DiF I - VL11

VL Grundlagen der Diagnostik in pädagogischen Handlungsfeldern

• Die Vorlesung behandelt die Grundlagen der Diagnostik in pädagogischen Kontexten.
• Dozenten sind Prof. Dr. Ricarda Steinmayr und Prof. Dr. Olga Kunina-Habenicht im Wintersemester 2024/25.
• Thema der Sitzung sind die Determinanten der Schulleistung.

Pädagogische Diagnostik

• Pädagogische Diagnostik umfasst alle diagnostischen Aktivitäten, die bei einzelnen Lernenden und in einer Gruppe von Lernenden Voraussetzungen und Bedingungen planmäßiger Lehr- und Lernprozesse ermitteln.
• Sie analysiert Lernprozesse und Lernergebnisse werden, um individuelles Lernen zu optimieren.
• Pädagogische Diagnostik umfasst diagnostische Maßnahmen, die die Zuweisung zu Lerngruppen oder Förderprogrammen ermöglichen und gesellschaftliche Aufgaben steuern.
• Die Steuerung des Bildungsnachwuchses und die Erteilung von Qualifikationen gehören zu den Zielen.
• Quelle: Ingenkamp/Lissmann, 2008, S. 13

Bedingungen schulischer Leistung in PISA (Baumert et al., 2001)

• Das PISA Modell von Baumert et al. (2001) stellt einen Rahmen dar, um verschiedene Bedingungen schulischer Leistung zu ordnen und deren Zusammenwirken zu verstehen.
• Faktoren wie sozioökonomischer Status, Bildungsniveau und ethnische Herkunft der Familie beeinflussen kulturelles und soziales Kapital.
• Schule, Fachbereich und Klassenzusammenhang, Altersgruppe, Medienumwelt und soziale Aspekte beeinflussen Lernvoraussetzungen.
• Elterliches Erziehungs- und Unterstützungsverhalten hat direkten Einfluss auf Lernstrategien, Handlungskontrolle und Emotionen der Schüler.
• Lehrererfahrung, Überzeugungen und Unterrichtsprozesse (Instruktionen/Interaktionen) beeinflussen die individuellen Verarbeitungsprozesse.
• Individuelle Verarbeitungsprozesse (aktive Lernzeit, Anstrengung, Aufmerksamkeit, Lernstrategien, Handlungskontrolle, Emotionen) wirken sich auf die Lern- und Leistungsergebnisse aus.

Schulleistung

• Schulleistung umfasst die von der Schule initiierten Lernprozesse und Lernergebnisse der Schüler*innen.
• Lernleistungen können unter verschiedenen Verhaltensdimensionen und Normen eingeordnet werden (Ingenkamp & Lissmann, 2008, S. 131).
• In Deutschland werden Lern- und Leistungsergebnisse hauptsächlich durch Schulnoten dokumentiert.
• Curriculare Schulleistungstests spielen eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu anderen Ländern.

Häufigkeit von Leistungsbeurteilung in Deutschland

• Eine Tabelle zeigt die Praktiken der Leistungsbeurteilung im internationalen Vergleich, einschließlich standardisierter Tests, Tests von Lehrern/Klassenarbeiten und Beurteilungen durch Lehrkräfte.
• Im Vergleich zu anderen OECD-Staaten verwendet Deutschland relativ selten standardisierte Tests.
• Über die Hälfte der Lehrkräfte stellen selbst Tests/Klassenarbeiten zusammen.
• Die Beurteilung erfolgt in Deutschland durch die Lehrkraft.

Zusammenhang soziale Herkunft und Schulleistungstests

• PISA-Studien von 2003 bis 2018 zeigen Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und Schulleistung in Deutschland.
• Korrelationen für Lesen (r = .49 bis .35), Mathematik (r = .48 bis .36) und Naturwissenschaften (r = .48 bis .40) zeigen einen Zusammenhang.
• Im Jahr 2012 betrug der Lernvorsprung von Kindern aus durchschnittlichen SÖS-Haushalten im Vergleich zu den niedrigsten 2% der SÖS-Haushalte etwa 2 Jahre in Mathekompetenzen.
• Trotz abnehmender Tendenz liegt der Zusammenhang seit 2015 wieder über dem internationalen Durchschnitt.
• Im Grundschulbereich sind die Zusammenhänge geringer.
• Es gibt einen signifikanten Zusammenhang zwischen Lesekompetenz und elterlichem Hintergrund über die Jahre.
• Der Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund und Kompetenzen ist in der Sekundarstufe I teilweise auf das Schulsystem zurückzuführen (Maaz et al., 2008).
• Leistungsunterschiede, die durch den SÖS verursacht werden, bleiben konstant.
• Ein höherer SÖS führt bereits im Kindergarten zu besseren Ergebnissen.
• Migrationshintergrund ist mit sozialer Herkunft verbunden.

Kulturelles Kapital (PISA)

• Indikatoren für das kulturelle Kapital sind Humankapital der Eltern (Schulbildung und Berufsausbildung), kulturelle Praxis der Familie (Nähe zur "bürgerlichen Kultur") und Besitz von Kulturgütern.
• Schulrelevante Besitztümer (z.B. Anzahl der Bücher), Teilnahme an Kulturveranstaltungen (Museum, Theater) tragen zum kulturellen Kapital bei.
• Vorlesen in der Vorschulzeit wirkt sich positiv aus.

Soziales Kapital (PISA)

• Indikatoren für soziales Kapital sind Struktur, Größe und Erwerbstätigkeitsstatus der Familie (Anzahl der Personen im Haushalt, Geschwister, Erwerbstätigkeit der Eltern) und Eltern-Kind-Beziehungen (Erziehungsstil, Unterstützung).

Analysen Watermann & Baumert (2006)

• Das kulturelle und soziale Kapital erklärt in alten Bundesländern 35% der Varianz der Lesekompetenz (r = .59) und 29% der Varianz der Mathematikleistung (r = .54).
• In neuen Bundesländern erklärt das analysierte Gesamtmodell 26% der Varianz der Lesekompetenz (r = .51) und 18% der Varianz der Mathematikleistung (r = .42).
• Prozessmerkmale familiärer Lebensverhältnisse sind wichtige Mediatoren der sozialstrukturellen Verhältnisse.

Klassenkontext

• Die mittlere Testleistung der Klasse hatte einen fast ebenso hohen negativen Effekt auf die Note wie die individuelle Leistungsfähigkeit.
• Die Ergebnis kann durch den Referenzrahmeneffekt erklärt werden.
• Die Vergabe von Noten wird stark durch die durchschnittliche Leistungsfähigkeit der Klasse beeinflusst.

Medienumwelt

• Die Effekte von Medien scheinen geringer zu sein, als früher postuliert wurde.
• Es gibt einen Zusammenhang zwischen Medienlernen und Schulleistung (Hattie, 2009).
• Web-basiertes Lernen: r = .09
• Computer-gestütztes Lernen: r = .18

Lehrerexpertise, Unterricht und Schulleistung

• Aspekte wie offener Unterricht (r < .01), jahrgangsübergreifender Unterricht (r = .02), individualisiertes Lernen (r = .11), Kleingruppenlernen (r = .24), Classroom Management (r = .25) und direkte Instruktion (r = .28) sind mit Schulleistung verbunden.
• Weitere Faktoren sind die Lehrkraft-Schüler-Verhältnis (r = .34) und Feedback (r = .35).
• Etwa 30% der Unterschiede in der Schulleistung können auf die Lehrkraft und den Unterricht zurückgeführt werden (Hattie, 2009).

Überzeugungen von Lehrkräften

• Die Überzeugungen von Lehrkräften sind ein wichtiger Prädiktor für Schülerüberzeugungen.
• Implizite bereichsspezifische Leistungstheorien hängen mit der intrinsischen Motivation der Schüler*innen zusammen.
• Geschlechterstereotype der Lehrkräfte beeinflussen die Fähigkeitseinschätzungen für Schüler*innen.
• Geschlechtsrolleneinstellungen der Erzieher für Geschlechtsunterschiede beeinflussen die Lesemotivation.
• Effekte auf Leistung sind kleiner, aber bedeutsam (Peterson et al., 2016).

Schülermerkmale und Schulleistung

• Korrelationen mit Noten:
  • Intelligenz (r = .50)
  • Konzentration (r = .30)
  • Fähigkeitsselbstkonzept (r = .40)
  • Interesse (r = .30)
  • Gewissenhaftigkeit (r = .22)
  • Leistungsstreben (r = .35)
  • Lernziele (r = .15)
  • Verträglichkeit (r = .10)
  • Aggression (r = -.22)
• Mit Ausnahme der Leistungsvariablen hängen diese Variablen schwächer mit Schulleistungstests zusammen.

Elterliches Erziehungsverhalten und Schulleistung

• Die Untersuchung des Einflusses des Erziehungsverhaltens ist schwierig, da Gene und Verhalten konfundiert sind.
• Studien, die genetische Einflüsse kontrollieren, zeigen eine Korrelation von .10 < r < .20 zwischen Erziehungsverhalten und Schulleistung.
• Meta-Analysen zeigen einen höheren Zusammenhang für die Grundschule und kaum noch Zusammenhänge an weiterführenden Schulen (z.B. Patall, Cooper, & Robinson, 2008).

Elternbeteiligung im schulischen Kontext

• Eine Forschungssynthese von Hillmayr, Täschner, Brockmann, Holzberger (2021) analysiert Elternbeteiligung auf Basis von 18 Metaanalysen.
• Fragestellung ist, wie Elternbeteiligung mit dem schulischen Erfolg der Kinder und Jugendlichen zusammenhängt.
• Sowohl Schüler/innen mit, als auch ohne Benachteiligungsmerkmale wurden berücksichtigt.
• Schulischer Erfolg wird durch Leistung oder Motivation der SuS gemessen.
• Elternbeteiligung umfasst verschiedene Dimensionen:
  • Home-based: Lernplatzgestaltung, Hausaufgabenunterstützung, gemeinsame Museums- und Büchereibesuche, gemeinsames Lesen, Üben vor Klassenarbeiten, Hilfe bei Leistungsproblemen
  • School-based: Kommunikation mit Lehrkräften und Schulleitung, Teilnahme an Elternabenden und -sprechtagen, Engagement im Elternbeirat, Mithilfe bei Schulfesten und Klassenausflügen, Teilnahme an Schul- und Klassenveranstaltungen
  • Academic socialization: Kommunikation von elterlichen Erwartungshaltungen, Kommunikation über Lernstrategien, Stellenwert von Bildung, Zukunftspläne.

Elternbeteiligung im schulischen Kontext: Ergebnisse

• Über alle Studien hinweg ist "Academic Socialization" am wichtigsten.
• "Home-based" nimmt mit steigendem Alter ab, da die Kinder unabhängiger werden.
• "Academic Socialization" wirkt positiv, aber die Effekte sind klein und es gibt einen mittelgroßen Zusammenhang.
• Formen dieser Dimension weisen den stärksten Zusammenhang mit Schulleistung auf.
• Elterliche Bildungserwartungen scheinen zentral für die Schulleistung zu sein.
• Elterliche Bildungserwartungen wirken sich auf das Selbstkonzept der Kinder beeinflussen.
• Elterliche Bildungserwartungen hängen stark von der eigenen Bildung ab.
• Bei "School-based parental involvement" ist die Richtung des Zusammenhangseffekts überwiegend positiv, aber es gibt kleine Effekte.
• Ehrenamtliche und mitbestimmende Tätigkeiten der Eltern scheinen wichtig für die Leistung zu sein.
• Teilnahme an Schulaktivitäten fördert die Motivation.
• Es gibt einen Zusammenhang mit der Kommunikation zwischen Eltern und Lehrkräften.
• Engagement der Eltern hängt vom Bildungshintergrund ab.
• Bei "Home-based parental involvement" ist die Richtung des Zusammenhangseffekts überwiegend positiv, aber es gibt kleine Effekte.
• "Home-based parental involvement" scheint sich primär für die Motivation förderlich zu sein.
• Eine lernförderliche Umgebung zu Hause ist wichtig für die Schulleistung.
• In Bezug auf die Hausaufgabenunterstützung finden sich teils negative Zusammenhänge.
• Hausaufgabenunterstützung wirkt sich positiv aus, wenn Eltern Regeln festlegen, Erwartungen äußern, erwünschtes Verhalten verstärken, Feedback geben, Hilfestellungen anbieten und zur Entwicklung eigener Lösungen ermutigen.
• Negative Effekte entstehen bei reiner Überwachung oder Kontrolle im Nachhinein.

Bedeutung unterschiedlicher Quellen für erfolgreiches schulisches Lernen nach Hattie

• Schüler: 50%
• Familie: 5-10%
• Peers: 5-10%
• Schule: 5-10%
• Lehrkraft und Unterricht: 30%

Beurteilung des Modells von Baumert et al. (2001)

• Die berichteten Korrelationen stellen nur bivariate Zusammenhänge dar, das Modell wurde nicht in Gänze überprüft und wechselseitige Zusammenhänge werden nichtberücksichtigt.
• Das Modell liefert wertvolle Hinweise zur Erklärung unterschiedlicher Schulleistungen.
• Das Modell müsste aber an vielen Stellen wahrscheinlich ergänzt werden (z.B. Intelligenz und Konzentration).
• Interaktionen und reziproke Zusammenhänge sind wichtig für die Vorhersage von Schulleistung(Nickel, 1976).

Beispiel für eine Studie zur Interaktion von Prädiktoren der Schulleistung

• Beispiel: Studie zur Interaktion von Intelligenz und Konzentration (Steinmayr et al., 2010)
  • Stichprobe: 231 Schüler*innen der 11. und 12. Jahrgangsstufe eines Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen, davon 139 weiblich.
  • Durchschnittliches Alter: 16.82 Jahre (SD = 0.75).
• Methoden:
  • Konzentrationsleistungstest-R (KLT-R; Düker et al., 2001):
    • Anzahl korrekt gelöster Aufgaben (Quantität)
    • Prozentsatz falsch gelöster Aufgaben (Qualität)
  • Intelligenz-Struktur-Test 2000-R (IST 2000-R; Amthauer et al., 2001)
  • Kriterien: Zeugnisnoten (Durchschnitt über alle Fächer außer Sport und künstlerischen Fächern), wobei die Richtung so verändert wurde, dass höhere Noten bessere Leistungen repräsentieren.
• Ergebnisse:
  • Konzentration im engeren Sinne moderiert den Zusammenhang zwischen Intelligenz und allgemeiner Schulleistung.
  • Je höher die Konzentrationsfähigkeit, desto höher Korrelation zwischen Intelligenz und Schulleistung.
  • Schüler