusst zugängliche Repräsentation erstrebenswerter bzw. positiv-valenter Ergebnisse, Ereignisse u.a. Der Begriff des Motivs (motive) bezieht sich hinge- gen auf breitere Klassen von Zielen, die in unterschiedlichen Lebensbereichen angestrebt wer- den. Bewusste (oder auch explizite) Motive lassen sich als die relativ überdauernde Handlungs- bereitschaft einer Person auffassen, bestimmte Handlungen zum Erreichen von Zielen auszuüben. Ein wiederkehrendes Thema in vielen sozialpsychologischen Forschungsarbeiten ist beispielweise der Einfluss basaler Motive wie das Streben nach Kontrolle, Zugehörigkeit oder positiver Selbstbewertung auf das Erleben und Verhalten (z.B. Smith & Mackie, 2000). Nicht alle Motive sind Menschen bewusst zugänglich. Implizite Motive sind solche, die unbe- wusst bleiben, durch bestimmte Anreize angeregt werden und spontanes Verhalten beein- flussen. Der Begriff der Werte (values) bezieht sich ebenfalls auf breite Klassen von allgemeinen und relativ abstrakten Zielen. Werte fungieren als bewusste Leitlinien für Menschen. Beispiele für solche orientierungsstiftenden Leitlinien sind Universalismus (Verständnis, Wertschätzung und Bewahrung des Wohlergehens aller Menschen und der Natur), Tradition (Akzeptanz von und 18 Einführung Verbundenheit mit den Bräuchen und Vorstellungen der eigenen Kultur) oder Sicherheit (Ge- fahrlosigkeit in und Stabilität von sozialen Verhältnissen, sozialen Beziehungen und des eige- nen Lebens) (z.B. Schwartz, 2012). Der Begriff Bedürfnis (need) bezieht sich wie Motiv und Wert ebenfalls auf relative breite Klas- sen von Zielen. Im Unterschied zum Motiv oder Wertebegriff wird mit dem Begriff des Bedürf- nisses allerdings die Annahme verbunden, dass Bedürfnisse erst durch einen relativen Mangel ausgelöst werden. Bedürfnisse werden also dann erlebens- und verhaltensrelevant, wenn sie verletzt oder unbefriedigt sind. Der Begriff des Bedürfnisses findet sich überwiegend in frühen sozialpsychologischen Forschungsarbeiten zu den Beweggründen von Handlungen. In der neueren Literatur wurde der Bedürfnisbegriff meist durch den allgemeineren Motivbegriff ab- gelöst. Teilweise werden beide Begriffe auch synonym verwendet. Persönlichkeitseigenschaften, Ziele, Motive, Werte und Bedürfnisse sind Personenfaktoren, die für die Beschreibung, die Vorhersage und die Erklärung des Verhaltens von Menschen in sozialen Situationen relevant sind. Menschen haben aber auch bestimmte Erwartungen, wenn sie in eine soziale Situation kommen, sie empfinden bestimmte Emotionen oder sie sind in einer bestimmten Stimmung. Eine Vielzahl von sozialpsychologischen Forschungsarbeiten versucht daher aufzude- cken, wie Kognitionen (d.h. unbewusste oder bewusste mentale Prozesse), Emotionen oder Stim- mungen das Erleben und Verhalten in sozialen Situationen beeinflussen. Situationsfaktoren Trotz des nachhaltigen Interesses der sozialpsychologischen Forschung am Einfluss von Situatio- nen gibt es keinen allgemein akzeptierten theoretischen Rahmen (oder gar eine Taxonomie), um zu identifizieren, zu klassifizieren und zu definieren, was eine sozialpsychologisch relevante Situ- ation ist (Reis & Holmes, 2012). Wie verschiedene Forscherpersönlichkeiten kommentiert haben, steht diese Forschungslücke in einem offenkundigen Gegensatz zur Fülle der Forschung zu perso- nenseitigen Einflussfaktoren auf das Verhalten – man denke beispielsweise an die zahlreichen taxonomischen Ansätze zur Beschreibung der Persönlichkeit (z.B. Cervone & Pervin, 2013). Lewin (1935) verwendete eine „weite“ Definition des Situationsbegriffs, dem zufolge eine Situa- tion durch alle Merkmale der Umwelt eines Individuums definiert wird, die einen kausalen Einfluss auf sein Verhalten ausüben. Ein Vorteil einer derartigen, weiten Definition ist, dass sie den Ge- genstandsbereich der Sozialpsychologie sehr weiträumig absteckt. Ein Nachteil ist allerdings, dass sie aufgrund ihrer Unbestimmtheit wenig konkrete Anhaltspunkte dafür liefert, ein generelles Mo- del des Einflusses der Situation auf menschliches Erleben und Verhalten zu entwickeln. Im Folgen- den werden wir daher auf einige grundsätzliche Unterscheidungen eingehen, die innerhalb der sozialpsychologischen Forschung zum Einfluss von Situationen als besonders relevant erachtet werden: (1) Objektive versus wahrgenommene Merkmale einer Situation: Eine erste zentrale Un- terscheidung wurde bereits oben eingeführt. Sie differenziert zwischen den objektiven Merk- malen einer Situation und den wahrgenommenen subjektiv-interpretierten Merkmalen einer Situation (Murray, 1938). Sozialpsycholog*innen haben traditionellerweise ein stärkeres Au- Einführung 19 genmerk auf Letztere (d.h. die subjektive Phänomenologie der Situation) gelegt und das Prin- zip der psychologischen Konstruktion einer Situation bzw. deren subjektive Bedeutung als axi- omatisch angesehen (Bem & Allen, 1974; Ross & Nisbett, 1991). Es gibt allerdings auch theo- retische Ansätze, die sich stärker auf die objektiven Merkmale von Situationen konzentrieren, um menschliches Verhalten zu prognostizieren und zu erklären. Die Interdependenztheorie (Kelly & Thibaut, 1978) geht beispielsweise davon aus, dass sich die meisten sozialen Situatio- nen anhand von objektiven Parametern der wechselseitigen Abhängigkeit von zwei Personen beschreiben lassen (z.B. das Ausmaß, in dem positive oder negative Ergebnisse einer Interak- tionsperson von Handlungen der anderen Interaktionsperson abhängen, die Dauer der Inter- aktion). (2) Konkrete versus abstrakte Merkmale von Situationen: Um die Rolle von Situationen zu verstehen, kann man einerseits den Einfluss von konkreten Merkmalen einer spezifischen Si- tuation auf das Erleben und Verhalten von Menschen untersuchen (z.B. die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von aggressiven Verhaltensweisen in Abhängigkeit von spezifischen beleidi- genden Äußerungen einer Person). Dieses Vorgehen erlaubt dann möglicherweise eine sehr zuverlässige Vorhersage des Verhaltens in Situationen, in denen die spezifische Äußerung auf- tritt. Allerdings besteht ein Hauptziel der sozialpsychologischen Forschung darin, verallgemei- nerbare Aussagen über menschliches Erleben und Verhalten zu entwickeln, die über die Be- sonderheiten einer spezifischen Situation hinausgehen. Interessiert man sich also allgemein für situative Ursachen von aggressivem Verhalten, ist es hilfreich von konkreten Situationen zu abstrahieren und potentiell aggressionsverursachende Situationsmerkmale (z.B. unter- schiedliche Formen der Beleidigungen) aufgrund konzeptueller Gemeinsamkeiten in abstrak- tere Klassen zusammenzufassen (z.B. als „Provokationen“). Diese abstraktere Kategorisierung erlaubt dann, verallgemeinerbare Aussagen, die für eine Vielzahl von konkreten Situationen Gültigkeit haben (z.B. „In Situationen, in denen eine Person provoziert wird, steigt die Wahr- scheinlichkeit einer aggressiven Reaktion.“). (3) Starke versus schwache Situationen: Eine in der Forschung weitverbreitete Annahme ist, dass situationale Faktoren Verhalten in dem Maße beeinflussen, in dem es sich um „starke“ Situationen handelt (z.B. Mischel, 1977). Mischel zufolge lassen sich vier Kriterien heranzie- hen, um die Stärke einer Situation zu beurteilen. Dies sind (a) ob die Situation in ähnlicher Weise von den meisten anderen Personen wahrgenommen wird, (b) ob die Situation sozial geteilte Erwartungen bezüglich angemessener Verhaltensweisen hervorruft, (c) ob die Situa- tion angemessene positive Anreize für das angemessene Verhalten bereitstellt (bzw. negative Sanktionierungen für unangemessenes Verhalten), und (d) ob die Personen über die relevan- ten Fähigkeiten verfügen, um das Verhalten auszuführen. Ein Alltagsbeispiel für eine starke Situa-tion ist eine Beerdigung: Die Situation wird von den meisten Anwesenden als traurig, belastend u. ä. erlebt; es bestehen starke Erwartungen bzgl. angemessener Verhaltensweisen (Kleidung, Lautstärke beim Sprechen, Inhalte der Kommunikation); unangemessene Verhal- tensweisen werden verbal oder nonverbal sanktioniert; die Anwesenden sind in der Lage die angemessenen Verhaltensweisen ausführen. Schwache Situationen zeichnen sich dagegen dadurch aus, dass sie relativ unstrukturiert sind, weniger Anreize für Verhalten bieten, und vergleichsweise wenig eindeutige Hinweise vorliegen, wie man sich in der Situation verhalten 20 Einführung sollte (z.B. Picknick im Park). Persönlichkeitsvariablen sollten daher in schwachen Situationen einen größeren Einfluss auf das Verhalten haben, als in starken Situationen. Anhand des Konzepts der starken Situationen lässt sich gut verdeutlichen, dass der Einfluss von Situationen auf das Verhalten häufig unterschätzt wird. Tatsächlich nehmen Menschen eine Viel- zahl von Situationen im Alltag als relativ ähnlich wahr und verhalten sich allgemein entsprechend sozial geteilter Erwartungen (z.B. in der Schule, am Arbeitsplatz, im Straßenverkehr, beim Einkau- fen, im Restaurant). Das Wissen darüber, was das angemessene Verhalten in diesen Situationen ist und wie es ausgeführt wird, wird über Sozialisationsprozesse innerhalb von Gesellschaften, Organisationen oder Gruppen erlernt und verinnerlicht. Situationen beeinflussen das Verhalten daher oft, ohne dass es Menschen bewusst ist, und ihr Einfluss wird von ihnen gerade im Vergleich zum Einfluss von Persönlichkeitsfaktoren häufig unterschätzt. Man spricht daher in diesem Zu- sammenhang auch von der Macht der Situation (Ross & Nisbett, 1991). Wie wir im Verlauf dieser Einführung in die Sozialpsychologie sehen werden, hat die sozialpsycho- logische Forschung eine Reihe von eindrucksvollen experimentellen Demonstrationen dieser Macht der Situation hervorgebracht: Sherifs Konformitätsexperimente (Sherif, 1936); Milgrams Studien zu Autorität und Gehorsam (Milgram, 1974); Latané und Darleys (1970) Studien zum Bystander-Effekt, um nur einige der prominentesten zu nennen. Jede dieser Studien zeigt, dass die soziale Situation zu eindrucksvollen Verhaltensänderungen führt. 1.1.3 Forschungsbereiche Die Phänomene, mit denen sich die sozialpsychologische Forschung befasst, lassen sich zwei brei- ten Forschungsbereichen zuordnen: Personale und 1. intra- und interpersonale Prozesse und interpersonale Prozesse 2. intra- und intergruppale Prozesse. Ein traditioneller Schwerpunkt der Forschungsarbeiten zu intrapersonalen Prozessen liegt auf der Erforschung von Einstellungen (Welche Funktionen haben Einstellungen und wie beeinflussen sie das Verhalten?). Schwerpunkte der Forschung zu interpersonalen Prozessen sind u.a. die soziale Beziehungsforschung (Wie entwickelt sich Freundschaft zwischen Individuen?), die Forschung zu prosozialem Verhalten (Unter welchen Bedingungen helfen Menschen einander?) oder zu aggres- sivem Verhalten (Wann und warum fügen Menschen anderen Menschen absichtlich Schaden zu oder verletzen einander?). Diese Themen werden in den Kapiteln zwei bis neun des vorliegenden Kurses behandelt. Gruppenprozesse Ein traditioneller Schwerpunkt der Forschung zu intragruppalen Prozessen be- schäftigt sich mit der Kooperation in Gruppen und der Gruppenleistung. Ein anderer Schwerpunkt der Forschung zu Intergruppenprozessen liegt auf der Eruierung der Ursa- chen von Intergruppendiskriminierung und der Entwicklung von Interventionsmaßnahmen. Wäh- rend sich die Forschung zu Intergruppenprozessen in der Vergangenheit traditionell insbesondere mit problematischen Aspekten des Verhaltens zwischen Gruppen beschäftigt hat (Vorurteile, Kon- Einführung 21 flikte, Diskriminierung), ist in den vergangenen Jahren ein zunehmendes Interesse an der Unter- suchung positiven Verhaltens zwischen Gruppen zu verzeichnen (Hilfeverhalten zwischen Grup- pen, intergruppale Solidarität). Diese Themen werden im Kurs „Einführung in die Sozialpsy- chologie II“ behandelt. 1.1.4 Interdisziplinäre Verbindungen Welche Verbindungen bestehen zwischen der Sozialpsychologie und anderen Makroebene Sozial- und Verhaltenswissenschaften? Zur Beantwortung dieser Frage bietet sich die Unterscheidung verschiedener Ebenen sozial- und verhaltenswissenschaftlicher Analysen an (s. Pettigrew, 1996, S. 114f.). Analysen auf der Makroebene widmen sich typischerweise den soziostrukturellen, ökonomischen oder politischen Prozessen, die Phänomene des gesellschaft- lichen Zusammenlebens kennzeichnen und bedingen. Makroebenenanalysen fallen damit in den Bereich der Politikwissenschaft, der Wirtschaftswissenschaft, der Soziologie u.a. Analysen auf der Mikroebene konzentrieren sich im Gegensatz dazu auf psy- Mikroebene chologische oder biologische Prozesse – Analyseeinheit ist hier das Individuum oder kleinere biologische Einheiten (z.B. das Gehirn). Die Allgemeine und die Kognitionspsycho- logie, die Persönlichkeitspsychologie, die Humanbiologie und die Neurowissenschaften, um nur einige Disziplinen zu nennen, konzentrieren sich nahezu vollständig auf diese Ebene. Sozialpsy- cholog*innen untersuchen zwar ebenfalls intrapsychische Phänomene, die eigentliche Domäne der Sozialpsychologie ist aber die Mesoebene – dort wo Psychisches und Soziales aufeinandertref- fen. Analysen auf der Mesoebene konzentrieren sich auf soziale Prozesse – Interak- Mesoebene tionen zwischen Individuen, innerhalb von Gruppen oder zwischen Gruppen. Wissenschaftliche „Nachbarn“ der Sozialpsychologie auf dieser Ebene sind u.a. die (Mikro-)Sozio- logie, die Kommunikationswissenschaft und die Ethnologie. Die sozialpsychologische Forschung und Theoriebildung wurde und wird durch den „Import“ von theoretischen und empirischen Erkenntnissen aus Nachbardisziplinen auf unterschiedlichen Ebe- nen beeinflusst (die Aggressionsforschung z.B. durch Erkenntnisse aus der Humanbiologie; die sozialpsychologische Intergruppenforschung z.B. durch soziologische Theorien). Sozialpsycho- logische Erkenntnisse werden wiederum in andere Disziplinen „exportiert“ (die Soziologie, die Politikwissenschaft, die Kommunikationswissenschaft u.a.). Die Erklärung komplexer sozialer Phänomene – Rassismus, soziale Unruhen, sozialer Wandel u. ä. – erfordert die Verbindung von Analysen auf Makro-, Meso- und Mikroebene. Das beson- dere Potential der Sozialpsychologie besteht in diesem Zusammenhang darin, Erklärungen dafür zu liefern, wie und in welcher Weise sich Makroprozesse (objektive Strukturen) auf Mikroprozesse (subjektives Erleben) auswirken und umgekehrt (s. Simon, 2004, 157f.). Die sozialpsychologische Analyse stellt eine wichtige Verbindung zwischen Analysen auf der Mikro- und der Makroebene her. 22 Einführung Lassen Sie uns dies an einem Beispiel erläutern: Ob und wann ökonomische, strukturelle oder politische Faktoren der Makroebene (z.B. soziale und ökonomische Ungleichheiten zwischen Gruppen) zu sozialen Unruhen führen, hängt davon ab, wie Angehörige der unterprivilegierten Gruppe auf diese Situation psychologisch reagieren (z.B. Frustration vs. Resignation). Allerdings reagieren Menschen i.d.R. nicht direkt auf diese objektiven Bedingungen, sondern auf die soziale Repräsentation dieser Bedingungen innerhalb ihrer Gruppe und der weiteren Gesellschaft (Wird ökonomische Ungleichheit innerhalb der Gruppe als soziale Ungerechtigkeit oder als gerechtes Ergebnis unterschiedlicher Leistungsfähigkeit von Gruppen interpretiert?). Der Einfluss makro- struktureller Faktoren auf das Individuum wird also durch sozialpsychologische Prozesse auf der Mesoebene vermittelt (Stichwort: soziale Einflussprozesse und soziale Repräsentationen), was ent- sprechender Analysen bedarf. Sozialpsychologische Analysen sind andererseits auch notwendig, um zu verstehen, wie und wann sich Individuen mit anderen zusammenschließen, um durch ko- ordiniertes kollektives Handeln (Stichwort: Kooperation) eine Veränderung der Strukturen auf der Makroebene zu bewirken (Einfluss des Individuums auf die Makroebene, s. Abb. 1.1). Ökonomische, strukturelle und politische Prozesse Makro- ebene (z.B. ökonomische Ungleichheiten zwischen Gruppen) (z.B. sozialer Wandel) Soziale Prozesse Meso- ebene (z.B. soziale (z.B. kollektives Repräsentation Sozialpsychologische Handeln) als Benachteiligung) Analyse (z.B. individuelle Mikro- Empfindung von (z.B. individuelle Entscheidungen) ebene Ungerechtigkeit) Psychologische Prozesse Abbildung 1.1: Soziale Prozesse vermitteln die Effekte zwischen Makro- und Mikroebene. Schwerpunkt der sozialpsychologischen Analyse ist die soziale Prozessebene. 1.1.5 Evolutions- und kulturpsychologische Perspektiven Charles Darwin, der Gründervater der Evolutionstheorie, zog aus seiner klassischen Abhandlung „Vom Ursprung der Arten“ die Schlussfolgerung: „In ferner Zukunft sehe ich viel Raum für weit wichtigere Forschung. Die Psychologie wird eine neue Grundlage erhalten […].” (Darwin, 1859, S. 424, eigene Übersetzung). Evolutionspsychologische Erklärungen sozialpsychologischer Phäno- mene gehen von der Annahme aus, dass menschliche Interaktionen durch mentale und emotio- nale Prozesse beeinflusst werden, die wiederum im Rahmen der Entwicklung des Menschen durch den Prozess der natürlichen Selektion herausgebildet wurden. Einführung 23 Der Begriff „natürliche Selektion“ bezieht sich auf die Wahrscheinlichkeit, mit Natürliche Selektion der Individuen ihre Erbanlagen an die Folgegeneration weitergeben. Wenn In- dividuen einer Population in einem oder mehreren überlebensrelevanten Merkmalen variieren (was häufig der Fall ist), bewirken Selektionsfaktoren (z.B. lebensfeindliche Einflüsse der unbeleb- ten oder der sozialen Umwelt), dass die Individuen, die das relevante Merkmal ausgeprägt (oder stärker ausgeprägt) haben, einen höheren Reproduktionserfolg erzielen (z.B., weil sie widerstands- fähiger gegenüber Umwelteinflüssen sind oder weil sie Feinden besser entkommen können). In- dividuen mit höherem Fortpflanzungserfolg besitzen eine höhere Fitness. Die Erbanlagen der „fit- teren“ Individuen sind dann in der Folgegeneration mit einem größeren Anteil vertreten als in der Parentalgeneration. Evolutionspsycholog*innen postulieren, dass sich unterschiedliche soziale Ver- Universalien haltensweisen – aggressives Verhalten, Fürsorgeverhalten, das Verhalten inner- halb und zwischen Gruppen – besser verstehen lässt, wenn man diese Verhaltensweisen in einen größeren Kontext einbettet und sich die Frage stellt, welchen adaptiven Wert („Überlebensvor- teil“) diese Verhaltensweisen früher und aktuell für Menschen und die menschliche Spezies haben. Eine Herangehensweise, die mit dieser Sichtweise zusammenfällt, ist die Suche nach menschlichen Universalien. Tatsächlich gibt es eine Vielzahl an menschlichen Verhaltensweisen, Gesten, Prakti- ken, Rollen und Institutionen, die sich in ähnlicher Form in nahezu allen menschlichen Kulturen finden lassen (Schaller, Simpson & Kenrick, 2006). In der Materialsammlung zu diesem Kurs finden Sie eine Liste von möglichen Universalien aufgeführt, die einer Publikation des Ethnologen Chris- toph Antweiler entnommen sind (Antweiler, 2009). Zwei Aspekte dieser Universalienlisten erscheinen besonders augenfällig. Erstens teilen Menschen einer Reihe dieser Charakteristika mit anderen Lebewesen, insbesondere mit den ihnen genetisch am nächsten stehenden Primaten. Dazu gehören beispielsweise Verhaltensweisen wie der mimi- sche Ausdruck von primären Emotionen (z.B. Furcht, Ärger, Ekel, Überraschung), das Leben in Gruppen sowie die Ausbildung von Statushierarchien, das Teilen von Essen, die Fürsorge für den Nachwuchs oder die größere Aggressivität seitens männlicher Artgenossen. Andererseits fällt auch auf, dass der Teil der Universalien, die Menschen mit anderen Arten teilen, relativ gering ist. Der Großteil der in der Tabelle repräsentierten Verhaltensweisen, Praktiken und Gesten lassen sich als distinkte evolutionäre Adaptation für ein intelligentes, in Gruppen lebendes, hoch kommunikati- ves und soziales Lebewesen kennzeichnen, das sich an nahezu jede ökologische Umwelt des Pla- neten Erde anpassen kann. Evolutionspsychologische Ansätze postulieren, dass viele der oben beschriebenen Verhaltenswei- sen in menschlichen Populationen weltweit zu beobachten sind, weil sie im Zuge der menschli- chen Evolution biologisch angelegt sind. Die Annahme einer biologischen Veranlagung zu be- stimmten sozialen Verhaltensweisen kann dem Eindruck Vorschub leisten, menschliches Verhalten sei biologisch determiniert oder es gäbe ein biologisch natürliches und damit auch moralisch als gut zu bewertendes Verhalten. Dieser Eindruck – so wie die Dinge sind, sollen sie auch sein – wird auch als „naturalistischer Trugschluss“ bezeichnet. Menschen tragen Dispositionen für die unter- schiedlichsten Verhaltensweisen in sich. Eine der einflussreichsten Dispositionen ist vermutlich die zur bewussten Selbstregulation. Diese Disposition ermöglicht es ihnen, ihre Verhaltenstendenzen 24 Einführung zu modulieren, kontrollieren und anzupassen. Tatsächlich lässt sich der gesamte Prozess der Zivi- lisation als ein nie zu Ende gehender Prozess beschreiben, der der Modulation, Regulierung und Kontrolle biologisch verankerter Verhaltenstendenzen im Spannungsfeld zwischen Individuum, Gruppe und Gesellschaft dient (z.B. Elias, 1939). Individualismus - Die Anpassungsfähigkeit des Menschen an unterschiedliche Umweltbeding- Kollektivismus ungen hat über die Jahrtausende menschlicher Zivilisation eine Vielzahl von Un- terschieden zwischen menschlichen Kulturen hervorgebracht. Im Einführungsmodul zum B.Sc.- Psychologie haben Sie bereits zentrale Bestimmungsstücke einer Definition von Kultur kennenge- lernt: Kultur repräsentiert „socially transmitted beliefs, values, and practices … [and] shared ideas and habits“ (Latané, 1996, S. 13). Sie haben ferner auch eine der in der gegenwärtigen kulturver- gleichenden psychologischen Forschung am häufigsten untersuchten Dimensionen zur Unter- scheidung von Kulturen kennengelernt: Die Unterscheidung zwischen Individualismus und Kollek- tivismus (zu einer Übersicht über die theoretischen und methodischen Annahmen und einer Meta- Analyse des Forschungsstands siehe Oyserman et al., 2002). Forschungsarbeiten zeigen, dass kul- turelle Orientierungen im Sinne von Individualismus und Kollektivismus eine Vielzahl von nach- weisbaren Implikationen für basale psychologische Funktionsweisen haben. Dazu gehört, dass Angehörige individualistischer Kulturen ihre eigene Identität stärker im Sinne ihrer Einzigartigkeit und Unabhängigkeit wahrnehmen, während Angehörige kollektivistischer Kulturen ihre Identität stärker in Bezug auf ihre sozialen Rollen und Beziehungen definieren. Gleichsam unterscheiden sich Angehörige individualistischer und kollektivistischer Kulturen tendenziell auch im Hinblick auf ihren Attributionsstil (d.h. die Art und Weise, wie sie eigenes Verhalten und das Verhalten anderer Personen intuitiv erklären). So ziehen Angehörige individualistischer Kulturen eher personale Fak- toren als Ursachen für Verhaltenserklärungen heran (z.B. Persönlichkeitseigenschaften der han- delnden Person), während Angehörige kollektiver Kulturen die Ursachen von beobachtetem Ver- halten eher auf situative oder Kontextfaktoren zurückführen. Einige Studien weisen auch darauf hin, dass sich Angehörige individualistischer Kulturen eher durch Argumente beeinflussen lassen, die an Eigenverantwortung oder persönliche Freiheiten appellieren, während Angehörige kollek- tivistischer Kulturen eher durch Appelle an soziale Verantwortung und soziale Verpflichtung be- einflusst werden – um nur einige Beispiele zu nennen. Im Verlaufe dieser Einführung werden wir diese Forschungsarbeiten näher vorstellen. Henrich, Heine und Norenzayan (2010) haben in einem viel rezipierten Artikel die Notwendigkeit unterstrichen, kulturellen Faktoren bei der Erforschung menschlichen Verhaltens mehr Beachtung zu schenken. In ihrem Artikel wiesen sie nach, dass über 80 Prozent der Teilnehmenden in sozial- oder verhaltenswissenschaftlichen Studien Menschen aus westlichen, gebildet, industrialisierten, reichen und demokratischen Ländern sind, obwohl diese Menschen lediglich 12 Prozent der Welt- bevölkerung repräsentieren und daher auf vielen Verhaltensmaßen Ausreißer darstellen (eine Be- obachtung, für die die Autoren das Akronym „weird“ in Anspielung an das englische Wort für „seltsam“ verwenden). Welche Konsequenzen sich aus dieser überproportionalen Rekrutierung von WEIRD-Stichproben für die Generalisierbarkeit psychologischer Forschung ergeben, ist theo- retisch umstritten. Empirisch wird sich diese Frage allerdings nur klären lassen, wenn mehr Men- schen aus anderen Kulturkreisen und Ländern in psychologische Forschung einbezogen werden. Einführung 25 1.2 Methoden der Sozialpsychologie Menschen beschäftigen sich einen Großteil ihres Lebens mit ganz ähnlichen Dingen wie wissen- schaftlich arbeitende Sozialpsycholog*innen: Sie versuchen Gesetzmäßigkeiten im Verhalten von Menschen aufzudecken und bemühen sich, soziales Verhalten vorherzusagen und zu erklären. In diesem Sinne verhalten sich Menschen wie „naive“ (Sozial)Psycholog*innen (Heider, 1958). Ein wichtiger Unterschied zwischen den naiven und den wissenschaftlichen Sozialpsycholog*innen besteht in den Ansprüchen, welche sie an die Theorien und Hypothesen stellen, die sie über die soziale Welt generieren – anders als Laien-Theorien müssen wissenschaftliche Theorien bestimm- ten Gütekriterien entsprechen und intersubjektiv nachvollziehbar sein. Ein zweiter wichtiger Un- terschied besteht in der Art und Weise, wie Laien und Wissenschaftler*innen ihre Hypothesen prüfen (Stichwort: Forschungsmethoden). Prinzipiell unterscheiden sich die Methoden der Sozial- psychologie nicht von den Forschungsmethoden der Psychologie. In den folgenden Abschnitten werden daher nur die für die vorliegende Einführung in die Sozialpsychologie besonders relevan- ten Methoden und Begriffe erläutert. 1.2.1 Wissenschaftstheoretische Grundbegriffe Allgemein formuliert besteht eine wissenschaftliche Theorie aus Begriffen und Hypothetische Hypothesen. Definitionen klären die Begriffe, die in einer Theorie verwendet Konstrukte werden. Durch eine möglichst präzise Definition der Begriffe sollen v.a. Missverständnisse und Mehrdeutigkeiten ausgeräumt werden. Dies ist besonders in der (Sozial)Psychologie von großer Bedeutung, da zahlreiche Phänomene, auf die sich sozialpsychologische Theorien und Begriffe beziehen, selbst nicht unmittelbar physikalisch mess- oder beobachtbar sind (z.B. Einstellungen). Ihre Existenz und Ausprägung kann nur über Indikatoren erschlossen werden. Man bezeichnet deswegen diese Begriffe auch als hypothetische Konstrukte. Hypothetische Konstrukte: Abstrakte theoretische Begriffe, die sich nicht direkt beobachten lassen, sondern nur mit Hilfe von Indikatoren beobachtet oder erschlossen werden können. Der Begriff Variable bezieht sich auf die messbaren Indikatoren eines hypothetischen Konstrukts. Um z.B. zu erfassen, welche Einstellung eine Person gegenüber einer Gruppe hat, könnte man die Person beispielsweise fragen, wie sie die Gruppe bewertet; man könnte ihr Verhalten gegenüber Mitgliedern der Gruppe beobachten oder man könnte erfassen, welche physiologischen oder neu- ropsychologischen Reaktionen sie zeigt, wenn man ihr Bilder von Mitgliedern der Gruppe zeigt. Im Allgemeinen gibt es vielfältige Verfahren, ein hypothetisches Konstrukt messbar zu machen, in der Regel hat jedes Verfahren gewisse Vor- und Nachteile (Selbstberichte können verfälscht sein; ein beobachtetes Verhalten kann unterschiedliche Gründe haben etc.). Die Güte der Operationa- lisierung ist für die Qualität einer empirischen Untersuchung bzw. die Gültigkeit der Schlussfolge- rungen, die auf Grund der Datenerhebung vorgenommen werden können, von hoher Bedeutung. Unter Operationalisierung wird die Art und Weise verstanden, wie ein hypothe- Operationalisierung tisches Konstrukt in eine beobachtbare Variable überführt wird. Sie hat Auswir- kungen auf die Validität (Gültigkeit) der wissenschaftlichen Schlussfolgerungen. 26 Einführung Konstruktvalidität Der Begriff Konstruktvalidität bezieht sich darauf, inwieweit eine beobachtete Variable das zugrundeliegende theoretische Konstrukt angemessen repräsen- tiert. Die Hypothesen einer Theorie spezifizieren die Beziehung zwischen den hypothetischen Kon- strukten. Wenn-dann-Sätze Da ein Ziel sozialpsychologischer Theorien darin besteht, menschliches Erleben und Verhalten zu erklären und vorherzusagen, nehmen die Hypothesen (so- zial)psychologischer Theorien (im Sinne der Logik) häufig die Form von Wenn-Dann-Sätzen an (z.B. „Wenn Menschen sich stark mit ihrer Gruppe identifizieren, dann steigt ihre Bereitschaft, individuelle Interessen zugunsten von Gruppeninteressen zurückzustellen.“ – eine Hypothese, die sich aus der Selbstkategorisierungstheorie von Turner et al. (1987) ableiten lässt. Je allgemeiner die Formulierungen der Hypothesen sind, desto größer ist der Gültigkeitsbereich einer Theorie. Aus den allgemeinen Hypothesen einer Theorie lassen sich wiederum spezielle Hypothesen für einen bestimmten Kontext oder Verhaltensbereich ableiten, die dann im Rahmen empirischer Un- tersuchungen der Prüfung unterzogen werden („Je stärker sich Angehörige einer diskriminierten Minorität mit ihrer Gruppe identifizieren, desto eher sollten sie bereit sein, sich politisch für eine Verbesserung der Situation ihrer Gruppe zu engagieren, und zwar unabhängig davon, welche unmittelbaren persönlichen Kosten und Nutzen damit für sie verbunden sind“, zur Prüfung dieser „spezielleren“ Hypothese s. z.B. Stürmer und Simon, 2004). Theorien sind daher insofern nützlich, da ihre allgemeine Formulierung die Vorhersage und Erklärung von Phänomenen mit dem glei- chen begrifflichen Instrumentarium in einer Vielzahl von unterschiedlichen Kontexten erlaubt – ein Sachverhalt, der in dem Lewin zugeschriebenen Zitat „Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie“ pointiert zusammengefasst wird (Lewin, 1951, S. 169). Gütekriterien zur Die Güte wissenschaftlicher Theorien lässt sich anhand einer Reihe von inner- Beurteilung halb der Wissenschaftlergemeinschaft bzw. der Scientific Community geteilten wissenschaftlicher Theorien Kriterien beurteilen (z.B. Opp, 2005). Einige dieser Kriterien sind: Innere Widerspruchsfreiheit – man sollte nicht eine Aussage und deren Gegenteil (Vernei- nung) aus einer Theorie ableiten können. Äußere Widerspruchsfreiheit – eine Theorie sollte nicht im Widerspruch zu als gesichert gel- tenden Theorien stehen, ohne genau zu spezifizieren, wo bisherige Annahmen zu korrigieren sind. Eine Theorie ist umso besser, je präziser ihre Vorhersagen und Erklärungsleistungen sind. Eine Theorie ist umso besser, je mehr Phänomene sie erklären und vorhersagen kann. Eine Theorie ist umso besser, je sparsamer ihre Annahmen sind. Trotz dieser Kriterien ist es in manchen Fällen nicht möglich (oder erkenntnistheoretisch sinnvoll), sich für eine einzige Theorie zu entscheiden. Wie Sie im Verlauf dieser Einführung wiederholt feststellen werden, liegen in der Sozialpsychologie für die Erklärung bestimmter Phänomene (z.B. Intergruppenkonflikt) oft eine Reihe verschiedener Theorien (oder theoretischer Modelle) vor, von denen jede bestimmte einzelne Fakten (besser) erklären kann, die von anderen Theorien nicht (oder nur unzureichend) erklärt werden können. Die Entscheidung für eine einzige Theorie würde Einführung 27 daher zu einer unangemessenen Vernachlässigung der durch diese Theorie nicht ausreichend er- klärten Phänomene führen. 1.2.2 Forschungsmethoden Im Alltag prüfen Menschen ihre Annahmen über die soziale Welt i.d.R. durch subjektive Beobach- tung – dieses Vorgehen kann allerdings bestimmten Verzerrungen unterliegen. Ein gut dokumen- tierter sozialpsychologischer Befund ist z.B., dass Menschen oft dazu tendieren, einseitig nach Informationen zu suchen, die ihre Annahmen bestätigen, während sie Informationen, die ihre Annahmen widerlegen könnten, vernachlässigen – ein Prozess, der als selektive (oder auch kon- firmatorische) Informationssuche bezeichnet wird (s. Kap.4). Im Unterschied dazu bedienen sich wissenschaftliche Sozialpsycholog*innen systematischer Me- thoden der Datenerhebung und Hypothesenprüfung. Dazu gehören die systematische Beobach- tung, (neuro-)psychologische oder physiologische Messungen, Befragungen, Experimente, u.a. (zum Überblick siehe Reis und Judd, 2014). Sozialpsychologische Forschungsmethoden lassen sich generell anhand zweier Fragen klassifizieren: Frage 1: Findet die Datenerhebung im Feld oder im Labor statt? Bei der Feldforschung wer- den die Erlebens- und Verhaltensdaten in der Umgebung erhoben, in der sie natürlicherweise auftreten. Bei der Laborforschung findet die Datenerhebung unter hoch kontrollierten Bedingun- gen in speziell dafür ausgestatteten Räumlichkeiten statt. Ein Vorteil von Laborforschung im Ver- gleich zu Feldforschung besteht in der Kontrollierbarkeit und Standardisierung relevanter Einfluss- größen und Rahmenbedingungen. Manche Methoden sind im Feld auch schlicht nicht durchzuführen. Ein Beispiel für eine solche Methode ist die funktionelle Magnetresonanztomo- graphie, abgekürzt fMRT oder fMRI (functional magnetic resonance imaging). Das fMRT ist eine zentrale bildgebende Methode zur Erhebung neuropsychologischer Daten, die in der neuropsy- chologischen Forschung häufig dazu eingesetzt wird, um festzustellen, welche Hirnareale aktiviert sind, wenn Menschen bestimmte kognitive Operationen durchführen, bestimmte Emotionen empfinden oder sich bestimmte Ziele setzen. Aufgrund des benötigten fMRI-Scanners kann diese Methode ausschließlich im Labor durchgeführt werden. fMRI: Ein sog. bildgebendes Verfahren, um physiologische Funktionen im Inneren des Körpers mit den Methoden der Magnetresonanztomographie darzustellen. Ein Nachteil von Laborstudien ist, dass die im Labor isolierten Wirkmechanismen nicht ohne wei- teres auf spezifische Kontexte oder Population außerhalb des Labors übertragen (generalisiert) werden können (z.B., weil dort andere Einflussfaktoren dominieren). Zudem kann sich das unge- wohnte „Setting“ der Laborsituation auf das Erleben und Verhalten der Versuchspersonen aus- wirken und dadurch die Ergebnisse verfälschen. Die Prüfung sozialpsychologischer Theorien und ihrer Anwendbarkeit auf unterschiedliche Kontexte und Populationen stützt sich daher typischer- weise auf eine Kombination aus Feld- und Laborforschung. Die Feldforschung spielt auch eine wichtige Rolle für die Weiterentwicklung und Modifikation von Theorien, da durch sie im Labor eliminierte Einflussfaktoren oder die Gültigkeit einer Theorie begrenzende Bedingungen aufge- deckt werden können. 28 Einführung Methoden der Frage 2: Dient die Methode der Beschreibung, der Vorhersage oder der Beobachtung Erklärung sozialer Phänomene? Wenn das Ziel der Forschung in erster Linie in der Beschreibung sozialer Phänomene besteht, verwenden Sozialpsycholog*innen Methoden der Beobachtung – die sozialen Phänomene werden systematisch beobachtet und protokolliert. Ein Beispiel für eine solche Methode ist die Ethnographie, mittels derer die Forschenden versuchen, durch Beobachtung unter natürlichen Bedingungen ein Bild von Normen, Bräuchen und Sozial- strukturen u.ä. einer Gruppe oder Kultur zu bekommen. Sozialpsycholog*innen wollen in der Re- gel allerdings mehr, als soziale Phänomene beschreiben – sie wollen sie vorhersagen und erklären. Besteht das Ziel primär in der Vorhersage von Phänomenen, verwenden Forschende häufig die Korrelationsmethode – zwei oder mehrere Variablen werden systematisch gemessen, und es wird die Beziehung zwischen ihnen ermittelt (z.B. könnte man bei Kindern mittels Fragebogen ihren durchschnittlichen täglichen Konsum medialer Gewalt durch das Spielen von Ego-Shootern erfas- sen. Unabhängig davon könnte ihr Aggressionsverhalten von den Lehrkräften mittels eines Ag- gressionsfragebogens beurteilt werden. Anhand dieser beiden Messungen könnte dann über kor- relationsstatistische Verfahren geklärt werden, ob ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Konsum medialer Gewalt durch Computerspiele und Aggression besteht.). Die Ergebnisse von Korrelationsstudien lassen allerdings keine eindeutigen Kausalschlüsse zu. Wenn man beispiels- weise einen Zusammenhang zwischen einer Variablen X (z.B. Konsum von medialen Gewaltdar- stellungen) und Y (z.B. Aggression) ermittelt, steht dies zwar im Einklang mit der Annahme, die Variable X (der Konsum medialer Gewaltdarstellungen) sei die Ursache für Y (Aggression); prinzi- piell könnte allerdings auch ein umgekehrter kausaler Zusammenhang vorliegen (aggressive Kin- der konsumieren mehr mediale Gewaltdarstellungen). Außerdem könnte auch eine dritte Variable für den beobachteten Zusammenhang verantwortlich sein, indem sie die Ausprägung von X und Y beeinflusst (z.B. der Erziehungsstil der Eltern). Experimentelle Besteht das Ziel der Forschung in der Erklärung, verwenden Sozialpsycholog*in- Methoden nen daher experimentelle Methoden – der Vorteil dieser Methoden ist, dass Annahmen über kausale Beziehungen zwischen Variablen (das zentrale Element einer Erklärung) mit wesentlich größerer Sicherheit überprüft werden können als durch Beobachtungs- oder Kor- relationsmethoden. In der sozialpsychologischen Forschung spielen Experimente, insbesondere La- borexperimente daher eine herausragende Rolle (zu einer experimentellen Prüfung der Effekte des Konsums medialer Gewalt auf das Aggressionsverhalten des Zuschauers s. Kap. 9). Abhängige und Das (sozial)psychologische Experiment: Schlüsselmerkmale des Experiments unabhängige sind Manipulation und Kontrolle. Wenn X tatsächlich eine Ursache von Y ist, Variable dann sollten Veränderungen in X im Regelfall auch Veränderungen in Y zur Folge haben. Um dies zu prüfen, vollzieht der Forschende im einfachsten Fall eines Experiments zwei Schritte: (1) Er manipuliert (variiert) die Ausprägung der Variable, von der er annimmt, dass sie eine Ursache einer anderen Variablen ist (die sog. unabhängige Variable), und (2) er beobachtet (bzw. misst) die daraus resultierenden Veränderungen in der anderen Variable (der sog. abhängi- gen Variable). Kontrolltechniken dienen dazu, sicherzustellen, dass die beobachtete Kovariation von Ursache und Wirkung in einem Experiment allein auf die manipulierte Ursache (die unabhän- gige Variable) und nicht auf andere mit der manipulierten Ursache zufällig variierende Faktoren zurückzuführen ist (letzteres Phänomen wird als Konfundierung der unabhängigen Variable mit Einführung 29 einer Störvariable bezeichnet). Die Variable, für die eine ursächliche Wirkung angenommen wird, wird als unabhäng-ige Variable (UV), die Variable, deren Ausprägung als von der unabhängigen Variable abhängig angenommen wird, wird als abhängige Variable (AV) bezeichnet. Eine der wichtigsten experimentellen Kontrolltechniken ist die zufällige (rando- Randomisierung misierte) Zuteilung der Versuchspersonen auf die verschiedenen Bedingungen des Experiments, durch die unterschiedliche Ausprägungen der UV realisiert werden. Die Rando- misierung soll sicherstellen, dass alle potentiell relevanten Merkmale der Versuchspersonen vor der Manipulation in den verschiedenen Bedingungen des Experiments (zumindest im Durch- schnitt) gleich ausgeprägt sind; sie können infolgedessen nicht für beobachtete unterschiedliche Ausprägungen der AV zwischen den Experimentalbedingungen verantwortlich sein. Um ein „echtes“ Experiment handelt es sich nur, wenn neben der Möglichkeit Replizierbarkeit der Manipulation der UV auch die Möglichkeit der randomisierten Zuteilung der Versuchspersonen besteht. Der Begriff der Validität bezieht sich in der empirischen Forschung auf die Gül- Gütekriterien zur tigkeit der Schlussfolgerungen, die aus einer Untersuchung gezogen werden Beurteilung experimenteller können. Die Qualität experimenteller Forschung hängt in erster Linie von der Untersuchungen internen Validität ab, d.h. der Sicherheit, mit der man aus den Ergebnissen des Experiments auf Ursache-Wirkungsbeziehungen schließen kann. Die interne Validität eines Expe- riments ist hoch, wenn die beobachtete Veränderung der AV mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die experimentelle Manipulation der UV zurückzuführen ist. Die externe Validität bezieht sich darauf, inwieweit die Befunde (unter Berücksichtigung relevanter theoretischer Annahmen) auf andere Situationen oder Populationen übertragbar (generalisierbar) sind. Ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung der externen Validität eines Experiments ist die Repli- zierbarkeit, d.h. die Bestätigung der Befunde bei unabhängigen Wiederholungen mit Versuchs- personen aus anderen Populationen, in unterschiedlichen Kontexten oder unter Verwendung un- terschiedlicher Varianten der Manipulation. An sozialpsychologischen Laborexperimenten wird manchmal kritisiert, dass die Offensichtlicher vs. Versuchspersonen in „künstliche“ Situationen gebracht würden, denen sie so psychologischer Realismus im Alltag nicht begegnen würden. Daraus wird geschlussfolgert, die Ergebnisse seien nicht auf das „reale“ Leben übertragbar. Diese Kritik beruht jedoch auf einer falschen Prä- misse. Entscheidend für die Übertragbarkeit experimenteller Befunde auf andere Situationen ist nicht, dass die Experimentalsituation einer realen Situation maximal gleicht (offensichtlicher Rea- lismus). Entscheidend ist vielmehr, dass sie psychologischen Realismus besitzt – d.h., dass die in einem Experiment angestoßenen psychologischen Prozesse denjenigen, die unter entsprechenden Bedingungen im „realen Leben“ ablaufen, weitgehend ähneln (s. Aronson, Wilson, & Akert, 1994). Ist der psychologische Realismus hoch, können gerade Laborexperimente weitreichende generalisierbare Ergebnisse produzieren, da sie eine Prüfung der theoretischen Annahmen auf einem hochgradig allgemeinen (statt auf situationsspezifischen) Niveau ermöglichen. Ein Beispiel: Wie wir noch sehen werden, verwendet man in der laborexperimentellen Intergruppenforschung 30 Einführung nicht nur „natürliche“ Gruppen (z.B. Israelis vs. Palästinenser, wie in dem eingangs dargestellten Experiment von Nadler und Liviatan), sondern auch „künstliche“ Gruppen, die im Labor aufgrund eines trivialen Kriteriums ad hoc kreiert werden (z.B. Gruppe A und Gruppe B). Gelingt es, theo- retische Annahmen zu Intergruppenprozessen im Kontext solcher künstlichen Gruppen zu bestä- tigen, haben diese Ergebnisse (trotz geringen offensichtlichen Realismus’ – außerhalb des Labors existieren die Gruppen A und B ja nicht) entscheidende Implikationen für die Generalisierbarkeit: Sie demonstrieren nämlich, dass die Gültigkeit der theoretischen Annahmen nicht von Faktoren abhängt, die eine bestimmte „natürliche“ Intergruppenbeziehung kennzeichnen (z.B. spezifische historische Ereignisse, wie solche in der Geschichte zwischen Israelis und Palästinensern oder spe- zifische Vorurteile). Daher kann erwartet werden, dass die Annahmen auch in anderen Intergrup- penkontexten gültig sind – und dies zumindest so lange, bis weitere Forschung Einschränkungen der Generalisierbarkeit auf diese Kontexte zeigen. Tabelle 1.1: Klassifikationsbegriffe von Variablen in der experimentellen (Sozial)Psychologie. Art der Variable Definition Alternative Unabhängige Vari- Die Variable, für die eine ursächliche Wirkung Treatment, able (UV) angenommen wird; sie wird manipuliert Faktor Abhängige Variable Die Variable, von deren Ausprägung ange- Outcome (AV) nommen wird, dass sie von der UV abhängt; sie wird gemessen. Moderatorvariable Eine im Rahmen der theoretischen Annahmen Interagierende Vari- relevante Variable, die die Stärke des Kausalef- able fekts der UV auf die AV beeinflusst. Sie erklärt wann (unter welchen Bedingungen) ein be- stimmter Effekt der UV zu erwarten ist; sie wird in Experimenten daher häufig als eine zu- sätzliche UV manipuliert Mediatorvariable Eine im Rahmen der theoretischen Annahmen Vermittelnder Prozess relevante Variable, die den Kausaleffekt der UV auf die AV vermittelt. Sie erklärt, warum sich die UV auf die AV auswirkt; sie wird in Ex- perimenten daher häufig zusätzlich zur AV ge- messen, oder aber gezielt manipuliert Störvariable Variablen, die ebenfalls Einfluss auf die Aus- Confoundingvariable prägung der AV haben können. Dieser Einfluss ist nicht von theoretischem Interesse, er beein- trächtigt aber die Interpretation des Effekts der UV. Störvariablen müssen daher eliminiert oder kontrolliert werden. Offensichtlicher vs. psychologischer Realismus Einführung 31 1.2.3 Ethische Aspekte Die interne Validität sozialpsychologischer Experimente kann dadurch bedroht Demand werden, dass bestimmte Hinweisreize in der Untersuchungssituation, sog. de- characteristics mand characteristics, der Versuchsperson nahelegen, welche Verhaltensweisen oder Reaktionen von ihr erwartet werden. Die Ergebnisse werden dann verfälscht, da, anders als intendiert, nicht mehr die spontanen oder „natürlichen“ Reaktionen der Versuchsperson beobachtet werden kön- nen. Versuchspersonen können auch bemüht sein, während des Experiments in einem günstigen Licht zu erscheinen. Diese Tendenz zur sozialen Erwünschtheit kann die Ergebnisse insbesondere dann verfälschen, wenn negative Verhaltensweisen untersucht werden (z.B. aggressives Verhal- ten, soziale Diskriminierung). Eine in der sozialpsychologischen Forschung häufig verwendete Methode, um Ethik-Richtlinien die Einflüsse derartiger Prozesse zu reduzieren, besteht darin, dass die Versuchs- personen von der Versuchsleitung über einige Aspekte der Untersuchung getäuscht werden. Diese Täuschung kann vom einfachen Zurückhalten von Informationen über die wahren Ziele der Un- tersuchung bis zur absichtlichen Irreführung der Versuchspersonen reichen, bei der ihnen vorge- spiegelt wird, die Untersuchung verfolge ganz andere Ziele (es wird eine sog. „cover story“ ver- wendet). Die vorsätzliche Täuschung von Versuchspersonen lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht rechtfertigen – man kann ziemlich sicher sein, dass sich Versuchspersonen, die an sozialpsycholo- gischen Experimenten zu aggressivem Verhalten, Vorurteilen oder Diskriminierung teilnehmen, anders verhalten würden (weniger aggressiv, weniger vorurteilsbehaftet oder diskriminierend), würden sie vor ihrer Teilnahme über die jeweiligen Ziele der Untersuchung vollständig in Kenntnis gesetzt. Ohne diese Täuschungen wären wichtige theoretische Annahmen über die Ursachen, die sozial und gesellschaftlich hochrelevante Verhaltensweisen bedingen, dann nicht oder nur sehr eingeschränkt prüfbar. Nichtsdestotrotz bleibt die Täuschung von Versuchspersonen aus ethischer Sicht problematisch. In Reaktion auf Kontroversen über die ethischen Grenzen (sozial)psycholog- ischer Forschung haben wissenschaftlich-psychologische Fachgesellschaften und Verbände (in Deutschland z.B. die Deutsche Gesellschaft für Psychologie und der Berufsverband Deutscher Psy- chologinnen und Psychologen) Ethik-Richtlinien für die Forschung mit Menschen herausgegeben, die für wissenschaftlich arbeitende (Sozial)Psycholog*innen verbindlich sind. Zu diesen Richtlinien gehören u.a. die Freiwilligkeit der Versuchspersonen zur Teilnahme, die Verpflichtung, Versuchs- personen keinen psychisch oder physisch schädigenden Einflüssen oder Gefährdungen auszuset- zen sowie die Verpflichtung, Untersuchungen unverzüglich abzubrechen, wenn Versuchsperso- nen unerwartete Belastungsreaktionen zeigen. Im Hinblick auf die Täuschung von Versuchspersonen schreiben diese Richtlinien eine vollständige postexperimentelle Aufklärung vor. Zudem soll den Versuchspersonen die Möglichkeit gegeben werden, die an ihnen erhobenen Daten zurückzuziehen. Die aktuelle Version der berufsethischen Richtlinien finden Sie in der Ma- terialiensammlung zu diesem Modul. Postexperimentelle Aufklärung: Die Versuchspersonen werden nach dem Postexperimentelle Experiment vollständig über die Täuschung und das eigentliche Ziel der Unter- Aufklärung suchung aufgeklärt; die wissenschaftliche Notwendigkeit der Täuschung wird begründet. Im Ide- alfall vermittelt diese Aufklärung den Versuchspersonen ein Verständnis für die Relevanz der For- schungsergebnisse und den Beitrag, den sie dazu geleistet haben. 32 Einführung 1.2.4 Die sog. „Replikationskrise“ und Open Science In den vergangenen Jahren wurden innerhalb und außerhalb der Psychologie ausgiebige Debatten zur Vertrauenswürdigkeit psychologischer Daten geführt (z.B. Pashler & Wagenmakers, 2012). Kritische Diskussionen um die Validität und Reliabilität wissenschaftlicher Befunde sind weder neu, noch sind sie auf die Psychologie beschränkt (z.B. Alberts et al., 2014; Ioannidis, 2005). Allerdings hat eine Reihe von Forschungsartikeln, die die Replizierbarkeit von Forschungsergebnissen in der Psychologie (z.B. Open Science Collaboration, 2015), und insbesondere der Sozialpsychologie, in Frage stellt, die zunehmende Besorgnis innerhalb und außerhalb des Fachs hervorgerufen, dass Befunde, die bislang als robust und verlässlich angesehen wurden, in Wahrheit „falsch-positive“ Befunde sind (d.h. sie indizieren einen Effekt, obwohl kein Effekt vorliegt; z.B. Doyen et al., 2012; Garrison et al., 2016; Hagger et al., 2016; Pashler et al., 2012; Shanks et al., 2013; Wagenmakers et al., 2011). Diese Befunde haben wiederum zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen und zu wenig vorteilhaften Mediendarstellungen des Fachs geführt (z.B. Ferguson, 2015). Früher haben sich Spekulationen zu den Ursachen über nicht zu replizierende Befunde häufig auf individuelles Fehlverhalten von Forschenden konzentriert (siehe z.B. die Berichte zum Fall Diederik Stapel; Callaway, 2011). Im Unterschied dazu entfernt sich die heutige Diskussion immer mehr von Erklärungsansätzen auf der individuellen Ebene und nimmt die Ebene des Systems der akade- mischen Psychologie, insbesondere die Anreizsysteme, Normen und Forschungskultur in den Blick (z.B. Nosek, Spies & Motyl, 2012). Wie in anderen empirischen Fächern hängt die Reputation der Forschenden in der Sozialpsycho- logie maßgeblich von der Anzahl ihrer Publikationen in hochrangigen internationalen Fachzeit- schriften ab. Der damit verbundene Publikationsdruck und dessen negative Auswirkungen auf die wissenschaftliche Praxis sind Gegenstand kritischer Debatten zum Wissenschaftssystem (z.B. Al- berts et al., 2014; Ioannidis, 2005). Ein wichtiges Qualitätssicherungsinstrument in diesem Kontext ist das Peer-Review Verfahren (d.h. die Begutachtung von zur Veröffentlichung eingereichten Ma- nuskripten durch mehrere unabhängige Expert*innen des Fachgebiets). Dieses Verfahren hat viele Vorteile, allerdings erhöht es den Wettbewerb weiter. Wie stark dieser Wettbewerb ist, soll mit folgenden Zahlen verdeutlicht werden. Für die einflussreichste empirische sozialpsychologische Fachzeitschrift, das „Journal of Personality and Social Psychology“, ergibt sich beispielsweise für das Jahr 2013 bei insgesamt 988 Einreichungen eine Ablehnungsquote von 89% (d.h. nur 11% der einreichten Manuskripte wurden nach häufig mehrfacher Begutachtung und Überarbeitung letztendlich zur Publikation in dieser Fachzeitschrift angenommen). Trotz dieses scharfen Quali- tätssicherungsverfahrens ergaben unabhängige und von unterschiedlichen Forschungsgruppen durchgeführte systematische Replikationsstudien eine wenig zufriedenstellende Replikationsrate, für die in dieser Fachzeitschrift im Untersuchungszeitraum berichteten experimentellen Befunde (Open Science Collaboration, 2015). Ein strenges Peer-Review-Verfahren allein scheint also kein hinreichender Garant dafür zu sein, dass publizierte Ergebnisse auch replizierbar sind. Obwohl es anhaltende und kontroverse Debatten über die genauen Ursachen fehlgeschlagener Replikationen sozialpsychologischer Experimente gibt, besteht innerhalb des Fachs relativer Kon- Einführung 33 sens, dass eine weitere Verbesserung und Sicherung der Qualitätsstandards des Fachs ein wün- schenswertes Ziel ist. Zu diesem Zweck haben führende Forschungspersönlichkeiten, Herausge- ber*innen von Fachzeitschriften, Forschungsförderungsinstitutionen und andere Empfehlungen zur Förderung der Transparenz und Replizierbarkeit empirischer Forschung formuliert. Viele dieser Empfehlungen werden heute unter dem Begriff „Open Science“ geführt (z.B. Nosek et al., 2015). Ein Ziel der internationalen Open Science Bewegung ist es, Fehlentwicklungen innerhalb der em- pirischen Wissenschaften durch kollektive Initiativen und unter Nutzung neuer Medien entgegen- zuwirken. Einige der von dieser Bewegung propagierten Maßnahmen sind: Hypothesen von Studien zur Hypothesen-Testung zu präregistrieren (bzw. Studien explizit als explorativ zu kennzeichnen) Zum Zeitpunkt der Publikation Daten, Materialien und Analyseskripte online verfügbar zu machen Studien, Analysen und Ergebnisse vollständig zu berichten Ausreichend große Stichproben a priori zu planen, vorzugsweise auf Basis von Power Analy- sen Sich an der Replikation und Überprüfung publizierter Befunde – soweit die Rahmenbedin- gungen es zulassen – zu beteiligen Auch die Ergebnisse nicht erfolgreicher Replikationen der Befunde anderer Personen aber auch eigener Befunde unter Nutzung von Online-Ressourcen verfügbar zu machen. Die Fachgruppe Sozialpsychologie in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie hat im Jahr 2016 eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie sich zu diesen Maßnahmen zur nachhaltigen Quali- tätssicherung bekennt. Die sog. Replikationskrise betrifft zahlreiche Wissenschaften (z.B. die Medizin, die Biologie, die Neurowissenschaften). Aus unseren Ausführungen zur Replikationskrise sollte daher nicht ge- schlossen werden, die Sozialpsychologie sei besonders „problematisch“ oder habe eine Änderung der „Forschungskultur“ ganz besonders nötig. Tatsächlich ist es ein allgemeines Kennzeichen des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses, dass Erkenntnisse stets vorläufig sind. Jede wissenschaft- liche Theorie muss falsifizierbar sein. Eben dies unterscheidet wissenschaftliche Theorien von Pseudo-Theorien, Ideologien oder Glaubenssystemen. Dass wir nun über eine Reihe gescheiterter Replikationen diskutieren, zeigt, dass die Sozialpsychologie eine vergleichsweise selbstkritische Wissenschaft ist, die der Reflexion ihrer Forschungskultur Raum gibt. Was bedeuten diese aktuellen Entwicklungen nun aber für das Studium der Sozialpsychologie in diesem Modul? Die Sozialpsychologie ist wie jede Wissenschaft eine kumulative Wissenschaft; ihr Wissensbestand ist über Jahrzehnte gewachsen; ihre Theorien werden nicht durch Einzelexperi- mente unterstützt, sondern durch eine Summe von Untersuchungen, die von unterschiedlichen Forschergruppen durchgeführt wurden. Dass einige Forschungsergebnisse nicht replizierbar sind, bedeutet folglich nicht, dass alle Forschungsergebnisse und theoretischen Erkenntnisse in Zweifel zu ziehen sind. Nichtdestotrotz: Aus unserer Sicht besteht der größte Schaden der Replikationskrise in der Er- schütterung von Vertrauen in wissenschaftliche Ergebnisse unseres Fachs. Dieser Schaden betrifft 34 Einführung unserer Auffassung nach unmittelbar die Wissensvermittlung in der Lehre. Als Lehrverantwortliche haben wir es uns daher zum Ziel gesetzt, historische und aktuelle Debatten zur Replikation und Relevanz sozialpsychologischer Forschung aufzugreifen. So werden wir, wo immer es erforderlich für die Einordnung der Befundlage ist, die Ergebnisse von Publikationen gescheiterter Replikati- onen in die Einführungskurse integrieren und diskutieren. Empirische Forschung dient der Über- prüfung von Theorien. Die Sozialpsychologie hat zahlreiche Theorien hervorgebracht, und wir werden diese Theorien in zwei Vertiefungskursen, die diese Einführung flankieren, ausführlich behandeln und aktuelle empirische Forschungsarbeiten zu diesen Theorien vorstellen. Im Rahmen der von der Sozialpsychologie verantworteten empirisch-experimentellen Praktika werden darüber hinaus Standards eingeübt, die der Sicherung und Verbesserung von Transparenz und Offenheit in der Forschung dienen (z.B. Open Science Prinzipien). Diese Standards finden auch in den im Rahmen der von der Sozialpsychologie verantworteten B.Sc.-Arbeiten Berücksichtigung (weitere Materialien und Links finden sie in der Materialiensammlung). Wir hoffen, dass Sie damit am Ende Ihres Studiums unsere Faszination für das Fach teilen und noch besser als bisher ausgerüstet sind, die Validität, Reliabilität und Relevanz sozialpsychologischer Forschungsbefunde einschätzen zu können. 1.3 Kapitelzusammenfassung Die Sozialpsychologie erforscht die Effekte personaler und situativer Faktoren und deren Wech- selwirkungen darauf, wie Menschen einander in sozialen Situationen wahrnehmen, Einfluss auf- einander ausüben und wie sie ihre sozialen Beziehungen gestalten. Die Sozialpsychologie beschäf- tigt sich mit der Beschreibung, Vorhersage und Erklärung von (inter)personalen Prozessen und Gruppenprozessen. Im Kontext anderer sozial- und verhaltenswissenschaftlicher Disziplinen stellt die sozialpsychologische Analyse ein wichtiges Bindeglied zwischen Analysen auf der Mikro- und der Makroebene zur Erklärung sozialen Verhaltens dar. Bei der Sozialpsychologie handelt es sich, wie bei der Psychologie im Allgemeinen, um eine empirische Wissenschaft, d.h. ihr Erkenntnisge- winn erfolgt über die systematische Generierung und Prüfung von Theorien und Hypothesen auf der Grundlage von Beobachtungs- und Messdaten. Die Sozialpsychologie stützt sich dabei auf ein breites Methodenspektrum, wobei der experimentellen Methode eine herausragende Rolle zu- kommt. 1.4 Weiterführende Literatur Aronson, E., Wilson, T. D., & Sommers, S. (2023). Sozialpsychologie (10. Auflage). München: Pear- son. Ullrich, J., Stroebe, W., Hewstone, M. et al. (Hrsg.) (2023). Sozialpsychologie. Eine Einführung (7. Auflage). Heidelberg: Springer. Ross, L., & Nisbett, R. E. (1991). The person and the situation: Perspectives of social psychology. New York, NY: McGraw-Hill. Einführung 35 1.5 Übungsaufgaben 1. Erläutern Sie zwei grundlegende Prämissen sozialpsychologischer Forschung! 2. Was versteht man unter der Person x Situation Interaktion? 3. Welche Argumente sprechen für die Verwendung von Täuschungen in sozialpsychologi- schen Experimenten und welche dagegen?