Fall 4 - Lösungsskizze PDF
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Universität Wien
Jana Germ
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Summary
This document is a case study on criminal law, specifically dealing with the analysis of legal situations involving the potential criminal offense of theft (§ 127 StGB). The case study, titled "Fall 4 – Lösungsskizze", is detailed and provides solutions, including examination of elements of a criminal act, and consideration of qualifications and privileges (e.g., § 128 StGB, § 134 StGB). The solution focuses on examining the legal arguments for liability and the potential legal defenses.
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Anfängerübung zur Falllösung aus Strafrecht Univ.-Ass. Mag. Jana Germ Fall 4 – Lösungsskizze I. Laptop Strafbarkeit des Paul wegen der Mitnahme des Laptops gem § 127 StGB: I) Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand: Das Tatobjekt des § 127 StGB ist eine fremde bewegliche körperliche Sache mit...
Anfängerübung zur Falllösung aus Strafrecht Univ.-Ass. Mag. Jana Germ Fall 4 – Lösungsskizze I. Laptop Strafbarkeit des Paul wegen der Mitnahme des Laptops gem § 127 StGB: I) Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand: Das Tatobjekt des § 127 StGB ist eine fremde bewegliche körperliche Sache mit Tauschwert. Fremd ist eine Sache, die nicht im Alleineigentum des Täters bzw der Täterin, dh die zumindest im Miteigentum einer von dem bzw der Täter:in verschiedenen Person steht. Sie ist beweglich, wenn sie ohne Substanzverlust bewegt werden kann. Körperlich ist eine Sache dann, wenn sie „in die Sinne fällt“, dh wenn sie physisch wahrgenommen werden kann. Eine Sache hat Tauschwert/Wertträgereigenschaft, wenn sie am Markt einen Wert hat, also verkauft werden kann (bloßer Gebrauchswert reicht für den Diebstahl nicht!). Der Laptop ist eine fremde Sache, da er dem bzw der Inhaber:in des Elektronikgeschäfts gehört und damit im Alleineigentum einer von Paul verschiedenen Person steht. Der Laptop ist auch eine bewegliche und körperliche Sache, da er sich ohne Substanzverlust fortbewegen lässt und „in die Sinne fällt“. Der Laptop ist auch ein Wertträger. Er besitzt wirtschaftlichen Tauschwert, da er zu Geld gemacht werden kann. (Anm.: Bei „körperlich“ und „Tauschwert“ handelt es sich um ungeschriebene Tatbestandsmerkmale.) Die Tathandlung ist die Wegnahme der Sache. Eine Sache wird weggenommen, wenn fremder Gewahrsam ohne Einverständnis des bisherigen Gewahrsamsinhabers bzw der Gewahrsamsinhaberin gebrochen und neuer Alleingewahrsam begründet wird. Der Laptop befindet sich im Alleingewahrsam des Inhabers bzw der Inhaberin des Elektronikgeschäfts. Bei großen Sachen, die nicht am Körper verborgen werden (können), ist es für die Vollendung des Diebstahls notwendig, dass die Sache aus dem vom bzw von der Gewahrsamsinhaber:in generell beherrschten Raum entfernt wird. Hier bricht Paul den Gewahrsam des Inhabers bzw der Inhaberin des Geschäfts und begründet Alleingewahrsam zu dem Zeitpunkt, als er mit dem Laptop das Geschäft verlässt. Damit ist der objektive Tatbestand des Diebstahls erfüllt. (Anm.: Der Diebstahl wird in dieser Lösung wie ein schlichtes Tätigkeitsdelikt geprüft, weil sich beim Diebstahl durch eine Erfolgsprüfung meist nichts gewinnen lässt. Die Tathandlung ist hier grds mit dem Erfolg gleichsetzbar. Daher ist hier ausnahmsweise nicht auf Erfolg, Kausalität und objektive Zurechnung einzugehen, obwohl der Diebstahl an sich als Erfolgsdelikt verstanden wird.) 2. Subjektiver Tatbestand: Diebstahl erfordert das Vorliegen von Tatbildvorsatz sowie erweitertem Vorsatz. Der erweiterte Vorsatz besteht aus dem Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz. Der Tatbildvorsatz muss sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale im Zeitpunkt der Wegnahme (= Tathandlung) beziehen (Gleichzeitigkeitsprinzip), somit auch auf das Tatbestandsmerkmal „fremd“. Bei Paul ist der Vorsatz auf die Tatbildmerkmale wohl in Form der Absicht gem § 5 Abs 2 StGB gegeben. 1 Er möchte sich den Laptop auch zueignen und sich dadurch unrechtmäßig bereichern. Daher ist auch der erweiterte Vorsatz gegeben. Paul erfüllt daher neben dem objektiven auch den subjektiven Tatbestand des § 127 StGB. II) Rechtswidrigkeit Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit. Es liegen keine Rechtfertigungsgründe vor. III) Schuld Es liegen keine Schuldausschließungsgründe vor. Ergebnis: Paul ist strafbar nach § 127 StGB. II. Geldbörse mit Bargeld Strafbarkeit des Paul wegen dem Einstecken der Geldbörse und des Bargeldes gem § 127 StGB: I) Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand: Die Geldbörse und das Bargeld sind fremde Sachen, die der älteren Dame gehören und damit im Alleineigentum einer von Paul verschiedenen Person stehen. Sie sind bewegliche und körperliche Sachen, da sie sich ohne Substanzverlust fortbewegen lassen und „in die Sinne fallen“. Die Geldtasche ist auch ein Wertträger. Sie besitzt wirtschaftlichen Tauschwert, da sie zu Geld gemacht werden kann. Das Bargeld ist jedenfalls ein Wertträger. Die Tathandlung ist die Wegnahme der Sache. Hier bricht Paul den Gewahrsam der älteren Dame und begründet Alleingewahrsam in dem Zeitpunkt, in dem er die Geldbörse und das Bargeld einsteckt. Bei kleinen Sachen ist der Diebstahl bereits mit dem Einstecken vollendet. 2. Subjektiver Tatbestand: Paul hat zumindest dolus eventualis auf die Elemente des objektiven Tatbestandes. Weiters hat Paul auch Vorsatz auf eine unrechtmäßige Bereicherung. Paul erfüllt daher auch den subjektiven Tatbestand des § 127 StGB. II) Rechtswidrigkeit Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit. Es liegen keine Rechtfertigungsgründe vor. III) Schuld Es liegen keine Schuldausschließungsgründe vor. 2 Prüfen von Qualifikationen und Privilegierungen: Qualifikation § 128 Abs 1 Z 1 StGB: Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand: Da die ältere Dame gestürzt ist und nicht mehr alleine aufstehen kann, befindet sich das Opfer in einer Lage, in der es besonders schutzbedürftig ist. Es liegt daher eine individuelle Bedrängnis des Opfers vor. Paul nutzt diese Lage des Opfers aus. Er verwirklicht somit den objektiven Tatbestand der Qualifikation. 2. Subjektiver Tatbestand: Bei den Qualifikationen des § 128 StGB handelt es sich um Deliktsqualifikationen, daher muss der Täter gem § 7 Abs 1 StGB Vorsatz auf die qualifizierenden Umstände haben. Es genügt Eventualvorsatz. Paul hat zumindest dolus eventualis auf die Elemente des objektiven Tatbestandes der Qualifikation. Ergebnis: Paul ist strafbar nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 1 StGB. (Anm.: Hier könnte man weiters Unterlassung der Hilfeleistung gem § 95 StGB prüfen. Da in diesem Fall der Schwerpunkt auf den Vermögensdelikten liegt, wird auf die Unterlassungsdelikte in einer anderen Einheit eingegangen.) III. Lehrbücher Strafbarkeit der Fanny wegen der Mitnahme der Lehrbücher gem § 127 StGB: I) Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand: Die Lehrbücher sind fremde Sachen, die anderen Studierenden gehören und damit im Alleineigentum einer von Fanny verschiedenen Person stehen. Sie sind bewegliche und körperliche Sachen, da sie sich ohne Substanzverlust fortbewegen lassen und „in die Sinne fallen“. Die Bücher sind Wertträger, sie haben wirtschaftlichen Tauschwert, da sie zu Geld gemacht werden können. Die Bücher wurden im faktischen Herrschaftsbereich der Universität Wien zurückgelassen, somit übernimmt der Rektor der Universität (und für diesen die Bibliotheksmitarbeiterin) subsidiären Gewahrsam an diesen. Bei großen Sachen, die nicht am Körper verborgen werden (können), ist es für die Vollendung des Diebstahls notwendig, dass die Sache aus dem vom Gewahrsamsinhaber generell beherrschten Raum entfernt wird. Hier bricht Fanny den subsidiären Gewahrsam des Rektors und begründet Alleingewahrsam spätestens zu dem Zeitpunkt, als sie mit den Büchern das Juridicum verlässt. Damit ist der objektive Tatbestand des Diebstahls erfüllt. 2. Subjektiver Tatbestand: Diebstahl erfordert das Vorliegen von Tatbildvorsatz sowie erweitertem Vorsatz. Der erweiterte Vorsatz besteht aus dem Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz. Der Tatbildvorsatz muss sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale im Zeitpunkt der Wegnahme (= Tathandlung) beziehen 3 (Gleichzeitigkeitsprinzip), somit auch auf das Tatbestandsmerkmal „fremd“. Im Zeitpunkt des Gewahrsamsbruchs glaubt Fanny aber, dass die Bücher ihr gehören. Fanny irrt über das Tatbestandsmerkmal „fremd“. Sie unterliegt damit einem Tatbildirrtum, da sie nicht erkennt, dass sie mit dem Entfernen der Bücher einen Sachverhalt verwirklicht, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (Umkehrschluss aus § 5 Abs 1 StGB). Damit fehlt der Tatbildvorsatz und scheidet eine Bestrafung nach § 127 aus. (Anm.: Eine Prüfung des erweiterten Vorsatzes erübrigt sich damit.) Die Bestrafung wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts kommt in Betracht, wenn ein entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt existiert und Fannys Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht (doppelt bedingte Fahrlässigkeitsprüfung). Ein zu § 127 StGB entsprechendes Fahrlässigkeitsdelikt gibt es nicht, sodass in diesem Fall auch nicht zu prüfen ist, ob Fannys Irrtum auf Fahrlässigkeit beruht. (Anm.: Eine Prüfung der Rechtswidrigkeit und der Schuld erübrigt sich, wenn bereits der Tatbestand nicht erfüllt ist.) Ergebnis: Fanny ist nicht strafbar gem § 127 StGB. Fanny könnte jedoch eine Anschlussunterschlagung gem § 134 Abs 2 StGB begangen haben. Strafbarkeit der Fanny wegen des Anbietens der Bücher zum Verkauf gem § 134 Abs 2 StGB: I) Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand: Die Bücher sind fremde Güter, da sie im Eigentum einer/eines anderen Studierenden stehen, körperlich und beweglich sind, und Tauschwert haben. Jedenfalls handelt es sich um diebstahltaugliche Sachen, weswegen es eindeutig Güter sind. Durch das Entfernen der Bücher aus dem Juridicum im Glauben, es seien ihre, hat Fanny diese zunächst ohne (unrechtmäßigen) Zueignungsvorsatz in ihren Gewahrsam gebracht. In weiterer Folge will sie die Bücher verkaufen. Um tatbestandsmäßig zu handeln, muss sich Fanny das Gut zueignen, dh nach außen hin durch ihr Verhalten zum Ausdruck bringen, dass sie das Gut in das eigene freie Vermögen oder in das eines bzw einer Dritten überführt und somit wie eine Eigentümerin mit der Sache verfährt. Indem Fanny die Bücher über Facebook zum Verkauf anbietet, setzt sie eine typische Zueignungshandlung. Sie handelt somit tatbildmäßig nach § 134 Abs 2 StGB. (Anm.: Da Fanny die Bücher nicht „findet“ (die Bücher ist nicht gewahrsamsfrei), kommt § 134 Abs 1 StGB (Fundunterschlagung) nicht in Betracht). 2. Subjektiver Tatbestand: Fanny hat Vorsatz auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale, da sie die Bücher, von denen sie weiß, dass sie fremde Güter sind, fortan als eigene betrachtet und sie sich durch das Anbieten zum Verkauf zueignen will. Sie hat auch Bereicherungsvorsatz, da sie die Bücher verkaufen will, um den Wert ins eigene Vermögen zu überführen und sich damit unrechtmäßig zu bereichern. (Anm.: Beachten Sie den Unterschied zur Gelegenheitsunterschlagung gem § 134 Abs 1 2. Fall StGB: Während bei der Gelegenheitsunterschlagung der Irrtum aufseiten des „Opfers“ liegen muss, liegt der Irrtum bei der Anschlussunterschlagung gem § 134 Abs 2 StGB aufseiten des Täters.) 4 II) Rechtswidrigkeit Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit. Es liegen keine Rechtfertigungsgründe vor. III) Schuld Es liegen keine Schuldausschließungsgründe vor. Prüfen von Qualifikationen und Privilegierungen: In Betracht käme die Privilegierung nach § 141 StGB (Entwendung). Voraussetzung ist eine Sache geringen Wertes, bei den gebrauchten Büchern könnte das angenommen werden. Die Handlung ist die Zueignung, also das Anbieten zum Verkauf. Die Privilegierung scheidet aber aus, da Fanny weder aus Not oder Unbesonnenheit, noch zur Befriedigung eines Gelüstes handelt. (Anm: § 141 StGB ist kein eigener Deliktstypus. Wenn die Privilegierungsvoraussetzungen erfüllt sind, wird der Diebstahl oder die Unterschlagung als Entwendung bezeichnet. Eine Sache geringen Wertes liegt nach der hM bei einem Wert bis zu etwa 100 € vor.) Ergebnis: Fanny ist strafbar gem § 134 Abs 2 StGB. IV. Variante Strafbarkeit der Fanny wegen Mitnahme der Bücher gem § 127 StGB: I) Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand: Bzgl des objektiven Tatbestands vgl oben. 2. Subjektiver Tatbestand: Da Fanny in der Sachverhaltsvariante die Fremdheit der Sache rechtzeitig (noch vor dem Mitnehmen) erkennt, kommt kein Tatbildirrtum in Betracht. Fanny hat im Zeitpunkt der Tathandlung Vorsatz auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale. Neben dem Tatbildvorsatz hat Fanny auch erweiterten Vorsatz (Zueignungs- und Bereicherungsvorsatz): Fanny will sich die Sache zueignen, da sie mit ihr wie eine Eigentümerin verfährt, indem sie sie auf Facebook zum Verkauf anbietet. Durch den Erlös aus dem Verkauf der Bücher will sie sich auch bereichern. II) + III) Rechtswidrigkeit + Schuld Es liegen keine Rechtfertigungsgründe und keine Schuldausschließungsgründe vor. Prüfen von Qualifikationen und Privilegierungen: Auch hier könnte man § 141 StGB als Privilegierung in Erwägung ziehen. Die geprüfte Handlung ist hier allerdings die Wegnahme der Bücher. Hier kommt die Privilegierung eher in Betracht als bei § 134 Abs 2 StGB, weil die Wegnahme eventuell aus Unbesonnenheit erfolgt ist. Es muss sich dabei um einen Willensimpuls handeln, den der Täter sonst aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur unterdrückt hätte. Mangels näheren Angaben im Sachverhalt ist die Privilegierung aber zu verneinen. Ergebnis: Fanny ist strafbar gem § 127 StGB. 5