Einführung in die Medizinische Informatik Wintersemester 2024/25 – Teil 3 PDF

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Universität Siegen

2024

Prof. Dr. Kai Hahn

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medical informatics medical terminology medical language information retrieval

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This document provides an introduction to medical informatics, specifically focusing on the structure of medical information systems (including syntax, semantics and pragmatics). It explores the vocabulary used in medical communication and examples related to medical case studies. The target audience is likely university students with experience in related medical fields.

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Einführung in die Medizinische Informatik Wintersemester 2024/25 – Teil 3 uni-siegen.de Prof. Dr. Kai Hahn 4. November 2024 uni-siegen.de Ordnungssysteme und Datenstandards 4. November 2024 3.1 Einige Aspekte der medizinischen Linguisti...

Einführung in die Medizinische Informatik Wintersemester 2024/25 – Teil 3 uni-siegen.de Prof. Dr. Kai Hahn 4. November 2024 uni-siegen.de Ordnungssysteme und Datenstandards 4. November 2024 3.1 Einige Aspekte der medizinischen Linguistik Ganz wenige Grundlagen der Linguistik Unterschiedliche Betrachtungsweisen auf (natürliche oder formale) Sprachen – Syntax Struktureller Aufbau sprachlicher Einheiten Gewöhnlich definiert durch eine Grammatik Für natürliche Sprachen (einschl. Fachsprachen) oft schwer formalisierbar. – Semantik Bedeutung sprachlicher Ausdrücke (gewöhnlich losgelöst vom Kontext) – Pragmatik Einfluss von Kontext und Äußerungszusammenhang auf die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 4 Ganz wenige Grundlagen der Linguistik Beispiel Notausgang: Syntax – Rechteck, grün; weiße Elemente darauf; ein nach rechts gerichtetes bewegtes Männchen; ein nach rechts zeigender Pfeil; ein hoch stehendes Rechteck Semantik – Männchen = Bewegung; Pfeil = gibt die Richtung an (rechts) hochgestelltes Rechteck = bedeutet Tür, die in der Richtung liegt; Grün = Hinweis Pragmatik – In der Richtung ist der Notausgang zu finden und im Notfall soll man sich dorthin bewegen. EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 5 Medizinische Informatik und medizinischer Fachsprache? Intuitive Einschätzung der medizinischen Fachsprache: – Kurz – komplexe Zusammenhänge werden durch wenige Worte ausgedrückt. – Schwer verständlich – Komplizierte Wortkonstruktionen (eher als Satzkonstruktionen) erinnern wenig an natürliche Sprache. Warum ist das ein Problem für die medizinische Informatik? – Wenn Informatiksysteme zum Nutzen von Mediziner:innen zum Einsatz gelangen sollen, müssen diese in der Lage sein, mit medizinischer Fachsprache umzugehen. – Medizinische Informatik umfasst in diesem Sinne auch die automatisierte Verarbeitung von Sachverhalten, die in medizinischer Fachsprache formuliert sind (Medizinische Dokumentation). EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 6 Eigenschaften medizinischer Fachsprache Umfangreich – Allein in der Anatomie liegt die Anzahl der Fachtermini im sechsstelligen Bereich. Heterogene Wortstämme – Zum Teil deutsch, zunehmend auch englisch – Anatomie: Latein z.B. – Arteria renalis – Nervus oculomotoris – Krankheiten und Prozeduren: Griechisch z.B. – …itis (Entzündung) – …om(a) (Neubildung) – …tomie (best. chirurgische Eingriffe) EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 7 Eigenschaften medizinischer Fachsprache Mehrdeutige Orthographie – Durch Eindeutschung lateinischer Begriffe kommt es zu uneinheitlichen Buchstabenverschiebungen, z. B. Ulcus ventriculi vs. Magenulkus Collum uteri vs. Uteruskollum Nominalisierter Sprachstil – Syntaktisch einfach strukturierte Sätze und Terme mit Nominalphrasen, Passivkonstruktionen z. B. Im Röntgenbild zeigt sich eine Metastasierung der Lunge. Es besteht kein Verdacht auf Malignität. EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 8 Eigenschaften medizinischer Fachsprache Sprachökonomie – Nominalisierung, Neubildung von Adjektiven und Adverbien, teils lange Wortkombinationen z.B. – Adenokarzinom des Ovars mit Stenosierung des Sigmas und intraabdominaler Metastasierung. – Die Schleimhaut ist lymphomonozytär infiltriert. – Laryngotracheobronchitis Idiome und Metaphern – Neben dem strukturiert logischen Aufbau der latein/greichisch-stämmigen Termini findet man auch weniger logische bildhafte Metaphern. z.B. – Käsige Knoten – Galopprhythmus – Hirsekorn- bis erbsengroße Herde EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 9 Eigenschaften medizinischer Fachsprache Ambiguität – Bezüge sind bei knappen Formulierungen oft nicht eindeutig z.B. – Ich sehe den Mann mit dem Fernglas Synonymität – Oft verschiedene Möglichkeiten ein und denselben medizinischen Sachverhalt zu bezeichnen Vollsynonyme: Benennungen deckungsgleich, z.B. Blinddarmentzündung und Appendizitis. Quasisynonyme: Benennungen geringfügig unterschiedlich in ihrer Bedeutung, z.B. Pferd und Gaul. Teilsynonyme: Benennungen stimmen in wesentlichen Bereichen überein, sind aber nicht identisch, z.B. Gelbsucht und Hepatitis. EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 10 Eigenschaften medizinischer Fachsprache Schon früh entwickelten sich Bestrebungen zu einer strukturierten Herangehensweise an den Umgang mit medizinischer Fachsprache – Medizinische Ordnungssysteme Standardisierte Begriffssammlungen in verschiedenen Bereichen der medizinischen Disziplinen Eindeutigkeit der Begriffe unabhängig vom natürlichsprachlichen Einsatzkontext Verständlichkeit auch unabhängig von der die Kommunikation tragenden natürlichen Sprache (internationale Nutzbarkeit) Eröffnen eine technische einfache Möglichkeit der IT-basierten (automatisierten) Verarbeitung EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 11 3.2 Medizinische Ordnungssysteme Was sind medizinische Ordnungssysteme? Normierte und vereinheitlichte Begriffssysteme, die sowohl eine syntaktische als auch eine semantische Normierung von Begrifflichkeiten zur Nutzung in der medizinischen Dokumentation bereitstellen. Verwendung von Ordnungssystemen: – Austausch von Dokumenten zwischen unterschiedlichen Akteuren im Gesundheitssystem (z. B. Krankenhaus, Krankenkassen) – Semantisch eindeutige Bezeichnung medizinischer Sachverhalte Problem in der Pragmatik: Homonyme in verschiedenen Fachdisziplinen: – Bsp: HWI: Kardiologie: Hinterwandinfarkt, Urologie: Harnwegsinfektion – Eindeutige (sprachunabhängige) internationale Kommunikation EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 13 Nutzen medizinischer Ordnungssysteme? Bereitstellen einer einheitlichen Terminologie für eine Vielzahl von Benutzern mit unterschiedlichen Nutzungsprofilen und unterschiedlichem fachlichen Hintergrund. Einheitliche Formalisierung von Begriffen für nachgeordnete Verwendungszwecke – Qualitätssicherung, – Abrechnung, – Gesundheitsberichterstattung und Meldepflichten, – Forschung, – Verlaufskontrolle. Unterstützung der Interoperabilität medizinischer Informationssysteme – „Semantische Geschäftsprozessintegration“ Vereinfachung der Datenerfassung durch Auswahllisten … EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 14 Was kennzeichnet medizinische Ordnungssysteme? Behandelte Gegenstandsbereiche – Krankheiten – Prozeduren und Maßnahmen – Medizinisch relevante Sachverhalte allgemein Strukturen medizinischer Ordnungssysteme – Hierarchie Klassenbildung Klassen bezeichnen einen gemeinsamen Aspekt ihrer Elemente Klassen überdecken den Gegenstandsbereich vollständig und sind untereinander disjunkt – Anzahl semantischer Achsen Monoaxiale Ordnungssysteme: Nur ein semantisches Ordnungskriterium Multiaxiale Ordnungssysteme: Unterschiedliche Ordnungskriterien bilden jeweils eigene Klassifikation Heute auch komplexere vernetzte semantische Strukturen (Ontologien) – Schlüsselwerte (Codes) für jedes Element EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 15 ICD-10 International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems – Hervorgegangen aus dem internationalen Todesursachenverzeichnis von 1893 – Seit 1948 von der WHO als ICD herausgegeben – 1992 wurde die ICD-10 veröffentlicht. Einachsige, monohierarchische Klassifikation von Krankheiten Deutschsprachige Modifikation: ICD-10-GM Herausgegeben vom DIMDI, dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, Köln – NEU: ICD-11 Verabschiedet durch die WHO im Mai 2019 Einführung war 01.01.2022, dann flexible Übergangszeit von 5 Jahren Stufenplan für die Einführung in Deutschland noch unklar (Beta-Draft Übersetzung BfArM) Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICD/ICD-11/_node.html (08.02.2022) EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 16 Spiegel-Artikel von 2016 26 Deutsche sind 1980 – 2014 an den Folgen der Schwerelosigkeit gestorben? Wer sind die Toten? Gab es so viele Astronauten (bisher 12, 10 leben noch) ? Todesursachenstatistik 30 Mio. Totenscheine im Zeitraum Todesursache nach ICD9 codiert – E928.0: Tod durch längeren Aufenthalt in schwerelosem Zustand – E982.0: Tod durch Kraftfahrzeug-Abgase EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 17 ICD-10 Drei Bände – Band I: Systematisches Verzeichnis (Gliederung nach Schlüsseln) – Band II: Regelwerk (Anwendungsregeln) – Band III: Alphabetisches Verzeichnis (Gliederung nach Krankheitsbezeichnungen) Gliederung in – 22 Kapitel – 261 Krankheitsgruppen Einteilungs-Kriterien (=> semantische Bezugssysteme) – Topographie: Neubildungen topographisch nach Organsystemen – Ätiologie: z.B. Infektionskrankheiten ätiologisch nach Erregern – Pathologie: psychiatrische Erkrankungen nach Art der Krankheit Die Klassenbildung ergibt sich überwiegend durch die Prävalenz – häufig auftretende Krankheiten => eigene Klasse – seltene Krankheiten => vorhandener Klasse beigefügt EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 18 ICD-10 Kapiteleinteilung … EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 19 ICD-10 … Kapiteleinteilung EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 20 ICD-10 Aufbau der Schlüssel – Alphanumerisch – drei-, vier- oder fünfstellig M23.31 M: Krankheiten des Muskel- M23.31: Vorderhorn Skelett-Systems und des des Innenmeniskus Bindegewebes M23: Binnenschädigung M23.3: Sonstige des Kniegelenkes Meniskusschädigungen EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 21 ICD-10 Festgelegte Ein- und Ausschlusskriterien Doppelklassierung möglich – Grunderkrankung (+) ätiologischer oder pathologischer Aspekt – lokaler Manifestation (*) topologischer Aspekt ⇒ Kreuz-Stern-Klassierung Zusatzschlüssel – Ausrufezeichen (!) – Z.B. Diagnose "Humerusschaftfraktur" (S42.3) kann durch die Angabe "Offene Fraktur oder Luxation 1. Grades des Oberarms" (S41.87!) ergänzt werden EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 22 ICD-10 Beispiel EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 23 ICD-10 Beispiel EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 24 ICD-10 Beispiel EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 25 ICD-10 Beispiel EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 26 ICD-10 Beispiel der Kreuz-Stern- Klassierung EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 27 ICD-10 Zusatzklassifikation: Morphologie der Neubildungen (M-Achse) – Verwendung ergänzend zu den Schlüsseln aus Kap. II Neubildungen sechsstelliger Schlüssel Bsp.: M8051/3 – verruköses Karzinom o. n. A – bösartig [maligne], Primärsitz M8051/3 Codierung des pathologischen Kodierung der Neubildung Verhaltens EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 28 OPS Operations- und Prozedurenschlüssel – Dt. Modifikation der ICPM (International Classification of Procedures in Medicine) – Einachsige, monohierarchische Klassifikation von medizinischen Maßnahmen OPS ICPM EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 29 OPS EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 30 OPS Aufbau der Schlüssel – Kapitel , Maßnahme , Differenzierung [d] 5-362.d 5: Operationen 5-362.d: Bypass fünffach, durch Thoraktomie 5-362: Anlegen eines aortokoronaren Bypass 5-36: Operationen an den durch minimalinvasive Koronargefäßen Technik EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 31 OPS Beispiel EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 32 SNOMED Systematisierte Nomenklatur der Medizin – Gilt als mächtigste Nomenklatur in der Medizin und gewinnt zunehmend an Bedeutung – 1975 in den USA als Weiterentwicklung des SNOP (Systematized Nomenclature of Pathology) erschienen. – 1979 überarbeitete Version SNOMED II vom College of American Pathologists (CAP) herausgegeben. – 1984 von Friedrich Wingert wesentlich erweiterte deutsche Ausgabe der SNOMED II – 1993: SNOMED III (auch SNOMED international): Systematized Nomenclature of Human and Veterinary Medicine EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 33 SNOMED Kodierung medizinischer Sachverhalte – Verschlüsselung komplexer medizinischer Aussagen – Einsatzzweck: wiss. Auswertungen und Information Retrieval – SNOMED II: 7 semantische Achsen EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 34 SNOMED Aufbau von SNOMED II Kodierungen – Achsenbezeichnung (1 Buchstabe) – 5-stellige Duodezimale Zahl („X“ kodiert 10, „Y“ kodiert 11) Z.B. Harnwegsinfektion, Lokalisation nicht näher bezeichnet: T70100, D00700, DY1614 – Informationsqualifikatoren zur genaueren Beschreibung: – z.B. Familienvorgeschichte (FH) Hauptbeschwerde (CC) Verdachtsdiagnose (SD) FH D23810 bedeutet Diabetes in der Familie CC F02010 Kolik als Hauptbeschwerde. EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 35 SNOMED Beispiel: Kompletter medizinischer Sachverhalt: Ein Schiffskoch (J53150) wird mit den Symptomen Fieber (F03003), Schüttelfrost (F03260) und Diarrhoe (F62400) als Notfall in ein Krankenhaus aufgenommen (P00300). Dort wird eine akute Entzündung (M41000) der Schleimhaut des Magens (T63010) und des Dünndarms (T64000), hervorgerufen durch Salmonella cholerae-suis (E16010), festgestellt und als Gastroenteritis paratyphosa (D01550) diagnostiziert. M41000 T63010 T64000 E16010 F03003 F03260 F62400 D01550 P00300 J53150 EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 36 SNOMED Erweiterungen der semantischen Achsen in SNOMED III – Untergliederung der Achse Ätiologie (E) in L: lebende Organismen C: Chemikalien, Medikamente und biologische Produkte A: physikalische Agenzien, Aktivitäten und Kräfte – Neue Achsen S: soziales Umfeld G: allgemeine Modifikatoren – D-Achse mit ICD-O* und ICD-9-CM** harmonisiert * International Classification of Deseases for Oncology ** ICD-9-Clinical Modification EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 37 SNOMED SNOMED-CT – SNOMED Clinical Terms – Übergang von einer mehrachsigen Hierarchie auf eine Ontologie medizinischer Fachbegriffe. – Basiert konzeptionell auf Aspekten relationaler Datenbanken. – Will eine formale sprachunabhängige terminologische Basis für die elektronische Patientenakte schaffen. – Wird in Deutschland als Standard für medizinische Informationsobjekte (MIOs) in der seit Anfang 2021 von den gesetzlichen Krankenversicherungen angebotenen elektronischen Patientenakte (ePA) genutzt. EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 38 SNOMED EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 39 SNOMED EMI - Vorlesung Teil 3 – 2024/25 40 Vielen Dank Prof. Dr. Kai Hahn Am Eichenhang 50 57076 Siegen [email protected] Einführung in die Medizinische Informatik 4. November 2024 41

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