Gesellschaftliche und soziale Verantwortung PDF
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This document discusses social responsibility of companies, focusing on various perspectives, including the classical view of Milton Friedman. It explores the concept of corporate social responsibility (CSR), private governance, and political corporate social responsibility (PCSR).
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Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Gemeinwesens fallen, werden demnach unterschiedlich beurteilt. Dies hängt nicht zuletzt vom jeweils zugrunde gelegten Freiheitsbegriff im Hinblick auf negative Freiheit (Freiheit, nicht gehindert zu werden bzw. von staatlicher Intervention eingeschränkt z...
Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Gemeinwesens fallen, werden demnach unterschiedlich beurteilt. Dies hängt nicht zuletzt vom jeweils zugrunde gelegten Freiheitsbegriff im Hinblick auf negative Freiheit (Freiheit, nicht gehindert zu werden bzw. von staatlicher Intervention eingeschränkt zu werden) und positive Freiheit (Freiheit, bestimmte Handlungen zu setzen bzw. Freiheit, in der Ausübung bestimmter Handlungen aktiv gefördert zu werden) ab. Innerhalb des politischen Gemeinwesens wird Verantwortung für politische Entscheidungsprozesse am Paradigma individueller und kollektiver Handlungsfähigkeit festgemacht. 3. Soziale Verantwortung von Unternehmen Was ist korporative Verantwortung: die klassische Antwort Milton Friedmans Die Grundfrage nach der rechtlichen, politischen und sozialen Verantwortung von Unternehmen intensivierte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts und wurde als solche spätestens ab den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts breit diskutiert. Im Zentrum dieser Überlegungen steht also die Frage, ob Unternehmen als Organisationen überhaupt verantwortlich handeln können und wenn ja, welche Mittel dafür zur Verfügung stehen. Das nachfolgende Kapitel wird diese Grundfrage der Unternehmensverantwortung unter der theoretischen Perspektive der sogenannten Corporate Social Responsibility (CSR), der Private Governance und der Political Corporate Social Responsibility (PCSR) beleuchten. Auch hierbei kann kein einheitlich verstandener CSR-Begriff aus der Literatur zugrunde gelegt werden. Es empfiehlt sich daher, die hier skizzierten Begriffe (auch wenn sie in ihrer Darstellung der bekannten Fachliteratur entnommen sind) als Sammelbezeichnung für verschiedenste Konzepte sozialer Unternehmensverantwortung im Kontext der Wirtschaftsethik, der Managementliteratur sowie der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zu verstehen. Insbesondere der Teilbereich der PCSR weist zudem Überschneidungen mit politikwissenschaftlichen Konzepten auf. Bereits 1970 hatte der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und spätere „Wirtschaftsnobelpreisträger“ 133, Milton Friedman, explizit zu der Frage nach der sozialen Verantwortung von Unternehmen Stellung genommen. In seinem viel beachteten Aufsatz in der New York Times „The Social Responsibility of Business Is to Increase Its Profits“ formulierte Friedman die bis heute rezipierte klassisch-liberale Antwort auf die Frage 133 Streng genommen zählt der sogenannte „Wirtschaftsnobelpreis“ nicht zu den Nobelprei- sen. 69 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung nach unternehmerischer Verantwortung. Wie bereits dem Titel zu entnehmen ist, lehnt Friedman eine soziale Verantwortung von Unternehmen aus prinzipiellen Gründen ab. Seine Argumentation besteht aus mehreren Schritten, die allesamt wirkmächtigen Einfluss auf die spätere Debatte hatten. Ebenso könne – nach Friedman – nur Individuen moralische Verantwortung zugeschrieben werden. Ein Unternehmen als juristische bzw. gleichsam „künstliche“ Person kann demnach nie moralisch verantwortlich gemacht werden. Das Gleiche gelte für die Gesamtheit der Unternehmen bzw. der Wirtschaft als solche. Hierzu Friedman: „Only people can have responsibilities. A corporation is an artificial person and in this sense may have artificial responsibilities, but “business” as a whole cannot be said to have responsibilities, even in this vague sense. The first step toward clarity in examining the doctrine of the social responsibility of business is to ask precisely what it implies for whom.“ 134 Nach dieser grundsätzlichen Weichenstellung argumentiert Friedman, dass Führungskräfte als individuelle Akteurinnen sehr wohl moralische Verantwortung tragen. Jedoch ist eine solche Führungskraft primär denjenigen gegenüber verantwortlich, in deren Dienst sie steht. Demnach sind Führungskräfte, Managerinnen, Geschäftsführer usw. den Eigentümerinnen und Aktionären der Unternehmen, für die sie tätig sind, verpflichtet. Dies gelte sowohl für gewinnorientierte Unternehmen als auch Merksatz für gemeinnützige Einrichtungen (etwa Krankenhäuser oder Schulen). Letztlich ist es also die primäre Verantwortung der Führungskraft, das Unternehmen, für das sie tätig ist, in Übereinstimmung mit den Wünschen seiner Besitzerin zu führen. Das bedeutet für Friedman jedoch nicht, dass Manager und Führungskräfte keine „soziale Verantwortung“ in einem weiteren Sinne wahrnehmen sollten. Es könne – nach Friedman – durchaus vorkommen, dass eine Führungskraft ein Unternehmen aus moralischen Gründen verlasse oder sich in ihrer Freizeit in religiösen oder wohltätigen Einrichtungen engagiere. Der entscheidende Punkt ist hierbei jedoch, dass die Führungskraft weder die zeitlichen noch monetären Ressourcen seiner Arbeitgeber einsetzt, um diese vermeintlichen sozialen Verantwortungen wahrzunehmen. Friedman 134 Friedman, 1970, o. S. 70 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung argumentiert, dass eine Führungskraft in ihrer beruflichen Rolle sehr wohl generelle gesellschaftspolitisch relevante Themen adressieren könne. So könnte sie etwa Preiserhöhungen vermeiden, da dies die Inflation ansteigen ließe, oder die Treibhausemissionen ihrer Produktion weit unter das gesetzliche Maß senken, auch wenn dies zu Gewinneinbußen aufseiten der Eigentümer führt. Nach Friedman agiert die Führungskraft jedoch in all diesen Fällen illegitim, da sie entweder das Geld der Kundinnen, das Geld der Eigentümerinnen (bzw. Aktionäre) oder das Geld der Mitarbeiterinnen für ihre eigene private Merksatz Agenda einsetzt. Zudem merkt Friedman an, dass die Führungskraft in den wenigsten Fällen überhaupt fachlich geeignet ist, um den Effekt einer Maßnahme (etwa im Hinblick auf die erwartete Inflation oder das Klima) selbst einzuschätzen. Insbesondere gilt das, da sich die konkrete Maßnahmensetzung oft selbst für Fachexperten als schwieriges Unterfangen darstellt. Letztlich könnten alle genannten Gruppen (und insbesondere die Aktionäre) diese Aktivitäten selbstständig unterstützen und finanzieren, wenn es ihnen ein Anliegen wäre. Der eigentliche Einwand Friedmans besteht also nicht in der Tatsache, dass derartige soziale Verantwortungen nicht existieren oder nicht wichtig wären, jedoch stehen sie der Rolle von Führungskräften und Managerinnen diametral entgegen. Sollte sich ein Manager nämlich von selbst für eine solche soziale Agenda entscheiden, käme der Gewinnverlust, der den Aktionären damit entsteht, faktisch einer Besteuerung gleich. Somit würde der Manager Kernaufgaben des Staates (wie soziales Engagement, Umweltschutz etc.) übernehmen, jedoch ohne durch demokratische Prozesse dazu in irgendeiner Form legitimiert worden zu sein. Der so agierende Manager würde nicht nur selbstständig Steuern erheben, sondern auch über deren Einsatz bestimmen. Friedman verortet hinter dem Schlagwort einer so verstandenen „sozialen Verantwortung“ das eigentlich sozialistische Dogma, wonach nicht Marktmechanismen, sondern politische Agenden die Verteilung von knappen Ressourcen steuern sollten. Diese vermeintlich antidemokratische Grundhaltung identifiziert Friedman auch bei jenen, die aufgrund der äußersten Dringlichkeit von aktuellen gesellschaftlichen Problemen (z. B. der rasant fortschreitenden Klimakrise) die verhältnismäßig schnelle Handlungsinitiative von Unternehmen den vermeintlich langwierigen demokratischen Prozessen des Staates vorziehen. Diese vermeintliche Langsamkeit demokratischer Prozesse könne, so Friedmann, prinzipiell nur daraus resultieren, dass es noch nicht gelungen 71 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung sei, eine breite Bevölkerungsmehrheit von der Notwendigkeit solcher Maßnahmen zu überzeugen. Gerade dies wäre jedoch die Aufgabe des demokratischen Handlungsmodells. Letztlich, so Friedmann, besteht die einzige legitime Möglichkeit für Führungskräfte, soziale Agenden im wirtschaftlichen Handeln zu realisieren darin, dass eigentümergeführte Unternehmen (gleichsam aus Philanthropie) diese Agenden freiwillig mit ihrem eigenen Geld umsetzen. Umgekehrt wäre jedoch auch das eigennützige Lippenbekenntnis zu gewissen Formen der „sozialen Verantwortung“ mit Blick auf ein positives öffentliches Image durchaus eine legitime (wenn auch nicht ehrliche) Handlungsweise für Manager, sofern diese dem Unternehmen wirtschaftlich nützt. In einem weiten abschließenden Bogen koppelt Friedman seine These des freiwilligen sozialen Engagements an die politisch-gesellschaftlichen Bedingungen einer freien demokratischen Gesellschaft. 135 Hierzu Friedman: „The political principle that underlies the market mechanism is unanimity. In an ideal free market resting on private property, no individual can coerce any other, all cooperation is voluntary, all parties to such cooperation benefit or they need not participate. There are no “social” values, no “social” responsibilities in any sense other than the shared values and responsibilities of individuals. Society is a collection of individuals and of the various groups they voluntarily form. (…) in a free society, and [I, Einf. Autor] have said that in such a society, 'there is one and only one social responsibility of business – to use its resources and engage in activities designed to increase its profits so long as it stays within the rules of the game, which is to say, engages in open and free competition without deception fraud'.“ 136 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Friedmans Position bezüglich der sozialen Verantwortung von Unternehmen in den darauffolgenden Jahrzehnten in vielfältiger Weise aufgenommen und kritisiert wurde. Kaum Zusammenfassung eine wirtschaftsethische Fachpublikation kommt ohne einen impliziten oder expliziten Verweis auf Friedman und seine Thesen aus. Konkret entfaltet Friedman seine Argumentation in drei wesentlichen Kernthesen. Friedman meint, dass nur Individuen moralisch verantwortlich gemacht werden können (1. Kernthese), dass Manager nur den Interessen der Aktionäre und Eigentümer verpflichtet sind (2. Kernthese) und dass Manager für die 135 Vgl. Friedman, 1970 136 Ebd., o. S. 72 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung angestrebte Form sozialer Verantwortung nicht demokratisch legitimiert sind (3. Kernthese). 137 Dies macht das Konzept sozialer Verantwortung für Unternehmen nach Friedman außerdem zum demokratiepolitischen Problem. Lesen Sie Milton Friedmans berühmten Aufsatz, „A Friedman doctrine – The Social Responsibility Of Business Is to Increase Its Profits“, erschienen 1970 in der New York Times hier im Original: Mehr lesen https://www.nytimes.com/1970/09/13/archives/a-friedman-doctrine-the- social-responsibility-of-business-is-to.html 3.1. Was ist Corporate Social Responsibility (CSR)? Ausgehend von Friedmans klassischem Ansatz, wonach Unternehmen keinerlei soziale Verantwortung haben, die über die Profitmaximierung hinausgeht, formulierten Kritiker dieser Position schon bald alternative Merksatz Ansätze der sozialen Unternehmensverantwortung. Das wachsende öffentliche und wissenschaftliche Interesse an dem sozialen Engagement von Unternehmen wurde in den vergangenen Jahrzehnten zumeist unter dem Schlagwort der sogenannten Corporate Social Responsibility (CSR) verhandelt. Im Unterschied zu Friedmans Ausgangsthese ist die Existenz sozialer Verantwortung im Unternehmenskontext inzwischen weitgehend akzeptiert. 138 Merksatz Dabei existieren eine Vielzahl von theoretischen Ansätzen und Definitionen, um CSR als Forschungsgebiet und Handlungskonzept zu verstehen. Die Europäische Kommission etwa definiert CSR 2001 noch als freiwilligen Beitrag von Unternehmen zu einer besseren Gesellschaft. Somit als „a concept whereby companies decide voluntarily to contribute to a better society and a cleaner environment“. 139 Im Gegensatz dazu engt die Europäische Kommission ihren vormals weiten CSR-Begriff 2011 deutlich in Richtung einer Verantwortungszuschreibung von Unternehmen ein. In dieser jüngeren Definition versteht die Europäische Kommission CSR als „the 137 Vgl. Clausen, 2009, S. 94 ff. 138 Vgl. Crane/Matten, 2007, S. 47 ff. 139 European Commission, 2001, S. 5 73 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung responsibility of enterprises for their impacts on society“. 140 Dieser Bedeutungswandel entspricht dem weiteren historischen Wandel der CSR- Konzeption selbst. Während die frühe CSR-Debatte noch von einem primär philanthropischen CSR-Ansatz geprägt war, traten später vor allem ethische Überlegungen in den Vordergrund. Während instrumentelle CSR-Ansätze die Spendenbereitschaft von Unternehmen lobten, wurde die Art der Spendenerwirtschaftung stillschweigend akzeptiert. Wenngleich der instrumentelle CSR-Ansatz konzeptuell nicht zufriedenstellend ist, finden sich mitunter auch in der aktuellen Debatte noch Befürworter einer solchen Konzeption. Gleichwohl weist der allgemeine Trend der CSR-Forschung in Richtung eines normativen Konzeptes unternehmerischer Verantwortung. Hierzu Florian Wettstein: 141 „Early charitable interpretations of CSR were (…) inherently incomplete. (….) Today, there is increasing awareness that the scope of corporationsʼ social responsibilities goes far beyond the mere donation of money to good causes. The focus has shifted from only looking at how corporations distribute their profits to how they generate it. As such, CSR is concerned with a much larger range of ethical problems inherent (i.e. not external) and directly connected to a companyʼs core business processes.“ 142 Wie bereits gezeigt wurde, stehen Verantwortung und Verpflichtung grundsätzlich in einem konzeptionellen Naheverhältnis zueinander. CSR bezieht sich jedoch häufig auf sogenannte supererogatorische Handlungen von Unternehmen in einem sozialen und gesellschaftlichen Kontext. Supererogatorisch (aus dem Lateinischen übersetzt etwa „über das zu Fordernde hinausgehend“) bezeichnet jene Handlungen, zu denen ein Unternehmen aus Sicht der breiteren kritischen Öffentlichkeit zwar nicht Merksatz verpflichtet werden kann, deren Ausführung jedoch wünschenswert ist. 143 CSR hat damit – nach Ansicht von Autorinnen wie Andrea Clausen – „nur dem Wortlaut nach mit Verantwortung im eigentlichen Sinne zu tun, der Sache nach bezeichnet dieser Begriff das gesamte soziale Engagement eines Unternehmens“. 144 140 European Commission, 2011, S. 6 141 Vgl. Wettstein, 2009, S. 131 ff. 142 Wettstein, 2009, S. 132 143 Vgl. Clausen, 2009, S. 92 144 Ebd., S. 92 74 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Diese Definitionsvielfalt verleitet manche Autoren dazu, CSR als einen Überbegriff für verschiedene Formen der sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung im Kontext unternehmerischen Handelns zu verstehen. Merksatz Frynas und Stephens etwa definieren „CSR as an umbrella term for a variety of concepts and practices, all of which recognize that companies have a responsibility for their impact on society and the natural environment, often beyond legal compliance and the liability of individuals“. 145 Bezug nehmend auf Friedmans ursprüngliches Argument der Profitmaximierung werden auch heute noch zwei wesentliche theoretische Ansätze hinsichtlich der Formulierung sozialer Verantwortung von Unternehmen unterschieden. Das Argument des aufgeklärten Eigeninteresses (englisch: enlightened self- interest) besagt, dass Unternehmen soziale Verantwortung vor allem aus Gründen der (mittelbaren) Profitmaximierung wahrnehmen. Merksatz Dabei können Unternehmen soziale Verantwortung wahrnehmen, um dadurch von Konsumenten positiver gesehen zu werden oder umgekehrt, um etwaige Boykotte und den damit einhergehenden wirtschaftlichen Schaden abzuwenden. Derartige Boykotte seitens der Zivilgesellschaft und NGOs trafen etwa in der Vergangenheit den Ölkonzern ExxonMobil, dessen mangelnde soziale Verantwortung im Umweltbereich international in der Kritik stand. Darüber hinaus kann – aus Unternehmenssicht – die freiwillige Übernahme von sozialer Verantwortung einer langfristig möglicherweise deutlich strengeren gesetzlichen Regulierung zuvorkommen. Ähnlich kann soziale Verantwortung (etwa im Bereich der Umwelt oder Bildungspolitik) ein langfristiges Investment in besser ausgebildete Arbeitskräfte und einen potenteren Wirtschaftsstandort darstellen. Von diesen Effekten profitieren letztlich auch Unternehmen. Gleichzeitig wird argumentiert, dass all diese Gründe nur der Profitmaximierung unter dem Deckmantel der CSR dienen. Aus diesem Grund müssen – um der Verantwortungsdimension gerecht zu werden – neben wirtschaftlichen auch moralische Argumente für CSR- Maßnahmen gefordert werden. 145 Frynas/Stephens, 2015, S. 485 75 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Moralische Gründe für CSR ergeben sich etwa aus der Ansicht, dass Unternehmen selbst soziale Probleme (mit-)verursachen – etwa im Fall von Umweltschäden durch die Produktion – und daher moralisch verpflichtet Merksatz sind, an der Lösung dieser Probleme zumindest mitzuwirken. Alternativ wird gegen Friedmans klassischen Shareholder-Ansatz eingewendet, dass Unternehmen tatsächlich nicht nur für ihre Aktionäre (Shareholder), sondern für einen viel umfangreicheren Kreis von Personen, die von der Geschäftstätigkeit direkt oder indirekt betroffen sind (Stakeholder), verantwortlich sind. 146 Konzeptionell werden diese unterschiedlichen Ansätze, Ebenen und Akteurinnen der CSR in Archie Carrolls viergliedrigem Modell der CSR systematisiert. Carroll unterteilt CSR in vier wechselseitig aufeinander bezogene Aspekte ökonomischer, rechtlicher, ethischer und philanthropischer Verantwortung. Ökonomische Verantwortung gegenüber Kundinnen, Geschäftspartnern und Mitarbeitern bildet die Basis der CSR, insofern wird die ökonomische Verantwortung von Unternehmen von der Gesellschaft unbedingt gefordert. Diese unbedingte Geltung der ökonomischen Verantwortung ergibt sich auch aus dem inhärenten gesellschaftlichen Zweck eines gewinnorientierten Unternehmens, insofern die wirtschaftliche Tätigkeit auf einer soliden Basis erfolgen soll. Im Hinblick auf rechtliche Verantwortung haben gesellschaftliche Erwartungen an Unternehmen einen gleichermaßen verpflichtenden Geltungscharakter. Die Gesellschaft erwartet demnach, dass sozial verantwortliche Unternehmen jedenfalls ihre wirtschaftlichen und rechtlichen Verpflichtungen erfüllen. Da Gesetze auch als Kodifizierung von moralischen Normen innerhalb einer Gesellschaft angesehen werden können, ist die Einhaltung dieser Regeln jedenfalls integraler Bestandteil einer sozial verantwortungsvollen Unternehmensführung. Demgegenüber gibt es jedoch viele Fälle unternehmerischen Handelns, in denen rechtliche Rahmenbedingungen nicht den allgemein akzeptablen Rahmen sozial verantwortlichen Handelns abdecken. So hatte etwa 1995 der Ölkonzern Shell bei seiner geplanten Entsorgung einer alten Ölplattform im Meer das britische Recht klar auf seiner Seite. Dennoch führte die geplante Aktion, wenngleich rechtlich unbedenklich, zu Protesten von Umweltorganisationen und zu Kritik aus der Zivilgesellschaft. Letztlich entschied Shell sich gegen die Entsorgung im Meer. 146 Vgl. Crane/Matten, 2007, S. 47 ff. 76 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Ethische Verantwortung reicht also über rechtliche und ökonomische Verantwortung hinaus und wird von der Gesellschaft zwar erwartet, aber nicht verbindlich verlangt. Merksatz Zuletzt definiert Carroll als vierten Aspekt der CSR die sogenannte philanthropische Verantwortung als jenen Teil der CSR, deren Erfüllung gesellschaftlich zwar erwünscht ist, jedoch weder verlangt noch erwartet wird. Hierunter fällt etwa die finanzielle Unterstützung lokaler Gemeinden, das Spenden für wohltätige Zwecke oder Angebote für Freizeit und Mitarbeitergesundheit. Der Vorteil an Carrolls Modell besteht unter anderem darin, die realen Anforderungen an Unternehmen im ökonomischen und rechtlichen Bereich im Kontext der CSR adäquat abzubilden. Gleichzeitig wurde kritisiert, dass etwaige Konflikte zwischen Verantwortungsbereichen (etwa, wenn philanthropische Verantwortung zu Lasten der ökonomischen Verantwortung umgesetzt wird oder wenn Arbeitsplätze kurzfristig abgebaut werden, um langfristig ökonomisch erfolgreich zu sein) nicht ausreichend adressiert werden. Darüber hinaus wurde kritisiert, dass Carrolls klassisches Modell der CSR stark an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der US-amerikanischen Gesellschaft orientiert ist. So kommt etwa philanthropischem Engagement von Unternehmen in den USA ein weitaus höherer gesellschaftlicher Stellenwert zu, als dies etwa in Europa der Fall ist – zumal US-amerikanische Institutionen aufgrund der allgemein niedrigeren öffentlichen Ausgaben und Förderungen oft im viel umfangreicheren Maß auf Spenden von Unternehmen angewiesen sind. 147 Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass Corporate Social Responsibility (CSR) ein umfangreiches Konzept mit unterschiedlichen Definitionen darstellt. Gleichzeitig wird die Tatsache, dass Unternehmen Zusammenfassung soziale Verantwortung tragen müssen, heutzutage weitgehend akzeptiert. Dies stellt eine Gegenthese zu Milton Friedmans klassischer Theorie dar, wonach Unternehmen nur ihren Aktionären verpflichtet sind. Diese klassische Shareholder-Perspektive (nur Aktionäre sind bedeutsam) wird heute zumeist um eine umfangreichere Stakeholder-Perspektive (alle betroffenen Gruppen sind bedeutsam) ergänzt. Dabei gilt Archie Carrolls viergliedriges CSR-Modell bzw. CSR-Pyramide als guter Ausgangspunkt für eine Systematisierung der CSR. Carroll unterscheidet ökonomische und rechtliche Verantwortung, deren Erfüllung gesellschaftlich von Unternehmen gefordert wird. Demgegenüber reicht ethische Verantwortung über die bloß rechtliche Verantwortung hinaus und trägt den 147 Vgl. Crane/Matten, 2007, S. 47-52 77 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung gesamtgesellschaftlichen Moralvorstellungen Rechnung. Ihre Erfüllung wird gesellschaftlich erwartet, aber nicht gefordert. Zuletzt skizziert Carroll die Dimension philanthropischer Verantwortung (etwa durch Spenden oder Sozialprogramme, an denen Unternehmen freiwillig partizipieren), welche gesellschaftlich weder gefordert noch erwartet wird, aber gleichwohl erwünscht ist. Carrolls Modell wurde etwa aufgrund der starken Fokussierung auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der USA oder aufgrund fehlender Strategien im Umgang mit in Konflikt stehenden Verantwortungsdimensionen kritisiert. Dennoch stellt Carrolls Modell einen verständlichen Zugang zur systematischen Erfassung der CSR dar. 5. Reflexionsfrage: Reflektieren Sie Archie Carrolls klassisches CSR-Modell gemäß seinen unterschiedlichen Ebenen. Übung 3.1.1. CSR-Strategien und organisationales Lernen: das Bei- spiel Nike Neben der von Carroll vorgeschlagenen Systematisierung der CSR aus thematischer Sicht lassen sich CSR-Themen auch aus der Innenperspektive der Unternehmen beschreiben. Am Beispiel des weltweit erfolgreichen Sportartikelherstellers Nike identifiziert Simon Zadek insgesamt fünf Stufen der Organisationsentwicklung und des organisationalen Lernens, die ein Unternehmen im Umgang mit CSR-Themen durchläuft. In den 1990er-Jahren war Nike für die schlechten Arbeitsbedingungen einiger seiner internationalen Zulieferbetriebe in öffentliche Kritik geraten. Das Geschäftsmodell von Nike bestand zu dem Zeitpunkt vor allem darin, Sportartikel im gehobenen Preissegment durch Outsourcing der Produktion in Niedriglohnländer und sogenannte Sweatshops („Ausbeuterbetriebe“) noch lukrativer zu vermarkten. Diese Strategie war auch damals nicht neu und wurde zugleich von vielen Mitbewerbern ähnlich verfolgt. Aufgrund seiner Markenbekanntheit und dem höheren Preis der Endprodukte stand Nike jedoch im besonderen Maß in der Kritik von Arbeitsrechtsaktivisten und NGOs. Als Nike mit der Kritik konfrontiert wurde, bestand die erste Reaktion in einer defensiven Abwehrhaltung. Es wurde auf ähnlich schlechte Arbeitsbedingungen bei Mitbewerbern verwiesen oder die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen schlicht geleugnet. Zadek bezeichnet diese initiale Reaktion auch als defensive Stufe (englisch: defensive stage). Hierbei wird Verantwortung geleugnet, um einen Reputationsverlust des Unternehmens und die damit verbundenen mittelbaren Gewinneinbußen 78 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung abzuwenden. Diese Reaktion führt jedoch meist zu noch intensiverer öffentlicher Kritik und einer Intensivierung des Problems. Dies führte dazu, dass Nike Auditoren beauftragte, die Zustände in der Lieferkette zu prüfen. Diesen Prozess der vordergründigen Reaktion auf extern zugetragene CSR- Themen bezeichnet Zadek als Compliance-Stufe (englisch: compliance stage). Diese ist durch das Bemühen des Unternehmens gekennzeichnet, ein richtlinienbasiertes Compliance-Modell zu implementieren, um anhaltende Reputationsverluste und die Risiken von etwaigen Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Diese Form der Compliance wird in erster Linie als Einhaltung von Rechtsvorschriften und als mittelbarer Kostenfaktor in der allgemeinen Geschäftstätigkeit verstanden. Da die von Nike beauftragten Auditoren jedoch weder die nötige Erfahrung hatten noch ihre Ergebnisse differenziert kommunizieren konnten (eine vordergründige Prüfung hatte keine wesentlichen Missstände identifiziert), wurden die Ergebnisse vonseiten der Aktivisten heftig kritisiert und öffentlich angezweifelt. Nike musste daraufhin methodische Fehler und unzulässige Vereinfachungen bei den Audits eingestehen und büßte so noch mehr an Glaubwürdigkeit und Reputation ein. Daraufhin entschied sich Nike für die Schaffung einer eigenen CSR-Abteilung, um Fragen der sozialen Verantwortung als Teil der Geschäftstätigkeit analog zu anderen Bereichen wie Marketing oder Vertrieb zu verstehen. Zadek zufolge liegt jenseits der bloßen Compliance die sogenannte Managementstufe (englisch: managerial stage), in der die Unternehmen bereits Antworten auf Fragen der Unternehmensverantwortung in ihre Managementprozesse integriert haben. CSR-Management wird dabei in die Unternehmensstruktur integriert. Auf diese Weise wollen Unternehmen mittelfristig ihren wirtschaftlichen Erfolg sichern und langfristig Vorteile lukrieren. Anfang des neuen Jahrtausends hatte Nike ein über achtzigköpfiges CSR-Team sowie externe Auditoren für mehr als 900 Zulieferbetriebe eingestellt. Dennoch zeigten investigative journalistische Arbeiten und Dokumentationen anhaltende systematische Verletzungen der internen Arbeitsrechtsstandards. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde dies als Weigerung oder Unfähigkeit Nikes im Hinblick auf die Einhaltung der selbstdefinierten Arbeitsstandards gewertet. Nach einer Krisensitzung erteilte der damalige CEO der CSR-Abteilung weitgehende Freiheiten. Nach einigen Monaten konnte ein systemisches Problem in der Unternehmens- und Branchenkultur selbst als Ursache der anhaltenden Verstöße ausgemacht werden. Wie viele Mitbewerber zahlte Nike nämlich erfolgsabhängige Prämien auf Basis von Preis, Qualität und Produktionstempo an die Produktionsmitarbeiter. Damit wurde aber zugleich ein gewaltiger Anreiz durch Bonuszahlungen gesetzt, welcher zur systematischen Übertretung der Arbeitsstandards führte. Dabei standen 79 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung nicht zuletzt kurzfristige finanzielle Interessen (kurze Lieferzeiten, billige Löhne) gegen langfristige Unternehmensziele und die Kosten für Rechtsstreit und Reputationsverluste. Als Reaktion auf diese Missstände und Abwägungen entschied sich Nike, die Unternehmenskultur grundsätzlich zu ändern und so strategische Vorteile zu realisieren. Zadek identifiziert dies als die vierte, sogenannte strategische Stufe (englisch: strategic stage). Hierbei werden CSR-Themen in die primären Geschäftsprozesse des Unternehmens integriert, wobei ein strategischer First-Mover-Vorteil durch Adressierung eines gesamtgesellschaftlichen Problems erzielt werden soll. Dennoch können derartig veränderte Standards – auch als Teil einer langfristigen Strategie begriffen – mitunter zu Wettbewerbsnachteilen führen. Daher suchte Nike in weiterer Folge den breiten Schulterschluss in der Form sogenannter Multi-Stakeholder-Initiativen (bestehend aus Mitbewerbern, Zulieferern, NGOs und Gewerkschaften), um breit sozial akzeptierte Arbeitsstandards zu schaffen. Dies stellt nun Zadek zufolge die fünfte und letzte, sogenannte zivile Stufe (englisch: civil stage) der Organisationsentwicklung hinsichtlich CSR-Themen dar. In der zivilen Stufe engagieren sich Unternehmen für industrieweite Veränderungen, rechtliche Regulierungen und Multi-Stakeholder- Initiativen. Im Jahr 2000 nahm der damalige CEO von Nike, Phil Knight, an der von UN-Generalsekretär Kofi Annan initiierten Gründungsveranstaltung des UN Global Compacts teil. Diese ist eine Multi-Stakeholder-Initiative mit dem Ziel, verantwortungsvolle Unternehmensführung zu fördern (siehe Kapitel IV.5). Konzeptionell verbindet Zadek die fünf Stufen des organisationalen Lernens mit vier korrespondierenden Stadien des gesamtgesellschaftlichen Problembewusstseins (englisch: Stages of Issue Maturity). Ausgehend von einem Modell des Pharmaunternehmens Novo Nordisk formuliert Zadek eine entsprechende Typologie. Hierbei beschreibt die sogenannte latente Phase (englisch: latent stage) ein Thema, das nur wenigen Aktivisten bekannt, nicht hinreichend wissenschaftlich erforscht und kaum von Bedeutung für Wirtschaftstreibende ist. Nehmen das öffentliche Interesse am Thema sowie die Forschungsintensität hingegen zu, gewinnt das Thema auch Bedeutung für Wirtschaftstreibende. Dann spricht Zadek von der aufstrebenden Phase (englisch: emerging stage). Die darauffolgende Konsolidierungsphase (englisch: consolidating stage) ist wiederum von der Entstehung gesamtgesellschaftlicher Diskurse und Multi-Stakeholder- Initiativen gekennzeichnet. Zuletzt wird das Thema in der Institutionalisierungsphase (englisch: institutionalized stage) in rechtlich verbindliche oder industrieinterne Regelungen überführt. Führt man die beiden Skalen zusammen, so wird deutlich, dass etwa die defensive Stufe 80 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung der CSR-Implementierung seitens des Unternehmens nur dann aus taktischen Überlegungen unproblematisch ist, wenn sich das betreffende Thema zugleich gesellschaftlich in der latenten Phase befindet. Hierbei wäre also nicht mit nennenswerten Reputations- oder wirtschaftlichen Verlusten zu rechnen. In dem Maß, in dem sich das gesellschaftliche Thema weiterentwickelt, muss auch die entsprechende Stufe organisationalen Lernens seitens des Unternehmens damit korrespondieren. So verlangt ein aufstrebendes Thema mindestens eine Reaktion auf der Compliance-Ebene, ein konsolidierendes Thema verlangt eine Reaktion auf der Managementstufe der der strategischen Stufe, ein institutionalisiertes Thema korrespondiert mit einer CSR-Initiative auf der zivilen Stufe. 148 Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass Unternehmen gemäß dem Reifegrad ihrer CSR-Strategie auf unterschiedliche Weisen reagieren können. Simon Zadek identifiziert am Beispiel des Sportartikelherstellers Zusammenfassung Nike fünf Stufen im Umgang mit CSR-Themen und externen Anschuldigungen durch Aktivisten. In der defensiven Stufe (englisch: defensive stage) wird Verantwortung geleugnet, um einen Reputationsverlust des Unternehmens und die damit verbundenen mittelbaren Gewinneinbußen abzuwenden. Die Compliance-Stufe (englisch: compliance stage) ist durch das Bemühen des Unternehmens gekennzeichnet, ein richtlinienbasiertes Compliance-Modell zu implementieren, um anhaltende Reputationsverluste und die Risiken von Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. In der Managementstufe (englisch: managerial stage) wird CSR-Management in die Unternehmensstruktur integriert, etwa indem eigene CSR-Abteilungen geschaffen werden. Auf diese Weise wollen Unternehmen mittelfristig ihren wirtschaftlichen Erfolg sichern. In der strategischen Stufe (englisch: strategic stage) werden CSR- Themen in die primären Geschäftsprozesse des Unternehmens integriert, wobei ein strategischer First-Mover-Vorteil durch Adressierung eines gesamtgesellschaftlichen Problems erzielt werden soll. In der zivilen Stufe (englisch: civil stage) engagieren sich Unternehmen für industrieweite Veränderungen, rechtliche Regulierungen und Multi-Stakeholder- Initiativen, die etwa aus Unternehmen, Vertretern der Zivilgesellschaft, NGOs, Gewerkschaften usw. bestehen. Um zu einer umfassenden Beurteilung einer erfolgsversprechenden CSR-Strategie zu gelangen, setzt Zadek die fünf Stufen organisationalen Lernens in Bezug zu vier korrelierenden Stufen des gesamtgesellschaftlichen Problembewusstseins (englisch: Stages of Issue Maturity). Hierbei unterscheidet er eine latente, aufstrebende, Konsolidierungs- und Institutionalisierungsphase. In der 148 Vgl. Zadek, 2004 81 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung latenten Phase (englisch: latent stage) ist das Thema nur wenigen Aktivisten bekannt, nicht hinreichend wissenschaftlich erforscht und kaum von Bedeutung für Wirtschaftstreibende. Nehmen das öffentliche Interesse sowie die Forschungsintensität hingegen zu, gewinnt das Thema auch Bedeutung für Wirtschaftstreibende. Dies bezeichnet Zadek als die aufstrebende Phase (englisch: emerging stage). Die darauffolgende Konsolidierungsphase (englisch: consolidating stage) ist wiederum von der Entstehung gesamtgesellschaftlicher Diskurse und von Multi-Stakeholder- Initiativen gekennzeichnet. Zuletzt wird das Thema in der Institutionalisierungsphase (englisch: institutionalized stage) in rechtlich verbindliche oder industrieinterne Regelungen überführt. Das gesellschaftliche Thema gewinnt dabei immer weiter an Relevanz und fordert folglich eine immer reifere Reaktion der betroffenen Unternehmen. Ist ein Thema etwa noch in der latenten Phase, mag das so angesprochene Unternehmen mit einer defensiven Reaktion keinen Reputationsverlust riskieren. Befindet sich das Thema demgegenüber in der letzten, der Institutionalisierungsphase, so muss die Unternehmensreaktion auf der zivilen Stufe erfolgen. 6. Reflexionsfrage: Reflektieren Sie die Bedeutung von CSR-Maßnahmen und Grundsätzen für Unternehmen vor dem Hintergrund von Simon Zadeks fünf Stufen organisationalen Lernens im Umgang mit CSR-Themen. Übung 3.1.2. Soziale Unternehmensverantwortung verstanden als Corporate Citizenship Seit etwa der Mitte der 1990er-Jahre wird der bereits etablierte Begriff der CSR zunehmend durch den Begriff der sogenannten Corporate Citizenship (CC) ergänzt oder gar ersetzt. Da die Terminologie hierzu noch im Aufbau Merksatz begriffen ist, stellt sich die Situation teilweise noch prekärer als im Falle der uneinheitlichen Definition von CSR dar. Tatsächlich lassen sich unter dem Schlagwort der CC verschiedene Zugänge verantwortungsvoller Unternehmensführung verstehen, die teilweise deckungsgleich mit bereits etablierten Definitionen der CSR sind. Konkret müssen nach Andrew Crane und Dirk Matten mindestens drei Definitionen von CC unterschieden werden: Die sogenannte limitierte Sicht auf CC setzt CC mit dem philanthropischen Engagement von Unternehmen gleich. So verstanden entspricht CC der letzten Dimension von Carrolls klassischem CSR-Modell. Die primäre Stakeholdergruppe dieser CC-Definition sind lokale 82 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Initiativen und Gemeinschaften sowie Mitarbeiter. Unternehmen initiieren CC-Projekte in dieser Ausprägung, um der Gesellschaft „etwas zurückzugeben“ und sich auf lokaler Ebene zu engagieren. Im Unterschied dazu versteht die sogenannte äquivalente Sicht auf CC die Konzepte von CC und CSR als synonym. Nach dieser Definition sind alle Gebiete der CSR Teil der CC, wobei zugleich eine breite Gruppe an Stakeholdern angesprochen wird. Eine so verstandene CC ist darauf ausgerichtet, ökonomische, rechtliche, ethische und philanthropische Dimensionen sozialer Unternehmensführung abzudecken. CC stellt nach dieser Definition gewissermaßen einen erneuerten CSR-Begriff dar. Die letzte und konzeptionell spannendste Definition von CC beruht jedoch auf der sogenannten umfassenden Sicht auf CC. Hierbei nimmt CC konzeptionelle Anleihen am liberalen Bürgerschaftsbegriff („Citizenship“) selbst. Dieser besteht wesentlich aus sozialen Rechten (englisch: social rights), die auf einem positiven Freiheitsbegriff (z. B. Freiheit Merksatz zur Partizipation) basieren und sich etwa auf Wohlfahrts-, Bildungs- oder Gesundheitsprogramme beziehen. Demgegenüber basieren Bürgerrechte (englisch: civil rights) auf einem negativen Freiheitsbegriff (z. B. Freiheit von staatlicher Intervention) und beziehen sich etwa auf das Recht der freien Rede oder das Recht auf Eigentum. Zuletzt kommt die umfassende Dimension der politischen Rechte (englisch: political rights) in den Blick. Hierunter sind die Rechte von Bürgern zu politischer Partizipation (z. B. der Kandidatur für ein öffentliches Amt, dem aktiven und passiven Wahlrecht usw.) zu verstehen. Nachdem diese Rechte im politischen Diskurs das Verhältnis von individuellen Bürgern zu Staaten und Regierungen regeln, können sie im Kontext der CC nicht einfach per Analogie auf Unternehmen übertragen werden. Vielmehr versteht sich CC in dieser umfassenden Definition als die Konzeption einer politischen Rolle von Unternehmen bezogen auf Bürgerrechte von Individuen. Dies ist insbesondere in Staaten mit schlechter Infrastruktur, geringem Pro-Kopf-Einkommen und schwachen politischen Institutionen von Bedeutung. Hinsichtlich sozialer Rechte stellen Unternehmen in solchen Ländern etwa Wohlfahrtsleitungen, Bildungsprogramme oder medizinische Versorgung bereit. Im Hinblick auf Bürgerrechte können Unternehmen auf lokale Regierungen einwirken und so ihre wirtschaftliche Stellung nutzen, um Bürgerrechte zu stärken. 83 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Mit Blick auf politische Rechte können Unternehmen – insbesondere in angeblich politikverdrossenen Industrieländern – politische Anliegen, die im Zuge von Protesten oder Boykotten an sie herangetragen werden, Merksatz kanalisieren und so zu deren Lösung beitragen. Während Unternehmen, die sich als Corporate Citizens begreifen, also soziale Rechte bereitstellen oder vorenthalten können, werden Bürgerrechte und deren Ausübung ermöglicht oder verunmöglicht. Im Hinblick auf politische Rechte können Unternehmen als Kanal für Bürgeranliegen dienen oder diese blockieren. Versteht man CC in dieser weiten, auf Bürgerschaft bezogenen Definition, wird insbesondere die Doppelrolle von Unternehmen als ökonomische und politische Akteurinnen betont. In einem gewissen Sinn ist CC dabei deskriptiv, da Unternehmen (vor allem in wirtschaftlich und infrastrukturell schwachen Ländern) de facto längst politische Akteurinnen sind. Aus normativer Perspektive hilft die umfassende Sicht der CC, Fragen der Globalisierung und der sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit im Kontext der Wirtschaftsethik zu adressieren. 149 Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass die Konzeption der Corporate Citizenship (CC) den CSR-Begriff seit den 1990er-Jahren ergänzt bzw. teilweise ablöst. Hierbei können jedoch drei unterschiedliche Zusammenfassung Definitionen von CC im Hinblick auf deren Beziehung zu CSR unterschieden werden. CC kann entweder als philanthropisches Engagement von Unternehmen verstanden werden (1). Nach dieser Definition ist CC deckungsgleich mit der letzten Dimension von Carrolls klassischem CSR- Modell. Demgegenüber kann CC auch gleichbedeutend mit CSR verschiedene ökonomische, rechtliche, ethische und philanthropische Dimensionen der sozial verantwortlichen Unternehmensführung bezeichnen (2). Nach dieser Definition sind CC und CSR Synonyme. Zuletzt versteht eine umfassende Definition von CC diese im Kontext von liberalen Konzepten der Bürgerschaft. Dabei können Unternehmen bezogen auf soziale Rechte (insbesondere in Ländern mit schwacher Infrastruktur) Wohlfahrtsleitungen, Bildungsprogramme oder medizinische Versorgung bereitstellen. Hinsichtlich der Bürgerrechte können Unternehmen zudem auf lokale Regierungen einwirken und so ihre wirtschaftliche Stellung nutzen, um Bürgerrechte zu stärken. Im Hinblick auf politische Rechte können Unternehmen politische Anliegen, die im Zuge von Protesten oder 149 Vgl. Crane/Matten, 2007, S. 70-79 84 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Boykotten an sie herangetragen werden, kanalisieren und so zu deren Lösung beitragen. 3.2. Private Governance und Collective Action Unternehmen werden vor dem Hintergrund ihrer gesamtgesellschaftlichen Rolle und der Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit zumeist ambivalent beurteilt. Einerseits begünstigen Unternehmen etwa die wirtschaftliche Entwicklung eines Standorts, schaffen Arbeitsplätze und tragen durch ihr Steueraufkommen zur Erhaltung und Verbesserung der Infrastruktur bei. Andererseits verursachen Unternehmen mitunter Umweltschäden durch ihre Geschäftstätigkeit oder erzeugen gesamtgesellschaftliche Schäden durch Korruption, Betrug oder Menschenrechtsverletzungen. Traditionell wird mit Bezug auf Milton Friedmans liberales Argument für eine strikte gesellschaftliche Aufgabenteilung zwischen Unternehmen und Regierungen plädiert. Dabei sind Regierungen für die Schaffung gesetzlicher Regelungen zuständig, da sie die „Spielregeln“ für wirtschaftliches Handeln festlegen. Im Gegenzug haben Unternehmen selbst keine soziale Verantwortung zu tragen, die über Merksatz die eigene Gewinnmaximierung hinausgeht. Aus normativer Perspektive wird CSR gerne als einfache Win-win-Situation beschrieben. Ähnlich wie im Nachhaltigkeitsbereich wird suggeriert, dass die Implementation von CSR-Maßnahmen in sozialer und ökologischer Hinsicht zumindest langfristig auch zu höheren Gewinnen führt. Dieser sogenannte „business case for corporate social responsibility“ 150 ist jedoch trügerisch. Einerseits haben einzelne Unternehmen, selbst wenn es sich um mächtige multinationale Konzerne handelt, meist nicht die Möglichkeit, alleine tiefgreifende Veränderungen bei sozialen Problemen herbeizuführen. Daher bleiben die Effekte von CSR-Maßnahmen häufig defizitär im Hinblick auf die damit adressierten Probleme. Andererseits werden Unternehmen in der Praxis häufig mit Win-lose-Szenarien konfrontiert. 150 Riegler et al., 2021, S. 178 85 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Dabei machen Unternehmen entweder Gewinne auf Kosten der Gesellschaft oder verlieren Geld zugunsten der Gesellschaft. Letztlich ist es durchaus möglich, dass Unternehmen, die spezielle CSR-Maßnahmen (wie etwa Merksatz aufgrund fehlender Arbeitsschutzbestimmungen die Produktion nicht in Niedriglohnländer zu verlagern) umsetzen, einen Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Mitbewerbern haben. Eine mögliche Lösung für diese Problemstellung besteht in der Teilnahme an sogenannten Collective-Action-Initiativen. Unter „Collective-Action-Initiativen“ versteht man die Zusammenarbeit von zwei oder mehr Unternehmen mit dem Ziel, Lösungen oder die Unterstützung von Lösungen hinsichtlich sozialer und ökologischer Merksatz Probleme im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Handeln zu formulieren. Als eine bekannte Form solcher Collective-Action-Initiativen kann die sogenannte Private Governance oder private Regulierung verstanden werden. Sie basiert auf der freiwilligen Kollaboration von Unternehmen und kann nach David Vogel als „voluntary, private, non-state industry and cross- industry codes that address labor practices, environmental performance, and human rights policies“ 151 verstanden werden. Dabei können Unternehmen private Regulierungsinitiativen starten, um etwa systemische Risiken (wie den Klimawandel) oder drohendes Markversagen zu regulieren. Insgesamt soll so ein neues „gemeinsames Spielfeld“ für die jeweilige Branche geschaffen werden. Ein besonders prominentes Beispiel für Private Governance ist der sogenannte Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh. Ausgangspunkt war der tragische Einsturz des Rana Plaza Gebäudekomplexes in einem Vorort von Dhaka. Im April 2013 wurden über eintausend Fabrikarbeiter getötet und mehr als zweieinhalbtausend verletzt. Der Komplex war ursprünglich als Einkaufs- und Bürogebäude geplant worden, wurde jedoch später ohne Baugenehmigung illegal um vier Stockwerke aufgestockt. Die meisten Fabrikarbeiter arbeiteten zum Zeitpunkt des Unglücks – indirekt über Subauftragnehmer – für führende westliche Bekleidungsmarken wie Benetton, H&M oder Mango. Obwohl die westlichen Marken keinerlei rechtliche Verantwortung für den Einsturz trugen, wuchs der öffentliche Druck auf die Unternehmen und die Anerkennung ihrer Verantwortung für Arbeitsrechte entlang den internationalen Lieferketten wurde gefordert. Um auf die öffentlichen 151 Vogel, 2010, S. 68 86 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Forderungen zu reagieren, gründeten die Unternehmen den Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh mit Beteiligung globaler Zwischenhändler, NGOs und Gewerkschaften. Die beigetretenen Unternehmen verpflichteten sich fortan, Sicherheitsprogramme für Textilarbeiter in Bangladesch zu finanzieren. Die dadurch geschaffene Regelung minimierte die Wettbewerbsnachteile für einzelne Unternehmen und schuf zugleich eine wirksame Maßnahme, um das systemische Problem der mangelnden Arbeitssicherheit in der Textilbranche Bangladeschs zu adressieren. Während dieses erste Beispiel einer erfolgreichen Private-Governance- Initiative primär auf soziale Verantwortung abzielt, wurde das sogenannte Forest Stewardship Council (FSC) primär unter ökologischen Gesichtspunkten ins Leben gerufen. In den 1980er-Jahren hatten öffentliche Proteste hinsichtlich der fortschreitenden tropischen Waldrodung stetig zugenommen. Der anhaltende öffentliche Druck und Boykottaufrufe in Europa und den USA zwangen holzverarbeitende Betriebe, schließlich das Problem anzuerkennen. Dies führte zu einer Reihe industrieinterner und mitunter dubioser Zertifizierungsversuche. Diese intensivierten die öffentliche Kritik nur weiter. Da ein kompletter Boykott tropischer Hölzer auch aus sozialen Gründen nicht erstrebenswert war (so waren etwa indigene Gruppen teils auf den Holzverkauf angewiesen), initiierten Umweltaktivisten eigene Zertifizierungen für ökologisch unbedenkliche Tropenholzgewinnung. 1993 gründeten Umweltorganisationen wie WWF und Greenpeace sowie Holzeinkäufer, Gewerkschaften und Vertreter indigener Gruppen das FSC. Im Laufe der Jahre hat das FSC einen eigenen Entscheidungsfindungsprozess mit einer gleichberechtigten Repräsentation von wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Interessen ausgearbeitet. 152 Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass die sogenannte Private Governance die freiwillige private Regulierung von nicht-staatlichen Akteuren, Unternehmen und anderen Stakeholdern zur Adressierung Zusammenfassung gesamtgesellschaftlicher, sozialer und ökologischer Probleme beschreibt. Im Zentrum stehen Probleme, die eng mit dem wirtschaftlichen Handeln von Unternehmen verbunden sind. Private-Governance-Initiativen sind Teil eines umfassenderen Konzepts von Collective Action im Unternehmenskontext. Sie sind rechtlich nicht bindend, sondern versuchen, systemische Risiken (wie den Klimawandel) oder drohendes Markversagen zu regulieren. Sie entstehen häufig als Reaktion auf äußere Kritik im Hinblick auf mangelhaft wahrgenommene soziale oder ökologische Verantwortung. Bekannte internationale Beispiele für erfolgreiche Private-Governance- 152 Vgl. Riegler et al., 2021, S. 178 ff. 87 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Initiativen sind etwa der Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh oder das Forest Stewardship Council (FSC). 3.3. Was ist Political Corporate Social Responsibility (PCSR)? Die zunehmende – auch aktivistische – öffentliche Forderung nach mehr unternehmerischer Verantwortung deutet auf eine sich verändernde öffentliche Wahrnehmung der Rolle der Wirtschaft bzw. der Unternehmen selbst hin. Anders als Milton Friedmans klassische Position, die jede politische oder soziale Verantwortung von Unternehmen mit Ausnahme der Verantwortung zur Gewinnsteigerung verneint, wird von Unternehmen heute erwartet, dass sie in einem viel umfassenderen gesellschaftlichen Sinne sozial verantwortlich handeln. 153 Die veränderte gesellschaftliche Wahrnehmung der Rolle von Unternehmen manifestiert sich auf verschiedene Weise. Sie zeigt sich etwa in einer verstärkten akademischen Diskussion über die Konzeption und die theoretischen Grundlagen von CSR sowie im Engagement von Unternehmen in breit angelegten Multi-Stakeholder-Initiativen, die auf die Entwicklung ökologischer und ethischer Standards abzielen. 154 In jüngerer Zeit haben einige CSR-Experten den latent immer schon vorhandenen politischen Aspekt von CSR besonders hervorgehoben und damit ein neues Forschungsgebiet begründet, welches sich explizit mit jener politischen Dimension von CSR auseinandersetzt. Diese Forschung wurde besonders durch die Arbeiten von Andreas Scherer und Guido Palazzo unter dem Begriff der Political Corporate Social Responsibility (PCSR) international bekannt. 155 Ähnlich wie CSR selbst, muss auch PCSR eher als theoretischer Oberbegriff verstanden werden. Tatsächlich ist der PCSR-Begriff in doppelter Hinsicht mit definitorischen Herausforderungen konfrontiert, da er sowohl auf einer komplexen und manchmal widersprüchlichen Definition von CSR aufbaut und sich zudem auf eine ebenso kontroverse Definition des Begriffs „politisch“ stützt. 156 Diese Kontroverse spiegelt sich zum Teil auch in der politisch-weltanschaulichen Kritik am PCSR-Begriff wider. So argumentieren etwa Carl Rhodes und Peter Fleming, dass die gegenwärtige Auffassung von PCSR als politisches Engagement von Unternehmen zur Lösung gesamtgesellschaftlicher 153 Vgl. Friedman, 1970; Scherer/Palazzo, 2007 154 Vgl. Pattberg, 2005 155 Vgl. u. a. Scherer/Palazzo, 2011 156 Vgl. Scherer et al., 2016 88 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Probleme mit einem Siegeszug neoliberaler Politik und dem Abbau demokratischer Strukturen gleichzusetzen sei. Hierzu Rhodes und Fleming: „The value of democracy is its insistence that political power rests, ultimately, in the hands of the people rather than a feudal lord, despot, monarch or corporate executive. (…) We live in a global economy where chronic inequality has been driven by deregulated markets and large corporations who have been helped by corporate- friendly governments. Academic PCSR’s insistence that we look to those very same corporations for the solution and cede even more power to them is reckless – no matter how much hope one puts in the democratic possibilities of deliberation and the corporation’s need for legitimacy. (…) In short, forget PCSR and remember democracy.“ 157 In Anbetracht dessen argumentieren jedoch Scherer und Palazzo, dass politische CSR als ein Engagement des Unternehmens in der politischen Sphäre verstanden werden muss. Hierbei kommen explizit ökologische und soziale Herausforderungen sowie Menschenrechtsthemen in den Blick. 158 Zudem betonen Scherer und Palazzo in demokratiepolitischer Hinsicht die Bedeutung der sogenannten deliberativen Demokratie. Diese leitet sich konzeptionell von der durch Jürgen Habermas formulierten Diskursethik ab, verwirft jedoch den idealistischen Zugang eines idealen Diskurses, den Habermas noch in seinem Frühwerk vertritt. Die deliberative Demokratie sieht die Verfasstheit des politischen Entscheidungsprozesses selbst als primäre Quelle der Legitimität. Im Unterschied dazu versteht die liberale Demokratietradition Legitimität primär als Output demokratischer Wahlen. 159 Demgemäß entwickeln Scherer und Palazzo eine umfassend- normative Konzeption von PCSR: „PCSR entails those responsible business activities that turn corporations into political actors, by engaging in public deliberations, collective decisions, and the provision of public goods or the restriction of public bads in cases where public authorities are unable or unwilling to fulfil this role. This includes, but is not limited to, corporate contributions to different areas of governance, such as public health, education, public infrastructure, 157 Rhodes/Fleming, 2020, S. 7 158 Vgl. Scherer/Palazzo, 2011 159 Vgl. Scherer/Palazzo, 2007, S. 1096-1120 89 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung the enforcement of social and environmental standards along supply chains or the fight against global warming, corruption, discrimination or inequality. These corporate engagements are responsible because they are directed to the effective resolution of public issues in a legitimate manner, often with the (explicit) aim of contributing to society or enhancing social welfare, and are thus not limited to economic motivations.“ 160 Gemäß diesem vorwiegend normativen PCSR-Begriff von Scherer und Palazzo geht die politische CSR über eine rein instrumentelle Sichtweise von CSR hinaus und trägt stattdessen zu einer umfassenden Konzeption globalen Politikverständnisses bei. Dieses neue politische Paradigma geht von der Annahme aus, dass die strikte Trennung zwischen privaten Unternehmen einerseits und nationalstaatlicher Verwaltung andererseits in einer globalisierten Welt nicht länger aufrechterhalten werden kann. 161 Konstitutiv für diesen gesellschaftlichen Wandel ist der Niedergang der sogenannten „westfälischen Weltordnung“, die sich durch starke nationale Behörden, die kulturell homogene Gruppen innerhalb ihres Territoriums regieren, auszeichnete. Dieser Niedergang hat zu einem Verlust der den Nationalstaaten zugeschriebenen Regelungsbefugnis und zu einer zunehmenden Zersplitterung der Befugnisse und Zuständigkeiten zwischen öffentlichen und privaten Interessenbereichen geführt. 162 Die Globalisierung wurde dabei zusammen mit der zunehmenden transnationalen Identität und Mobilität von Unternehmen als ernsthafte Bedrohung für die Souveränität der Nationalstaaten identifiziert. Dies führte zur Entstehung transnationaler privater Governance-Initiativen und damit zu einer großen Vielfalt an sogenannten freiwilligen „soft laws“, die das rechtlich verbindliche „hard law“ ergänzen. 163 Indem sie dieses Phänomen mit der Frage nach der Legitimität unternehmerischen und politischen Handelns verknüpfen, kommen Scherer und Palazzo zu dem Schluss, dass die Globalisierung nicht nur die kulturelle Deutungs- und Regulierungshoheit des Nationalstaats aufweicht, sondern darüber hinaus auch zu einer lebhaften Debatte über das grundlegende Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft führt. Hierbei ist insbesondere die Neukonzeption von Legitimität in der politischen Theorie bedeutsam. 164 160 Scherer et al., 2016, S. 276 161 Vgl. Scherer/Palazzo, 2011 162 Vgl. ebd. 163 Vgl. Djelic/Quack, 2018 164 Vgl. Palazzo/Scherer, 2006, S. 77 ff. 90 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Das Aufkommen der akademischen PCSR-Debatte wurde daher auch von Unternehmen als Reaktion beschrieben, um sogenannte Regulierungslücken (englisch: governance gaps) zu schließen. Merksatz Unter Regulierungslücken versteht man gesellschaftliche Probleme, zu deren Lösung (national-)staatliche Akteure entweder nicht in der Lage oder nicht willens sind. Seit Ende der 1980er-Jahre haben multinationale Unternehmen und ihre globalen Geschäftspartner von verschiedenen Arten von Regulierungslücken profitiert. Global agierende Unternehmen unterlagen weitgehend nicht dem verbindlichen internationalen Recht, da der internationale Charakter dieser Unternehmen es ihnen ermöglichte, nationale Vorschriften und Gesetze zu umgehen und realpolitischen Druck auf nationale Regierungen auszuüben. Diese Umstände haben dazu geführt, dass multinationale Unternehmen aufgrund ihres ständigen Bedarfs an Ressourcen und der Auslagerung von Arbeitskräften in sogenannte gescheiterte Staaten (englisch: failed states) besonders präsent sind. 165 Darunter sind jene Staaten zu verstehen, die aufgrund mangelnder Infrastruktur, hoher Korruption, ethischer Konflikte, Kriege etc. grundlegende Funktionen des Staatswesens nicht mehr erfüllen können. Infolge der schlecht regulierten und repressiven Umgebung solcher Staaten musste die gesetzliche Schranke als Grenze der legitimen Gewinnmaximierung, wie sie Friedman formuliert hatte, zugunsten eines umfangreicheren PCSR-Konzeptes aufgegeben werden. 166 Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass Political Corporate Social Responsibility (PCSR) ein wirtschaftsethisches und managementwissenschaftliches Konzept ist, welches den besonderen Zusammenfassung Charakter multinationaler Unternehmen zum Ausgangspunkt hat. Analog zum CSR-Begriff muss auch der PCSR-Begriff als Überbegriff mit verschiedenen konkreten Ausprägungen betrachtet werden, jedoch erfährt die politische Dimension der CSR und der Private Governance dabei besondere Beachtung. Diese Forschung wurde primär durch die Arbeiten von Andreas Scherer und Guido Palazzo initiiert. Scherer und Palazzo vertreten einen betont normativen PCSR-Begriff, der in demokratiepolitischer Hinsicht die Bedeutung der auf Habermas’ Diskursethik zurückgehenden deliberativen Demokratie betont. Kritiker des PCSR-Konzeptes sehen im politischen Engagement von Unternehmen zur Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme einen Siegeszug 165 Vgl. Scherer et al., 2016 166 Vgl. ebd. 91 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung neoliberaler Politik und den Abbau demokratischer Strukturen. Faktisch können jedoch multinationale Unternehmen gesetzliche Regelungen in einzelnen Staaten durch Verlagerung ihrer Geschäftsaktivität in eine andere Niederlassung meist effektiv umgehen. Zudem hat die weltweite Globalisierung die alte Ordnung der strikten Trennung von normgebenden (national-)staatlichen Akteurinnen und Unternehmen zunehmend erodiert. Das Aufkommen der akademischen PCSR-Debatte wurde daher auch als Reaktion von Unternehmen beschrieben, um sogenannte Regulierungslücken (englisch: governance gaps) zu schließen. Gerade die große Präsenz von multinationalen Unternehmen in sogenannten gescheiterten Staaten (also Staaten ohne faktische Regulierungsgewalt) macht die Konzeption von Private-Governance-Initiativen nötig. Hierbei wird zwischen staatlich bindendem „hard law“ und freiwilligem „soft law“ unterschieden. Vor dem Hintergrund mangelnder gesetzlicher Regulierung der gescheiterten Staaten muss die Aufgabenteilung von Unternehmen und Politik grundsätzlich neu gedacht werden. 7. Reflexionsfrage: Reflektieren Sie die Konzeption von Unternehmen als politische Akteure im Kontext der Political Corporate Social Responsibility (PCSR). Übung 4. Gesellschaftliche Verantwortung von Unter- nehmen und Führungskräften Das vorliegende Kapitel ist explizit mit der weiteren gesellschaftlichen Ver- antwortung von Unternehmen befasst. Hierbei wird zunächst der soziale und politische Aktivismus von Führungskräften und dessen Typologien skiz- ziert. Auch die Menschenrechtsverantwortung von Unternehmen wird vor diesem Hintergrund reflektiert und anhand ausgewählter Modelle und The- orien konzeptionell eingeordnet. Ebenso steht die gesellschaftliche und öko- logische Verantwortung von Unternehmen und Investoren im Kontext der ESG-Standards im Zentrum dieses Kapitels. Abschließend wird auf betont praxisorientierte Konzepte des fairen Handels sowie auf die Rolle der Ver- einten Nationen im internationalen unternehmerischen Handeln verwiesen. Hierbei orientiert sich das Kapitel an der bereits skizzierten grundlegenden Trias von sozialer, ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit. 92