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Gesellschaftliche und soziale Verantwortung 5. Zusammenfassung 5.1. Sustainable Development Goals und UN Global Compact – das erste Kapitel Das erste Kapitel des Skriptums befasst sich in methodischer Hinsicht mit den unterschiedlichen Konzeptionen der angewandten Ethik als Teilbereich...

Gesellschaftliche und soziale Verantwortung 5. Zusammenfassung 5.1. Sustainable Development Goals und UN Global Compact – das erste Kapitel Das erste Kapitel des Skriptums befasst sich in methodischer Hinsicht mit den unterschiedlichen Konzeptionen der angewandten Ethik als Teilbereich der Philosophie. Dabei lässt sich festhalten, dass es keine einheitliche Definition von „Philosophie“ geben kann, da die Frage nach der Definition von „Philosophie“ selbst eine philosophische Frage ohne allgemeingültige Merksatz Antwort ist. Konzeptionell wird die Philosophie in einen praktischen und einen theoretischen Zweig unterteilt. Die praktische Philosophie, die Ethik, versteht die Theoriebildung und das Erkenntnisinteresse im Hinblick auf praktische Fragestellungen und Probleme, für die sie Lösungen und Konzeptionierungen formulieren möchte. Im Gegenzug dazu sieht die theoretische Philosophie den Erkenntnisgewinn als Selbstzweck. Hierbei liefern ein Drei-Ebenen-Modell von Ethik als deskriptive, normative und Metaethik sowie die strikte Abgrenzung von Ethik und Moral einen guten Startpunkt für die weitere Beschäftigung mit philosophischen Fragestellungen. Dabei kann man sich die einzelnen Ebenen auch als aufeinander aufbauende Abstraktionsstufen vorstellen. Während die Moral das Untersuchungsobjekt darstellt, ist die Ethik die wissenschaftliche Theorie der Moral und die Metaethik wiederum die Wissenschaftstheorie der Ethik. Die deskriptive Ethik ist nicht Teil der Philosophie und beschreibt Moral lediglich. Spricht man von philosophischer Ethik ist daher stets normative Ethik gemeint. Entscheidend ist, dass für die angewandte Ethik als Teilbereich der normativen Ethik vor allem die Methodiken ihrer Theoriebildung konstitutiv sind. Top-down-Modelle verfahren deduktiv, während Bottom-up-Modelle Merksatz induktiv vorgehen. Die deduktive Methode versucht, aus allgemeinen ethischen Prinzipien konkrete Handlungsanweisungen abzuleiten. Die induktive Methode versucht hingegen, aus empirischen Einzelfällen allgemeine ethische Prinzipien zu formulieren. Die deduktive Methodik ist genuin Teil der philosophischen Ethik, indem sie versucht, konkrete ethische Herausforderungen bezogen auf die ethischen Theorien der philosophischen Tradition zu lösen. Beide Methoden kommen in unterschiedlichen thematischen Kontexten der Bereichsethiken zum Einsatz. Hier lässt sich aber festhalten, dass es keine universal gültige 121 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung systematische Einteilung der Bereichsethiken in der philosophischen Ethik gibt. Zudem sind Umfang und Basis der jeweiligen Bereichsethiken zumeist nicht klar definiert. Auch die Abgrenzung zur angewandten Ethik ist je nach methodologischer Ausrichtung (deduktive Modelle oder induktive Modelle) strittig. Jedenfalls bilden die deduktiven und induktiven Methodiken der angewandten Ethik einen entscheidenden Kern der wissenschaftlichen Theoriebildung in den Bereichsethiken. Der Verantwortungsbegriff ist in den Merksatz Bereichsethiken insofern zentral, als er – ähnlich wie die Bereichsethiken – einen inhärenten Praxisbezug aufweist. Wendet man sich nun dem Verantwortungsbegriff in seiner historischen Genese zu, so zeigt sich, dass im Konzept der Verantwortung bereits die Idee eines Rede-und-Antwort-Stehens für eigene Taten beinhaltet ist. Für diesen Vorgang des „Antwortens“ müssen gewisse philosophische Vorbedingungen (wie z. B. Freiheit des Handelns oder kausale Verursachung) gegeben sein. Die griechisch-römische Antike bezieht sich primär auf den Begriff des „Freiwilligen“ oder dessen, „was bei uns liegt“. Zentral ist für die Gruppe antiker Denker also die Frage, inwieweit Menschen in ihrem Handeln frei sind und welche Rolle das Schicksal oder die Natur dabei spielen. Nur wer frei handelt, kann auch für sein Handeln verantwortlich gemacht werden. Ausgehend von dieser philosophischen Basis verlagert sich die Diskurstradition im Mittelalter dann zusehends in den theologischen Bereich. Hierbei ist die Idee einer individuellen Verantwortung gegenüber Gott bzw. der Strafe und Belohnung im Jenseits zentral. Da die christlichen Denker der Spätantike und des Mittelalters von der Güte und Vollkommenheit Gottes überzeugt sind, kann die Sünde folglich nicht das Resultat einer Naturanlage sein, sondern muss vielmehr im menschlichen Vermögen zum willentlichen Handeln begründet sein. Somit ist der Mensch für seine Sünden selbst verantwortlich. Diese theologische Tradition setzte sich in der Neuzeit unter veränderten Vorzeichen in der sogenannten Theodizee-Debatte fort. Kurz gesagt, fragt die Theodizee-Debatte nach der Verantwortung Gottes für das Böse in der Merksatz Welt. Eine weitere entscheidende Wendung in der bewegten Geschichte der Verantwortungskonzeption zeigt sich im Zeitalter der Aufklärung. Hierbei wird der zuvor aus dem Englischen übernommene Begriff der „responsibility“ in seiner französischen Version (französisch: responsabilité) zum Modewort der französischen Revolution. Gleichzeitig begründet sich hier die heutige entscheidende Differenzierung des Verantwortungsbegriffes als ethische Verantwortung (englisch: 122 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung responsibility), rechtliche Verantwortung (englisch: liability) und soziale Verantwortung (englisch: accountability). Die moderne deutsche Version der „Verantwortung“ leitet sich von der „Zurechnung“ (eine direkte Übersetzung der lateinischen „imputatio“) ab. Als solche stand die „Zurechnung“ genauso wie ihre jüngere Schwester – die Merksatz „Verantwortung“ – von jeher im juristischen Kontext einer Verteidigung oder Rechtfertigung. Der philosophische Bedeutungswandel des Verantwortungsbegriffes und seine zunehmende Rezeption lassen sich – in unterschiedlicher Ausprägung – ab Anfang des 19. Jahrhunderts beobachten. Zunächst wird der Verantwortungsbegriff primär im existenziell-individuellen Kontext rezipiert, bis sich der Fokus nach 1945 vermehrt auf die Verantwortung gesellschaftlicher Systeme richtete. Eine besondere Bedeutung erfährt der Verantwortungsbegriff im 20. Jahrhundert bei Hans Jonas. Jonas kann auch als beispielhafter Autor für eine entscheidende Weiterentwicklung des Verantwortungsbegriffs im 20. Merksatz Jahrhundert verstanden werden. Jonas geht davon aus, dass die Menschheit im Laufe ihrer Geschichte noch nie zuvor der Möglichkeit, ihre eigene Vernichtung herbeizuführen, gegenübergestanden hatte. Jonas’ sogenannte Vermeidungsethik dient also primär dem Ziel, das ultimative Übel – die (Selbst-)Vernichtung der Menschheit – zu verhindern. Konstitutiv für den Aufstieg des Verantwortungsbegriffs zur ethischen Schlüsselkategorie sind nicht zuletzt die ökonomischen, technischen und gesellschaftlichen Veränderungen im Verlauf der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Zu den bedeutendsten Entwicklungen zählen hierbei die wachsende Arbeitsteilung und Ausdifferenzierung einzelner Arbeitsgebiete, der Übergang von primär zwischenmenschlichen Beziehungen hin zu anonymen Marktbeziehungen sowie der Einsatz neuer Technologien (etwa der Nuklearenergie) mit potenziell verheerenden Folgen. Diese Entwicklungen machten nicht zuletzt die Zurechnung von Handlungsfolgen zu einzelnen Akteurinnen schwierig. In diesem Zusammenhang kommt dem Nachhaltigkeitsbegriff eine besondere Bedeutung in der Verantwortungsdebatte zu. Dabei ist der Nachhaltigkeitsbegriff sowohl in der Umwelt- und Klimaethik als auch in der Merksatz breiteren Debatte der Klimaverantwortung von Bedeutung. Basierend auf der inhärenten (intergenerationalen) Gerechtigkeitskonzeption muss Nachhaltigkeit als grundsätzlich normativer Begriff verstanden werden. Dabei ist vor allem die Unterscheidung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen von ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit relevant. Zusammen werden diese drei Nachhaltigkeitsdimensionen, die nicht im Sinne singulärer Säulen, sondern als sich wechselseitig aufeinander 123 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung beziehende Dimensionen zu verstehen sind, auch als Triple-Bottom-Line bezeichnet. Diese bedeutende Trias wird in unterschiedlichen Kontexten aufgegriffen und fortgeführt. Dabei beziehen sich etwa die Sustainable Development Goals (SDGs) der UN oder die ESG-Standards (englisch: Environmental, Social und Governance) für sozial verantwortliche Investmentoptionen zentral auf die genannten Nachhaltigkeitsdimensionen. Darüber hinaus entsprechen die einzelnen Aspekte des fairen Handels in Grundzügen den Dimensionen ökonomischer, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit. Besonders Konzepte der unternehmerischen Verantwortung weisen einen starken inhaltlichen Bezug zur Nachhaltigkeitsdebatte auf. 5.2. Verantwortung als philosophisches Arbeitsfeld: das zweite Kapitel Das zweite Kapitel des Skriptums beschäftigt sich mit dem Verantwortungsbegriff als solchem. Hierzu wird zuerst eine umfassende Definition des Verantwortungsbegriffs illustriert. Im Unterschied zum vorangegangenen Kapitel stehen nicht die historische Genese, sondern konzeptionelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Verantwortungsdefinitionen im Zentrum. Damit stellt das zweite Kapitel das theoretische Hauptstück des Skriptums dar. Ausgehend von einer vierteilige Definition des Verantwortungsbegriffes in der philosophischen Fachliteratur wird der Verantwortungsbegriff im Hinblick auf seine rechtliche, ethische, individuelle, kollektive und soziale Dimension hin untersucht. Vorbedingung dafür ist jedoch eine kurze Reflexion der philosophischen Wesensbestimmung der Definition selbst. Dabei konnte gezeigt werden, dass sich im Zuge einer philosophischen Definitionsanalyse im Kontext des Verantwortungsbegriffes nicht nur verschiedene Definitionen auf sprachlicher Ebene unterscheiden lassen, sondern dass Definitionen auch methodisch und erkenntnistheoretisch auf verschiedene Aspekte einer Sache abzielen können. Das philosophische Hauptproblem besteht also darin, dass Definitionen nicht nur rein quantitativ anhand verschiedener kontextabhängiger sprachlicher Bestimmungen unterschieden werden können, sondern auch qualitativ anhand verschiedener Grundlagen der besagten Definitionen selbst. 124 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Michael Quante beschreibt diese Problematik (mit Rückgriff auf den britischen Philosophen George E. Moore) mit einer Differenzierung von drei verschiedenen Arten der Definition. Zum einen lässt sich eine sogenannte Merksatz nominale Definition eines Sachverhalts, eines Konzepts oder einer Sache angeben. Dabei legt ein Autor oder eine Gruppe von Autoren fest, einen Begriff mit einer bestimmten Bedeutung zu definieren und im weiteren Verlauf nur so zu gebrauchen. Als zweite Definitionsart lässt sich die sogenannte Standarddefinition unterscheiden. Standarddefinition in diesem Sinne meint die Definition im Sinn des alltäglichen Wortgebrauchs. Diese Standarddefinition kann man etwa in Wörterbüchern finden. Zuletzt lässt sich in diesem Kontext die sogenannte Realdefinition unterscheiden. Die Realdefinition zielt – anders als die nominale Definition und die Standarddefinition – nicht auf eine Bedeutungs- und Verwendungsanalyse der Sprache ab, sondern bezieht sich auf eine Analyse der mit der Sprache bezeichneten Gegenstände selbst. In praktischer Hinsicht muss gezeigt werden, dass Verantwortungszuschreibungen unterschiedlicher Arten in der gesellschaftlichen und medialen Debatte dargestellt werden. Der Verantwortungsdiskurs ist trotz seiner theoretischen und interdisziplinären Vielfalt keineswegs auf akademische Debatten im berüchtigten „Elfenbeinturm“ beschränkt. Der wissentliche Rechtsbruch der deutschen Kapitänin des Seenotrettungsschiffes Sea-Watch 3, Carola Rackete, zeigt exemplarisch, wie Verantwortung proaktiv übernommen werden kann. Gleichzeitig zeigt Merksatz der Fall des italienischen Kapitäns des havarierten Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia, Francesco Schettino, wie Verantwortung von außen zugeschrieben werden kann. Dabei spielten in beiden Fällen konkrete Rollenverantwortungen sowie eine Differenzierung von rechtlichen und moralisch-ethischen Dimensionen der Verantwortung eine zentrale Rolle. Vor diesem Hintergrund wurden vier konkrete Verantwortungsdefinitionen skizziert. Hierbei kann in Bezug auf die vier von Heidbrink vorgeschlagenen Verantwortungsdefinitionen festhalten werden, dass die erste Verantwortungsdefinition eine Differenzierung von Zurechnungsverantwortung und Zuständigkeitsverantwortung vornimmt. Die Zurechnungsverantwortung wird im Nachhinein von anderen zugeschrieben, die Zuständigkeitsverantwortung im Vorhinein von selbst übernommen. Die erste basiert auf der Verletzung etablierter moralischer Merksatz oder rechtlicher Normen, die zweite auf einer Selbstverpflichtung und bestimmten Rollenerwartungen. Sie bilden zusammen einen objektiven und subjektiven Pol der Verantwortung und ergänzen sich gegenseitig – insofern 125 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Verantwortung gemäß ihrer Grunddefinition stets sowohl zugerechnet und übertragen als auch übernommen und vorgefunden werden kann. Die zweite Verantwortungsdefinition versteht Verantwortung als folgenbasiertes Legitimationsprinzip. Dabei werden konzeptionell eine prospektive Ex-post-Verantwortung und eine retrospektive Ex-ante- Verantwortung unterschieden. Zudem lassen sich Handlungsfolgen in die drei Klassen beabsichtigter Folgen, vorhergesehener und bloß in Kauf genommener sowie unvorhergesehener Handlungsfolgen unterteilen. Verantwortung als kontextualistisches Reflexionsprinzip beschreibt den Verantwortungsbegriff als Reflexionsprinzip auf der Suche nach adäquaten Entscheidungsgründen vor dem Hintergrund komplexer Handlungsfelder. Dabei sind kontextsensitive Entscheidungen grundsätzlich durch Reflexion zwischen universellen und partikularen Gründen gekennzeichnet. Unter Verantwortung als Struktur- und Steuerungselement fasst Heidbrink die Verantwortlichkeit komplexer Systemprozesse im Hinblick auf die Rahmenregeln, Kontextgestaltung und Selbstverpflichtung der beteiligten Akteurinnen zusammen. Diese agierenden Personen bestehen in modernen, transnationalen Gesellschaften zumeist aus den Grundpolen von Markt, Staat und Zivilgesellschaft. Dabei skizziert Heidbrink auch die sogenannte Systemverantwortung. Diese bezieht sich auf die Systemtheorie, die von der Eigendynamik sozialer Subsysteme und deren Selbstorganisation ausgeht. Gegenstand dieser Merksatz Systemverantwortung sind jene Systemprozesse, die durch Handlungsprozesse begründet werden, sich aber nicht aus diesen herleiten lassen. Ziel der Systemverantwortung ist es, soziale Subsysteme mit autonomer Verantwortungsbereitschaft auszubilden. Dabei ist etwa die Fokussierung auf Designverantwortung von Entscheidungsressourcen oder die starke Kontextsteuerung durch Selbstregulierung in kooperativer Abstimmung mit anderen Akteurinnen von Bedeutung. Vor dem konzeptionellen Hintergrund möglicher Verantwortungsdefinitionen wird der Verantwortungsbegriff im klassischen Verantwortungsmodell als relationaler Begriff mit den vier Relata von Merksatz Objekt, Subjekt, Wertesystem und Instanz verstanden. Dabei stehen lineare Beziehungen zwischen Handlungssubjekt und Handlungsfolgen sowie ein negativ bewertetes Ereignis (dessen Verursacher zur Verantwortung gezogen werden soll) im Zentrum. Das grundsätzliche Ziel des klassischen Modells ist damit die Einflussnahme auf das zukünftige Handeln von Individuen. 126 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Das klassische Modell ist seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr allgemein gültig, jedoch auch heute noch auf gewisse Situationen anwendbar. Es ist also nicht „veraltet“ in einem grundsätzlichen Sinn. Das klassische Modell beruht auf einer strikten Trennung von Naturprozessen einerseits und menschlichem Handeln andererseits, wobei eben nur menschliche Handlungen zum Objekt der Verantwortung werden können. Alltagssprachlich spricht man zwar auch davon, dass der Starkregen für eine Überschwemmung „verantwortlich“ wäre oder dass ein Tier für den Tod eines Menschen „verantwortlich“ ist, jedoch handelt es sich um einen bloß metaphorischen Gebrauch des Verantwortungsbegriffs. Entscheidend für die konzeptionelle Entstehung des nachklassischen Modells war der gesamtgesellschaftliche Übergang von der traditionellen Feudalgesellschaft hin zum modernen Kapitalismus. Merksatz Konkret können dabei vier Elemente identifiziert werden: die wachsende Arbeitsteilung und Differenzierung (1), der Übergang von persönlichen Beziehungen hin zu anonymen Marktbeziehungen (2), die industrialisierte Technik und deren Anwendungen (3) sowie die theoretische Konzeption und praktische Implementierung moderner demokratischer Regierungen (4). Dabei traten zwischen handelndem Subjekt und den dadurch bewirkten Effekten Vermittlungsinstanzen, die keine klar abgrenzbaren Handlungen und Handlungsfolgen einerseits und ebenso keine klar identifizierbaren Handlungsobjekte andererseits mehr gestatteten. Insgesamt unterscheidet sich das nachklassische Verantwortungsmodell vom klassischen Verantwortungsmodell in mindestens 2 Punkten. Einerseits verlagert sich die zeitliche Ausrichtung von der retrospektiven Ex-post- Merksatz Verantwortung hin zur prospektiven Ex-ante-Verantwortung (1). Andererseits verlagert sich die Aufmerksamkeit des Verantwortungssubjekts von zu vermeidenden Schäden hin zu gewünschten Zuständen mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit (2). Die dadurch entstehende nachklassische Verantwortungskategorie wird auch als sogenannte Vorsorgeverantwortung verstanden. Verantwortung weist zudem in jedem Fall eine inhärent normative Dimension auf. Manche Autoren formulieren den Verantwortungsbegriff sogar primär unter normativen Gesichtspunkten, andere betonen die Bedeutung des Normen- und Wertesystems für den relationalen Verantwortungsbegriff. Dabei ist Verantwortung ohne ethische Dimension nicht denkbar. Gleichzeitig wird der Verantwortungsdiskurs auch in anderen Wissenschaften geführt. 127 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Konkret beschäftigt sich vor allem die Rechtswissenschaft mit dem Inhalt des Verantwortungsbegriffes, auch wenn dieser meist nicht explizit adressiert wird. Es ist also nötig, moralische und rechtliche Verantwortung Merksatz konzeptionell zu unterscheiden. Rechtlich verbotene Handlungen können moralisch unbedenklich sein und umgekehrt moralisch bedenkliche Handlungen rechtlich erlaubt. Dabei verfügt der Bereich der rechtlichen Verantwortung – im Unterschied zur ethischen Verantwortung – über ein Rechtsetzungs- und Sanktionierungssystem hinsichtlich seiner Durchsetzung. Der Verantwortungsbegriff kommt in der Rechtswissenschaft sowohl im Hinblick auf die Innenperspektive des Rechts (die juristische Begründung von Normgeltungsbehauptungen) als auch die Außenperspektive (den gesamtgesellschaftlichen Rechtsdiskurs) in den Blick. Dabei hilft der ethische Verantwortungsbegriff der Rechtswissenschaft entweder in der fallbezogenen Anwendung bei der Unterscheidung von Recht und Unrecht oder im interdisziplinären Diskurs über die gesellschaftliche und moralische Rolle des Rechts. Die inhärent normative Dimension des Verantwortungsbegriffes lässt sich vor dem Hintergrund verschiedener normativer Theorien untersuchen. Die Unterscheidung von teleologischen und deontologischen Theorien bzw. der meist analog gebrauchten Unterscheidung von konsequentialistischen und nicht-konsequentialistischen Theorien ist für den Verantwortungsdiskurs von großer Bedeutung. Die grobe Unterscheidung von Deontologie als Handeln nach moralischen Prinzipien oder Pflichten und Konsequentialismus (wie dem Utilitarismus als bekannteste konsequentialistische Theorie) als Handeln nach moralischen Merksatz Handlungsfolgen ist zwar weitverbreitet, aber letztlich missverständlich. Betrachtet man die Vielfalt deontologischer Theorien, so kommen bei manchen dieser Theorien auch Handlungsfolgen in den Blick, während mache Formen des Utilitarismus auch moralische Prinzipien berücksichtigen. Als grobe Annäherung ist das gängige Modell dennoch hilfreich. Hinsichtlich des Verantwortungsdiskurses kommen deontologische und teleologische Theorien vor allem in Verbindung mit retrospektiver Ex-post- Verantwortung und prospektiver Ex-ante-Verantwortung in den Blick. Die Ex-post-Verantwortung basiert primär auf der Umsetzung von Regeln und Prinzipien, die Ex-ante-Verantwortung auf der Erlangung oder Herstellung bestimmter Güter bzw. der Vermeidung konkreter Übel. 128 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Als grobe Annäherung gilt, dass sich Ex-post-Verantwortung tendenziell auf deontologische Theoriemodelle stützt, während sich Ex-ante- Verantwortung tendenziell auf teleologische Theoriemodelle bezieht. Merksatz Jedoch ist diese Tendenz keine absolute Einteilung, da sich auch gegenläufige Argumente in der Fachliteratur finden. Neben der rechtlichen Dimension der Verantwortung lassen sich mit Blick auf die beteiligten Akteurinnen auch Modelle individueller und kollektiver Verantwortung gegenüberstellen. Dabei kann zunächst das sogenannte Primat der individuellen Verantwortung bzw. die Verantwortung einzelner, zurechnungsfähiger menschlicher Personen als grundlegendes Paradigma jeder Merksatz Verantwortungsrelation begriffen werden. Auch Fälle, in denen Staaten oder Vereine Verantwortung tragen, können – nach dieser Auffassung – letztlich nur vor dem Hintergrund individueller Verantwortung verstanden und konzeptualisiert werden. Demgegenüber kann jedoch auch eine konträre Position kollektiver Verantwortung vertreten werden. Hierbei bleibt die Konzeption kollektiver Verantwortung – im Unterschied zur individuellen Verantwortung – ein umstrittenes Konzept. Manche Theoretiker bezweifeln die Akteurschaft kollektiver Entitäten oder befürchten eine komplette Entwertung individueller Verantwortung zugunsten einer moralischen Auslagerung der Verantwortung auf das Kollektiv. Gleichzeitig betonen Befürworter eines wie auch immer konkret ausgestalteten Konzepts kollektiver Verantwortung, dass gerade monströse Verbrechen, Genozide oder die Verursachung des anthropogenen Merksatz Klimawandels nur unter Einbeziehung einer kollektiven Perspektive vollständig verstanden werden können. Tracy Isaacs unterscheidet drei theoretische Hauptpositionen kollektiver Verantwortung. Die kollektivistische Position kollektiver Verantwortung sieht kollektive Entitäten als Akteure vollumfänglich für ihr Handeln verantwortlich. Individualistische Konzeptionen kollektiver Verantwortung betonen, dass jedes Individuum für das im Kollektiv erzielte Handlungsresultat verantwortlich ist, sofern dies auf die anderen auch zutrifft. Eliminative Positionen kollektiver Verantwortung hingegen lehnen die Konzeption kollektiver Verantwortung grundsätzlich ab. 129 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Sowohl die Konzepte individueller als auch kollektiver Verantwortung werden im weiteren Kontext der sozialen Verantwortung diskutiert. Hierbei kann jedoch keine einheitliche Definition von politischer und sozialer Merksatz Verantwortung zugrunde gelegt werden. Dieser Umstand resultiert aus den unterschiedlichen normativen Hintergrundtheorien (z. B. libertäre, liberale oder perfektionistische Staatstheorien) und ontologischen Theorien (z. B. kollektivistische und individualistische Handlungstheorien). Konkret zeigen sich die vielfältigen Ansätze sozialer Verantwortung etwa bei der Frage von staatlichen Umverteilungsmaßnahmen. Hierbei stellen libertäre Denker individuelle Freiheit sowie das Recht auf Eigentum in den Vordergrund, während gemäßigte liberale Ansätze dem Staat die Verantwortung zur sozialen und wirtschaftlichen Absicherung der Bürger zuschreiben. Der sogenannte Perfektionismus geht davon aus, dass der Staat nicht nur für das wirtschaftliche Wohlergehen seiner Bürger, sondern auch für deren moralische und ethische Vervollkommnung verantwortlich ist. Die sozialen Aufgaben, die unter den Verantwortungsbereich eines politischen Gemeinwesens fallen, werden demnach unterschiedlich beurteilt. Dies hängt nicht zuletzt vom jeweils zugrunde gelegten Merksatz Freiheitsbegriff im Hinblick auf negative Freiheit (Freiheit, nicht gehindert zu werden bzw. von staatlicher Intervention eingeschränkt zu werden) und positive Freiheit (Freiheit, bestimmte Handlungen zu setzen bzw. Freiheit, in der Ausübung bestimmter Handlungen aktiv gefördert zu werden) ab. Innerhalb des politischen Gemeinwesens wird Verantwortung für politische Entscheidungsprozesse am Paradigma individueller und kollektiver Handlungsfähigkeit festgemacht. 5.3. Soziale Verantwortung von Unternehmen: das dritte Kapitel Die Grundfrage nach der rechtlichen, politischen und sozialen Verantwortung von Unternehmen intensivierte sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts und wurde als solche spätestens ab den 1970er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts breit diskutiert. Im Zentrum dieser Überlegungen steht die Frage, ob Unternehmen als Organisationen überhaupt verantwortlich handeln können und wenn ja, welche Mittel dafür zur Verfügung stehen. Das dritte Kapitel untersucht diese Grundfragen der Unternehmensverantwortung zunächst mit Rückgriff auf die historische Position Milton Friedmans und in weiterer Folge mit den konzeptionellen Modellen von CSR, Corporate Citizenship, PCSR und Private Governance. 130 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Dabei hat Friedmans Position bezüglich der sozialen Verantwortung von Unternehmen eine intensive Rezeptionsgeschichte erfahren. Kaum eine wirtschaftsethische Fachpublikation kommt ohne einen impliziten oder expliziten Verweis auf Friedman und seine Thesen aus. Konkret entfaltet Friedman seine Argumentation in drei wesentlichen Kernthesen. Friedman meint, dass nur Individuen moralisch verantwortlich gemacht werden können (1. Kernthese), dass Manager nur den Interessen der Aktionäre und Eigentümer verpflichtet sind (2. Kernthese) und dass Manager Merksatz für die angestrebte Form sozialer Verantwortung nicht demokratisch legitimiert sind (3. Kernthese). Dies macht das Konzept sozialer Verantwortung für Unternehmen nach Friedman außerdem zum demokratiepolitischen Problem. Auf der von Friedman verneinten These nach sozialer Verantwortung von Unternehmen aufbauend, versucht die Konzeption der Corporate Social Responsibility (CSR) ein positives Verständnis von sozialer Unternehmensverantwortung zu skizzieren. Hierbei muss Corporate Social Responsibility (CSR) als ein umfangreiches Konzept mit unterschiedlichen Definitionen begriffen werden. Gleichzeitig wird die Tatsache, dass Unternehmen soziale Verantwortung tragen Merksatz müssen, heutzutage weitgehend akzeptiert. Dies stellt eine Gegenthese zu Milton Friedmans klassischer Theorie dar, wonach Unternehmen nur ihren Aktionären verpflichtet sind. Diese klassische Shareholder-Perspektive (nur Aktionäre sind bedeutsam) wird heute zumeist um eine umfangreichere Stakeholder-Perspektive (alle betroffenen Gruppen sind bedeutsam) ergänzt. Dabei gilt Archie Carrolls viergliedriges CSR-Modell bzw. CSR- Pyramide als guter Ausgangspunkt für eine Systematisierung der CSR. Carroll unterscheidet ökonomische und rechtliche Verantwortung, deren Erfüllung gesellschaftlich von Unternehmen gefordert wird. Demgegenüber reicht ethische Verantwortung über die bloß rechtliche Verantwortung hinaus und trägt den gesamtgesellschaftlichen Moralvorstellungen Rechnung. Ihre Erfüllung wird gesellschaftlich erwartet, aber nicht gefordert. Zuletzt skizziert Carroll die Dimension philanthropischer Verantwortung (etwa durch Spenden oder Sozialprogramme, an denen Unternehmen freiwillig partizipieren), welche gesellschaftlich weder gefordert noch erwartet wird, aber gleichwohl erwünscht ist. 131 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Carrolls Modell wurde etwa aufgrund der starken Fokussierung auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der USA oder aufgrund fehlender Strategien im Umgang mit in Konflikt stehenden Merksatz Verantwortungsdimensionen kritisiert. Dennoch stellt Carrolls Modell einen verständlichen Zugang zur systematischen Erfassung der CSR dar. Neben der von Carroll vorgeschlagenen Systematisierung der CSR aus thematischer Sicht lassen sich CSR-Themen auch aus der Innenperspektive der Unternehmen beschreiben. Am Beispiel des weltweit erfolgreichen Sportartikelherstellers Nike identifiziert Simon Zadek insgesamt fünf Stufen der Organisationsentwicklung und des organisationalen Lernens, die ein Unternehmen im Umgang mit CSR-Themen durchläuft. Der Grundgedanke ist hierbei, dass Unternehmen gemäß dem Reifegrad ihrer CSR-Strategie auf unterschiedliche Weisen reagieren können. Simon Zadek identifiziert am Beispiel des Sportartikelherstellers Nike fünf Stufen Merksatz im Umgang mit CSR-Themen und externen Anschuldigungen durch Aktivisten. In der defensiven Stufe (englisch: defensive stage) wird Verantwortung geleugnet, um einen Reputationsverlust des Unternehmens und die damit verbundenen mittelbaren Gewinneinbußen abzuwenden. Die Compliance-Stufe (englisch: compliance stage) ist durch das Bemühen des Unternehmens gekennzeichnet, ein richtlinienbasiertes Compliance-Modell zu implementieren, um anhaltende Reputationsverluste und die Risiken von Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. In der Managementstufe (englisch: managerial stage) wird CSR-Management in die Unternehmensstruktur integriert, etwa indem eigene CSR-Abteilungen geschaffen werden. Auf diese Weise wollen Unternehmen mittelfristig ihren wirtschaftlichen Erfolg sichern. In der strategischen Stufe (englisch: strategic stage) werden CSR- Themen in die primären Geschäftsprozesse des Unternehmens integriert, wobei ein strategischer First-Mover-Vorteil durch Adressierung eines gesamtgesellschaftlichen Problems erzielt werden soll. In der zivilen Stufe (englisch: civil stage) engagieren sich Unternehmen für industrieweite Veränderungen, rechtliche Regulierungen und Multi-Stakeholder- Initiativen, die etwa aus Unternehmen, Vertretern der Zivilgesellschaft, NGOs, Gewerkschaften usw. bestehen. Um zu einer umfassenden Beurteilung einer erfolgsversprechenden CSR- Strategie zu gelangen, setzt Zadek die fünf Stufen organisationalen Lernens in Bezug zu vier korrelierenden Stufen des gesamtgesellschaftlichen Merksatz Problembewusstseins (englisch: Stages of Issue Maturity). Hierbei unterscheidet er eine latente, aufstrebende Konsolidierungs- und Institutionalisierungsphase. 132 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung In der latenten Phase (englisch: latent stage) ist das Thema nur wenigen Aktivisten bekannt, nicht hinreichend wissenschaftlich erforscht und kaum von Bedeutung für Wirtschaftstreibende. Nehmen das öffentliche Interesse sowie die Forschungsintensität hingegen zu, gewinnt das Thema auch Bedeutung für Wirtschaftstreibende. Dies bezeichnet Zadek als die aufstrebende Phase (englisch: emerging stage). Die darauffolgende Konsolidierungsphase (englisch: consolidating stage) ist wiederum von der Entstehung gesamtgesellschaftlicher Diskurse und von Multi-Stakeholder- Initiativen gekennzeichnet. Zuletzt wird das Thema in der Institutionalisierungsphase (englisch: institutionalized stage) in rechtlich verbindliche oder industrieinterne Regelungen überführt. Das gesellschaftliche Thema gewinnt immer weiter an Relevanz und fordert folglich eine immer reifere Reaktion der betroffenen Unternehmen. Ist ein Thema etwa noch in der latenten Phase, mag das so angesprochene Unternehmen mit einer defensiven Reaktion keinen Reputationsverlust riskieren. Befindet sich das Thema demgegenüber in der letzten Phase – der Institutionalisierungsphase –, so muss die Unternehmensreaktion auf der zivilen Stufe erfolgen. Hierbei ist im Kontext der CSR-Debatte anzumerken, dass die Konzeption der Corporate Citizenship (CC) den CSR-Begriff seit den 1990er-Jahren ergänzt bzw. teilweise ablöst. Es können jedoch drei unterschiedliche Definitionen von CC im Hinblick auf deren Beziehung zu CSR unterschieden werden. CC kann entweder als philanthropisches Engagement von Unternehmen verstanden werden (1). Merksatz Nach dieser Definition ist CC deckungsgleich mit der letzten Dimension von Carrolls klassischem CSR-Modell. Demgegenüber kann CC auch gleichbedeutend mit CSR verschiedene ökonomische, rechtliche, ethische und philanthropische Dimensionen der sozial verantwortlichen Unternehmensführung bezeichnen (2). Nach dieser Definition sind CC und CSR Synonyme. Zuletzt versteht eine umfassende Definition von CC diese im Kontext von liberalen Konzepten der Bürgerschaft. Dabei können Unternehmen bezogen auf soziale Rechte (insbesondere in Ländern mit schwacher Infrastruktur) Wohlfahrtsleitungen, Bildungsprogramme oder medizinische Versorgung bereitstellen. Mit Blick auf Bürgerrechte können Unternehmen zudem auf lokale Regierungen einwirken und so ihre wirtschaftliche Stellung nutzen, um Bürgerrechte zu stärken. Im Hinblick auf politische Rechte können Unternehmen politische Anliegen, die im Zuge von Protesten oder Boykotten an sie herangetragen werden, kanalisieren und so zu deren Lösung beitragen. 133 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Im Kontext des politischen Engagements von Unternehmen wird zudem häufig auf sogenannte Private Governance als freiwillige private Regulierung von nicht-staatlichen Akteuren, Unternehmen und anderen Stakeholdern Merksatz zur Adressierung gesamtgesellschaftlicher sozialer und ökologischer Probleme verwiesen. Im Zentrum stehen Probleme, die eng mit dem wirtschaftlichen Handeln von Unternehmen verbunden sind. Private-Governance-Initiativen sind Teil eines umfassenderen Konzepts von Collective Action im Unternehmenskontext. Sie sind rechtlich nicht bindend, sondern versuchen, systemische Risiken (wie den Klimawandel) oder drohendes Markversagen zu regulieren. Sie entstehen häufig als Reaktion auf äußere Kritik im Hinblick auf mangelhaft wahrgenommene soziale oder ökologische Verantwortung. Bekannte internationale Beispiele für erfolgreiche Private-Governance- Initiativen sind etwa der Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh oder das Forest Stewardship Council (FSC). Merksatz Zuletzt ist das Konzept der Political Corporate Social Responsibility (PCSR) und seine explizite Fokussierung auf die politische Rolle von Unternehmen bedeutsam. PCSR ist ein wirtschaftsethisches und managementwissenschaftliches Konzept, welches den besonderen Charakter multinationaler Unternehmen als Ausgangspunkt nimmt. Analog zum CSR-Begriff muss Merksatz auch der PCSR-Begriff als Überbegriff mit verschiedenen konkreten Ausprägungen betrachtet werden, jedoch erfährt die politische Dimension der CSR und der Private Governance besondere Beachtung. Diese Forschung wurde primär durch die Arbeiten von Andreas Scherer und Guido Palazzo initiiert. Sie vertreten einen betont normativen PCSR-Begriff, der in demokratiepolitischer Hinsicht die Bedeutung der auf Habermas’ Diskursethik zurückgehenden deliberativen Demokratie betont. Kritiker des PCSR-Konzeptes sehen im politischen Engagement von Unternehmen zur Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme einen Siegeszug neoliberaler Politik und den Abbau demokratischer Strukturen. Faktisch können jedoch multinationale Unternehmen gesetzliche Regelungen in einzelnen Staaten durch Verlagerung ihrer Geschäftsaktivität in eine andere Niederlassung meist effektiv umgehen. 134 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Zudem hat die weltweite Globalisierung die alte Ordnung der strikten Trennung von normgebenden (national-)staatlichen Akteuren und Unternehmen zunehmend erodiert. Das Aufkommen der PCSR-Debatte Merksatz wurde daher auch in akademischen Diskussionen als Versuch von Unternehmen beschrieben, sogenannte Regulierungslücken (englisch: governance gaps) zu schließen. Gerade die große Präsenz von multinationalen Unternehmen in sogenannten gescheiterten Staaten (also Staaten ohne faktische Regulierungsgewalt) machen die Konzeption von Private-Governance-Initiativen nötig. Hierbei wird zwischen staatlich bindendem „hard law“ und freiwilligem „soft law“ unterschieden. Vor dem Hintergrund mangelnder gesetzlicher Regulierung gescheiterter Staaten muss die Aufgabenteilung von Unternehmen und Politik grundsätzlich neu gedacht werden. 5.4. Gesellschaftliche Verantwortung von Unterneh- men und Führungskräften: das vierte Kapitel Das vierte Kapitel befasst sich mit der weiteren gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen. Hierbei wird zunächst der soziale und politische Aktivismus von Führungskräften und dessen Typologien skizziert. Zudem werden die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen sowie die ESG-Standards als Instrumente verantwortungsvoller Investitionstätigkeiten skizziert und mit praxisbezogenen Konzepten des fairen Handels und den von der UN formulierten 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (englisch: Sustainable Development Goals) ergänzt. Zuletzt wird auf den UN Global Compact als internationales Unternehmensnetzwerk in Partnerschaft mit den Vereinten Nationen verwiesen. Es kann zunächst festgehalten werden, dass die historischen Wurzeln des sozio-politischen Aktivismus von Führungskräften (CEO-Activism) im 20. und 21. Jahrhundert liegen. Die Übernahme politischer Verantwortung von Unternehmen und deren Führungskräften hat eine durchaus lange Tradition. Aus historischer Sicht ist es unmöglich, den sozialen und politischen Aktivismus von Führungskräften (CEO-Activism) auf ein einzelnes Initialereignis zurückzuführen. Dabei ist die politische Einflussnahme von Unternehmen im Sinne des klassischen Lobbyings durchaus keine neue Entwicklung. 135 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Im Unterschied zum Lobbying bezieht sich CEO-Activism jedoch auf öffentliche sozialpolitische Stellungnahmen von Führungskräften mit dem Ziel, die öffentliche Meinung mit Mitteln des medialen Diskurses zu Merksatz beeinflussen bzw. vermeintliche Missstände aufzudecken. Aktuell ist CEO- Activism vor allem bei großen US-amerikanischen Konzernen und deren CEOs zu beobachten, bleibt jedoch nicht darauf beschränkt. Gleichzeitig steckt die systematische Forschung zu CEO-Activism noch in den Kinderschuhen. Thematisch können sich aktivistische Äußerungen sowohl auf konservative als auch progressive Themen beziehen, wobei letztere den Diskurs eindeutig dominieren. Zudem ist aus Sicht der Rollenverantwortung festzustellen, dass dem CEO eine einzigartige Rolle im Unternehmen zukommt. A. G. Lafley schreibt dem CEO eine grundsätzliche Vermittlerrolle zwischen der Innenperspektive des Unternehmens und der Außenperspektive der Gesellschaft zu. Dabei obliegt es dem CEO etwa, das Kerngeschäft zu definieren, Stakeholder-Interessen abzuwägen und zwischen kurzfristigen und langfristigen Unternehmenszielen zu entscheiden. Aufbauend auf der grundsätzlichen Dichotomie von gesellschaftlicher und unternehmerischer Perspektive entwickeln Branicki et al. ein viergliedriges Modell des Token-, Servant-, Strategic- und Citizen-Activism. Token-Activism Merksatz zeichnet sich durch geringe moralische Bedeutung des Themas und geringe Verbindung zum Kerngeschäft des CEOs aus. Servant-Activism zeichnet sich durch Themen von hoher gesellschaftlicher Aktualität, aber geringer Relevanz für das Kerngeschäft des CEOs aus. Strategic-Activism beinhaltet ein geringes Maß an gesamtgesellschaftlicher Relevanz, jedoch ein hohes Maß an branchenspezifischer Relevanz. Dieser Typus des CEO-Activism kann auch im Kontext der klassischen CSR und PCSR verstanden werden. Zuletzt umfasst der Citizen-Activism sowohl hohe gesellschaftliche als auch hohe branchenspezifische Relevanz. Dabei bringen sich CEOs in politische Debatten zu kontroversen Themen ihres direkten Kerngeschäfts aktiv ein, und es kann ein Win-win-Szenario aus moralischen und unternehmerischen Interessen erreicht werden. Auch die Menschenrechtsverantwortung von Unternehmen wird vor diesem Hintergrund reflektiert und anhand ausgewählter Modelle und Theorien konzeptionell eingeordnet. Hierbei ist eine zentrale Erkenntnis, dass unternehmerisch verantwortliches Handeln die Achtung von Menschenrechten beinhaltet. 136 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Historisch wird die Diskussion um die Menschenrechtsverantwortung von Unternehmen zumeist auf den Fall des 1995 exekutierten nigerianischen Umweltaktivisten Ken Saro-Wiwa zurückgeführt. Wiwa war in einem Merksatz Schauprozess zum Tode verurteilt worden, während der Ölkonzern Shell, der maßgeblich zu den Umweltschäden im Nigerdelta beigetragen hatte, sich weigerte, öffentlich gegen den Prozess Stellung zu beziehen und so möglicherweise Wiwas Leben zu retten. Auf diese und andere Fälle Bezug nehmend, formuliert der Ethiker Florian Wettstein ein ethisches Modell der sogenannten Unternehmenskomplizenschaft. Diese besteht aus direkter und indirekter Komplizenschaft von Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen durch (zumeist) staatliche Akteure. Letztere unterteilt sich in zwei Subkategorien. Die sogenannte vorteilhafte Komplizenschaft (englisch: beneficial complicity) bezeichnet jene Fälle, in denen Unternehmen zwar nicht aktiv in Menschenrechtsverletzungen involviert sind, jedoch wissentlich davon profitieren. Die sogenannte stille Komplizenschaft (englisch: silent complicity) ergibt sich aus der Untätigkeit von Unternehmen, Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Akteuren öffentlich anzusprechen. Diese Kategorie der Unternehmenskomplizenschaft richtet sich auf die Unterlassung einer Handlung. Sie ist jedoch nur dann ethisch problematisch, wenn der Akteur, der die Handlung unterlässt, zugleich die faktische Möglichkeit hat, die Situation maßgeblich zu beeinflussen. Daher stehen hier multinationale Unternehmen mehr in der Pflicht als nationale Kleinunternehmen. Damit sich Unternehmen auf effektive und zugleich demokratiepolitisch legitime Art für Menschenrechte einsetzen können, empfiehlt Wettstein Unternehmen, Menschenrechtsverletzungen im Hinblick auf bestimmte Grundsätze zu thematisieren. Darunter fallen die Bereitschaft zum Diskurs (englisch: responsiveness), die Kooperation mit Stakeholdern sowie Öffentlichkeit und Transparenz (englisch: publicness/transparency). Aus rechtlicher Perspektive sind vor allem zwei – rechtlich jedoch nicht bindende – internationale Leitfäden zum Umgang mit Menschenrechtsthemen im unternehmerischen Kontext zu nennen. Merksatz Einerseits die „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ (englisch: UN Guiding Principles on Business and Human Rights, UNGP) und andererseits die „OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“. Beide vereinen soziale, wirtschaftliche und umweltbezogene Dimensionen unternehmerischer Verantwortung im Menschenrechtskontext. 137 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Zusätzlich lässt sich die gesellschaftliche und ökologische Verantwortung von Unternehmen und Investoren im Kontext der ESG-Standards adressieren. Hierbei bezieht sich der Begriff der ESG-Standards auf die drei Bereiche: Environmental (E), Social (S) und Governance (G). ESG-Standards können als ein Set von Prinzipien verstanden werden, die von Investoren eingesetzt Merksatz werden können, um sozial verantwortliche Investmentoptionen zu identifizieren. Die Umweltdimension von ESG beinhaltet Themen wie Umweltverschmutzung, Energieeffizienz, Ressourcenknappheit oder Biodiversität. Die Sozialdimension bezieht sich sowohl auf interne Arbeitssicherheit, Mitarbeitersicherheit als auch auf Diversity sowie auf ein gesamtgesellschaftliches Engagement etwa im Hinblick auf Ernährungssicherheit oder den demografischen Wandel. Die Governance- Dimension bezeichnet einen Ansatz nachhaltiger Unternehmensführung. Hierbei geht es etwa um Kontrollprozesse, Aufsichtsstrukturen oder dem Umgang mit Compliance-Regelungen. Konzeptionell kann ESG oft nur schwer von anderen Begriffen und Ansätzen mit ähnlichem Anspruch, wie etwa Corporate Social Investment (CSI), Responsible Investment (RI) oder Ethical Investing (EI), abgegrenzt werden. Bei ESG-Investmentstandards stehen tendenziell die Mehrwertgenerierung für Shareholder und Stakeholder, die Vermeidung von problematischen Industriezweigen – wie die Alkohol- oder Tabakindustrie – sowie die Merksatz Fokussierung auf nachhaltige Governance-Strukturen im Zentrum des Interesses. Vermehrt widmen sich auch große Ratingagenturen dem ESG- Rating als Geschäftsmodell. Auf UN-Ebene formulieren die Principles for Responsible Investment (PRI) ESG-Standards für den Kooperations- und Austauschprozess von Investoren. Die Stellung der ESG-Prinzipien im Kontext der weiteren Unternehmens- und Nachhaltigkeitspolitik kann nicht abschließend geklärt werden, jedoch zeigt sich in der Literatur eine tendenziell positive Bewertung des Konzepts. Abschließend wird auf betont praxisorientierte Konzepte des fairen Handels sowie auf die Rolle der Vereinten Nationen im internationalen unternehmerischen Handeln verweisen. Hierbei orientiert sich das Kapitel an der bereits skizzierten grundlegenden Trias von sozialer, ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit. Es ist anzumerken, dass die Verantwortungsdimension von Konsumenten zumeist geringere Beachtung erfährt als jene der Unternehmen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsdebatte kommen Konsumenten bzw. der Konsum selbst verstärkt in den Blick. Imke Schmidt schlägt vor, die zentrale Rolle von Konsumenten im marktwirtschaftlichen System anzuerkennen. 138 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Konsumenten tragen zusammen mit anderen Marktteilnehmern eine geteilte, auf die Zukunft gerichtete Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung. Auf der individuellen Ebene beruht diese Verantwortung auf Merksatz den sozialen und ökologischen Schadenseffekten von Konsumenten und auf kollektiver Ebene auf deren Möglichkeiten, Marktstrukturen zusammen mit anderen Akteuren zu verändern. Damit können Konsumenten ihre Verantwortung durch die Reduktion des eigenen Schadensbeitrags, durch die Mitgestaltung von Strukturen sowie durch die Beschaffung von Information nachkommen. Diese Verantwortungsbereiche müssen diskursiv konkretisiert und an individuelle Möglichkeiten angepasst werden, um Konsumenten weder zu über- noch zu unterfordern. Eine praktische und etablierte Praxis, individuelle und kollektive Konsumentenverantwortung zu verbinden, besteht gemäß ihrem Selbstverständnis in der sogenannten „Fair-Trade“-Bewegung. Diese Merksatz unterteilt sich in verschiedene Organisationen und Zertifizierungen, entspricht jedoch grundsätzlich den drei Dimensionen ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. In sozialer Hinsicht ist der faire Handel darum bemüht, Arbeitsbedingungen von Kleinbauern nachhaltig zu verbessern (was etwa das Engagement gegen Kinder- und Zwangsarbeit beinhaltet). In ökologischer Hinsicht beinhaltet das Engagement – je nach Organisation – etwa die Reduktion des Pestizideinsatzes oder den Schutz von Wasserressourcen. Entscheidend ist hierbei, dass das Konzept des „fairen“ Handels bzw. Fair Trade in doppelter Hinsicht gebraucht wird. Es bezeichnet aus theoretischer Perspektive verschiedene Konzeptionen des fairen Handels, die zum Teil auf verschiedenen Grundsatzpositionen aufbauen. Dabei können entweder altruistische Motive sowie die Kritik an entwicklungspolitischen Missständen im Vordergrund stehen, oder der faire Handel kann als Alternativmodell für jegliche Handelsaktivitäten angestrebt werden. Konzeptionell gibt es also keine gemeinsame Auffassung, welche Definition von „fair“ hier zugrunde gelegt wird. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff des fairen Handels bzw. Fair Trade aus praktischer Perspektive die Eigendefinitionen verschiedener Organisationen. In ökonomischer Hinsicht wird etwa die Festsetzung eines Mindestpreises vorgenommen. Das gesamtgesellschaftliche Bemühen um nachhaltige und verantwortungsvolle Handlungsstrategien von Einzelpersonen und Unternehmen findet in vielfältigen Aktionsplänen, Positionspapieren und Initiativen seinen Ausdruck. 139 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Dabei stechen die von den Vereinten Nationen initiierten und mitgetragenen Konzepte der sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs) aufgrund ihrer Reichweite und internationalen Akzeptanz klar Merksatz heraus. Hierbei ist festzuhalten, dass die Sustainable Development Goals (SDGs) auf UN-Ebene einen bedeutenden Rahmen für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln darstellen. Die SDGs formulieren 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung in den Bereichen soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit. Zur Umsetzung dieser SDGs im Unternehmenskontext wurde der sogenannte UN Global Compact geschaffen. Auf Initiative des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan wurde der UN Global Compact als globales Netzwerk von Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und der UN ins Leben gerufen. Das gemeinsame Ziel aller Teilnehmenden wird in 10 universellen Prinzipien sowie der allgemeinen Umsetzung und Förderung der 17 SDGs formuliert. Die Prinzipien können dabei in die Themen Schutz von Menschenrechten, Einhaltung von Arbeitsstandards, Umweltschutz und globale Korruptionsbekämpfung eingeteilt werden. Ein häufig genannter Kritikpunkt im Hinblick auf die SDGs im Allgemeinen und den Global Compact im Besonderen besteht im rechtlich nicht bindenden Konzept der (unternehmerischen) Selbstverpflichtung. Der Global Compact sieht zwar ein verbindliches jährliches Reporting der Unternehmen an Stakeholder und Vertreter der Zivilgesellschaft vor, jedoch können bei Nichterfüllung keine Sanktionen gesetzt werden. Auch eine (empirische) Überprüfung der angeblich erzielten Fortschritte findet seitens der UN nicht statt. Während Kritiker also die mangelnde rechtliche Verbindlichkeit und fehlende Sanktionsmöglichkeit des Global Compact betonen, kann gerade darin auch ein niederschwelliger Zugang zur unternehmerischen Umsetzung und Förderung der SDGs gesehen werden. Dabei erhebt der Global Compact explizit nicht den Anspruch, rechtlich bindende Regelungen zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung zu ersetzen. Vielmehr sollen die auf Freiwilligkeit gegründeten Netzwerke von Unternehmen und Zivilgesellschaft zu verstärkter Innovation führen und einen positiven Anreiz für verantwortungsvolle Unternehmenspolitik liefern. 140

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