Einführung in die Verhaltensökonomie PDF
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Westfälische Wilhelms-Universität Münster
2024
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Diese Datei enthält eine Einführung in die Verhaltensökonomie, die im Wintersemester 24/25 gehalten wurde. Sie behandelt Themen wie Zeitpräferenzen, soziale Präferenzen und Entscheidungsverhalten. Es werden wichtige Modelle und Theorien vorgestellt, die für das Verständnis der Prinzipien der Verhaltensökonomie relevant sind.
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Einführung in die Verhaltensökonomie Grundlagen der Mikroökonomik Wintersemester 24/25 Inhalt 1. Zeitpräferenzen 2. Soziale Präferenzen 3. Beliefs 4. Entscheidungsverhalten 5. Referenzpunkt-abhängige Präferenzen Literatur Varian, Kap. 30 M. Rabin (2013)...
Einführung in die Verhaltensökonomie Grundlagen der Mikroökonomik Wintersemester 24/25 Inhalt 1. Zeitpräferenzen 2. Soziale Präferenzen 3. Beliefs 4. Entscheidungsverhalten 5. Referenzpunkt-abhängige Präferenzen Literatur Varian, Kap. 30 M. Rabin (2013): “Incorporating Limited Rationality into Economics”, Journal of Economic Literature, 51(2), 528-543. 1/35 Einführung In der Verhaltensökonomie wird Entscheidungsverhalten modelliert, das systematisch vom bisher entwickelten Standard-Modell abweicht. Man kann diese Abweichungen grob klassifizieren nach 1. Nicht-Standard Präferenzen (z.B. Fairness-Präferenzen) 2. Nicht-Standard ”Beliefs” (Überzeugungen, Vorstellungen) 3. Nicht-Standard Entscheidungsverhalten Die beiden letzten Kategorien diskutiere ich nur anhand eines Beispiels, Nicht-Standard Präferenzen etwas ausführlicher. 2/35 Zeitpräferenzen Zeitpräferenzen Das Standard-Modell Motivation. Bei vielen Entscheidungen fallen Kosten und Nutzen der Entscheidung zu unterschiedlichen Zeitpunkten an. Lernen, Uni-Ausbildung Allgemein: Investitionen (Bildung, Gesundheit,...), Sparen Das Standard-Modell unterstellt exponentielle Diskontierung, um intertemporale trade-offs abzubilden. Der Gesamtnutzen U aus Sicht von Periode 0 ist U = u0 + δu1 + δ 2 u2 +... Der instantane Nutzen u0 , u1 , u2 ,... bildet ab, wie gut es dem Entscheidungsträger in der jeweiligen Periode geht und ist i.d.R. abhängig von Konsum, Freizeit,.... 3/35 Zeitpräferenzen Das Standard-Modell Standard-Modell (fortgesetzt) Der Diskontfaktor 0 < δ ≤ 1 misst, wie stark Nutzen zu späteren relativ zu früheren Zeitpunkten diskontiert wird. Beispiel: Eine Nutzeneinheit zum Zeitpunkt t + 1 ist genauso gut wie δ Nutzeneinheiten zum Zeitpunkt t. Je kleiner δ, desto ungeduldiger ist der Entscheidungsträger. Beachte; unter exponentiellem Diskontieren wird Nutzen zwischen zwei aufeinander folgenden Perioden immer mit der gleichen Rate δ diskontiert. Beispiel: Sie können 100 Euro sparen, Nutzen = verfügbares Einkommen, δ = 0.9. Zins = 5%: nicht optimal zu sparen, da −100 + 0.9 · 105 < 0. Zins = 20%: optimal zu sparen, da −100 + 0.9 · 120 > 0. 4/35 Zeitpräferenzen Evidenz gegen das Standard Modell (1) Das Standard-Modell hat implausible Implikationen in empirisch relevanten Fällen. Man kann dies mit Hilfe eines kleinen Experiments illustrieren: Für welchen Betrag x sind Sie indifferent zwischen 100 Euro heute und x Euro in 14 Tagen? 105 Euro, 110 Euro, 120 Euro, > 120 Euro? Da unter exponentiellem Diskontieren Ihr Diskontfaktor über einen Zeitraum von 14 Tagen immer gleich ist, impliziert Ihre Antwort, dass Sie indifferent sind zwischen 100 Euro heute und 100 · (x/100)26 Euro in einem Jahr. Für x = 105 wären dies 356 Euro. Für x = 110 wären dies fast 1.200 Euro. Über längere Zeiträume hat das Standard-Modell daher absurde Implikationen: ist x = 110, wären Sie indifferent zwischen 100 Euro heute und ca. 24 Mio. Euro in 5 Jahren! 5/35 Zeitpräferenzen Evidenz gegen das Standard Modell (2) - Dynamische Konsistenz Das Standard-Modell impliziert, dass Individuen Pläne, die sie sich für die Zukunft vorgenommen haben, auch tatsächlich ausführen, wenn die Zeit gekommen ist. Illustration: 3 Perioden (t = 0, 1, 2), Individuum überlegt sich in t = 0, in t = 1 mit dem Rauchen aufzuhören. Mit dem Rauchen aufzuhören (im Vergleich zum Weiterrauchen), führt in t = 1 zu einem Nutzenverlust von K , in t = 2 zu einem Nutzengewinn von G. In t = 1 mit dem Rauchen aufzuhören ist aus Sicht von t = 0 optimal, wenn gilt: u0 − δ · K + δ 2 · K > u0 ⇒ −δ · K + δ 2 · G > 0. Ist dies der Fall, so ist es in t = 1 tatsächlich optimal, mit dem Rauchen aufzuhören, denn: −δ · K + δ 2 · G > 0. ⇒ −K + δ · G > 0. Man spricht in diesem Fall von dynamischer Konsistenz. 6/35 Zeitpräferenzen Evidenz gegen das Standard Modell (2) - Dynamische Konsistenz Anekdotische Evidenz suggeriert allerdings, dass Entscheidungsträger oft dynamisch inkonsistent sind (z.B. “Aufschieberitis”). Dies lässt sich auch experimentell belegen, z.B. bei Read et al (1999). Teilnehmer eines Experiments können einen Spielfilm wählen: manche sind anspruchsvoll (Schindler’s Liste), manche nicht (Speed). Zwischenfrage: was hat das mit Zeitpräferenzen zu tun? Wird Wahl für heute Abend getroffen: 56% wählen wenig anspruchsvollen Film. Wird Wahl für in 7 Tagen getroffen: 37% wählen wenig anspruchsvollen Film. Wird Wahl für in 14 Tagen getroffen: 29% wählen wenig anspruchsvollen Film. 7/35 Zeitpräferenzen Evidenz gegen das Standard Modell (2) - Zusammenfassung Beide Arten empirischer Evidenz suggerieren, dass Menschen oft kurzfristig ungeduldig sind: x ist hoch, wenn es um die Entscheidung jetzt versus in 14 Tagen geht. Jetzt ist immer der falsche Zeitpunkt, um mit dem Lernen zu beginnen, dem Rauchen aufzuhören,... Gleichzeitig sind Menschen oft langfristig geduldig: x ist deutlich niedriger, wenn es um die Entscheidung in 52 Wochen vs in 54 Wochen geht. In der Zukunft sind wir oft gerne bereit, kurzfristige Kosten für langfristige Nutzengewinne auf uns zu nehmen. Das Standard-Modell kann diese Phänomene nicht abbilden, da das Maß an Ungeduld (d.h. wie stark Nutzen zwischen zwei Perioden diskontiert wird) unabhängig vom Zeithorizont ist. 8/35 Zeitpräferenzen Quasi-hyperbolische Diskontierung Zeitpräferenzen Quasi-hyperbolische Diskontierung Unter quasi-hyperbolischer Diskontierung ist der Gesamtnutzen aus Sicht von Periode 0 U = u0 + βδu1 + βδ 2 u2 +... Typischerweise unterstellt man β < 1 und δ ≈ 1. Für β = 2/3 ergibt sich also: 2 2 U = u0 + u1 + u2 +... 3 3 1 Nutzeneinheit in t = 1 ist also so gut wie 2/3 Nutzeneinheiten in t = 0. 1 Nutzeneinheit in t = 2 ist also so gut wie 1 Nutzeneinheit in t = 1. Der Entscheidungsträger ist also ungeduldig in der kurzen Frist und geduldig in der langen Frist. β ist interpretierbar als kurzfristiger Diskontfaktor. δ ist interpretierbar als langfristiger Diskontfaktor. 9/35 Zeitpräferenzen Quasi-hyperbolische Diskontierung - Implikationen Über quasi-hyperbolische Diskontierung kann die oben vorgestellte Evidenz gegen das Standard-Modell rationalisiert werden. 1. Kurzfristige Ungeduld hat keine absurden Implikationen mehr: 100 Euro heute ∼ 110 Euro in 14 Tagen ist vereinbar mit 100 Euro heute ∼ approx. 110 Euro in einem Jahr. 2. Entscheidungen können dynamisch inkonsistent sein, d.h. zukünftige Entscheidungen, die aus heutiger Sicht optimal sind, werden nicht mehr präferiert, wenn die Entscheidung getroffen werden muss. 10/35 Zeitpräferenzen Quasi-hyperbolische Diskontierung - Dynamische Inkonsistenz Unter quasi-hyperbolischer Diskontierung ist die Neigung zu hoch, Entscheidungen mit kurzfristigem Nutzen und langfristigen Kosten zu treffen (z.B. Feiern gehen). Beispiel: kurzfristiger Nutzen = 3, langfristige Kosten (eine Periode später) = 4, β = 2/3, δ = 1. Heute Abend feiern? Ja, denn u0 + βδu1 = 3 − 23 4 > 0. Nächste Woche feiern? Nein, denn βδu1 + βδ 2 u2 = 23 (3 − 4) < 0. Unter quasi-hyperbolischer Diskontierung ist die Neigung zu gering, Entscheidungen mit kurzfristigem Kosten und langfristigem Nutzen zu treffen (z.B. Verzicht auf Alkohol, Zigaretten,...). Beispiel: kurzfristige Kosten = 3, langfristiger Nutzen (eine Periode später) = 4. Heute Verzichten? Nein, denn u0 + βδu1 = −3 + 32 4 < 0. Nächste Woche Verzichten? Ja, denn βδu1 + βδ 2 u2 = 23 (4 − 3) > 0. 11/35 Zeitpräferenzen Nachfrage nach Commitment Ein naiver Entscheider ist sich seiner Zeitinkonsistenz nicht bewusst. Ein sophistizierter Entscheider, der um seine Zeitinkonsistenz weiß, würde sich gerne an seine heutigen (geduldigen) Entscheidungen binden, in dem er/sie bspw. die Kosten ungeduldiger Entscheidungen erhöht, bzw. die Kosten geduldiger Entscheidungen senkt. Beispiel: Ashraf (2006) dokumentiert, dass ca. 30% einer Bank auf den Philippinen ein Sparkonto wählen, bei dem der Zugriff auf die eigene Ersparnis beschränkt ist (obwohl ein ansonsten identisches Sparkonto ohne Beschränkung verfügbar ist), und dass die Ersparnis bei Sparern mit beschränktem Konto höher ist. 12/35 Zeitpräferenzen Firmenverhalten und Zeitinkonsistenz Firmen können die Neigung zu zeitinkonsistentem Verhalten sowohl bei naiven als auch sophistizierten Entscheidern ausnutzen. Anwendung (Malmendier und Della Vigna, 2006): Analysieren Verhalten von Fitness-Studio-Kunden. Der Besuch des Fitness-Studios hat kurzfristig Kosten (workout ist anstrengend), aber langfristig Nutzen (man ist gesünder). Kunden können zwischen 2 Vertragsoptionen wählen: (1) Monatsbeitrag von 70$ + unbegrenzte Nutzung des Studios und (2) kein Monatsbeitrag und 10$ pro Besuch. Die meisten Kunden wählen Option (1), gehen im 1. Jahr aber nur 4.3 mal pro Monat ins Studio. Also wäre Option (2) für die meisten Kunden günstiger gewesen. 13/35 Zeitpräferenzen Firmenverhalten und Zeitinkonsistenz Für Firmen macht es Sinn, Option (1) anzubieten, da sowohl naive als auch sophistizierte Individuen diese Verträge bevorzugen und daher bereit sind, mehr dafür zu bezahlen als für einen Vertrag mit Nutzungsgebühr pro Besuch. Sowohl naive als auch sophistizierte Entscheider wollen in der Zukunft oft ins Studio gehen. Naive Entscheider denken (fälschlicherweise), dass sie tatsächlich oft ins Studio gehen und denken daher, dass Option (1) für sie günstiger ist. Sophistizierte Entscheider antizipieren, dass sie in der Zukunft nicht ins Studio gehen wollen. Option (1) ist für sie attraktiv, da sie stärkere Anreize für das langfristig gewünschte Verhalten liefert (Grenzkosten eines Besuchs im Fitness-Studio sind null → commitment). 14/35 Soziale Präferenzen Soziale Präferenzen Wie misst man soziale Präferenzen? Soziale Präferenzen bilden ab, dass Individuen auch das Wohlergehen anderer berücksichtigen. Ausmaß und Ursprung sozialer Präferenzen kann über Labor-Experimente gemessen werden. 1. Diktator-Spiel: (direktes Maß für soziale Präferenzen) Teilnehmer des Experimentes werden zufällig und anonym in Paare eingeteilt. In jedem Paar ist ein zufällig ausgewählter Teilnehmer der “Diktator” und entscheidet über die Aufteilung eines Geldbetrages. Verhaltens-Prädiktion unter (egoistischen) “Standard”- Präferenzen? Typisches Resultat: Diktator gibt im Schnitt 30% 15/35 Soziale Präferenzen Wie misst man soziale Präferenzen? 2. Ultimatum-Spiel; (ein einfaches Verhandlungsspiel) Teilnehmer des Experimentes werden wieder zufällig und anonym in Paare eingeteilt. In jedem Paar ist ein zufällig ausgewählter Teilnehmer der “Sender”, der andere Teilnehmer der “Empfänger”. Der Sender schlägt eine Aufteilung eines Geldbetrages vor. Der Empfänger kann die vorgeschlagene Aufteilung annehmen oder ablehnen: Nimmt er an, wird die vorgeschlagene Aufteilung implementiert. Lehnt er ab, erhalten beide Spieler nichts. Prädiktion unter Standard-Präferenzen: Empfänger interessiert sich nur für eigene Auszahlung und nimmt daher jedes positive Angebot an. Sender antizipiert dies und bietet kleinst-möglichen Betrag an. 16/35 Soziale Präferenzen Wie misst man soziale Präferenzen? Typisches Resultat: Sender schlägt zwischen 40-50% vor. Vorschläge unter 20% werden i.d.R. abgelehnt, die meisten Vorschläge zwischen 40-50% werden angenommen. Sehr stabil über unterschiedliche Kulturen hinweg. Resultate bleiben bestehen, auch wenn der Einsatz höher ist. Interpretation: Evidenz zeigt, dass Individuen bereit sind Ressourcen aufzugeben, um “unsoziales” Verhalten zu sanktionieren. 17/35 Soziale Präferenzen Warum haben Individuen soziale Präferenzen? Soziale Präferenzen Ursachen für soziale Präferenzen Wir diskutieren 3 Treiber hinter sozialen Präferenzen. 1. Präferenzen über die Verteilung von Ressourcen 2. Soziale Anerkennung 3. Absichten und prozedurale Fairness 1. Präferenzen über die Verteilung von Ressourcen Fehr und Schmidt (1999) schlagen folgende Nutzenfunktion vor, die Ungleichheits-Aversion abbildet: ( x1 − α(x2 − x1 ) wenn x2 ≥ x1 u1 (x1 , x2 ) = , x1 − β(x1 − x2 ) wenn x2 < x1. mit xi der Auszahlung für Spieler i und 0 ≤ β < 1, β < α. Im Ultimatum Spiel lehnt ein Empfänger mit solchen Präferenzen jedes Angebot ab, das ihm/ihr einen geringeren Anteil als 1+2α α % zusichert (s. Tutorium) 18/35 Soziale Präferenzen Ursachen für soziale Präferenzen 2. Soziale Anerkennung Individuen berücksichtigen nicht nur die Verteilung von Ressourcen (wie bei Ungleichheits-Aversion), sondern auch was andere über sie denken, wenn sie sich sozial bzw. unsozial verhalten. Evidenz 1: Lazear (2012) gibt Diktator die Möglichkeit, das Spiel mit 1 > y % des Geldbetrages zu verlassen, bevor er/sie eine Aufteilung vornimmt. Der andere Spieler wird nicht über das Diktator-Spiel informiert, wenn der Diktator das Spiel verlässt. Prädiktion unter Standard-Präferenzen? Prädiktion unter ungleichheits-aversen Präferenzen? In beiden Fällen sollte die Option, das Spiel zu verlassen, also keinen Effekt darauf haben, welchen Betrag der Diktator teilt. Aber: Diktatoren geben signifikant weniger ab, wenn die Exit-Option besteht und präferieren im Schnitt, das Spiel mit y ≈ 82% zu verlassen als das Diktator-Spiel zu spielen. 19/35 Soziale Präferenzen Ursachen für soziale Präferenzen 2. Soziale Anerkennung (fortgesetzt): Evidenz 2 (Andreoni, Bernheim, 2009): Nicht-anonymes Diktator-Spiel Computer wählt Allokation ($20, $0) oder ($0, $20) mit je gleicher Wahrscheinlichkeit. Diktator beobachtet Allokation des Computers, Empfänger nicht. Diktator trifft Entscheidung, wie $20 aufgeteilt werden sollen. Entscheidung des Diktators wird mit Wahrscheinlichkeit 1 − p implementiert, die Allokation des Computers mit W’keit p. Empfänger weiß nur um Allokation, kennt nicht die Entscheidung des Diktators. Kümmert sich Diktator nur um die Verteilung der $20, sollte p keinen Einfluss auf die Entscheidung haben. Was glauben Sie passiert, wenn p ansteigt? Warum? Wie glauben Sie verändert sich das Verhalten des Diktators, wenn der Computer im 1. Schritt zwischen den Allokationen ($19, $1) oder ($1, $19) wählt? 20/35 Soziale Präferenzen Ursachen für soziale Präferenzen 3. Absichten und prozedurale Fairness: Individuen berücksichtigen nicht nur die Verteilung von Ressourcen, sondern auch, wie diese Verteilung zustande gekommen ist. Glauben Sie, die Empfänger im Ultimatum-Spiel würden ein Angebot von 20% auch dann i.d.R. ablehnen, wenn der Sender nicht mehr als 20% vorschlagen könnte? Eine Fabel: Ein Junge findet zwei reife Äpfel auf dem Heimweg von der Schule. Er behält den größeren und gibt den kleineren seinem Freund. “Es war nicht nett, den größeren zu behalten“, sagt der Freund. “Was hättest du denn gemacht?“ “Ich hätte dir den größeren gegeben und den kleineren behalten.“ “Na, dann haben wir ja beide das bekommen, was du wolltest. Warum beschwerst du dich also?“ 21/35 Soziale Präferenzen Anwendungen Soziale Präferenzen Breza et al. (2018): The Morale Effects of Pay Inequality Untersuchen, wie relative Lohnunterschiede auf Produktivität von Arbeitern wirken. Experiment mit indischen Produktionsarbeitern: Mitarbeiter eines Teams erhalten entweder denselben festen Tageslohn oder unterschiedliche Löhne entsprechend ihrer (Basis-)Produktivität. Resultate: Wenn die Produktivität der Kollegen schwer zu beobachten ist, verringert Lohnungleichheit die Produktion aller Teammitglieder um bis zu 22% und die Anwesenheit um 18 Prozentpunkte. Lohnungleichheit unterminiert allem Anschein nach die Fähigkeit der Kollegen, im eigenen Interesse zusammenzuarbeiten. Wenn jedoch für die Arbeiter klar erkennbar ist, dass ihre höher bezahlten Kollegen produktiver sind als sie selbst, hat die Lohnungleichheit keinen erkennbaren Einfluss auf Produktion, Anwesenheit oder Gruppenzusammenhalt. ⇒ Evidenz für die Bedeutung von prozeduraler Fairness. 22/35 Soziale Präferenzen Sind soziale Präferenzen formbar? (Rao (2019)) Allgemeine Frage: Können soziale Präferenzen durch (politische) Eingriffe verändert werden? Politik-Experiment: Einführung einer Quote in (manchen) elitären, indischen Privat-Grundschulen, nach der 20% arme Schüler aufgenommen werden müssen. Ärmere Schüler werden über Lotterie (also: zufällig) ausgewählt. Arme und reiche Schüler werden anschließend nicht innerhalb der Schule getrennt. Konkrete Frage: Verändern sich die sozialen Präferenzen reicher Schüler, wenn sie (mehr) mit ärmeren Kindern interagieren? Wir betrachten 2 Metriken für soziale Präferenzen. 1. Verhalten im Diktator-Spiel 2. Diskriminierung gegen ärmere Kinder 23/35 Soziale Präferenzen Verhalten im Diktator-Spiel Diktator ist immer ein reicher Schüler einer elitären Privatschule. Kann 10 Rupees aufteilen auf sich und einen armen Schüler aus einer Schule für arme Kinder (anonym!). Control Schools: Schulen ohne Aufnahmequote Treatment Schools: Schulen mit Aufnahmequote Resultate Diktatoren aus Treatment Schools geben im Schnitt 44% mehr an arme Kinder als Diktatoren aus Kontroll-Schulen. Nicht gezeigt: Diktatoren aus Treatment Schools geben im Schnitt auch 24% mehr an reiche Kinder als Diktatoren aus Kontroll-Schulen. Interpretation: Interaktion mit armen Schülern erhöht Ungleichheits-Aversion (oder eine andere Art egalitärer Präferenzen) reicher Schüler. 24/35 Soziale Präferenzen Distributional prefs Pure altruism? Saving face Intentions Workplaces Malleability Beliefs References Verhalten im Diktator-Spiel Social prefs Distributional prefs Pure altruism? Saving face Intentions Workplaces Mallea Game with poor recipient Dictator Game with poor recipient Adding Treatment Schools Adding Treatment Schools 50 50 Percent Given to Poor Recipient Percent Given to Poor Recipient 40 40 30 30 20 20 10 10 2 3 4 5 2 3 4 5 Grade Grade Control Schools Treatment Schools Control Schools Treatment Schools Note: 95% confidence intervals around mean amount given. Note: 95% confidence intervals around mean amount given. u au a a.. au a a.. 98 25/35 Soziale Präferenzen Diskriminierung In einem 2. Experiment wird untersucht, ob Interaktion mit ärmeren Schülern den Hang zu diskriminierendem Verhalten reduziert. Teilnehmer: Schüler aus 2 (elitären) Privat-Schulen: eine Schule mit Aufnahmequote (Treatment), eine Schule ohne Aufnahmequote (Control). Experiment: Schüler müssen ihren Partner für ein Staffel-Rennen auswählen. Partner ist entweder ein reicher Schüler aus einer (anderen!) Privat-Schule oder ein ärmerer Schüler aus einer öffentlichen Schule. Der Gewinner des Staffel-Rennens erhält einen Preis (bis zu 500 Rupees = b 1 Monat Taschengeld). Vor der Wahl laufen beide potenziellen Partner ein Rennen gegeneinander. Der sozio-ökonomische Hintergrund beider potentieller Partner ist über die Schul-Uniform sichtbar. Diskriminierung liegt vor, wenn der langsamere Läufer als Partner gewählt wird. 26/35 Soziale Präferenzen Distributional prefs Pure altruism? Saving face Intentions Workplaces Malleability Beliefs References Diskriminierung Poor Classmates & Incentives Reduce Discrimination.5 Share Discriminating Against Poor.4.3.2.1 0 50 200 500 Prize for Winning the Relay Race Untreated Classrooms Treated Classrooms Note: 95% confidence intervals around mean. 113 u au a a.. 27/35 Beliefs Beliefs Beliefs - Overconfidence Definition Überschätzung der eigenen Fähigkeiten oder überoptimistische Erwartungen. Bsp.: 93% der US College-Studierenden geben an, überdurchschnittlich gute Autofahrer zu sein. Beeinflusst Entscheidungen: in Finanzmärkten: Käufer von Wertpapieren sind optimistischer als Verkäufer. bei Investitionen: überoptimistischer Manager investieren mehr/riskanter. Keynes schrieb Wellen von Optimismus und Pessimismus eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Konjunkturzyklen zu. 28/35 Entscheidungsverhalten Entscheidungsverhalten Framing Entscheidungen hängen oft nicht nur von den Konsequenzen ab (Standard-Theorie), sondern auch davon, in welchen Kontext die Entscheidung eingebettet ist. Beispiel: Eine Grippewelle bedroht 600 Menschenleben und kann über 2 Programme bekämpft werden, die jeweils 2 Optionen bieten. Alle Optionen sind gleich teuer. Programm 1: Option A: Rettet 200 Menschen mit Sicherheit Option B: 1/3 Chance, dass alle gerettet werden, 2/3 Chance, dass niemand gerettet werden. Welches Option würden Sie wählen? 29/35 Entscheidungsverhalten Framing Programm 2: Option C: 400 Menschen sterben mit Sicherheit Option D: Mit 1/3 Wahrscheinlichkeit stirbt niemand, mit 2/3 Wahrscheinlichkeit sterben alle. Welches Option würden Sie wählen? In Experimenten beobachtet man: 72% der Teilnehmer wählen Option A, wenn sie sich Programm 1 gegenübersehen. 78% der gleichen Teilnehmer wählen Option D, wenn sie sich Programm 2 gegenübersehen. Warum ist das inkompatibel mit der Standard-Theorie? 30/35 Referenzpunkt-abhängige Präferenzen Referenzpunkt-abhängige Präferenzen Prospect Theory Kahnemann und Tversky (1979) nehmen mehrere Modifikationen an Standard-Nutzenfunktionen vor. Modifikation 1: Nutzen hängt ab von Veränderungen des Konsums relativ zu einem Referenzpunkt, nicht vom Level. “... the carriers of value are changes in wealth or welfare, rather than fnal states. This assumption is compatible with basic principles of perception and judgment”. Soll heißen: Menschen nehmen Veränderungen und Unterschiede leichter wahr als Level. Beispiel: Vergleich der Wassertemperatur in 2 Eimern vs Bestimmung der Temperatur. Modifikation 2: Verlustaversion - Verluste (relativ zum Referenzpunkt) wiegen schwerer als Gewinne. “...the aggravation that one experiences in losing a sum of money appears to be greater than the pleasure associated with gaining the same amount” Wir besprechen nicht KT’s Theorie zu Risikopräferenzen. 31/35 Referenzpunkt-abhängige Präferenzen Grafische Veranschaulichung Beachte: Konsum c wird relativ zum Referenzpunkt r evaluiert. Verlustaversion: Nutzenfunktion ist steiler wenn c < r. ⇒ Verhalten hängt entscheidend vom Referenzpunkt ab. Status quo Vergangene Preise etc. (Selbstgesteckte) Ziele Soziale Vergleiche Erwartungen 32/35 Referenzpunkt-abhängige Präferenzen Anwendung: Selling Winners and holding on to Losers: Odean (1997) Frage: Beobachtet man systematische Unterschiede in der Wahrscheinlichkeit, mit der Investoren Aktien verkaufen, auf die sie Gewinne bzw. Verluste erzielt haben? Bezug zu Referenzpunkt-abhängigen Präferenzen: Plausibler Referenzpunkt ist (ehemaliger) Kaufpreis. Verlustaversion → Investoren versuchen, Verluste zu vermeiden (bzw. zu realisieren) → scheuen davor zurück “Loser” zu verkaufen. Evidenz aus Depotveränderungen von ca. 10,000 Privat-Investoren. Investoren verkaufen über das gesamte Jahr hinweg ca. 10% der Loser und 15% der Winner. Die Tendenz, Gewinner zu verkaufen und Verlierer im Portfolio zu behalten heißt Disposition Effect. Ähnliche Evidenz in Bezug auf Bereitschaft, die eigene Immobilie zu verkaufen. 33/35 Referenzpunkt-abhängige Präferenzen Anwendungen: Status Quo Bias Allgemein gilt: Referenzpunkt-abhängigen Präferenzen erzeugen Status Quo Bias am Ref.punkt. Beispiel 1: Güterpreise werden (zu) selten angepasst. Mögliche Erklärung: Referenzpunkt der Kunden ist aktueller Preis. Preissenkung = b c > r → zusätzlicher (Grenz-) Nutzen gering → wenig zusätzliche Nachfrage. Preiserhöhung = b c < r → Verlust an (Grenz-) Nutzen hoch → starke Reduktion der Nachfrage. Beispiel 2: “Bei Nicht-Gefallen Geld zurück Garantie”. Erscheint ex ante (vor Kauf) attraktiv. Ex post (nach dem Kauf) hat sich Referenzpunkt verschoben (man besitzt das Gut nun). Das Gut zurückzugeben (Verlust) reduziert Nutzen stärker als ex ante antizipiert. ⇒ Die Garantie wird weniger in Anspruch genommen als gedacht, sprich: die Kunden sind ex ante bereit, “zu viel” für die Garantie zu bezahlen. 34/35 Referenzpunkt-abhängige Präferenzen Literaturzerzeichnis Andreoni, James and Doug Bernheim, “Social Image and the 50-50 Norm: A Theoretical and Experimental Analysis of Audience Effects,” Econometrica, 2009, 77 (5), 3333–3356. Breza, Emily, Supreet Kaur, and Yogita Shamdasani, “The Morale Effects of Pay Inequality,” Quarterly Journal of Economics, 2018, 133 (2), 611–663. Kahneman, Daniel and Amos Tversky, “Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk,” Econometrica, 1979, 47, 263–292. Lazear, Edward, Ulrike Malmendier, and Roberto Weber, “Sorting in Experiments with Application to Social Preferences,” American Economic Journal, Applied Economics, 2012, 4 (1), 136–163. Rao, Gautam, “Familiarity Does Not Breed Contempt: Diversity, Discrimination and Generosity in Delhi Schools,” American Economic Review, 2019, 109 (3). 35/35