Folien_Einheit11_Koch_Moodle PDF
Document Details
Uploaded by RiskFreeHarmonica
Universität Wien
Martin Daumiller,Hannelore Koch & Marko Lüftenegger
Tags
Summary
This document is a lecture presentation on Individual and Developmental Psychology, focusing on the foundations of learning and education. The topics covered include general aspects, autism spectrum disorders, anxiety disorders, depression, and social skills disorders. The presentation also includes information on risk and protective factors. The lecture slides provide background knowledge, development, and support opportunities for the most frequent mental health issues in childhood and adolescence. The document also offers practical measures for educational practice.
Full Transcript
VO Individuums- und entwicklungspsychologische Grundlagen von Bildung und Lernen Martin Daumiller Hannelore Koch & Marko Lüftenegger VO Individuums- und entwicklungspsychologische Grundlagen von Bildung und Lernen Auffälligkeiten...
VO Individuums- und entwicklungspsychologische Grundlagen von Bildung und Lernen Martin Daumiller Hannelore Koch & Marko Lüftenegger VO Individuums- und entwicklungspsychologische Grundlagen von Bildung und Lernen Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen II Auffälligkeiten im Verhalten Was wird Sie erwarten?! Keine/r ist wie der/die andere! So ist es im realen Leben und so ist es auch in Kindergruppen und Schulklassen. Um professionell handeln zu können, ist es wichtig, dass Lehrkräfte auf die Individualität der Schüler*innen eingehen können. Dies gilt auch für den Umgang mit Unterschieden im Denken, Verhalten und Erleben. Insbesondere diejenigen Schüler*innen, die als auffällig wahrgenommen werden benötigen Aufmerksamkeit, Entstigmatisierung und Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe am schulischen Alltag. Die Einheit vermittelt Hintergrundwissen, Verläufe und Unterstützungsmöglich zu den häufigsten psychischen Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter. Es werden Maßnahmen für den pädagogischen Alltag aufgezeigt. https://www.walterherzog.ch/cartoons/chancengleichheit/ [Abgerufen am: 08.10.2022] VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen |Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Überblick 1. Allgemeines 2. Autismus-Spektrum-Störung 3. Angststörungen 4. Depressionen 5. Störung des Sozialverhaltens Mag. Dr. Hannelore Koch & Mag. Dr. Nicole Hirschmann VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Psychische Gesundheit und Krankheit (Eder, Rebhandl & Gasser, 2011) Was bedeutet gesund sein? Mehr, als nicht krank zu sein Sich in seiner Haut wohlfühlen Frei von körperlichen Beschwerden Glücklich, zufrieden, selbstständig, selbstverwirklichend und ausgeglichen sein Mit den Anforderungen der Umwelt zurecht kommen Was bedeutet krank sein? Krank sein (biologische Ebene) Sich krank fühlen (persönliches Erleben) Sich krank zeigen (Wahrnehmung anderer) Was bedeutet „Psychisch Krank“? Auffälligkeiten in einem hohen Ausmaß Alltagsanforderungen können nicht mehr bewältigt werden Leidensdruck für Kind und/oder Familie Psychische Gesundheit und Krankheit 6 Psychische Erkrankungen sind nicht direkt auf eine Ursache zurückzuführen. Vielmehr ist ein Zusammenspiel von belastenden Lebenserfahrungen und biologischen, persönlichen und familiären Faktoren für die Entstehung von psychischen Erkrankungen verantwortlich. Abb. 1: Ursachen psychischer Erkrankungen. Nachdruck aus: www.psychenet.de[Zugriff am 01.10.2013] VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Risiko und Schutzfaktoren Belastungen Ressourcen Risikofaktoren Schutz- und Kompensationsfaktoren Kind: Umwelt: Kind: Umwelt: Körperliche Gesundheit Soziale Unterstützung/ Genetische Vorbelastung Familiäre Belastung Beziehungen Intelligenz Frühgeburt Psychische Krankheit der Eltern Positive Familiärer Zusammenhalt Körperliche Erkrankung Finanzielle Probleme d. Familie Persönlichkeitsmerkmale Gutes Schulsystem Erworbene Fähigkeiten Freundschaften Schwieriges Temperament Partnerschaftsprobleme Resilienz Positive Vorbilder Lern- und Kriminalität in der Nachbarschaft Entwicklungsstörungen Kritische Lebensereignisse Stress- und Überforderung (Petermann, 2008) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Auffälligkeiten und Probleme im Grundschulalter (6-12 Jahre) Entwicklungsaufgaben: Kind wird erstmals mit Leistungsanforderungen und Erwartungen konfrontiert. Die Anforderungen an Konzentration und Ausdauer bei geistigen Tätigkeiten steigen erheblich. Auch im sozialen Bereich wird das Kind mit neuen Aufgaben konfrontiert: Beziehungsaufbau und Konfliktlösung mit Gleichaltrigen. Die häufigsten Probleme und Auffälligkeiten in diesem Alter sind: Aufmerksamkeitsprobleme und Unruhe in der Schule und bei den Hausaufgaben Aggressives Verhalten ggü. Gleichaltrigen und oppositionelle Verhalten ggü. Eltern und Lehrkräften (manchmal verbunden mit Leistungsverweigerung) Ängste vor der Schule, vor Leistungen oder vor Mitschüler*innen und anderen Kindern Mangelndes Selbstvertrauen, das sich in Rückzug vor Gleichaltrigen und Erwachsenen zeigen kann 8 Döpfner & Petermann (2008) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Auffälligkeiten und Probleme in der Pubertät und im Jugendalter (ab 12 Jahre) Entwicklungsaufgaben: - Annahme des eigenen Körperbildes - Herstellung von Beziehungen zu Gleichaltrigen beiderlei Geschlechts - Aufnahme intimer Beziehungen - Ablösung von den Eltern - Auseinandersetzung mit Berufswahl und Berufsvorbereitung - Stärkung von Selbstvertrauen und Entwicklung des eigenen Wertsystems - Entwicklung von sozial verantwortlichem Verhalten Die häufigsten Probleme und Auffälligkeiten in diesem Alter sind: Dissoziale und delinquentes Verhalten (Stehlen, Schule schwänzen etc.) Alkohol- und Drogenmissbrauch Ängste Depression und Suizidalität Essstörungen (Anorexie, Bulimie, Adipositas) Döpfner & Petermann (2008) 9 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Aktuelle Klassifikationssysteme psychischer Störungen ICD-10 ICD-11 DSM-V International International Diagnostic and Statistical Classification of Statistical Manual of Classification of Diseases 11th Mental Disorders (5. Diseases and Related Revision Auflage) Health Problems Neuste Version 2022 Dominierende 10th Revision in Kraft getreten – Klassifikationssystem WHO mit 5-jähriger in den USA Übergangsphase American Psychiatric WHO Association (APA) (WHO, 2023) Autismus- Spektrum- Störung Definition: ASS wenig bzw. eingelernte wenig Blickkontakt, nicht an Beziehung zu Gleichaltrigen Gestik/Mimik, Körpersprache soziale Situation angepasst intensive/ungewöhnliche erschwert Interessen/Expertenwisse wenig Wechselseitigkeit, Schwierigkeiten im Verstehen, n Interessensteilung Erkennen und Ausdrücken von mangelnde Bindung an Anpassungsfähigkeit ungewöhnliche Objekte Gefühlen bei sich und anderen sowie bei der Gefühlsregulation zwanghafte ungewöhnliche Wortwahl, Rituale/Handlungen förmliche Sprache, Echolalie, Fantasiesprache, Verwechslung begrenzte, Auffälligkeiten in von du/er/sie/ich, auffällige Hypo-/Hypersensibilität repetitive und Sprachmelodie bei sensorischen Reizen stereotype gegenseitiger Verhaltensmuster sozialer immer gleichbleibendes , Interessen oder Interaktion und Spielverhalten, wenig repetitive/stereotype Kommunikation eigene Ideen, kein So- Bewegungen Aktivitäten tun-als-ob Spiel, wenig Fantasiespiel ungewöhnliche motorische stereotype Verwendung von Bewegungen: Manierismen Sprache, Wörtern und Phrasen mit Händen/Fingern kein/geringes Verständnis für Metaphern, Ironie, Sarkasmus 12 (Freitag et al., 2017) sprachliche und kognitive Entwicklung VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller ASS: Grundlagen Ursachen genetische Faktoren und Umweltfaktoren prä-, peri- und postnatale Komplikationen körperliche Erkrankungen Hirnschädigungen bzw. Hirnfunktionsstörungen biochemische Anomalien neuropsychologische und kognitive Basisdefizite Prävalenz steigende Prävalenzraten 1-2% weltweit (Freitag et al., 2017) 0.62-0.7 % weltweit (Kamp-Becker & Bölte, 2021) 0.9-1.1% (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V., 2015) Komorbiditäten sehr hohe Anzahl zusätzlicher psychischer (Angststörung, ADHS, Intelligenzminderung, Suizid) und organischer Erkrankungen (z.B. Epilepsie, genetische Syndrome) (Freitag et al., 2017; Kamp-Becker & Bölte, 2021; Schlitt, Berndt & Freitag, 2015: WHO, 2023) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller ASS im ICD-11 ICD-11: 6A02 Autism spectrum disorder Parent: 06 Mental, behavioural or neurodevelopmental disorders Neurodevelopmental disorders Description dauerhafte Einschränkungen der Initiierung und Aufrechterhaltung von sozialer Interaktion und Kommunikation sowie eingeschränkte, sich wiederholend und unflexible Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten Beginn üblicherweise in der frühen Kindheit; charakteristische Symptome können sich erst später vollständig manifestieren, wenn die sozialen Anforderungen die Fähigkeiten überschreiten persönliche, familiäre, erzieherische, sozialen, berufliche oder andere Funktionseinschränkung durchgängig in allen Bereichen zu beobachten; Variation, je nach sozialem, pädagogischem oder anderem Kontext möglich gesamte Breite intellektueller und sprachlicher Fertigkeiten (WHO, 2023) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller ICD-10 vs. ICD-11 Asperger Atypischer Autismus Frühkindlicher Autismus Autismus-Spektrum-Störung VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Verlauf (Schlitt, Berndt & Freitag, 2015) - nicht vollständig heilbar - durch Interventionen (Förderung der Selbständigkeit sowie der sozialen Interaktion und Motivation) kann die Symptomatik abnehmen - besonders bei höherem IQ und guten sprachlichen Fertigkeiten - repetitiv-stereotypes Verhalten und Beschäftigung mit Sonderinteressen nehmen ab - „autismusfreundlichkeit“ der Umgebung ist ein Indikator für Lebensqualität VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Ziele von Interventionen (Kamp-Becker & Bölte, 2021) Einbeziehung der Minderung oder Familie und des Modifikation der sozialen Umfeldes Symptomatik Aufbau konstruktiv, adaptiven Abbau störender & Verhaltens ( in Entwicklung angemessene beeinträchtigender Bewältigungs- Verhaltensweisen strategien) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Behandlungsprinzipien nach S3 Leitlinien (Kamp-Becker & Bölte, 2021) 1. Fallmanagement 2. Festlegung der Therapieziele: Therapieplanung mit kurz- und langfristigen Therapiezielen, Überprüfung 3. Auswahl der Interventionen (individuell, basierend auf einer diagn. Abklärung; parallel vs. hierarchisch) 4. Festlegung des Behandlungssettings (ambulant, teil- oder vollstationär, SPF, Beschäftigungsangebote) 5. Weitere Unterstützungsmöglichkeiten: Einbezug und Unterstützung der Familien, Kindergarten/Schule) 6. Verlaufskontrolle Dieses Vorgehen impliziert ein sehr strukturiertes, kleinschrittiges und zielorientiertes Vorgehen, das von der aktuellen klinischen Praxis erheblich abweicht, jedoch das große Potenzial besitzt, die Versorgung von Menschen mit Autismus deutlich zu verbessern. VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Schulische und berufliche Förderung (Freitag et al., 2017; Kamp-Becker & Bölte, 2021) alle Schulen kommen in Frage – kaum Spezialschulen im Einzelfall klären abhängig von sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten und den Möglichkeiten der Schule Förderschulen haben kleine Klassen und Rückzugsmöglichkeiten sowie Therapien Fachassistenz (stundeweise Begleitung) – von Einzelunterricht wird abgeraten Beratungslehrer*innen; Job-Coach und Alltagsassistenz VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Nachteilsausgleich Pletschko et al. (2022) Beeinträchtigung von Schüler*innen durch ihre Diagnose Durch Nachteilsausgleich sollen Schüler*innen im Unterricht und bei Leistungsnachweisen durch ihre Einschränkungen keine Nachteile gegenüber übrigen Mitschüler*innen entstehen Aufgabe der Schule ist es, die jeweilige Einschränkung entsprechend zu berücksichtigen und geeignete Maßnahmen umzusetzen ≠ Bevorzugung bestehenden Nachteil zu verringern erfolgreiches Lernen ermöglichen Schüler*innen können die erforderlichen Leistungen auf eine Art erbringen, die ihren Einschränkungen gerecht wird Art, Dauer und Umfang des Nachteilsausgleiches sollten individuell gestaltet werden, dass Schüler*innen chancengleich den (LegaKids Stiftung, n.d.) Leistungsanforderungen entsprechen können VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Nachteilsausgleich - Maßnahmen Leiss et al. (2020); Pletschko et al. (2022) Beim Nachteilsausgleich ist immer auf individuelle Beeinträchtigungen einzugehen Vorrangig durch Veränderungen der Umweltfaktoren: Zeitlich: angepasste Vorbereitungs-, Pausen- und Arbeitszeiten Räumlich: individuelle Arbeitsplatzorganisation (z.B. ablenkungsarme, geräuscharme Umgebung; separater Raum) Stärkere Gewichtung nicht benachteiligter Bereiche Personell: Assistenz (z.B. bei Arbeitsorganisation, Aufgaben vorlesen/erklären) Technisch: technische Hilfsmittel (z.B. Lesegerät, Laptop) Anhaltspunkte für die konkrete Umsetzung des Nachteilsausgleichs: 1. Normalität wo möglich – Hilfestellung wo nötig 2. Zielgerichtet & individuell (LegaKids Stiftung, n.d.) 3. Offen & transparent VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Nachteilsausgleich bei ASS Dachverband Österreichische Autistenhilfe (2019) Große Individualität des ASS-Störungsbildes Schüler*innen im Autismus-Spektrum stoßen im Schulalltag auf vielfältige Herausforderungen: Geringe Aufmerksamkeitsspanne Probleme der Graphomotorik undeutliche Handschrift, verringertes Schreibtempo Filterschwäche bei Reizen Verlieren in Details bei Ablenkungen oder unpräzisen Formulierungen Probleme bei der Strukturierung von Aufgaben und Handlungsabläufen Wortwörtliches Verständnis Probleme bei unpräziser Ausdrucksweise Langsamere Arbeitsgeschwindigkeit VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Nachteilsausgleich bei ASS - Maßnahmen Dachverband Österreichische Autistenhilfe (2019) Unterricht Zeit zum Abschreiben (von Tafel, Beamer, etc.) verlängern Hilfsmittel zur erhöhten Schreibgeschwindigkeit (z.B. Laptops, Tablets) Aufgabenstellungen auf die Tafel schreiben Arbeitsblätter durchnummerieren Gestaltung des Unterrichts hinsichtlich Vorhersehbarkeit, Strukturierung und Visualisierung Vorbereitung auf Veränderungen, Unterstützung bei Übergängen Materialien Übersichtliche Strukturierung (mehr Platz zwischen den Aufgaben) Hervorhebung wichtiger Informationen Wenig Ablenkung durch Grafiken oder Schmuckzeilen Prüfungen Eigener Raum/Einzelplatz Verlängerung der Prüfungszeit um 50% Präzise Formulierungen, Präzise Arbeitsaufträge VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Ratgeber – Autismus- Spektrum- Störungen 24 Angststörungen (©Lege & Grolimund, 2021) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Angststörungen Angst als Entwicklungsvorgang vs. –störung Angst oder Furcht als normale Reaktion auf akute oder vorgestellte Gefahren milde Intensität, altersspezifisch, vorübergehend Alter entwicklungstypische Ängste alterstypische klinisch relevante … gehören zu den häufigsten psych. Ängste Störungen unbekannte Personen, Trennung von 0 – 2 Jahre den Bezugspersonen … hoher Leidensdruck Tiere, Dunkelheit, Fantasiegestalten, Tierphobie 3-6 Jahre Alleine gelassen werden/verloren Blutphobie gehen; Einbrecher; Naturkatastrophen Trennungsangst … langfristig ungünstige Prognose schlechte schulische oder sportliche Prüfungsangst Leistungen, keine Luft bekommen, Schulphobie … werden oft nicht erkannt, werden selten 7-12 Jahre Feuer, Autos, tote Menschen, sich in Behandlungseinrichtungen vorstellig blamieren Ablehnung durch Gleichaltrige, soziale Soziale Angststörung … internalisierte Störung („stille“ Störung) 13-18 Jahre Ängste (Schneider & In-Albon, 2010; Schneider & Seehagen, 2013) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Angststörungen: Grundlagen Ursachen genetische Faktoren und Umweltfaktoren familiäre Häufung kognitive Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstile elterlicher Erziehungsstil und Lernen am Modell Prävalenz ca. 10% der Kinder und Jugendlichen in DE eine der häufigste Störungen de Kindes- und Jugendalters; Lebenszeitprävalenz zw. 14 und 29% 50% beginnen in der Kindheit bis zum 11. LJ. chronischer Verlauf Komorbiditäten hohe Komorbidität mit weiteren psychischen Störungen: weitere Angststörungen; Depression, somatoforme Störungen, substanzgebundene Störungen, somatische Erkrankungen; Schlafstörungen, Zwangsstörungen (AWMF, 2021; Schneider & Seehagen, 2014; Vloet & Romanos, 2021, Walitza & Melfsen, 2016) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Angststörungen im ICD-11 ICD-11: Anxiety or fear-related disorders Parent: 06 Mental, behavioural or neurodevelopmental disorders Description & Essential (Required) Features übermäßige Furcht und Angst und damit verbundene Verhaltensstörungen Symptome so schwerwiegend, dass sie zu erheblichem Leid und Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen führen Furcht: Reaktion auf wahrgenommene unmittelbare Bedrohung in der Gegenwart Angst: zukunftsorientiert, bezieht sich auf wahrgenommene erwartete Bedrohung Unterscheidungsmerkmal zwischen angst- und furchtbezogenen Störungen: störungsspezifische Befürchtungsschwerpunkte, d.h. der Reiz oder die Situation, der/die die Angst oder Furcht auslöst umfassen spezifische assoziierte Kognitionen, die bei der Unterscheidung zw. Störungen helfen (WHO, 2023) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Angst- oder furchtbezogene Störungen nach ICD-11 Kodierung Benennung Beschreibung 6B00 Generalisierte Angststörung ausgeprägte Angstsymptome für mind. mehrere Monate lang an mehr als einem Tag anhaltend äußert sich in allgemeiner oder übermäßiger Besorgnis alltäglicher Ereignisse mögliche Symptome: Muskelverspannungen oder motorische Unruhe, sympathische autonome Überaktivität, subjektives Erleben von Nervosität, Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der Konzentration, Reizbarkeit oder Schlafstörung führen zu erheblichem Leidensdruck oder Beeinträchtigung 6B01 Panikstörungen wiederkehrende, unerwartete Panikattacken auf nicht bestimmte Reize Symptome: Herzklopfen bzw. erhöhte Herzfrequenz, Schweißausbrüche, Zittern, Kurzatmigkeit, Schmerzen in der Brust, Schwindel oder Benommenheit, Schüttelfrost, Hitzewallungen,… Anhaltende Besorgnis des Wiederauftretens und Verhaltensweisen, um diese zu vermeiden (WHO, 2023) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Angst- oder furchtbezogene Störungen nach ICD- 11 Kodierung Benennung Beschreibung 6B02 Agoraphobie ausgeprägte und übermäßige Angst oder Beklemmung in Reaktion auf zahlreiche Situationen, die keine Flucht oder Hilfemöglichkeiten bieten befürchten negative Folgen (z.B. Panikattacken), aktives vermeiden der Situationen Symptome halten mehrere Monate an und führen zu einem erheblichen Leidensdruck oder Beeinträchtigungen 6B03 Spezifische Phobie ausgeprägte und übermäßige Furcht oder Angst gegenüber ausgesetzten oder zu erwartenden bestimmten Objekten oder Situationen führt zur Vermeidung der phobischen Objekte/Situationen bzw. intensiver Angst/Furcht Symptome halten mehrere Monate an und führen zu einem erheblichen Leidensdruck oder Beeinträchtigungen (WHO, 2023) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Angst- oder furchtbezogene Störungen nach ICD-11 Kodierung Benennung Beschreibung 6B04 Soziale Angststörung ausgeprägte und übermäßige Furcht oder Angst, in einer oder mehreren wiederkehrenden sozialen Situationen auftritt (z. B. bei sozialen Interaktionen, bei Handlungen, bei denen man sich beobachtet fühlt oder bei Auftritten vor anderen) Befürchtungen Angstsymptome zu zeigen, negativ bewertet zu werden, soziale Situationen werden vermieden bzw. mit Angst und Furcht ertragen Symptome halten mehrere Monate an und führen zu einem erheblichen Stress oder Beeinträchtigungen 6B05 Trennungsangst ausgeprägte und übermäßige Furcht oder Angst vor der Trennung bestimmter Bezugspersonen, Angst geht über das entwicklungsmäßig als normal angesehene hinaus Gedanken über Schäden und unangenehme Ereignisse, welchen den Bezugspersonen zustoßen könnten Abneigung zur Schule bzw. Arbeit zu gehen bzw. getrennt von der Bezugsperson zu schlafen, übermäßiger Kummer bei Trennung, wiederkehrende Albträume über die Trennung Symptome halten mehrere Monate an und führen zu einem erheblichen (WHO, 2023) Leid oder Beeinträchtigungen VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Angst- oder furchtbezogene Störungen nach ICD-11 Kodierung Benennung Beschreibung 6B06 Selektiver Mutismus anhaltende Selektivität beim Sprechen (in bestimmten sozialen Situationen zeigt das Kind angemessene Sprachkompetenz, in anderen spricht es konsequent nicht) mind. ein Monat lang anhaltend, nicht auf das erste Schulmonat eingeschränkt, Beeinträchtigung der schulischen Leistungen und soziale Kommunikation 6B0Y Andere spezifische Angststörungen 6B0Z Nicht näher bezeichnete Angststörungen (WHO, 2023) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Schulangst (Petermann & Petermann, 2010. S 392) = umschriebene Angst vor Personen oder Bedingungen, mit Schulbesuch insgesamt oder einzelnen schulischen Situationen assoziiert. Typisch: Angst vor Leistungssituationen: Prüfungen oder Tests, Aufgerufenwerden durch die Lehrkraft Angst vor soziale Anforderung: ungünstige Bewertungen durch Mitschüler*innen oder Lehrkräfte (Angst, abgelehnt zu werden); reale Bedrohungen (Übergriffe durch Mitschüler*innen). Spezifität: von global (der Schulbesuch an sich) bis hin zu sehr spezifisch (einzelne Interaktionen oder Situationen). 33 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Manifestationsebenen Physiologisch: kurzfristige körperliche Veränderungen von Leistungsängsten (Herzklopfen, Schwitzen, Erröten…) (Rost & Schermer, 1997, zit. nach Suhr-Dachs & Döpfner, 2005) Längerfristige körperliche Veränderungen (Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Übelkeit…) Kognitiv: Emotional: Beeinträchtigung des Unsicherheitsgefühl, aufgabenbezogenen Hilflosigkeitsaspekte, Denkens (insb. depressive Informationsaufnahme, Verstimmung und -verarbeitung und – Angstgefühle aktivierung) 34 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Kognitives Konzept für die Entstehung von Leistungsangst ,,Nicht die Situation löst die Angst aus, sondern die Gedanken in deinem Kopf.“ (Büch, Döpfner, & Petermann, 2015, S.27) Abbildung aus Büch, Döpfner, & Petermann, 2015, S.27 Abbildung aus Suhr-Dachs & Döpfner, 2005, S.153 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Entstehung von Leistungsangst Eltern: - Zu hohe Leistungsanforderungen - Leistungsabhängige Zuwendung - Negative Reaktionen auf schlechte Noten und überkritisches Verhalten - Verstärkung der Angst durch vermehrte Aufmerksamkeitszuwendung - Eigene Leistungsängste Gedanken des Kindes: - In der Leistungssituation: Negative Situations- und Selbstbewertung Lernverhalten des Kindes: - Allgemein: Negative Selbsteinschätzung, Mangelndes Lernverhalten überzogene gedankliche Beschäftigung mit Leistungsangst der eigenen Leistung (z.B. Grübeln über Fehler) Schlechte Schulleistungen Teilleistungsstörung Intellektuelle Überforderung 36 Aus: Suhr-Dachs & Döpfner (2005). Leistungsängste, THAZ, Band 1. Hogrefe: Göttingen. VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Behandlung von Leistungsangst Eltern: - Zu hohe Leistungsanforderungen - Leistungsabhängige Zuwendung - Angemessene Leistungsanforderungen - Negative Reaktionen auf schlechte Noten und - Angemessener Umgang mit schlechten Leistungen Entspannungstechniken - Abbau übermäßiger Kritik überkritisches Verhalten - Verstärkung der Angst durch vermehrte - Richtiger Umgang mit der Leistungsangst Aufmerksamkeitszuwendung - Eigene Leistungsängste Gedanken des Kindes: - In der Leistungssituation: Negative Situations- und Selbstbewertung Lernverhalten des Kindes: - Allgemein: Negative Selbsteinschätzung, Mangelndes Lernverhalten überzogene gedankliche Beschäftigung mit Leistungsangst der eigenen Leistung (z.B. Grübeln über Fehler) - Besseres Lernverhalten: Frühzeitig, regelmäßig, Informationsbeschaffung Schlechte Schulleistungen Angst-Killergedanken: ☺ Ich kann das schaffen ☺ Es kann nichts passieren - Behandlung von Teilleistungsstörungen ☺ Ich habe genug gelernt - Richtige schulische Platzierung Teilleistungsstörung Intellektuelle Überforderung 37 Aus: Suhr-Dachs & Döpfner (2005). Leistungsängste, THAZ, Band 1. Hogrefe: Göttingen. VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Umgang mit leistungsängstlichen Schüler*innen (vgl. Schuster, 2019) Abbau von leistungsbezogener Angst & Unsicherheit Behutsame Integration durch individuelle Ansprache Transparente Leistungs- und Prüfungssituationen Verhalten der Lehrkraft gerecht, berechenbar, hilfsbereit u. verlässlich Schrittweise Konfrontation/ Vermeidungsverhalten nicht unterstützen Verbale Anerkennung bei Konfrontation mit angstbesetzten Situationen wie z.B. Aufzeigen in der Klasse Klassendiskussion zu ,,Leistungsangst“ und ,,Konkurrenz/Rivalität“ Förderung einer kooperativen Klassenatmosphäre (z.B. durch Gruppenarbeiten; Regeln, dass niemand ausgelacht wird) Als Ergänzung zur Notenvergabe sollte ein individueller Leistungsverlauf berücksichtigt werden Zeitdruck vermeiden 38 Aus: Suhr-Dachs & Döpfner (2005). Leistungsängste, THAZ, Band 1 (S. 204). Hogrefe: Göttingen. VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Umgang mit leistungsängstlichen Schüler*innen (vgl. Schuster, 2019) Abbau von negativen Denkprozessen leistungsängstlicher SchülerInnen Berücksichtigung der individuellen Bezugsnorm bei der Leistungsbewertung Realistische und differenzierte Rückmeldung über Stärken und Schwächen Eindeutige und transparente Bewertungskriterien Ursachen- und Lösungsanalyse bei Leistungsproblemen, Förderung von aufgabenbezogener Aufmerksamkeit durch spezifische Unterrichtsgestaltung (Referate, Gruppenarbeiten) Vermittlung von Lernstrategien zur Aufgabenbearbeitung oder Prüfungsvorbereitung Reattribution durch adäquate Ursachenzuschreibung (Lernverhalten vs. Intelligenz) 39 Aus: Suhr-Dachs & Döpfner (2005). Leistungsängste, THAZ, Band 1 (S. 204). Hogrefe: Göttingen. VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Umgang mit leistungsängstlichen Schüler*innen (vgl. Schuster, 2019) Förderung des (außer-) schulischen Lernverhaltens Anleitung zur Vorbereitung von Leistungssituationen bezgl. Arbeitsplatz, Zeitaufteilung, Informationsbeschaffung Rechtzeitige Terminansage und eindeutige Information über Inhalte sowie Hilfestellungen bei der Lernorganisation Optimale Arbeitsplatzgestaltung in der Schule Bereitschaft und Offenheit des Lehrers, Fragen aufzugreifen und Unklarheiten zu klären Strukturierter Unterricht und Kompetenzerweiterung als übergeordnetes Ziel Überblick über Lernstoff und Aufteilung über das Jahr 40 Aus: Suhr-Dachs & Döpfner (2005). Leistungsängste, THAZ, Band 1 (S. 204). Hogrefe: Göttingen. VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Umgang mit sozial ängstlichen Schüler*innen Soziale Einbindung der Schüler*innen in den Pausen beobachten, positives Klassenklima fördern Betroffene Schüler*innen bei Mobbing direkt ansprechen und Lösungsmöglichkeit erarbeiten Mobbing und soziale Unterstützung als Unterrichtsinhalte aufgreifen Aktiv auf gezielte Durchmischung von Teilgruppen, Enge Zusammenarbeit mit den Eltern, von gegenseitigen Schulzuweisungen absehen Angst nicht ausreden, sondern ermutigen sich den angstbesetzten Situationen zu stellen Besprechen wie angstbesetzte Situationen bewältigt werden können Klare Ziele vereinbaren wie bspw., dass die/der Schüler*in sich jede Unterrichtsstunde einmal meldet Schrittweise Konfrontation mit angstbesetzten Situationen, beistehen (Büch, Döpfner, & Petermann, 2015, S. 45, 41 Schuster, 2019) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Angststörung Wann ist eine Therapie notwendig? Die Ängste die/der Schüler*in sind stark ausgeprägt und beeinträchtigen die Fähigkeit, Kontakte zu Gleichaltrigen oder zu anderen Personen zur knüpfen erheblich oder die Leistungsängste beeinträchtigen die schulische Leistungsfähigkeit des Kindes. Die/der Schüler*in leidet erheblich unter seinen/ihren Ängsten Die Probleme bestehen über viele Monate Die Probleme treten in verschiedenen Situationen auf. In der Familie gibt es noch andere massive Probleme (z.B. Partnerprobleme, eine psychische Störung eines anderen Familienmitglieds) Büch, Döpfner, & Petermann, 2015 42 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Behandlung bei Angststörungen (Schneider & In-Albon, 2010) Bearbeiten dysfunktionaler Psychoedukation Entspannungstraining Reizkonfrontationsverfahren Kognitionen Training sozialer Umfeldbezogene Medikamentöse Behandlung Kompetenzen Maßnahmen 43 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Ratgeber –Soziale Ängste und Leistungsängste 44 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Was ist Depression? Video: Ich hatte einen schwarzen Hund (dt. Übersetzung von Freunde fürs Leben) https://www.youtube.com/watch?v=1Ui A32Qv4yE [Zugriff am 23.04.2018] 45 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Depressive Störung – Definition ,,Depressionen sind psychische Störungen, die vor allem die Stimmung und Gefühlswelt eines Menschen, aber darüber hinaus auch weiter Teile seines Denkens und Verhaltens nachhaltig und längerfristig betreffen.“ Prävalenzen von 1,9 bis 3,4 % im Schulalter und 3,2 bis 8,9 % im Jugendalter Das Risiko eines Rückfalles nach einer symptomfreien Phase liegt bei 25% nach einem Jahr und 72% nach fünf Jahren Viele Merkmale können auch unauffällige Entwicklungserscheinungen sein, wie z.B. Trotz, Rückzug, Gereiztheit, deswegen… …müssen die Auffälligkeiten besonders ausgeprägt sein …müssen die Symptome im Alltag zu Beeinträchtigungen führen und einen Leidensdruck auslösen …müssen die Auffälligkeiten längere Zeit anhalten (seit mind. 2 Wochen) Die eine Depression, die bei jedem Betroffenen gleich verläuft und sich auf gleiche Weise äußert, gibt es nicht! (Groen, Ihle, Ahle, & Petermann, 2012, S. 11 ff.; Mehler-Wex & Kölch, 2008) 46 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Merkmale und Anzeichen einer Depression 1. Ungewöhnliche traurige Stimmung oder Reizbarkeit und Irritierbarkeit 2. Kaum Interesse oder Freude beim Spielen 3. Häufiges Weinen ohne ersichtlichen Grund 4. Wenig Energie und Antrieb, schnelle Ermüdbarkeit 5. Häufige und deutliche Langeweile 6. Schlechte Stimmung wird durch schöne Erlebnisse nicht verbessert 7. Rückzug und Passivität (Groen, Ihle, Ahle, & Petermann, 2012, S. 13) 47 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Merkmale und Anzeichen einer Depression 8. Geringes Selbstvertrauen (z.B. Überzeugung nicht geliebt zu werden) 9. Unbegründete Selbstvorwürfe oder Schuldgefühle 10. Entscheidungs- und Konzentrationsschwierigkeiten 11. Schlafschwierigkeiten oder hohes Schlafbedürfnis 12. Körperliche Beschwerden wie Bauch- oder Kopfschmerzen 13. Deutlich mehr oder deutlich weniger Appetit 14. Gedanken über den Tod oder Selbstmordabsichten (Groen, Ihle, Ahle, & Petermann, 2012, S. 13) 48 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Veränderungen der Symptome im Entwicklungsverlauf (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jungendpsychiatrie, 2007) Kleinkindalter (1-3 Jahre) - wirkt traurig - Ausdrucksarme Mimik - Erhöhte Irritabilität - Ess- und Schlafstörungen - Selbststimulierendes Verhalten (z.B. exzessives Daumenlutschen, genitale Stimulation, Jactatio capitis) - Auffälliges Spielverhalten: reduzierte Kreativität und Ausdauer, Spielunlust - Mangelnde Fantasie Vorschulalter (3-6 Jahre) - Trauriger Gesichtsausdruck, mangelnde Fähigkeit, sich zu freuen - verminderte Gestik und Mimik - leicht irritiert und stimmungslabil - introvertiertes und/oder aggressives Verhalten - Vermindertes Interesse an motorischen Aktivitäten - Essstörungen: Gewichtsverlust/ - zunahme - Schlafstörungen: Albträume, Ein- und Durchschlafstörungen 49 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Veränderungen der Symptome im Entwicklungsverlauf (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jungendpsychiatrie, 2007) Schulkinder - verbale Berichte über Traurigkeit - suizidale Gedanken - Befürchtung, dass Eltern nicht genug Beachtung schenken - Schulleistungsstörungen Pubertät- und - vermindertes Selbstvertrauen Jugendalter - Apathie, Angst, Konzentrationsmangel - Leistungsstörungen - zirkadiane Schwankungen des Befindens - Psychosomatische Störungen 50 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Manifestationsebenen Physiologisch: kurzfristige körperliche Veränderungen von Depression (Schlafprobleme, Müdigkeit, Appetit, Verlangsamung (Ihle, Greon, Walter, Esser & Petermann (2012) Längerfristige körperliche Veränderungen (Veränderung im Gehirnstoffwechsel, Stimmungs- und Antriebsregulation…) Kognitiv: Beeinträchtigung des Denkens (insb. Emotional: Trauer, Informationsaufnahme, Reizbarkeit, Langeweile -verarbeitung und – Freudlosigkeit aktivierung), negative Gedanken 51 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Entstehung von Depression Eltern: - Geringe Bindungsqualität zwischen Eltern und Kind - Geringe Empathie - Ablehnung und überkritisches Verhalten - Verstärkung der Depression durch vermehrte Aufmerksamkeitszuwendung - Eigene Depression oder psychische Erkrankungen Gedanken des Kindes: -Grübeln - Schuldgedanken Sozialverhalten des Kindes: - Katastrophenideen Verminderter Aktivität, Rückzug - Selbstabwertung Depression Passivität. Reizbarkeit - Hoffnungslosigkeit Verlusterlebnisse, schulische Probleme, Krankheiten, familiäre Probleme Überforderung Stress 52 Aus: Ihle, Greon, Walter, Esser & Petermann (2012, S.66) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Behandlung von Depression Eltern: - Förderliche Kommunikationsstrukturen und - Geringe Bindungsqualität zwischen Eltern und Kind Unterstützung - Geringe Empathie - Eingehen auf soziale und emotionale Bedürfnisse Entspannungstechniken - Ablehnung und überkritisches Verhalten - Wertvolle gemeinsam Zeit - Verstärkung der Depression durch vermehrte - Abbau übermäßiger Kritik Aufmerksamkeitszuwendung - Richtiger Umgang mit Selbstzweifel - Eigene Depression oder psychische Erkrankungen Gedanken des Kindes: -Grübeln - Schuldgedanken Sozialverhalten des Kindes: - Katastrophenideen Verminderter Aktivität, Rückzug - Selbstabwertung Depression Passivität, Reizbarkeit - Hoffnungslosigkeit - Aufbau und Förderung von Freizeitinteressen Verlusterlebnisse, schulische - Training sozialer Kompetenzen Probleme, Krankheiten, familiäre Probleme Hilfreiche Gedanken: ☺ Ich kann das schaffen ☺ Wir werden uns wieder versöhnen - Belastungen minimieren ☺ Jeder macht mal Fehler - Richtige schulische Platzierung Überforderung Stress 53 Aus: Ihle, Greon, Walter, Esser & Petermann (2012) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Umgang mit Traurigkeit, Rückzug und Depression 1. Sensibel sein für depressive Entwicklungen - Bei Auffälligkeiten sollte das Gespräch mit den Eltern gesucht werden 2. Stärken Sie die Beziehung zu den Schüler*innen - Lehrkräfte sollten Mitgefühl und Verständnis für negative Gefühle zeigen & die Bereitschaft äußern, über Sorgen zu reden. 3. Fördern Sie eine angenehme und kooperative Klassenatmosphäre - Ausgegrenzte Schüler*innen sollen integriert und nicht gemobbt werden 4. Überhöhte Ansprüche und negative Erwartungen relativieren - Lehrkräfte sollten Schüler*innen für anstehende Aufgaben ermutigen und helfen Misserfolge zu verarbeiten. 5. Traurige Kinder nicht zu sehr schonen, sondern Strukturen und Anforderungen konstant zu halten (enge Begleitung und Bearbeitung von Teilschritten möglich). 54 (Groen, Ihle, Ahle, & Petermann, 2012, S. 47) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Umgang mit Traurigkeit, Rückzug und Depression 6. Ermöglichen Sie Kindern mit depressiven Tendenzen Erfolgserlebnisse durch viel positive Rückmeldungen für kleine Erfolge und Loben der individuellen Stärken 7. Schüler*innen nicht abwerten oder bloßstellen 8. Psychische Gesundheit, Stress und Gefühle als Thema im Unterricht aufgreifen – z.B. Unterrichtseinheiten zum Umgang mit der Bewältigung von negative Gefühlen oder Stress gestalten 9. Überforderung mit den Eltern thematisieren – Gemeinsam mit den Eltern sollten Alternativen oder Fördermöglichkeiten erarbeitet werden. 10. Enger und wohlwollender Austausch mit den Eltern 55 (Groen, Ihle, Ahle, & Petermann, 2012, S. 47) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Ratgeber: Traurigkeit, Rückzug, Depression 56 Störung des Sozialverhaltens VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller SSV: Definition Definition anhaltende Verhaltensprobleme, die von trotzigem, ungehorsamem, provokativem oder boshaftem Verhalten bis zu Verhaltensweisen, welche die grundlegenden Rechte anderer oder wichtige altersrelevante gesellschaftliche Normen, Regeln oder Gesetze verletzen, reichen Oppositionelle Verhaltensstörungen meist gegenüber Erwachsenen keine massiv aggressiv-schädigenden Handlungen Aggressive Verhaltensstörungen verbal oder körperlich verletzendes Verhalten sowohl gegen Personen als auch Sachen Beginn typischerweise, aber nicht immer, in der Kindheit (WHO, 2022) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller SSV: Grundlagen Ursachen biopsychosoziale Sichtweise keine eindeutige Ursachenzuschreibung Prävalenz 1,5 % bis 7,1 % (starke Schwankung zwischen Studien) kontinuierlicher Anstieg aggressiven Verhaltens vom Kindes- zum Jugendalter deutlicher Rückgang nach dem Erwachsenenalter (ab 21. Lebensjahr) Komorbiditäten häufigste Komorbidität: ADHS (→ besonders problematischer Entwicklungsverlauf) 40 % haben komorbid eine Angststörung (günstigerer Entwicklungsverlauf) Depression: schwerwiegendere psychosoziale Folgen, Schulschwierigkeiten, höhere Suizidgefahr (Görtz-Dorten & Döpfner, 2019; Petermann et al., 2016) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller SSV im ICD-11 ICD-11: Disruptive behaviour or dissocial disorders 6C90 Oppositional defiant disorder 6C91 Conduct-dissocial disorder Parent: 06 Mental, behavioural or neurodevelopmental disorders Description 6C90 Oppositional defiant disorder 6C91 Conduct-dissocial disorder anhaltendes Muster von trotzigem, anhaltendes Muster von Verhalten, das die ungehorsamem, provokativem oder boshaftem grundlegenden Rechte anderer oder Verhalten altersrelevante gesellschaftliche Normen, häufiger als alters- und entwicklungstypisch; Regeln oder Gesetze verletzt (z.B. Aggression nicht auf Interaktionen mit Geschwistern gegen Menschen/Tiere, Zerstörung von beschränkt Eigentum, Diebstahl) nicht nur eine isolierte dissoziale oder kriminelle Tat deutliche Funktionsbeeinträchtigung (WHO, 2022) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Ausdrucksformen aggressiven Verhaltens (Petermann et al., 2016) Reaktiv-aggressive Kinder Proaktiv-aggressive Kinder Probleme, Handlungsabsichten der Führungsrolle unter Peers Interaktionspartner*innen zu erkennen Nutzen andere zu ihrem Vorteil aus Stark verzerrte soziale Wahrnehmung Versprechen sich durch aggressives → unterstellen Interaktionspartner Verhalten persönliche Vorteile Feindseligkeit Oft keine oder geringe elterliche häufig internalisierende Probleme Aufsicht (Ärger-, Wutregulation) Niedriger sozialer Status bei Peers, Viktimisierung Fehlende elterliche Wärme und Fürsorge VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Verlauf und Prognose (Petermann et al., 2016) Drei Verlaufsformen aggressiven Verhaltens Auf die Kindheit beschränktes aggressives Verhalten Im Jugendalter erstmals auftretendes aggressives Verhalten hält im Erwachsenenalter bei Männern an und bildet sich bei Frauen zurück Aggressives Verhalten, das in der Kindheit beginnt und chronifiziert Stabilität aggressiven Verhaltens ist besonders hoch bei frühem Störungsbeginn hoher Frequenz und Intensität des Verhaltens Vielfalt unterschiedlicher Verhaltensweisen Vielzahl betroffener Lebensbereiche VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Ätiologie (Petermann et al., 2016) Biopsychosoziale Sichtweise Keine eindeutige Biologische Ursachenzuschreibung Einflüsse SSV Psychische Soziale Einflüsse Einflüsse VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Ätiologie (Petermann et al., 2016) Biologische Genetische Einflüsse: erklären einen erheblichen Varianzanteil; insbesondere Einflüsse Empathie, Emotionalität und Sensationshunger sind moderat erblich Geschlechtsunterschiede: werden erst im Entwicklungsverlauf relevant; im Vorschulalter verfügen Mädchen über bessere Emotionsregulation Prä- und perinatale Risiken: Rauchen in der Schwangerschaft, sehr geringes Geburtsgewicht, Frühgeburt führen zu neurobiologischen Defiziten, die aggressives Verhalten und Vorläuferprobleme begünstigen können Weitere biologische Faktoren: niedriges Aktivitätsniveau (verminderte Herzfrequenz); reduzierte Serotoninaktivität VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Ätiologie (Petermann et al., 2016) Psychische Schwieriges Temperament: schnell irritiert, Selbstregulationsprobleme, erleben Einflüsse negative Emotionen besonders intensiv → Herausforderung für Eltern Sprachverständnis: erleichtert Regelverständnis, Emotionsregulation, Selbstkontrolle, Umsetzung exekutiver Funktionen, metakognitive Prozesse Niedrige Intelligenz: v.a. niedrige verbale Intelligenz, exekutive Funktionen, schlechte Schulleistungen als Prädiktor für aggressives Verhalten Verzerrte sozial-kognitive Informationsverarbeitung: Fokussieren auf provozierende Reize; Unterstellen von Feindseligkeit; konflikterhöhende Problemlöseansätze Unzureichende Emotionsregulation: unzureichende Impuls- und Emotionskontrolle; manchmal aufgrund von harschem Erziehungsverhalten / Misshandlung Empathie: unzureichendes Einfühlungsvermögen (v.a. proaktiv-aggressive Kinder) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Ätiologie (Petermann et al., 2016) Soziale Einflüsse Mangelnde Aufsicht durch die Eltern: Eltern zeigen wenig Interesse an kindlichen Aktivitäten, Kontrolle erfolgt wenn dann negativ (Tadel etc.) Erziehungsverhalten der Eltern: andauernde Familienkonflikte, Gewalt zwischen Eltern, wechselnde Bezugspersonen, mütterliche Stressbelastung Negative Erziehungspraktiken: Eltern-Kind-Konflikte, mangelnde elterliche Aufsicht, fehlende positive Anteilnahme Soziale Ablehnung durch Gleichaltrige: führt zu Freundschaften mit auffälligen Gleichaltrigen, wodurch sich Problemverhalten stabilisiert Einbindung in den Schulalltag: geringeres Interesse an Schule; Qualität des Unterrichts hat moderierende Rolle (klare, verbindliche Regeln) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Multimodale Behandlung (Döpfner & Petermann, 2012) Kindzentriert Die Multimodale Therapie setzt an mehreren Ebenen an, um eine höchstmögliche Effizienz und Effektivität zu gewährleisten. Sie entspricht am ehesten dem natürlichen Lernprozess und ermöglicht einen Transfer von gelernten Inhalten auf alltagsrelevante Lebensbereiche. Institutionszentriert Elternzentriert 67 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Behandlungsrichtlinien: Indikation und Setting (AWMF, 2016) Behandlungsmotivation zentral → Förderung der Motivation Auswahl der Behandlungsoptionen: Präferenz von Kind/Jugendlichem und Eltern/Bezugspersonen berücksichtigen Mögliche Therapiekomponenten Elterntrainings Interventionen in Kindergarten/Schule, Erzieher-/Lehrertrainings Patientenzentrierte Interventionen In der Regel ist eine ambulante Behandlung möglich Voraussetzung: Kooperationsbereitschaft von Patient*in und Hauptbezugsperson Familiäre und außerfamiliäre Belastungen sind zu beachten (Teil-)stationäre Behandlung Zumutbare Erreichbarkeit, Kooperationsfähigkeit/-möglichkeit des familiären Umfeldes Allgemeine Behandlungsprinzipien, ausreichend personelle Ressourcen VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Patientenzentrierte Interventionen (AWMF, 2016) Methoden Psychoedukation Modelldarbietung Interventionen zur Veränderung von aggressionsauslösenden Denkinhalten und von ineffizienten Problemlöseprozessen Methoden der Affektregulation Rollenspieltechniken, Verhaltensübungen inklusive Rückmeldung und Rollentausch Verstärkungstechniken Transfertechniken inklusive Selbstmanagementmethoden, Selbstreflektion, Übungen im natürlichen Umfeld, Einbeziehung von Eltern, Erzieher*innen, Lehrer*innen oder Gleichaltrigen VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Eltern- und familienzentrierte Interventionen (AWMF, 2016) Kognitiv-behaviorales Therapiekonzept Methoden Psychoedukation Verstärkertechniken Modelllernen Feedback: Insbesondere Rückmeldung von angemessenem Erziehungs- und Interaktionsverhalten (direkt, verbal, per Video) Übungen und Unterstützung von Verhaltensänderungen im natürlichen Umfeld, Einsatz von Transfertechniken inklusive Selbstmanagementmethoden Techniken zur Verbesserung der Konfliktlösung (einschließlich elterlicher Ärger- und Stressregulation) und Strategien zum Aufbau einer angemessenen familiären Kommunikation VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Institutionszentrierte Interventionen (AWMF, 2016) Trainings-/Unterrichtseinheiten zur Verbesserung der sozial- emotionalen und Problemlösekompetenz für 3- bis 7-jährige Kinder mit einem deutlichen Risiko zur Entwicklung einer SSV Erzieher*innentrainings, Lehrer*innentrainings Schulung pädagogischer Fachkräfte, orientiert an Elterntrainings Ziel: Verständnis für die Symptomatik verbessern, Erziehungsverhalten optimieren VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Umgang mit aggressivem Verhalten (Petermann et al., 2016) 1. Achten Sie darauf, welches Vorbild Sie für Schüler*innen darstellen und versuchen Sie eigene ungünstige Verhaltensweisen zu verändern (z.B. strafendes Verhalten, Kind beschimpfen). 2. Helfen Sie Schüler*innen, Konflikte mit anderen zu lösen, indem in einer ruhigen Situation die Lösungsmöglichkeiten und deren Vor- und Nachteile besprochen werden. 3. Helfen Sie Schüler*innen, bei Konflikten ruhig zu bleiben, indem besprochen wird, was das Kind tun kann, um sich zu beruhigen und dann erst zu handeln. 4. Achten Sie darauf, mit wem der/die Schüler*in regelmäßigen Kontakt hat, wenn es durch andere mit ähnlichen Schwierigkeiten zu problematischem Verhalten angeregt wird. Wichtig ist es, Alternativen anzubieten (z.B. Sport). 5. Schützen Sie Schüler*innen bei Regelverstößen NICHT vor den Folgen, sodass sie früh die Konsequenzen des eigenen Handeln tragen. VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Formen der Zuwendung Positive Zuwendung Bsp.: Anblicken, Loben, Fragen stellen, Kopf nicken u.a. das vorausgehende Verhalten des Kindes verstärkt wird; das heißt, es wird besonders hervorgehoben und dadurch gefördert! Deshalb tritt das Verhalten häufiger auf! Negative Zuwendung Bsp.: Ermahnen, Tadeln, Nörgeln, Schimpfen, Belehren, Vergleichen, Schreien, Drohen Das Verhalten, das man eigentlich verhindern will, wird stärker ausgeprägt! Keine Zuwendung Bsp.: Vermeiden von Blickkontakt, körperliche Distanz, sich abwenden, aus dem Zimmer gehen, keine Antwort geben Ohne Zuwendung rückt ein Verhalten in den Hintergrund und wird vermindert! 73 (Petermann, Döpfner, & Schmidt, 2008) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Umgang mit aggressivem Verhalten Positive Beziehung zum Schüler stärken, die durch Auseinandersetzung häufig belastet ist Klare Regeln und Grenzen aufstellen, die die Erwartungen bei den Schülern aber auch den Unterrichtsverlauf strukturieren Schüler loben bei positivem Verhalten, beim Einhalten von Regeln Sich konsequent verhalten, wenn Regeln übertreten werden → Aggressives Verhalten darf nicht zum Erfolg führen → Stillschweigende Zustimmung = Verstärkung von aggressiven Verhalten 74 (Petermann, Döpfner, & Schmidt, 2008) VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Konsequenzen … müssen in einem vernünftigen Verhältnis zum Schülerverhalten stehen … müssen vorher überlegt und den Schülern angekündigt worden sein … müssen sich direkt aus dem Problemverhalten ergeben, durchführbar und unmittelbar erfolgen Beispiele für natürliche Konsequenzen: - Wiedergutmachung (z.B. zerstörten Gegenstand wieder ersetzen) - Ausschluss aus der Situation (z.B. aus gemeinsamen Aktivitäten ausschließen) - Entzug von Privilegien - Einengung des Handlungsspielraums (bei jüngeren Kindern) 75 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Emotionsregulation (Dziobek & Stoll, 2019) Prozesse, die der mentalen Verarbeitung emotionaler Zustände dienen o Veränderung der Intensität oder zeitlichen Dauer von emotionalen Reaktionen o eigene Aktivierung bewusst machen, interpretieren und destabilisierende Ereignisse und Situationen bewältigen VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Emotionsregulation fördern Verständnis für die Probleme Ihres Kindes zeigen Trigger erkennen, die negativen Gefühlsausbrüchen vorausgehen Bestimmte Situationen, Interaktionen oder Konstellationen identifizieren – konkrete Anleitungen erarbeiten Anleiten beim Einsatz angemessener Strategien im Umgang mit Emotionen: In ruhiger Atmosphäre Lösungsmöglichkeiten besprechen Positive Verstärkung bei Regulationsversuchen Konkrete Regeln zur Entschärfung von häufigen Problemsituationen: WENN-DANN Kind helfen, Probleme zu lösen Kind helfen, Gefühle zu regulieren Selbst ruhig bleiben Angemessene Perspektivenübernahme schulen (Gedanken und Denkfallen) Grasmann, Legenbauer & Unterstützung bei der Wiedergutmachung Holtmann, 2018 Voraussetzungen für gesunden Schlaf fördern Offener Austausch mit weiteren Betreuungspersonen- gemeinsames Konzept erarbeiten 77 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Ratgeber – Aggressives Verhalten 78 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Literatur AWMF. (2016). Kurzfassung der evidenz- und konsensbasierten Leitlinie (S3) „Störungen des Sozialverhaltens: Empfehlungen zur Versorgung und Behandlung“. Abgerufen am 11.03.2022 von https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-020.html AWMF. (2021) S3-Leitlinie Behanldung von Angststörungen Version 2. Abgerufen am 23.04.2023 von https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051–028.html Büch, H., Döpfner, M., & Petermann, U. (2015). Ratgeber Soziale Ängste und Leistungsängste. Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher. Hogrefe: Göttingen. Dziobek, I., & Stoll, S. (2019). Hochfunktionaler Autismus bei Erwachsenen: ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Manual. Kohlhammer Verlag. Eder, S., Rebhandl, P. & Gasser E. (2011). Annikas andere Welt. Hilfe für Kinder psychisch kranker Eltern. Edition Riedenburg. Freitag, C. M, Kitzerow, J., Medda, J., Soll, S. & Cholemkery, H. (2017). Autismus-Spektrum-Störungen. Hogrefe. Görtz-Dorten, A. & Döpfner, M. (2019). Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV). Hogrefe: Göttingen. Grasmann, D.; Legenbauer, T. & Holtmann, M. (2018). Wütend, traurig und gereizt: Informationen zur Emotionsregulation für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher. Hogrefe Groen, G., Ihle, W., Ahle, M. E., & Petermann, F. (2012). Ratgeber Traurigkeit, Rückzug, Depression. Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher. Hogrefe: Göttingen. Kamp-Becker, I. & Bölte, S. (2021) Autismus (3. Aufl.). Ernst Reinhardt Verlag. Mehler-Wex, C., & Kölch, M. (2008). Depressive Störungen im Kindes- und Jugendalter. Deutsches Ärzteblatt, 105(9), 149-155. 79 VO Psychologische Grundlagen von Bildung und Lernen | Auffälligkeiten im Erleben, Verhalten & Lernen | PD Dr. Martin Daumiller Literatur Petermann, F. (Hrsg.) (2008). Lehrbuch der Klinischen Kinderpsychologie (4.Auflage). Hogrefe: Göttingen Petermann, F., Döpfner, M. & Görtz-Dorten, A. (2016). Aggressiv-oppositionelles Verhalten im Kindesalter (3. überarbeitete Aufl.). Hogrefe. Petermann, F. & Petermann, U. (2010). Schulangst. Monatlschr. Kinderheilkunde, 391-401 Petermann, F., Döpfner, M., & Schmidt, M. H. (2008). Ratgeber Aggressives Verhalten. Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher (2. Aufl.). Hogrefe: Göttingen. Petermann, F. & Resch, F. (2013). Entwicklungspsychopathologie. In F. Petermann (Hrg.). Lehrbuch der klinischen Kinderpsychologie (7. Auflage). Hogrefe: Pletschko, T., Leiss, U., Kutschera, A., & Höltl, F. (2022). Der Nachteilsausgleich bei Lernstörungen – Ein Balanceakt zwischen dem Wunsch nach Normalität und einem fairen Ausgleich krankheitsbedingter Nachteile. Psychologie in Österreich, 3, 246-253. Schneider, S. & In-Albon, T. (2010). Angststörungen und Phobien im Kindes- und Jugendalter. Evidenzbasierte Diagnostik und Behandlung. Psychotherapeut, 55, 525-540. https://doi.org/10.1007/s00278-010-0724-0 Schneider, S. & Seehagen, S. (2013). Angststörungen im Kindes- und Jugendalter. Psych up2date, 7, 361-372. http://dx.doi.org/10.1055/s-0033-1349649 Schlitt, S., Berndt, K. & Freitag, C. M. (2015). Das Frankfurter Autismus-Elterntraining (FAUT-E). Psychoedukation, Beratung und therapeutische Unterstützung. Kohlhammer. Schuster, B. (2019). Auffälligkeiten im Erleben und im Sozialverhalten. In D. Urhahne, M. Dresel, & F. Fischer (Hrsg.). Psychologie für den Lehrberuf. Berlin: Springer. S 587-601. Suhr-Dachs, L. & Döpfner, M. (2005). Leistungsängste. Therapieprogramm für Kinder und Jugendliche mit Angst- und Zwangsstörungen (THAZ), Band 1. Hogrefe: Göttingen. Wlaitza, S. & Melfsen, S. (2016). Angststörungen im Kindes- und Jugendalter. Abgrenzung zwischen beeinträchtigender Störung und Schüchternheit. Monatsschrift Kinderheilkunde, 164, 278-287. https://doi.org/10.1007/s00112-016-0041-y WHO. (2023). ICD-11 for Mortality and Morbidity Statistics (Version: 01/2023). https://icd.who.int/browse11/l-m/en 80