Internationaler Kapitalverkehr 1900-2014

Vorlesung 13: Außenhandel, Globalisierung und Rodriks Trilemma

Überblick

• Die Vorlesung umfasst Themen wie Globalisierung, Spezialisierung, Handel und die Rolle von Politik und Institutionen.
• Es wird besonders auf Deutschlands Zahlungsbilanz von 1883 bis 2016 eingegangen.
• Zum Schluss folgt ein Ausblick auf die Zukunft der Globalisierung.

Einführung in die Globalisierung

• Globalisierung wird definiert als ein Prozess, bei dem Märkte für Massengüter und Produktionsfaktoren wie Arbeit und Kapital in weit entfernten Regionen sich gegenseitig beeinflussen.
• Ein Beispiel ist der Einfluss der Getreideernte in der Ukraine auf Afrika oder das Wachstum in China auf die weltweiten Energiepreise.

Vorgeschichte der Globalisierung

• Im 13. Jahrhundert förderte die "Pax Mongolica" den Handel zwischen Europa und Asien über die Seidenstraße.
• Marco Polo (1245–1324) handelte zwischen Venedig und China u. a. mit Edelsteinen.
• Die Grosse Pest (1347-1350) reduzierte die europäische Bevölkerung um ein Drittel, was zu einem höheren pro Kopf Einkommen und einer gesteigerten Nachfrage nach Luxusgütern führte.
• Der Landweg wurde unsicher, wodurch der Seeweg im 14. Jahrhundert attraktiver wurde für den Handel.
• Seefahrer aus Genua versuchten als erste, Afrika zu umschiffen, um nach Indien zu gelangen.
• Portugal eroberte 1415 Ceuta, um die Seeenge von Gibraltar zu sichern.
• Heinrich der Seefahrer (Dom Henrique o Navigador) suchte einen Seeweg nach Indien zu finden.
• In Lissabon und Sagres wurden Seefahrtsschulen gegründet.
• Die afrikanische Westküste wurde systematisch erkundet und gesichert.
• 1488 gelang Bartolomeu Diaz die Umschiffung des Kaps der Guten Hoffnung.
• 1498 Vasco da Gama erreichte Indien über die Umschiffung Afrikas.
• Im 16. Jhd. dominierten Portugal, Spanien, dann England und die Niederlande den Seehandel mit Asien.
• Italien, die Deutschen Staaten, Polen und Russland verloren an Bedeutung.
• Der Handel über Lissabon konzentrierte sich auf Güter mit hohem Wert im Verhältnis zum Gewicht ("Value to Weight Ratio").
• Dazu gehörten Luxusgüter, wie Gewürze, Kaffee, Tee, hochwertige Textilien wie Seide, aber kein Getreide oder Baumwolle.
• Nur wenige Europäer und Asiaten waren direkt am Handel beteiligt.
• Die Voraussetzungen für die Globalisierung waren seit dem 16. Jahrhundert gegeben.
• Die Globalisierung wurde erst durch steigende Einkommen und sinkende Transportkosten ab 1850 ermöglicht (Eisenbahn, Dampfschiffe).

Integration der Gütermärkte

• Die Messung der Marktintegration erfolgt durch:
  • Die Preiskonvergenz homogener Güter (z. B. Getreide) zwischen den Märkten.
  • Die Veränderung von Exporten und Importen, die nicht durch veränderte Nachfrage, Angebot oder Entfernung erklärt werden können (Gravitationsmodell).
• Der Handel nimmt schneller zu als das BIP und die Handelskosten sinken.
• Ein Index basierend auf einem Gravitationsmodell zeigt:
  • Eine zunehmende Integration der Weltwirtschaft vor 1870 bis 1914 (Globalisierung I).
  • Steigende Handelskosten während der Depression (Deglobalisierung).
  • Globalsierung II nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute.

Integration der Kapitalmärkte

• Länder leihen sich Kapital zur Investition oder zur Finanzierung von Konsum.
• Die Integration der Kapitalmärkte kann durch die Zahlungsbilanz gemessen werden.
• Eine historisch erhöhte Handelstätigkeit führte zu größeren Ungleichgewichten in den Leistungsbilanzen.
• Internationale Wertpapieranlagen stiegen im 20. Jahrhundert.
• Der Goldstandard ermöglichte freien Kapitalverkehr bis 1914-1931.
• Anschließend wurden Kapitalverkehrskontrollen infolge der Weltwirtschaftskrise eingeführt.
• Im Bretton Woods-System blieb der Kapitalverkehr beschränkt.
• Das Ende von Bretton Woods führte zur Deregulierung der Kapitalmärkte und zu einem Anstieg des internationalen Kapitalverkehrs.
• Der größte Teil des Kapitals wurde von reichen Ländern an andere reiche Länder verliehen statt an ärmere.

Arbeitsmigration

• Die Integration des Arbeitsmarktes hat weniger Vorteile als Güter- oder Finanzmarktintegration aufgrund von Einwanderungsbarrieren.
• Die Löhne zwischen Ländern sind aufgrund von Migrationskosten immer noch unterschiedlich.

Spezialisierung und Handel

• Spezialisierung bedeutet, dass ein Land, eine Region oder ein Unternehmen nur eine begrenzte Auswahl an Waren produziert und mit anderen tauscht.
• Ursachen der Spezialisierung sind:
  • Komparativer Vorteil bei der Produktion bestimmter Güter
  • Wirtschaftliche Agglomeration, also die Reduktion von Kosten durch die Nähe zu anderen Unternehmen der gleichen Industrie (Skaleneffekte).

Komparative Vorteile

• Absoluter Vorteil: Größter Produktivitätsvorteil im Vergleich zu anderen.
• Komparativer Vorteil: Geringster Produktivitätsnachteil im Vergleich zu anderen.
• Handel ist zum beiderseitigen Vorteil, wenn sich beide Parteien auf die Produktion der Güter mit komparativen Vorteilen spezialisieren.
• Handel ist in der Regel kein Nullsummenspiel.

Gewinner und Verlierer von Handel (kurzfristig)

• Wer innerhalb eines Landes durch Handel gewinnt oder verliert, hängt von der Knappheit der Faktoren ab.
• Beispiel: Land A (Deutschland) und Land B (China) produzieren Maschinen und elektronische Geräte.
• Annahme: Maschinenproduktion erfordert viel Kapital und wenig Arbeitskraft, elektronische Geräte sind arbeitsintensiv.
• In Land A ist Kapital im Vergleich reichlicher vorhanden.
• Handel führt zur Spezialisierung nach komparativen Vorteilen = Land A auf Maschinen, Land B auf elektronische Geräte spezialisiert.
• In Land A steigt die Maschinenproduktion, während die Produktion elektronischer Geräte sinkt, wodurch die Nachfrage nach Kapital im Verhältnis zur Arbeit steigt.
• Die Gesamtproduktion steigt, was bedeutet, dass es relative als auch absolute Verluste gibt.
• Im Beispiel gewinnt in Land A Kapital relativ zu Arbeit und in Land B Arbeit relativ zu Kapital.
• Durch Handel können sich die Preise für Produktionsfaktoren angleichen.
• Ob relative Verluste zu absoluten Verlusten führen, hängt von weiteren Bedingungen ab.

Gewinner und Verlierer von Handel (langfristig)

• Die Spezialisierung nach komparativem Vorteil wirkt sich ähnlich auf den Arbeitsmarkt aus wie technologischer Fortschritt.
• Eine gesteigerte Produktivität verschiebt die Gewinnkurve nach oben.
• Kurzfristig gehen Arbeitsplätze verloren, aber mittelfristig entstehen durch Exportwachstum neue Arbeitsplätze.
• Der langfristige Anpassungsprozess hängt davon ab, wie sich stark die Lohnkurve verschiebt.

Auswirkungen von Migration

• Einwanderung erweitert die einheimische Bevölkerung, die arbeitet.
• Die Lohnkurve verschiebt sich kurzfristig nach unten, da die Arbeitslosigkeit steigt.
• Im Laufe der Zeit reagieren Unternehmen, indem sie bei niedrigeren Löhnen mehr Mitarbeiter einstellen, wodurch die Arbeitskraft auf ein Gleichgewichtsniveau steigt.

Rodriks Trilemma

• Das Rodriks Trilemma besagt, dass es unmöglich ist, Hyperglobalisierung, nationale Souveränität und Demokratie gleichzeitig zu erreichen.
• Hyperglobalisierung: Es gibt keine politischen oder kulturellen Barrieren für Güter- und Investitionsströme.
• Nationale Souveränität: Die Politik kann selbst gewählt werden.
• Demokratie: Partizipation und Mehrheitsentscheid.
• Das Trilemma zeigt die Spannungen zwischen diesen Zielen auf.

Konsequenzen des Rodrik Trilemmas

• Wenn man nationale Souveränität und Demokratie hat, kommt es zu einer Begrenzung der Arbeits- und Kapitalmobilität.
• Wenn man Hyperglobalisierung und nationale Souveränität hat, wird die Demokratie bedroht, da der "Golden Straightjacket" regiert.
• Wenn man Hyperglobalisierung und Demokratie hat, wird die nationale Souveränität eingeschränkt.

Kosten der Deglobalisierung

• Die Globalisierung kann das Wachstum fördern durch Wettbewerb, technologischen Fortschritt und Skalenvorteile.
• Umgekehrt kann die Globalisierung aber auch das Wachstum behindern, z. B. durch ungünstige Spezialisierung.
• Temporärer Zollschutz kann hilfreich sein, um die Produktivität in jungen Industrien zu steigern, wie in den USA vor 1914 und Südkorea nach 1970.
• Die Wachstumseffekte der Globalisierung sind von der Größe einer Volkswirtschaft abhängig.
• Kleine Länder können stärker von Offenheit profitieren.
• Deutschland ist wirtschaftlich nicht mit den USA zu vergleichen.

Deutschlands Zahlungsbilanz von 1883–2016

• Vom Kaiserreich zum Zweiten Weltkrieg gab es Wachstum und Krise.
• Seit 1945 gab es wachsende Spielräume und neue Abhängigkeiten.

Entwicklungen seit 1883

• Vom Kaiserreich zum Zweiten Weltkrieg: Wachstum und Krise
  • Schätzungen von 1883 bis 1913 basieren auf Handelsbilanz (HB), Kapitalbilanz i.e.S. (KB) und Devisenbilanz (DB).
  • Die Übertragungsbilanz (ÜB) und Restposten werden mit Null angenommen.
  • Trotz passiver HB ergibt sich durch Erträge aus Auslandsinvestitionen und wachsende Devisenreserven der Reichsbank eine aktive LB (Leistungsbilanz).
  • Russland versuchte eigene Kapitalimporte durch Handelsexporte auszugleichen.
  • Dies führte zum „Zollkrieg" mit dem Deutschen Reich.

Entwicklungen nach dem Ersten Weltkrieg

• Nach 1918 gab es Reparationen und Übertragungen.
• Reparationen werden nur zu geringem Teil aus einer Leistungsbilanz-Überschuss geleistet.
• "American Reparations to Germany" durch Kapitalimporte aus den USA.
• Die Weltwirtschaftskrise führte zu einer Kapital- und Devisenflucht.
• Seit 1952 gab es durchweg eine aktive HB.
• Seit 1971 gab es negative DB (u.a. durch Reisen); LB war jedoch aktiv bis 1990.
• Es folgte: wachsende Devisenbestände, Kapitalexporte und stark negative Übertragungsbilanzen.

Entwicklungen nach dem Fall von Bretton-Woods

• LB und HB leiden kaum unter Zusammenbruch von Bretton-Woods und Aufwertung der DM.
• Die Ursachen waren: Produktivitätswachstum und europäische Verflechtung.
• Die deutsche Wiedervereinigung unterbrach den positiven Trend seit 1982.
• Bis 1985 gab es rapide wachsende LB-Überschüsse mit den USA.
• Ab 1986 wurde die Entwicklung von LB-Überschüssen mit europäischen Partnern getragen.
• Die deutsche Wiedervereinigung lenkte den Aussenhandel zeitweilig „nach innen” und begleitete negativ die Dienstleistungsbilanz (Reisen).
• Seit 1994 wurde HB wieder stärker aktiv.
• Der Euro unterstützte diese Entwicklung.
• LB-Überschuss und KB-Defizit waren historisch ungewöhnlich hoch seit 2005.
• Die nächste Abbildung zeigt die geographische Aufteilung des LB in Europa.

Ausblick auf die Zukunft der Globalisierung

• Es wird eine Frage aufgeworden, welche Entwicklung bis 2030 am wahrscheinlichsten sind:
  • Deglobalisierung?
  • Supranationaler Föderalismus?