Vergleichende Politikwissenschaft - Der Nationalstaat: Theorie PDF
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University of St. Gallen
Oliver Strijbis
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This document, likely part of a lecture on comparative political science, outlines the concept and history of the national state. It also details the roles of the national state in both an internal (domestic) and international context. It uses core concepts in political theory, such as the state, nation, and nationalism, to form its structure.
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Vergleichende Politikwissenschaft Der Nationalstaat: Theorie Prof. Oliver Strijbis 1 Bevor wir beginnen, bitte schnell Umfrage ausfüllen! 2 Inhalte heute: 1. Staat, Nation und Nationalismus 2. Erklärunge...
Vergleichende Politikwissenschaft Der Nationalstaat: Theorie Prof. Oliver Strijbis 1 Bevor wir beginnen, bitte schnell Umfrage ausfüllen! 2 Inhalte heute: 1. Staat, Nation und Nationalismus 2. Erklärungen für die Staatsbildung 3. Erklärungen für die Nationenbildung 3 Lernziele Vertrautheit mit Konzepten des modernen (National-)Staats, der Nation und des Nationalismus Verständnis von Theorien über die Entstehung von Nationalstaaten Verständnis von Theorien über die Entstehung von Nationen 4 1. Staat, Nation und Nationalismus (1) Die Rolle des Nationalstaats als Einheit in der Politikwissenschaft: Nationalstaat als fundamentale Einheit in der vergleichenden Politikwissenschaft (Innenpolitik) → Konflikt innerhalb Staaten: z.B. zwischen peripheren Regionen und Zentralstaat; zwischen liberalen und konservativen Eliten (Staat−Kirche), usw. Nationalstaat als fundamentale Einheit in den internationalen Beziehungen (Staatensystem) → Konflikt zwischen Staaten: Nationalstaat wird im Gegensatz zu anderen definiert. 5 1. Staat, Nation und Nationalismus (2) Staat, wenn man mittels gewalt fähig ist ein Definition von Staat: Territorium zu regieren Ein Staat ist die Gemeinschaft, die „innerhalb eines bestimmten Gebietes […] das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht“(Max Weber) sorgt nur für Sicherheit und nichts weiteres Minimale Funktionen («Nachtwächterstaat»): (nach innen und aussen) -> weit weg von - Verteidigung gegen Aussen: Militär modernen Nationalstaaten - Innere Ordnung: Recht, Bürokratie, Polizei, Gefängnisse, etc. - Finanzen: Erheben von Steuern Schwierige zeitliche Abgrenzung: - Gemäss Poggi (s.68) nach Mittelalter (ca. 13. bis 15. Jahrhundert) Staaten ca dann entstanden - Modernes Staatensystem: Westfälischer Frieden Datum, an dem das Staatensystem entstanden ist 6 1. Staat, Nation und Nationalismus (3) Der Nationalstaat als neue Form politischer Ordnung: Elemente des Nationalstaates (Wimmer und Min 2006): 1. Zentralisierte, bürokratische Form des Regierens 2. Einheitlich, ohne institutionelle Unterscheidung zwischen Zentrum und Peripherie 3. Prinzip der Gleichheit aller Bürger («Bürgerschaft» ≈ citizenship) 4. Regieren im Namen einer Nation Abgrenzung: - Feudal- und (frühe) Stadtstaaten erfüllen 1. nicht Feudalgebiete werden unabhängig regiert - Reiche erfüllen 2.-4. nicht - Absolutistische Monarchien erfüllen 3. nicht (da Dynastien) Nationalstaat «neues» Phänomen: Herausbildung im Laufe des 19. Jahrhunderts. 7 1. Staat, Nation und Nationalismus (4) Ausbau der staatlichen Funktionen. Der minimale Staat Der Der Industriestaat Der Sozialstaat Staatsbildung heisst, dass (Nachtwächterstaat) Nationalstaat es immer mehr Optionen gibt einen Staat zu ! Verteidigung ? de nieren (Wehrpflicht) ! Interne Sicherheit ! Schulen ? und Ordnung ! Zentralisierung und ! Finanzen Standardisierung: ! Intervention in die ? − Verwaltung Wirtschaft scha t es ein − Sprache ! Investition und ! Umverteilung von ? ! Aufbau nationale Infrastruktur: Ressourcen Territorium zu Identität − Transport ! Versicherung gegen konsolidieren − Energie Risiken (Sozialpolitik): ! Monetär / Fiskal- und für Scha en einer politik: Zentral- − Unfall − Arbeitslosigkeit historisch gesehen Sicherheit zu nationalen sorgen Identität banken − Rente − Gesundheit muss es nicht immer intervenierter Staat − Mutterschaft diese Reihenfolge sein Ermöglichen von wirtschaftlichen Wachstum und 8 Gleichheit scha en 1. Staat, Nation und Nationalismus (5) Abbildung: Anzahl Nationalstaaten seit Beginn O des 19. Jahrhunderts Erst im Verlaufe des 20. Jahrhunderts stark ausgeprägt -> relativ modernes Phänomen 9 1. Staat, Nation und Nationalismus (6) Formen der Staatsbildung: 1. Herausbildung aus Absolutismus: Grossbritannien, Frankreich, Spanien, Schweden, Dänemark, Russland, Japan Abspaltungen und dann 2. Unabhängigkeit, Sezession: Belgien, Irland, Norwegen, Finnland, Island wurden gebildet Nationalstaaten 3. Vereinigung: Deutschland, Schweiz, Italien und USA (auch Unabhängigkeit) 4. Ende multi-nationaler Reiche: ! Habsburgisches, Osmanisches und Zaristisches (Russisches) Reich: Zentral-, Ost-, Südosteuropa ! Ende Kolonialismus: Afrika, Südamerika, Asien ! Ende des Kommunismus: Sowjetunion, Jugoslawien 10 1. Staat, Nation und Nationalismus (7) Zuerst kam der Nationalstaat, dann die Nation -> Einwand, dass Italien und Deutschland gerade aufgrund von nationalistischen Bewegungen gegründet worden sind „Nationalismus“, ein modernen Begriff: Nationalismus ist eine Ideologie, die sagt, dass Staat und Spätes 18. Jahrhundert! Nation einheitlich sein müssen. Dafür braucht es Staatsgrenzen für die Nationen und gleichzeitig Homogenität nach Innen. -> Eine dominante Gruppe soll es Nationalismus als Ideologie: innerhalb eines Staates geben, es kann keine nationale heterogene Bevölkerung geben. - Politische Bewegung mit dem Ziel der Kongruenz von Staat, Nation und Nationalismus - Dominante Konzeptualisierung in der Soziologie Oft wenn man über Nationalismus spricht, spricht man nicht von der Makroebene Nationalismus als Wahrnehmung: (Staat = Nation), sondern von der individuellen Ebene (Individum sieht z.B. seine Nation als die bessere) - Vorstellung von nationaler Überlegenheit - Dominante Konzeptualisierung in der Psychologie 11 1. Staat, Nation und Nationalismus (8) Abbildung: Nationalismus als Das ist individueller Nationalismus Gefühl von Wenn man einverstanden ist, dass die eigene Überlegenheit Nation überlegen ist Die meisten sind überzeugt, dass die eigene besser ist ◦sieht wie unlogisch das ist; mathematisch unlogisch ◦Italien, Schweiz und Deutschland können nicht allen anderen überlegen ist Spanien: "Minderwertigkeitskomplex" -> Menschen denken nicht, dass die eigene Kultur den anderen überlegen ist. Spanier haben selber kritische Ansichten bezüglich Spanien. Korrelation: Je weniger stark entwickelt ein Land, desto stärker der Nationalismus 12 1. Staat, Nation und Nationalismus (9) Nationalismus als Perzeption nationaler Überlegenheit: Perzeption nationaler Überlegenheit (Chauvinismus), nicht unbedingt biologisch begründet (→ Rassismus) Überlegenheit ist nicht direkt mit Rassismus zu verbinden (Rassismus wird heute einfach auf viele Situationen angewendet -> Begri wird unscharf) Soziale Identitätstheorie gemäss minimal group paradigm (Tajfel & Turner): Tendenz zu Gruppenbildung, wobei in-group positiv und out-group negativ wahrgenommen wird → Nationalismus: «Eigene» Nation in-group, andere als out-groups Nationalismus ist, wenn man will, dass Nation und Staat kongruent ist Evidenz basierend auf Experimenten: - Zufällige Kategorisierung von Individuen in Gruppe «Klee» und «Kadinsky». - In-group bias: Bevorzugung von Individuen aus gleicher Kategorie («Klee») - Out-group adversity: Benachteiligung von Individuen aus anderer Kategorie («Kadinsky») 13 1. Staat, Nation und Nationalismus (10) Replikation während der Vorlesung (s. Umfrage am Anfang, hier Resultate von 2022 aus Zürich): Präsentation von zwei mit AI-Bildern, die von «alten» belgischen Künstlern stammen könnten Welches Bild gefällt besser? Zufällige Zuordnung zu Marc Jacobs und Philippe Meertens (völlig unabhängig davon, welches Bild besser gefiel. Die Bilder wurden nie zugeordnet.) Verteilung von 15.- CHF auf zwei Studierende («dictator game») Experiment: - Treatment Gruppe: Eine Student*in mit gleicher Präferenz, eine mit anderer Präferenz - Kontrollgruppe: Beide gleiche Präferenz Werden Studierende mit gleicher Präferenz bevorzugt? 14 1. Staat, Nation und Nationalismus (11) Abbildung: Payout in CHF für Student*in 1 je nach Gruppenzugehörigkeit Studierende wählen höheren Betrag für Student*in 1, wenn sie gleiches Bild bevorzugt! 15 1. Staat, Nation und Nationalismus (12) Nationalismus setzt Begriff von Nation voraus: Subjektivistische Definition von Nation als «(...) eine vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän.“ (Anderson) - vorgestellt: Kann nicht alle Mitglieder kennen nichts objektives, reine Vorstellung - Gemeinschaft: Als Verbund von Gleichen politische Gemeinschaft - begrenzt: Nicht universal, Abgrenzung zu anderen Gemeinschaften - souverän: Anspruch auf einen Staat sollte politische Autonomie haben Manchmal auch definiert als Kombination von objektiver und subjektiver Dimension: - Objektiv: Sprache, Gebiet, Religion, Gebräuche, usw. Diese De nition weniger - Subjektiv: Identität konstruktivistisch -> realistischer 16 1. Staat, Nation und Nationalismus (13) «Zivile» (civic) Nationen Ethnische Nationen − Verfassungspatriotismus − Kulturelle Merkmale − Phänotypen / Merkmale, − Werte, Prinzipien (können übernommen die Abstammung signali- − Partizipation werden => Assimilation) sieren (können nicht − Rolle des Landes im VS. − Sprache / Religion VS. übernommen werden) internationalen Kontext − Phänotypen / Im deutschsprachigen Nachnamen Raum oft zwischen politische Nation und Politische Nationen Kulturnationen kulturnation unterschieden, und was Schweiz oft als Willensnation bezeichnet -> wir haben in der Schweiz kaum reinpasst objektive Kriterien, die Gemeinschaft/Einheit bilden -> nicht eine Sprache, Oben den selben Diskurs nicht eine Religion, nicht nur ein Brauch, das uns verbindet -> wenig in der englischsprachigen objektives Material auf welches die Schweiz vorgestellt werden kann Welt -> Unterschied zwischen civil und ethnic nations 17 1. Staat, Nation und Nationalismus (14) Politischer Kampf um Definition/Entstehungsgeschichte Politischer Kampf darum, wie die Nationen de niert werden Ist eine Nation politisch, kulturell oder ethnisch? Bsp. Schweiz: - Politische Nation? => Direkte Demokratie, Neutralität, Humanitäre Rolle Es gibt nicht eine Vorstellung der - Schweiz als Kulturnation? => Fleiss, Sparsamkeit, Viersprachigkeit Schweiz, verschiedene - Schweiz als ethnische Nation? Gemeinsame Abstammung, Bergvolk, Bauernvolk Segmente kann man unterschiedlichen Banaler Nationalismus (Billig): Hat Bevölkerung überhaupt ein so differenziertes Bild De nitionen zuordnen der Nation? Ausnahme, dass man sich solche genaue Vorstellungen macht Empirische Evidenz für Nationentypen: Unterschiedliche Dimensionen in Umfragen, unterschiedliche Diskurse 18 Inhalte heute: 1. Staat, Nation und Nationalismus 2. Erklärungen für die Staatsbildung 3. Erklärungen für die Nationenbildung 19 2. Erklärungen für die Staatsbildung (1) Was soll erklärt werden? => Unterschiede (Varianz) ! Zeitlicher Trend: Wann entstehen Staaten (Staatsbildung)? ! Räumliche (geographische) Varianz: Wo entstehen Staaten? ! Zeit * Raum: Wann kommt es wo zu Staatsbildung? 20 2. Erklärungen für die Staatsbildung (2) Abbildung: Anzahl neuer Nationalstaaten FalldesReichsKETTE 21 2. Erklärungen für die Staatsbildung (3) Konsolidierung des Land Einführung allgemeine Wehrpflicht Frankreich 1793 / 1803 Staates nach Aussen: Schweiz 1798 / 1848 Aufbau einer Armee Preussen 1807 Dänemark 1847 Vereinigte Staaten 1862 / 1917 Deutsches Reich 1871 Japan 1871 Schweden 1891 Grossbritannien 1915 Finnland 1918 Kanada 1938 Australien 1938 Neuseeland 1939 Quellen: Military Recruitment Data Set; Historisches Lexikon der Schweiz; 22 Encyclopedia Britannica 2. Erklärungen für die Staatsbildung (4) Abbildung: Erhebung von Steuern 23 2. Erklärungen für die Staatsbildung (5) Abbildung: Erhöhung der Staatsausgaben 24 2. Erklärungen für die Staatsbildung (6) Abbildung: Legislative und administrative Zentralisierung in der Schweiz (Dardanelli und Müller 2017). Dezentralisierungder 25 2. Erklärungen für die Staatsbildung (7) Abbildung: Legislative und administrative Zentralisierung in der Schweiz (Dardanelli und Müller 2017). Die Stärkung des Zentralstaates gehört auch zur Bildung eines Nationalstaates 26 2. Erklärungen für die Staatsbildung (8) Erklärungen: 1. Wirtschaftliche Entwicklung und religiöser Konflikt (Rokkan) 2. Nebenprodukt von Kriegen (Tilly) 3. Direkte Herrschaft und Sezession (Hechter) 4. Internationale Diffusion (Meyer et al.) 5. Nationalismus (Anderson, Gellner, Wimmer und Feinstein, u.a.) 27 2. Erklärungen für die Staatsbildung (9) 1. Wirtschaftliche Entwicklung und religiöser Konflikt (Rokkan) Frühere Herausbildung in den Peripherien des heiligen römischen Reichs. Spätere Herausbildung in den Kerngebieten des Reichs: - Handelsroutengürtel: entlang Rhein und Donau, durch Alpenpässe. - Dichte von etablierten Zentren: Politische Fragmentierung, religiöse Fragmentierung Zwei „topologische“ Achsen: N - Nord-Süd: die kulturelle Dimension. W O - West-Ost: die wirtschaftliche Dimension. S 28 2. Erklärungen für die Staatsbildung (10) Atlantischer Rokkans „Karte Kapitalismus Zentrum mit vielen Städten -> von Europa“ viel wirtschaftliche Aktivität (Rokkan, 2000: S. (wären gerne politische 179 und 215). Hanse Zentren) Nieder- lande Westlich und östlich ist die STÄDTE- europäische Peripherie N- RHE GÜRTEL S H IN Nord Süd Achse gibt es einen Kultur AN DE Schw. Eidg. L PERIPHERIE Alpenpässe kulturellen Kon ikt It. Stadt-Staaten Es ist schwierig Staaten im Zentrum zu konsolidieren Orient-Handel Wirtschaft 29 2. Erklärungen für die Staatsbildung (11) Rokkans „Karte von Europa“ (Fortsetzung) STÄDTE- GÜRTEL MARITIME LANDGE- REICHE BUNDENE REICHE Wirtschaft 30 2. Erklärungen für die Staatsbildung (12) Rokkans „Karte von Europa“ REFORMIERTER (Fortsetzung) PROTESTANTISMUS GEMISCHT religiöse Kon ikte Kultur Frankreich Habsburg KATHOLISCHE GEGENREFORM 31 2. Erklärungen für die Staatsbildung (13) Rokkans „Karte von Europa“ (Fortsetzung) grosse Probleme Staaten zu konsolidieren Stark kontextualisiert an die europäische Geschichte. Dort wo Konkurrenz schwieriger einen Nationalstaat zu konsolidieren, deswegen längere Entwicklung 32 2. Erklärungen für die Staatsbildung (14) 2. Nebenprodukt von Kriegen (Tilly): Dauernde Kriegsführung und Verstärkung militärischer Kapazität: - Aufrechterhaltung von Armeen erfordert Verwaltung, welche Mittel beschafft: Steuern; Investitionen in Infrastruktur (z.B. Kanäle, Strassen). - Repressionsapparat gegen Widerstand bei Besteuerung; Tausch politische Rechte gegen Steuern («no taxation without representation»). - Im Krieg aufgebaute Verwaltung danach nicht zurückgebaut sondern umfunktioniert. - Abtragung von Kriegsschulden durch Verstaatlichung und Besteuerung. Im Krieg hat man eine grössere Infrastruktur und es gibt keine Tendenzen dies wieder zu verringern -> Schübe der Staatsbildung aber nicht gleich starke Rückgänge 33 2. Erklärungen für die Staatsbildung (15) 3. Direkte Herrschaft und Sezession (Hechter): Indirekte Herrschaft durch regionale Eliten wurde ersetzt durch direkte Herrschaft durch eine hierarchische Bürokratie (Rationalisierung): - In unabhängigen Staaten homogenisierten die Eliten die Bevölkerung und verwandelten damit einen minimalen in einen Nationalstaat. - Häufiger aber gab es Widerstand von peripheren Eliten (Eliten ethnischer/regionaler Minderheiten), was zu sezessionistischer Mobilisierung führte (Beispiele: Habsburger und Ottomanisches Reich). 34 2. Erklärungen für die Staatsbildung (16) 4.Weltweite Diffusion (Meyer et al.): Nationalstaat als Idee, welche als Teil einer Weltkultur entstand. Nationalismus als Idee, welche den Nationalstaat legitimiert. Je mehr Eliten vernetzt sind mit Zentrum der globalen Kultur, desto eher übernehmen sie die Ideen dieser Weltkultur. Je mehr Nationalstaaten existieren, desto schneller werden sie kopiert (sich selbst verstärkender Prozess) Institutionalisierung in den Vereinten Nationen (UNO). Es gibt eine kulturelle Dimension von nationaler Unabhängigkeit, weil sie weltweit di ungiert wird (man sieht sie überall auf der Welt) 35 2. Erklärungen für die Staatsbildung (17) 5. Nationalismus (Anderson, Gellner, Wimmer und Feinstein, u.a.): Bis jetzt sind wir (implizit) davon ausgegangen, dass der Staat die Nation schafft. Aber die Kausalität kann auch umgekehrt sein: Die Bevölkerung scha t es sich mit dem Staat zu − Assimilation identi zieren − Typen von Nationalismen (z.B. Frankreich, Schweiz) GEBIET IDENTITÄT (Staatsbildung) (Konstruktion der Nation) − Vereinigung − Unabhängigkeit, Trennung, und Selbstdeterminierung (z.B. Deutschland, Italien) 36 2. Erklärungen für die Staatsbildung (18) War der (National-)Staatsbildungsprozess erfolgreich? Ja, siehe Ausbreitung des Nationalstaates! Aber (Colomer): - Limitierte Zentralisierung und Homogenisierung in grossen Ländern wie den USA, China, Indien oder Indonesien. - «Failed states» im nahen Osten und Afrika - Sogenannte «Nationalstaaten» waren de facto Kolonialstaaten. Entkolonialisierung koinzidiert mit Schaffung der Europäischen Union. → Die europäische Union als neuer supra-/multi-nationaler Staat? 37 Inhalte heute: 1. Staat, Nation und Nationalismus 2. Erklärungen für die Staatsbildung 3. Erklärungen für die Nationenbildung 38 3. Erklärungen für die Nationenbildung (1) Drei Typen von Erklärungen Erwarteter Nationentyp Staatsbildung Nationalismus Nation Politische/“zivile“ Nation man muss „einfach“ mit der Politik einig sein Staatsbildung oder dort geboren sein (z.B. Frankreich) Kultureller/ethnische Nation Ethnie Nation problematisch, weil sie viel weniger o en ist basieren auf bestehenden Identitäten/Kultur/Gemeinschaft (keine Möglichkeit für Assimilation wenn man nicht dazu gehört) (z.B. Deutschland) Modernisierung ( Staatsbildung) Nation unklar z.B. auf Kapitalismus 39 3. Erklärungen für die Nationenbildung (2) Territoriale/politische Nationenbildung: Die moderne Nation als soziales Konstrukt; eine «Erfindung von Tradition» (Hobsbawm und Rider). Nationen werden «geschaffen»: Nation-building Konsolidieren des Staates durch Nation => Wenn sich Menschen mit Staat identifizieren, dann legitimieren und stabilisieren sie diesen auch (z.B. ziehen in den Krieg) Nationalismus als «kulturelle Hegemonie» (Gramsci), welche Konflikte innerhalb des Staates überdeckt (z.B. «falsches Bewusstsein» der Arbeiter) bzw. unterdrückt (z.B. Repression gegen Minderheiten) Beispiele für politischen Nationalismus: Frankreich, Schweiz 40 3. Erklärungen für die Nationenbildung (3) Abbildung: Ungleichheit und nationale Identifikation (vorhergesagte Wenn hohe Wahrscheinlichkeiten) (Solt soziale 2011) Ungleichkeit sagen eher Leute dass sie stolz auf ihre Nation sind (Ungleichkeit -> Erklärung: Je höher die emotional Ungleichheit in einem Land verbunden) ist (X-Achse), desto nationalistischer sind die Bürgerinnen (Y-Achse) 41 3. Erklärungen für die Nationenbildung (4) Vorstellung der Nation besteht auf der Vorstellung von Ethnien (-> Vornationale Völker) Ethnische/kulturelle Nationenbildung: ! Keine Tabula Rasa: Rolle der Vergangenheit für die Gegenwart. ! Ethnie: Gebiet, Abstammungsmythen, kollektive Erinnerung, usw. ! Ethnien als „vornationale Völker“,: Potentielle Nationen, die im 19./20. Jahrhundert zu Nationen geworden sind. ! Umdeutung der Vergangenheit, Wiederentdeckung und Selektion von historischem Material => Nicht alles ist konstruiert: Historischer und räumlicher Kontext ist gegeben ! Beispiele für ethnischen Nationalismus: Deutschland, Italien 42 3. Erklärungen für die Nationenbildung (5) Smith, A. (1986). The Ethnic Origins Of Nations. Blackwell. Mythen vor hunderten Jahren -> es gibt eine Kontinuität (es gibt italians, greeks) -> keine biologische Erklärung, aber es gab bereits früher eine Vorstellung vom italienischen Volk -> paar sind auch schon ausgestorben (diese Vorstellungen haben sich nicht 43 durchgesetzt) 3. Erklärungen für die Nationenbildung (6) Smith, A. (1986). The Ethnic Origins Of Nations. Blackwell. 44 3. Erklärungen für die Nationenbildung (7) Smith, A. (1986). The Ethnic Origins Of Nations. Blackwell. 45 3. Erklärungen für die Nationenbildung (8) Modernisierung und Industrialisierung (Gellner): Industrialisierung heisst auch zunehmende soziale Mobilität, geographische Mobilität und Urbanisierung. Industrialisierung braucht mobile und alphabetisierte Arbeitskraft => kulturelle und v.a. sprachliche Homogenisierung. Bedeutende Rolle von Schule und Armee Nationale Identität ersetzt frühere Formen der Identität in der modernen Massengesellschaft: Von «Gemeinschaft» zu «Gesellschaft» (Tönnies). Sprachgruppe ≈ Nation 46 3. Erklärungen für die Nationenbildung (9) Vormoderne / Agrargesellschaften: Schichten ohne vertikale Mobilität: Militär, Verwaltung, Klerus, manchmal Bürgertum. Bauern Seitlich isolierte Bauerngemeinschaften; keine Kommunikation / Mobilität, keine Vorstellung. 47 3. Erklärungen für die Nationenbildung (10) Moderne / Industriegesellschaften: Vertikale Mobilität: Breiteres Bürgertum. Arbeiter und Bauern Geographische und soziale Mobilität (stärkere Homogenisierung) -> Seitlich verbundene Gemeinschaften; hohe Kommunikation / Mobilität, Vorstellung. Gemeinschaft 48 3. Erklärungen für die Nationenbildung (11) Modernisierung und (Print-)Kapitalismus (Anderson): Entwicklung des Kapitalismus und des modernen Buchdruckes erlauben breite Zirkulation von Texten. Texte in Umgangssprache statt Latein. Entstehung von öffentlichen Diskursen in Umgangssprachen. Vorstellung einer Gemeinschaft (imagined community) Unterschiedliche Nationen innerhalb gleicher Sprachgruppe (z.B. Lateinamerika): - Rolle von regionalen Einheiten und Eliten - Vorstellung von Gemeinschaft räumlich begrenzt in wenig entwickelten Ländern 49 3. Erklärungen für die Nationenbildung (12) Wenn in der Peripherie andere Struktur herrscht (ökonomische Unterschiede) -> dort wo soziale und ökonomische Modernisierung und Arbeitsteilung (Hechter und Levi): Unterschiede -> starke soziale Identität ! Kapitalismus: Geprägt durch Arbeitsteilung ! Kolonialismus: Wirtschaftliche Ausbeutung der Peripherie führt zu Nationalismus (Unabhängigkeitsbewegungen). ! Auch innerhalb konsolidierter Staaten: Direkte Herrschaft (Staatsbildung) und Kapitalismus führen zu «internem Kolonialismus». ! Problem für Theorie: In entwickelten Ländern positive Korrelation von regionalem Wohlstand und Sezessionismus (Bsp: Baskenland, Südtirol, Flandern) ! Lösung für Theorie: Ethnische Arbeitsteilung; Stärkung der nationalen Identität überall, wo Ethnien wirtschaftliche Sektoren dominieren. 50 3. Erklärungen für die Nationenbildung (13) Braucht es Nationalismus / nationale Identität? Ja: - Mensch braucht Identität (siehe Kontinuität Ethnie–Nation) - Identität schafft Solidarität - Nationale Identität kann demokratisch und offen sein: Verfassungspatriotismus Nein: - Mensch braucht keine nationale Identität: Individualismus, Multikulturalismus, Kosmopolitismus, Feminismus, etc. - Kosmopoliten sind solidarischer als Nationalisten - Nationale Identität immer ausschliessend: Niemand ist Verfassungspatriot, Nation ist immer kulturell/ethnisch 51