Kirche im Werden – auf die Haltung kommt es an (2015) PDF
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Dorothea Steinebach
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Die Autorin beschreibt die methodischen Aspekte der Ermöglichungspastoral und deren Transfer in die Pastoral. Der Text beleuchtet verschiedene Methoden der Ermöglichungsdidaktik, wie Mind Maps, Planspiele, Simulationen und Fallanalysen, und diskutiert deren Anwendung im pastoralen Kontext.
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Steinebach – Ermöglichungspastoral: methodische Aspekte 445 Kirche im Werden – auf die Haltung kommt es an Dorothea Steinebach Woran kann man erkennen, dass „die Haltung stimmt“? Wenn es einer Ermögli- chungspastoral – wie ihrem „Bezugsparadigma“ einer Ermöglichungsdidaktik –...
Steinebach – Ermöglichungspastoral: methodische Aspekte 445 Kirche im Werden – auf die Haltung kommt es an Dorothea Steinebach Woran kann man erkennen, dass „die Haltung stimmt“? Wenn es einer Ermögli- chungspastoral – wie ihrem „Bezugsparadigma“ einer Ermöglichungsdidaktik – auf die Haltung ankommt, weil sie keine „Methode“ ist, so kann doch an der Art des Vorgehens und der Auswahl bestimmter Methoden durch die pastoralen Ak- teure im Modus einer entwicklungsorientierten Ermöglichungspastoral zumin- dest erahnt werden, ob die Haltung stimmt. So gilt es in diesem Beitrag Ausschau zu halten nach Ausdruckformen der ermöglichungspastoralen Haltung – dieser besonderen Art, eine seelsorgliche Beziehung zu gestalten. 1. Methoden der Ermöglichungsdidaktik und deren Transfer in die Pasto- ral 1.1. Methoden der Ermöglichungsdidaktik Soweit ich sehe, liegen mit dieser Zielsetzung bisher kaum Beiträge vor. In seinen „Konkretionen“ ging es Joachim Eckart zum Beispiel um die „Praxisbegleitung als ein Weg der Ermöglichungspastoral“ und damit um einen Ausschnitt pastora- len Handelns, der Lehr-Lernprozessen nahe kommt (Eckart 2004, 299). Dadurch konnte er auf die inzwischen reichhaltig dokumentierten Überlegungen zu den Methoden einer Ermöglichungsdidaktik zurückgreifen (vgl. Arnold 2007; Arnold 2010). Auf systemisch-konstruktivistischem Hintergrund sind dies für den Lehr- Lernprozess insbesondere jene Methoden, die den erwachsenen Lernern selbst- gesteuerte Konstruktionen ermöglichen und dazu gewisse Informationen von „außen“ – subjekt- und situationssensibel – beisteuern und bereitstellen. Denn „ohne Informationen von ‚außen' und soziale Kontakte mit der Umwelt sind au- topoietische Systeme nicht überlebensfähig“ (Siebert 2010, 46). Als gängige Konstruktionsmethoden gelten Mind Maps, Planspiele, Simulationen, Fallanaly- sen, Perspektivenwechsel, Verfremdungen u.a.m. Sie können durch instruktive Methoden der Wissensvermittlung, etwa zur Herstellung eines Überblicks über ein bestimmtes Themengebiet, eingeleitet oder angereichert werden. Dabei ist aber immer zu beachten: „Lernen benötigt zwar Informationen ‚von außen’, aber die Realität wird nicht im Kopf abgebildet und widergespiegelt, sondern sie wird aktiv ausgewählt, biochemisch umgewandelt (z.B. Licht in Farbe, Luftdruck in Geräusche, Moleküle in Düfte etc.), gedeutet und in Handlungen umgesetzt (wenn das Licht zu grell ist, schließe ich die Augen). Lernen ist strukturdetermi- niert, was und wie etwas verarbeitet wird, hängt weniger von der Qualität der Mitteilung ab als von dem internen kognitiv-emotionalen System und den mo- mentanen körperlichen Empfindungen: Wir sehen, was wir wissen, was wir men- tal verknüpfen können, was wir sehen wollen und was wir sehen müssen, um 446 Programm und Methode erfolgreich handeln zu können“ (Siebert 2010, 43). Ganz entscheidend kommt es daher im beschriebenen systemisch-konstruktivistischen Horizont der Ermögli- chungsdidaktik – wie gesagt – auf die Haltung der Lehrenden an, auf die verän- derte non-direktive Lehr-Lernkultur, auf eine Vielfalt an Lernorten und auf „ein Netzwerk sich komplementär ergänzender formaler und informeller Lerngele- genheiten.“ (Siebert 2010, 42) 1.2. Methodentransfer in die Pastoral Der „Methodentransfer“ einer Ermöglichungspastoral setzt hier an. Sie fragt nach jenen dialogischen, partizipativen, kooperativen „Konstruktionsmethoden“, die Menschen angeboten werden könnten, ihr Projekt „eigenes Leben“ als ein von Gott begnadetes und begabtes Leben anzunehmen, selbst zu „konstruieren“ und zu steuern und die ihnen gemäßen Entscheidungen treffen zu können, wie und wo sie ihr Leben gestalten und wie und wo sie sich engagieren. Pastorales Handeln umfasst dabei noch weit mehr als nur „Bildungsveranstal- tungen“ mit Erwachsenen im engeren Sinn – wenn diese nicht eher den Erwach- senenbildnern überlassen werden.147 Pastorales Handeln betrifft alle kooperativ- dialogischen Begegnungen mit den Menschen im pastoralen Raum – in Verkün- digung, Liturgie und Diakonie als den „drei kirchlichen Grunddiensten“ – und will Gemeinschaft (koinonia) stiften, Orte des Kirche-Seins aufspüren und gene- rieren. Auf systemisch-konstruktivistischem Hintergrund kann sich ermögli- chungspastorales Handeln daher nur mit einer Vielfalt von Methoden und einem breiten Repertoire an Interaktionsformen zufrieden geben und Anleihen machen bei all jenen Methoden, die für ganzheitliche, alltagsnahe, partizipative, ressour- cenorientierte und reflektierte148, dialogische und kooperative Begegnungen mit den Menschen stehen – in einer subjektsensiblen Vielfalt. Um einige wenige Bei- spiele zu benennen, bestehen diese im Bereich der − „Martyria“ und Sakramentenpastoral: z.B. in einer maximalen Beteiligung der Eltern an der Erstkommunionvorbereitung ihrer Kinder gemäß ihren Bega- bungen, Neigungen und Talenten149; in der einfühlsamen Gestaltung von kir- chenpädagogischen Impulsen zum Selbst-Entdecken des je eigenen Ortes in 147 Das dialogische Geschehen im Dreischritt von Austausch, Einvernehmen und Konsensbildung stellt dafür eine zentrale Vorgehensweise dar. Dem Kennenlernen der christlichen Botschaft schließt sich der Austausch über ihr Verständnis an. Das gelebte Glaubenszeugnis ist dabei von unersetzbarer Bedeutung: ein Zeugnis aus christlicher Lebens- und Glaubenserfahrung, das nicht Wahrheit dozierend vermittelt, sondern – so empfiehlt es ein systemisch-konstruktivistisches Kon- zept von Seelsorge – die „überlieferten Sinnperspektiven dialogisch ins Gespräch bringt“ (Englert 2005, 106). Über wiederholtes Argumentieren und Verhandeln können unterschiedliche Sichtwei- sen „perspektivenverschränkend“ zu einem tieferen Verstehen führen und zu einer „Konsensbil- dung“ im Sinne einer für beide Seiten annehmbaren Lösung. Idealerweise verbunden mit der Ent- deckung bzw. Bestätigung der „Alltagstauglichkeit“ des Glaubens für das eigene Leben. 148 Vgl. das Konzept von Maja Heiner (Heiner 2004, 154). 149 Siehe dazu den Beitrag von Ann-Chrisine Idzik im 6. Kapitel dieses Bandes. Steinebach – Ermöglichungspastoral: methodische Aspekte 447 einer Kirche; im gemeinsamen Entwurf katechetischer Konzepte bis hin zur Partizipation bei der Durchführung in selbstgewählten Einheiten. − „Liturgia“: z.B. in großer Sorgfalt in der Gestaltung und Durchführung rituel- ler Handlungen im Blick auf ganz konkrete Gottesdienstteilnehmer; in acht- samer Auswahl der Lieder und Texte sowie ihre sprachliche Gestaltung; in der sensiblen Hinführung zum (einfachen) Da-Sein-Dürfen im Kirchenraum. − „Diakonia“: z.B. im gemeinsamen Einsatz beim Mittagstisch für Arme und Bedürftige, bei aufmerksamen Begegnungen auf der Straße in der City, am Bahnhof, im Krankenhaus und im Altenheim, in der Nachbarschaft, wo Men- schen in einem ihren Ressourcen entsprechenden „stimmigen“ Aufgabenfeld die ihnen von Gott geschenkten Begabungen und Talente, die bereits da sind, entdecken, ausprobieren, weiterentwickeln. − „Koinonia“: z.B. im Achten auf ästhetische Aspekte mit Blick auf die Lebens- welten der Menschen: in der Einrichtung der Versammlungsräume (es muss nicht immer die „gestaltete Mitte“ sein, kann es aber); im Gestalten von „Or- ten des Willkommens“; im Achten auf die Art der Begrüßung, Wärme und Licht, das eigene Outfit. Oft sind es vermeintliche Kleinigkeiten. Als typisch für eine Ermöglichungspas- toral kann das von funktionalen Interessen freie Ansprechen von Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen auf ihre besonderen Begabungen angesehen werden, das Schaffen von Anreizen für selbstorganisierte Aktionen, das ermutigende und fragend interessierte Feedback, aber auch die „Verstörung“ durch die christliche Botschaft an „Anders-Orten“ und das Zurücktreten, wenn andere etwas auch, an- ders oder vielleicht sogar besser können – so vielfältig die Menschen sind und die Inhalte, um die es geht. 2. Mit Ermöglichungspastoral wirksam werden Als typisch ermöglichungspastorale „Wirkmechanismen“, in denen die Haltung einer Ermöglichungspastoral ihren Ausdruck finden kann, können daher (1) die grundsätzliche Wertschätzung jedes Menschen, (2) das Eingehen auf die Men- schen mit einer Vielfalt an Rollen und Interaktionsformen und (3) die „Selbst- Zurücknahme“ im Umgang mit ihnen gelten. Es sind Ausdruckformen, die die Menschen an ihren Orten mit ihren Gaben zum Zug kommen lassen und anregen, ihr Mensch- und Christ-Sein (mehr und mehr) selbst zu konstruieren und zu steu- ern. 448 Programm und Methode 2.1. Wertschätzung – die Menschen nehmen, wie sie sind Andere Menschen aufgrund ihrer Würde als Mensch wertzuschätzen, kann als Schlüsselqualifikation jedes Seelsorgers und jeder Seelsorgerin angesehen wer- den. Wertschätzung bedeutet, die Menschen zu nehmen, wie sie sind: sie anzu- nehmen, sie wahrzunehmen und „das Anliegen der jeweiligen Person, ihr wirkli- ches Befinden und Erleben zu erfahren und ernst zu nehmen“ (Eckart 2004, 257). Wertschätzend interessiert der ganze Mensch, seine Lebenswelt, sein „Typ“, seine Begabung und damit sein Auftrag frei von institutionellen Interessen. Wer andere wertschätzt, der lässt sie sich etwas angehen in ihren Lebenswelten und nutzt für die professionelle seelsorgliche Beziehung zu ihnen „Seh- und Deu- tungshilfen“ wie etwa die einer „milieusensiblen Pastoral“. Wer andere wert- schätzt, der zeigt dies durch seine fragend-interessierte Haltung: was freut und was belastet dich? Wie gehst du mit den Zumutungen in deinem Leben um? Was interessiert dich, was willst du? Welche Talente zeichnen dich aus, was kannst du gut? Wie kann ich die Botschaft des Evangeliums mit dir neu lesen lernen? Was sollst du von Gott her in das Zusammenleben mit anderen einbringen? Kann man im Anschluss an Karl Rahner von der apriorischen Begnadetheit aller Menschen ausgehen, so sind – unter der Vielzahl möglicher Ausdrucksfor- men begnadeten Menschseins – auch all jene zu unterstützen und wertzuschätzen, die auf den ersten Blick fremd sind, die keine für die christliche „Kerngemeinde“ gewohnte Ausdrucksweise darstellen. 150 Denn: der pastorale Ort ist der Mensch. Den Menschen gilt es, einen seelsorglichen Dienst zu erweisen – und zwar nicht nur den Getauften. Dies griffe in der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils zu kurz. Auch nicht Getaufte gehören zum Volk Gottes und verdienen Beachtung und Wertschätzung. Gerade die Begegnung von unterschiedlichen Überzeugun- gen und Ansichten in Bezug auf das, was in einem konkreten Kontext pastoral „dran“ ist, kann manchmal aber auch weiterführen und sogar Sprengkraft entfal- ten auf ein unerwartetes, überraschendes gemeinsames Ergebnis als „Lösung 2. Ordnung“ hin. In dem würdigenden, achtsamen und respektvoll wertschätzenden Blick auf die Menschen und das, was sie auf dem Hintergrund ihrer Lebenswelten äußern, kommt nämlich eine Fülle von „hilfreichen Gesichtspunkten, Möglich- keiten, Kompetenzen, Konstellationen, Ressourcen, konstruktiven, kreativen bzw. produktiven Eigenschaften, Gedanken, Gefühlen etc.“ (Mücke 1999, 4) zum Vorschein. Wer Wertschätzung lebt, der ist bereit, von den anderen zu lernen und auch sich selbst zu verändern. Von daher kann die Haltung der Wertschätzung der Menschen mit ihren Begabungen, Interessen und Talenten – verbunden mit einem echten Interesse am Lesen und Verstehen ihrer Wirklichkeitsdeutungen – als das Wirkprinzip ermöglichungspastoralen Handelns angesehen werden (Eckart 2004, 256). 150Von solchen ungewohnten, überraschenden Erfahrungen berichtet Ann-Christin Idzik in ihrem Praxisbeitrag aus dem Alltag der Sakramentenpastoral im 6. Kapitel dieses Buches. Steinebach – Ermöglichungspastoral: methodische Aspekte 449 2.2. Rollenvielfalt – subjektsensibel auf die Menschen eingehen Im pastoralen Raum begegnen einander Menschen in einer Vielfalt an Lebens- entwürfen und mit einer Vielfalt an „freitätigem Engagement“ (Steinebach 2005, 141) - gemäß ihrer jeweiligen Berufung und Sendung: in ihrer Familie, in der Sorge um die Kinder oder die ältere Generation, in der Nachbarschaft, im Beruf, in der Gesellschaft oder in der Politik. Eltern, die ihr Kind taufen lassen möchten, Eltern von Kommunionkindern, Erwachsene, die sich um ihre kranken Angehö- rigen und Alten kümmern oder die sich in verschiedenen Initiativen engagieren möchten: bei einer Tafel, in einer Selbsthilfegruppe, bei einem besonderen Got- tesdienst, langfristig gebunden oder kurzfristig und einmalig – sie tun dies aus einem ganz eigenen Interesse und mit ganz eigenen Kompetenzen, die beachtet werden wollen. Manche leiden darunter, wenn ihre Kompetenzen nicht gewür- digt, gewünscht oder nachgefragt werden und wenn Konflikte durch Autoritäts- entscheid und nicht durch Aushandeln gelöst werden (Klein 2008). Andere sind froh darüber, wenn sie in der Begegnung mit Hauptberuflichen signalisieren kön- nen: „Das traue ich mir nicht zu, machen Sie das mal.“ Oder: „Ich bin froh, wenn Sie das Konzept verantworten. Ich mache dann gerne mit.“ Angesichts dieser Vielfalt stellt das so genannte Reifegrad-Modell151 von Hersey & Blanchard vier Grundtypen von Verantwortungsrollen zur Verfügung und empfiehlt, das Rollenverhalten situations- und persönlichkeitsorientiert an den Menschen auszurichten: denjenigen, die auf Vorgaben, Anleitung oder Struktu- rierung des Arbeitsfeldes angewiesenen sind („Reifegrad“ 1), aus einer „Lehrer“- Rolle heraus überwiegend mit instruierenden Methoden zu begegnen; denjeni- gen, die an Überzeugung und Verstehen von Abläufen interessiert sind („Reife- grad“ 2), in der Rolle eines Coach (im engeren Sinn); denen, die Partizipation und Ermutigung zu eigener Verantwortungsübernahme wünschen („Reifegrad“ 3), als Moderator und denen, die von sich aus selbststeuernd und initiativ tätig sein können und wollen („Reifegrad“ 4), als interessierter Beobachter. „Autorität, die stets nur eine Form kennt“, so der Kommentar von Karl Berkel zu diesem Modell, „stellt ihren dienenden Charakter selbst in Frage“ Berkel 1998, 128). Und: Autorität sollte den Menschen stets einen höheren Reifegrad unterstellen und – vom ‚Reifegrad 1’ in Richtung auf ‚Reifegrad 4’ hin – entwicklungsorien- tiert vorgehen mit dem Ziel der Entwicklung von Selbstsorgekompetenzen und Selbstorganisation. Ermöglichungspastoral, die den pastoralen Verantwortungsträgern nahe legt, auf die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Menschen mit einer Vielfalt von Ver- antwortungsrollen zu reagieren, empfiehlt damit zugleich, sich zu verabschieden von einem noch immer weit verbreiteten herkömmlichen Verständnis von Lei- 151Der Reifegrad-Begriff erscheint unglücklich gewählt, da er einen elitären Beigeschmack hinter- lässt. Das Modell selbst überzeugt aber durch sein Anliegen der Sensibilisierung von Führungskräf- ten für die Voraussetzungen einer Mitwirkung anderer Menschen. 450 Programm und Methode tung, das den Erfolg z.B. eines bestimmten Projektes „linear“ von oben nach un- ten zu „erzeugen“ und zu steuern versucht, wobei Mitwirkende – mitunter auch nur ganz subtil – „Objekte“ von Steuerungsmaßnahmen sind. Menschen spüren aber, ob Partizipation von oben nach unten gestaltet wird als Ergebnis von „Er- laubnis“. Erlaubnis, dass ein anderer da mitmachen „darf“, wo die Verantwortli- chen ihn brauchen. Und ob im Vordergrund das „Machen“ (die Macht) der Lei- tung und die „Steuerbarkeit“ der „Mit-Arbeiter“ (ein verdächtiges Wort in diesem Kontext) stehen oder das zweckfreie Interesse an den Menschen. Ermöglichungs- pastoral erinnert daran, dass es etwas ganz anderes ist, entwicklungsorientiert eine erbetene Orientierung und „Instruktion“ auf dem Weg zu Selbstorganisation und Selbstsorge zu geben und mit den Menschen nach dem ihnen gemäßen Bei- trag zum Ganzen zu fragen, als vom eigenen Standpunkt aus und unabhängig vom anderen Vorgaben zu machen; dass es etwas ganz anderes ist, an der Funktion der Leute interessiert zu sein und daran, was sie – gewissermaßen als Objekte der Steuerung – zur Bewältigung einer (woher auch immer) vorgegebenen pastoralen Aufgabe einbringen, als an diesen Menschen und daran, was sie bewegt und was sie als Subjekte der Seelsorge bereits in sich tragen: an ihren Ideen und Kompe- tenzen, ihren religiösen Überzeugungen oder Suchbewegungen, ihren Fragen und Ängsten – und so die Chance zu nutzen, miteinander und voneinander zu lernen. Letztlich also einen Vorgang in Gang zu setzen, durch den die ganze Organisation lernt. Und zwar nicht vermittels einer „Organisationsentwicklung“, in der „die Organisation durch einen ‚change agent’ mit nur wenigen Mitgliedern der Orga- nisation entwickelt wird“ (Eckart 2008, 296) und dabei in einem nicht unerhebli- chen Maß den inneren Ausstieg ihrer Mitglieder in Kauf nimmt, sondern als ein „Organisationslernen“, bei dem „die Leute mitgenommen werden“, weil nach- haltige Veränderung voraussetzt, dass – so die Idee hinter dem Begriff des „Or- ganisationslernens“ – „die Mitglieder der Organisation Subjekt und Träger des Prozesses sind“ (Eckart 2008, 294). 2.3. Kenosiskompetenz – sich selbst zurücknehmen Da hauptberufliche pastorale Akteure „Führung“ wahrnehmen, brauchen sie Ori- entierung durch ein Führungskonzept, das Auskunft gibt über gewisse Führungs- grundsätze, die wichtigsten Führungsaufgaben und „Führungswerkzeuge“ für den „richtigen Umgang“ mit den Menschen. Grundsätze, Aufgaben und Werk- zeuge, die erlernbar sind (Malik 2013) – und die zu erlernen es eines kontinuier- lichen Trainings durch entsprechende Angebote systematischer Personalentwick- lung bedarf. Ein Knowhow, das ein „Muss“ ist für jede „Führungskraft“. Seel- sorge erschöpft sich aber nicht in „wirksamer Führung“. Sie hat es mit dem „Un- verfügbarem“ zu tun, das nicht „gemacht“ werden kann, auch nicht mit noch so gut beherrschtem Führungs-Knowhow; zum Glauben kann (nur) eingeladen wer- den, er kann und muss im Alltag miteinander gesucht und: von Gott erbeten wer- den. Immer zentraler werden in der Begleitung des Glaubensweges eines Men- Steinebach – Ermöglichungspastoral: methodische Aspekte 451 schen daher jene Kompetenzen, die für eine lebensweltorientierte Pastoral unab- dingbar sind: die bereits genannten fachlichen Standards der Alltagsnähe, Part- nerschaftlichkeit und Charismenorientierung; Pluralitätskompetenz und Inkarna- tionskompetenz. Weil es auf die Haltung ankommt, liegt in einer Ermöglichungs- pastoral die Latte hoch: es gehört zur ermöglichungspastoralen Haltung, um das Experiment in allem Handeln zu wissen, das Wagnis, zu dem – insofern es sich um Seelsorge handelt – immer sofort hinzugefügt werden muss: ohne den Hl. Geist ist hier keine „Rechnung zu machen“! Man kann mit seinen methodischen Entscheidungen und „Arrangements“ auch „daneben“ liegen, einen „schlechten Tag“ haben, nicht auf die erhoffte Resonanz stoßen. Ohne das Vertrauen in das Wirken Gottes „geht da gar nichts“. Ermöglichungspastorales Handeln ist inso- fern immer auch geistlich motiviertes Tun, das die eigene Persönlichkeitsent- wicklung herausfordert und den eigenen Glaubensweg anfragt – im Gelingen und im Scheitern: Seelsorge als „Sorge um die Seele Mensch“ (Doris Nauer) – die eigene wie die des Gegenübers. Mal geht eine Saat auf und es beginnt etwas zu wachsen, ohne dass man weiß wie (vgl. Mk 4,27), mal endet das eigene wohlge- meinte Arrangement an der freien Entscheidung des Anderen. So oder so: gefragt ist die Ehrfurcht vor der Berufung des anderen und die Überzeugung, dass Gott an ihm bereits gehandelt hat, längst bevor man ihm begegnet. Wenn, dann ist gegenseitige Bereicherung angesagt: Was hast Du, was ich nicht habe? Was kann ich dir geben, das du nicht hast? Was kannst du besser als ich? Wo trete ich zu- rück, weil du da bist? Was Verantwortungsträger dazu aus ihrer Beziehung zu Jesus Christus und von ihm lernen können, ist Selbstentäußerung im Sinne eines Sich-Zurückneh- mens, einer inneren Distanz zur eigenen Macht (die sie haben) – bis in für sie unvorteilhafte Situationen hinein (Phil 2,6-7c): Kenosiskompetenz (Steinebach 2012). Diese Erkenntnis fragt ihre Haltung als Seelsorger und Seelsorgerinnen sowie ihre professionellen Herangehensweisen an Planung, Organisation und Ge- staltung der pastoralen Beziehung radikal an – und verunsichert. Daher ist dieser Schritt – was ich hier noch einmal wiederholen möchte – „schwieriger als man denkt, geht es doch darum, genau das Gegenteil dessen, was bislang die Rolle von Lehrenden – und wohl auch ihre Berufswahl – innerpsychisch (mit)moti- vierte, zu entwickeln: Nicht mehr Kontrolle und Steuerung von Einzelnen und Gruppen, sondern Loslassen und Sich-steuern-lassen.“ (Arnold 2010, 24)152 Dies sind die „innerlichen Voraussetzungen“ ermöglichungspastoraler Professionali- tät. Viele beruflich tätige Seelsorgerinnen und Seelsorger stehen dazu vor dem schmerzlichen Prozess, Abschied nehmen zu müssen von der Sorge um die ei- gene Kompetenzdomäne und zuzulassen, dass andere die Dinge spontan anders machen und manches sogar besser können als sie. Schwierig ist dies insbesondere dann, wenn das Ergebnis so ganz anders aussieht, als man es sich als „Profi“ 152 Arnold fährt fort: „Zugespitzt formuliert: es geht um den Wechsel vom „pädagogischen Nar- zissmus zur pädagogischen Gelassenheit.“ (Arnold 2010, 24). 452 Programm und Methode vorgestellt hatte. Dabei ist der Erfolg und auch das Scheitern des anderen nicht „kalkulierbar“; beides ist vom „Profi- Seelsorger“ – auch emotional – professio- nell auszuhalten und als Beitrag zum katholischen Ganzen zu orten. Daher fällt es alles andere als leicht zu lernen, dass es nicht die eigene Kompetenzdomäne ist, die die Professionalität des Seelsorgers und der Seelsorgerin heute ausmacht, sondern dieses Aushalten der Andersartigkeit der Menschen, ihrer Erfolge und Misserfolge, das Begleiten ihrer Experimente und das Freigeben ihrer Durchkreu- zungen der eigenen Vorstellungen von dem, wie „ich es gemacht hätte“ – das auch schon mal weh tut. Das meint die Aufgabe kompetenter Leitung als „Mo- deration der Selbstorganisation“ der anderen – nach der Art Jesu. Wer sich für den Umgang mit seiner Macht an Jesus Christus orientiert, der vertraut auch dann noch dem Wirken seines Geistes, wenn dieser vollenden muss, was gescheitert ist. Nur im Maß-Nehmen an Jesus Christus und im gläubigen Festhalten an ihm kann das Interesse an der eigenen Kompetenzdomäne und an der eigenen (recht- mäßigen) Macht verblassen und das Sich-Zurücknehmen dominieren mit einem Reichtum an Phantasie, „einander den Vorrang zu geben“ (Phil 2,3) (Baumert 2012,117), an Vertrauen in die Berufung jedes Menschen und an Ehrfurcht vor seiner Autonomie. Professionelle Gelassenheit und Bescheidenheit sind gefragt. Eine Gelassen- heit, die in der Überwindung der eigenen Angst vor der grundsätzlichen Offen- heit, Unsicherheit, Unplanbarkeit und Unkontrollierbarkeit der pastoralen Bezie- hungen wurzelt (Arnold 2010)153 und eine Bescheidenheit, die aus dem Wissen um die Unvorhersagbarkeit des Erfolgs pastoraler Bemühungen erwächst. Das kann ihm den Weg zu innerem Frieden ebnen inmitten einer Situation, die ange- sichts abnehmender Kollegenzahlen und in den territorial größer werdenden seel- sorglichen Räumen zur Dauerüberforderung prädestiniert ist. 3. Notwendige Verständigungen für eine entwicklungsorientierte Ermögli- chungspastoral Zugegeben: Ein Vorgehen im Modus entwicklungsorientierter Ermöglichungs- pastoral ist unter den pastoralen Akteuren bisher nicht weit verbreitet. Die Gründe dafür sind sicher vielfältig. Vielleicht liegt ein Grund bereits im Begriff. Denn auch eine Pastoral, die sich der „Ermöglichung“ widmet, kann paternalistisch 153Der Veränderungsprozess muss die emotionalen Tiefenschichten erreichen, in denen die kogni- tiven Weisen der Welterkenntnis fest verankert sind, weshalb es Angst auslöst, sich komplexen Systemen zu stellen und sich von ihnen in Frage stellen zu lassen. „Dabei kann dann deutlich wer- den, dass lineare Erklärungs- und Planungsmodelle ‚angstreduzierend‘ wirken, weil sie die Kom- plexität scheinbar kontrollierbar machen. Systemisches Beobachten und Handeln erscheint demge- genüber angstauslösend, weil sie die Illusion der Machbarkeit und Beherrschbarkeit durch Erken- nen infrage stellen.“ (Arnold 2010, 22). Steinebach – Ermöglichungspastoral: methodische Aspekte 453 missverstanden werden. Der Begriff transportiert mit der Vorsilbe „er-“ die As- soziation eines zielgerichteten, wirkmächtigen Handelns und rückt das Konzept damit unbeabsichtigt in die Nähe einer „er-zeugenden“ oder „er-laubenden“ „Mitmachpastoral“. Es braucht – wie so oft so auch hier – die „Anstrengung des Begriffs“ für das Verständnis dieses neuen Paradigmas auf der Basis aller seiner Grundlagen: theologisch, religionspädagogisch und systemisch-konstruktivis- tisch. Für die aktive Beherzigung des Konzeptes, das sich hinter dem begrifflichen „Deckmantel“ aber versteckt, braucht es das schon erwähnte Training und eine gewisse Lust auf das Wagnis freilassender seelsorglicher Beziehungen, das Ver- trauen voraussetzt. Zudem braucht es m.E. aber auch noch etwas anderes: Verständigung auf allen Ebenen der kirchlichen Institution über die kirchliche Zukunftsgestalt und über ihren impliziten Auftrag an die pastoralen Akteure, den anzunehmen das neue Paradigma der Ermöglichungspastoral dienlich sein könnte. Gemeint ist die „Be- gleitung, Unterstützung und Vernetzung selbstorganisierter Gemeinden“. Jene pastoraltheologisch-pastoralpraktisch favorisierte Zukunftsgestalt und -aufgabe von Kirche also, in der es auf den ersten Blick um die Menschen „vor Ort“ geht, bei näherem Hinsehen aber auch um jene, die sich ihrer annehmen sollen: die hauptberuflichen Seelsorgerinnen und Seelsorger – vor allem in den pastoralen Räumen. Soll sich das pastorale Personal diese vielzitierte Zielsetzung zu eigen ma- chen, selbstorganisierte Gemeinden zu begleiten, zu unterstützen und zu vernet- zen, dann kann sie nicht einfach „von irgendwoher“ angetragen werden, als sei damit „alles klar“, dann braucht es Verständigungen über die „Bausteine“ dieser Zukunftsgestalt und es braucht Entscheidungen des „Dienstgebers“ in der kirch- lichen Institution, inwiefern sie für die pastoralen Akteure explizit zum Auftrag wird. Denn aufgrund ihrer institutionellen Eingebundenheit sind pastorale Ver- antwortungsträger auf rechtliche Vergewisserungen angewiesen: sollen sie wirk- lich so mancher (auch institutionellen) „Aufbruchsrhetorik“ folgen und im aktu- ellen soziokulturellen, (kirchen-)politischen, wirtschaftlichen und demographi- schen Kontext zusammen mit den Menschen vor Ort kirchlich Ungewohntes wa- gen? Die Unsicherheit ist groß und nüchtern betrachtet muss man sagen: nicht wenige scheinen sich auch auf ihr auszuruhen. Der Weg der Kirche in die Zukunft kann aber nicht der Innovationsfreude und Anstrengung einiger hauptberuflicher Seelsorger und Seelsorgerinnen und dem Engagement der Menschen aus Taufe und Firmung überlassen werden. Und „Kompetenzvermittlung an die Hauptamt- lichen“ kann kein „Ersatz für die fehlende Innovationsfähigkeit des kirchlichen Systems“ (Bucher 2009, 26)154 sein. Die Grundzüge einer Kirche im Werden sind 154Das weite Feld der Liturgie birgt hier immer wieder besondere „Gefahren“, und es erscheint nichts mehr als einfach nur fair, auf dem Weg der Kirche in die Zukunft die pastoralen Akteure und die ehrenamtlich Engagierten immer wieder über den ihnen jeweils aktuell offen stehenden Korri- dor liturgischen Wirkens aufzuklären. 454 Programm und Methode nur in gemeinsamer Anstrengung zu finden. Es fehlt aber noch immer eine deut- liche Richtungsbestätigung, „wo es hingehen soll“. Es braucht noch immer eine systeminterne Verständigung über den Begriff der „Selbstorganisation“ und über seine Tragweite im kirchlichen Kontext. Es braucht eine Verständigung darüber, welche Formen von Zusammenkünften zukünftig als „Gemeinde“ betrachtet und „anerkannt“ werden, und wie die Lebenswelten der Menschen von heute darin die Ausdrucksformen von Verkündigung, Diakonie und Liturgie prägen dürfen, können und sollen. Und schließlich steht noch eine Verständigung über die Rolle(n) der pastoralen Akteure in der Gestaltung ihrer Beziehungen zu den Men- schen aus, die Konsequenzen haben muss für ihre Personalentwicklung. 3.1. „Selbstorganisiert“ Die höchste von Pastoralteams zu überwindende Hürde scheint derzeit ihre „Ver- antwortung für den Erhalt des Betriebs“ zu sein. Die Sorge sitzt tief, ob man nicht „am Laufen halten“ müsse, was sich über die vergangenen Jahrzehnte eingespielt und bewährt hat. Der Druck traditionsorientierter „Kerngemeinden“ und mancher Engagierter in den „Gremien der Mitverantwortung“ ist bisweilen so groß, dass selbst aufbruchsbereite Pastoralteams vor Innovationen zurückschrecken oder gar keine Zeit dafür zu haben glauben. Nicht selten ist es aber auch das Beharren Hauptberuflicher auf den einmal erarbeiteten Konzepten – die sie mit mehr oder weniger großen Abwandlungen „jedes Jahr wieder aus der Schublade ziehen“ –, das in den größer werdenden pastoralen Räumen ihre Kräfte aufsaugt und Neues höchstens additiv in den Blick kommen lässt – bis an die Grenze der Erschöpfung. Dabei ist vielen durchaus bekannt, dass mit der Aufmerksamkeit auf die Kompe- tenzen der Menschen viel grundsätzlicher die einzelnen, originellen Personen auch außerhalb der „Kerngemeinden“ im Mittelpunkt des Interesses der Verant- wortlichen stehen sollten mit ihrer „Disposition zur Selbstorganisation“. „Selbst- organisation“ ist aber definiert als „das Phänomen, dass bestimmte geschlossene Systeme nach einer gewissen Zeit stabile Formen des Verhaltens entwickeln“ (Foerster 2003, 92) und zwar ohne Vorgaben von außen. Ein Vorgang also, bei dem Strukturen, Inhalte und Methoden nicht von außen vorgegeben, sondern durch das System selbst erzeugt werden und zielgerichtet eine (neue) Ordnung hervorrufen. Worauf aber müssen verantwortliche Seelsorger und Seelsorgerinnen achten, wenn sie das gewohnte kirchliche System „frei geben“ und dem „Bruch“, dem „Neuen“ nachgehen, der „in einem wirklichen Desinteresse am Erhalt der Insti- tution“ (Donegani 2012, 69) liegt? Wohlgemerkt: dem Erhalt dieser uns gewohn- ten Institution – um einer noch unbekannten Kirche im Werden willen. Gewisser- maßen also – in umgekehrt sprichwörtlichem Sinne – der „Taube auf dem Dach“ mehr trauen als dem „Spatz in der Hand“? An erster Stelle bedarf es dazu eines unermüdlichen Dialogs auf und zwischen allen Ebenen der kirchlichen Hierarchie. Geht es doch um die Vergewisserung, Steinebach – Ermöglichungspastoral: methodische Aspekte 455 dass und wie das Zulassen, Unterstützen, Moderieren und Vernetzen der Selbst- organisation der Menschen auf dem Weg ihres Christ-Werdens, Christ-Seins und Christ-Bleibens katholisch bleibt – auch wenn ihre Selbstorganisation in noch unbekannte Sozial- und Praxisformen führt. Die Tugend der „Unterscheidung der Geister“ wird hier eine große Rolle spie- len: was ist vom Geist Gottes gewirkte Eingebung und was (eher) nicht? Welche Ideen, Anregungen, Anfragen und kritischen Einwände unterstützen die gemein- samen Suchbewegungen auf christliches Kirchen-Neuland hin und welche sind entschieden zurückzuweisen, weil sie „über das Ziel hinausschießen“ – ins „ka- tholische Abseits“. Ein hoher Anspruch, dem gerecht zu werden es eines langen mentalen und ganz praktischen Trainings bedarf, zunehmender Berufserfahrung und Menschenkenntnis, ein gehöriges Maß an Intuition, Beharrlichkeit, Experi- mentierfreude und Fehlerfreundlichkeit, immer wieder einer Entscheidung – und vor allem eines unerschütterlichen Glaubens. 3.2. „Gemeinden“ Ein Großteil der Menschen, auch der getauften Katholiken, hat sich in den ver- gangenen Jahren von der Kirche äußerlich oder innerlich verabschiedet. Ihre Le- benswelten und die Lebenswelt katholischer „Kerngemeinden“ haben nur noch wenig miteinander gemein. Kirche hat aber sehr wohl auch heute Zukunft und Chancen, bei den Menschen an- und vorzukommen, wo sich das Leben der Men- schen in ihr ereignet, und wo die Lebenswelten der Menschen in ihr vorkommen (Steinebach 2011). Um dies zu gewährleisten, könnten sich Seelsorgerinnen und Seelsorger – wie wir oben sahen – wertschätzend den Lebenswirklichkeiten der Menschen und ihren Deutungsmustern zuwenden und sich dafür interessieren, Gemeinden als „kleine vitale Zellen“ an neuen pastoralen Orten aufzubauen, in denen die Alltagstauglichkeit des Glaubens spürbar wird. Eine Aufgabe, die einerseits noch viel stärker als bisher das eigene und das Vertrauen der Institution in Gott und seine dann zur Entfaltung kommenden Ga- ben in den oft so fremden Typen und Talenten außerhalb des Gewohnten einfor- dern würde. Und umgekehrt aber auch die wohl überlegte – auf dem Weg ins Neuland vor allem nicht voreilige – Entschiedenheit voraussetzen müsste zurück- zuweisen, was nicht vom Geist Gottes gewirkt und als Gestalt einer christlichen Gemeinde nicht in Frage kommt bzw. „aus der Gemeinde auszuschließen“ ist (vgl. Mt 18,15-20). Pastoralteams brauchen Rückendeckung, wenn sie den Auf- bau selbstorganisierter Gemeinden für ganz unterschiedliche Lebenswirklichkei- ten experimentierfreudig unterstützen und dafür Altbewährtes z.B. in die Selbst- sorge derer übertragen, die daran festhalten wollen. 456 Programm und Methode 3.3. „Begleitung, Unterstützung und Vernetzung“ Der Auftrag, „selbstorganisierte Gemeinden zu begleiten, zu unterstützen und zu vernetzen“, wendet sich – wie gesagt -, ohne das Subjekt zu nennen, stillschwei- gend an jene Personen, die die Verantwortung für sie übernehmen. Die deutsche katholische Kirche hat dafür noch immer einen recht großen Stab an Hauptberuf- lichen. Während die absoluten Zahlen unter den Priestern stetig zurückgehen, wachsen die Berufsgruppen der ständigen und hauptamtlichen Diakone sowie der Pastoral- und Gemeindereferent/inn/en (DBK 2013). Darin liegt eine große Chance, die es zu nutzen gilt. Menschen leben ihr Christsein nicht vorausset- zungslos, der Glaube kommt auch heute „vom Hören“. Jemand muss Unterstüt- zung und Präsenz für Dialog, Partizipation und Kooperation, für Rückfragen und „Organisatorisches“ anbieten. Jemand muss dafür Sorge tragen, dass Schritte auf eine so visionäre Sozialstruktur hin wie die des „Netzwerks selbstorganisierter Gemeinden“ gegangen werden, dass auch die vorhandenen sozialen, kommuna- len, politischen Strukturen in den Blick kommen, Experimente gewagt und ein nützliches, lebensförderliches Geflecht sozialer Beziehungen mit ihnen entsteht. Jemand muss einen Blick dafür haben, wer von wem und mit wem profitieren könnte. Jemand muss die Selbststeuerung der kleinen Gemeinschaften und Ge- meinden fördern und sie gleichzeitig „auf eine gemeinsame symbolische Identität des ganzen Netzwerkes“ hin ausrichten (Sellmann 2010, 23). Jemand muss mit dafür einstehen, dass den selbstorganisierten Gemeinden die lebensförderliche Bindung an die Wirkkraft des Geistes Gottes immer wieder neu angeboten wird und gelingt. Das Wirken verantwortlicher Seelsorger und Seelsorgerinnen im Modus einer entwicklungsorientierten Ermöglichungspastoral könnte dann in der Praxis in ganz ähnlicher Weise folgenreich sein, wie es der Umgangsstil Jesu von Nazareth mit den Menschen war. Der Wandel der inneren Einstellung könnte seine Wir- kung haben und seine Spuren hinterlassen. Bei den anderen und auch bei den pastoralen Akteuren selbst: er könnte das Bewusstsein und das Erleben stärken von der (Selbst-)Wirksamkeit im gemeinsamen Dienst an einer Kirche im Wer- den – in einer Institution, die sich als eine lernende versteht. Literatur Arnold, R., Systematische Grundlagen einer Ermöglichungsdidaktik, in: R. Arnold, I. Schüßler (Hrsg.), Ermöglichungsdidaktik, Erwachsenenpädagogi- sche Grundlagen und Erfahrungen, Baltmannsweiler 22010, 14-36. 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