Arbeitspapier 2 (Wiederholung und Vertiefung) PDF
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Heinrich Heine University Düsseldorf
Sascha D. Peters
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Summary
This document is an academic paper on public law, focusing on the development and principles of the German state. It explores the historical evolution of the German constitution, addressing questions about the state's formation and its relationship with international law and specific historical events. The paper covers various concepts of statehood, such as the three-element theory and the distinction between a federal state and confederation.
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Öffentliches Recht für Wirtschaftswissenschaftler Akad. Rat a.Z. Sascha D. Peters Wintersemester 2022/2023 Arbeitspapier 2 Lerninhalte: Entstehung des deutschen Staates Staatsbegriff Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung Normenhierarchie Anforderungen an Verfassungsänderungen...
Öffentliches Recht für Wirtschaftswissenschaftler Akad. Rat a.Z. Sascha D. Peters Wintersemester 2022/2023 Arbeitspapier 2 Lerninhalte: Entstehung des deutschen Staates Staatsbegriff Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung Normenhierarchie Anforderungen an Verfassungsänderungen gem. Art. 79 GG Schutz der Verfassung / Wehrhafte Demokratie Wiederholungs- und Vertiefungsfragen: I. Entstehung des Deutschen Staates 1. Skizzieren Sie die Verfassungsentwicklung des deutschen Staates Die Verfassungs- und Grundrechtsentwicklung in Deutschland erfolgte in folgenden Schritten: 2. - 1871 Gründung des deutschen Staates (Deutsches Reich) und („Bismarck‘sche“) Reichsverfassung von 1871 (ohne Grundrechte) - Weimarer Reichsverfassung von 1919 mit Grundrechtsteil - Nationalsozialistischer Umsturz (faktisch Außerkraftsetzung der Reichsverfassung – insb. durch das „Ermächtigungsgesetz“ „Reichstagsbrandverordnung“ von 1933) - Inkrafttreten Grundgesetz von 1949 mit umfassendem Grundechtsteil, keine Staatsgründung, sondern nur Reorganisation des Reiches - Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland 1990 Weimarer und die Hatte die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg und die „Abdankung“ Kaiser Wilhelms II. im Jahre 1918 mit dem nachfolgenden Übergang zur sog. Weimarer Republik völkerrechtlich den Untergang des Kaiserreiches zur Folge? Die Abdankung Kaiser Wilhelms II. führte nicht zum Untergang des Deutschen Reichs. Staatsgebiet und Staatsvolk bestanden fort, ebenso die Staatsgewalt, die lediglich in neue Hände gegeben wurde (Republik = res publica: öffentliche Angelegenheit statt Monarchie). Der deutsche Staat bestand als staatliches Völkerrechtssubjekt somit fort. Es fand jedoch ein Wechsel der Staatsform statt von einer konstitutionellen Monarchie hin zu einer Republik („Weimarer Republik“). 3. Hatte die bedingungslose Kapitulation Deutschlands am 08.05.1945 völkerrechtlich den Untergang des deutschen Staates zur Folge? Über diese Frage wurde lange gestritten. Teilweise wurde angenommen, dass mit der bedingungslosen Kapitulation die deutsche „Staatsgewalt“ untergegangen und folglich eine der drei Merkmale der Staatlichkeit entfallen sei. Die Bundesrepublik Deutschland wäre danach eine Staatsneugründung. Das BVerfG hat – mit der h.M. – anders entschieden: hiernach ist die deutsche Staatsgewalt nicht untergegangen, sondern wurde mit der bedingungslosen Kapitulation „treuhänderisch“ von den Besatzungsmächten übernommen (sog. „Berliner Erklärung“ der Alliierten von 1945). Der Staat des Grundgesetzes ist nach dieser Lehre völkerrechtlich identisch mit dem 1871 errichteten deutschen Staat. II. Staatslehre 1. Unter welchen Voraussetzungen besteht völkerrechtlich ein Staat? Nach Georg Jellineks anerkannter „Drei-Elemente-Lehre“ erlangt ein Staat bei Vorliegen der drei Merkmale Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt völkerrechtliche Staatsqualität. Es muss also ein abgegrenzter Teil der Erdoberfläche gegeben sein, auf dem ein dauerhafter Personenverband sesshaft ist, der von einer mit originärer Hoheitsgewalt ausgestatteten Staatsgewalt geleitet wird. Von entscheidender Bedeutung ist hierbei vor allem das Kriterium der unabgeleiteten Staatsgewalt. Es bedeutet, dass öffentliche Körperschaften, die durch übergeordnete staatliche Einheiten errichtet werden und in ihrem Bestand von diesen abhängig sind, nicht Staat im völkerrechtlichen Sinne sind. Dies betrifft in der Bundesrepublik Deutschland etwa Städte und Kreise, die von einem (Bundes-)Land errichtet werden und von diesen – etwa im Rahmen von Neugliederungen – jederzeit wieder beseitigt werden können. Diese sind nicht Staat im völkerrechtlichen Sinne. 2. Ist dieser Begriff identisch mit dem Staatsbegriff der Sonderrechtslehre? Nein. Staat im Sinne der Sonderrechtslehre (also zur Abgrenzung von öffentlichem und privatem Recht) sind alle als Hoheitsträger tätigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, also z.B. auch Städte und Gemeinden, staatliche Hochschulen u.a. Es geht bei der Sonderrechtslehre also um Normen, die den Staat und alle seine (öffentlich-rechtlichen) Untergliederungen (ausschließlich) berechtigen und verpflichten. 3. Erläutern Sie die Begriffe Bundesstaat, Staatenbund und Staatenverbund und nennen Sie jeweils ein Beispiel. Ein Bundesstaat ist ein aus Gliedstaaten bestehender Gesamtstaat, bei dem sowohl der Bund (als Gesamtstaat) als auch die einzelnen Bundesländer (als sog. Gliedstaaten) Staatsqualität haben (Beispiele: Bundesrepublik Deutschland; Österreich; USA). Ein Staatenbund ist ein Zusammenschluss selbständiger Mitgliedstaaten, meist ohne eine Übertragung von Hoheitsrechten, bei der der Staatenbund selbst keine Staatsqualität aufweist (Beispiele: Afrikanische Union; BeNeLux). Ein Staatenverbund ist ein Zusammenschluss selbständiger Mitgliedstaaten durch Errichtung einer supranationalen Rechtsordnung – bei diesem Begriff handelt es sich um eine Wortneuschöpfung des Bundesverfassungsgerichts zur Beschreibung der Europäischen Union. 4. Warum ist die Europäische Union kein Staat? Der EU fehlt die nach der „Drei-Elemente-Lehre“ erforderliche unabgeleitete Staatsgewalt. Vielmehr erhält die EU ihre Zuständigkeiten im Rahmen begrenzter Einzelermächtigungen von den einzelnen Mitgliedstaaten der EU, die für sich genommen „Herren der Verträge“ bleiben. Insbesondere können die Mitgliedstaaten auch aus der Europäischen Union austreten! 5. Sind die Bundesländer Staaten i.S.d. Drei-Elemente-Lehre? Nein (str.). Auch ihre Hoheitsgewalt ist nicht unabgeleitet. Vielmehr wird die Staatlichkeit der Länder durch das Grundgesetz „verliehen“. Umgekehrt behält sich das Grundgesetz vor, einzelne Länder auflösen zu dürfen (Art. 29 GG). Außerdem bindet das Grundgesetz die Verfassungsautonomie der Länder an die Beachtung grundgesetzlicher Vorgaben (Art. 28 Abs. 1, Art. 1 Abs. 3 GG u. a.). Die Staatsqualität der Länder ist damit „staatsrechtlicher Natur“, nicht völkerrechtlicher Natur. Sie sind Staaten (sog. Gliedstaaten), weil das Grundgesetz ihnen Staatlichkeit zuerkennt. III. Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung 1. Welche Staatsgrundsätze formuliert das Grundgesetz und wofür sind diese Staatsgrundsätze wichtig? Art. 20 Abs. 1 GG formuliert als Grundsätze der Verfassungsordnung: - Republikprinzip - Bundesstaatsprinzip - Sozialstaatsprinzip - Rechtsstaatsprinzip - Demokratieprinzip Relevant werden diese „Grundsätze“ vor allem insoweit, als sie einer Verfassungsänderung grds. entzogen sind (Art. 79 Abs. 3 GG). Ferner bindet Art. 28 Abs. 1 GG die Länder an die Beachtung dieser Grundsätze. Zugleich binden diese Grundsätze auch die Gesetzgebung (Art. 20 Abs. 3 GG). 2. Nennen Sie zentrale Elemente des Rechtsstaatsprinzips. Zentrale Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind: - Gewaltenteilung - Garantie der Grundrechte / Menschenwürde - Bindung der staatlichen Organe an Recht und Gesetz (insbes. Vorrang des Gesetzes und Vorbehalt des Gesetzes) - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 3. - Rechtssicherheit (z.B. grundsätzliches Rückwirkungsverbot von Normen) - Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz - Staatshaftung Könnte der Freistaat Bayern die Monarchie als Staatsform in seiner Landesverfassung vorschreiben? Nein, nach Art. 28 Abs. 1 GG muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern dem republikanischen Grundsatz des Grundgesetzes entsprechen. Republik ist der Gegenbegriff zur Monarchie. Ein Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 GG führte zur Nichtigkeit der Landesverfassungsnorm! 4. Sind die Länder bei der Schaffung ihrer Verfassungsordnung auf ein parlamentarisches Regierungssystem i.S.d. Grundgesetzes festgelegt? Nein. Nach Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG müssen die Länder lediglich das demokratische Prinzip im Sinne des Grundgesetzes beachten. Erforderlich ist hiernach vor allem eine gewählte Volksvertretung (Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG), die aber nicht notwendig den Regierungschef wählen muss. Das demokratische Prinzip ließe es also auch zu, den Ministerpräsidenten eines Landes durch das Volk wählen zu lassen (Präsidialsystem). Gleichwohl haben sich die Länder durchgängig für das parlamentarische Regierungssystem entschieden. 5. Kann Art. 20 Abs. 1 GG auch ein Grundsatz der „Staatlichkeit“ entnommen werden? Welche Konsequenz hätte dies? Ja! Zu den geschützten Grundsätzen des Art. 20 GG zählt auch, dass Deutschland ein souveräner „Staat“ ist (s. Art. 20 Abs. 1 S. 1: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein … Staat“ – DreiElemente-Lehre: „Unabgeleitete“ Staatsgewalt als Voraussetzung genuiner Staatlichkeit!). Folgen hat das insoweit, als die Staatlichkeit nach Art. 79 Abs. 3 GG nicht durch Verfassungsänderung aufgehoben werden kann. Unzulässig wäre also, dass Deutschland im Wege einer bloßen Verfassungsänderung einem europäischen Bundesstaat beiträte und damit zu einem Gliedstaat mutierte. Hier wäre nur der Weg einer originären Verfassungsgebung durch das Volk. Dieser Fall ist in Art. 146 GG geregelt, der die Möglichkeit des Deutschen Volkes benennt, sich – frei von den Bindungen des Grundgesetzes – eine ganz neue Verfassung zu geben. Allerdings wäre die Norm genau genommen hier auch nicht einschlägig, da sich in einem vereinten Europa nicht das deutsche Volk (so aber Art. 146 GG) eine neue Verfassung gäbe, sondern das europäische Volk! Auch dem stünde das GG allerdings nicht entgegen. 6. Welche Arten von (materiellen) Gesetzen kennen Sie und in welche Rangordnung ergibt sich für diese Normen? Die nationalen Rechtsnormen (sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene) in ihrer Rangfolge: 1. Verfassungsgesetz (Verfassung als solche und verfassungsändernde Gesetze) 2. Parlamentsgesetz 3. Rechtsverordnungen und Satzungen (untergesetzliche Normen) 7. Erklären Sie den „Vorrang des Gesetzes“. Der Begriff des Vorrangs des Gesetzes bezieht sich auf die Rangordnung materieller Gesetze: Niederrangige Normen dürfen höherrangigen Normen nicht widersprechen. Ist dies dennoch der Fall, führt dies – im innerstaatlichen Bereich – zur Unwirksamkeit der niederrangigen Norm. Ein Parlamentsgesetz darf also nicht gegen die Verfassung verstoßen (Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 GG). Eine Rechtsverordnung darf nicht gegen Parlamentsgesetze oder die Verfassung verstoßen. 8. Wie ist das Verhältnis zwischen Bundes- und Landesrecht? Das Grundgesetz sieht für den Fall eines Widerspruchs zwischen Bundes- und Landesrecht vor, dass in jedem Falle das Landesrecht „gebrochen“ wird (Art. 31 GG), d. h. es wird unwirksam. Der Vorrang des Bundesrechts betrifft alle Normebenen des Bundesrechts! Hiernach kann z. B. auch eine Rechtsverordnung des Bundes auch eine Landesverfassungsnorm brechen! 9. Hat die Rangordnung der Normen auch Rückwirkungen auf die Auslegung der Normen? Ja. So ist im Rahmen des Streits um die Gültigkeit oder Anwendbarkeit einer Norm auch zu prüfen, ob die Gültigkeit oder Anwendung der Norm dadurch „gerettet“ werden kann, dass die Norm im Einklang mit dem höherrangigen Recht ausgelegt wird. Wenn etwa eine „grundgesetzkonforme“ Auslegung (oder eine unionsrechtskonforme Auslegung) möglich ist, wird diese zur Vermeidung der Ungültigkeit oder Unanwendbarkeit einer Norm anzunehmen sein. IV. Schutz der Verfassung 1. Zum Schutz der Verfassung vor einer „inneren Aushöhlung“ durch spätere Verfassungsänderungen werden Verfassungsänderungen erhöhten Anforderungen unterworfen. Nennen Sie die drei zentralen Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 GG! Die drei zentralen Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 GG: 2. - Zunächst müssen alle Änderungen in der Verfassungsurkunde selbst ausgewiesen werden. Eine Abänderung (bzw. Aushöhlung) des Grundgesetzes über andere Normen ist – anders als in der Weimarer Verfassung – nicht möglich (Art. 79 Abs. 1 GG). - Zudem sind Änderungen an hohe Mehrheiten („Quoren“) in Bundestag und Bundesrat geknüpft, so dass regelmäßig ein parteiübergreifender Konsens notwendig ist (Art. 79 Abs. 2 GG). - Schließlich versieht das Grundgesetz bestimmte Grundentscheidungen mit einer sog. „Ewigkeitsgarantie“ (Art. 79 Abs. 3 GG). Hierzu zählen die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die Grundsätze der Art. 1 und 20 GG. Art. 79 Abs. 3 GG verbietet eine Änderung des Grundgesetzes, durch die die Gliederung des Bundes in Länder berührt würde. Wie ist vor diesem Hintergrund der Vorschlag zu bewerten, durch verfassungsänderndes Gesetz das Territorium des „Regierungsviertels“ in Berlin aus dem Land auszuklammern und zu einem „bundesunmittelbaren Territorium“ zu erklären. Art. 79 Abs. 3 GG erklärt die Gliederung des Bundes in Länder für unabdingbar. Fraglich bleibt aber, wie das zu verstehen ist. Geht es nur darum, das überhaupt (grundsätzlich) eine solche Gliederung vorliegt, von der im Einzelfall abgewichen werden darf, oder meint Art. 79 Abs. 3 GG, dass das Bundesgebiet vollumfänglich in Länder gegliedert sein muss. Die wohl h. M. nimmt Letzteres an. Geht man von letztgenannter Auslegung aus, wäre eine einfachgesetzliche Regelung, die das Regierungsviertel zum bundesunmittelbaren Territorium machte, grundgesetzwidrig und nichtig. Wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber das Grundgesetz in diese Richtung ändern, wäre dieses Änderungsgesetz wegen eines Verstoßes gegen Art. 79 Abs. 3 GG ebenfalls nichtig. 3. Könnte die Anzahl der Länder der Bundesrepublik Deutschland auf zwei reduziert und die bislang vorgesehene Beteiligung der Bevölkerung an Neugliederungsgesetzen nach Art. 29 GG beseitigt werden? Verfassungsrechtlich gesehen ja. Eine „Gliederung in Länder“ ist bereits bei zwei Gliedstaaten gegeben. Eine Beteiligung der Bevölkerung an Neugliederungsmaßnahmen wird durch Art. 79 Abs. 3 GG ebenfalls nicht gefordert. 4. Art. 79 Abs. 3 stellt dem Wortlaut nach nur die Regelungen aus Art. 1 und 20 GG unter einen ausdrücklichen Schutz. Ist Art. 79 Abs. 3 GG selbst vor einer Änderung bzw. Abschaffung geschützt oder könnte die Norm auch aufgehoben werden? Das Schutzkonzept des Art. 79 Abs. 3 GG, das auch als „Ewigkeitsgarantie“ bezeichnet wird, wirkt nur, wenn auch Art. 79 Abs. 3 GG selbst vor einer Abschaffung oder Aushöhlung geschützt ist. Insofern ist davon auszugehen, dass eine Abschaffung des Art. 79 Abs. 3 GG ebenfalls unzulässig wäre.