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V: Einführung in die Soziologie Vorlesung 5: Kollektives Handeln und soziale Bewegungen Prof. Dr. Christian Joppke 1 Lektüre und Übersicht • Text: Kap. 24 (Joas/Mau 2020), Soziale Bewegungen u. kollektive Aktionen (zitiert als Rucht/Neidhardt) • Autoren: Dieter Rucht u. Friedhelm Neidhardt (Wissen...

V: Einführung in die Soziologie Vorlesung 5: Kollektives Handeln und soziale Bewegungen Prof. Dr. Christian Joppke 1 Lektüre und Übersicht • Text: Kap. 24 (Joas/Mau 2020), Soziale Bewegungen u. kollektive Aktionen (zitiert als Rucht/Neidhardt) • Autoren: Dieter Rucht u. Friedhelm Neidhardt (Wissenschaftszentrum Berlin, WZB) • Übersicht: 1. 2. 3. 4. 5. 6. Soziale Bewegung: Definition u. Elemente Collective Behavior Resource Mobilization Political Process Neuere Ansätze und Themen Beispiel: Dissidenten im Kommunismus 2 (1) Soziale Bewegung (SB): Definition und Elemente • Def. SB: `soziale Gebilde aus…vernetzten Personen, Gruppen und Organisationen, die-…gestützt auf kollektive Identitätsgefühle…Protest ausdrücken, um soziale… Verhältnisse zu verändern oder… Veränderungen entgegenzuwirken` (Rucht/Neidhardt, 839) • Viz. Netzwerke: – horizontal, nicht vertikal – SBs beinhalten oft Organisationen, sind aber selbst keine – Keine formelle Mitgliedschaft (innen und aussen nicht klar abgrenzbar; Kontinuum: Aktivisten, Teilnehmer, Unterstützer, Sympathisanten) – geringe interne Differenzierung u. Hierarchisierung; keine verbindlichen Rollendefinitionen u. Positionszuweisungen – (+): `hohe Durchschlagskraft` (R/N, 841); (-): eher `Anstossen` als `Durchsetzen` von Veränderungen (R/N, 841) 3 (1) Soziale Bewegung • Viz. kollektive Identität: – Mangel an Geld und Macht; keine `bezahlte Indifferenz` ihrer Mitglieder (N.Luhmann) →`commitment` als spezifische Resource (`innere(s) Engagement ihrer Anhänger`) (R/N, 841) • Viz. Protest: – – – Nicht-institutionalisiertes, unkonventionelles, störendes Handeln (Demonstration, Streik, civil disobedience, Gewalt) ist zentral Sidney Tarrow: SB als `contentious politics` (ausserhalb von Partei, Parlament, oder organisierter Interessenvertretung [lobbying], also `auf der Strasse`). Grenzfälle: • • • Verbrechen (Illegales/illegitimes Handeln für private Zwecke) Terror (Illegales/illegitimes Handeln für öffentliche/kollektive Zwecke) Dagegen: SB ist oft illegal aber legitim (civil disobedience), u. für öffentliche Zwecke 4 1. Soziale Bewegung • Viz. Veränderungen (sozialer Wandel): – SB versus Interessengruppe: SB zielt auf Kollektivgüter, die durch Unteilbarkeit des Gebrauchs (jointness of supply) definiert sind (z.B. saubere Luft, Gerechtigkeit) – Wandel herbeiführen (links) oder verhindern (rechts) – Grenzfall: Sekte (innerer Rückzug; kein Bezug auf Kollektivgüter u. sozialen Wandel) 5 1. Soziale Bewegung • Andere Definitionen: J.Goodwin and J.Jasper (2003): `social movements are conscious, concerted, and sustained efforts by ordinary people to change some aspect of their society by using extra-institutional means` --neue Elemente: sustained (vs. Aufruhr); ordinary people (nicht-Eliten) --ausgelassen: Blockierung von Wandel Joppke (1993): SB als `collective action that tries to change the power structure in society and claims that its means are legitimate and that its ends are binding for the wider community` --ausgelassen: Blockierung von Wandel (nur linke Bewegungen im Visier; kein Hinweis auf nicht-konventionelles Handeln) 6 1. Soziale Bewegung 3 zentrale Fragen der Forschung: • Ursachen von SB: – Deprivation (strain) oder Ressourcenzufuhr (need defense--Marx vs. rising aspirations--Tocqueville) – psychologisch v. strukturell • Mobilisierung: – free rider Dilemma (M.Olson 1965): warum überhaupt SB, wenn es `billiger` ist, nichts zu tun (u. die Anderen das Kollektivgut bereitstellen lassen)? • Wirkungen (impacts): – Erfolg oder Niederlage – Bei Erfolg: Problem der Institutionalisierung; aus SB wird Partei (z.B. Die Grünen); iron law of oligarchy und goal displacement (Robert Michels, Political Parties, 1915): Aktivisten stellen ihr eigenes Interesse oder das ihrer Organisation über das ursprüngliche Ziel der Bewegung 7 2. Theorien: Collective Behavior (CB) • SB als Subtyp von collective behavior: `crowds, mobs, panics, manias, dancing crazes, mass behavior, stampedes, public opinion, propaganda, fashion, fads.., revolutions, reforms` (H.Blumer 1939) • Blumer (Chicago School): CB erklärt Wandel und Neuerung (`the emergence of a new social order is equivalent to the emergence of new forms of CB`) • N.Smelser (Theory of Collective Behavior, 1962): – CB als Reaktion auf strain (Spannung, Notlage); – CB definiert durch generalized beliefs (vereinfachte Antworten auf komplexe Notlagen, z.B. `Die Kapitalisten sind Schuld`; Atomkraft gleich `Atomstaat`) – Beispiele: Panik, feindseliger Ausbruch, reformistische u. revolutionäre Bewegungen – Tenor: CB als irrationaler Kurzschluss (`action by impatient people`; `raw, exaggerated, exentric`) 8 3. Theorien: Resource Mobilization (RM) • Hintergrund: die 60er Bewegungen (civil rights, anti-Vietnam, Studenten) • Doug McAdam (1982): `(L)iberal academia faced a new challenge:…cast these `progressive` movements in the favorable light of rationality and…resistance to oppression`. • Grundannahme: Rationalität von SB (als Politik mit anderen—unkonventionellen—Mitteln); Ausblendung von psychologischen Faktoren • Ebenso: von strain zu resources als Ursache von SB (strain is ubiquitär; also Resourcenzufuhr) 9 3. Theorien: Resource Mobilization • Das Dilemma kollektiven Handelns (M.Olson 1965, Logic of Collective Action): – Rational Handelnde schliessen sich keiner SB an – Denn: das von ihr beschaffte Kollektivgut kommt allen zugute (jointness of supply) → Rational Handelnde sind free riders (sie lassen andere `bezahlen`, profitieren aber trotzdem) – Dieses Dilemma besteht nur für grosse (latent) Gruppen (in kleinen Gruppen ist der Anteil am Kollektivgut so gross, dass auch eine rational Handelnde die Kosten übernimmt, trotz free riding anderer) – In grossen Gruppen bedarf es selectiver incentives: • Negativ: Zwang (closed shop-Gewerkschaftszwang) • Positiv: materielle oder soziale Anreize (Geld, Macht, Ansehen etc.) 10 3. Theorien: Resource Mobilization • • • `Olson`s challenge`: `since s.m. deliver collective goods, few individuals will on their own bear the costs of working to obtain them` (J.McCarthy u. Mayer Zald 1977) → Blick auf spezielle Anreize, Kosten-reduzierende Mechanismen, Ressourcenzufuhr, Karrieremöglichkeiten Ökonomisches Vokabular (McCarthy/M.Zald): – Social movement (SM): `preference structure directed toward social change` – SM organization (SMO): `organization which identifies its goals with the preferences of a SM` – SM industry (SMI): alle SMOs einer SM – SM sector (SMS): alle SMIs in einer Gesellschaft • Resource mobilization: – nicht-Sympathisanten (non-adherents) zu Sympathisanten (adherents) machen – Sympathisanten zu Teilnehmern (constituents) machen, die Ressourcen für die SB aufwenden (Zeit, Geld, etc.) – Besonders wichtig: conscience (v. beneficiary) constituents (`suggar daddies`) 11 4. Theorien: Political Process • Geht aus RM hervor (Prämisse: Rationalität) • 2 Verschiebungen: von Mikro zu Makro; von Mobilisierung zu Auswirkungen (impacts) • `state structures shape the strategy, courses, and possible impacts of SM` (Joppke 1993) • Schlüsselbegriff: political opportunity structure (POS), z.B.: • • • • staatliche Input-Strukturen (offen v. geschlossen); staatliche Output-Strukturen (stark v. schwach); Parteiensysteme; Unterstützung durch Eliten, etc. etc. • Je nach POS, sind SBs radikal oder moderat, erfolgreich oder erfolglos, u.a.; Ansatz eignet sich für internat. Vergleiche • Vertreter: Charles Tilly, Herbert Kitschelt, Sidney Tarrow, Doug McAdam 12 5. Theorien: Neuere Ansätze • `Rationalismus` von RM und PP: Ausblendung von Psychologie, von Subjektivität, u. von kulturellen Prozessen der Problemgenerierung • frame analysis (E.Gofman): – `diagnostic framing`: ein Problem als Problem erkennen (`Atomkraftwerke sind gefährlich`) – `identity framing`: wer ist davon betroffen? (`Anlieger`, `Mütter`, `Menschheit`) – `agency framing`: was ist zu tun? (Reform v. Revolution; blockieren, demonstrieren, vor Gericht klagen, Medien einsetzen etc.) → interpretative Prozesse der Problemdefinition sind im Blickpunkt • Emotionen: Protest ist oft riskant und kostenreich, u. erfordert Einblick in die psycho-sozialen Prozesse der Generierung von Motivation und Emotion. → bedingte Rückkehr zu Themen des collective behavior Ansatzes! • Neue Themen: Globalisierung und Internet 13 6. Beispiel: Dissidenten im Kommunismus • Leninistisches Regime als `neuer Typ von Staat` (Lenin): – Traditional: De-Differenzierung (eine quasi-Religion, Marxismus-Leninismus, gängelt die Teilsysteme) (aber: die moderne Gesellschaft hat weder `Spitze` noch `Zentrum`, N.Luhmann) – Modern: Mobilisierung der Gesellschaft für ein rationales Ziel, auf der Grundlage von `Wissenschaft` (z.B: Fünfjahrespläne) – Charismatisch: der heroische Kampf gegen den Klassenfeind (später: Antifaschismus) legitimiert Herrschaft 14 6. Dissidenten im Kommunismus • • Kommunismus ist `Bewegung`; Opposition dazu ist (im Prinzip) `antiBewegung` (= `Dissidenz`) 3 Typen von Opposition: – 1. Revisionismus: Intellektuelle mobilisieren die `Ideale` des Kommunismus gegen ihren `Verrat` (L.Trotsky bis R.Bahro). Apex: Prager Frühling 1968 – 2. Dissidenz: Ablassen vom `demokratischen Sozialismus`; • Forderung nach Rechten, Differenzierung und Pluralismus (allesamt Merkmale westlicher Gesellschaften) (J.Habermas: 1989 als `nachholende Revolution`) • Antipolitik und Leben in Wahrheit (V.Havel): vor-politisch; Aktivismus der Verweigerung • wie der Revisionismus, so ist auch Dissidenz eine Sache der Intellektuellen • Forderung nach Rechten wird zentral nach Helsinki Schlussakte (KSZE 1975), in der sich die Sowjetunion auf ihre Einhaltung verpflichtet hatte – 3. Nationalismus: komplementär zu Dissidenz (benennt das Kollektiv, in dem Rechte, Differenzierung, etc. gelten sollen) • Sofern Opposition gegen Kommunismus über Intellektuelle hinausgeht, ist sie nationalistisch • 1989: allesamt nationale Revolutionen 15 6. Dissidenten im Kommunismus • Die DDR als Ausnahme (Joppke 1995): – Keine `Dissidenten` in der DDR (nur: `Revisionisten`—den Sozialismus reformieren) – Warum? Unmöglichkeit einer nationalen Revolution in Deutschland (De-Legitimierung von Nationalismus durch das Nazi-Regime) – Wenn man sich `national` gegen die DDR wandte, war man---in der Bundesrepublik! (`Ausreisen` als funktionales Äquivalent zu `Dissidenz`) 16

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