Strafrecht AT HWS 2023 PDF
Document Details
Uploaded by TimeHonoredKelpie
Universität Mannheim
2023
Dr. Georgia Stefanopoulou
Tags
Summary
This document provides lecture notes on causality in criminal law, specifically for the Winter Semester 2023 at the University of Mannheim. The document details various concepts and theories regarding causality in criminal law.
Full Transcript
Dr. Georgia Stefanopoulou Strafrecht AT HWS 2023 Aufbauschema zum vollendeten vorsätzlichen Erfolgsdelikt I. Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand a. Vorliegen einer Handlung, Verwirklichung der obj. Tatbestandsmerkmale (einschl. des Erfolges) b. Kausalität: Verbindung zwischen Handlung u...
Dr. Georgia Stefanopoulou Strafrecht AT HWS 2023 Aufbauschema zum vollendeten vorsätzlichen Erfolgsdelikt I. Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand a. Vorliegen einer Handlung, Verwirklichung der obj. Tatbestandsmerkmale (einschl. des Erfolges) b. Kausalität: Verbindung zwischen Handlung und Erfolg c. Objektive Zurechnung: (Wertende Einschränkung der Kausalität) 2. Subjektiver Tatbestand II. Rechtswidrigkeit III. Schuld Kausalität • Wenn ein konkreter Erfolgseintritt zur Erfüllung eines obj. Tatbestandes verlangt wird, muss dieser auch immer durch die Tathandlung verursacht worden sein. • Die Täterhandlung muss für den Erfolg ursächlich (kausal) sein • Es handelt sich um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal • Es gibt mehrere Kausalitätstheorien zur Bestimmung der Verbindungsart, die wichtigste ist die Äquivalenz- oder Bedingungstheorie Äquivalenztheorie: Ursächlich ist jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (sog. conditio-sine-qua-non Formel). Handlungsanweisung: Denk dir die Handlung weg! Entfällt dann auch der Erfolg? Wenn Ja, war die Handlung kausal für den Erfolg. Beispiele zur Diskussion T ist mit dem Auto unterwegs. Nach einigen Stunden Fahrt ist er völlig übermüdet, glaubt aber, dass die Müdigkeit ihn schon nicht übermannen wird. Von jetzt auf gleich schläft er ein, verreißt das Lenkrad und überfährt O tödlich. Strafbarkeit des T gemäß § 212 I? § 212 Totschlag (1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen. Kausalitätstheorien Kritik gegen die Äquivalenztheorie: Uferlosigkeit Darauf reagiert die Lehre der objektiven Zurechnung, es wird gefragt, ob der Erfolg tatsächlich als Werk des Täters zu bewerten ist Weitere Kausalitätstheorien zur Einschränkung der Weite der Kausalität: Adäquanztheorie, Relevanztheorie und Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung: Verlangen eines naturgesetzlichen Zusammenhangs zwischen Handlung und Erfolg Kritik: Psychische Kausalität wird nicht erklärt Problemkonstellationen Hypothetische Ersatz- und Reserveursachen Überholende Kausalität Fortwirkende Kausalität Alternative Kausalität Kumulative Kausalität Kausalität bei Gremienentscheidungen Hypothetische Kausalität Beispiel: Altenpflegerin A reicht dem B zum Nachmittagskuchen einen vergifteten Kamillentee. B stirbt an dem Tee. Jedoch wäre B zum selben Zeitpunkt an einem unheilbaren Gehirntumor gestorben. Hypothetische Kausalität • Problem: Der Erfolg wäre auch ohne die Täterhandlung eingetreten Bei Hinwegdenken der Handlung der A würde der Erfolg als solcher nicht entfallen. • Entscheidend ist aber der konkrete Erfolg. • Hypothetische Reserveursachen werden nicht berücksichtigt! (Beachte aber die Konstellation des Abbruchs rettender Kausalverläufe, nicht mit den Fällen der hypothetischer Kausalität zu verwechseln) Überholende Kausalität Beispiel: A verabreicht O ein Gift. Bevor O stirbt, wird er von B erschossen. Überholende Kausalität • Die von A gesetzte Bedingung (Vergiftung) wirkt nicht bis zum Erfolg (Tod von O) fort. • Der konkrete Erfolg (Tod durch Vergiftung) ist nicht mit dem gesetzten Erfolg (Tod durch Messerstich) identisch. • Handlungsanweisung: Denk dir die Vergiftung hinweg, wäre O dennoch durch den Messerstich gestorben? • Kausalität (-) Unterbrechung des ersten • Keine Strafbarkeit von A wegen Vollendung! Kausalzusammenhangs Beispiel: Der Angeklagte A schoß dem G in die Brust. G wird zu anderen Toten gelegt. G lag da noch lebend und röchelte. S „gab ihm, darauf den Gnadenschuß“, BGH MDR/D 1956, 526 (Gnadenschuss) Fortwirkende Kausalität • Der später handelnder Dritte knüpft an die Ersthandlung an • Keine Unterbrechung des kausalen Zusammenhangs, die erste Handlung wirkt fort • Ersthandlung kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass das Eingreifen des Dritten wegfällt • Ohne die erste Handlung hätte S nicht gehandelt Alternative Kausalität Beispiel: A und B geben unabhängig von einander eine jeweils tödliche Dosis des gleichen Gifts. Alternative Kausalität • Problem: Im Fall kann sowohl die Handlung des A als auch die Handlung des B hinweg gedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele, denn jeweils das Gift des anderen würde den Erfolg verursachen. • Um die Fälle von Mehrfachkausalität zu behandeln, wird die Conditio-sine-qua-non-Formel modifiziert: „Von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, ist jede erfolgsursächlich.“ Kumulative Kausalität Beispiel: A und B geben unabhängig voneinander jeweils nicht für sich, aber im Zusammenwirken tödliche Giftdosen in den Tee des O. O trinkt und stirbt. Kumulative Kausalität • Die Kausalität nach der Conditio-sine-qua-non-Formel liegt problemlos vor. Keine der beiden Verabreichungen kann hinweggedacht werden kann, ohne dass A nicht gestorben wäre. • Zurechnungsausschluss erfolgt erst aus dem Gedanken, dass der Erfolg nicht allein Werk einer Person ist. Wiederholung: Fall zur Diskussion F schlug mit einer schweren Bratpfanne ihrem Stiefvater mit voller Wucht auf den Hinterkopf. Dieser fiel schon nach dem ersten Schlag zu Boden. Während F fortlief, um die Polizei anzurufen, schlug Frau M (die Mutter von F) einmal mit der Bratpfanne auf ihren Mann ein. Danach starb M. Ob das Verhalten von M den Tod des Opfers beschleunigt hat, lässt sich nicht klären. (Vgl. BGH NJW 1966, 1823, Bratpfannen-Fall) Kausalitätsprobleme in der Produkthaftung und bei Mehrheitsbeschlüssen in Gremien, Fall zur Diskussion Die Angeklagten waren Geschäftsführer einer GmbH, die Schuh-und Lederpflegeartikel herstellte. Nachdem Meldungen eingegangen waren, dass nach dem Gebrauch eines der Ledersprays der Firma schwere Gesundheitsschäden auftraten, ordnete die Geschäftsleitung Untersuchungen, um mögliche Fabrikationsfehler herauszufinden. Die einbezogenen Sachverständigen konnten aber nicht herausfinden, welche Wirkstoffe verantwortlich für die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Kunden waren. Da die Untersuchungen ergebnislos blieben, beschlossen die Geschäftsführer in einer Mehrheitsentscheidung (Mehrheit von mehr als einer Stimme) keinen Rückruf des Produkts einzuleiten. In der Folgezeit kam es zu weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen nach der Verwendung des Produkts. Strafbarkeit der Gremiumsmitglieder? (vgl. Lederspray-Fall) Kausalitätsprobleme in der strafrechtlichen Produkthaftung und bei Mehrheitsbeschlüssen in Gremien • Erstes Problem: Anforderungen an die Feststellung von Kausalität zwischen chemischen Substanzen und Gesundheitsschäden BGH-Lösung: „Der Ursachenzusammenhang zwischen der Beschaffenheit eines Produkts und den Gesundheitsbeeinträchtigungen seiner Verbraucher ist auch dann rechtsfehlerfrei festgestellt, wenn offenbleibt, welche Substanz den Schaden ausgelöst hat, aber andere in Betracht kommende Schadensursachen auszuschließen sind.“ • Zweites Problem: Begründung des Ursachenzusammenhangs bei Gremienbeschlüssen: Auch ohne das Votum eines Mitglieds wäre eine Mehrheitsentscheidung getroffen worden BGH-Lösung: Wechselseitige Zurechnung über die Regeln der Mittäterschaft, § 25 II StGB Weitere Lösung: Kombination von alternativer und kumulativer Kausalität • Drittes Problem: Hypothetische Kausalität, Keine Gewissheit Modifikation der Kausalitätsformel. Man fragt, ob durch die Vornahme der gebotenen Handlung (hier Rückrufbeschluss) der tatbestandlichen Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre. Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit!