Alkoholabhängigkeit und Alkoholmissbrauch PDF

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

Summary

This document provides an overview of alcohol addiction and abuse, discussing synonyms, definitions, factors, and consequences. It includes information on prevalence, causes, and treatment.

Full Transcript

# Heilpraktiker-Prüfungstrainer Psychotherapie ## Alkoholabhängigkeit und Alkoholmissbrauch ### Synonyme - Alkoholkrankheit - (chronischer) Alkoholismus - Dipsomanie - Potomanie - Trunksucht ### Definitionen * Alkoholabhängigkeit ist definiert als Konsum von Alkohol mit Entwicklung einer psychi...

# Heilpraktiker-Prüfungstrainer Psychotherapie ## Alkoholabhängigkeit und Alkoholmissbrauch ### Synonyme - Alkoholkrankheit - (chronischer) Alkoholismus - Dipsomanie - Potomanie - Trunksucht ### Definitionen * Alkoholabhängigkeit ist definiert als Konsum von Alkohol mit Entwicklung einer psychischen und physischen Abhängigkeit von der Substanz. Das entscheidende Charakteristikum ist die psychische Abhängigkeit, d.h. der starke, u.U. übermächtige Wunsch, Alkohol zu konsumieren („Craving") in Verbindung mit eingeengten Verhaltensmustern. Damit einher geht i.d.R. eine physische Abhängigkeit aufgrund einer Toleranzentwicklung mit nachfolgender Dosissteigerung und Entzugserscheinungen. * Alkoholmissbrauch (Alkoholabusus, schädlicher Gebrauch) ist definiert als ein gegenüber der soziokulturellen Norm überhöhter und mit vorübergehenden, deutlichen Veränderungen der psychischen und physischen Funktionen einhergehender Alkoholkonsum. Das Risiko der Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit ist hoch. ### Wissenswertes zu Alkohol Der korrekte chemische Name von Trinkalkohol ist Ethanol (2-wertiger Alkohol), die Summenformel lautet C2H5OH. Er wird durch Vergärung von Zucker gewonnen, z.B. aus Früchten (z. B. „Obstler", Wein), Getreide (z.B. Whiskey) oder Kartoffeln (z. B. Wodka). Zur Berechnung des getrunkenen Alkohols werden üblicherweise das Volumen in Liter und die Alkoholmenge in Gramm angegeben. Das spezifische Gewicht von Alkohol beträgt 790 g/1, d.h, 1 1 Alkohol wiegt rund 800 g. So sind z.B. in 1 Liter (Maß) Bier mit einem Alkoholgehalt von 5 Vol.-% 50 ml Alkohol enthalten, dies entspricht einem Alkoholgewicht von 40 g (50 × 0,8). ### Berechnung der Alkoholmenge und geschätzte Blutalkoholkonzentration bei gesunden Erwachsenen (aus: I care Krankheitslehre, Thieme, 2020). Nach dem Trinken wird Alkohol v.a. im Magen und im Dünndarm aufgenommen. Anschließend wird er zum Großteil in der Leber abgebaut, verantwortlich sind v.a. die Enzyme Alkoholdehydrogenase und CYP-2E1. Aufgrund toxischer Wirkungen von Alkohol selbst und seiner Abbauprodukte wird die Leber besonders früh im Verlauf geschädigt. Der Brennwert von 1 g Alkohol beträgt ca. 30 kJ (7,2 kcal) und liegt damit nur wenig niedriger als der Brennwert von Fett (39 kJ bzw. 9,3 kcal). ### Häufigkeit Die Häufigkeit für die Alkoholabhängigkeit und den Alkoholmissbrauch liegt bei Erwachsenen in Deutschland jeweils bei ca. 3%. Das Geschlechterverhältnis von Männern zu Frauen liegt für beide Störungen bei ca. 2-3:1. Die tägliche Trinkmenge, die zur Abhängigkeit und Folgeschäden führen kann, ist individuell verschieden. Ein erhöhtes Risiko für Schädigungen haben Kinder, Jugendliche, Frauen und alte Menschen. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) bewertet als risikoarmen Konsum (bezüglich körperlicher Schädigungen) für Frauen maximal 12 g reinen Alkohol pro Tag bzw. für Männer maximal 24 g reinem Alkohol pro Tag. Zusätzlich sollte an mindestens 2 oder 3 Tagen pro Woche vollständig auf Alkohol verzichtet werden. ### Getränke, die ca. 12 g reinem Alkohol entsprechen. Weltweit betrachtet wird in Europa, Nordamerika, Russland und Australien am meisten Alkohol konsumiert. In Deutschland werden pro Kopf durchschnittlich 11,8 1 reiner Alkohol jährlich getrunken (Männer: 16,8 1/Jahr, Frauen 7,0 1/Jahr; ca. 50% Bier, 28% Wein, 18% Spirituosen). Nur ca. 20% aller erwachsenen Deutschen geben an, in den letzten 12 Monaten keinen Alkohol getrunken zu haben. Die Alkoholabhängigkeit betrifft alle sozialen Schichten und Altersgruppen, wobei in den letzten Jahren zunehmender Jugendalkoholismus zu verzeichnen ist („Koma-Saufen", „Binge Drinking"). Etwa 15-20% der Patient*innen in Allgemeinkrankenhäusern und 7-10% der Patient*innen in allgemeinmedizinischen Praxen sind alkoholabhängig, wobei von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss! ### Merke: Alkohol ist abgesehen von Tabak - das Suchtmittel, das in Europa und Nordamerika am häufigsten konsumiert wird und mit Abstand die meisten psychischen, physischen und sozialen Folgeerscheinungen zeigt. ### Ursachen Die Alkoholabhängigkeit hat eine multifaktorielle Genese: * **genetische Disposition:** Bei 40-60% der Betroffenen wird eine familiäre Häufung beobachtet. Ist ein Elternteil Alkoholiker, steigt die Wahrscheinlichkeit, selbst an Alkoholismus zu erkranken, um das Mehrfache. * **neurobiologische Faktoren:** Alkohol führt zu Veränderungen fast aller Transmittersysteme. Durch Neuroadaptation entwickelt sich ein „Suchtgedächtnis". * **psychologische Faktoren:** Eine typische „Suchtpersönlichkeit scheint nicht zu existieren. Alkoholiker sollen durch ein erhöhtes Bedürfnis nach Stimulation sowie ein hohes Anspruchsniveau bei gleichzeitig erhöhter eigener Empfindlichkeit gekennzeichnet sein. * **Aus psychodynamischer Sicht wird Alkoholabhängigkeit als Ich- und Identitätsstörung infolge mangelhafter Objektbeziehung und oraler Frustration in der Kindheit mit Regression auf die orale Stufe interpretiert.** * **Lerntheoretische Hypothesen sehen die Reduktion von z.B. Angst und Kontaktschwäche als wichtige Verstärker im Sinne der klassischen Konditionierung an.** * **soziokulturelle Faktoren:** Von Bedeutung sind die ständige Verfügbarkeit des Suchtmittels, Einflüsse von Vorbildern, Werbung, Zeitgeist, berufsbedingte Einflüsse (z.B. Tätigkeit in der Gastronomie) oder (v.a. bei Jugendlichen) Broken-Home-Situationen mit negativen Vorbildern. ### Multifaktorielle Genese der Alkoholabhängigkeit. ### Entstehung der Abhängigkeit Je nach Stadium der Erkrankung sind unterschiedliche klinisch Symptome zu erwarten. Mögliche Hinweise auf eine alkoholbedingte Störung sind Allgemeinsymptome wie Nervosität, Unruhezustände, Stimmungsschwankungen, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Schlafstörungen oder gastrointestinale Beschwerden. Die vollausgeprägte Alkoholabhängigkeit entwickelt sich über 4-12 Jahre in mehreren Phasen mit folgenden Merkmalen (nach Jelinek, 1951): * **voralkoholische Phase:** Getrunken wird, um eine Beruhigung und Spannungslösung zu erreichen und ggf. um Ängste abzubauen (``Erleichterungstrinken``), die Toleranz nimmt leicht zu (es wird mehr ``vertragen``). * **Prodromalphase:** Die Gedanken richten sich zunehmend auf Alkohol aus (z.B. morgens ``Eye Opener``), Schuldgefühle und Gedächtnislücken (``Filmrisse``) stellen sich ein. Die Betroffenen verleugnen häufig den Konsum (heimliches Trinken), die Toleranz nimmt weiter zu (das erste Glas wird ``gekippt``). * **kritische Phase:** Kennzeichnend sind zunehmender Kontrollverlust, soziale Desintegration, eine Einengung der Interessen und ein Verlust an Kritikfähigkeit. Körperliche Folgeschäden entwickeln sich, Libido und Potenz nehmen ab. In Trinkpausen sind zunehmende Entzugserscheinungen zu beobachten. * **chronische Phase:** Hauptmerkmale sind zwanghaftes Trinken (regelmäßig auch morgens), verlängerte Rausch- bzw. auch delirante Zustände, Vernachlässigung der Nahrungsaufnahme sowie psychischer und sozialer Abbau. Schwere Organschäden werden manifest, die Alkoholtoleranz kann abnehmen. ### Stufenmodell der Entwicklung des Alkoholismus (nach: Möller, Laux, Deister, Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Thieme, 2022). ### Alkoholismustypen nach Jellinek. | | Erleichterungstrinker (Alpha) | Gelegenheitstrinker (Beta) | Rauschtrinker (Gamma) | Spiegeltrinker (Delta) | Quartalstrinker (Epsilon) | |---------------------|------------------------------------|--------------------------|----------------------|-----------------------|-------------------------| | **Trinkverhalten** | Alkoholabhängigkeit → | sehr starkes Trinken | Wechsel | kontinuierliches | tage- oder | | | Konfliktbewältigung, | bei sozialen Anlässen, | zwischen | (auch nächtliches) | wochenlange | | | Alkoholkonsum → | gezieltes | abstinenten | Trinken → | Phasen mit | | | Spannungsreduktion | Trinken, evtl. | Phasen und | gleichmäßig hoher | exzessivem | | | | Anlässen, | Trinkverhalten, | Blutalkoholspiegel; | Alkoholkonsum | | | | Gelegenheiten zum | Toleranz↑, | Organschäden | | | | | Alkoholkonsum | häufigster Typ | physisch | psychisch | | | | | (ca. 65%) | | | | **Abhängigkeit** | psychisch in | soziokulturell | zunächst | | | | | Belastungssituationen | | psychisch, | | | | | | | später physisch | | | | **Kontrollverlust** | + | + | zeitweilig | - | + | | **Abstinenzfähigkeit** | + | + | - | + | + | ### Alkoholintoxikation Eine akute Alkoholintoxikation ist nach ICD-10 ein vorübergehendes Zustandsbild nach Aufnahme von Alkohol mit Störungen des Bewusstseins, kognitiver Funktionen, der Wahrnehmung des Affektes, des Verhaltens und anderer psychophysiologischer Funktionen und Reaktionen. Bei Gesunden besteht meist eine direkte Korrelation der psychophysischen Effekte mit der Blutalkoholkonzentration (BAK). Die Alkoholtoleranz kann jedoch durch individuelle Faktoren reduziert (z. B. Hirnschädigung) oder erhöht sein (z. B. häufiger Alkoholkonsum). ### Stadien der akuten Alkoholintoxikation. | Schweregrad | Blutalkoholkonzentration | Symptome | |--------------|---------------------------|-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------| | leicht | 0,5-1,5 % | Gang- und Standunsicherheit, erhöhter Antrieb, Logorrhö, Distanzlosigkeit, verwaschene Sprache, verminderte Kritikfähigkeit, beschleunigte Herzfrequenz, Hautrötung, Erweiterung der Pupillen (Mydriasis) | | mittelgradig | 1,5-2,5 % | verstärkte körperliche Symptome, affektive Enthemmung, Selbstüberschätzung, erhöhte Ablenkbarkeit, Wunsch nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung, evtl. Benommenheit oder psychomotorische Unruhe | | schwer | 2,5-4 % | weiter verstärkte körperliche Symptome (z. B. Sprechstörungen, Schwindel, Gangstörungen), Amnesie („Filmriss"), Bewusstseins- und Orientierungsstörungen, Angst, Erregung, illusionäre Verkennungen | | alkoholisches Koma | > 4% | Dämpfung des Atemzentrums und Aspiration von Erbrochenem → lebensbedrohlicher Zustand | **Stadien der akuten Alkoholintoxikation (aus: I care Krankheitslehre, Thieme, 2020).** * Alkohol hemmt die Freisetzung von Glukose aus der Leber. Insbesondere bei Menschen mit Diabetes mellitus kann sich bereits nach dem Konsum von relativ geringen Mengen Alkohol eine Hypoglykämie (Unterzuckerung) entwickeln. Körperlich Gesunde sind erst bei größeren Dosierungen gefährdet. Alkohol hemmt das Kälteempfinden und führt zudem dazu, dass sich die peripheren Gefäße erweitern. Dadurch steigt der Wärmeverlust an und es droht die Gefahr einer Unterkühlung - insbesondere, wenn die berauschte Person nachts z.B. auf einer Parkbank schläft. Alkohol fördert die Harnproduktion, wodurch viel Flüssigkeit verloren geht. Die Folge kann ein Volumenmangel sein, also eine Hypovolämie. Diese kann durch Erbrechen noch verstärkt werden. Bei schweren Alkoholvergiftungen ist das Bewusstsein beeinträchtigt und die Schutzreflexe sind unterdrückt. Zusätzlich erbrechen die Betroffenen häufig. Dadurch kann leicht Flüssigkeit oder Erbrochenes in die Atemwege gelangen, es besteht daher ein erhöhtes Risiko für Aspirationen. **Beachte:** Intoxikationen mit einer Blutalkoholkonzentration ≥ 5% enden häufig tödlich. **Pathologischer Rausch:** Insbesondere bei Personen mit zerebralen Schädigungen (z.B. Arteriosklerose, Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma) oder auch bei gleichzeitiger Einnahme zentralnervös wirksamer Medikamente kann sich bereits nach geringem Alkoholkonsum plötzlich eine starke psychomotorische Erregung entwickeln, die in einen Dämmerzustand mit Bewusstseinseinengung und Desorientierung oder auch in starke Ängste und Aggressionen mit Neigung zu sinnlosen Gewalttaten und persönlichkeitsfremden Verhaltensstörungen übergeht. Die Symptomatik klingt meist innerhalb von 1 Stunde ab und endet in einem Terminalschlaf. Meist besteht eine komplette Amnesie (Gedächtnislücke) für die Episode. ### Folgeerkrankungen - psychische Folgen Die Folgeerkrankungen bei Alkoholabhängigkeit sind zahlreich und können fast alle Organsysteme betreffen. Die wichtigsten psychiatrischen Folgen sind: * **Alkoholentzugssyndrom („Prädelir"):** Erste Symptome beginnen ca. 10 Stunden nach dem letzten Konsum von Alkohol, das Maximum wird nach ca. 24-48 Stunden erreicht. Typische Symptome sind starkes Zittern (Tremor) v.a. der Hände, vermehrtes Schwitzen, Schlafstörungen, Depressivität und starke psychomotorische Unruhe. Ein häufiges Problem sind generalisierte tonisch-klonische Krampfanfälle (Entzugsanfälle), meist ca. 24 Stunden nach dem letzten Alkoholkonsum. Bei ca. 15% der Abhängigen geht die Symptomatik in ein Delirium tremens über. * **Alkohol(entzugs)delir (Delirium tremens):** Diese schwerwiegende Komplikation ist sowohl während ausgeprägter Trinkphasen (Kontinuitätsdelir) als als auch innerhalb von Stunden bis Tagen nach Abstinenz (Entzugsdelir) möglich. Die Leitsymptome sind Orientierungsstörungen, Bewusstseinsstörungen im Sinne einer Bewusstseinstrübung, motorische Unruhe („Nesteln", agitierte Psychomotorik), wirre Aussagen mit Situationsverkennung, erhöhte Suggestibilität, illusionäre Verkennungen, optische Halluzinationen und eine vegetative Entgleisung mit Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz. * **Alkoholhalluzinose (selten):** Typisch ist eine ängstlich-gespannte Grundstimmung mit Fluchttendenzen in Kombination mit v.a. akustischen Halluzinationen, die meist einen beschimpfendem oder bedrohendem Charakter haben. Evtl. besteht eine ausgeprägte psychomotorische Erregung. * **hirnorganische Persönlichkeitsveränderungen** * **Wernicke-Enzephalopathie (Encephalopathia haemorrhagica superior) durch einen Mangel an Vitamin B1 (Thiamin):** organisches Psychosyndrom mit Verwirrtheit und Merkfähigkeitsstörungen, Ataxie mit Gangunsicherheit, Augenmuskellähmungen mit Doppelbildern, Polyneuropathie und Bewusstseinsstörungen, häufig begleitet von vegetativer Dysregulation mit Tachykardie und Blutdruckabfall; Letalität bis zu 10% * **alkohol-bedingtes Korsakow-Syndrom (häufig assoziiert mit der Wernicke-Enzephalopathie):** organisches amnestisches Syndrom mit schweren Orientierungs- (u.a. deutliche Störungen des Zeitgefühls) und Gedächtnisstörungen (v.a. des Kurzzeitgedächtnisses und der Merkfähigkeit bei erhaltenem Immediatgedächtnis), die z.T. durch Konfabulationen (freies Erfinden von „Tatsachen") überspielt werden; die Symptomatik kann sich zurückbilden, aber auch in bleibende Persönlichkeitsveränderungen oder eine Demenz übergehen. * **alkoholischer Eifersuchtswahn** * **erhöhtes Suizidrisiko** **Achtung:** Das Alkoholdelir ist ein lebensbedrohlicher Notfall. Unbehandelt führt es in bis zu 25% d.F. zum Tod, z.B. durch Blutdruckentgleisungen mit Herz-Kreislauf-Versagen oder Lungenentzündungen als Folge von Atmungsstörungen! ### Folgeerkrankungen - organische Folgen Weitere, meist schwerwiegende Folgeschäden können folgende Organsysteme betreffen: * **Nervensystem:** * **Hirnatrophie** (ca. 50% d.F.) mit Gedächtnisstörungen bis hin zur alkoholbedingten Demenz, aber auch Kleinhirnstörungen (z.B. unsicherer Gang) * **Polyneuropathie** (ca. 20% d.F.): Schädigung der peripheren Nerven mit distal betonten, zunächst sensiblen, später auch motorischen Ausfällen; typische Hinweise sind z.B. Wadenkrämpfe und Parästhesien. * **Krampfanfälle**, v.a. im Entzugsdelir * **Muskelschädigungen (Myopathie)** * **Retrobulbärneuritis** (Entzündung des Sehnervs) mit Sehstörungen * **zentrale pontine Myelinolyse** (selten, v.a. bei zu schnellem Ausgleich eines Natriummangels im Alkoholentzug): Bewusstseinsstörungen, Enzephalopathie, Schluck- und Sprechstörungen, Störungen der Augenbewegungen und Tetraparese bis hin zu einem Locked-in-Syndrom * **Marchiafava-Bignami-Syndrom** (sehr selten): Persönlichkeits- und Sprachabbau bis zur Demenz sowie Tremor, Spastik und Marasmus * **Speiseröhre:** * **Refluxösophagitis:** vermehrter saurer Rückfluss aus dem Magen mit Veränderungen der Schleimhautstruktur und einem erhöhten Risiko für Speiseröhrenkrebs * **Mallory-Weiss-Läsionen:** Wenn die Betroffenen erbrechen, können sich längliche Schleimhauteinrisse im Übergangsbereich zwischen Ösophagus und Magen bilden, die zu einer starken Blutung mit Bluterbrechen führen können. * **Boerhaave-Syndrom:** Ruptur aller Ösophagusschichten bei schwallartigem Erbrechen * **Ösophagusvarizen:** Als Folge einer Leberzirrhose erweitern sich die Venen im unteren Bereich des Ösophagus („Krampfadern"), es besteht ein hohes Risiko für lebensbedrohliche Blutungen. * **Rachen:** erhöhtes Risiko für Pharynxkarzinome * **Kehlkopf:** erhöhtes Risiko für Larynxkarzinome * **Magen-Darm-Trakt:** * Entzündungen und Geschwüre im Bereich von Magen und Zwölffingerdarm * Resorptionsstörungen, z.B. für Folsäure und Vitamin B12 (→ Blutarmut) * **Leber:** * alkoholische Fettleber (ca. 90% d.F., bei Alkoholkarenz reversibel) und Fettleberhepatitis (ca. 50% d.F.) * Leberzirrhose (ca. 25% d.F.) mit allen Komplikationen, inkl. erhöhtem Risiko für Leberzellkrebs * Zieve-Syndrom: Leberschädigung mit Gelbsucht, Fettstoffwechselstörungen und vorzeitigem Abbau der roten Blutkörperchen (hämolytische Anämie) * **Immunsystem:** erhöhte Infektanfälligkeit * **Haut:** Rötung der Handflächen und Fußsohlen, offene Stellen im Bereich der Mundwinkel (Rhagaden), gerötete Gesichtshaut mit Gefäßspinnen (Spider naevi, Spinnennävi), verstärktes Schwitzen, juckende und schuppende Hautausschläge, Wundheilungsstörungen, Nagelveränderungen, Verstärkung von Hautkrankheiten (z.B. Schuppenflechte) * **Bauchspeicheldrüse:** * akute Pankreatitis * chronische Pankreatitis * leicht erhöhtes Risiko für Pankreaskarzinom * **Stoffwechsel:** * Hyperlipidämie (Fettstoffwechselstörungen) * Hyperurikämie (erhöhte Harnsäurewerte) mit Risiko für Gichtanfälle * Diabetes mellitus Typ 2 * Hypoglykämien (Unterzuckerung) bei Alkoholintoxikation * **Hormone:** * Hypogonadismus (genitale Unterfunktion) und Dominanz weiblicher Sexualhormone bei Männern mit Nachlassen von Libido und Potenz, Gynäkomastie (Vergrößerung der Brustdrüsen bei Männern) sowie Ausbleiben der Regelblutung * Hyperkortisolismus (erhöhte Kortisolspiegel im Blut) * **Herz-Kreislauf-System:** * Herzmuskelschädigungen (dilatative Kardiomyopathie) * arterielle Hypertonie (Bluthochdruck) * Herzrhythmussstörungen * erhöhtes Schlaganfallrisiko * erhöhtes Risiko für koronare Herzkrankheit mit Angina pectoris und Herzinfarkte * **Bewegungssystem:** * stark erhöhtes Unfallrisiko * Abbau von Knochenmasse * Alkoholembryopathie bzw. -fetopathie: mitunter schwere Schädigung des Embryos bzw. Fetus bei Konsum von Alkohol während der Schwangerschaft ### Spektrum der organischen Folgeerkrankungen des Alkoholismus. ### Teleangiektasien im Gesichtsbereich als möglicher Hinweis auf einen Alkoholabusus (aus: Moll I, Hrsg. Duale Reihe Dermatologie. 8. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2016). ### Begleitend entwickeln sich häufig Depressionen und Angststörungen. Diese sind häufig substanzinduziert und klingen nach längerer Abstinenz meistens ab. Bei vielen Betroffenen besteht auch eine Abhängigkeit von Nikotin, Medikamenten oder illegalen Suchtmitteln. ### Persönlichkeitsstörungen (v.a. dissoziale Persönlichkeitsstörung) sind häufig mit Alkoholabhängigkeit assoziiert. ### Diagnostik Zur Diagnosesicherung müssen nach den diagnostischen Leitlinien ≥ 3 der folgenden Kriterien innerhalb des letzten Jahres vorhanden sein: * starker Wunsch bzw. eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren („Suchtdruck" oder „Craving") * verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums * körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums * Nachweis einer Toleranz, d.h. Zufuhr zunehmend höherer Alkoholmengen, um den gewünschten Effekt zu erreichen * eingeengtes Verhaltensmuster, d.h. Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Konsums oder der Beschaffung von Alkohol bzw. der Erholung von den Folgen **Tipp:** anhaltender Alkoholkonsum trotz nachweislicher Folgeschäden, z.B. Leberschädigung, depressive Verstimmungen **Das diagnostische Gespräch sollte in vertraulicher Atmosphäre ohne moralische Beurteilung erfolgen, da viele Betroffene unter Scham- und Schuldgefühlen leiden und entsprechend Verleugnungs- und Bagatellisierungstendenzen zeigen. Ein wichtiges Prinzip zum Umgang mit Alkoholkranken ist eine verständnisvolle, unterstützende aber konsequente Haltung mit klaren Absprachen.** **Zur Diagnosestellung gehören eine ausführliche Anamnese inkl. Fremd- und Suchtanamnese (Trinkmenge, -frequenz, -verhalten), die Erhebung des psychischen Befundes (u.a. Persönlichkeitsstruktur, affektive Begleitsymptomatik, kognitive Defizite, Suizidalität!), eine körperliche Untersuchung (u.a. Lebervergrößerung, Polyneuropathie) und Laboruntersuchungen (direkt: Atem- oder Blutalkoholkonzentration, Ethylglukuronid im Urin; indirekte Hinweise geben y-GT ↑, MCV ↑, AST und ALT ↑, CDT ↑ [Carbohydrate Deficient Transferrin]) und apparative Diagnostik (evtl. CCT, EEG, Sonografie).** **Ergänzend können testpsychologische Fragebögen eingesetzt werden, z. B. der Münchner Alkoholismustest (MALT) oder der sog. CAGE-Test.** **Werden im CAGE-Test folgende Fragen mit „Ja" beantwortet, besteht dringender Verdacht auf Alkoholabhängigkeit:** * **Cut down:** Haben Sie (erfolglos) versucht, den Alkoholkonsum zu reduzieren? * **Annoyed:** Haben Sie sich geärgert, weil Ihr Trinkverhalten von anderen kritisiert wird? * **Guilty:** Empfinden Sie Schuldgefühle wegen Ihres Trinkverhaltens? * **Eye Opener:** Benutzen Sie Alkohol, um morgens in Gang zu kommen? **Tipp:** Alkoholabhängigkeit wird häufig nicht erkannt. Bei folgenden ungeklärten Beschwerden sollten Sie Alkoholismus in Betracht ziehen: Nervosität, Unruhezustände, Stimmungsschwankungen, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Schlafstörungen oder gastrointestinale Beschwerden. ### Anamnesegespräch bei Verdacht auf erhöhten Alkoholkonsum. ### Therapie – Akutversorgung **Akuter Rausch:** Bei leicht- bis mittelgradigen Rauschzuständen kann eine Überwachung mit „Talk down" sinnvoll sein, bei starker Unruhe können Benzodiazepine gegeben werden (Achtung: Atemdepression!). Bei lebensbedrohlichen Intoxikationen ist eine intensivmedizinische Überwachung erforderlich. Stark erregte Patient*innen mit pathologischem Rausch erhalten Benzodiazepine oder hochpotente Neuroleptika. **Wernicke-Enzephalopathie:** Die entscheidende Maßnahme ist die intravenöse Substitution von Thiamin (Vitamin B1). **Delir:** siehe Spicker „Delir" ### Therapie - Langzeitversorgung Das Hauptziel ist das Erreichen einer kompletten Abstinenz („kein einziger Tropfen"). Neben dem konventionellen Therapieprinzip „Entgiftung und Entwöhnung" (i.d.R. stationär) werden heute vermehrt auch niederschwellige, wohnortnahe (ambulante oder tagesklinische) Therapieangebote angeboten. Anstelle der Abstinenzforderung schon zu Beginn des Therapieprozesses tritt hier das Prinzip der „Risiko- und Schadensreduzierung" in Kraft mit (zunächst) Reduktion der Konsummenge und -häufigkeit („kontrolliertes Trinken"). Wegen der hohen Rückfallgefahr ist dies jedoch nur selten eine sinnvolle Dauerstrategie! In Deutschland gibt es ca. 1200 Beratungsstellen für Suchtkranke, in Fachkliniken stehen ca. 11.000 Therapieplätze zur Verfügung. Die Behandlung gliedert sich in folgende Phasen: * **Kontaktphase (Frühintervention):** Das Hauptziel ist die Förderung der Motivation zur Behandlung durch aufklärende, je nach Stadium auch konfrontierende Gespräche, evtl. unter Einbeziehung von Angehörigen, Kontakt mit Suchtberatungsstelle oder Fachambulanz. * **Entgiftungsphase:** Ziel ist der Entzug von Alkohol, i.d.R. unter stationären Bedingungen (internistische oder psychiatrische Klinik); 30-50 % der Betroffenen müssen wegen schwerer Entzugserscheinungen (Achtung: potenziell lebensbedrohliches Delir!) pharmakologisch behandelt werden. Zur Prophylaxe einer Wernicke-Enzephalopathie erhalten die Patient*innen Thiamin (Vitamin B1), bei Folsäuremangel zusätzlich Folsäure. Aufgrund der potenziell lebensgefährlichen Entzugssymptome wird von einem „kalten Entzug" ohne Substitution abgeraten: Zur Substitution wird häufig das Sedativum Clomethiazol (Distraneurin®) eingesetzt, das zunächst in relativ hoher Dosierung gegeben und dann innerhalb einiger Tage ausgeschlichen wird. * **Achtung:** Clomethiazol kann die Atmung stark dämpfen und darf daher nur unter stationären Bedingungen gegeben werden. Zudem kann es selbst eine Abhängigkeit auslösen und darf daher nur für einige Tage gegeben werden. * **Entwöhnungsbehandlung:** i.d.R. mehrwöchige (teil) stationäre Behandlung in Fachklinik zur Festigung der Abstinenz, Umgang mit Rückfällen; eingesetzt werden multimodale Therapieprogramme (u.a. Psychotherapie, Psychoedukation, soziales Kompetenztraining, Angehörigengespräche), evtl. psychopharmakologische Behandlung mit „Anticraving"-Substanzen (z. B. Acamprosat [z.B. Campral®]), die den „Suchtdruck" verringern sollen; ggf. Mitbehandlung von körperlichen Begleiterkrankungen * **Nachsorge- und Rehabilitationsphase:** Nachbetreuung und Unterstützung durch Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen mit dem Ziel der dauerhaften Abstinenz und Wiedereingliederung in das soziale Umfeld **Therapiekette bei Abhängigkeitserkrankungen (nach: Leucht, Förstl, Kurzlehrbuch Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme, 2018).** **Achtung:** * Die Entgiftungsbehandlung ist nur eine Stufe der Therapiekette. Nach alleiniger Entgiftung wird ein Großteil der Betroffenen rückfällig! * „Trockene" Alkoholiker sollten überhaupt keinen Alkohol zu sich nehmen („kein Tropfen mehr") - auch nicht in Arzneimitteln (z.B. homöopathische Tropfen, Hustensaft). ### Prognose Ohne Therapie besteht bei Alkoholabhängigkeit eine schlechte Prognose. Der Umgang mit Rückfällen ist eine Herausforderung für jeden Sucht-Therapeuten. Langzeittherapien mit spezialisierten Therapeuten sind für den Therapieerfolg ausschlaggebend: Die spontane Abstinenzrate (nach einer Entgiftung ohne weiterführende Therapie) liegt bei weniger stark Abhängigen bei nur ca. 20%, bei schwer Abhängigen sind es höchstens 5 %. Hingegen sind 65% der Patient*innen nach Langzeittherapie > 1 Jahr abstinent, 45% > 4 Jahre. Von entscheidender Bedeutung sind eine frühzeitige Diagnosestellung und ein zügiger Therapiebeginn. Prognostisch ungünstige Faktoren sind ein früher Krankheitsbeginn, Arbeitslosigkeit, Persönlichkeitsstörungen und organische Persönlichkeitsveränderungen. **Beachte:** Die Lebenserwartung von Alkoholabhängigen ist um ca. 12 Jahre reduziert (bzw. um 15%). Schätzungen zufolge begehen 10-20% der Betroffenen Suizid!

Use Quizgecko on...
Browser
Browser