Einführung in Game Design PDF

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2024

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This document is an introduction to game design. It covers the history of games, the role of a game designer, and concepts like game experience and monetization. The document also includes a table of contents, an introduction, and literature recommendations.

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EINFÜHRUNG IN GAME DESIGN DLBGDEG01 EINFÜHRUNG IN GAME DESIGN IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D-86675 Buc...

EINFÜHRUNG IN GAME DESIGN DLBGDEG01 EINFÜHRUNG IN GAME DESIGN IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D-86675 Buchdorf [email protected] www.iu.de DLBGDEG01 Versionsnr.: 001-2024-0208 N.N. © 2024 IU Internationale Hochschule GmbH Dieses Lernskript ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Lernskript darf in jeglicher Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung der IU Internationale Hochschule GmbH (im Folgenden „IU“) nicht reproduziert und/oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet wer- den. Die Autor:innen/Herausgeber:innen haben sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, die Urheber:innen und Quellen der verwendeten Abbildungen zu bestimmen. Sollte es dennoch zu irrtümlichen Angaben gekommen sein, bitten wir um eine dement- sprechende Nachricht. 2 INHALTSVERZEICHNIS EINFÜHRUNG IN GAME DESIGN Einleitung Wegweiser durch das Studienskript................................................. 6 Literaturempfehlungen............................................................ 7 Übergeordnete Lernziele.......................................................... 9 Lektion 1 Geschichte des Spiels 11 1.1 Klassische Regelspiele........................................................ 15 1.2 Videospiele.................................................................. 18 Lektion 2 Game Designer als Beruf 29 2.1 Fähigkeiten................................................................. 31 2.2 Rolle........................................................................ 34 2.3 Team....................................................................... 40 2.4 Prozesse der Spieleentwicklung............................................... 42 2.5 Bekannte Game Designer und ihre Werke...................................... 48 Lektion 3 Entwickeln der Spielidee 53 3.1 Innovation und Inspiration.................................................... 54 3.2 Methoden der Ideenfindung.................................................. 60 Lektion 4 Emotion und Motivation 65 4.1 Emotionen – Was ist Spaß?................................................... 67 4.2 Genre und Zielgruppen....................................................... 72 Lektion 5 Spielerlebnis/Experience 79 5.1 Setting und Storytelling...................................................... 81 5.2 User Experience/Look & Feel.................................................. 91 3 Lektion 6 Regeln und Mechaniken 99 6.1 Gameplay Modes........................................................... 100 6.2 Struktur des Spiels.......................................................... 104 6.3 Spielmechanik............................................................. 110 Lektion 7 Business und Vermarktung 117 7.1 Monetization............................................................... 119 7.2 Marketing.................................................................. 129 7.3 Community................................................................ 136 Verzeichnisse Literaturverzeichnis............................................................. 144 Abbildungsverzeichnis.......................................................... 153 4 EINLEITUNG HERZLICH WILLKOMMEN WEGWEISER DURCH DAS STUDIENSKRIPT Dieses Studienskript bildet die Grundlage Deines Kurses. Ergänzend zum Studienskript stehen Dir weitere Medien aus unserer Online-Bibliothek sowie Videos zur Verfügung, mit deren Hilfe Du Dir Deinen individuellen Lern-Mix zusammenstellen kannst. Auf diese Weise kannst Du Dir den Stoff in Deinem eigenen Tempo aneignen und dabei auf lerntypspezifi- sche Anforderungen Rücksicht nehmen. Die Inhalte sind nach didaktischen Kriterien in Lektionen aufgeteilt, wobei jede Lektion aus mehreren Lernzyklen besteht. Jeder Lernzyklus enthält jeweils nur einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt. So kannst Du neuen Lernstoff schnell und effektiv zu Deinem bereits vorhandenen Wissen hinzufügen. In der IU Learn App befinden sich am Ende eines jeden Lernzyklus die Interactive Quizzes. Mithilfe dieser Fragen kannst Du eigenständig und ohne jeden Druck überprüfen, ob Du die neuen Inhalte schon verinnerlicht hast. Sobald Du eine Lektion komplett bearbeitet hast, kannst Du Dein Wissen auf der Lernplatt- form unter Beweis stellen. Über automatisch auswertbare Fragen erhältst Du ein direktes Feedback zu Deinen Lernfortschritten. Die Wissenskontrolle gilt als bestanden, wenn Du mindestens 80 % der Fragen richtig beantwortet hast. Sollte das einmal nicht auf Anhieb klappen, kannst Du die Tests beliebig oft wiederholen. Wenn Du die Wissenskontrolle für sämtliche Lektionen gemeistert hast, führe bitte die abschließende Evaluierung des Kurses durch. Die IU Internationale Hochschule ist bestrebt, in ihren Skripten eine gendersensible und inklusive Sprache zu verwenden. Wir möchten jedoch hervorheben, dass auch in den Skripten, in denen das generische Maskulinum verwendet wird, immer Frauen und Män- ner, Inter- und Trans-Personen gemeint sind sowie auch jene, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen oder können. 6 LITERATUREMPFEHLUNGEN ALLGEMEIN Schell, J. (2016): Die Kunst des Game Designs: Bessere Games konzipieren und entwickeln. 2. Auflage, mitp, Bonn. Fullerton, T. (2018): Game Design Workshop: A Playcentric Approach to Creating Innovative Games. 4. Auflage, AK Peters/CRC, Wellesley. LEKTION 1 k. A. LEKTION 2 k. A. LEKTION 3 Kelley, D/Kelly, T. (2013): Creative Confidence. Crown Business, New York, S. 12–37. LEKTION 4 Koster, R. (2013): A Theory of Fun for Game Design. 2. Auflage, O’Reilly, Sebastopol, S. 12– 48. LEKTION 5 Schreiber, I. (2010): Game Balance Concepts. Level 1: Intro to Game Balance. (Im Internet verfübar). LEKTION 6 Zimmerman, E./Salen, K. (2013): Rules of Play: Game Design Fundamentals. MIT, Cam- bridge (USA), S. 121–127. LEKTION 7 Schell, J./Feilen, M. (2016): Die Kunst des Game Designs [electronic resource] : Bessere Games konzipieren und entwickeln. MITP, Frechen, S. 497–573. 7 Rehfeld, G. (2014): Game Design und Produktion. Carl Hauser, München, S. 194–212. 8 ÜBERGEORDNETE LERNZIELE Der Kurs Einführung in Game Design gibt eine breite Einführung in die zentralen Bestand- teile der Spieleentwicklung aus Sicht des gestaltenden Game Designer. Er zeigt den histo- rischen Wandel und gibt einen Einblick in die Arbeitsumgebung des Game Designer. Der Schwerpunkt des Kurses liegt auf der Emotion und Motivation des Spielers, der Erlebnis- ebene (Experience) und der Spielmechanik. Abschließend führt der Kurs in die Vermark- tung von Spielen ein, welche mit dem Game Design verbunden ist. Diese Reise durch die Spieleentwicklung verschafft den Studierenden einen Überblick, damit sie die weiteren Inhalte des Studiums in einen Zusammenhang setzen können und verstehen, wie abwechslungsreich Game Design ist. 9 LEKTION 1 GESCHICHTE DES SPIELS LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – warum der Spielbegriff schwierig einzugrenzen ist. – welche Beispiele es für Regelspiele aus der frühen Geschichte gibt. – welches die Anfänge des Videospiels sind. – worin die wichtigsten Unterschiede von Videospielen zu klassischen Regelspielen lie- gen. 1. GESCHICHTE DES SPIELS Einführung Game Design bedeutet das Gestalten eines Erlebnisses, welches ein Spieler erfährt. Es ist ein Begriff, der durch die US-Videospielindustrie geprägt wurde, aber Spiele an sich gehö- ren seit jeher zur Kultur des Menschen. Der Begriff des „Spiels“ wird weitläufig in allen Sprachen der Welt verwendet. Er beschreibt aber sehr unterschiedliche Phänomene und Handlungen. Eine Vielzahl an Bedeutungen von Spiel zeigt folgendes Beispiel: ROMANTISCHES SPRACHSPIEL VON JÜRGEN FRITZ: „Spielend leicht kamen sie einander näher, als sie sich ein spannendes Fußball- spiel ansahen. Dann spielten sie mit der Fernbedienung ihres Fernsehgeräts und verfolgten eine spannende Szene aus dem Spielfilm ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘. In einem Pokerspiel wurde ein Falschspieler entlarvt und gleich darauf erschossen. Darauf beschlossen sie, einen Spaziergang am See zu machen und dem Spiel des Windes und der Wellen zuzusehen. Versonnen spielte sie mit ihren blonden Haaren, währen er mit dem Gedanken spielte, sie durch Worte und Taten für sich zu gewinnen. Er sprach, wie in vielen Spielszenen schon gesehen, von Liebe und Treue. Sie fand Gefallen an seinen Wortspielen, dachte aber insgeheim, dass er mit ihr spielen wolle und nur auf ein Liebesspiel aus wäre. Aus dem Spiel wurde Ernst, und Ernst ist schon zwei Jahre alt. Er spielt mit den Nerven seiner Mutter, weil er so gerne Verstecken spielt und nicht nur seine Spielsachen zu ungewöhnlichen Plätzen trägt, an denen sie niemand vermutet: für seine Mutter ein böses Spiel. Sein Vater, ein professioneller Spieler, sitzt derweil in Spielcasinos und verspielt beim Roulette sein letztes Geld, frei nach dem Motto, dass der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt und er nur dort spielt, wo er ganz Mensch sein darf. Als er seinen letzten Spieleinsatz wagt, denkt er bei sich: ‚Das Leben ist ein Spiel, und wer es recht zu spielen weiß, gewinnt auch mal im Spiel‘“ (Fritz 2004, S. 14). Im Text wird deutlich, dass Spiel vieles sein kann: eine Beschreibung der Bewegung des Wassers bis hin zu geplanten menschlichen Handlungen. Aber wie ist das Spiel genauer einzugrenzen, sodass es weniger beliebig und relevanter für das Game Design wird? 12 Begriffe im Game Design Während im Englischen die Trennung des Spiels vom Regelspiel durch die Begriffe „Play“ und „Game“ vorgegeben ist, lohnt sich im Deutschen eine Erklärung zur Unterscheidung der beiden „Spiel“-Begriffe. In den Game Studies oder der Ludologie wird sich tiefer mit Game Studies den Bedeutungen auseinandergesetzt, der folgende Abschnitt erläutert nur einige grund- Die Game Studies oder Ludologie ist die Lehre legende Begriffe und Definitionen. vom Spiel. Im Englischen wird der Begriff meist nur für Videospiele verwen- det, während er im Deut- schen alle Formen des BEGRIFF GAME STUDIES Spiels umfasst. „Das Wichtigste aber für den psychologischen Gewinn aus der Deutung des Wor- tes fließt eben daraus, daß [sic!] spielen eine Bewegung bezeichnet, welche in sich selbst zurückkehrt, zu seinem Ziele hinstrebt. Von Wassern, die den Strom hinabfließen, sagt man nicht ‚sie spielen‘, sondern eben nur von den in Grenzen hin- und herschwebenden Wellen oder von den im engen Bezirk sich erheben- den und senkenden Wassern des Springbrunnens. Hiermit nun ist der eigentliche Kernpunkt im Charakter des Spiels ausgespro- chen; es ist freie, ziellose, ungebundene, in sich selbst vergnügte Thätigkeit [sic!]“ (Lazarus 2019, S. 23) Auch wenn diese phänomenologische Sichtweise grundlegend richtig ist, beschränkt sich das Game Design auf die Handlung des Menschen. Und selbst dabei ist es sinnvoll, noch konkretere Einschränkungen zu machen, denn das Spiel besitzt Ausprägungen, die in der Pädagogik, Soziologie und Psychologie unterschiedlich betrachtet werden und nicht direkt Einfluss auf die Gestaltung von Spielen haben. So hat Johan Huizinga als Kulturhis- toriker mit seinem Buch „Homo Ludens“ 1937 einige grundlegende Merkmale des Spiels aus seiner kulturellen Bedeutung heraus bestimmt: „eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber [sic!] hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘“ (Huizinga 2017, S. 37). Zwanzig Jahre später beschreibt der französische Soziologe und Philosoph Roger Caillois das Spiel in vier Grundformen: agon (Wettkampf), alea (Zufall), ilinx (Rausch) und mimikry (Maskierung) (Caillois 2017). 13 Caillois sieht häufig eine Kombination dieser Grundformen im Spiel und ergänzt sie um die Ausprägung zwischen paidia, der freien, regellosen und ungezügelten Freude und ludus, dem künstlich strukturierten und regelbedingten Spiel. Die vier Grundformen aegon, alea, ilinx und mimikry von Caillois stellen die erste Form eines Werkzeugs dar, mit dem der Game Designer sein Produkt auf einen bestimmten Typus von Spieler ausrichten kann. Sie bilden die Grundlage für spätere Definitionen, die den Begriff Spaß oder Fun differenziert beschreiben wollen. Auch das Konzept von paidia und ludus hilft dem Game Designer, seine Arbeit einzuord- nen. Auf der einen Seite steht das Spielzeug, welches meist eine freie und ungezwungene körperliche Ausprägung besitzt und dem gegenüber das stark geleitete Simulationsspiel, welches über Regeln und Struktur einen engen Handlungsrahmen vorgibt (Caillois 2017, S. 9f.). Andere Autoren, wie Jürgen Fritz (Fritz 2004) oder Marc LeBlanc (Hunicke/LeBlanc/Zubek 2004), haben diese Gedanken erweitert und geben dem Game Designer noch präzisere Werkzeuge an die Hand, um zielgerichtet Spiele konstruieren zu können. Eine Definition von Spiel als Ausgangspunkt für das Game Design Katie Salen und Eric Zimmerman haben die unterschiedlichsten Definitionen zum Spiel zusammengetragen und versucht, eine Definition zu finden, die gerade für das Game Design von Videospielen eine gute Grundlage bildet: „Ein Spiel ist ein System, in welchem Spieler in einen, durch Regeln bestimmten, künstlichen Konflikt eintreten, der in einem quantifizierbaren Ergebnis endet“ (Salen/Zimmerman 2010, S. 80). Den genaueren Blick auf diese grundlegenden Fragen und Definitionen von Spielen wirft die Ludologie, die Lehre vom Spiel. Während im Deutschen die Ludologie das Spiel als Phänomen betrachtet und damit in ästhetische, kulturelle und andere Bereiche jeder Form von Spiel eindringt, werden im Englischen die Begriffe Ludology und Game Studies stärker auf Videospiele fokussiert. Bei all den Definitionen und Begriffen ist es wichtig festzuhalten, dass ein Game Designer am Ende ein Erlebnis beim Spieler erschafft. Die Erfahrungen während des Spielens des gestalteten Spiels mit den damit verbundenen Emotionen ist das entscheidende Produkt. Spiele, die von Game Designern gestaltet werden, sind überwiegend Konstrukte mit Regelspiele Regeln. Daher werden diese Spiele als Regelspiele oder Spielkonstrukte bezeichnet. Dem Spiele mit Regeln und gegenüber stehen die Spielzeuge oder Toys, die häufig keine Spielregel beinhalten und einem Spielziel werden als Regelspiele bezeich- auch kein konkretes Spielziel verfolgen. net. Da dieser Spielbegriff dem gestaltbaren Produkt eines Game Designers am nächsten kommt, wird in diesem Kontext der Begriff Spiel oder Game dem Regelspiel gleichge- setzt. 14 1.1 Klassische Regelspiele Da die frühesten Regelspiele wohl aus einfachen Gegenständen wie Steine, Knochen oder Holz hergestellt wurden, kann man nur spekulieren, wann es die ersten Spielkonstrukte gab. Einer der bedeutendsten Funde ist das Königliche Spiel von Ur, welches in der sume- rischen Stadt Ur, im heutigen Südirak liegend, von dem britischen Archäologen Sir Charles Leonard Woolley in den 1920er-Jahren entdeckt wurde. Mehrere Exemplare, die auf ca. 2.600–2.400 v. Chr. datiert wurden, sind bei den Ausgrabungen der Toten des königlichen Friedhofs gefunden worden und weitere Spiele des „Spiels mit 20 Feldern“, von ca. 3.000 v. Chr., bei Ausgrabungen in der östlichen Mittelmeerregion sowie zwischen Ägypten und Indien (Glonnegger 1989, S. 26ff.). Abbildung 1: Das Königliche Spiel von Ur Quelle: Trustees of the British Museum 2020. Die Spielregeln für das Königliche Spiel von Ur wurden auf babylonischen Tontafeln eines Astronomen gefunden. Diese stammen jedoch aus dem Jahr 177 v. Chr. und sind somit deutlich jünger als das entdeckte Spielmaterial. Daher ist unklar, ob die Regeln mit den ursprünglichen Regeln des Spiels übereinstimmen. Des Weiteren wurden sehr viele Versio- nen dieser Spielform aus alter Zeit gefunden und entsprechend werden auch viele Regel- varianten angenommen. Eine der spannendsten Regelvarianten stammt aus der Rekon- struktion von Dmitriy Skiryuk und kann in seinem Blog nachgelesen werden (Skiryuk 2017). Er hat sich eingehend mit diesem und anderen historischen Brettspielen beschäftigt und ihm fiel auf, dass die hier abgebildete Version des Spiels von Ur in der Gestaltung sehr viel weiterentwickelt ist als andere gefundene Versionen. Zum Beispiel hat diese Variante flache Chips als Spielsteine und die Spielfelder sind mit erhöhten Rändern versehen. Die einzigartige Anmutung dieser komplexen Darstellung, so vermutet Skiryuk, entstammt der Liebe und Bewunderung des Schöpfers zu dem Spiel und dem Drang, es mit einem verbes- serten Spielerlebnis auszustatten. So entwickelte er vermutlich neue Wege, mit (heute) bekannten Problemen von Brettspielen umzugehen, wie dem Einsetzen der Spielfiguren auf das Spielbrett, der Frustration beim „Schlagen“ einer wehrlosen Spielfigur oder dem ereignislosen Ziehen von mehreren Spielsteinen. 15 Wie das Königliche Spiel von Ur, so ist auch das ägyptische Senet ein Spiel mit einer Wett- Wettlauf (Race-to-the- lauf-Spielmechanik (Race-to-the-end) ausgestattet. Es wurde in unterschiedlichen ägyp- end) tischen Gräbern gefunden, zum Beispiel bei Pharao Tutankhamun oder Amenhotep III. Eine der ältesten Spiel- mechaniken ist der Wett- Diese Spiele wurden jedoch nicht nur zum Vergnügen gespielt, sondern vermittelten auch lauf von Spielfiguren von religiöse Zusammenhänge. Start nach Ziel. Abbildung 2: Das Senet-Spiel Quelle: Brooklyn Museum 2020. Diese Form des Spiels hat sich im Laufe der Zeit in zahlreichen Varianten über den ganzen Globus verbreitet. Heute ist Backgammon der bekannteste Vertreter dieser Spielform. Es gibt aber viele weitere Spiele aus der frühen Geschichte, wie das Mühlespiel (ca. 1400 v. Chr.) (Schürmann/Nüscheler 1980) oder das chinesische Go, das schon um 2.300 v. Chr. entstanden sein soll. Beide Spiele haben auch heute noch eine große Gemeinschaft an Spielern (Shirakawa 2005). Während Go heute noch unverändert von über 20 Mio. Spielern gespielt wird, sind andere Spiele mehr oder weniger stark weiterentwickelt worden. Dazu zählen das Gänsespiel, das Leiterspiel und Patchisi. Letzteres ist in Deutschland unter dem 1910 erschienenen Titel „Mensch ärgere Dich nicht“ bekannt geworden. Aus einer ähnlichen Zeit stammt die Urfassung von „Monopoly“. Die Quäkerin Elisabeth J. Magie erfand „The Landlord‘s Game“ als edukatives Serious Game, um Kindern die unfaire Situation von Landeignung oder Landraub in den damaligen USA aufzuzeigen. Stu- denten, die das Spiel spielten, entwickelten dafür neue Spielpläne, woraus „Monopoly“ 16 entstand. Paradoxerweise drehte „Monopoly“ den Sinn des pädagogischen Ansatzes um, Serious Games und heute wird es von einigen Pädagogen und Psychologen als schädliches Spiel in der Das sind Spiele, die nicht zur Unterhaltung, son- Kindererziehung angesehen. dern mit einem eindeuti- gen Zweck entwickelt Für Game Designer sind Brettspiele, die eine neue Spielmechanik einführen, eine der bes- werden. ten Möglichkeiten, sich in ihren Fähigkeiten weiterzubilden. Ist die Innovation groß genug, können daraus ganze Genres entstehen. So war es bei „Dungeons & Dragons“, welches 1974 das Genre der Fantasy-Rollenspiele begründete. Die Erfinder Gary Gygax und Dave Erfinder Arneson gehörten in den 1960er-Jahren einer Gruppe von Konfliktsimulationsspielern an Im Deutschen hat sich die Bezeichnung von Ent- und Gary Gygax hatte mit Jeff Perren bereits das Miniaturenspiel Chainmail entwickelt. wicklern von Brettspielen Aus den Armeekämpfen und Burgbelagerungen wurde ein detailliertes Regelsystem, wel- als Spieleerfinder durch- ches sich auf die Aktionen einzelner Heldenfiguren konzentrierte. Daraus entstand „Dun- gesetzt. Die Verlage nen- nen sie auf dem Produkt geons & Dragons“, der Urvater aller modernen Fantasy-Rollenspiele (Role Playing Game = als Autor, wie bei einer RPG). Buchveröffentlichung. Im Englischen werden sie als Game Designer betitelt. Das RPG ermöglicht es Spielern, frei in einem nicht begrenzten Handlungsrahmen zu agie- ren. Da es kein klares Endziel gibt, passt es nicht ganz in die Definitionen des Regelspielbe- griffs. Auch im deutschsprachigen Raum entwickelte sich das Simulationsspiel Ende der 1960er- Jahre. Mit dem „Ewigen Spiel“ des Spieleclubs FOLLOW und dem Miniaturenspiel „Arma- geddon“ wurde eine ähnliche Spielkampagne erschaffen, wie Gary Gygax und seine Mit- spieler es in den USA geschafft hatten. Aus der Rollenspielidee von Gygax entstand dann in Deutschland das erste Rollenspiel „Magira“, welches der Name der Welt des „Ewigen Spiels“ war. Ab 1981 wurde das Rollenspiel in „Midgard“ umbenannt und vom „Ewigen Spiel“ entkoppelt. Das meistverkaufte deutsche Rollenspiel ist „Das Schwarze Auge“, wel- ches 1984 in Spieleschachteln erschien, weil der Spielwarenhandel aus Verkaufsgründen die typische Buchform der US-Rollenspiele ablehnte. Ein weiteres Beispiel für die Gründung eines neuen Genres ist das Sammelkartenspiel Sammelkartenspiel (Trading Card Games [TCG]) „Magic: The Gathering“, welches 1993 von Wizards of the Das Genre der Trading Card Games (TCG) oder Coast veröffentlicht wurde. In Richard Garfields erweiterbarem Kartenspiel von einem Collectible Card Games Duell der Magier bringt jeder Spieler eine persönliche Auswahl an Spielressourcen mit in (CCG) beinhaltet Karten- das Spiel hinein. Es ähnelt damit der Struktur eines Tabletop-Spiels, wie „Warhammer spiele, bei dem jeder Spieler aus einer Samm- 40.000“ von Games Workshop, ist aber leicht zu transportieren und benötigt wenig Platz lung von Karten sein eige- zum Spielen. Die vielen Ausnahmeregelungen der unterschiedlichen taktischen Einheiten nes Kartenset (Deck) in die Partie einbringt. führen bei den Simulationsspielen zu ständigen Diskussionen und dem Nachlesen in den Tabletop-Spiel Regelwerken. Bei „Magic“ sind die Ausnahmeregeln in wenigen kurzen Sätzen auf der ent- Das sind ursprünglich sprechenden Spielkarte vermerkt. Bei über 20.000 einzigartigen Spielkarten in der aktuel- komplexe Simulations- len Fassung generiert das Spiel je nach gespielter Kartenkombination eine unüberschau- spiele mit Gelände und Figuren, die aus dem bare Variation an Spielformen und Taktiken. preußischen Kriegsspiel entstanden sind. Brettspiele sind heute so populär wie nie zuvor. Im Jahr 2018 wurden etwa 3.500 Brett- spiele veröffentlicht und es werden jedes Jahr mehr. Vor allem der steigende US-Markt und die Möglichkeit, über das Crowdfunding Projekte zu realisieren, hat zu dieser positi- ven Entwicklung der letzten Jahre beigetragen. 17 Wer in Deutschland lebt, hat gute Möglichkeiten, diese Spielewelten zu erkunden, denn hier finden die größten Messen der Welt zu Spielen statt: Internationale Spieltage in Essen – größte Publikumsmesse für Brettspiele (2019: 209.000 Besucher); Spielwarenmesse in Nürnberg – größte Fachbesuchermesse für Spielzeug und Spiele (2017: ca. 2.800 Aussteller aus mehr als 60 Ländern) sowie Gamescom in Köln – größte Publikumsmesse für Videospiele (2019: ca. 373.000 Besu- cher). Das Spielen und die anschließende Analyse eines Brettspiels ist eine sehr gute Methode, Spielmechanik um Spielmechaniken kennenzulernen und zu verstehen. Anfangende Game Designer Eine Spielmechanik ist unterschätzen diese Möglichkeit oft und übersehen die Parallelen zu Videospielen, wo eine Beschreibung eines Spielablaufs, welche eine aufwendige und komplexe Gestaltung die Spielmechaniken überlagern und weniger Spielmaterialien und zugänglich machen können. Spieler in Beziehung setzt. Mehrere Spielme- chaniken verbinden sich zu komplexeren Spielver- läufen. 1.2 Videospiele Wie bereits eingangs geschrieben, schafft ein Game Designer im Sinne eines Videospiels keine Technologie, sondern – genau wie beim Brettspiel – ein Erlebnis. Die Technologie ist das Medium, welches dieses Erlebnis vermittelt. Die zentralen Fragen eines Game Desig- ners bezüglich seines Mediums sind „Was kann das Medium, welche Eigenschaften besitzt das Medium und welche Möglichkeiten und Einschränkungen entstehen dadurch?“ Es bil- det einen gestalterischen Rahmen, der aber meistens nicht offensichtlich ist, sondern kre- ativ erschlossen werden kann. Die naheliegende Antwort auf die Frage „Was kann ein Computer?“ ist „rechnen“. Damit öffnet sich sofort ein gewaltiger Raum an Möglichkeiten, die mit der Berechnung komple- xer Abläufe verbunden werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass früh die Überlegung nach einer Künstlichen Intelligenz (KI) aufkam, die Spielzüge berechnen kann. OXO, ein Tic-Tac-Toe-Spiel von 1952, hatte bereits einen KI-gesteuerten Gegner. Der Schachspieler David Levy traf 1968 auf einer Party den KI-Pionier John McCarthy, wo sie eine Partie Schach spielten. McCarthy verlor die Partie, behauptete jedoch, dass es in den nächsten zehn Jahren ein Computerprogramm geben würde, welches Levy besiegt. Levy schlug daraufhin eine Wette vor, deren Einsatz 1.250 Pfund betrug: „Es ist klar, dass ich meine [...] Wette 1978 gewinnen werde, und ich würde immer noch gewinnen, wenn die Frist um weitere zehn Jahre verlängert würde. Durch den Mangel an konzeptionellen Fortschritten in mehr als zwei Jahrzehnten bin ich versucht zu spekulieren, dass ein Com- puterprogramm nicht vor der Jahrhundertwende den Titel eines Internationalen Schach- meisters erlangen wird und dass die Idee eines elektronischen Weltmeisters nur in die Sei- ten eines Science-Fiction-Buches gehört“ (Levy 1973 S. 726). Tatsächlich wurde Levy auf der Canadian National Exhibition im September 1978 einmal von dem Programm Chess 4.7 geschlagen, spielte einmal unentschieden, gewann aber drei der insgesamt fünf Spiele und damit auch seine Wette. 18 Der erste Punkt auf einer Liste von Argumenten, die einem digitalen Spiel Vorteile einräu- men, ist also: Manipulation von Informationen Zur Manipulation von Informationen gehören unter anderem die Auswertung von Spielzü- gen, die Berechnung gewinnbringender Strategien, die Verarbeitung von Regeln oder die Handhabung der Objekte, wie Grafik- und Soundinhalte. Videospiele sind besonders gut darin, die Spielregeln hinter der Erlebnisebene zu verste- cken. Je mehr das Spiel eine sinnliche Spielerfahrung erzeugt, wie zum Beispiel bei Racing-Games, wo es darauf ankommt, die nächste Kurve einzuschätzen, hart zu brem- sen, langsam zu beschleunigen und dabei auf die Streckenbegrenzungen und Gegner zu achten, desto stärker verschwinden die Spielregeln im Hintergrund. Der Spieler sieht sich nicht mehr als Spieler, er wird zum Protagonisten, er übernimmt die Rolle in der Spielwelt. Nun ist er Formel-1-Fahrer, Abenteurer, Ritter, Heiler, Spion oder Räuber. Die formelle Ebene des Spiels verblasst in der Immersion des Erlebnisses und hält damit den Spieler im Magic Circle gefangen. Magic Circle Jedes Spiel findet in einem Rahmen statt, der Direkte, aber verminderte Interaktivität es von der „normalen Realität“ abgrenzt. Ein Spieler betritt diesen Ein Videospiel kann durch sofortiges Feedback auf die Aktion des Spielers reagieren und Raum freiwillig und unter- damit ein flüssiges Erlebnis liefern. So gibt es in der Begriffswelt die Unterscheidung von wirft sich dabei den rundenbasiertem Spiel zum Echtzeitspiel. Eine „Runde“ ist aus dem Spielfluss von Brett- Bestimmungen des Spiels. und Kartenspielen bekannt. Da heißt es häufig: „In einer Runde kann jeder Spieler eine Handlung durchführen“. Es gibt einen sequenziellen Ablauf und die Handlungsblöcke sind klar erkennbar. Laufen die sequenzierten Reaktionen aber so schnell ab, dass der Eindruck eines Liveevents entsteht, wird das als „Echtzeitspiel“ (Real-Time Game) bezeichnet. Der Begriff sollte im Strategiespiel vermitteln, dass das Videospiel nicht längere Zeiträume zum Nachdenken lassen würde, wie ein Brettspiel, sondern dass der Spieler gezwungen ist, unter Zeitdruck zu handeln, was dem Spiel mehr Dynamik verleiht. „Real-Time Stra- tegy“ (RTS) wurde mit „Dune II“ (1992) zu einem Begriff für ein Genre, welches Spiele die- ses Formats zusammenfasst (Geryk 2004). Es gibt viele Brett- und Kartenspiele, die kein Rundenformat besitzen. Ein Beispiel ist das beliebte „Ligretto“, welches auf das Spiel „Rasender Teufel“ zurückzuführen ist. Hier spie- len alle Spieler gleichzeitig, was zu einem gewollten Chaos führt, welches der Spieler mit einer guten Übersicht und Reaktionsgeschwindigkeit meistern muss. Die Interaktion zwischen Spieler und Computer ist bei einem Videospiel aber immer ver- mindert, denn sie ist auf das Input- und Output-Medium beschränkt. Bei Videospielen ist es oft die Tastatur und die Maus oder ein Controller, mit dem der Spieler seine gewünschte Aktion an den Computer übermittelt. Üblicherweise ist das zurückgespielte Feedback als Bild/Video auf einem Monitor und als Geräusch/Sound vernehmbar. Controller besitzen oft eine „Rumble“-Funktion, die auch ein haptisches Feedback durch Vibrationen erlaubt. Spiele auf mobilen Geräten, wie Smartphones oder Tablets, nutzen normalerweise das 19 Display selbst als Eingabefläche. Der Computer kann nur auf diesen ihm vorgegebenen Kanälen kommunizieren und auch nur das „verstehen und umsetzen“, was ihm sein Pro- grammcode erlaubt. Nicht digitale Spiele haben auch eine Einschränkung der Handlungsoptionen. Sie ist ein Teil der Regeln und beschränkt üblicherweise die Effizienz des Handelns. So macht die Regel „kein Handspiel erlaubt“ das Fußballspiel deutlich schwieriger, als wenn die Spieler auch ihre Hände benutzen dürften. Wären beim Boxkampf Schusswaffen erlaubt, so würde das Ziel, den Gegner zu Boden zu bringen, deutlich effizienter erreicht. Das Fußball- spiel erlaubt jedoch zum Beispiel die Sprache als Kommunikationsmedium unter den Spielern, was zu unerwarteten Beeinflussungen des Spielverlaufs führen kann. So kam es bei der Fußball-WM 2006 zu einer Begegnung auf dem Spielfeld mit dem französischen Spieler Zidane und dem Italiener Materazzi. Materazzi zog kurz an Zidanes Trikot, worauf- hin dieser provozierend fragte, ob er das Shirt nach dem Spiel haben wolle. Materazzi ant- wortete daraufhin mit einer Beleidigung. Zidane versetzte Materazzi einen Kopfstoß gegen Trash-Talk die Brust, wodurch er einen Platzverweis erhielt. Dieser Trash-Talk hatte nicht nur Auswir- Das ist ein aus den Sport- kungen im Spiel, sondern auch auf der Metaspielebene und in der Welt außerhalb des arten übernommenes Kommunikationsverhal- Spiels. Materazzi wurde für zwei Spiele gesperrt und musste eine Geldstrafe von 5.000 ten, um den Gegner durch Schweizer Franken zahlen. Der Zwischenfall wurde zu einem großen Medienereignis – und Übertreibungen, Meta- es gibt sogar ein Kunstwerk dazu, welches aktuell (2021) in einem Museum in Katar steht. phern und Wortspiele psychisch zu beeinflus- sen. Er tritt häufig in wett- Weniger dramatisch, aber ebenso ein gutes Beispiel für freie Kommunikation bei Brett- bewerbsorientierten Mul- spielen: Bei „Diplomacy“ von Hasbro kommt es auf das Geschick bei den diplomatischen tiplayerspielen auf. Verhandlungen unter den Spielern an. Diese sind zwar in ein Regelkonstrukt eingebunden, erlauben aber prinzipiell unendliche Möglichkeiten. Gerne wird auch der Vergleich von klassischen Fantasy-Rollenspielen mit digitalen Rollen- spielen (RPGs) angeführt, da einer der großen Reize des Fantasy-Rollenspiels in der gren- zenlosen Freiheit der Handlungsmöglichkeiten liegt. Während das digitale Spiel, wie im letzten Punkt beschrieben, sehr gut viele Informationen und Regeln verarbeitet, kann es nur auf einen begrenzten Input und Output zurückgreifen. Im klassischen Pen&Paper- Pen & Paper Rollenspiel ist durch die Improvisation kein Limit vorgegeben. Dieser Ausdruck (über- setzt: Stift & Papier) wird vor allem für Rollenspiele Jenova Chen (Game Designer von „Journey“, „Cloud“, „Flow“ und „Flower“, Mitgründer und Prototypen von Spie- von Thatgamecompany LLC) sagte 2015 in einem Interview mit VentureBeat, dass Video- len verwendet. Er gibt an, spiele aktuell noch der Zeit des Stummfilms entsprächen, und dass, statt einer Anzahl von dass es sich nicht um ein digitales, sondern ein Knöpfen, Ton und Sprache als Eingabemöglichkeit, sie die Zukunft des narrativen Spiels haptisches, physisches sind (Takahashi 2015). Produkt handelt. Mit der Weiterentwicklung von Open-World- und Sandbox-Spielen, also Spielen, die eine „offene Plattform“ zum Improvisieren und Experimentieren für den Spieler anbieten, dem Fortschritt im maschinellen Lernen und der VR-Technologie, werden die Interaktivität digi- taler Spiele und die Möglichkeiten in deren Design kontinuierlich erweitert. 20 Automatisierung komplexer Abläufe Eine Eigenschaft digitaler Spiele, die sofort offensichtlich ist, ist die Automatisierung kom- plexer Abläufe. Eine einfache oder „faule“ Art, Spiele komplexer zu gestalten, ist es, zusätz- liche Spielobjekte und Regeln einzuführen. Vor allem klassische Simulationsspiele werden mit jeder zusätzlichen Truppeneinheit und Umgebungsvariable rasch so komplex, dass sie ohne eine große Anzahl an Übersichtstabellen und Diagrammen nicht mehr spielbar sind. Nur die Hardcore-Zielgruppe ist bereit, entsprechend Arbeit in die Verwaltung des Spiels zu stecken. Komplexer heißt dann zumeist auch komplizierter. Hier scheiden sich die Geister bei den Game Designers: Brettspieleautoren wie Wolfgang Kramer, Rainer Knizia und Klaus Teuber haben sich immer um die Eleganz des Spiels bemüht. Es wird möglichst wenig Spielmaterial verwendet und die Regeln haben klare Strukturen, mit wenigen Ausnahmen. Sie streben danach, Spiele zu entwickeln, welche trotz einer Einfachheit komplexe Spielerlebnisse entstehen lassen. Beispiele sind die Spiele „6nimmt!“, „Durch die Wüste“, „Dominion“, „Die Werwölfe von Düsterwald“ und „Go“, welches mit sehr wenig Spielmaterial (Spielbrett und zwei verschiedenfarbige Spiel- steine) eine fast unendliche Anzahl regelkonformer Stellungen erlaubt. Im Gegensatz dazu stehen Spiele, die viel Material und sehr komplexe Systeme nutzen, wie „Gloomhaven“ oder „Warhammer 40.000“. Die Zielgruppe für diese Spiele sind nicht die Gelegenheits- spieler, sondern sehr engagierte Hobbyspieler. Komplexe Regeln und eine Überzahl an Abhängigkeiten lassen sich bei Videospielen gut hinter der Fassade der Grafik und einer einfachen Benutzeroberfläche verstecken, was bis- her als eine der größten Stärken von Videospielen angeführt wurde. Dieser Punkt hat aber auch eine negative Auswirkung. Es erschwert eine Analyse der dahinterliegenden Spielme- chaniken und Spielabläufe (Gameloops). Gerade bei Strategie- und Taktikspielen ist es aber wichtig, dem Spieler ausreichend Feedback zu den Spielsystemen zu geben, damit er sich fühlt, als habe er die volle Kontrolle. Fehlendes Verständnis der Regeln und Spielzu- sammenhänge, Verlust der Kontrolle und geringe Möglichkeiten, autonom zu handeln, führen zu Frustration und ausbleibender Motivation, ein Spiel zu spielen. Ein gutes Beispiel – trotz eines komplexen Kampfsystems –, dem Spieler die volle Kon- trolle zu vermitteln, ist die Benutzeroberfläche (User Interface/UI) von XCOM2. Die Treffer- wahrscheinlichkeit eines Schusses wird aus der Zielgenauigkeit des Schützen (Aim), dem Verteidigungswert des Ziels (Defense) und der Reichweitenmodifikation der Waffe (Range Modifier) berechnet. Die daraus resultierende Wahrscheinlichkeit sowie die Chance auf einen kritischen Treffer werden dem Spieler deutlich kommuniziert, wie das folgende Bild zeigt. 21 Abbildung 3: XCOM2 Kampfsystem User Interface Quelle: One More Level 2016. Die Designer von XCOM2 sind sich aber der subjektiven Wahrnehmung von Wahrschein- lichkeiten bewusst und wie frustrierend eine Folge von mehreren Fehlschüssen bei je 70 % Trefferchance für den Spieler ist. Die gefühlte Fairness kann hier deutlich von einer mathe- matisch korrekten Fairness abweichen. Deshalb manipuliert das Spiel entsprechend der Schwierigkeitsstufe die tatsächliche Erfolgschance zugunsten des Spielers. Es „schum- melt“, damit der Spieler eine positive Emotion erfährt (Mirado 2016). Ein weiteres Beispiel ist „prozedurales Design“, ein Prozess, bei dem das Spiel Teile des Inhalts (meistens die Spielumgebung/Map) nach zufälligen Parametern erstellt. So können in sehr kurzer Zeit unbegrenzt neue Spielinhalte geschaffen werden, allein durch den Computer. Auch hier muss sich der Designer aber die Frage stellen, ob diese Spielinhalte eine ausreichende emotionale Qualität bieten. Vernetzte Kommunikation Ein Vorteil der digitalen Computerspiele, der in den letzten Jahrzehnten immer stärker genutzt wurde, ist die Nutzung des Internets als Möglichkeit der Vernetzung von Spielern oder Spielinhalten. Spieler können sich heute überall auf der Welt in Teams zusammen- schließen oder gegeneinander antreten. Je nach Spielform ist dabei aber eine schnelle First-Person-Shooter Internetverbindung die Voraussetzung. Während First-Person-Shooter (FPS), die in Echt- Ein Genre von Videospie- zeit ablaufen, eine gute Verbindung voraussetzen, gibt es Spielformen, die zum Beispiel len, dass sich durch die Perspektive des Avatars nur eine einmalige Onlineverbindung pro Tag benötigen, um die Spielzüge zu übermitteln. (Kamera blickt durch die Augen der Spielfigur) und In den 1970er-Jahren wurden die ersten kommerziellen Play-by-Mail(PBM)-Firmen gegrün- die primäre Handlungs- option (mit einer Waffe det. Sie vernetzten Brett- und Rollenspieler weltweit miteinander und ermöglichten den zielen und schießen) defi- Austausch von Spielinformationen per Post, wie Aktionen oder Zugfolgen. Später wurden niert. 22 die Informationen nicht mehr per Post, sondern per E-Mail versendet (Play by E-Mail/ PBEM). Im Internet finden sich auch heute noch Anbieter von Spielen per Postbrief oder E- Mail, wie Briefschach. Populäre Beispiele für vernetzte Spielergemeinschaften sind das Massively Multiplayer Online Role Playing Game (MMORPG) „World of Warcraft“ (WoW), welches zu seinem Höhepunkt mehr als 10 Mio. Spieler besaß. Während sich bei WoW jedoch immer nur etwa ein Maximum von 1.500 bis 8.000 Spielern gemeinsam gleichzeitig auf einer Spielwelt befinden, bewegen sich bei „EVE-Online“ alle Spieler (zeitweise über 300.000 gleichzeitig) in nur einer Spielwelt. Die Entwicklung der VR-Technologie gibt interessante Einblicke in zukünftige Möglichkei- ten. So ist die Präsenz der Mitspieler bei Spielen wie „Star Trek Bridge Crew“ oder „Were- wolves Within“ sehr deutlich vernehmbar, was die Kommunikation auf emotionaler und sozialer Ebene deutlich verstärkt. In der Regel gelten bei den vernetzen Spielgruppen ähnliche soziale Dynamiken wie in der Realität. Gruppengrößen von über 50 Personen sind nur schwer sinnvoll steuerbar, wes- halb sich effiziente, taktisch schnell handlungsfähige Gruppen auf die – häufig im Militär zu findenden – Größen von drei bis sechs Personen eingrenzen. Auf strategischer Ebene sind es Gilden oder Clans, die größere soziale Gruppen bilden, um gemeinsame Ziele erreichen zu können. Noch einmal zusammengefasst sind diese vier Punkte eine solide, wenn auch nicht umfas- sende Liste von Punkten der Unterscheidung von digitalen zu analogen Spielen, die auch bei Salen und Zimmerman zu finden ist (2010, S. 91): Manipulation von Informationen, direkte, aber verminderte Interaktion, Automatisierung komplexer Abläufe und vernetzte Kommunikation. Historische Videospiele Das erste interaktive elektronische Spiel mit einem elektronischen Display wurde 1946 von Thomas T. Goldsmith Jr. und Estle Ray Mann entwickelt. Sie nannten es „Cathode-ray tube amusement device“ (übersetzt: Kathodenstrahlröhren-Vergnügungsgerät) und der Spieler konnte einfache Flugzeuge mittels Granaten abschießen. Obwohl dieses Spiel eine Rele- vanz in der Geschichte der Videospiele hat, ist es umstritten. Zum einen blieb es ein Einzel- stück und wurde nie vermarktet und zum anderen war es ein rein mechanisches Gerät ohne einen eigentlichen Computer. Es gibt also keine Recheneinheit oder Software und ist somit eher ein elektronisches Spielzeug (Cohen 2019). So werden weitere Spiele, wie „Tennis for Two“ (1958), „Bertie the Brain“ (1950), „OXO“ (1952), „Hutspiel“ (1955) oder „Spacewar!“ (1962) als erstes Computer- oder Videospiel aufgeführt, je nach Definition des Begriffs „Spiel“ oder „Computer“. 23 Zeitalter der Heimkonsolen Das erste kommerziell angebotene Videospiel war aus einer Reihe von Spielen hervorge- gangen, die Ralph Baer entwickelte. Es war ein einfaches Ping-Pong-Spiel, bei dem ein Ball mittels zweier Schläger hin- und her gespielt werden konnte und wofür Baer 1968 das erste Videospielpatent erhielt. Im Jahr 1972 erschien das Spiel auf der Odyssey-Spielkon- sole von Magnavox. Abbildung 4: Magnavox-Odyssey-Konsole Quelle: Wikimedia Commons 2015. Ralph Baer erfand viele weitere Spiele, unter anderem das erfolgreiche Elektronikspiel- zeug „Simon“ (in Deutschland unter dem Titel „Senso“ bekannt) von Milton-Bradley (MB). Allgemein wird „Pong“ häufig als das erste Videospiel bezeichnet. Das ist darauf zurückzu- führen, dass es enorm erfolgreich vermarktet wurde und eine große Popularität verzeich- nete. „Pong“ wurde 1972 von Nolan Bushnell, dem Gründer von Atari, als Arcade-Spielau- Arcade-Spiel tomat veröffentlicht. Es erinnerte stark an das Pingpongspiel von Ralph Bear, und Das ist ein Videospiel, Magnavox konnte diesbezüglich auch einen Rechtsstreit über die Nutzung ihres Patents welches auf einem Spiel- automaten mit Münzein- gewinnen. Anzumerken ist, dass der Arcade-Spielautomat, auf der „Pong“ veröffentlicht wurf gespielt wird. Heute wurde, kein Computer mit einem Mikroprozessor, ROM oder einer Software war, sondern ist es weitestgehend noch auf einem festverdrahteten Schaltkreis basierte. durch die Heimkonsolen verdrängt worden. Im Jahr 1974 entwickelt Atari die Spielkonsole „Home Pong“ für den Privatgebrauch zu Hause und landet im folgenden Jahr damit einen Marktdurchbruch. Der finanzielle Erfolg ermöglichte Atari die Produktion des ATARI Video Computer System (Atari VCS, ab 1982 Atari 2600), welches 1977 für den Preis von 199 US-Dollar (heute inflationsbedingt ver- gleichbar mit 780 Euro) erschien. Der Atari 2600 brachte Spiele wie „Space Invaders“ und „Pac-Man“ in die Wohnzimmer und dominierte den Markt für Videospielkonsolen in den kommenden Jahren. 24 „Pac-Man“ und andere populäre Spiele wie „Donkey Kong“ von Nintendo erschienen Anfang der 1980er-Jahre zunächst auf Arcade-Spielautomaten: robuste Videospielsys- teme, konzipiert mit Münzeinwurf, für einen Vertrieb in öffentlichen Räumen. Disney sprang auf den Zug der erfolgreichen Videospiele auf und brachte den Film „TRON“ (1982) in die Kinos, welcher das Innenleben eines Arcade-Spielautomaten als eigene Welt präsen- tiert. Abbildung 5: Arcade-Spielautomat „Pac-Man“ Quelle: Wikimedia Commons 2020. Bei fast allen frühen Videospielen waren die Entwickler der Hardware oder die Program- mierer der Software auch die Game Designer des Spiels. Erst mit Atari und der Eroberung des Massenmarkts wurde klar, dass nach der anfänglichen Begeisterung über die Techno- logie die Spiele abwechslungsreich und spannend gestaltet werden mussten, um die neue Zielgruppe der Videospieler zu befriedigen. Vielleicht das beste Beispiel dafür war das Spiel „E.T. the Extra-Terrestrial“ für den Atari 2600. Es beruht auf der populären Filmlizenz und erschien 1982. Es sollte für einen starken Verkauf rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft im Handel sein, was dem bis dato erfolgreichen Game Designer und Programmierer Howard Scott Warshaw ganze fünf Wochen Zeit gab, um das Spielkonzept und die Pro- grammierung abzuschließen. Der Regisseur des Films, Steven Spielberg, war von der Idee nicht überzeugt und die Tests mit der Zielgruppe mussten aus Zeitgründen gestrichen werden. Das Spiel wurde ein Desaster für Atari und gilt bis heute als eines der schlechtes- ten Spiele aller Zeiten. Es war nicht selbsterklärend, hatte eine unpräzise Steuerung und kein forderndes Gameplay. Atari blieb deshalb auf einem Großteil der produzierten Spiele 25 sitzen und es existierte lange das Gerücht, dass diese unverkauften Exemplare in der Wüste von New Mexico vergraben wurden. Tatsächlich wurden im April 2014 in der vermu- teten Gegend tausende der Spielmodule ausgegraben (The Associated Press 2014). Nach einem Zusammenbruch der Videospielbranche im Jahr 1983, ausgelöst durch eine Überschwemmung des Markts mit mittelmäßigen Produkten und zu vielen Plattformen, dem Aufkommen der Heimcomputer (Personal Computer/PC) und anderen Faktoren, schaffte es Nintendo mit ihrem Nintendo Entertainment System (NES), den westlichen Markt zu erobern. Auf diesem System entstanden viele hochqualitative Spiele (zum Bei- spiel „Final Fantasy“), die neue Genres entstehen ließen. Nintendo brachte mit dem Game Boy 1989 eine Handheld-Konsole auf den Markt, ebenso Atari mit dem Atari Lynx. In den Folgejahren kommt es zu einem „Konsolenkrieg“ zwischen den Konsolenherstel- lern Sega (Genesis, Dreamcast) und Nintendo (NES, Gamecube, Wii), in den später weitere Firmen wie Microsoft (xBox) und Sony (PlayStation) einsteigen (Brülke 2022). PC, Mobile Games und andere Während die Heimkonsolenhersteller immer wieder neue Upgrades auf den Markt brin- gen, nutzen die PC-Spiele die Hardware der Heimcomputerhersteller. 1990 erschien Micro- softs Kartenspiel „Solitär“ auf dem Windows-3.0-Betriebssystem. Es zeigt, wie groß der Casual vs. Hardcore Markt der Casual Games ist, während Spiele wie „Dune II“ (1992, Westwood Studios) und Games „Warcraft“ (1994, Blizzard) auf eine Hardcore-Zielgruppe setzen. Leichte, einfach zu beherrschende Spiele werden als casual Ein Vorreiter für den größten Umbruch im Spielemarkt waren die Browserspiele: Spiele, bezeichnet und sprechen die im Internetbrowser und damit universell spielbar sind. In Hamburg wurde das 1995 eine größere Zielgruppe an, während Hardcore veröffentliche Spiel „SOL“ entwickelt. Auch in den kommenden Generationen der Brow- Games eine Nische mit serspiele waren deutsche Entwicklungen stark am Markt vertreten (zum Beispiel „OGame“, kleinerer, aber engagier- „Tribal Wars“, „Travian“), was für Videospiele eher ungewöhnlich ist. Die hohe Verbrei- terer Zielgruppe einneh- men. tungsmöglichkeit durch die geringen Multiplikationskosten in der Produktion digitaler Produkte ermöglichen neue Vermarktungsmodelle. Da jedes weitere rein digital herunter- geladene Spiel kaum zusätzliche Kosten verursacht, wird den Spielern ein kostenloser Zugang ins Spiel erlaubt und der Umsatz über zusätzliche Angebote im Spiel getätigt. Die- ses sogenannte „Free-to-Play“(F2P)-Bezahlmodell der Browsergames revolutionierte den kommenden Spielemarkt. Im Jahr 2007 brachte Apple mit dem iPhone eine Technologie auf den Markt, welche durch Mobile, PC & Konsole die anschließende generelle Verbreitung der Smartphones (auch engl. Mobile) eine ähnli- Statt „Smartphone“ hat che Situation für die Handheld-Konsolen eröffnete wie die PCs für die Heimkonsolen. Laut sich der englische Begriff „Mobile“ etabliert. Bei der Marktforschung der GfK hatten 2019 die Smartphonespieler (18,6 Mio.) die Anzahl der dem Heimcomputer ist Konsolenspieler (16,7 Mio.) und PC-Spieler (13,4 Mio.) in Deutschland überholt. Auch bei die Abkürzung „PC“ (für den Mobile Games setzt sich das Free-to-Play-Modell zur Bezahlung durch (game 2020). Personal Computer) und bei den Heimkonsolen ist die Kurzform „Konsole“ 2019 dominierten die Mobile Games mit ca. 45 % Umsatzanteil den Markt. PC-Spiele für (oder englisch console) den Heimcomputer und Spiele für Heimkonsolen teilten sich mit ca. 23 % und ca. 32 % üblich. den restlichen Markt (Newzoo 2020). Der schnelle technische Wandel erlaubt immer wie- der innovative Spielformen, die neue Trends hervorrufen. So brachte „Skylanders“ von 26 Activision (2011) physische Spielfiguren als hybride Lösung auf den Markt und Niantics „Pokémon Go“ (2016) ließ tausende von Spielern auf der Suche nach Monstern durch die Städte wandern. Neue Technologien wie Virtual Reality(VR) oder Augmented Reality(AR) sind noch in Virtual Reality den Kinderschuhen. Es ist jedoch absehbar, dass sie tiefgreifende Veränderungen im Spiel- Die Darstellung von Spie- len in VR bedeutet, dass emarkt bringen werden. Am spannendsten dürfte die Frage sein, wohin sich Videospiele der Spieler sich innerhalb entwickeln werden, wenn das Display als visuelle Projektionsfläche nicht mehr nötig ist? der Spielumgebung wie- derfindet und diese als Wirklichkeit empfindet. Augmented Reality AR bezeichnet eine com- putergestützte Erweite- rung der Realität. Norma- ZUSAMMENFASSUNG lerweise sind damit Spielen gehört zu den Grundfunktionen menschlichen Verhaltens und visuelle Einblendungen von digitalen Inhalten gelebter Kultur. Die Grenze zwischen den unterschiedlichen Aktivitäten, gemeint. die Spiel beinhalten, ist unscharf. Ein Game Designer erschafft Spiel- konstrukte, die von Spielern benutzt werden, um in einen künstlichen Konflikt einzutreten. Dieser Konflikt wird durch Regeln bestimmt und endet in einem Ergebnis, welches quantifizierbar ist. Es gibt also eine eindeutige Rückmeldung, wie gut oder schlecht die Spieler das Ziel erreicht haben. Diese durch Regeln bestimmte Spiele besitzen Eigen- schaften, die unabhängig von der Technologie sind, die der Designer zur Umsetzung des Werks nutzt. Andererseits gibt es Möglichkeiten in der Gestaltung, die nur mit einer bestimmten Technologie oder Form durch- führbar sind. Analoge und digitale Spiele sind daher immer von der Technologie und der Kultur bestimmt worden und spiegeln sie in ihren Themen und Spielregeln wider. Da Kultur und Technologie im stetigen Wandel sind, sind auch Spiele immer wieder neu und abwechslungs- reich. Die Innovationen, die in diesem spielerisch geschützten Umfeld entstehen, können ein starker Impulsgeber für Veränderungen in ande- ren Lebensbereichen und Branchen sein. 27 LEKTION 2 GAME DESIGNER ALS BERUF LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – welche Fähigkeiten für einen Game Designer hilfreich sind. – warum ein Game Designer unterschiedliche Rollen in der Entwicklung einnehmen kann. – wie kreative Prozesse in der Spieleentwicklung eingebunden sind. – welche Game Designer durch ihre herausragenden Werke bekannt wurden. 2. GAME DESIGNER ALS BERUF Einführung „Ich hätte da eine Idee für ein Spiel, die ist mega!“, „Ich bin ein wirklich guter Spieler, des- halb wäre ich auch sicher ein guter Game Designer, oder?“, „Ich bin völlig unkreativ, das ist nix für mich“, „Ich kann weder zeichnen noch programmieren, ist das nicht zwingend nötig?“, „Ich hatte schon als Kind einen Nintendo 64“ – Sätze, die von angehenden Game Designern gerne geäußert werden. Was davon relevant für den Beruf eines Game Desig- ners ist, erklärt diese Lektion. Der Beruf des Game Designer für Videospiele ist nicht leicht zu erfassen. Er ist noch recht jung, und es gibt nur wenig Game Designer, die bereits viele Jahre Erfahrung haben und eine gute Einschätzung für den Beruf mitbringen. Der Alltag eines Game Designer verlangt konzentriertes Abarbeiten von Punkten einer Liste mit Bausteinen, die das Spiel ergeben. Trotzdem steckt in dem Produkt viel an eige- nen Ideen und Fähigkeiten, sodass das Spiel eine besondere Handschrift erhält, die sehr wohl als kunstvoll gelten darf (Dille/Platten 2007, S. xi): Game Design lässt sich recht einfach mit Kochen vergleichen. Jeder hat schon einmal selbst etwas gekocht und bestenfalls war es sogar sehr lecker – jeder hat als Kind schon Welten erfunden und darin große Konflikte behandelt. Ein professioneller Koch kocht in der Regel für andere – natürlich sollen auch andere das Spiel spielen. Er bringt sich ein, indem er die Zutaten wählt und sie auf seine Weise verarbeitet – welche Mechanik genutzt oder welcher Dialog geführt wird, entscheidet der Game Designer. Ob das Essen „gut“ ist, also erfolgreich in einem Restaurant verkauft werden kann, entscheidet am Ende aber der Gast, nicht der Koch – der Spieler, nicht der Game Designer. Arbeitet der Koch in einem bestimmten Lokal, zum Beispiel einer Pizzeria, so muss er voraussichtlich Pizza backen – wer bei einem Entwickler für Casinospiele arbeitet, wird eher keinen Science-Fiction- Shooter entwickeln. Auch wenn der Koch eine Leidenschaft für Hammelkoteletts hat, muss er dem gerecht werden, was der Kunde von dem Restaurant erwartet – auch Spieler haben klare Erwartungen an Genres. Bei der Zubereitung der Speisen ist der Koch auf seine Ausstattung angewiesen – die technischen Tools bestimmen den Rahmen einer Ent- wicklung. Ohne einen Ofen, der sehr hohe Temperaturen erreicht, wird die original italie- nische Pizza Margerita nicht gelingen – ohne eine 3D-Engine wird der nächste Teil von „Doom“ die Spieler enttäuschen. Nur eine kleine Menge Salz, die zu viel in den Topf gelangt ist, kann das ganze Menü ungenießbar machen – ein Racing Game, dessen Game- play nicht flüssig läuft, hat keine Chance. Ein Koch kann aber auch mit einfachen Zutaten etwas Herausragendes schaffen, wenn er die perfekte Harmonie findet – Flappy Bird wurde in zwei bis drei Tagen entwickelt und konnte Millionen Spieler an den Bildschirm fesseln. Game Design kann, wie Kochen, von Kunst bis kommerzielles Handwerk alles sein. In „Overcooked“ sind die Spieler tatsächlich Köche und versuchen, ein Restaurant am Laufen zu halten. 30 Abbildung 6: „Overcooked“ Quelle: Ars Technica 2016. 2.1 Fähigkeiten „Welche Fähigkeiten sollte ich haben, wenn ich Game Designer werden will?“ ist eine der häufigsten Fragen zum Berufseinstieg. Eines vorweg: Es ist nicht nur „Kreativität“. Ein angehender Game Designer sollte möglichst umfassende Kenntnisse haben, denn seine Arbeit findet in vielen Bereichen statt. Er hat zudem unterschiedliche Rollen und muss entsprechende spezielle Fähigkeiten erwerben. Die folgende beispielhafte Liste an Eigenschaften zeigt, wie viele Wissensbereiche einen Vorteil schaffen können (Shell 2013, S. 33–41, Adams/Rollings 2006, S. 18–27). Mathematik und logisches Denken Videospiele sind Systeme, die in logischen Abläufen funktionieren. Rollenspiele nutzen Werte wie Lebenspunkte, Eigenschaftspunkte, Waffenmodifikationen, Fertigkeitsränge usw., die mit anderen Prozessen, wie einer Level-Progression oder einem Kampfsystem, interagieren. Das sind mathematische Konstrukte, die Welten simulieren, die nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten funktionieren. Viele Game Engines sind als logische Game Engine Abläufe angelegt, damit die Eingabe des Game Designers möglichst einfach in einen Pro- Die Game Engine ist eine Softwareumgebung mit grammcode umgewandelt werden kann. Werkzeugen zur Entwick- lung von Spielen. In ihr werden die audiovisuel- len Inhalte zu einem Spielablauf verarbeitet. 31 Spielerfahrung Damit ein Game Designer seine Ideen einordnen kann, braucht er ein gutes Basiswissen an vorhandenen Spielen im Markt. So kann er das Genre spezifizieren und seine Zielgruppe besser bedienen. Es ist hilfreich, den eigenen „Werkzeugkasten“ mit Spielmechaniken und Storytelling-Archetypen zu befüllen, sodass verschiedene Lösungen für ein Design verfüg- bar sind. Das Wissen um Spiele und den Spielemarkt ist sehr wichtig für eine klare und effiziente Kommunikation. Ein Game Designer sollte ein Vision-Statement wie „Doom meets Battle Royale“ auf Anhieb verstehen können. Analytisches und abstraktes Denken Um das Maximum aus seiner Spielerfahrung herauszuholen, ist es sehr hilfreich, gespielte Spiele zu analysieren und die Erkenntnisse zu notieren. Warum hat dieser Teil im Spiel so gut funktioniert? Welche Spielmechaniken wurden eingesetzt? Diese Analyse lässt sich auch sehr gut im normalen Leben anwenden. Welche Emotion hat diese Situation bei mir erzeugt und warum? Wieso macht es Spaß, einen Pingpongball möglichst lange mit dem Schläger in die Luft zu schlagen? Nicht zuletzt ist es sehr gut, die Zielgruppe genau anzu- schauen, für die ein Spiel gemacht wird. Psychologie, Pädagogik und Soziologie Die drei Bereiche Psychologie, Pädagogik und Soziologie bilden die Grundlagen des menschlichen Handelns und Verhaltens. Die Psychologie lehrt, wie Wahrnehmung funktio- niert und was „Spaß“ ist. Die Pädagogik erklärt das Lernen und kindliche Spielformen. Durch die Soziologie werden Gruppendynamik, das Schaffen von Kultur und Organisati- onsformen vermittelt. Natürlich gibt es in jedem dieser Fachgebiete noch vieles mehr, was relevant für die Spieleentwicklung ist, sodass eine lebenslange Weiterbildung dieses Wis- sens eine spannende Herausforderung bleibt. Vorstellungskraft und Fantasie Sich neue Dinge auszudenken und realistisch auszufüllen, ist eine der schönsten Aspekte des Berufs als Game Designer. Um aus Träumen eine Wirklichkeit schaffen zu können, braucht es erst einmal einen Traum. Die Fantasie ist dabei wie ein Muskel, der trainiert werden kann. Es ist wichtig, so oft wie möglich die Gedanken freizulassen und sich die Frage zu stellen „Was wäre, wenn?“. So eröffnen sich einem Game Designer neue Spiel- räume für Ideen. „Brainstorming“ ist eine zentrale Ideenfindungsmethode, die sehr häufig in der einen oder anderen Form im Beruf genutzt wird. Es wurden schon aus den absur- desten Ideen Erfolgsprodukte geschaffen: „Samba De Amigo“, „Goat-Simulator“, „Worms“, „Katamari Damacy“, die Charakterwelten der „Teenage Mutant Ninja Turtles“ oder „Spon- gebob“. Kommunikation Die tollsten Ideen müssen aber auch an andere weitergegeben werden. Kommunikation ist die vielleicht am meisten eingesetzte Fähigkeit eines Game Designers. Sie findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Das Ausarbeiten eines Pitch-Decks, welches die Finanzie- 32 rung durch einen Publisher zum Ziel hat, braucht eine gute Didaktik und überzeugende Inhalte. Solche Präsentationen sind eine zeitaufwändige Arbeit und werden häufig nur ver- sendet, ohne sie live kommentieren zu können – was es schwieriger macht. Demgegen- über steht die tägliche Kommunikation der Teammitglieder untereinander während der Entwicklung. Damit Programmierer und Artists die Konzepte der Game Designer bestmög- lich umsetzen können, darf es keine Missverständnisse geben. Teamfähigkeit ist deshalb äußerst wichtig. Zeichnen und ästhetisches Bewusstsein Ein Game Designer muss nicht zeichnen können, aber oft hilft es, um sich selbst Teile des Konzepts deutlicher zu machen oder diese anderen aufzuzeigen. Ein visuelles Verständnis hilft nicht nur bei Diagrammen von Spielabläufen, sondern auch in der Kommunikation mit den Artists. Erkennen zu können, was schön oder harmonisch passend ist, ist für den Artist oder den Soundkomponisten selbstverständlich. Ähnlich verhält es sich aber auch mit dem Gesamt- werk. Zu wissen, welcher Artstyle und Sound zu welchem Spielgenre passt und wie die Artstyle Einzelteile der Entwicklung in ein harmonisches Ganzes verschmelzen, ist ein großes Der Artstyle ist der Stil, in dem die visuelle Darstel- Talent. lung eines Spiels präsen- tiert wird und damit eine Artwork, Audio und Programmierung grundlegende Stimmung vermittelt. Diese Bereiche sind normalerweise durch andere Teammitglieder in der Entwicklung abgedeckt. Es hilft jedoch sehr in der Kommunikation, Wissen und Erfahrungen in diesen Teilen zu besitzen, denn oft sind die entsprechenden Teammitglieder nicht in der Konzept- entwicklung dabei, sondern diese wird durch den Game Designer allein durchgeführt. Dadurch kann der Game Designer gerade in der Entwicklung der Prototypen im Artwork, im Audio oder der Programmierung aushelfen. Schreibkompetenz Ein Game Designer, der Storyautor und Dialogschreiber ist, muss selbstverständlich viel Schreiben und auch entsprechende Kompetenzen besitzen. Auch neben dem kreativen Schreiben werden viele Dokumente während einer Spieleentwicklung verfasst. In der Kon- zeptphase sind es die Vision, das High Concept, das Pitch Deck und später das Game- Design-Dokument oder Wiki. Während die Vision zum Beispiel Emotionen und Erlebnisse malerisch darstellen soll, ist das Game-Design-Dokument oft technischer Natur und besitzt einen hohen Anspruch auf Präzision. Verständnis von Ökonomie Spiele sind Produkte, die wirtschaftlich im Markt erfolgreich sein sollen. Daher ist es für einen Game Designer von Vorteil, wenn er die Bedingungen des Zielmarkts versteht und eine Vorstellung der wirtschaftlichen Aspekte seines Konzepts hat. Das hat zum Beispiel große Auswirkungen auf die Zielplattform und die Teile des Spiels, die eine gute Monetari- 33 sierung ermöglichen sollen. Spiele haben aber sehr oft auch wirtschaftliche Prozesse in der Spielmechanik verankert. Ressourcenkreisläufe und Zufluss wie Abfluss müssen regu- liert werden. Generell gibt es viele Kenntnisse, die für einen Game Designer von Bedeutung sein kön- nen, mit dem er sich in seinen Konzepten beschäftigt. Zuletzt sind jedoch noch zwei Eigen- schaften zu nennen, die für einen Game Designer unerlässlich sind: Zuhören und Kritik annehmen. Im Team wird der Designer viele Fragen und Feedback bekommen, denen er sich annehmen muss. Dabei wird jede Kritik am Spiel vom Designer persönlich genom- men, wenn es seine Idee bzw. seine Konstruktion ist. Das ist völlig natürlich, hilft aber bei der Entwicklung nicht weiter. In seiner Karrierelaufbahn muss der Game Designer lernen, Kritik am Spiel nicht persönlich zu nehmen, sondern sie dankbar aufzunehmen, um das Beste aus seinem Produkt zu machen. 2.2 Rolle Welche Eigenschaften tatsächlich im Beruf zum Tragen kommen, hängt zu großen Teilen von der Rolle ab, die der Game Designer im Team oder der Entwicklung übernimmt. Game Design ist sehr weitreichend. Das ist auch Teil des Grundes, warum es so ein unterschiedli- ches Verständnis von diesem Beruf gibt. Prinzipiell sollte die Bezeichnung Game Design auf das Erarbeiten von Inhalten und Mechaniken eingeschränkt werden. Game Designer sind nur am Rande an der tatsächlichen Darstellung dieser Inhalte im Spiel beteiligt. Diese Aufgaben erfüllen Programmierer und Grafiker bzw. Artists natürlich optimalerweise in Absprache mit den Game Designern. Es folgt eine Aufzählung an unterschiedlichen Rollen, die zwar nicht umfassend ist, aber einen Einblick gewährt (Brathwaite 2008): World Designer Das Thema oder Setting bestimmt die Spielwelt, in der sich der Spieler aufhält. Das kann ein einfaches Holzbrett mit Linien sein oder eine detailliert ausgearbeitete Fantasywelt mit einer völlig anderen Flora und Fauna, Zivilisationen von exotischen Völkern mit einem eigenen Rechtssystem und bedeutenden Persönlichkeiten. Die Gestaltung der Welt ist die Grundlage für die Stimmung, in die sich der Spieler begibt. Sie bietet eine Plattform für die Emotionen, die das Spiel erzeugen soll. „Doom“ nutzt rote Farbtöne, schnelle Heavy- Metal-Musik und groteske Gegnerfiguren, um den Spieler in eine Bedrohungssituation zu platzieren. Nur der Spieler kann diesen Konflikt auflösen und muss dazu brutale Kämpfe führen. „Flower“ dagegen möchte eine leichte, freie Emotion des Entdeckens erzeugen, die Entspannung und überraschende Freude mitbringt. Dazu wird die Natur in einer stili- sierten, geglätteten Weise dargestellt. 34 Abbildung 7: Emotionalität von „Doom“ versus „Flower“ Quelle: wccftech 2020, New Game Network 2009. Je nach Projektgröße gibt es viele unterschiedliche Positionen und Rollen im World- Design-Team. Beispielsweise sind im World Team von Massive Entertainments „Toms Clan- cy’s The Division“ (Windows) 79 Mitarbeiter in 26 unterschiedlichen Bezeichnungen aufge- führt. Level Designer Ein Videospiel ist üblicherweise in Teilabschnitte untergliedert, die Level genannt werden. Ursprünglich wurden diese Level in Arcade-Spielen genutzt, um den Spielfortschritt schwieriger zu gestalten und dabei bereits erstellte Inhalte wiederzuverwenden (und auf technischer Seite: die Inhalte in einer für den Arbeitsspeicher portionierten Größe zu 35 laden). Heute haben viele Spiele Level, die eher einem abgeschlossenen Set im Film ent- sprechen, oder sie lassen die Wahrnehmung der Level verschwinden, indem sie die Welt grenzenlos ausbreiten. Oft werden die Level zunächst grob gezeichnet, dann etwas detaillierter ausgearbeitet. Abbildung 8: Zeichnung eines Levels für einen Plattformer Quelle: Jonkers 2011. Ein Level Designer nutzt dann eine Game Engine, um die erdachten Spielinhalte umzuset- Pacing zen und einzuordnen. Damit reguliert er viele Spielzustände, wie zum Beispiel das Pacing. Das Tempo bzw. der Mit einer Heat-Map können verschiedene Daten eines Levels ausgewertet werden. Die fol- Rhythmus, mit dem das Spielgeschehen für den gende Heat-Map zeigt die Dauer an, die Spieler auf einer Position verbringen. Das Level ist Spieler abläuft, wird ein PvP-Szenario aus dem Spiel „Destiny“ von Bungie. Solche Daten helfen dem Level Pacing genannt. Designer, den Spielfluss zu analysieren und zu verbessern. Ein weiteres Beispiel könnte die Häufigkeit von Positionen aufzeigen, die Sniper (Scharfschützen) in diesem Level einneh- men. 36 Abbildung 9: Heat-Map aus „Destiny: Trials of Osiris“ Quelle: Bungie 2015. Game Designer Besonders Rollenspiele (RPGs) sind für ihre Story bekannt. Epische Geschichten, welche das Schicksal der Welt in die Hände des Spielers legen, sind natürlich von guten Hand- lungssträngen abhängig, die den Spieler mitreißen und überraschen. Diese treten dann in Form von Grafiken, Animationen, Sound und Dialogen auf. Jeder dieser Bereiche wird in der Entwicklung durch Game Designer dokumentiert. Ein Game Writer ist jedoch spezifi- scher Autor einer Story bzw. der damit verbundenen Charaktere, Handlungsorte usw. Er schreibt Dialoge von Protagonisten oder Texte, die in dem Spiel auftreten (zum Beispiel eine gefundene Flaschenpost). Eine gängige Praxis für die Vermarktung von Spielzeug ist es, die Spielobjekte mit Emotionen „aufzuladen“, indem sie in Geschichten beschrieben werden. Eine der erfolgreichsten TV-Serien für eine Spielzeugvermarktung ist „Transfor- mers“ von 1984. Game Writer können sich stark von Autoren anderer Medien unterschei- den, denn die Rahmenbedingungen (Textlänge, wiederholende Aussagen, Verästelung unterschiedlicher Abfolgen der gleichen Geschichte usw.) sind oft ganz anders. Eine Folge davon ist, dass einige Entwicklerstudios, die besondere Anforderungen haben, nicht mehr Autoren aus anderen Branchen einstellen, sondern eine eigene interne Ausbildung durch- führen (zum Beispiel das Entwicklerstudio BioWare). 37 Vision Keeper Der Vision Keeper ist eher eine Rolle im Entwicklungsprozess als eine Berufsbezeichnung. Diese Rolle kann auch durch andere Teammitglieder, wie einen Producer oder Produktma- nager, ausgefüllt werden. Der Vision Keeper achtet darauf, dass die wichtigsten Grundge- danken eines Spielkonzepts erhalten bleiben und bestenfalls durch alle Inhalte und Funk- tionen unterstützt werden. Er muss ein tiefes Verständnis für den Kern der Spielidee haben und diesen kommunizieren können. Was bedeutet ein Vision-Statement wie „Saving Private Ryan: The Game“ („Medal of Honor“), „A Blade in the Crowd“ („Assassin’s Creed“), „An alien, that travels from planet to planet collecting weapons and gadgets“ („Ratchet & Clank“)? Was leitet sich daraus ab? Oft kommt es zu Entscheidungen, welches Spielelement oder Feature in ein Spiel eingearbeitet werden soll oder welches bei Zeit- problemen gestrichen wird. Der Vision Keeper ist kritisch, wenn es um die Erhaltung der essenziellen Inhalte des Spieles geht. Lead Designer In größeren Entwicklungsteams leitet der Lead Designer die Game Designer. Er übernimmt häufig auch die Rolle des Vision Keeper und ist ein Bindeglied zwischen dem Management oder dem Publisher und dem Designteam. Er trägt die Verantwortung für die Inhalte des Spiels und den Consumer Promises, also dem, was der Spieler vom Produkt inhaltlich erwarten darf. Diese Erwartung spiegelt auch die Qualität des Spiels wider. Ein Racing Game (Rennspiel) kann eine Simulation mit schwieriger Steuerung und realistischen Wet- tereffekten darstellen oder einen lustigen Wettkampf in Tierfahrzeugen. Die Zielgruppe und der Markt sind völlig unterschiedlich. Der Team Lead stimmt sich sehr intensiv mit den anderen Arbeitsbereichen, Game Art und Development (technische Entwicklung) ab und sollte deshalb darauf vorbereitet sein, Kompromisse einzugehen. Zugleich muss er aber auch den Kern des Spiels und seine Ori- ginalität verteidigen können. Die Voraussetzung für gute kreative Arbeit, die zu originellen Spielideen führt, ist das Vertrauensverhältnis, das der Lead Designer in seinem Team schaffen muss. Core Game Designer oder System Designer Häufig haben Spiele ein oder mehrere sehr spezifische Regelsysteme, welche miteinander interagieren. Ein Fantasy-Rollenspiel hat beispielsweise ein Kampfsystem, ein Charakter- system, ein Magiesystem und ein Progressionssystem. Sind die Systeme einfach, kann ein Game Designer alle Systeme erstellen, aber bei großen Produktionen wird oft jedes der Systeme von einem oder mehreren Game Designern gestaltet. UI-Designer/Usability-Experte User-Interface (UI) Normalerweise sollte ein Spiel auf die üblichen User-Interface-Gewohnheiten eingehen, Das UI ist die funktionale wie die Benutzung der X-Taste auf einem Playstation-Controller für den Sprung des eige- Ebene, über die der Spie- ler mit dem Spiel inter- nen Avatars, aber fast alle Spiele brauchen eine Art Gebrauchsanweisung oder Spielregel, agiert. 38 um die Interaktion zwischen Spieler und Spiel zu vermitteln. Ein Trend ist es, diese Anlei- tung (oder Tutorial) so in das Spiel zu integrieren, dass sie unbewusst vom Spieler aufge- nommen wird und Spaß macht. Abbildung 10: Spielanleitungen von Sid Meiers „Civilization II“ (PC) Quelle: Retroinvaders 2017. Der UI-Designer oder Usability-Experte hat die schwierige Aufgabe, einen didaktisch kla- ren Lernprozess für die Spielregeln sowie die visuellen und auditiven Feedbacks für die Spielelemente und Benutzeroberfläche zu entwickeln. Analytic Game Designer Eine Spezialisierung des Game Designer, die erst in den letzten Jahren aufkam, ist die des Spezialisten für Monetarisierung und Analyse von Daten. Mit dem Aufkommen der Brow- sergames, der Mobile Games und dem damit verbundenen Games-as-a-Service-Business- modell ist der Bedarf an Game Designers, die ein Spiel während des Livebetriebs optimie- ren können, sehr stark angewachsen. Ein Analytic Game Designer oder Monetarisierungsexperte konstruiert das Spiel auf einen funktionierenden wirtschaftli- chen Betrieb. Häufig ist damit ein Free-to-play-Ansatz verbunden, weshalb ein genaues Augenmerk auf die Ressourcengewinnung im Spiel und die verkauften Transaktionen wichtig ist. 39 Tester (Quality Assurance) Die QA (Quality Assurance/Qualitätskontrolle) stellt sicher, dass die Umsetzung des Spiels den Qualitätsansprüchen genügt. Dabei geht es um das Aufspüren technischer Fehler (Bugs), das Testen der Spielbalance, die Ermittlung von Verständnisschwierigkeiten und anderer Probleme. Die QA ist damit ein essenzieller Bestandteil des Game Design, um die Spielererwartung mit dem Spielerlebnis abzugleichen. In der Regel sind diese Tests so umfangreich, dass die QA eine eigene Abteilung innerhalb der Spieleentwicklung darstellt oder von einem externen Dienstleister durchgeführt wird. Viele Game Designer haben ihre Karriere in der QA-Abteilung gestartet. 2.3 Team Ein Game Designer arbeitet in einem Team von Mitarbeitern. Einzelne Game Designer, die auch alles andere, wie Programmierung, Sound und Artwork, am Spiel im Alleingang machen, gibt es zwar immer noch, aber sie sind sehr selten. Umso mehr stechen Erfolge heraus, die im Kern von einer einzelnen Person erreicht werden, wie zum Beispiel „Minec- raft“ von Markus „Notch“ Persson, „PlayerUnknown‘s Battlegrounds“ (PUBG) von Brendan Greene oder Dong Nguyen mit seinem „Flappy Bird“. In der Pionierzeit der ersten Video- spiele, in den 1970er- und 1980er-Jahren, wurden die Spiele oft von einzelnen Personen entwickelt, die Game Designer, Artist und Programmierer zugleich waren. Die Branchensi- tuation ist heute aber eine andere. Früher waren die Spiele nur wenige KB groß, während aktuelle Spiele schon die 100-GB-Grenze überschreiten. Die Entwicklung und Vermarktung eines Spiels ist deutlich aufwendiger geworden, entsprechend ist die Anzahl an Personen gewachsen, die an der Fertigstellung beteiligt sind. In der Grundstruktur gibt es eine Part- nerschaft zwischen Publisher und Entwickler, die grob dem Verlag und dem Autor aus der Buchbranche entspricht. Der Publisher finanziert die Entwicklung, unterstützt durch Qua- lity Assurance und vermarktet das Spiel. Der Entwickler „pitcht“ sein Spielkonzept an den Publisher und setzt dieses dann im Auftrag des Publishers um. Da sich der Markt aber ste- Crowdfunding tig verändert (zum Beispiel durch das Crowdfunding), treten auch vermehrt neue Modelle Das ist eine Finanzie- der Vermarktung auf und lassen Zweifel an der bisherigen Struktur aufkommen. rungsmöglichkeit, bei der Spieler die Entwicklung des Spiels mitfinanzieren. Bei den Serious Games ist die Publisher-Entwickler-Struktur dagegen noch sehr dominant, da es sich normalerweise um Auftragsarbeiten handelt. Schwierig wird es, wenn eine Agentur (Werbung/Kommunikation/Strategie/Innovation) den Auftrag zu einem Serious Game an einen Entwickler weitergibt, weil die Anzahl der Stakeholder zu Erwartungs- und Kommunikationsproblemen führen kann. Ein typisches Produktionsteam eines Spieleentwicklers besteht aus den Teilen Game Design, Art & Sound und Development. Aus diesen Bereichen wird aber oft ein Teil der Pro- duktion der Inhalte an externe Zulieferer vergeben. Dabei handelt es sich vor allem um Artwork (Illustrationen, 3D-Modelle usw.), Animationen und Sound. Weitere populäre Quellen, die gute und günstige Spielinhalte anbieten, sind die Asset-Stores der Game Engi- nes, wie zum Beispiel Unity3D und UnrealEngine. Sie ermöglichen damit vor allem den kleineren Teams Möglichkeiten, schneller und kostensparender zu entwickeln. 40 Klassische Teamrollen neben dem Game Designer innerhalb eines Entwicklerteams sind: Producer Häufig übernimmt der Producer die Leitung des Projekts. Er kommuniziert mit den ande- ren Stakeholdern – in der Regel dem Producer des Publishers. Seine Aufgabe ist es, die Produktion in der vorgegebenen Zeit und im Rahmen des Budgets abzuschließen, weshalb er die Arbeitsplanung und Einhaltung der Meilensteine übernimmt. Er steht damit häufig in Konflikt zu den Wünschen des Teams, die mehr Zeit für die Umsetzung ihrer Ideen for- dern. Gute Kommunikationsfähigkeiten sind sehr wichtig für den Producer, um die Motiva- tion im Team hochzuhalten. Programmierer Unter Programmierern werden allgemein alle Teammitglieder betitelt, die sich mit der technischen Umsetzung befassen. Die meisten Entwickler sind „Front-End“-Programmie- Entwickler rer, also für den Teil des Spiels verantwortlich, der auf dem Gerät des Spielers abläuft. In der Spielentwicklung werden Programmierer „Back-End“-Programmierer sind dagegen für die Abläufe und Technik auf dem Server ver- auch einfach Entwickler antwortlich. oder Coder genannt. Für Game Designer ist es wichtig, auf das Feedback der Programmierer zu achten, da sich daraus die Effizienz der Umsetzung ableitet. Eine Anpassung des Game Design an techni- sche Bedingungen ist grundsätzlich ratsam. Artist Neben den Programmierern arbeitet ein Game Designer viel mit den Artists zusammen, also den Verantwortlichen für die visuelle Darstellung im Spiel. Der Artstyle (Form und Stil der Darstellung) soll die Stimmung des Spiels wiedergeben und muss entsprechend der Zielgruppe und der Spielinhalte gewählt werden. Die Artists erstellen die Charaktere und die Spielwelt – von Konzeptentwürfen bis zu 3D-Modellen. Sie entwickeln die Benutzer- oberfläche (User Interface/UI), durch die der Spieler mit dem Spiel interagiert. Es werden Animationen und Effekte konstruiert, die Spielobjekte zum Leben erwecken und dramati- sche Lichteffekte erscheinen lassen. Nicht zuletzt erstellen die Artists narrative Zwischen- sequenzen, sogenannte Cut-Scenes, die Momente der Erzählung als Film wiedergeben. Damit es zwischen den beiden Kreativbereichen Game Design und Game Art keine stören- den Spannungen gibt, ist eine ehrliche und respektvolle Kommunikation nötig. Sound Designer (Sound Engineer) Für die Mitarbeiter des Teams, die Sounds oder Musik erstellen, gilt im Prinzip das Gleiche wie für die Artists. Die Stimmung und Emotionen des Spielers werden stark durch die Musik beeinflusst. Sounds sind unverzichtbare Feedbackgeber für die Handlungen des Spielers. Sie sind ein wichtiges Element, um dem Spieler die Wirkung seiner Aktion mitzu- teilen. Gute Sound Designer schaffen es, unverkennbare Geräusche mit der Welt zu verbin- den, wie zum Beispiel das Atmen von Darth Vader oder das Geräusch eines Lichtschwerts 41 bei „Star Wars“. So kann der Spieler in Bungies Weltraum-MMO „Destiny“ unterschiedliche Schusswaffen an ihren markanten Schussgeräuschen erkennen und das Verhalten ablei- ten. Quality Assurance Game Designer erstellen in der Regel mit den Mitarbeitern der Qualitätssicherung die Test- pläne für das Spiel und nehmen das Feedback der Spieler entgegen. Diese wiederum geben sich Mühe, möglichst alle Fehler im Spiel zu finden und aufzuzeichnen, sodass es für den Game Designer oder Programmierer möglich ist, sie nachzuvollziehen und zu beheben. Auch hier führt eine enge Zusammenarbeit zu einem besseren Produkt. 2.4 Prozesse der Spieleentwicklung Am Anfang steht die Idee. Ist das immer so? Nein. Tatsächlich arbeiten die meisten Spiel- eentwickler vorwiegend an Aufträgen, die nicht auf eigenen Ideen basieren. Diese Aufträge kommen von anderen Partnern. Das sind üblicherweise Publisher, die eine Strategie umsetzen und dazu ein Spiel vermarkten möchten. Zum Beispiel könnte Disney die Marke „Mulan“ mit einem Spiel für mobile Geräte unterstützen wollen. Dann erstellt Disney eine Request For Proposal Ausschreibung oder ein Request For Proposal(RFP) und kontaktiert damit verschiedene (RFP) Entwicklerstudios. Das Gleiche geschieht bei Anfragen von Unternehmen oder Agenturen, Damit wird eine Anfrage für ein Angebot bezeich- die einen Entwickler für ein Serious Game oder eine Gamification-Lösung suchen. Wird der net, welches ein Publisher Auftrag zugesagt, regelt ein Werkvertrag die Konditionen und rechtlichen Bestimmungen. an Entwicklerstudios herausgibt, um ein Pro- jekt umzusetzen. Der Entwicklungsprozess ist weitgehend der gleiche wie für andere Formen der Software- Stage-Gate-Prozess entwicklung. Häufig wird der Stage-Gate-Prozess angewendet, der die Entwicklungs- Dabei handelt es sich um phase in unterschiedliche Abschnitte unterteilt und Abnahmen durch die Stakeholder vor- ein standardisiertes Pro- zessmodell zur Software- sieht. Er wird hier kurz beschrieben und kann als Modell für ähnliche Prozesse gelten. Im produktion. Gegensatz zur klassischen Softwareentwicklung ist der Stage-Gate-Prozess in der Spiel- eentwicklung leicht modifiziert. Vor allem die Konzeptphase nimmt eine besondere Rolle in Anspruch, da viel des potenziellen Erfolgs des Produkts davon abhängt. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Spiele in agilen Prozessen wie „Scrum“ oder „Kanban“ entwickelt werden, die einen Fokus auf Spielererlebnis, die Fähigkeiten des Teams und schnell iterierbare Umsetzungen legen. 42 Abbildung 11: Stage-Gate-Prozess - Überblick Quelle: Volker Hirsch 2021. 43 Phasen des Produktionsprozesses Im Produktionsprozess werden verschiedene Phasen durchlaufen: Konzeptphase Design Thinking Die Konzeptphase ähnelt stark dem Prozess des Design Thinking. Über eine Definition der ist ein Prozess zur kreati- Zielgruppe wird in iterativen Zyklen das Konzept ausgearbeitet. Eine Besonderheit der ven Erarbeitung von Designlösungen Spielekonzeption ist die Suche nach dem Spaß (Proof of Fun). Wird das Produkt die Ziel- gruppe wie gehofft unter

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