Sozialpsychologie: Selbst, Persönlichkeit und soziale Motive Lehrbrief PDF
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PFH Private Hochschule Göttingen
Prof. Dr. Hans-Werner Bierhoff, Prof. Dr. Dieter Frey, Susanne Braun, Immo Fritsche, Eva Jonas, Lars-Eric Petersen, Claudia Peus, Eva Traut-Mattausch, Jenny S. Wesche, Prof. Dr. Olivia Spiegler
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This document is a textbook on social psychology, focusing on the self, personality, and social motives. It covers topics such as self-concept, self-esteem, social comparison, self-presentation, and various theories in social psychology. The textbook is geared towards an undergraduate level.
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Lehrbrief Sozialpsychologie Selbst, Persönlichkeit und soziale Motive B10152 Lehrbrief Sozialpsychologie Selbst, Persönlichkeit und soziale Motive B10152 Autoren: Prof. Dr. Hans-Werner Bierhoff Prof. Dr. Dieter Frey unter Mitarbeit von Susanne Braun, Immo Fritsche, Eva Jonas, Lars-Eric Petersen, Cla...
Lehrbrief Sozialpsychologie Selbst, Persönlichkeit und soziale Motive B10152 Lehrbrief Sozialpsychologie Selbst, Persönlichkeit und soziale Motive B10152 Autoren: Prof. Dr. Hans-Werner Bierhoff Prof. Dr. Dieter Frey unter Mitarbeit von Susanne Braun, Immo Fritsche, Eva Jonas, Lars-Eric Petersen, Claudia Peus, Eva Traut-Mattausch und Jenny S. Wesche Modulverantwortung: Prof. Dr. Olivia Spiegler Herausgeber: PFH Private Hochschule Göttingen Weender Landstraße 3-7 37073 Göttingen Tel.: +49 (0)551 54700-0 Verlag: © 2022 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG Göttingen Bern Wien Oxford Boston Paris Amsterdam Prag Florenz Kopenhagen Stockholm Helsinki São Paulo Merkelstraße 3, 37085 Göttingen Impressum: www.pfh.de/ueber-uns/impressum Datenschutz: www.pfh.de/ueber-uns/datenschutz Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Coverbild: https://stock.adobe.com Sonderausgabe: Der Lehrbrief basiert auf den Kapiteln 4, 5, 12 und 15 des Bandes „Enzyklopädie der Psychologie, Serie Sozialpsychologie, Band 3 Kommunikation, Interaktion und soziale Gruppenprozesse“ von Hans-Werner Bierhoff, Dieter Frey. ISBN: 978-3-8017-0565-7, 2. Auflage, Göttingen 2022 | PFH.FLB.840.2311 5 Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis 8 Tabellenverzeichnis 9 Einleitung 11 Einordnung des Lehrbriefes im Rahmen des Fernstudiums 11 Aufbau und Konzeption dieses Lehrbriefes 12 Lernziele dieses Lehrbriefes 12 Kapitel 1 Selbst 13 1.1 Quellen des Selbstkonzepts und des Selbstwertgefühls 14 1.1.1 Selbstwahrnehmung und selbstbezogene Attributionsprozesse 15 1.1.2 Soziale Rückmeldungen und Auswahl neuer Informationen 17 1.1.3 Sozialer Vergleich 18 1.1.4 Fazit zu den Quellen selbstbezogenen Wissens 19 1.2 Selbstaufmerksamkeit 20 1.3 Selbstdarstellung 21 1.3.1 Positive und negative Selbstdarstellung 22 1.3.2 Taxonomie verschiedener Selbstdarstellungsformen 23 1.4 Wirksamkeit und Regulation des Selbst 24 1.4.1 Selbstwirksamkeit 24 1.4.2 Selbstdiskrepanztheorie und regulatorischer Fokus 26 1.4.3 Stärke der Selbstregulation 27 Reflexionsaufgaben 28 Kapitel 2 Die problematische Persönlichkeit – Autoritarismus, Narzissmus und Soziale Dominanzorientierung 29 2.1 Autoritarismus 30 2.1.1 Kernmerkmale des Autoritarismus 30 2.1.2 Autoritäre Persönlichkeit 31 2.1.3 Wie wird Autoritarismus erworben? 32 2.2 Autoritätsgehorsam 33 2.2.1 Nachweis des Autoritätsgehorsams: Die Milgram-Experimente 33 Ursachen des Autoritätsgehorsams: Warum quälen Menschen ihre Mitmenschen? 35 Das Beispiel des administrativen Gehorsams 36 2.2.2 2.2.3 6 2.2.4 Autoritätsgehorsam im 21. Jahrhundert: Geschwächt oder immer noch stark? 36 2.2.5 Genetische Determiniertheit des Autoritätsgehorsams 38 2.3 Narzissmus: Wenn es sehr persönlich wird 39 2.3.1 Narzissmus in der Psychoanalyse 39 2.3.2 Narzissten sind sozial unverträglich 41 2.3.3 Gesunder und ungesunder Narzissmus 42 2.4 Soziale Dominanzorientierung 43 2.4.1 Durch welche Merkmale ist Soziale Dominanzorientierung gekennzeichnet? 43 Gegenmaßnahmen bei Bedrohung der eigenen Dominanzerwartung 44 Reflexionsaufgaben 46 2.4.2 Kapitel 3 Konsistenztheorien 47 3.1 Grundannahmen der Dissonanztheorie 49 3.2 Dissonanzreduktion 50 3.2.1 Situationen, in denen Dissonanz und deren Reduktion häufig auftreten 50 Bedingungen, unter denen eine Dissonanzreduktion häufig nicht nachweisbar ist 56 3.3 Anwendungsgebiete 58 3.4 Die Theorie der kognitiven Balance 60 3.5 Kongruitätstheorie (Osgood und Tannenbaum) und affektiv-kognitive Konsistenztheorie (Rosenberg) 63 Reflexionsaufgaben 66 3.2.2 Kapitel 4 Das Streben nach Kontrolle: Menschen zwischen Freiheit und Hilflosigkeit 67 4.1 Kontrolle und Kontrollmotivation 69 4.1.1 Kontrolle 69 4.1.2 Kontrollmotivation 71 4.1.3 Wege zur Kontrolle 74 4.2 Konsequenzen von Kontrolle und Kontrollverlust 76 4.2.1 Auswirkungen primärer Kontrolle 76 4.2.2 Kontrolle und der Umgang mit Stress und Bedrohung 77 4.2.3 Folgen von Kontrollverlust 80 4.2.4 Reaktanz und Hilflosigkeit 81 7 4.3 Kontrolle als soziales Phänomen 83 4.3.1 Kontrolle als Folge sozialer Prozesse 84 4.3.2 Die Auswirkungen von Kontrolle auf soziale Prozesse 85 4.3.3 Kollektive Kontrolle 86 Reflexionsaufgaben 88 Kapitel 5 Interpersonale Attraktion 5.1 89 Positive Bewertung persönlicher Eigenschaften: Der Effekt des „Gemocht-werdens“ 91 5.2 Ähnlichkeit oder Gegensätzlichkeit? 91 5.2.1 Verstärkungs-Affekt-Modell der Attraktion 91 5.2.2 Ähnlichkeit in Persönlichkeitsmerkmalen 93 5.2.3 Gegenseitigkeit des Mögens 95 5.2.4 Rolle der Information und kognitive Schlussfolgerungen 96 5.3 Balancetheorie: Harmonische Systeme fördern die interpersonale Harmonie 97 5.4 Nähe und Häufigkeit des Zusammentreffens 99 5.4.1 Untersuchung zum Einfluss der räumlichen Nähe 99 5.4.2 Mere exposure-Phänomen 100 5.4.3 Mere exposure in Gruppen 100 5.5 Perfektion und Attraktion: Komplexe Zusammenhänge 101 5.6 Aktual-Selbst und Ideal-Selbst 102 5.6.1 Übereinstimmung mit dem Ideal-Selbst steigert interpersonale Attraktion 102 Selbstwertbedrohung durch außergewöhnliche Personen? 103 Reflexionsaufgaben 105 5.6.2 Kapitel 6 Physische Attraktivität 107 6.1 Stereotyp der Schönheit 109 6.1.1 Physische Attraktivität, soziale Kompetenz und Persönlichkeit 110 6.1.2 Sich-selbst-erfüllende Prophezeiung 110 6.1.3 Erklärung durch Evolutionspsychologie 111 6.2 Gesichtsattraktivität 112 6.2.1 Soziale Eindrucksbildung 114 6.2.2 Symmetrie des Gesichts 115 6.3 Figurattraktivität 116 6.4 Auswirkungen der physischen Attraktivität 118 8 6.4.1 Beruflicher Erfolg 118 6.4.2 Romantische Partnerschaften 120 Reflexionsaufgaben 122 Ausblick 123 Anhang 123 Literatur 124 Glossar 135 Lösungshinweise zu den Reflexionsaufgaben 145 Ergänzende Übungsaufgaben 149 Lösungshinweise zu den ergänzenden Übungsaufgaben 149 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Versuchsanordnung der Standardbedingung des Gehorsamkeitsexperiments 34 Durchschnittliche Anzahl entnommener Lose als Funktion der SDO und der Belohnungshöhe hohe Belohnung niedrige Belohnung 44 Durchschnittliche Extra-Anstrengung als Funktion der SDO und der Chance zu gewinnen Benachteiligung gleiche Chancen Bevorzugung 45 Abbildung 4: Struktur mit positiven Beziehungen zwischen Wahrnehmer p und einer anderen Person o und zwischen Wahrnehmer p und einer Entität x. 61 Abbildung 5: Balancierte und unbalancierte Strukturen nach der Theorie der kognitiven Balance. p = Wahrnehmer (Selbst), o = andere Person, x = Entität (Einstellungsobjekt) 62 Abbildung 6: Determinanten wahrgenommener Kontrolle 75 Abbildung 7: Integrative Darstellung von Prozessen der Stressbewältigung in Anlehnung an Lazarus und Folkman (1987) sowie Blascovich und Mendes (1996) 79 Abbildung 8: Determinanten der interpersonalen Attraktion 90 Abbildung 9: Verstärkungs-Affekt-Modell 92 Abbildung 10: Attraktion als Funktion der Proportion ähnlicher Antworten 94 Abbildung 11: Determinanten und Konsequenzen der physischen Attraktivität 108 Profildarstellung von Gesichtern in unterschiedlichen Altersstufen 114 Basiseinkommen der Frauen und Einkommensdifferenz in Abhängigkeit von Geschlecht und Attraktivität 119 Abbildung 12: Abbildung 13: 9 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Überblick über positive und negative Selbstdarstellungsformen 23 Mittlere kognitive und affektive Bewertung als Funktion der Position der anderen Person 104 Durchschnittliche Bevorzugung (Rangplätze) von zwei Eigenschaften eines Partners in Abhängigkeit von Geschlecht des Beurteilers und Art der Beziehung 112 11 Einleitung Die Sozialpsychologie beschäftigt sich mit dem Einfluss sozialer Aspekte auf das Individuum und die Umwelt. Darüber hinaus befasst sie sich mit sozialer Interaktion und wirft einen Blick auf soziale Gruppenprozesse. Der Lehrbrief beschäftigt sich mit den individuellen sozialpsychologischen Phänomenen wie dem sozialen Selbst und den verschiedenen, problematischen Persönlichkeitsmerkmalen und deren Einfluss auf Alltagsvorgänge. Dabei sind das Streben nach Konsistenz, das sich in vielen Variationen durch unser Erleben und Denken zieht, und das Streben nach Kontrolle, in dem die Grundfragen der menschlichen Existenz thematisiert werden, dem Bereich der individuumszentrierten Sozialpsychologie zuzuordnen. Ziel dieses Lehrbriefes ist es, die Grundlagen der Sozialpsychologie auf der Basis von individuellen Prozessen und Funktionen darzustellen sowie die wichtigsten Theorien und Methoden zu diesem Themengebiet zu vermitteln. Einordnung des Lehrbriefes im Rahmen des Fernstudiums Die Sozialpsychologie ermöglicht ein differenziertes Verständnis von Alltagsvorgängen. Dabei geht es um Fragen wie: Inwieweit beeinflusst die soziale Umwelt die einzelne Person bei ihrer Personenwahrnehmung und ihrer Motivation? Wie beeinflussen einzelne Menschen oder Gruppen von Menschen ihre soziale Umwelt? Unter welchen Bedingungen sind Minoritäten erfolgreich? Was sind typische Merkmale der Majorität? Die Sozialpsychologie wird im Rahmen dieses Moduls in folgende Bereiche untergliedert: Selbst, Persönlichkeit und soziale Motive Soziale Kognition, soziale Einstellungen und Methoden der Sozialpsychologie Soziale Interaktion Soziale Gruppenprozesse Der Fernlehrbrief „Selbst, Persönlichkeit und soziale Motive“ konzentriert sich auf individuelle sozialpsychologische Phänomene. Darunter fallen die Sozialpsychologie des Selbst und die der problematischen Persönlichkeit, welche durch negative Rückwirkungen auf soziale Beziehungen gekennzeichnet ist. Auch das Streben nach Konsistenz, das sich in vielen Variationen durch unser Erleben und Denken zieht, und das Streben nach Kontrolle, in dem Grundfragen der menschlichen Existenz thematisiert 12 werden, sind dieser Perspektive zuzuordnen. Sie finden zu jedem Kapitel Übungsaufgaben, um den Stoff wiederholen und vertiefen zu können. Wichtige Ergebnisse werden in farbigen Kästchen hervorgehoben. Aufbau und Konzeption dieses Lehrbriefes In den ersten Kapiteln werden psychologische Theorien zum Selbstkonzept und Selbstwertgefühl sowie deren Auswirkungen auf die menschliche Verhaltensweise erörtert. Im nächsten Kapitel werden interpersonelle Strategien von Menschen dargestellt, die eine problematische Persönlichkeit haben, wie z.B. Autoritarismus, Narzissmus und soziale Dominanzorientierung. Anschließend werden die Theorie der kognitiven Dissonanz, die Balancetheorie von Heider sowie die Kongruitätstheorie von Osgood und Tannenbaum und die affektiv-kognitive Konsistenztheorie von Rosenberg dargestellt. Des Weiteren wird der Leser in die Forschung zur Rolle wahrgenommener Kontrolle und des Bedürfnis nach Kontrolle in sozialen Prozessen eingeführt. Der Lehrbrief schließt mit den Ausführungen zum Thema der interpersonalen Attraktion ab, welches aus sechs Perspektiven betrachtet wird, sowie der sozialpsychologischen Erklärung zur Wahrnehmung physischer Attraktivität. Lernziele dieses Lehrbriefes Zentrale Stellenwert des „Selbst“ Problematische Persönlichkeitseigenschaften Konsistenz- und Dissonanztheorien Die Auswirkungen von Kontrolle und Kontrollverlust auf soziale Prozesse Interpersonale Attraktion Physische Attraktivität Kapitel 1 Selbst Eva Traut-Mattausch, Lars-Eric Petersen, Jenny S. Wesche und Dieter Frey Inhaltsübersicht 1.1 Quellen des Selbstkonzepts und des Selbstwertgefühls 14 Selbstwahrnehmung und selbstbezogene Attributionsprozesse 15 Soziale Rückmeldungen und Auswahl neuer Informationen 17 1.1.3 Sozialer Vergleich 18 1.1.4 Fazit zu den Quellen selbstbezogenen Wissens 19 1.2 Selbstaufmerksamkeit 20 1.3 Selbstdarstellung 21 1.3.1 Positive und negative Selbstdarstellung 22 1.3.2 Taxonomie verschiedener Selbstdarstellungsformen 23 1.4 Wirksamkeit und Regulation des Selbst 24 1.4.1 Selbstwirksamkeit 24 1.4.2 Selbstdiskrepanztheorie und regulatorischer Fokus 26 Stärke der Selbstregulation 27 Reflexionsaufgaben 28 1.1.1 1.1.2 1.4.3 14 Kapitel 1 Schlüsselbegriffe Definitionen: Selbstkonzept und Selbstwertgefühl Selbstkonzept und Selbstwertgefühl Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung Selbstaufmerksamkeit Selbstdarstellung Selbstwirksamkeit und Selbstregulation „Wer bin ich?“, „Was kann ich?“, „Was bin ich wert?“ Dies sind wichtige Fragen, die sich vermutlich alle Menschen gelegentlich stellen. Die Antworten, die sich Personen in Bezug auf die ersten beiden Fragen geben, konstituieren ihr Selbstkonzept. Unter dem Selbstkonzept einer Person kann man ganz allgemein die Annahmen von Personen hinsichtlich ihrer eigenen Eigenschaften und Fähigkeiten verstehen. Personen gelangen im Laufe ihres Lebens zu Einschätzungen darüber, ob sie z. B. intelligent, durchsetzungsfähig, sportlich oder körperlich attraktiv sind. Diese Selbsteinschätzungen in ihrer Gesamtheit bilden das Selbst bzw. das Selbstkonzept einer Person. Die Antwort auf die dritte der obigen Fragen ergibt sich aus den positiven oder negativen subjektiven Bewertungen dieser Selbsteinschätzungen (z. B. „Es ist gut, dass ich intelligent bin.“ und „Es ist nicht so gut, dass ich so unsportlich bin.“). Aus der Summe dieser Selbstbewertungen ergibt sich das sogenannte Selbstwertgefühl. Das Selbstkonzept und das Selbstwertgefühl resultieren aus einer Vielzahl von Ereignissen und Gegebenheiten. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels werden zunächst die Hauptquellen von Selbstkonzept und Selbstwertgefühl dargestellt. Es folgen Abschnitte zur Selbstaufmerksamkeit und Selbstüberwachung. Anschließend wird mit einem Abschnitt zur Selbstdarstellung erörtert, wie Personen versuchen in sozialen Interaktionen den Eindruck, den sie auf andere Personen machen, zu kontrollieren. Das Kapitel endet mit der Vorstellung der Konzepte Selbstwirksamkeit und Selbstregulation, die ausschlaggebend für die Planung und Ausführung von Verhaltensweisen sind. 1.1 Quellen des Selbstkonzepts und des Selbstwertgefühls Wie konfigurieren sich nun Selbstkonzept und Selbstwertgefühl? Auf welche Art und Weise gewinnen Personen Wissen über eigene Persönlichkeits- und Leistungseigenschaften? In der Forschung wurden verschiedene Quellen genauer untersucht: Selbstwahrnehmung, selbstbezogene Attributionen, soziale Rückmeldung und soziale Vergleichsprozesse. In der nachfolgenden Darstellung der Forschungsbefunde zu diesen Quellen des Selbstkonzepts wird allerdings deutlich werden, dass selbstwertrelevante Informationen oft nicht objektiv verarbeitet werden. Vielmehr ist diese Verarbeitung häufig dadurch motiviert, das Selbstwertgefühl zu schützen bzw. Selbst 15 zu erhöhen. Einen Überblick über diese im Text beschriebenen Strategien der Selbstwerterhöhung gibt der folgende Kasten. Strategien zum Selbstwertschutz und zur Selbstwerterhöhung Eigene Erfolge intern, eigene Misserfolge extern attribuieren (self-serving bias). Aktive Suche nach selbstwertdienlichen Informationen über die eigene Person (selektive Informationssuche). Hinderliche Umstände für die eigene Leistungserbringung erzeugen/ betonen (self-handicapping). Vor Leistungssituationen die eigenen Möglichkeiten herunterspielen (sandbagging). Eigene Fähigkeiten als überdurchschnittlich wahrnehmen (above average effect). Die Annahme, verbreitete und akzeptierte Meinungen zu besitzen (false consensus effect). Auswahl von Vergleichspersonen, die schlechter abschneiden als man selbst (downward comparison). 1.1.1 Selbstwahrnehmung und selbstbezogene Attributionsprozesse Personen nehmen ihre eigenen Verhaltensweisen, Gefühle, Gedanken und körperlichen Zustände wahr und ziehen aus dieser Selbstbeobachtung Rückschlüsse auf eigene Fähigkeiten und Eigenschaften. Bem (1972) argumentiert in seiner Selbstwahrnehmungstheorie, dass Personen im Moment des Handelns oftmals nicht genügend Informationen besitzen, um eigene Gefühle und andere interne Zustände genau benennen zu können. Sie sind daher in der gleichen Lage wie ein außenstehender Beobachter, der aus Verhaltensbeobachtungen auf die internen Zustände von Personen schließen muss. So kann eine Person, die ihre Vorlesungsmitschriften immer ordentlich abheftet, ihren Abwasch jeden Abend angeht und ihre CD-Sammlung alphabetisch geordnet im Regal stehen hat, z. B. daraus schließen, dass sie sowohl eine selbstdisziplinierte als auch ordnungsliebende Person ist. Selbstwahrnehmungstheorie Allerdings werden Informationen, die potenziell den Selbstwert erhöhen oder erniedrigen können, nicht in gleicher Weise verarbeitet. Merke: Attributionsasymmetrie Eigene Leistungserfolge werden vorwiegend auf interne Faktoren wie Fähigkeiten und Anstrengung, eigene Misserfolge dagegen auf externe Faktoren zurückgeführt, wie Aufgabenschwierigkeit und Pech. Diese Attributionsasymmetrie wird auch als selbstwertdienliche Attribution (self-serving bias) bezeichnet und konnte in einer Vielzahl von Studien belegt werden. Selbstwertdienliche Attributionsasymmetrie 16 Kapitel 1 So ließen Snyder, Stephan und Rosenfield (1976) Versuchspersonen in einem wettbewerbsorientierten Spiel entweder Erfolg oder Misserfolg erleben. Es zeigte sich, dass Gewinner ihren Erfolg eher eigenen Fähigkeiten zuschrieben, während Verlierer die Ursachen ihres Misserfolgs eher in unglücklichen Umständen suchten. Bernstein, Stephan und Davis (1979) untersuchten die Kausalattributionen von Studierenden nach einer Prüfung. Auch in dieser Felduntersuchung waren eindeutige „Self-serving bias“-Effekte zu beobachten: Die befragten Studierenden führten gute Noten vornehmlich auf ihre eigenen Fähigkeiten zurück, schlechte Noten dagegen auf die Schwierigkeit der Fragen oder unglückliche Umstände. Ein weiterer Forschungsbereich, in dem „Self-serving bias“-Effekte nachgewiesen werden konnten, befasst sich mit der Verantwortungsübernahme von Gruppenmitgliedern für eine Gruppenleistung. So fanden z. B. Ross und Sicoly (1979), dass Personen dann einen stärkeren eigenen Beitrag zu einer Gruppenleistung angaben, wenn diese Leistung zuvor als Erfolg an sie rückgemeldet wurde, als wenn sie ein Misserfolgsfeedback erhalten hatten. „self-handicapping“ und „sandbagging“ Eine Strategie, solche selbstwertdienlichen Attributionen quasi aktiv vorzubereiten, besteht im sogenannten „self-handicapping“ (z. B. Deppe & Harackiewicz, 1996): Begriffsklärung: Self-handicapping Um eine defensive, d. h. selbstwertdienliche, Attribution vorzubereiten, legt sich eine Person ein „Handicap“ zu (z. B. unausgeschlafen in eine Prüfung gehen), das nach erbrachter Leistung für den möglichen Misserfolg verantwortlich gemacht werden oder aber einen möglichen erzielten Erfolg noch aufwerten kann. Eine weitere Möglichkeit, selbstwertschützende bzw. selbstwerterhöhende Attributionen vorzubereiten, haben Gibson und Sachau (2000) unter dem Begriff „sandbagging“ vorgestellt. Begriffsklärung: Sandbagging „Sandbagging“ beschreibt das Verhalten, vor Leistungssituationen die eigenen Leistungsmöglichkeiten eher herunterzuspielen und damit die Erwartungshaltung anderer Personen gering zu halten. Ähnlich wie beim „self-handicapping“ kann eine Person auch durch die „sandbagging“-Strategie bei jedem Leistungsergebnis profitieren: Bei einem schlechten Abschneiden ist das Ergebnis zumindest konform mit den eigenen Vorhersagen, Vorwürfe anderer wären unberechtigt und der eigene Selbstwert kann so geschützt werden. Bei einem guten Ergebnis Selbst kann man andere Personen mit einem positiv-diskrepanten Ausgang und einer Leistung über dem vermeintlich eigenen Leistungsniveau überraschen und so den eigenen Selbstwert erhöhen. Aufgrund dieser eingesetzten Strategien kann es dann auch nicht überraschen, dass Selbsteinschätzungen von Personen über ihr Verhalten in bestimmten Situationen systematisch positiver ausfallen als die Einschätzungen von Beobachtern. So weisen Personen eine Tendenz auf, die eigene Person als überdurchschnittlich und in ihren Stärken einmalig wahrzunehmen: Sie geben z. B. an, dass sie positive Eigenschaften in einem größeren Ausmaß und negative Eigenschaften in einem geringeren Ausmaß als andere Personen besitzen (above average effect). Auch gehen Personen davon aus, verbreitete und akzeptierte Meinungen zu vertreten und überschätzen dabei, inwieweit andere Personen ihre Meinung wirklich teilen (false consensus effect). 1.1.2 „above average effect“ und „false consensus effect“ Soziale Rückmeldungen und Auswahl neuer Informationen Auch in sozialen Interaktionen lernen Personen häufig etwas über den Wert der eigenen Person, indem sie z. B. erfahren, wie andere sie wahrnehmen und bewerten. Die Ansicht, dass Personen sich die Auffassungen anderer über ihre Person zu Eigen machen, ist besonders von Vertretern des symbolischen Interaktionismus vertreten worden (z. B. Mead, 1934). Cooley (1902) akzentuierte diesen Gedanken in seinem Bild des „looking-glass self“. Dieses Bild drückt aus, dass das Selbstkonzept einer Person einem Spiegel gleicht, der die Einschätzungen bedeutsamer anderer Personen wiedergibt. Neben direkten Rückmeldungen und Eigenschaftszuweisungen können Personen allerdings auch auf interpretativem Weg aus dem Verhalten anderer Personen ihnen gegenüber Informationen über die eigene Person ableiten. Einen guten Beleg für diesen Vorgang stellen Arbeiten von Meyer und Plöger (1979) zur Analyse paradoxer Wirkungen von Lob und Tadel dar. Sie konnten in verschiedenen Experimenten zeigen, dass Schüler, die für das Lösen einer leichten Aufgabe stark gelobt wurden, diesem Verhalten entnahmen, dass ihnen diese Leistung eigentlich gar nicht zugetraut und ihre Begabung auf diesem Gebiet als eher gering eingeschätzt wurde. Umgekehrt leiteten Schüler, die für Misserfolg bei einer sehr schweren Aufgabe getadelt wurden, hieraus ab, dass grundsätzlich ein großes Vertrauen in ihre Fähigkeiten bestand. Allerdings zeigen viele Forschungsarbeiten, dass Personen keinesfalls alle sozialen Rückmeldungen uneingeschränkt und unverändert in ihr Selbstkonzept integrieren. So haben Rückmeldungen insbesondere dann einen starken Einfluss auf das eigene Selbstwertgefühl, wenn sie positiv von der bisherigen Selbstsicht abweichen oder dazu verhelfen können, Symbolischer Interaktionismus 17 18 Kapitel 1 von den Personen gewünschte und noch nicht erreichte Aspekte des Selbstkonzepts zu realisieren. Hat man dagegen schon viel Erfahrung mit einer bestimmten Selbstkonzeptdimension und ist sich der eigenen Einschätzung sehr sicher, dann nimmt man insbesondere solche Rückmeldungen zur Kenntnis, die die eigene Selbsteinschätzung bestätigen (vgl. z. B. Petersen & Stahlberg, 1995). Selbstwertdienliche Informationssuche Personen begnügen sich nun nicht damit, soziale Rückmeldungen in selbstwertdienlicher Weise zu bewerten, sondern sie suchen häufig auch aktiv stärker nach selbstwertdienlichen als nach selbstwertbedrohlichen Informationen über die eigene Person. Dies konnte in einer Vielzahl von Studien von Frey und Mitarbeitern, die ursprünglich im Rahmen dissonanztheoretischer Forschung durchgeführt wurden, gezeigt werden. Exemplarisch soll an dieser Stelle die Studie von Frey (1981) dargestellt werden. Die Aufgabe der Teilnehmer bestand darin, einen Intelligenztest zu bearbeiten. Anschließend erhielten sie eine persönliche Ergebnisrückmeldung, die unterhalb oder oberhalb der von ihnen geäußerten Erwartungen lag. Die Versuchspersonen wurden dann gebeten, einen oder mehrere Texte zur Lektüre auszuwählen, wobei die Titel die Validität von Intelligenztests bestätigten oder anzweifelten. Es zeigte sich, dass Probanden, die ein unterhalb ihrer Erwartungen liegendes Ergebnis zurückgemeldet bekamen, mehr Texte auswählten, die die Validität von Intelligenztests anzweifelten, und damit selbstwertbedrohliche Informationen vermieden. Probanden, die ein oberhalb ihrer Erwartungen liegendes Ergebnis zurückgemeldet bekamen, zeigten keine derartige selektive Informationssuche. 1.1.3 Theorie der sozialen Vergleichsprozesse: Voraussetzungen und Konsequenzen sozialer Vergleiche Sozialer Vergleich Schließlich können auch soziale Vergleichsprozesse als eine wichtige Quelle selbstbezogener Informationen betrachtet werden. Personen erfahren etwas über ihre eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften, indem sie sich mit anderen Personen vergleichen. Die Bedeutung von Vergleichsprozessen bei der Gewinnung selbstbezogenen Wissens ist von verschiedenen sozialpsychologischen Theorien, u. a. der Theorie der sozialen Vergleichsprozesse und der Theorie der sozialen Identität, betont worden. Die Fähigkeit zum sozialen Vergleich muss vermutlich erlernt werden. Soziale Vergleichsprozesse erfordern bestimmte kognitive Operationen, die erst im Verlauf der Entwicklung erworben werden. Frey und Ruble (1985) konnten z. B. zeigen, dass Kinder die Möglichkeit des sozialen Vergleichs zur Einschätzung eigener Fähigkeiten im Laufe ihrer Schullaufbahn erwerben und ständig verbessern. Soziale Vergleichsprozesse können Personen Informationen darüber liefern, ob sie anderen Personen in Bezug auf bestimmte Fähigkeiten oder Leistungen ähnlich oder aber über- bzw. unterlegen sind. Dass derartige Ergebnisse sozialer Vergleiche die Entwicklung und Gestalt des Selbstwertgefühls beeinflussen, konnte in verschiedenen Untersuchungen gezeigt werden. Im Selbst 19 deutschsprachigen Raum sind insbesondere familiäre und schulische Einflüsse, bestimmte Lebensereignisse sowie kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen auf das Selbstwertgefühl untersucht worden (vgl. für diese Untersuchungen Schütz, 2003). Jedoch werden auch soziale Vergleichsprozesse von Personen häufig nicht mit dem Ziel vorgenommen, eine korrekte Einschätzung eigener Fähigkeiten und Leistungen zu erlangen, sondern dienen der Erhöhung des eigenen Selbstwertgefühls. So wählen Personen bei sozialen Vergleichen häufig Vergleichspersonen aus, die entweder schlechter abschneiden als sie selbst (downward comparison), oder aber sie werten die Vergleichsperson ab. Soziale Vergleichsprozesse sind schließlich häufig auch die Grundlage von persönlichen Standards und Zielen. So kann z. B. der Vergleich mit Topmodels bei Frauen das Ideal eines extrem schlanken Körpers begründen. Die Erfüllung bzw. Nichterfüllung derartiger persönlicher Ideale und Standards kann das Selbstwertgefühl dann letztendlich ebenfalls positiv oder negativ beeinflussen (Petersen, 2005). 1.1.4 Persönliche Standards und Ziele Fazit zu den Quellen selbstbezogenen Wissens In der Darstellung der Forschungsbefunde zu den Quellen des Selbstkonzepts und des Selbstwertgefühls wurde deutlich, dass selbstwertrelevante Informationen oft nicht objektiv verarbeitet werden. Vielmehr ist diese Verarbeitung häufig dadurch motiviert, ein hohes Selbstwertgefühl zu erlangen. Dies hat verschiedene Forscher (z. B. Dauenheimer, Stahlberg, Frey & Petersen, 2002) dazu veranlasst, eine Theorie des Selbstwertschutzes und der Selbstwerterhöhung zu formulieren, die den Wunsch nach einem hohen Selbstwertgefühl als zentrales Motiv bei der Suche und Verarbeitung selbstbezogener Informationen postuliert. Eine derartige Informationsverarbeitung kann als durchaus gesunder Mechanismus aufgefasst werden: Wie ein Immunsystem schützt sie das Selbst vor bedrohlichen Informationen. Problematisch wird es allerdings, wenn die selbstwertdienlichen Verzerrungen so weitgehend sind, dass Personen ihre Möglichkeiten in ihrer sozialen Umwelt nicht mehr richtig einschätzen können und z. B. Verbesserungen ihrer Fähigkeiten für nicht mehr erforderlich halten oder Aufgaben wählen, denen sie nicht gewachsen sind. Theorie des Selbstwertschutzes und der Selbstwerterhöhung Die Theorie des Selbstwertschutzes und der Selbstwerterhöhung wird durch viele der in den letzten Abschnitten geschilderten Verzerrungen bei der Informationsverarbeitung zugunsten der Erhöhung des eigenen Selbstwertes gestützt. Allerdings gibt es auch Studien, die zeigen können, dass einige der genannten selbstwertdienlichen Verzerrungen nicht bei Personen mit geringem Selbstwertgefühl und Depressiven auftreten. Diese empirischen Befunde bilden die Grundlage einer theoretischen Kontroverse zwischen der Selbstwerterhöhungstheorie und einer weiteren Selbsttheorie, der Selbstkonsistenztheorie (vgl. Petersen & Stahlberg, 1995). Kontroverse Selbstwerttheorie vs. Selbstkonsistenztheorie 20 Kapitel 1 Selbstkonsistenztheorie Die zentrale Annahme der Selbstkonsistenztheorie lautet, dass Personen motiviert sind, ihr Bild über sich zu bestätigen, auch wenn es negativ ist. Die Kontroverse zwischen den erwähnten beiden Theorien ist noch nicht endgültig gelöst und verschiedene Moderatorvariablen wurden in der Forschung diskutiert und untersucht. Eine häufig bestätigte Moderatorvariable stellt der Elaborationsgrad eines Selbstkonzeptbereiches dar, auf den sich neue selbstbezogene Informationen beziehen. So konnten z. B. Petersen und Stahlberg (1995) zeigen, dass Personen in Bereichen mit geringem Selbstwissen mit positiven Informationen zufriedener waren als mit konsistenten Informationen, während Personen in Bereichen mit umfangreichem Selbstwissen die konsistenten Informationen den positiven Informationen vorzogen. Somit erfolgt eine Informationsverarbeitung im Sinne der Selbstwertschutztheorie insbesondere in Bereichen, in denen bislang nur wenig Selbstwissen besteht und neue Selbstschemata aufgebaut werden sollen. In Bereichen dagegen, in denen Personen bereits umfangreiches und gut vernetztes Selbstwissen besitzen, erfolgt eine Informationsverarbeitung eher im Sinne der Selbstkonsistenztheorie. 1.2 Definition objektive und subjektive Selbstaufmerksamkeit Selbstaufmerksamkeit Zur oben erläuterten Selbstwahrnehmung gehören auch aktive Wahrnehmungsprozesse des Selbst, wie z. B. die Selbstaufmerksamkeit. Theorie der Selbstaufmerksamkeit Die Theorie der Selbstaufmerksamkeit von Duval und Wicklund (1972) postuliert, dass Personen ihre Aufmerksamkeit entweder überwiegend nach außen, d. h. auf die Umwelt und externe Ereignisse, oder nach innen, d. h. auf ihr Selbst, richten können. Letzteres wird als Zustand „objektiver Selbstaufmerksamkeit“ bezeichnet, d. h. das Selbst einer Person rückt als Objekt in den Fokus ihrer eigenen Aufmerksamkeit. Demgegenüber steht der Zustand der „subjektiven Selbstaufmerksamkeit“, in dem eine Person als Subjekt ihre Aufmerksamkeit auf die Umwelt richtet. Im Rahmen der Theorie zur objektiven Selbstaufmerksamkeit unterscheiden Fenigstein, Scheier und Buss (1975) zwischen einer interindividuell unterschiedlich ausgeprägten Disposition zur objektiven Selbstaufmerksamkeit (trait self-consciousness), d. h. das Ausmaß, in dem Personen sich selbst reflektieren, und einem situativ induzierten Zustand der objektiven Selbstaufmerksamkeit (state self-awareness). Der Zustand objektiver Selbstaufmerksamkeit kann z. B. dadurch herbeigeführt werden, dass Personen Reizen ausgesetzt werden, die die Aufmerksamkeit Selbst auf die eigene Person lenken (z. B. Spiegel, auf die Person gerichtete Kameras, Tonbandaufnahmen der eigenen Stimme). Dabei zeigen sich vergleichbare Effekte dispositioneller und situativ bedingter objektiver Selbstaufmerksamkeit (für einen Überblick siehe Wicklund & Frey, 2001). Vier zentrale Effekte objektiver Selbstaufmerksamkeit 1. Erhöhte Selbstaufmerksamkeit steigert das Bewusstsein über und damit die Empfänglichkeit für eigene Einstellungen, Reaktionen und Affekte. Unter gesteigerter Selbstaufmerksamkeit berichten Personen intensivere Affekte (z. B. Attraktion oder Abscheu) oder zeigen intensivere affektbezogene Reaktionen (z. B. Aggressionen). 2. Erhöhte Selbstaufmerksamkeit verstärkt das Bewusstsein über Diskrepanzen zwischen idealem und realem Selbst. Personen unter erhöhter Selbstaufmerksamkeit beurteilen sich bei wahrgenommener negativer Diskrepanz (z. B. weil die eigene Leistung nicht das eigene Anspruchsniveau erfüllt) negativer, bei wahrgenommener positiver Diskrepanz (z. B. weil man bessere Leistungen erzielt hat als erwartet) positiver als Vergleichsgruppen mit geringerer Selbstaufmerksamkeit. 3. Erhöhte Selbstaufmerksamkeit verstärkt die Motivation Selbst-Standard-Diskrepanzen zu reduzieren, sofern diese aversiv sind. Dazu können Personen entweder ihr Verhalten anpassen (z. B. sich stärker anstrengen, um ihren Standards gerecht zu werden) oder umgekehrt ihre Ideale entsprechend verändern. 4. Geringe Erfolgserwartung bzgl. der Reduktion einer aversiven Diskrepanz führt zur Vermeidung von Selbstaufmerksamkeit. Erwarten Personen, dass sie eine aversive Diskrepanz weder durch Anpassen ihres Verhaltens (z. B. weil der Standard mit den persönlichen Voraussetzungen nicht realistisch erfüllt werden kann) noch des Standards (z. B. weil dieser extern vorgegeben ist) verringern können, tritt eine verstärkte Meidung des Zustands der Selbstaufmerksamkeit bzw. von Stimuli, die diesen Zustand induzieren können, auf. 1.3 Selbstdarstellung Personen sind (in unterschiedlichem Ausmaß) bestrebt und in der Lage, das Bild ihrer eigenen Person zu beeinflussen und entsprechend ihrer Wünsche (i. d. R. positiv) darzustellen. Die verschiedenen Manifestationen dieses Phänomens werden unter Begriffen wie Eindruckssteuerung (impression management) oder Selbstdarstellung (self-presentation) subsumiert. Selbstdarstellung kann sich auf alle Aspekte des Selbstkonzepts beziehen, z. B. auf die eigenen Fähigkeiten, Einstellungen oder auch Ziele, und kann sowohl verbal (z. B. durch Erzählungen) als auch nonverbal (z. B. durch Auftreten oder Kleidung) transportiert werden (vgl. DePaulo, 1992). Dabei bezeichnet Selbstdarstellung das Verhalten der Person (d. h. ihren Versuch den Eindruck, den andere Personen von ihr haben, in bestimmter Art und Weise zu beeinflussen) und nicht dessen Effektivität (vgl. Turnley & Bolino, 2001): So mag eine Person ihre Vorzüge herausstellen, um kompe- Definition Selbstdarstellung 21 22 Kapitel 1 tent zu wirken, dabei bei ihrem Gegenüber jedoch einen unerwünschten Eindruck erzielen, nämlich als eingebildet wahrgenommen zu werden. Selbstdarstellung kann sowohl bewusst als auch vorbewusst gesteuert sein Die Bezeichnung „Selbstdarstellung“ legt missverständlicherweise nahe, dass es sich bei diesem Phänomen um ein ausschließlich bewusst gesteuertes, intentionales Verhalten handelt. In bestimmten Situationen, z. B. bei Anwesenheit eines Publikums, rückt zwar die Selbstdarstellung in den Fokus der Bewusstheit, jedoch wird der Großteil der selbstdarstellungsrelevanten Aktivitäten und Informationen nur auf einem vorbewussten Level verarbeitet und läuft automatisiert ab (Leary & Kowalski, 1990). 1.3.1 Positive und negative Selbstdarstellung Merke Selbstdarstellung ist nicht auf das Hervorrufen eines positiven Eindrucks beschränkt. Es bezeichnet allgemein die Steuerung des Eindrucks, den eine Person auf einen Interaktionspartner machen möchte. Wie der angestrebte Eindruck aussieht, den die Person vermitteln möchte (z. B. kompetent oder liebenswürdig), ist davon abhängig, welche Reaktion die Person bei ihrem Interaktionspartner erzielen möchte (z. B. Respekt oder Sympathie). In bestimmten Situationen sind Personen bestrebt, Reaktionen bei ihren Interaktionspartnern hervorzurufen, für die sie ihren Eindruck in eine weniger „positive“ Richtung steuern müssen. Beispiele negativer Selbstdarstellung So identifizierten Becker und Martin (1995) mehrere Formen negativer Selbstdarstellung im Arbeitskontext (z. B. absichtlich die Leistung senken oder eigene Unzulänglichkeiten verbreiten), die u. a. zur Abwehr zusätzlicher Aufgaben oder zum Erhalt von Unterstützung eingesetzt wurden. Kowalski und Leary (1990) konnten den Effekt der negativen Selbstdarstellung zur Vermeidung unliebsamer Aufgaben auch experimentell nachweisen: Wurde den Teilnehmern gesagt, dass der jeweils Beste in einer Probeaufgabe eine weitere sehr unattraktive Aufgabe auszuführen habe, zeigten sie verstärkt negative Selbstdarstellung. Dies war nicht der Fall, wenn angekündigt wurde, dass der jeweils Schlechteste die unliebsame Aufgabe auszuführen hätte. 1.3.2 Taxonomie verschiedener Selbstdarstellungsformen Trotz der Bedeutung, die Selbstdarstellung als Phänomen in der psychologischen Forschung hat, mangelt es bislang an empirisch fundierten Taxonomien (vgl. Mummendey, 2002, vgl. auch Tab. 1). Tedeschi und Kollegen (z. B. Tedeschi & Melburg, 1984) unterscheiden kurzfristige bzw. Selbst situationsspezifische Taktiken von langfristigen bzw. in vielen Situationen wirksamen Strategien, sowie assertive (die einen positiver Eindruck erzielen sollen, z. B. indem man seine positiven Eigenschaften betont oder Einstellungsähnlichkeit zum Gegenüber demonstriert) von defensiven Formen (die einen negativen Eindruck verhindern sollen, z. B. indem man sich von negativ beurteilten Dritten distanziert). Empirisch wurde bislang jedoch nur die assertiv-defensive Differenzierung des Vier-Felder-Schemas belegt (Lee, Quigley, Nesler, Corbett & Tedeschi, 1999). Tabelle 1: Überblick über positive und negative Selbstdarstellungsformen Positive Selbstdarstellungsformen Negative Selbstdarstellungsformen Direkt Verbal auf eigene Vorzüge hinweisen (self-promotion/-enhancement/ -appreciation), z. B. Kompetenz, Expertise, Leistungsstärke, Vertrauenswürdigkeit, Sympathie, etc. Verbal eigene Leistung abwerten bzw. absichtlich schlechte Leistung erbringen (self-depreciation) hinderliche Umstände für die eigene Leistungserbringung erzeugen/betonen (self-handicapping) eigene Leistung unterbewerten (understatement) sich hilfsbedürftig, unfähig etc. darstellen (supplication) persönliche Einschränkungen, z. B. Erkrankungen, und Unzulänglichkeiten betonen (broadcasting limitations) Non-verbal durch Kleidung, Statussymbole, Umgangsformen einen positiven Eindruck (z. B. Expertise) erzeugen bzw. unterstreichen Non-verbal durch Kleidung, Statussymbole, Umgangsformen einen negativen Eindruck (z. B. Hilflosigkeit) erzeugen bzw. unterstreichen Indirekt Entitäten, mit denen man in Verbindung steht, positiv bewerten bzw. sich mit positiv bewerteten Entitäten in Verbindung bringen (basking in reflected glory) Entitäten, mit denen man nicht in Verbindung steht, negativ bewerten bzw. sich von negativ bewerteten Entitäten distanzieren (blasting) andere so beurteilen, dass man selber im Vergleich gut dasteht (boosting) die positiven Qualitäten des Gegenübers herausstellen/loben (other-enhancement/ingratiation) Entitäten, mit denen man in Verbindung steht, negativ bewerten bzw. sich mit negativ bewerteten Entitäten in Verbindung bringen Entitäten, mit denen man nicht in Verbindung steht, positiv bewerten bzw. sich von positiv bewerteten Entitäten distanzieren andere so beurteilen, dass man selber im Vergleich schlecht dasteht Cialdini und Kollegen (z. B. Cialdini & Richardson, 1980) hingegen unterscheiden direkte von indirekten Formen der Selbstdarstellung: Während bei direkter Selbstdarstellung Informationen über die eigene Person prä- 23 Kurzfristige/situationsspezifische vs. langfristige/situationsunspezifische sowie assertive vs. defensive Formen der Selbstdarstellung 24 Kapitel 1 Direkte vs. indirekte Formen der Selbstdarstellung sentiert werden, werden bei den indirekten Formen der Selbstdarstellung Informationen über Dritte präsentiert, mit denen die Person in positiver oder negativer Verbindung steht. Cialdini und Richardson (1980) fanden, dass Studenten nach persönlichem Misserfolg (induziert durch einen fingierten Kreativitätstest) die Qualität ihrer eigenen Universität aufwertend (basking in reflected glory) und eine rivalisierende Universität abwertend (blasting) darstellten. Diese Formen der indirekten Selbstdarstellung traten seltener auf, wenn kein Misserfolg induziert wurde. 1.4 Wirksamkeit und Regulation des Selbst Ob wir anfangen regelmäßig Sport zu treiben, mit dem Rauchen aufhören oder anstatt einen Film anzusehen lieber für eine Klausur lernen, wird von unserem Selbst bestimmt. Dies bedeutet, dass unser Selbst dafür verantwortlich ist, welche Verhaltensweisen geplant und welche schließlich ausgeführt werden. Hierbei sind zwei Funktionen des Selbst entscheidend: Selbstwirksamkeit und Selbstregulation. 1.4.1 Definition Selbstwirksamkeit Selbstwirksamkeit beeinflusst die Handlungsinitiierung sowie Anstrengung und Dauer einer Handlung Selbstwirksamkeit Begriffsklärung: Selbstwirksamkeit Mit Selbstwirksamkeit (self-efficacy) ist gemeint, dass eine Person glaubt, bestimmte Handlungen ausführen zu können, um ein gewünschtes Ergebnis zu erreichen (Bandura, 1997). Die persönliche Ausprägung der Selbstwirksamkeit ist entscheidend dafür, ob Personen Handlungen initiieren, d. h. sie beeinflusst die Wahl von Handlungsalternativen. Ist eine Person überzeugt, eine neue Sprache erlernen zu können, dann wird sie sich auch für einen Sprachkurs anmelden. Glaubt sie jedoch, kein Sprachtalent zu besitzen und daher eine neue Sprache nicht erlernen zu können, wird sie sich wohl gegen einen Sprachkurs entscheiden. Wurden Handlungen initiiert, beeinflusst das Ausmaß an Selbstwirksamkeit auch, wie viel Anstrengung aufgebracht wird und wie lange die Handlung gegenüber Widerständen aufrechterhalten wird (Bandura, 1977). Dies bedeutet, dass Menschen mit niedriger Selbstwirksamkeit bei Misserfolgen schneller aufgeben, wohingegen solche mit hoher Selbstwirksamkeit sich höhere Ziele stecken, sich von Misserfolgen weniger schnell entmutigen lassen und daher mit größerer Wahrscheinlichkeit tatsächlich erfolgreich sind (Cervone & Peake, 1986; Litt, 1988). Ist sich also eine Person sicher, dass sie ein Sprachtalent besitzt, wird sie eine schlechte Note in einem Sprachtest nicht entmutigen. Hingegen wird eine Person, die sich im Vorfeld wenig Selbstwirksamkeit Selbst bei dem Erlernen einer neuen Sprache zugeschrieben hat, eine schlechte Note als Beweis bewerten, keine weitere Anstrengung und Ausdauer in das Erlernen der neuen Sprache zu investieren. Die vorhandene Selbstwirksamkeit kann daher bei Personen wie eine sich-selbst-erfüllende Prophezeiung wirken (Aronson, Wilson & Akert, 2008): Diejenigen, die überzeugt sind, ein Verhalten wirksam ausführen zu können, stecken sich hohe Ziele, zeigen mehr Ausdauer und lassen sich von Misserfolgen nicht entmutigen. Hingegen werden diejenigen, die nicht glauben, eine Handlung wirksam zeigen zu können, sich geringere oder keine Ziele setzen, wenig Ausdauer aufweisen und sich von ersten Misserfolgen schnell abhalten lassen. Selbstwirksamkeit variiert auf unterschiedlichen Dimensionen, was einen wichtigen Einfluss auf die Leistung einer Person haben kann (Bandura, 1977): So können Personen der Überzeugung sein, ausschließlich bei leichten Aufgaben erfolgreich zu sein (kleiner Umfang), sie können glauben, bei leichten und mittelschweren Aufgaben erfolgreich zu sein (mittlerer Umfang), oder sie sind der Meinung, auch sehr schwere Aufgaben schaffen zu können (großer Umfang). Ferner kann sich der Glaube, eine Handlung erfolgreich ausführen zu können, auf eine bestimmte Aufgabe oder ein spezifisches Problem beziehen oder auch von genereller Natur sein (Generalität). Auch die Stärke kann variieren. Sehr starke Selbstwirksamkeitsüberzeugungen würden auch dann aufrechterhalten werden, wenn eine Handlung nicht ausgeführt werden kann, während schwache Selbstwirksamkeitsüberzeugungen dann schneller verworfen werden würden. Die persönliche Erfahrung, eine Handlung ausführen zu können oder dabei zu scheitern, beeinflusst die Selbstwirksamkeit direkt. Darüber hinaus kann auch ein Feedback, dass man besonders selbstwirksam in einem Bereich ist, die Selbstwirksamkeit erhöhen. In einer Studie von Blittner, Goldberg und Merbaum (1978) konnte dies demonstriert werden. Zwei Gruppen nahmen an einem Raucherentwöhnungsprogramm teil. Teilnehmer in der ersten Experimentalgruppe erhielten eine fiktive Rückmeldung, dass sie für diese Studie ausgewählt wurden, da sie einen besonders hohen Willen hätten, mit dem Rauchen aufzuhören. Versuchspersonen in der zweiten Experimentalgruppe erfuhren, dass sie zufällig für die Studie ausgewählt wurden. Darüber hinaus gab es noch eine Kontrollgruppe, die an keinem Programm teilnahm. Es zeigte sich, dass die Teilnehmer, die das fiktive Feedback zu ihrer vermeintlich hohen Willensstärke erhielten, in deutlich größerem Umfang aufhörten zu rauchen, als diejenigen, die informiert wurden, dass sie zufällig ausgewählt worden seien, und die Teilnehmer in der Kontrollgruppe. Quellen der Selbstwirksamkeit 25 26 Kapitel 1 1.4.2 Selbstdiskrepanztheorie: Unterscheidung zwischen tatsächlichem Selbst, Ideal-Selbst und Soll-Selbst Selbstdiskrepanztheorie und regulatorischer Fokus Neben der Selbstwirksamkeit bestimmt auch die Selbstregulation wie wir bestimmte Verhaltensweisen bewerten. Die Selbstdiskrepanztheorie macht darauf aufmerksam, dass Menschen zu diesem Zweck zwei unterschiedliche Vergleiche anstellen (Higgins, 1987). Das tatsächliche Selbst (actual self) wird zum einem dem Ideal-Selbst (ideal self) und zum anderen dem Soll-Selbst (ought self) gegenüber gestellt. Ein Beispiel wäre eine Gesangsschülerin, die ihr aktuelles Können (tatsächliches Selbst) mit dem Wunsch-Ziel, die Gesangstechnik einer ausgebildeten Opernsängerin zu erreichen (Ideal-Selbst), bzw. mit dem verpflichtenden Ziel eine Gesangsprüfung zu bestehen (Soll-Selbst) vergleicht. Führen die Bemühungen, Ideal- bzw. Soll-Selbst zu erreichen, zu Misserfolg, sollten bei der Schülerin je nach Vergleich unterschiedliche Emotionen entstehen. Bei Diskrepanzen zwischen tatsächlichem und idealem Selbst sollten sich Niedergeschlagenheit und Unzufriedenheit einstellen, während Diskrepanzen zwischen tatsächlichem und verpflichtendem Selbst bei der Schülerin Beunruhigung und Furcht hervorrufen sollten (Higgins, Bond, Klein & Strauman, 1986). Die Theorie des regulatorischen Fokus als Weiterentwicklung der Selbstdiskrepanztheorie Um unterschiedliche Ziele zu erreichen, verfügen Personen nach der Theorie des regulatorischen Fokus (Higgins, 1997, 1998) über zwei unterschiedliche selbstregulative Systeme: Promotion-Fokus und Prevention-Fokus. Im Promotion-Fokus steht das Erreichen von Wünschen und Idealen einer Person im Mittelpunkt. Menschen mit einem Promotion-Fokus verwenden daher Annäherungsstrategien, um ihre angestrebten Ziele zu erreichen. Ein Beispiel wäre ein Student, der seinen Wunsch, einen sehr guten Bachelor-Abschluss zu erreichen, als Herausforderung begreift und nach Lösungsmöglichkeiten sucht, um auftretende Probleme zu bewältigen. Bei Personen mit einem Prevention-Fokus hingegen steht das Erfüllen von Pflichten und Obliegenheiten im Vordergrund. Diese werden durch die Verwendung von Vermeidungsstrategien erreicht. So wären Studenten mit einem Prevention-Fokus beispielsweise darauf bedacht, nicht durch eine Abschlussprüfung zu fallen, anstelle sich darauf zu fokussieren, eine besonders gute Note in dieser Prüfung zu erreichen. Bei einer Person kann einer der beiden Foki als zeitüberdauerndes Persönlichkeitsmerkmal im Vordergrund stehen, das sich während der Kindheit entwickelt hat (Higgins & Silberman, 1998). Unabhängig davon kann jedoch auch einer der beiden Foki durch den situativen Kontext, in der sich eine Person befindet, in den Vordergrund treten (Higgins, Roney, Crowe & Hymes, 1994). Selbst 1.4.3 27 Stärke der Selbstregulation Um Ziele zu erreichen, müssen wir unser Verhalten regulieren. So ist es erforderlich, dass eine Person, die Gewicht verlieren möchte und daher eine Diät durchführt, Versuchungen wie z. B. Süßigkeiten oder Fastfood erfolgreich widersteht. Ein weiteres Beispiel wäre die Vorbereitung und das konzentrierte Lernen auf eine Klausur. Auch hier muss das Ausmaß an Ablenkung, wie z. B. einen Film im Fernsehen zu sehen, ein Telefonat mit einem Freund zu führen oder die Party am Abend zu besuchen, gesteuert werden, um die Einhaltung eines Lernplans zu ermöglichen. Allerdings können Menschen ihre Verhaltensweisen nicht immer erfolgreich regulieren. Wie kann dies erklärt werden? Nach Baumeister und Kollegen ist das Ausmaß an Selbstregulation (selfregulatory strength) eine begrenzte Ressource, die ähnlich einem Muskel nach Gebrauch ermüdet (ego depletion) und daher eine Erholungsphase benötigt, um wieder zur Verfügung zu stehen (Baumeister & Heatherton, 1996). Mussten Personen bereits ihr Selbst regulieren, weil sie z. B. Gedanken oder Emotionen unterdrücken mussten, dann steht ihnen diese Ressource eine Zeit lang nicht mehr zur Verfügung, was dazu führt, dass Verhaltensweisen dann nicht mehr bewusst gesteuert werden können (z. B. Diätregeln werden nicht mehr eingehalten). Selbstregulation als limitierte Ressource 28 Kapitel 1 Zusammenfassung Das „Selbst“ ist in unterschiedlichen Facetten relevant für das Denken und Handeln von Personen. Die Kognitionen von Personen über vorhandene Fähigkeiten und Eigenschaften sind relevant für das eigene Selbstkonzept und das Selbstwertgefühl. Mögliche Quellen des Selbstkonzepts und des Selbstwertes sind selbstbezogene Attributionsprozesse, soziale Rückmeldungen und soziale Vergleiche. Bei der Verarbeitung selbstwertrelevanter Informationen gehen Personen allerdings nicht immer objektiv vor, sondern neigen zu Verzerrungen der Informationen in eine selbstdienliche Richtung. Zur Selbstwahrnehmung zählt die aktive Wahrnehmung des Selbst im Sinne von Selbstaufmerksamkeit. Man unterscheidet „objektive Selbstaufmerksamkeit“, bei der die Aufmerksamkeit der Person nach innen gerichtet ist, und „subjektive Selbstaufmerksamkeit“, bei der die Person ihre Aufmerksamkeit auf die Umwelt richtet. Personen streben danach, das Bild, welches andere von ihnen haben, durch bewusste oder unbewusste Selbstdarstellungsprozesse zu beeinflussen. Dabei sind sowohl positive als auch negative Formen der Selbstdarstellung denkbar, je nachdem, welche Reaktion man beim Gegenüber erzielen möchte. Der Glaube einer Person daran, bestimmte Handlungen ausführen und gewünschte Ergebnisse erreichen zu können, bestimmt die Selbstwirksamkeit der Person. Die Selbstwirksamkeit sowie das Ausmaß an Selbstregulation sind wiederum Determinanten für die Ausführung von Handlungen in allen Lebensbereichen. Dies unterstreicht nochmals den zentralen Stellenwert des „Selbst“ Weiterführende Literatur Baumeister, R. F. (1999). The self in social psychology. Philadelphia, PA: Psychology Press. Dauenheimer, D., Stahlberg, D., Frey, D. & Petersen, L.-E. (2002). Die Theorie des Selbstwertschutzes und der Selbstwerterhöhung. In D. Frey & M. Irle (Hrsg.), Theorien der Sozialpsychologie: Motivations-, Selbstund Informationsverarbeitungstheorien (Bd. III, S. 159–190). Bern: Huber. Self confirming bias Sandbagging Selfhandicapping Diwnward comparission Fals consious effect Mummendey, H. D. (2006). Psychologie des Selbst. Göttingen: Hogrefe. Reflexionsaufgaben Selektive Information Selbstwertschutz: eigen best darstellung Selbstwertkonsistenz: eigenbild bestätigen selbst wenn negatib Besseres eigenbild, chancen zur verbesserung, höheres selbstbild Zeit und situation, direkt und indirekt, affective und kognitive 1. Welche Strategien zum Selbstwertschutz und zur Selbstwerterhöhung gibt es? 2. Welches sind die Unterschiede zwischen Selbstwertschutztheorie und Selbstkonsistenztheorie? 3. Welche Effekte hat eine erhöhte objektive Selbstaufmerksamkeit? 4. Welche Dimensionen werden bei Taxonomien der Selbstdarstellungsformen unterschieden? Lösungshinweise finden Sie auf Seite 145. Kapitel 2 Die problematische Persönlichkeit – Autoritarismus, Narzissmus und Soziale Dominanzorientierung Hans-Werner Bierhoff Inhaltsübersicht 2.1 Autoritarismus 30 2.1.1 Kernmerkmale des Autoritarismus 30 2.1.2 Autoritäre Persönlichkeit 31 2.1.3 Wie wird Autoritarismus erworben? 32 2.2 Autoritätsgehorsam 33 2.2.1 Nachweis des Autoritätsgehorsams: Die Milgram-Experimente 33 Ursachen des Autoritätsgehorsams: Warum quälen Menschen ihre Mitmenschen? 35 2.2.3 Das Beispiel des administrativen Gehorsams 36 2.2.4 Autoritätsgehorsam im 21. Jahrhundert: Geschwächt oder immer noch stark? 36 Genetische Determiniertheit des Autoritätsgehorsams 38 2.3 Narzissmus: Wenn es sehr persönlich wird 39 2.3.1 Narzissmus in der Psychoanalyse 39 2.3.2 Narzissten sind sozial unverträglich 41 2.3.3 Gesunder und ungesunder Narzissmus 42 2.4 Soziale Dominanzorientierung 43 2.4.1 Durch welche Merkmale ist Soziale Dominanzorientierung gekennzeichnet? 43 Gegenmaßnahmen bei Bedrohung der eigenen Dominanzerwartung 44 Reflexionsaufgaben 46 2.2.2 2.2.5 2.4.2 30 Kapitel 2 Schlüsselbegriffe Autoritarismus und autoritäre Persönlichkeit: Merkmale, Messung und Entwicklung Milgrams (1974) Experimente zum Autoritätsgehorsam Autoritätsgehorsam heute Narzissmus Merkmale der Sozialen Dominanzorientierung und Reaktionen bei ihrer Bedrohung. In diesem Kapitel geht es um die interpersonellen Strategien von Menschen, die eine problematische Persönlichkeit aufweisen. Diese Strategien umfassen das Verhalten in Partnerschaften, in Abhängigkeitsbeziehungen wie zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern, die Selbstdarstellung vor anderen und die Wertschätzung, die anderen gegenüber zum Ausdruck gebracht wird. Wir gehen auf drei Persönlichkeitsmerkmale ausführlicher ein: Autoritarismus, Narzissmus und Soziale Dominanzorientierung. Außerdem wird im Zusammenhang mit dem Autoritarismus das Phänomen des Autoritätsgehorsams thematisiert. Die Kontinuität und Veränderung des Gehorsams gegenüber Autoritäten über die Zeit wird beschrieben. Die Merkmale Autoritarismus und Soziale Dominanzorientierung werden auch in „Sozialpsychologie – Interaktion und Gruppe“ (Frey & Bierhoff, 2011) für die Erklärung der Beziehung zwischen Gruppen verwendet. 2.1 Autoritäre Persönlichkeit als problematische Persönlichkeit Von der sozialpsychologischen Forschung wird erwartet, dass sie unvoreingenommen ist. Es fällt schwer, gegenüber dem Autoritarismus eine unvoreingenommene Perspektive einzunehmen. Denn dieses Persönlichkeitsmerkmal hat viele negative Seiten, die von der Erziehung durch Drill und Gehorsam über rigides Schwarz-Weiß-Denken bis zum Rassenhass, wie Faschisten ihn propagieren, reichen (Adorno, 1973). Wir bezeichnen deshalb die autoritäre Persönlichkeit als „problematisch“. Damit soll signalisiert werden, dass die interpersonellen Konsequenzen, die mit einer autoritären Persönlichkeit verbunden sind, im sozialen Kontext negativ wirken. 2.1.1 Merkmale der autoritären Persönlichkeit Autoritarismus Kernmerkmale des Autoritarismus Autoritarismus hängt mit Vorurteilen zusammen. Die psychoanalytische Untersuchung von Vorurteilen gegenüber Minderheiten führte Adorno, Frenkel-Brunswik, Levinson und Sanford (1950) zu einer Typologie der Die problematische Persönlichkeit 31 Persönlichkeit, deren zentraler Begriff der der autoritären (auch antidemokratisch oder faschistisch genannten) Persönlichkeit ist. Sie ist durch ein bestimmtes Syndrom von kognitiven Schemata charakterisiert (Hofstätter, 1966): Die Welt wird als bedrohlich wahrgenommen. Die Normen der dominanten gesellschaftlichen Gruppe werden akzeptiert. Soziale Sachverhalte werden in Gegensätzen interpretiert, so dass man von Schwarz-Weiß-Malerei sprechen kann. Durch die Verwendung zahlreicher sozialer Stereotype entsteht eine Starrheit des Denkens, die mit Unbelehrbarkeit verbunden ist. Merke Auffällig ist die unbedingte Identifizierung mit der Eigengruppe und ihren Repräsentanten, die als moralische Autorität dienen. Die Nähe zu Rigidität des Denkens, Dogmatismus und Intoleranz gegen Ambiguität ist offensichtlich (Milton, 1957). Weitere Korrelate des Autoritarismus sind religiöser Fundamentalismus, die Unterstützung traditioneller Geschlechtsrollen und Nationalismus (Six, 2006). Liegt dem politischen Rechtsextremismus der Nationalsozialisten eine autoritäre Persönlichkeitsstruktur zugrunde? Um diese Frage zu beantworten, berücksichtigten Adorno et al. (1950) politisch-ökonomischen Konservatismus, Antisemitismus, Ethnozentrismus und Autoritarismus: Die Bedeutung des Politisch-ökonomischen Konservatismus wurde schon anhand der Beispiele deutlich. Der Antisemitismus beinhaltet den Hass auf Juden, der in negativen Vorurteilen zum Ausdruck kommt. Der Ethnozentrismus beinhaltet allgemein abwertende Vorurteile gegenüber Personen, die nicht der Eigengruppe angehören. Unter Autoritarismus versteht man Nachgiebigkeit gegen Autoritäten, eine konventionelle Grundhaltung, die eine rigide Befolgung von Normen beinhaltet, und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten, die gesellschaftlich abgewertet werden. 2.1.2 Vier Dimensionen der autoritären Persönlichkeitsstruktur Autoritäre Persönlichkeit Wir konzentrieren uns im Folgenden auf den Autoritarismus, der im Mittelpunkt der autoritären Persönlichkeit steht. Adorno et al. (1950) verwendeten die Autoritarismus-Skala (F-Skala für Faschismus-Skala), um Autoritarismus zu messen. In Übereinstimmung mit dem Ansatz der autoritären Persönlichkeit wurde gezeigt, dass die F-Skala positiv mit konservativen Einstellungen, Antisemitismus und Ethnozentrismus zusammenhängt. Erfassung der autoritären Persönlichkeit mit Fragebogenskalen 32 Kapitel 2 Die Messung des Autoritarismus durch die F-Skala wurde häufig auf der Grundlage von psychometrischen Analysen kritisiert (Bass, 1955; Christie & Jahoda, 1954). Die Gültigkeit dieser Skala wird aber durch Validitätsstudien zumindest teilweise bestätigt. Es zeigte sich, dass autoritäre Personen dazu neigen, die Welt unter Zugrundelegung des Konzepts der Macht zu differenzieren, dass sie Führerpersönlichkeiten positiver beurteilen und dass sie eine autokratische Führung bevorzugen (Jones, 1954). Weiterhin gilt, dass ehemalige SS-Angehörige die höchsten Autoritarismuswerte im Vergleich mit anderen Gruppen erreichen (Steiner & Fahrenberg, 2000). Ein Neubeginn der Autoritarismus-Forschung ist die Entwicklung der Skala „Right-Wing-Authoritarianism“ (RWA, Altemeyer, 1981). Ein Beispielitem aus der deutschen RWA-Skala (Schneider, 1997) lautet: „Gehorsam ist die wichtigste Tugend, die Kinder lernen sollten.“ Die RWA-Theorie nimmt an, dass Autoritarismus auf soziales Lernen zurückgeht (Petersen, 2008) und unterscheidet drei Dimensionen des rechtsgerichteten Autoritarismus: Autoritäre Unterwürfigkeit, Konventionalismus und autoritäre Aggression. Während die autoritäre Unterwürfigkeit Konformität und Gehorsam fördert, ist der Konventionalismus durch ein stures Festhalten an den sozialen Gebräuchen, die in der Eigengruppe hochgehalten werden, gekennzeichnet. Die autoritäre Aggression ist gegen Sündenböcke gerichtet, auf die die Gruppe eigene Schwächen projiziert. Fehler, die die Menschen bei sich selbst zu unterdrücken versuchen, tauchen in ihrer Wahrnehmung anderer Menschen wieder auf (Newman, Duff & Baumeister, 1997). 2.1.3 Die kindliche Sozialisation beeinflusst die Entwicklung der autoritären Persönlichkeit In historischen Phasen mit größerer gesellschaftlicher Verunsicherung tritt mehr autoritäres Denken auf als in ruhigeren Phasen Wie wird Autoritarismus erworben? Lerntheoretische Erklärungen des Autoritarismus betonen, dass das Interaktionsverhalten der Eltern gegenüber ihren Kindern einen wesentlichen Einfluss auf die Sozialisation einer fremdenfeindlichen Ideologie hat (Duckitt, 2001). Erziehungsverhalten, das durch emotionale Kälte und strenge Strafen gekennzeichnet ist, erzeugt Gehorsam gegenüber Autoritätspersonen und Gefühlskälte gegenüber anderen. Aus dieser persönlichen Konstellation heraus entwickeln sich negative Vorurteile gegen andere und Privilegien, die der Eigengruppe zugesprochen werden. Darüber hinaus enthält die Kommunikation mit dem Kind viele spontane Hinweise darauf, dass Menschen oder Menschengruppen positiv oder negativ bewertet werden (Bierhoff & Rohmann, 2008). Daher ist bei der Entwicklung von autoritären Einstellungen die Rolle des impliziten Lernens hervorzuheben. Untersuchungen zeigen, dass historische Phasen, in denen eine größere gesellschaftliche Bedrohung und Verunsicherung auftritt, mehr Hinweise auf autoritäres Denken enthalten als ruhigere Phasen, in denen die Bedrohung als geringer empfunden wird (Oesterreich, 1998). Es liegt nahe anzunehmen, dass der Autoritarismus in bestimmten Bevölkerungsgruppen verstärkt wird, wenn die sozioökonomischen Bedingungen bedrohlich sind. Die problematische Persönlichkeit Eine nahe liegende Interpretation des Autoritarismus beruht auf der Rolle des Individuums in der Eigengruppe (Duckitt, 2001). Die Merkmale des Autoritarismus passen genau in das Bild eines perfekten Mitglieds der Eigengruppe, das seine Gruppe über alles stellt. Die Normen der Eigengruppe dienen dazu, sich in der Welt zu orientieren. Indem sich die Person strikt daran hält, überwindet sie ihre Unsicherheit und gewinnt einen Standpunkt, den sie mit anderen loyalen Gruppenmitgliedern teilt. Daher kommt der Hervorhebung der Loyalität mit der Eigengruppe ein zentraler Stellenwert für den Erwerb des Autoritarismus zu. 2.2 33 Die autoritäre Person als perfektes Mitglied der Eigengruppe Autoritätsgehorsam Wenn Menschen von Autoritäten mit Nachdruck dazu aufgefordert werden, neigen sie dazu, die Regeln der Humanität zu ignorieren und menschenverachtend zu handeln. Diese Erkenntnis wurde in den USA in zahlreichen Untersuchungen durch Stanley Milgram (1974) bestätigt: Unvoreingenommene Versuchsteilnehmer schädigen ein Opfer mit Elektroschocks schwer, wenn dieses Vorgehen durch die Wissenschaft, die durch einen seriös erscheinenden Wissenschaftler vertreten wird, legitimiert zu sein scheint. 2.2.1 Nachweis des Autoritätsgehorsams: Die Milgram-Experimente Milgrams Standardexperiment, in dem der Autoritätsgehorsam aufgezeigt wurde, lief folgendermaßen ab: Die Versuchsteilnehmer wurden angeworben, um an einem Versuch zum Bestrafungslernen mitzuwirken. Sie erhielten die Rolle des Lehrers, der einem Schüler eine Serie von Wortpaaren vorzulesen hatte. Der Verbündete des Versuchsleiters, der den Schüler spielte, war 47 Jahre alt. Nach der Einprägungsphase nannte der Lehrer das jeweils erste Wort in einem Wortpaar, zu dem der Schüler das zweite Wort assoziieren sollte. Die Instruktion des Lehrers beinhaltete, dass er dem Schüler für jede falsche Antwort einen Elektroschock geben sollte. Die falschen Antworten wurden vorprogrammiert. Eine Besonderheit des Versuchs bestand darin, dass der Lehrer das Schockniveau nach jeder falschen Antwort um eine Stufe erhöhte. Insgesamt waren auf dem Schockgenerator 30 Schockstufen einstellbar. Die einzelnen Schockstufen waren durch Angaben zur Stärke des Stromschlags gekennzeichnet, die von 15 bis 450 Volt reichten. Diese Angaben waren in aufeinander folgende Schockbereiche eingeteilt, die von „leichter Schock“, „mäßiger Schock“, „schwerer Schock“, „sehr schwerer Schock“, „Gefahr (!)“, „bedrohlicher Schock“ bis „XXX“ reichten. Der Versuchsleiter befand sich gemeinsam mit dem Lehrer in einem Raum, während der Schüler sich in einem Nachbarraum aufhielt. Die Lage des In den MilgramExperimenten wird eine Versuchsperson aufgefordert, einer anderen Person Schaden zuzufügen 34 Kapitel 2 Schülers hatte einige Ähnlichkeit zu der, in der sich jemand befindet, der auf einem elektrischen Stuhl Platz nimmt. Die einzige akustische Rückmeldung bestand darin, dass das Opfer mehrmals gegen die Wand klopfte. Abbildung 1 stellt die Versuchssituation dar. Der Versuchsleiter war ein junger Biologielehrer, der als Techniker auftrat. Wenn der Lehrer zögerte, mit dem Experiment fortzufahren, wurde er vom Versuchsleiter aufgefordert weiterzumachen: „Bitte fahren Sie fort.“; „Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen.“; „Sie müssen unbedingt weitermachen.“; „Sie haben keine Wahl, Sie müssen weitermachen.“ Befragte, denen der Versuchsablauf geschildert wurde, vermuteten in der Regel, dass sie die Anweisungen des Versuchsleiters nicht ausführen würden. Versuchsleiter Versuchsperson „Schüler“ Abbildung 1: Versuchsanordnung der Standardbedingung des Gehorsamkeitsexperiments (nach Milgram, 1974) Wichtige Ergebnisse der Milgram-Experimente Erschreckend viele Personen zeigen Gehorsam Gehorsamkeit wurde konstatiert, wenn der Lehrer die höchste Schockstufe einstellte. 65 % der männlichen Versuchsteilnehmer verwendeten in der Standardbedingung des Versuchs diese maximale Schockstufe. Wurde der Versuch mit Frauen durchgeführt, fand sich ebenfalls dieser hoch ausgeprägte Gehorsam von 65 %. In den weiteren Versuchsbedingungen nahmen nur Männer teil. Das Gehorsamkeitsniveau erwies sich mit 62.5 % auch in der Bedingung als hoch, in der der Lehrer bei den höheren Schockstufen die Proteste und verzweifelten Rufe des Schülers hören konnte. Wenn der Schüler nur einen Meter entfernt im selben Raum wie der Lehrer saß, sank der Gehorsam auf 40 %. Schließlich Die problematische Persönlichkeit wurde der Gehorsam auf 30 % reduziert, wenn der Lehrer die Hand des Schülers auf die Schockplatte pressen musste. Diese Vergleiche zeigen, dass der Gehorsam abnahm, je näher das Leiden des Opfers an den Lehrer herangerückt wurde. Übertragen auf die Wirklichkeit bedeutet das: Als Bomberpilot auf den Knopf zu drücken, durch den Bomben abgeworfen werden, fällt leichter, als sich an dem menschenverachtenden Massaker in My Lai (Vietnam) durch unmittelbare persönliche Gewaltausübung zu beteiligen. Die Einschränkung des Einflusses der Autorität reduzierte erwartungsgemäß den Gehorsam. Wenn der Versuchsleiter nicht im Raum des Lehrers saß und per Telefon seine Anweisungen gab, sank der Gehorsam auf 20.5 %. Wenn sich zwei Versuchsleiter in ihren Anweisungen widersprachen, war der Gehorsam minimal. Die meisten Versuchsteilnehmer brachen dann bei 150 Volt ab und nicht einer verwendete den Maximalschock. Außerdem sank der Gehorsam, wenn die Anweisungen des Versuchsleiters als umstritten dargestellt wurden. In der entsprechenden Bedingung agierten drei Lehrer, von denen zwei Verbündete des Versuchsleiters waren. Diese weigerten sich, die Elektroschocks auszuführen. Daraufhin sank der Gehorsam der Versuchsteilnehmer auf 10 %. 2.2.2 Ursachen des Autoritätsgehorsams: Warum quälen Menschen ihre Mitmenschen? Die Ursachen für das hohe Niveau des Gehorsams in der Standardbedingung sind vielfältig: Zum einen ist die Konsistenz des Versuchsleiters hervorzuheben, der immer wieder auf eine Fortsetzung des Versuchs drängte und durch seine klare Kommunikation einen starken Druck aufbaute, dem sich der Lehrer oft nicht entziehen konnte. Zum anderen erweist sich das schrittweise Vorgehen, bei dem die Schockstärke immer weiter erhöht wurde, als eine Falle, aus der die Versuchsteilnehmer nicht leicht entkommen konnten. Man spricht vom Effekt des „Den-Fuß-in-die-Tür-Stellens“: Während die ersten Schocks als harmlos erscheinen, schleicht sich zunehmend eine bedrohliche Gewalt ein, ohne dass eine eindeutige Entscheidung gegen die Gewaltausübung gefällt wird. Der dritte psychologische Mechanismus beruht darauf, dass der Versuchsleiter ursprünglich als seriöser Wissenschaftler auftrat, der erst später nach und nach die Maske fallen ließ. Damit stand der prägende Anfangseindruck eines seriösen Wissenschaftlers im Widerspruch zu dem späteren Verhaltensmuster, das durch Ignoranz und Inhumanität gekennzeichnet war. Dadurch entsteht ein Primacy Effect oder Vorrangeffekt, bei dem der erste Eindruck überwiegt (Bierhoff, 2006). Die Priorität des ersten Eindrucks für die Urteilsbildung gegenüber späteren Informationen lässt sich auch als Ankereffekt interpretieren. Es gibt vielfältige Ursachen für das hohe Niveau des Gehorsams 35 36 Kapitel 2 2.2.3 Das Beispiel des administrativen Gehorsams Administrativer Gehorsam am Beispiel der Utrecht-Studien Das Phänomen des Gehorsams ist weder auf Bestrafungslernen noch auf die 1960er Jahre beschränkt. Diese Aussage lässt sich durch die Ergebnisse der Utrecht-Studien zum administrativen Gehorsam belegen. Dieser bestand darin, dass Versuchsteilnehmer aufgefordert wurden, die Leistung eines Bewerbers willkürlich zu beeinträchtigen, indem sie 15 negative Äußerungen über ihn machten (Meeus & Raaijmakers, 2006). Vordergründig bestand der Zweck des Experiments darin, die Auswirkungen der Erzeugung von psychischem Stress auf die Leistung in einem Einstellungstest zu untersuchen. Auch in dieser Versuchsanordnung trat ein Versuchsleiter auf, der die Versuchsteilnehmer zum Weitermachen aufforderte, wenn sie zögerten. Der Bewerber war ein Verbündeter des Versuchsleiters. Psychische Gewalt wird leichter ausgeübt als physische Gewalt In diesem Experiment wurde zur Ausübung psychischer Gewalt aufgefordert. 91 % der niederländischen Versuchsteilnehmer erwiesen sich als gehorsam, indem sie die 15 Störmanöver ausführten. Der hohe Prozentsatz des Gehorsams deutet darauf hin, dass es leichter fällt, psychische Gewalt auszuüben als physische. Diese Versuchsanordnung unterliegt derselben Situationsdynamik wie die von Milgram: Bei Abwesenheit des Versuchsleiters sank der Gehorsam genauso wie wenn andere instruierte Mitarbeiter den Gehorsam verweigerten. Schließlich wurde gezeigt, dass sich der Gehorsam verringerte, wenn hohe persönliche Kosten induziert wurden: Wurde den Teilnehmern die juristische Haftung für ihr Störverhalten während des Einstellungstests zugewiesen, reagierten sie zurückhaltend und verweigerten häufig den Gehorsam. Das weist auf einen weiteren Faktor hin, der Gehorsam verursacht: Die Verschiebung der Verantwortung für das Fehlverhalten auf andere. Wenn der Teilnehmer persönlich verantwortlich gemacht wurde, machte er weniger mit. Merke Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Gehorsam in einer Hierarchie auftritt, in der der Akteur glaubt, dass die höher gestellte Person die Verantwortung trägt. Wichtig ist der Druck, den die Autoritätsperson ausübt, indem sie explizit zum Fehlverhalten auffordert. 2.2.4 Autoritätsgehorsam im 21. Jahrhundert: Geschwächt oder immer noch stark? Der Milgram-Versuch wurde 2006 wiederholt und detailgetreu nachgestellt (Burger, 2009). Der Schockgenerator wurde sorgfältig rekonstruiert. Allerdings gab es auch Abweichungen. Der Versuch wurde an der Westküste Die problematische Persönlichkeit der USA in Kalifornien durchgeführt und nicht an der Ostküste, wo Milgram seine Versuche ausführte. Die Versuchsteilnehmer waren heterogener zusammengesetzt als in der ursprünglichen Testreihe, an der überwiegend weiße männliche Amerikaner teilgenommen hatten. Die Schockobergrenze wurde aus ethischen Gründen auf 150 Volt begrenzt. Wenn ein Lehrer diesen Schock erteilt hatte, wurde der Versuch abgebrochen. 37 Aktuelle Replikation der MilgramExperimente: Autoritätsgehorsam bleibt ein Problem Außerdem wurde in Übereinstimmung mit ethischen Richtlinien der Versuchsdurchführung wiederholt darauf hingewiesen, dass die Teilnehmer den Versuch jederzeit abbrechen konnten. Dieser Hinweis war zwar auch in dem ursprünglichen Milgram-Experiment enthalten, er wurde nun aber mehrmals wiederholt. Schließlich wurden die Teilnehmer für die Replikation im Jahre 2006 sehr sorgfältig ausgesucht. Besonders wurde darauf geachtet, dass nur psychisch belastbare Personen die Rolle des Lehrers übernahmen, die keine Vorgeschichte von psychischen oder emotionalen Störungen hatten. Diese Änderungen sollten insgesamt dazu beitragen, das Niveau des Gehorsams im Vergleich zum Standardexperiment zu reduzieren. In der Replikation der Standardbedingung von Milgram ergab sich ein Autoritätsgehorsam von 70 %. Bei Milgram betrug das Niveau des Gehorsams bei der Schockstufe von 150 Volt 82.5 %. Das Gehorsamkeitsniveau in der 2006-Replikation fiel also etwas geringer aus als im ursprünglichen Experiment. Allerdings war die Reduktion des Gehorsams statistisch nicht signifikant. Daher lautet die Antwort auf die Frage, ob die Menschen heute immer noch gehorchen würden, „ja“. Wie in den Milgram-Versuchen deutet auch in der kalifornischen Replikation nichts auf Geschlechtsunterschiede im Gehorsam hin. Frauen sind letztlich genauso gehorsam wie Männer – aber auch nicht gehorsamer. Die Milgram-Experimente sind genauso kontrovers wie ihre Replikation durch Burger, wie die Kommentare zu dem Forschungsbericht in einem Themenheft des American Psychologist (Vol. 64/1) zeigen. Einerseits deuten die Ergebnisse auf eine Situationsabhängigkeit hin, die sich auch immer wieder in Berichten über die Ausübung von Gewalt zeigt. Die Situation entfaltet eine starke Dynamik, die von vielen Versuchsteilnehmern als Zwang empfunden wurde, dem sie sich nicht widersetzen konnten. Die Praxisrelevanz des Paradigmas ist nahe liegend. Ein Beispiel ist die Autorität von Ärzten gegenüber Krankenschwestern im Krankenhaus (Zimbardo, 2008). Einwände ergeben sich aufgrund der veränderten Stichprobenzusammensetzung der Replikation in Kalifornien, da über 25 % der Teilnehmer asiatischer Herkunft sind (Twenge, 2009). Asiatische Kulturen betonen stärker als westliche Kulturen den Gehorsam gegenüber den Eltern und die Bereitschaft, sich in die Gruppe im Allgemeinen und in die Familie im Kritik an MilgramExperimenten 38 Kapitel 2 Speziellen einzufügen. Diese einseitige Zusammensetzung der Stichprobe tritt weder in den Milgram-Studien auf noch ist sie insgesamt typisch für die USA, in der nur 4 % der Einwohner asiatischer Abstammung sind. Der hohe Anteil der Teilnehmer asiatischer Herkunft hat wahrscheinlich das Niveau des Gehorsams in der kalifornischen Stichprobe erhöht. Dieser Stichprobeneffekt könnte noch durch die Tendenz verstärkt werden, dass durch die Verbreitung von Gewalt in den Medien im Allgemeinen und in Computerspielen im Besonderen die Hemmung gegenüber der Ausübung von Gewalt per Knopfdruck in den vier Jahrzehnten, die zwischen den ersten und den neuesten experimentellen Ergebnissen liegen, gesenkt worden ist. Andererseits könnte das Niveau des Gehorsams in der Replikationsstudie dadurch reduziert worden sein, dass der Narzissmus in den USA zwischen 1982 und 2006 kontinuierlich zugenommen hat (Twenge, Konrath, Foster, Campbell & Bushman, 2008). Narzissmus wird weiter unten ausführlicher thematisiert. An dieser Stelle ist bedeutsam, dass er eine Loslösung von traditionellen Autoritäten aufgrund eines starken Selbstfokus herbeiführt. Damit einher geht eine verringerte Bereitschaft zum Autoritätsgehorsam. Allerdings zeigen alle Studien, dass der Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen auf den Autoritätsgehorsam gering ist. Autoritätsgehorsam stellt vermutlich das Ergebnis der Übernahme einer untergeordneten sozialen Rolle dar, die in Eltern-Kind-Beziehungen, Lehrer-Schüler-Beziehungen und Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehungen eingeübt wurde. Wir wissen nicht, was letztlich dafür ausschlaggebend war, dass das Niveau des Gehorsams in den 1970er Jahren und im neuen Jahrtausend auf einem ähnlich hohen Niveau gemessen wurde. Allerdings bleibt die Tatsache bestehen, dass unkritischer Gehorsam gegenüber Autoritäten bis auf den heutigen Tag ein drängendes gesellschaftliches Problem ist, das eine weitere Aufklärung der Bürger über die Gefahren des Autoritätsgehorsams erfordert. 2.2.5 Soziale Einstellungen sind zum Teil genetisch determiniert Genetische Determiniertheit des Autoritätsgehorsams Ist unkritischer Gehorsam gegen Autoritäten der Ausdruck genetischer Determiniertheit oder kommt er durch soziales Lernen zustande? Einige Hinweise auf die Beantwortung dieser Frage finden sich in Zwillingsstudien zu sozialen Einstellungen und Vorurteilen. Eaves, Eysenck und Martin (1989) konnten für die Einstellungsitems des „Public Opinion Survey“ zeigen, dass der genetische Einfluss auf Einstellungen substanziell sein kann. Er wird mit ca. 40 % Varianzaufklärung beziffert (S. 360; vgl. Riemann, im Druck, und Kapitel 5). Die problematische Persönlichkeit 39 Was besonders bemerkenswert ist: Einstellungen, deren Erbkomponente höher ist, erweisen sich als weniger beeinflussbar und sind schneller abrufbar als Einstellungen, deren Erbeinfluss geringer ist (Tesser, 1993). Beispielitems für Einstellungen mit hoher Erbkomponente sind „Die Todesstrafe ist barbarisch und sollte weiter verboten bleiben“ und „Schwarze sind angeborener Weise Weißen unterlegen“. Viele dieser Items fallen in den Bereich der autoritären Persönlichkeit: Das Plädoyer für die Todesstrafe und die Behauptung schwarzer Unterlegenheit sind Indikatoren für eine autoritäre Einstellungsstruktur. 2.3 Narzissmus: Wenn es sehr persönlich wird Begriffsklärung: Narzissmus Narzissmus lässt sich als gesteigerter Selbstwert interpretieren, der die Bodenhaftung verloren hat. Typische Tendenzen, die mit Narzissmus verbunden sind, umfassen die Wahrnehmung der eigenen Großartigkeit, das Bedürfnis, bewundert zu werden, und ein geringes Einfühlungsvermögen in die Sorgen anderer. Mit diesen Tendenzen ist verbunden, eigene Fähigkeiten und Leistungen als höher einzuschätzen als es dem Durchschnitt entspricht, Aufmerksamkeit und Zuwendung von anderen zu fordern und die Bedürfnisse der Mitmenschen zu vernachlässigen (Bierhoff & Herner, 2006). Die narzisstische Persönlichkeitsstörung wird auf Grundlage dieser Tendenzen diagnostiziert. Narzissmus ist aber auch als Eigenschaft der Normalbevölkerung von Bedeutung. Die Ausprägung des Narzissmus wird durch das „Narcissistic Personality Inventory“ (NPI; Raskin & Terry, 1988; Schütz, Markus & Sellin, 2004) gemessen. Ein Beispielitem lautet: „Es macht mir Spaß, Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein.“ Narzissten sind Nonkonformisten, die nach Unabhängigkeit streben (s. oben). Sie stellen ihre eigenen Ziele anstelle der Gruppenziele in den Vordergrund. Deshalb sind Narzissten aber keine Einzelgänger. Im Gegenteil sind sie eher extravertiert und suchen den Kontakt mit anderen. Sie streben danach, von Personen umgeben zu werden, die ihnen das Gefühl geben, etwas Besonderes darzustellen. Außerdem brauchen sie ihre Mitmenschen als Quellen von positiver Rückmeldung, die den Narzissten die heiß ersehnte soziale Anerkennung verschafft. 2.3.1 Narzissmus in der Psychoanalyse In der Psychoanalyse kommt dem Begriff des Narzissmus ein wichtiger Stellenwert zu (Bierhoff & Herner, 2009). Sigmund Freud hat entscheidend dazu beigetragen, dass Narzissmus als Merkmal der Persönlichkeit wissenschaftlich untersucht wurde. Das Phänomen des Narzissmus lässt Ableitung des Narzissmus aus der Psychoanalyse 40 Kapitel 2 sich aus dem psychoanalytischen Ansatz ableiten, wenn man bedenkt, dass die Person ihre Objektwahl entweder nach außen oder nach innen richten kann: Entweder liebt die Person eine andere Person oder sie liebt sich selbst, wenn ihre Objektwahl nach innen gerichtet ist. Die zwei Gesichter des Narzissmus Zwei weitere wichtige Vertreter der psychoanalytischen Theorie des Narzissmus sind Otto Kernberg (2006) und Heinz Kohut (1979). Kernberg betont die zwei Gesichter des Narzissmus: Hinter der nach außen kommunizierten Selbstbewunderung findet sich Verunsicherung aufgrund von Selbstzweifeln und Misserfolgsängsten. Daher ist die Persönlichkeitsstruktur des ängstlichen Narzissmus brüchig und defensiv. Wink (1991) konnte in Übereinstimmung mit dieser Analyse zeigen, dass die narzisstische Persönlichkeit zwei Dimensionen aufweist, die als offener und verdeckter Narzissmus bezeichnet werden können (Rose, 2002). Der offene Narzissmus, den Wink mit „Grandiosität-Exhibitionismus“ bezeichnet, ist durch Grandiosität des Selbst gekennzeichnet und beinhaltet Selbstbezogenheit, Exhibitionismus und Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen anderer. Diese Siegerorientierung findet sich häufig bei erfolgreichen Narzissten. Der verdeckte Narzissmus hängt mit Misserfolgen zusammen. Er beinhaltet Gefühle der Minderwertigkeit, die mit der Sorge verbunden sind, dass andere negative Bewertungen des eigenen Selbst abgeben könnten. Er umfasst Eigenschaften wie Defensivität, Ängstlichkeit und Empfindlichkeit gegenüber Kritik und wird deshalb auch mit „Vulnerabilität-Sensitivität“ bezeichnet. Ängstliche Narzissten sind zwischen Gefühlen der eigenen Großartigkeit und der Angst, unterlegen und schwach zu sein, hin und her gerissen (Pincus et al., 2009). Merke Es gibt Hinweise auf Kernmerkmale des Narzissmus, die in beiden Formen des Narzissmus enthalten sind. Dazu gehören die Eigenschaften arrogant, intolerant und verlogen. Narzissten streben typischerweise nach sozialem Aufstieg und verteidigen ihre Privilegien notfalls auch mit illegitimen Mitteln. Narzissten idealisieren sich selbst Heinz Kohut folgt Freud in der Annahme, dass Narzissten in anderen Personen sich selbst lieben. Narzissten streben danach, sich selbst in anderen zu spiegeln. Die Idealisierung des Selbst führt dazu, dass das eigene Spiegelbild ebenfalls einer Idealisierung entspricht. Eine weitere Erkenntnis von Kohut besteht darin, dass Narzissten durch die Assoziation mit bedeutsamen anderen versuchen, ihre eigene Bedeutung zu steigern. Narzissten suchen also nicht nur allgemein danach, soziale Kontakte auszubauen, sondern ihnen geht es auch darum, dass der Glanz von bedeutsamen anderen auf sie selbst abfärbt. Dieses Phänomen wird als „basking in reflected glory“ bezeichnet (Cialdini et al., 1976; vgl. Kapitel 1). Die problematische Persönlichkeit Es ist z. B. auch bei Sportveranstaltungen zu beobachten, wenn sich viele danach drängen, in der Nähe der Sieger aufzutreten. Die genannten narzisstischen Tendenzen sind wohlbekannt, da sie abgeschwächt auch bei Nichtnarzissten zu beobachten sind. Menschen zeigen generell einen „Besser-als-der-Durchschnitt-Effekt“, sie streben nach positivem Selbstwert und unterliegen der Versuchung, sich mit Siegern zu verbinden und sich von Verlierern zu distanzieren (vgl. Kapitel 1). Der pathologische Narzissmus besteht darin, dass diese alltäglichen Tendenzen übersteigert und verabsolutiert werden, so dass sie für Beobachter bis ins Lächerliche verzerrt sind. 2.3.2 41 Narzisstische Tendenzen sind auch bei Nichtnarzissten erkennbar Narzissten sind sozial unverträglich Narzissten sind für ihre Mitmenschen nur schwer erträglich. Wenn sie etwa in einer Partnerschaft leben, sind sie für ihren Partner eine schwere Last, da sie verlangen, dass sich alles um ihre Bedürfnisse dreht. Durch ihr Selbstvertrauen, ihren Charme und ihre Extraversion gelingt es Narzissten leicht, Beziehungen anzubahnen. Hat sich die Beziehung aber einmal etabliert, dominieren die negativen Tendenzen des Narzissmus, die eine gleichberechtigte Partnerschaft, die durch Rücksicht und gegenseitige Unterstützung gekennzeichnet ist, ausschließen. Wie ein gerissener Geschäftsmann verspricht der Narzisst anfangs viel, um dann aber später einen geringeren Warenwert zu liefern (Campbell, 2005). Narzissten sind schwierige Beziehungspartner Das agentische Modell des Narzissmus geht davon aus, dass die Grundlage des Narzissmus eine instrumentelle Orientierung ist, die mit dem Wunsch nach Selbstachtung und einem überhöhten Selbstbild kombiniert ist (Campbell, Brunell & Finkel, 2006). Besonders hervorzuheben sind die interpersonalen Fähigkeiten der Narzissten, die Sicherheit ihres Auftretens, ihr Charme, ihr Charisma und die selbst wahrgenommene hohe eigene Attraktivität. Was das zuletzt genannte Phänomen angeht, konnten Rohmann, Bierhoff und Schmohr (im Druck) zeigen, dass Narzissten in Partnerschaften ihre eigene Attraktivität als höher einschätzen als die des Partners und sich dementsprechend als unterbelohnt einschätzen. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass Narzissten davon überzeugt sind, mehr zu verdienen als sie bekommen. Narzissten sind häufig latent unzufrieden, weil sie dazu neigen, ihren Beitrag relativ zu dem Beitrag anderer zu überschätzen. Das agentische Modell des Narzissmus bezieht instrumentelle Orientierung ein Narzissten verfügen über einen positiven und inflationären Selbstwert, der sich auf ihre Fähigkeiten, Eigenschaften und Leistungen bezieht. Dieser wird als narzisstischer Selbstwert bezeichnet. Er ergibt sich aus dem Wechselspiel zwischen der narzisstischen Persönlichkeit, den damit verbundenen interpersonalen Strategien und interpersonalen Fähigkeiten. Narzissten besitzen einen überhöhten Selbstwert und fürchten zu hohe Intimität 42 Kapitel 2 Das Überwiegen der agentischen gegenüber den kommunalen Belangen führt dazu, dass Narzissmus durch ein geringes Interesse an intimen Beziehungen gekennzeichnet ist. Das auch deshalb, weil Narzissten sich davor fürchten, durchschaut zu werden. Hohe Intimität würde dem anderen einen weitgehenden Einblick in die inneren Vorgänge des Narzissten verschaffen, die er aber für sich behalten möchte. 2.3.3 Gesunder vs. ungesunder Narzissmus Gesunder und ungesunder Narzissmus Emmons (1987) unterschied zwischen dem gesunden und dem ungesunden Narzissmus. Er leitete auf der Grundlage der Items des NPI von Raskin und Terry (1988) vier Dimensionen ab, die den Antworten der Befragten zugrunde liegen: Führung/Autorität: die eigenen Führungsqualitäten hoch einschätzen, Überlegenheit/Arroganz: andere für unterlegen halten und überheblich auftreten, Selbstbezug/Selbstbewunderung: eine egozentrische Perspektive vertreten und sich für etwas Besonderes halten, Ausbeutung/Anspruch: Manipulation anderer gepaart mit hohen Ansprüchen in Bezug auf das, was einem zusteht. Die drei erstgenannten Dimensionen lassen sich der gesunden Seite des Narzissmus zuordnen, da sie einen positiven Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit aufweisen. Hingegen ist die Dimension Ausbeutung/Anspruch eher ungesund (Watson & Biederman, 1993). Viele Narzissten sind besorgt aufgrund der Möglichkeit, dass ihre Ansprüche nicht erfüllt werden (Bierhoff & Herner, 2009). Das Problem liegt in der eingeschränkten Verträglichkeit der Narzissten, die in Kombination mit der hohen Extraversion die Bezeichnung „unverträgliche Extravertierte“ rechtfertigt (Paulhus, 2001). Ein Beispiel für das überzogene Anspruchsdenken der Narzissten wurde mit der Tendenz, sich in der Partnerschaft benachteiligt zu fühlen, weil sie ihre eigene Attraktivität überschätzen, schon genannt. Die Neigung zum Anspruchsdenken und die damit zusammenhängende Ausbeutungstendenz stellt das interpersonelle Konfliktpotenzial der Narzissten dar. Die negativen Reaktionen der Interaktionspartner schaden der psychischen Gesundheit und stellen den Erfolg der zwischenmenschlichen Strategie der Narzissten in Frage. Im Folgenden befassen wir uns mit dem Dominanzstreben. Nach Barkow (1975) dient das Dominanzstreben dem Aufbau eines hohen Selbstwerts. Es ist dementsprechend mit der narzisstischen Persönlichkeit kompatibel; denn Narzissten schätzen es besonders, sich in einer dominanten Position zu befinden. Die problematische Persönlichkeit 2.4 43 Soziale Dominanzorientierung Soziale Dominanzorientierung (SDO) stellt eine Ideologie dar. Ideologien sind mit einer bestimmten sozialen Konstruktion der Wirklichkeit verbunden. Wer die Welt als Dschungel wahrnimmt, in dem jeder gegen jeden um das beste Ergebnis kämpft, stimmt mit der Ideologie der SDO überein (Sidanius & Pratto, 1999). Bei hoher SDO ist die Person bereit, sich dafür zu engagieren, die eigene Dominanzstellung aufzubauen, aufrechtzuerhalten und gegen Bedrohungen zu verteidigen. Diese Bereitschaft weist Parallelen zum Narzissmus auf, da es bei beiden Merkmalen um die Durchsetzung des eigenen Aufstiegs und die defensive Verteidigung hoher Ansprüche geht. Unterschiede liegen darin, dass SDO auf die Aufrechterhaltung des hierarchischen Gesellschaftssystems gerichtet ist, während Narzissmus der Absicherung eines überhöhten Selbstwerts dient. 2.4.1 Durch welche Merkmale ist Soziale Dominanzorientierung gekennzeichnet? Gesellschaftliche Minderheiten werden bei hoher SDO abgewertet, während die Eigengruppe favorisiert wird. Die Favorisierung der Eigengruppe tritt auch bei hohem Autoritarismus auf. Daher kann es nicht verwundern, dass zwischen beiden Konstrukten ein positiver Zusammenhang besteht. Merke Die stärksten Vorurteile finden sich bei Personen, die sowohl hohe SDO-Werte als auch hohe Autoritarismuswerte aufweisen (Altemeyer, 1998)! Die zugrunde liegende Ideologie der SDO umfasst ethnozentrische, nationalistische und rassistische Tendenzen. In diesem Zusammenhang ist auch die relative Abwertung von Frauen im Vergleich zu Männern zu erwähnen. Gleichzeitig gilt, dass Männer im Durchschnitt mehr SDO zum Ausdruck bringen als Frauen (Sidanius & Pratto, 1999). SDO hat eine große Bedeutung für interpersonelle Beziehungen, wie sich am Beispiel der Beziehung zwischen Führung und Geführten zeigen lässt. In dieser Beziehung ergibt sich eine kritische Passung, wenn die hohe SDO der Führer mit hohem Autoritarismus der Geführten einhergeht (Son Hing, Bobocel, Zanna & McBride, 2007). SDO lässt sich mit einem Fragebogen messen, dessen deutsche Version von Six, Wolfradt und Zick (2001) vorgelegt wurde. Ein Beispielitem lautet: „Einige Gruppen sind anderen einfach unterlegen.“ Gute Zusammenfassungen der Theorie der sozialen Dominanz werden von Six (2008) und Zick und Küpper (2006) gegeben. Merkmale der Sozialen Dominanzorientierung 44 Kapitel 2 2.4.2 Experimentelle Studien: Gier als Folge von Verlusten Gegenmaßnahmen bei Bedrohung der eigenen Dominanzerwartung Experimentelle Ergebnisse zeigen, dass hohe SDO eine Besorgnis wegen der Verletzung der eigenen Dominanzerwartung auslöst. Diese Besorgnis führt zu Gegenmaßnahmen, um die Dominanzposition zurückzugewinnen, wie die folgende Untersuchung zeigt. Persönlicher Nachteil und SDO Cozzolino und Snyder (2008) gaben Personen Gelegenheit, von 22 Gewinnlosen so viele zu nehmen, wie sie wollten. Auf diese Weise wurde Gier gemessen. Der wahrgenommene Erfolg bei einer Leistungsaufgabe wurde experimentell abgestuft, indem die Versuchsteilnehmer in den Glauben versetzt wurden, dass sie sehr gut oder sehr schlecht abgeschnitten hatten. Wenn das Ergebnis positiv ausgefallen war, ergab sich kein Zusammenhang zwischen SDO und Gier. Wenn das Ergebnis aber negativ ausgefallen war, erwiesen sich Personen, die eine hohe SDO hatten, als gieriger als Personen, die eine niedrige SDO hatten. Hohe SDO verbunden mit schlechter Leistung führte dazu, dass die Person besonders viele Lose entnahm (vgl. Abb. 2). hohe Belohnung niedrige Belohnung Abbildung 2: Durchschnittliche Anzahl entnommener Lose als Funktion der SDO und der Belohnungshöhe In einem zweiten Experiment wurde abgestuft, ob die Person bei einer Aufgabe relativ zu anderen Mitspielern gleiche Chancen hatte oder benachteiligt oder bevorzugt war. Die Versuchsteilnehmer konnten sich bei der Lösung der Aufgabe besonders anstrengen. Die Extraanstrengung fiel besonders hoch bei denjenigen aus, die eine hohe SDO hatten und bei der Aufgabe benachteiligt worden waren. Die Ergebnisse sind in Abbildung 3 dargestellt. Sowohl die Höhe der Belohnung als auch die Benachteiligung bei den Erfolgsaussichten in einem Wettbewerb mit anderen stehen mit der SDO in einer Wechselwirkung. So lange Personen bekommen, was sie erwarten oder sogar in ihren Erwartungen übertroffen werden, wirkt sich SDO nicht messbar auf die Reaktion aus. Wenn aber die Erwartungen durch ein negatives Ereignis verletzt werden, reagieren Personen mit hoher SDO anders als solche mit niedriger SDO. Nur die ersteren intensivieren ihre Anstrengungen, um ihre Die problematische Persönlichkeit 45 Ansprüche durchzusetzen. Vermutlich reagieren sie deshalb auf diese Art und Weise, weil sie besonders hohe Ansprüche haben und die Verletzung der Erwartung für sie besonders schmerzlich ist. Daher versuchen sie, diese Infragestellung ihrer SDO durch Gegenmaßnahmen zu kompensieren. Benachteiligung gleiche Chancen Bevorzugung Abbildung 3: Durchschnittliche Extra-Anstrengung als Funktion der SDO und der Chance zu gewinnen Zusammenfassung Die Gegenüberstellung von Autoritarismus und Autoritätsgehorsam stellt den Kontrast zwischen einer dispositionalen und einer situativen Beeinflussung menschlichen Sozialverhaltens dar. Während der Autoritarismus Stereotype und Vorurteile impliziert, ist der Autoritätsgehorsam Ausdruck von sozialem Druck, der unter dem Deckmantel einer seriösen Autorität ausgeübt wird. Autoritätsgehorsam setzt keine dispositionale Autoritätshörigkeit voraus. Vielmehr baut er auf dem Eltern-Kind-Rollenschema auf, durch das das Kind darauf vorbereitet wird, Anordnungen von Autoritäten zu erfüllen. Dieses Rollenschema kann im weiteren Lebenslauf durch Lehrer-Schüler- und Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehungen verfestigt werden. Narzissmus ist durch Selbstbezogenheit und Überheblichkeit gekennzeichnet, die zu übertriebenem Anspruchsdenken führen. Als Folge davon neigen Narzissten dazu, andere zu ihrem eigenen Vorteil auszubeuten und dadurch interpersonelle Konflikte hervorzurufen. Während der offene Narzissmus eine Siegermentalität zum Ausdruck bringt, beinhaltet der verdeckte Narzissmus Selbstzweifel und Ängstlichkeit. Narzissten sind häufig latent unzufrieden, weil sie ihre hohen Erwartungen nicht vollständig erfüllen können. Hohe Soziale Dominanzorientierung beinhaltet die Akzeptanz von gesellschaftlichen Hierarchien. Sie hängt einerseits mit dem Streben nach Dominanz über andere und andererseits mit Intergruppendiskriminierung zusammen, da gesellschaftliche Minderheiten abgewertet werden. Während Narzissmus dem Streben nach einem überhöhten Selbstwert dient, beruht Soziale Dominanzorientierung auf einer systemischen Perspektive. Beiden Konzepten gemeinsam sind aber das Streben nach Aufstieg und die defensive Verteidigung der eigenen Position. 46 Kapitel 2 Weiterführende Literatur Bierhoff, H. W. & Herner, M. J. (2009). Narzissmus. Die Wiederkehr. Bern: Huber. Six, B. (2002). Theorien ideologischer Systeme: Autoritarismus und soziale Dominanz. In D. Frey & M. Irle (Hrsg.), Theorien der Sozialpsychologie: Motivations-, Selbst- und Informationsverarbeitungstheorien (Bd. III, S. 74– 100). Bern: Huber. Schwarz weiß denken, befolgen von autorität, besitzen von stereotypen, eigengruppe bevorzugen Wunsch bewundert zu werden, sich besser als andere empfinden, eigen gloriosität, nicht wahrnehmen von emotionen anderer, wunsch nach anerkennung Offene: eigen verherlichung Verdekte: Minderwertigkeitskomplexe Kombination von autoritärer und sozial Dominanz orientiert Reflexionsaufgaben 1. Welche Merkmale kennzeichnen die autoritäre Persönlichkeit? 2. Welche Eigenschaften charakterisieren einen Narzissten? 3. Worin besteht der Unterschied zwischen dem offenen und dem verdeckten Narzissmus? 4. Bei welcher Kombination von problematischen Persönlichkeitseigenschaften sind Vorurteile am stärksten ausgeprägt? Lösungshinweise finden Sie auf Seite 145. Kapitel 3 Konsistenztheorien Claudia Peus, Dieter Frey und Susanne Braun Inhaltsübersicht 3.1 Grundannahmen der Dissonanztheorie 49 3.2 Dissonanzreduktion 50 3.2.1 Situationen, in denen Dissonanz und deren Reduktion häufig auftreten 50 Bedingungen, unter denen eine Dissonanzreduktion häufig nicht nachweisbar ist 56 3.3 Anwendungsgebiete 58 3.4 Die Theorie der kognitiven Balance 60 3.5 Kongruitätstheorie (Osgood und Tannenbaum) und affektiv-kognitive Konsistenztheorie (Rosenberg) 63 Reflexionsaufgaben 66 3.2.2 48 Kapitel 3 Schlüsselbegriffe Grundannahmen der Dissonanztheorie: Kognitive Inkonsistenzen lösen einen unangenehmen inneren Spannungszustand aus Dissonanzreduktion durch Hinzufügen konsonanter und Abziehen oder Ersetzen dissonanter Kognitionen Dissonanzfördernde Faktoren: Entscheidungen, forcierte Einwilligung und freiwilliges Engagement Dissonanzhemmende Faktoren: Selbstbekräftigung und Fehlattribution des Spannungszustands Menschen streben nach Konsistenz Unangenehmer Spannungszustand durch kognitive Inkonsistenzen Den Konsistenztheorien gemeinsam ist die Annahme, dass Personen danach streben, ihre Kognitionen (also Einstellungen, Überzeugungen, Standpunkte etc.) so zu organisieren, dass kein Widerspruch zwischen ihren verschiedenen Kognitionen oder zwischen ihren Kognitionen und ihren Verhaltensweisen besteht. Wenn dies der Fall ist, sind die Kognitionen einer Person konsistent. Führt eine Person nun aber ein Verhalten aus (z. B. raucht mehrmals täglich), das ihren Kognitionen (z. B. „Ich lebe gesund.“) widerspricht, dann gerät die Person in den Zustand kognitiver Inkonsistenz. Dieser Zustand ist für die Person mit Spannung verbunden und somit unangenehm. Entsprechend wird die Person versuchen, die Kognitionen (wieder) in Übereinstimmung zu bringen, indem sie z. B. einzelne Kognitionen ändert (z. B. „Zigaretten sind gar nicht so gesundheitsschädlich wie oft geschrieben wird.“). Basierend auf diesem Grundgedanken, dass Menschen nach Konsistenz streben, also nach Übereinstimmung in ihrem kognitiven System, wurden eine Reihe von Theorien entwickelt. Die wichtigsten sind Folgende: 1. Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger, 2. Balancetheorie von Heider, 3. Kongruitätstheorie von Osgood und Tannenbaum, 4. Affektiv-kognitive Konsistenztheorie von Rosenberg, 5. Konsistenztheorie von Newcomb. Darüber hinaus wurden von McGuire, Rokeach und Rothman, Feather et al. weitere konsistenztheoretische Ansätze entwickelt, die allerdings weniger empirische Beachtung fanden. Im Folgenden werden die Theorie der kognitiven Dissonanz, die Balancetheorie von Heider sowie die Kongruitätstheorie von Osgood und Tannenbaum und die affektiv-kognitive Konsistenztheorie von Rosenberg dargestellt. Dabei wird die Theorie der kognitiven Dissonanz am ausführlichsten behandelt, da sie am meisten Forschung nach sich gezogen und wichtige Erkenntnisse für die Praxis ermöglicht hat. Konsistenztheorien 3.1 49 Grundannahmen der Dissonanztheorie Die Theorie der kognitiven Dissonanz gilt als die wichtigste Theorie der Sozialpsychologie, denn sie hat mehr Forschung angeregt als jede andere Theorie in diesem Bereich. Die Erkenntnisse daraus werden in den verschiedensten Gebieten angewandt, wie bei der Prävention von Krankheiten, der Therapie von Phobien oder in der Werbepsychologie. Urvater der Dissonanztheorie ist Leon Festinger, der die Grundzüge schon 1957 formuliert hat. Wie bei allen anderen Konsistenztheorien geht man davon aus, dass Menschen in ihrem psychischen System nach Konsistenz streben, d. h. danach, dass ihre verschiedenen Kognitionen in Übereinstimmung miteinander stehen und ihr gezeigtes Verhalten diesen entspricht. Wenn jedoch im kognitiven System einer Person zwei Kognitionen auftauchen, die miteinander unvereinbar sind, dann entsteht ein unangenehmer Erregungszustand, den Festinger Dissonanz nennt (Festinger, 1957; Harmon-Jones, 2000). Der Begriff „unvereinbar“ bezieht sich dabei nicht notwendigerweise auf Unvereinbarkeiten, die aus den Gesetzen der Logik folgen, sondern auf psychologische Unvereinbarkeiten. Kognitionen, die für die eine Person zu vereinbaren sind, können daher möglicherweise von einer anderen Person für unvereinbar gehalten werden. Dissonanz = unangenehmer Erregungszustand durch zwei unvereinbare Kognitionen Merke Das Ausmaß der Dissonanz ist durch das Verhältnis