Kapitel 18: eHealth und mHealth: Gesundheitskommunikation online und mobil PDF

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Das Kapitel 18 des Gesundheitskommunikations-Handbuchs untersucht eHealth und mHealth online und mobil. Es analysiert das Angebot, die Nachfrage und Wirkung von Gesundheitsangeboten in diesem Bereich. Die Autoren definieren zunächst die Begriffe und beschreiben die Nutzer und deren Nutzungsmuster.

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271   18. e Health und mHealth:...

271   18. e Health und mHealth: ­Gesundheitskommunikation online und mobil Constanze Rossmann und Veronika Karnowski Online-Gesundheitskommunikation ist keine Im Folgenden wird daher zunächst geklärt, Randerscheinung mehr. Das Angebot an Gesund- wie sich eHealth und mHealth definieren und heitsseiten wächst stetig, gleichzeitig steigt die worauf der Fokus in diesem Beitrag gelegt wer- ­Anzahl derer, die sich online über Gesundheits- den soll: Gesundheitskommunikation online und themen informieren oder sich mit anderen Nutze- mobil. rinnen und Nutzern über Gesundheitsthemen Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-08-23 09:06) austauschen. Das hat Vor- und Nachteile: leichter Zugang, mögliches Empowerment und neue eHealth ­Potenziale für die Gesundheitsförderung auf der einen Seite, mangelnde Qualitätskontrolle und So vielfältig elektronische Anwendungsmöglich- mögliche negative Folgen auf der anderen. Neue keiten im Gesundheitsbereich sind, so verschieden Anwendungen wie soziale Onlinenetzwerke, SMS- ist das Verständnis der in diesem Kontext ver­ Interventionen oder Gesundheits-Apps kommen wendeten Begrifflichkeiten. Entsprechend unter- hinzu und wecken neue Diskussionen. Das vorlie- schiedlich wird der Begriff eHealth seit seiner Ein- gende Kapitel liefert einen Überblick über dieses führung Ende der 1990er-Jahre verstanden und Spannungsfeld und beschäftigt sich mit Angebot, benutzt. Häufig scheint er als Schlagwort zu die- Nachfrage und Wirkung von Gesundheitsangebo- nen, nicht nur für Gesundheitsangebote im Inter- ten, die online und mobil verbreitet und genutzt net, sondern für so gut wie alles, was mit elektro- werden. Hierzu werden zunächst die relevanten nischer Medizin zu tun hat. Begriffsbestimmungen vorgenommen. Anschlie- Zu den meist zitierten Definitionen gehört die ßend werden jeweils Nutzerinnen und Nutzer so- von Eysenbach (2001, S. e20), der eHealth be- wie Nutzung beschrieben, um dann die Potenziale schreibt als «an emerging field of medical infor- und auch Grenzen der neuen technischen Mög- matics, referring to the organization and delivery lichkeiten aufzuzeigen und zu diskutieren. of health services and information using the Inter- net and related technologies». Mühlbacher, Wiest und Schumacher (2001, S. 211) definieren den Be- griff noch breiter als «die Anwendung elektroni- Begriffsbestimmungen scher Medien im Rahmen von Gesundheitsdienst- leistungen.» Die für diesen Beitrag am besten Bereits 1993 entstanden erste Webseiten mit me- geeignete Definition liefert Eng (2001, S. 1), der dizinischen Inhalten (Health on the Net Founda­ eHealth allgemein als «the use of emerging infor- tion, 2005). Seither spielt das Internet als Quelle mation and communication technology, especially für Gesundheitsinformationen eine zunehmend the Internet, to improve or enable health and wichtige Rolle. Das Angebot an gesundheitsbezo- healthcare» beschreibt. Aufgrund des breiten genen Onlineinhalten wächst genauso wie die An- Spektrums von eHealth wird der Begriff von ver- zahl ­ seiner Nutzer stetig. Aufgrund seiner schiedenen Autoren in Unterbereiche unterteilt spezifischen Eigenheiten eröffnet das Internet ­ (Eng, 2001). so auch für die Gesundheitsförderung neue Perspektiven. © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 272 Teil 4: Online-Gesundheits­kommunikation Online-Gesundheitskommunikation -förderung. Entsprechend definieren Abroms, Pad- manabhan und Evans (2012, S. 152) mHealth allge- eHealth umfasst somit telemedizinische Anwen- mein mit «uses of mobile phones for health pur­ dungen genauso wie internetbasierte Gesundheits- poses». Ein von der United Nations Foundation in informationen. Dennoch wird der Begriff in der Auftrag gegebener Bericht zum Thema spricht von Forschungspraxis häufig auf Gesundheitsinforma- «using mobile communication – such as PDAs and tionen im Internet beschränkt (z. B. Lee, Park & mobile phones – for health services and informati- Widdows, 2009). Sinnvoller erscheint es, die ver- on» (Vital Wave Consulting, 2009, S. 8). mHealth schiedenen Angebote zur Online-Gesundheitskom­ ist nichts völlig Neues, sondern stellt einen Teilbe- munikation als eigenständigen Bereich anzusehen, reich von eHealth dar und repräsentiert «the evolu- der eine von mehreren Anwendungsmöglichkei- tion of ehealth systems from traditional desktop ten von eHealth darstellt. Der vorliegende Beitrag «telemedicine» platforms to wireless and mobile widmet sich im ersten Abschnitt eben diesem Teil- configurations.» (Istepanian et al., 2006, S. 3; siehe bereich und schließt somit Anwendungsfelder wie auch Vital Wave Consulting, 2009). Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-08-23 09:06) Telemedizin, elektronische Patientenakten oder die Bereitstellung medizinischer Informationen für Experten über Datenbanken aus (für einen Überblick über diese Bereiche siehe Eysenbach, Online-Gesundheitskommunikation 2001; Gurak & Hudson, 2006). Gesundheitskommunikation allgemein lässt sich Klassifikation von nach Duffy und Jackson (1998, S. ix–x) definieren Online-Gesundheitsangeboten als «the interaction of people involved in the health care process and the elucidation and disse- Gitlow (2000) unterscheidet drei Bereiche der mination of health-related information.» Ange- Online-Gesundheitskommunikation: lehnt an diese Definition umfasst Online-Gesund­ Health Content umfasst alle Angebote, die In- heitskommunikation all jene internetbasierten formationen und Wissen über Gesundheit oder Anwendungsmöglichkeiten, die einen individual­ Krankheit vermitteln und ist damit die am wei- kommunikativen Austausch über oder die massen­ testen verbreitete Form der Online-Gesund- kommunikative Bereitstellung von Gesundheitsin­ heitsangebote. Typischerweise handelt es sich formationen ermöglichen. hierbei um umfassende Gesundheitsportale zu Die allgemeinen Charakteristika der Online­ allen denkbaren medizinischen Bereichen oder kommunikation – Hypertextualität, Interaktivität, spezialisierte Portale zu einem bestimmten me- Schnelligkeit, Aktualität und Überwindung räum- dizinischen Bereich. licher Grenzen – gelten auch für die Online­ - Unter Health Communitys versteht man soziale Gesundheitskommunikation. Im Vergleich zur Netzwerke, die einen Dialog zwischen Patien- Offlinekommunikation zeichnen sich internet­ ten ermöglichen. Die Patientinnen und Patien- basierte Gesundheitsangebote außerdem dadurch ten sind somit sowohl Rezipienten als auch aus, dass sie von einer größeren Vielfalt an Akteu- Produzenten der Inhalte. Da diese Communi- ren, Kommunikationsformen und Publikations­ tys nur in Einzelfällen von medizinischen typen geprägt sind (Hautzinger, 2003, S. 599). ­Expertinnen und Experten moderiert werden, muss die Qualität der Informationen stark ­infrage gestellt werden. mHealth Der dritte Bereich der Health Provision be- schreibt alle jene Angebote, die einen direkten Mobile Health (kurz: mHealth) beschreibt den Ein- Kontakt zwischen Leistungserbringer und Pa­ satz mobiler Informations- und Kommunikations- tient ermöglichen, zum Beispiel Arzt-Patient- technologien in der Gesundheitsversorgung oder Interaktionen im Rahmen virtueller Arztpraxen. © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 18. eHealth und mHealth: G ­ esundheitskommunikation online und mobil 273 Die drei Typen unterscheiden sich nicht nur in nur an bestimmte Zielgruppen oder Betroffene. ihrer Funktionalität, sondern auch im Hinblick auf Einen Überblick über die verschiedenen Klassifi- ihren Interaktivitätsgrad. Angebote, die Health kationsmöglichkeiten gibt Tabelle 18-1. Content beinhalten, dienen der einseitigen In­ formationsvermittlung und richten sich an ver- gleichsweise passiv-rezipierende Nutzer. Health Nutzung von Online-Gesundheitsangeboten Communities verlangen einen höheren Aktivitäts- grad und sind stärker interaktiv angelegt, während Entwicklung der Nutzerzahl. Die Nutzung von der dritte Bereich rein auf Interaktivität ausgerich- Online-Gesundheitsangeboten nahm in der ver- tet ist und einen aktiven Dialog zwischen Arzt und gangenen Dekade stetig zu. Laut einer Umfrage Patient fordert (Hautzinger, 2003). des Instituts für Demoskopie Allensbach nutzten Weitere Klassifikationsmerkmale sind die Ak­ im Jahr 2000 nur 7 % der bundesdeutschen Bevöl- teure, die als Anbieter oder Nutzer von Gesund- kerung ab 16 Jahren das Internet als Informations- heitsdiensten im Internet in Erscheinung treten. quelle für Gesundheitsfragen (Identity Foundati- Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-08-23 09:06) Auf Anbieterseite finden sich kommerzielle wie on, 2001). Im Jahr 2006 stieg dieser Anteil bereits nicht-kommerzielle Interessengruppen, die jeweils auf 46 % der Deutschen ab zehn Jahren (Mohr, unterschiedliche Ziele verfolgen – von der reinen 2007). 2012 informierten sich knapp drei Viertel Bereitstellung von Information zur Weiterbildung der deutschen Internetnutzer ab 18 Jahren zumin- und Gesundheitsförderung über die Suche nach dest gelegentlich im Internet über Gesundheits- inhaltlichem Austausch und sozialen Kontakten themen (SKOPOS, 2012). Im Zuge dieser Zunah- mit Betroffenen bis hin zu kommerziellen Zielen me änderte sich auch der Stellenwert des Internets wie das Anwerben von Kunden oder Patienten, die als Quelle für Informationen über Gesundheits- Imageaufbesserung von Unternehmen oder der themen. Während das Internet als wichtigste Quel- Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen. le 2008 noch hinter interpersonalen Kontakten Auch nach ihren Adressaten lassen sich die mit Ärzten, Apothekern und Familie sowie den Gesundheitsangebote im Internet unterscheiden ­ klassischen Massenmedien rangierte (Lausen, Po- (Tautz, 2002, S. 79). So richten sich manche an tapov & Prokosch, 2008), wandelt sich auch dies Expertinnen und Experten aus diagnostisch-thera- zumindest bei den Onlinern zugunsten des Inter- peutischen oder präventiven Bereichen, andere nets (SKOPOS, 2012). dienen der Vernetzung und Weiterbildung von Charakteristika der Nutzer von Gesundheits- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des angeboten im Internet. Betrachtet man die Nut- Public-Health-Bereichs, wieder andere richten zerstruktur zunächst im Hinblick auf ihre soziode­ sich an politische Interessengruppen und beschäf- mografischen Merkmale, so lässt sich der typische tigen sich mit dem Gesundheitssystem. Ein wach- Nutzer von Gesundheitsangeboten im Netz relativ sender Teil ist an die Laienöffentlichkeit adressiert, eindeutig als jung, gebildet und einkommensstark teilweise an die allgemeine Bevölkerung, teilweise beschreiben (z. B. Trepte et al., 2005). Unklar ist Tabelle 18-1: Klassifikationen von Gesundheitsangeboten im Internet Funktionalität Interaktivitätsgrad Interessen Anbieter Adressaten Content Information kommerziell Gesundheitswesen Gesundheitswesen Communitiy (einseitig) nicht-kom­merziell Politik Politik Provision Interaktion (non profit) Wissenschaft Wissenschaft (wechselseitig) Medien Laien (Öffentlichkeit, Transaktion Laien Zielgruppen, Betroffene) (wechselseitig) © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 274 Teil 4: Online-Gesundheits­kommunikation bislang, ob eher Frauen oder Männer an Online- «the newly diagnosed» suchen in den ersten Gesundheitsinformationen interessiert sind. So Wochen nach ihrer Diagnose intensiv nach konstatieren die einen, typische Nutzer seien spezifischen Informationen zu ihrem Krank- weiblich (z. B. Mohr, 2007), während andere mehr heitsbild, nutzen alle Möglichkeiten des Aus- Männer unter den Nutzern finden (z. B. Lausen et tausches mit Experten und anderen Patienten, al., 2008). Denkbar ist beides: So ließe sich die um eine zweite Meinung, Unterstützung und ­Dominanz von Männern einerseits aus der allge- Rat einzuholen. meinen Charakteristik des eher jungen und männ- «the chronically ill and their caregivers» suchen lichen Internetnutzers erklären (van Eimeren & häufiger nach Gesundheitsinformationen als Frees, 2008). Andererseits sind Frauen grundsätz- «the well», haben eine stärkere Bindung an lich gesundheitsorientierter als Männer, sie tun Internetangebote, die ihre Bedürfnisse nach ­ mehr für ihre Gesundheit, sie fragen häufiger an- ­Information, Austausch und Unterstützung für dere um Rat, wenn es um die Gesundheit geht, ihre Krankheit beziehungsweise die ihrer Ange- aber sie werden auch mehr um Rat gefragt (Identi- hörigen erfüllen. Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-08-23 09:06) ty Foundation, 2001), und innerhalb der Familie übernehmen sie eher als Männer die Aufgabe, ge- In dieser Klassifikation unbeachtet bleiben dieje- sundheitsbezogene Entscheidungen für die Fami- nigen, zumeist jüngeren und höher gebildeten lie zu treffen (Trepte et al., 2005). ­Patientinnen und Patienten, die zunächst online Charakteristisch für die Nutzerinnen und Nut- nach Informationen suchen, bevor sie den Arzt zer von Gesundheitsinformationen im Internet aufsuchen. Ein Verhalten, welches eine Schweizer sind auch ihr stärkeres Gesundheitsbewusstsein im Studie bei etwa einem Viertel der Patienten fest- Vergleich zu Nicht-Nutzern und ihre ausgeprägte stellt (Schulz, Zufferey & Hartung, 2011). Gesundheitsorientierung. Das Gesundheitsbewusst- Nutzungsmotivation. Die Erklärung der Me­ sein erklärt die Nutzung im Vergleich zu Soziode- diennutzung auf der Basis von Bedürfnissen und mografie, genereller Mediennutzung und Persön- Nutzungsmotiven geht auf den Nutzen- und Be­ lichkeit am besten (Dutta-Bergman, 2003, 2004). lohnungsansatz (Uses-and-Gratifications-Ansatz; Im Hinblick auf die Bedeutung des Gesund­ Katz, Blumler & Gurevitch, 1974) zurück. Men- heitszustandes für die gesundheitsspezifische schen haben unterschiedliche Bedürfnisse, die sie ­Internetnutzung bleiben die Befunde bisher un- auf verschiedenen Wegen befriedigen können. Im eindeutig. Während manche Studien keinen, be- Kontext von Gesundheitsangeboten im Internet ziehungsweise einen negativen Zusammenhang fand das Pew Internet & American Life Project – zwischen Nutzung und dem Vorliegen einer eine Non-Profit-Organisation, die regelmäßig (chronischen) Krankheit finden (Hüfken et al., Studien zur Nutzung von Gesundheitsangeboten 2004; Fox & Purcell, 2010), stellen andere das durchführt – die folgenden Nutzungsmotive: In- Gegenteil fest (Lausen et al., 2008). Weitgehend formationssuche nach neuen Diagnosen, Therapi- einig ist sich die Forschung allerdings darin, dass en oder Medikamenten, Suche nach Tipps für den der Gesundheitszustand einen Einfluss darauf Umgang mit speziellen Problemen, Bedürfnis hat, wie die Angebote genutzt werden. Cain, nach emotionaler Unterstützung und offene Fra- ­Sarasohn-Kahn und Wayne (2000) entwickelten gen nach einem Arztbesuch (Fox & Fallows, 2003). vor diesem Hintergrund eine Typologie von Das Motiv der Informationssuche wurde auch ­gesundheitsbezogenen Internetnutzern, die drei durch eine Studie der Health on the Net Foundati- Typen umfasst: on (2005) bestätigt. Auch eine Studie in Singapur «the well» denken nicht allzu häufig über Ge- fand ähnliche Nutzungsmotive: Neugier (z. B. bei sundheit nach und suchen überwiegend nach neuen oder unbekannten medizinischen Begriffen Informationen zu Prävention und Wellness – oder neuen Diagnosen), Gesundheitsmanagement ähnlich wie sie nach Nachrichten, Aktienkur- (z. B. Unterstützung für den Umgang mit der eige- sen oder Produkten suchen. nen Krankheit) und Kontrolle (Reduzierung von © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 18. eHealth und mHealth: G ­ esundheitskommunikation online und mobil 275 Unsicherheit durch Informationen) sowie die so- solchen Menschen gesundheitsrelevante Infor­ ziale Unterstützung von Freunden oder Angehöri- mationen und Beratungsangebote zur Verfügung gen (Tang & Lee, 2006). zu stellen, die in dünn besiedelten Gegenden Als dominante Motive scheinen sich somit die leben und somit strukturell unterversorgt sind ­ Suche nach Informationen (für eine zweite Mei- (Schmidt-Kaehler, 2005). Auch Kinder und Ju- nung oder für genauere Informationen zu spezi­ gendliche sind über das Internet gut zu erreichen, fischen Krankheitsbildern), das Bedürfnis nach häufig besser als mit klassischen massenmedialen Unterstützung für den Umgang mit der eigenen Angeboten wie Broschüren oder Tagespresse Krankheit und die Suche nach sozialen Kontakten (Ybarra et al., 2006). Auch für Menschen, die auf- mit anderen Betroffenen herauszukristallisieren. grund ihrer unzureichenden Health Literacy mit herkömmlichen Informationsangeboten nicht er- reicht werden können, bietet das Internet neue Wirkungspotenziale und Wirkung Möglichkeiten, Informationen so aufzubereiten, dass sie für diese Zielgruppe verständlich sind Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-08-23 09:06) Reichweite und Erreichbarkeit. Angesichts inten- (Whitten, Buis & Love, 2007). siver Nachfrage und hoher Erwartungen an Ge- Wissenssteigerung und Empowerment. Ver- sundheitsangebote im Internet stellt sich die Frage schiedene Studien konnten zeigen, dass Nutzer nach deren Vorteilen für die Gesundheitskommu- von Online-Gesundheitsangeboten angeben, Ge- nikation. Als erstes ist hier – aufgrund der stetig sundheitsprobleme besser verstehen und aus den steigenden Nutzerzahlen von Webangeboten ge- Angeboten im Internet lernen zu können (Baker et nerell und von Online-Gesundheitsangeboten im al., 2003). Dies ist nicht nur für die Informiertheit Speziellen – das potenziell erreichbare Publikum der Nutzer relevant. Das Internet trägt so potenzi- zu nennen. Im Vergleich zu den meisten massen- ell zum Empowerment der Patientinnen und Pa­ medialen Wegen der Gesundheitsprävention (z. B. tienten bei, das heißt, Patienten haben größeres Fernsehspots) ist die Reichweite einzelner Internet­ Vertrauen, ihrem Arzt oder ihrer Ärztin gegen- angebote immer noch klein. Vergleicht man die über selbstbewusster aufzutreten, ihre Krankheit Möglichkeiten der Gesundheitsaufklärung jedoch und Behandlungsmöglichkeiten besser verstehen mit der Reichweite interpersonaler Beratungs­ und beeinflussen zu können und optimistischer in angebote des Gesundheitssektors, so wächst die die Zukunft zu blicken. Dies schlägt sich auch in Reichweite deutlich und kostengünstig. Für die einer veränderten Arzt-Patient-Beziehung nieder Nutzer bietet das Internet den Vorteil der Nieder­ und trägt zu einer «Emanzipation der Patienten schwelligkeit; das heißt, es ist – ein Internetzugang im Gesundheitswesen» (Schmidt-Kaehler, 2005, S. vorausgesetzt – leicht zugänglich, kostengünstig 479; für einen aktuellen Überblick siehe Kuijpers nutzbar sowie bequem und ohne zeitliche Begren- et al., 2013) bei. zungen zu erreichen (Schmidt-Kaehler, 2005). Gesundheitsförderung und Prävention. Das In- Auch die Anonymität der Nutzer kann auf diesem ternet bietet das Potenzial, die Wirksamkeit mas- Weg gewahrt bleiben. senmedialer Präventionsmaßnahmen deutlich zu Gleichzeitig bieten Online-Gesundheitsange- verbessern. Drei Spezifika des Internets sind hierfür bote aufgrund ihrer unbegrenzten Verbreitung die entscheidend: (1) Die bessere Möglichkeit, Ge- Möglichkeit, jene Zielgruppen zu erreichen, die auf sundheitsangebote an einzelne Nutzer, ihre Bedürf- herkömmlichen massenmedialen oder interperso- nisse, ihren Gesundheitszustand und ihre Persön- nalen Wegen nur schwer erreichbar sind. Sie lichkeit anzupassen (Tailoring), (2) die Möglichkeit ­haben das Potenzial, «to extend and amplify the der interaktiven Aufbereitung von Gesundheitsin- impact of traditional health promotion media by formationen und (3) die Verknüpfung von massen­ linking, personalizing, and expanding the coverage medialer und interpersonaler Kommunikation. of health promotion messages.» (Neuhauser & Der Begriff Tailoring geht über die bekannteren Kreps, 2003, S. 551) So ist es etwa möglich, auch Begriffe Targeting und Personalisierung hinaus © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 276 Teil 4: Online-Gesundheits­kommunikation und meint das passgenaue Zuschneiden von Bot- heitsangeboten ihre Wirksamkeit erheblich steigert, schaften auf die Besonderheiten und Bedürfnisse da durch den interaktiven Charakter verschiedene der oder des Einzelnen (Kreuter, 1999). Dieses sozialpsychologische Konstrukte und Prozesse, Vorgehen setzt aufwendige Vorstudien und Vor- welche die Wirksamkeit determinieren, positiv be- arbeiten voraus, um zunächst für jede mögliche einflusst werden, so zum Beispiel Involvement, Kombination relevanter Persönlichkeitsmerk­ ­Lernen, Bindung an die Angebote, Selbstwirksam- male, die auf der Basis unterschiedlicher Theorien keitserleben und Kontrollüberzeugungen (Hawkins und Modelle der Verhaltensänderung identifiziert et al., 2007; Neuhauser & Kreps, 2003). werden, adäquate Botschaften, Formulierungen Interpersonale Ansprache: Massenmedien auf und Darstellungsformen zu entwickeln. Die An- der einen Seite sind in der Lage, hohe Reichweiten wendung setzt dann voraus, dass die relevanten zu erzielen, Bewusstsein zu schaffen und Informa- Merkmale der Zielperson bekannt sind. Evalua­ tionen zu verbreiten, jedoch meist ohne Verhalten tionsstudien, die die Effektivität dieser zuge­ zu verändern (z. B. Neuhauser & Kreps, 2003). In- schnittenen Botschaften mit klassischen Einheits- terpersonale Wege der Gesundheitsförderung auf Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-08-23 09:06) botschaften verglichen, bestätigen das stärkere der anderen Seite sind zwar deutlich wirksamer, Wirkungspotenzial dieser Vorgehensweise (für aber auch teurer und in ihrer Reichweite begrenzt. ­einen Überblick siehe Hawkins et al., 2008). Diese Online-Gesundheitsangebote bieten nun die ursprünglich für Printmaterial entwickelte Vor­ Chance, die Reichweite der Massenmedien mit gehensweise lässt sich webbasiert automatisiert dem erhöhten Wirkungspotenzial interpersonaler umsetzen. Wie Evaluationen belegen, zeigen auch Kommunikation zu verknüpfen (Cassell & Jacks, die webbasierten Tailoringprogramme eine deut­ 1998, S. 74; Neuhauser & Kreps, 2003, S. 547). Eine liche Wirkung auf das Gesundheitsverhalten ihrer steigende Zahl an Studien zum Einsatz webbasier- Nutzer (z. B. Marcus, 2007). ter Anwendungen in der Gesundheitsförderung Interaktivität zeichnet sich nach Quiring und und Prävention in unterschiedlichen Gesundheits- Schweiger (2006, S. 8–9) durch drei Basismerk­ bereichen belegt deren gute Akzeptanz und Wirk- male aus: Es handelt sich (1) um eine reale und samkeit (siehe im Überblick Wantland et al., 2004; beobachtbare Interaktion zwischen Menschen und Suggs, 2006). Jedoch fallen nicht alle Evaluationen Menschen oder zwischen Menschen und Maschi- positiv aus (z. B. Gustafson et al., 2008). Trotz viel- nen, dabei spielt (2) eine technische Komponente versprechender Möglichkeiten stoßen internetba- eine Schlüsselrolle und es ist (3) kein Gerätewech- sierte Gesundheitsangebote also auch an Grenzen, sel notwendig. Interaktive Angebote ermöglichen die weiter unten ausgeführt werden. und fordern von den Nutzern somit einen hohen Gesundheitsförderung durch Social Media. In Grad an Aktivität, um diese zu selektieren und zu den vergangenen Jahren spielen auch Social Me- modifizieren. Interaktive Gesundheitsangebote im dia-Angebote eine zunehmend größere Rolle in Internet ermöglichen es den Nutzern also nicht der Gesundheitsförderung. Im Vergleich zu klassi- nur, sich aktiv am Kommunikationsprozess zu be- schen Internetangeboten treten bei Angeboten wie teiligen, sondern sie können – wie im Fall des oben YouTube, Facebook oder Blogs die oben referier- beschriebenen Tailoring – durch ihre Eingaben die ten Eigenschaften des Internets noch stärker zuta- Inhalte so modifizieren, dass sie an ihre Bedürfnis- ge. Sie versetzen die Nutzerinnen und Nutzer in se angepasst werden. Auch der Einsatz von Com- die Lage, «ohne große technische Barrieren eigene puterspielen, bei denen die Spieler durch ihr Han- Inhalte zu publizieren oder fremde Beiträge zu deln den Spielverlauf selbst beeinflussen, erscheint kommentieren, und so die Grenze zwischen vor diesem Hintergrund für die Gesundheitsför- Rezeption und Produktion von Medieninhalten ­ derung erfolgversprechend (siehe im Überblick verschwimmen [zu] lassen» (Trepte & Reinecke, Primack et al., 2012). 2010, S. 217). Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, Eine Kampagne, die die neuen Möglichkeiten dass der interaktive Umgang mit Online-Gesund- des Web 2.0 beispielhaft und erfolgreich eingesetzt © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 18. eHealth und mHealth: G ­ esundheitskommunikation online und mobil 277 hat, stellt Barack Obamas Wahlkampagne im Prä- bestimmter Bevölkerungsgruppen. Auf der zwei- sidentschaftswahlkampf 2008 dar. Vor dem Hin- ten Ebene (engl. second level digital divide; tergrund solcher erfolgreicher Kampagnen im Be- ­Hargittai, 2002) bezieht sich diese Spaltung auf reich der politischen Kommunikation (Abroms & Nutzungsmodalitäten, Nutzungskompetenz und Lefebvre, 2009) sehen viele in Angeboten des Web Nutzungsziele. 2.0 auch für Gesundheitsvorsorge und Gesund- Beide Bereiche sind im Zusammenhang mit der heitsförderung erhebliches Potenzial (z. B. Tian, Gesundheitskommunikation im Internet relevant. 2010). Zwei Faktoren sind dabei entscheidend: (1) So macht es nicht nur einen Unterschied, ob Men- Wenn Nutzer selbst kreativ werden können, er- schen überhaupt Zugang zu den Gesundheitsan- höht sich ihr persönliches Involvement, was geboten im Netz haben, sondern auch, wie die ­potenzielle Effekte auf Einstellungen und Verhal- Nutzerinnen und Nutzer mit Online-Gesund- ten verstärken kann (siehe z. B. das Elaboration heitskommunikation umgehen, insbesondere, ob Likelihood Modell, Petty & Cacioppo, 1986). (2) sie in der Lage sind, die Qualität der Informatio- Durch die vereinfachten Möglichkeiten, auf nen im Netz adäquat zu beurteilen (Neter & Brai- Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-08-23 09:06) ­Webseiten sozialer Netzwerke wie Facebook sein nin, 2012). Gefallen an Meldungen auszudrücken, und den Mangelnde Qualität und Quellentransparenz. geringen Aufwand, Nachrichten an Freunde und Die Fähigkeit, die Qualität von Online-Gesund- Bekannte weiterzuleiten, können auch wenig heitsinformationen beurteilen zu können, ist nicht ­involvierte Nutzerinnen und Nutzer Nachrichten zuletzt deshalb so wichtig, weil das Qualitäts­ weiterverbreiten, wodurch Anschlusskommunika- niveau der Angebote im Netz stark differiert. Das tion verstärkt und die Kampagnenreichweite er- Internet bietet eine fast unbegrenzte Fülle von höht wird (Thackeray et al., 2008). ­Informationen zu Gesundheitsthemen. Qualitativ Man muss sich jedoch der Tatsache bewusst hoch- und minderwertige Informationen stehen sein, dass ein gewisser Grad an Vorinteresse nötig meist kommentarlos nebeneinander, denn jeder ist, um Menschen über das Internet zu erreichen kann sich selbst im Netz über Gesundheitsthemen (Della et al., 2008), da hier im Vergleich zu klassi- äußern. Nur auf einem Teil der Seiten findet eine schen Massenmedien die Wahrscheinlichkeit Qualitätskontrolle von Informationen durch Drit- deutlich geringer ist Nutzer zufällig zu erreichen. te statt, häufig fehlen Kontextinformationen wie Datum, Quelle, Angaben zu Interessenkonflikten oder finanzieller Unterstützung, die es erleichtern würden, die Qualität der Informationen einzustu- Grenzen fen (z. B. Neuhauser & Kreps, 2003; Trepte et al., 2005). Viele fürchten daher, dass die über das Limitierter Zugang für bestimmte Bevölkerungs- Internet verbreiteten Gesundheitsinformationen ­ gruppen. Es wurde bereits deutlich, dass Gesund- fehlerhaft, verzerrt und irreführend sein könnten heitsangebote im Netz eher von jüngeren und und somit eine Bedrohung für die Gesundheit der ­höher gebildeten Menschen genutzt werden. Men- Nutzer darstellen (Weaver et al., 2008). Im Jahr schen mit geringerer Bildung und Ältere – und 2002 zeigte eine Metaanalyse, dass zwei Drittel der damit gerade diejenigen, die relativ häufig unter Studien Qualitätsprobleme bei den Inhalten von gesundheitlichen Problemen leiden (Richter & gesundheitsspezifischen Angeboten im Internet Hurrelmann, 2006) – finden sich vergleichsweise sehen (Eysenbach, Powell, Kuss, & Sa, 2002). Eine selten unter den Nutzern. Dieses Problem wird in aktuelle Studie zu einem speziellen Medikament der Kommunikationswissenschaft allgemein, aber kommt dahingegen zum Ergebnis, dass alle gefun- auch in der Gesundheitskommunikation, unter denen Informationen im Internet zumindest als dem Begriff des Digital Divide diskutiert (z. B. ausreichend zu bewerten sind (Nasser, Mullan & Marr, 2005). Der Begriff bezieht sich auf der ersten Bajorek, 2012). Auch die Pharmaindustrie hat die Ebene auf den eingeschränkten Internetzugang Gesundheitskommunikation im Internet längst © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 278 Teil 4: Online-Gesundheits­kommunikation für sich entdeckt und wirbt hier für ihre Produkte Negative Folgen für das Gesundheitsverhal- (Huh, DeLorme & Reid, 2005), problematischer- ten. Neben den bereits angesprochenen positiven weise nicht immer als Werbung erkennbar (z. B. Wirkungen der Gesundheitskommunikation im Tu & Zimmerman, 2000). Internet – wie größere Erreichbarkeit und Empo- Dies ist vor allem dann ein Problem, wenn die werment –, können auch negative Folgen auftre- Nutzerinnen und Nutzer Qualität und Urheber ten. So können Unterschiede zwischen den The- von Informationen nicht einschätzen können. Die rapievorschlägen der Ärztin oder des Arztes und Befunde hierzu sind bislang nicht eindeutig. So Behandlungsempfehlungen im Internet zu einem kommen die Probanden einer deutschen Studie Vertrauensverlust oder gar einem gestörten Arzt- unter jungen und hochgebildeten Nutzern zu ähn- Patient-Verhältnis führen (z. B. Schmidt-Kaehler, lichen Qualitätsurteilen wie Experten (Trepte et 2005). Studien zeigen, dass zwischen 10 und 16 % al., 2005). Eine aktuellere Studie zeigt jedoch, dass der Patienten aufgrund von Informationen aus Patienten die online gefundenen Studien oftmals dem Internet schon einmal Behandlungsempfeh- als unklar und verwirrend empfinden (Sethuram lungen zurückgewiesen oder abgeändert haben Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-08-23 09:06) & Weerakkody, 2010). (Baker et al., 2003; Weaver et al., 2008). Dies ist Aufgrund dieser Probleme werden zunehmend jedoch nicht immer negativ zu bewerten. In ei- Initiativen zur unabhängigen Qualitätskontrolle nem systematischen Literaturüberblick fanden durch externe Dachverbände oder Möglichkeiten sich nur wenige Studien, die tatsächlich negative der Selbstkontrolle ins Leben gerufen. So können gesundheitliche Konsequenzen aufgrund von In- Internetanbieter etwa bei der Health on the Net formationen aus dem Internet belegten. Aller- Foundation, einer unabhängigen, weltweit aner- dings stellen die Autoren diese Beobachtung kannten Organisation aus der Schweiz (Health on selbst infrage, weil negative Folgen medizinischer the Net Foundation, 2009) oder beim deutschen Interventionen in den Fachzeitschriften generell Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem af- seltener publiziert werden als positive (Crocco, gis e. V. (Aktionsforum Gesundheitsinformations- Villasis-Keever & Jadad, 2002). Es ist also denk- system, 2014) eine Qualitätsprüfung beantragen, bar, dass Online-Gesundheitsangebote häufiger die nach erfolgreichem Bestehen durch ein Logo zu negativen Konsequenzen für die Gesundheit (HON-Code beziehungsweise afgis-Logo) auf der führen als bisher bekannt. Zumindest gilt es, die- Webseite verdeutlicht wird. sen Aspekt in Z­ ukunft eingehend zu untersuchen, Solche Maßnahmen der Selbstregulierung ha- denn unter bestimmten Umständen – vor allem ben jedoch ihre Grenzen. Sie greifen nur dort, wo wenn mangelndes Vertrauen in Ärzte, Bereit- die Anbieter auch gewillt sind, sich einer Quali- schaft zur Selbstmedikation, inakkurate Internet- tätskontrolle zu unterziehen, und wo die Nutzer in Informationen und mangelnde Kompetenz zur der Lage und motiviert sind, Qualitätssiegeln auch Qualitätsbewertung zusammenfallen – sind nega- Berücksichtigung zu schenken. Auch ist fraglich, tive Konsequenzen nicht unwahrscheinlich. inwieweit es möglich ist, Verfahren der Qualitäts- kontrolle auf sämtliche Angebote im Internet an- zuwenden. So lassen sich insbesondere die Inhalte in Social Media-Angeboten nur schwer kontrollie- mHealth ren und gerade diese können falsche oder verzerr- te Informationen enthalten. Das Qualitätsproblem Klassifizierung von mHealth-Angeboten auf Angebotsebene wird sich sicher niemals gänz- lich lösen lassen, weshalb es gilt, langfristig Be- Mobile Health lässt sich auf unterschiedlichste Ar- wusstsein und Kompetenzen der Nutzer zu för- ten und für unterschiedlichste Zwecke einsetzen dern, um einen angemessenen Umgang mit den (Scherenberg & Kramer, 2013). Konkret lassen Gesundheitsinformationen im Netz, aber auch in sich sechs Anwendungsbereiche identifizieren (Vi- den Medien generell, zu ermöglichen. tal Wave Consulting, 2009): © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 18. eHealth und mHealth: G ­ esundheitskommunikation online und mobil 279 Prävention und Gesundheitsförderung In manchen Fällen handelt es sich um generische Unterstützung von Diagnostik und Behand- Botschaften, die für alle Empfänger gleich bleiben, lung in anderen werden die Botschaften auf Charakte- Kommunikation und Training für Gesund- ristika homogener Empfängergruppen (Stichwort heitsberufe Targeting) oder einzelner Empfänger (Stichwort Nachverfolgung von Infektionsverläufen (Epi- Tailoring, siehe hierzu auch die Ausführungen demie-Prävention) oben) zugeschnitten. Fernüberwachung, Kontrolle und Erinnerung Smartphone-Apps. Über die Standardanwen- an Medikationseinnahme dungen einfacher Mobiltelefone hinaus bieten Datenerfassung per Fernabfrage Smartphones die Möglichkeit, typische Funktio- nen von PCs mobil zu nutzen (z. B. E-Mail, Multi- Schwerpunkt dieses Abschnitts sind – analog zu media, Internet) und zusätzlich Apps zu instal­ den bisherigen Ausführungen – mHealth-Anwen- lieren, die die Funktionalität der Telefone auf dungen für die Gesundheitsförderung und Prä- unterschiedliche Arten erweitern. Lauftrainings- Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-08-23 09:06) vention. Diese lassen sich unterscheiden nach Apps nutzen Beschleunigungssensoren und GPS, ­Anbieter (z. B. Behörden, Stiftungen, Kranken­ um Laufrouten zu registrieren und zu speichern. kassen, Unternehmen), Adressat (Gesunde, Risi- Apps zur Kontrolle von Gesundheitsdaten ver- kogruppen, Kranke, Laien, Experten), Interesse wenden Bluetooth, um das Smartphone mit (kom­merziell, nicht-kommerziell), Präventions­ ­externen Geräten zu verbinden (z. B. Glukometer, stufe (Primär-, Sekundär-, Tertiärprävention), Ge­ Pulsmessgeräte). Wieder andere setzen die Kame- sundheitsbereich (z. B. Ernährung, Fitness, Imp- rafunktion ein, um Lebensmittelverpackungen zu fungen), Aktivitätsgrad (push versus pull) und scannen und Informationen über ihren Nährstoff- Interaktivitätsgrad (einseitige Information versus gehalt zurückzuspielen. Ein Großteil der ange­ wechselseitige Interaktion). Die Hauptunterschei- botenen Gesundheits-Apps basiert auf der Mög­ dung betrifft die Art des Einsatzes mobiler Techno­ lichkeit, regelmäßig gesundheitsrelevante Daten logien für die Gesundheitsförderung. So nutzen einzugeben und sich somit selbst beobachten oder mobile Interventionen in der Regel entweder (1) Daten an Ärzte weitergeben zu können (z. B. SMS- oder MMS-Botschaften oder (2) Smart­ Schmerzlevel und Medikamenteneinnahme bei phone-Apps (Abroms et al., 2012). Rheuma; Abroms et al., 2012). SMS-/MMS-Interventionen. In SMS- oder Weltweit sind derzeit gut zwei Millionen Apps MMS-Interventionen werden meist über einen verfügbar (1 000 000 für Android, 900 000 für iOS, längeren Zeitraum hinweg Text- oder Multime- 160 000 für Windows und 120 000 für Blackberry; dia-Nachrichten an eine Zielgruppe gesendet, um Statista, 2014b). Rund 14 % beschäftigen sich mit ihnen Risikoinformationen zu liefern, Hinweise Gesundheit, Sport oder Lifestyle (Statista, 2014c). zur Umsetzung eines bestimmten Gesundheits­ Das IMS Institute for Healthcare Informatics verhaltens zu geben oder sie daran zu erinnern. (2013) führte eine Inhaltsanalyse von 16 275 Ge- Häufig werden diese vollautomatisiert an die sundheits-Apps für iPhone durch. Größtenteils ­Emp­fängerinnen und Empfänger gesendet, ohne ging es bei den angebotenen Apps um Well- Rückkoppelungsmöglichkeiten vorzusehen. Durch nessthemen, vor allem Ernährung und Sport. Im Hinweise auf andere Kommunikationskanäle Hinblick auf ihre Funktionalität erwiesen sich die (z. B. Hotline, Webseite) kann eine Möglichkeit meisten Apps als eingeschränkt, da sie selten mehr der Interaktion geboten werden. Vollständig inter- boten als reine Information. Auch nach West et al. aktive SMS-Interventionen integrieren zusätzlich (2012), die 3336 kostenpflichtige iPhone-Apps der die Möglichkeit, per SMS mit einem Gesundheits- Kategorie Gesundheit und Fitness analysierten, experten in Kontakt zu treten (Abroms et al., liefern die meisten Apps lediglich Informationen 2012). Des Weiteren unterscheiden sich SMS-­ oder basieren darauf, Erfolge zu messen, während Interventionen in ihrem Individualisierungsgrad. bestärkende Faktoren, etwa Feedback oder Inter- © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 280 Teil 4: Online-Gesundheits­kommunikation aktionsmöglichkeiten, selten vorgesehen sind. Bei- sind dadurch konstant erreichbar (Ling, 2012). de Studien zogen das Fazit, dass Gesundheits- Gerade auch spezifische Zielgruppen, die sonst Apps zwar ein erhebliches Potenzial für die schwer erreichbar sind (z. B. soziale Randgruppen) Gesundheitsförderung mit sich bringen, dieses können durch SMS-Interventionen besser erreicht ­jedoch nicht ausschöpfen. werden. Weitere Vorteile liegen darin, dass es ohne große Schwierigkeiten möglich ist, Zielgrup- pen wiederholt zu kontaktieren (Kontaktfrequenz), Nutzung dass man diese direkt ansprechen und individuell adressieren kann und dabei je nach Land und Pro- Die zunehmende Bedeutung von mHealth lässt vider einen relativ geringen Kostenaufwand hat. sich nicht nur durch das wachsende Angebot er- Smartphones bieten darüber hinaus – wie oben klären, sondern auch durch die Nutzung und Ver- bereits dargestellt – die Möglichkeit, unterschied- breitung der Mobilkommunikation selbst. So liegt lichste technische Möglichkeiten für Information die Durchdringung von Mobiltelefonen global bei über Gesundheit, Überwachung von Gesundheits- Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-08-23 09:06) fast 100 % und hat damit Fernsehen und PC hinter daten und Förderung von Verhaltensänderungen sich gelassen (ITU, 2013). In Deutschland hat zu nutzen. Interaktive Apps können relativ einfach die Durchdringung die 100 %-Marke sogar bereits maßgeschneiderte Botschaften, die spezifische überschritten (Bundesnetzagentur für Elektrizität, Probleme einzelner Personen bei der Verhaltens­ Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, umsetzung berücksichtigen, aussenden und da- 2012). Über 59 % der deutschen Mobiltelefonnut- bei Rückkoppelungsmöglichkeiten integrieren. zer besitzen ein Smartphone (Statista, 2014a) und Gleichzeitig bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, haben somit die Möglichkeit, sich Apps herunter- mithilfe von Apps das eigene Verhalten zu doku- zuladen und diese zu nutzen.1 Laut einer Studie mentieren, langfristig zu überwachen und an an- von Focus und Statista (2012) haben iPhone-Nut- dere (Peergruppe, Gesundheitsexperten) weiter- zer im Schnitt 44 Apps installiert und nutzen 23 zugeben (im Überblick siehe Abroms et al., 2012). mindestens einmal monatlich (bei Nutzerinnen Einige Evaluationsstudien, vor allem im Kon- und Nutzern von Android-Smartphones liegen text von SMS-Interventionen, deuten darauf hin, die Zahlen bei 28 bzw. 16 Apps). Zur Nutzung von dass der Einsatz von mHealth für die Beeinflus- Gesundheits-Apps gibt es in Deutschland kaum sung von gesundheitsbezogenen Kognitionen, In- Daten. Daten einer repräsentativen Telefonbefra- tentionen und Gesundheitsverhalten effektiv ist gung aus den USA zeigen, dass fast ein Drittel der (siehe die Reviews von Chib, 2013; Cole-Lewis & Handybesitzer in den USA bereits das Handy ge- Kershaw, 2010; Fjeldsoe, Marshall & Miller, 2009). nutzt hat, um sich über Gesundheit zu infor­ In Deutschland ist die Befundlage hierzu noch mieren. Ein Fünftel der Smartphonenutzer hat sehr dünn. Die Autorinnen dieses Beitrags führten mindestens eine Gesundheits-App installiert. Am ein Experiment zur Evaluation einer SMS-Inter- populärsten sind Apps aus den Bereichen Sport, vention bei jungen Erwachsenen durch (Ross- Ernährung und Gewichtsregulierung (Fox & Dug- mann & Karnowski, 2013). Im Gegensatz zur all- gan, 2012). gemeinen Befundlage konnte die Studie keinen Vorteil von SMS-Interventionen gegenüber einem einmalig präsentierten Text nachweisen. Ob dies Wirkungspotenzial und Wirkung 1 Zudem besaßen 2013 bereits 19 % der Haushalte mit Der Vorteil mobiler Medien im Vergleich zu tradi- Internetanschluss in Deutschland ein Tablet (van Ei- tionellen Kanälen besteht neben der hohen Durch­ meren, 2013) – und damit einen weiteren Zugangs- weg für Apps, der jedoch aufgrund der geringeren dringung auch in der zeit- und ortsunabhängigen Verbreitung und etwas anderer Nutzungsmodalitäten Erreichbarkeit der Zielgruppen. Die Nutzer haben für mHealth im Moment noch eine geringere Rolle ihre Mobilfunkgeräte üblicherweise bei sich und spielen dürfte. © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 18. eHealth und mHealth: G ­ esundheitskommunikation online und mobil 281 auf interkulturelle Unterschiede in der Effektivität von mHealth schließlich auch eine ethische Frage: von mHealth-Interventionen hindeutet oder eher Solange noch nicht eindeutig geklärt ist, welche ein Hinweis auf das noch mangelnde Verständnis Risiken die Mobilfunkstrahlung mit sich bringt, ist ist, wie und wofür sich mHealth eignet, kann auf dieser Kanal nicht uneingeschränkt geeignet, um dieser Basis noch nicht beantwortet werden. Nicht Gesundheit zu fördern, fordert man damit die nur in Deutschland, sondern auch auf internatio- Nutzer doch indirekt zu einer intensiveren Mobil- naler Ebene weist der Forschungsstand noch deut- funknutzung auf, die möglicherweise schädlich ist liche Lücken auf. So fehlt es an einem klaren Ver- (siehe im Überblick Abroms et al., 2012). ständnis darüber, wie mHealth eingesetzt werden muss, um optimale Ergebnisse zu erzielen (etwa im Hinblick auf die notwendige Dosis, Kontakt- frequenz und Dauer der Intervention, die Gestal- Fazit und Ausblick tung der Botschaften sowie den Einfluss maßge- schneiderter, interpersonaler und interaktiver Gesundheitskommunikation online und mobil ist Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-08-23 09:06) Kommunikation). Darüber hinaus wird die man- keine Randerscheinung mehr. Das Angebot an gelnde theoretische Fundierung von mHealth-­ Gesundheitswebseiten und -apps verschiedenster Interventionen angemahnt, die bislang häufig Art wächst stetig, gleichzeitig steigt auch die An- eher von einem technischen Interesse als von zahl derer, die diese Angebote nutzen. Der Vorteil ­gesundheitspsychologischen Erkenntnissen getrie- ist, dass diese Angebote für die meisten Menschen ben sind (Tomlinson et al., 2013). bequem, kostengünstig und ortsunabhängig nutz- bar sind, wodurch a

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