Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen PDF
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This document details the tasks and actors involved in the German healthcare system. It provides an overview of the economic significance of the healthcare sector, highlighting the involvement of different stakeholders. The document also describes the principles and organization of the German social welfare state, as well as different economic categories of healthcare.
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Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 11 1 Grunddaten im Überblick Lernziele Wenn Sie dieses Kapitel durchgearbeitet haben, können Sie l definieren, was unter Gesundheitswirtschaft verstanden wird und l erklären, dass s...
Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 11 1 Grunddaten im Überblick Lernziele Wenn Sie dieses Kapitel durchgearbeitet haben, können Sie l definieren, was unter Gesundheitswirtschaft verstanden wird und l erklären, dass sich die Gesundheitswirtschaft aus verschiedenen Akteuren zusammensetzt. Einleitend werden im Überblick ausgewählte Grunddaten zur Gesundheitswirtschaft vorgestellt. Sie sollen deren wirtschaftliche Bedeutung aufzeigen. Gesundheitsausgaben Die deutsche Gesundheitswirtschaft ist eine dynamische Wirtschaft mit hoher Innovationskraft und erheblicher ökonomischer Bedeutung für den Standort Deutschland. Die Gesundheitsausga- ben beliefen sich im Jahr 2018 auf rund 391 Mrd. € – das entspricht einem Anteil von 11,7 % des Bruttoinlandsprodukts. Im Kernbereich der Gesundheitswirtschaft werden 70 % der Ausga- ben durch die sozialen Sicherungssysteme finanziert. Allein die Ausgaben der GKV betrugen 2018 insgesamt 222,1 Mrd. €. Der Anteil der PKV an den Gesundheitsausgaben belief sich im Jahr 2018 auf 33,3 Mrd. € oder 8,5 % der Gesundheitsausgaben.4 Oft wird darauf hingewiesen, dass die Gesundheitsversorgung die Wirtschaft und die Beschäftig- ten mit hohen Kosten belasten. Diese Sichtweise vernachlässigt die Tatsache, dass eine gute Ge- sundheitsversorgung über die ökonomische Bedeutung des Gesundheitssektors hinaus gleichzei- tig einen großen volkswirtschaftlichen Nutzen hat. Denn ein Gesundheitssystem mit guter medi- zinischer Akutversorgung und einem ausgebauten Rehabilitationswesen trägt wesentlich dazu bei, dass die Erwerbsfähigkeit und Produktivität der Erwerbstätigen erhalten bleibt und die Men- schen aus eigener Kraft für ihren Unterhalt sorgen können. Gesundheitspersonal5 Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, hatten 2018 rund 3,63 Mio. Beschäftigte im Gesundheits- wesen in Deutschland direkten Patientenkontakt. Insgesamt arbeiteten 5,65 Mio. Beschäftigte im Gesundheitsbereich – von ärztlichen Praxen und Krankenhäusern über medizinische Labore bis hin zu Apotheken. Dies waren 73.000 (+ 1,3 %) mehr als im Vorjahr. Davon waren 76 % Frauen. Besonders unter Druck steht vielerorts das Personal in Krankenhäusern, welches an Covid-19 Er- krankte betreut. Etwa ein Fünftel des gesamten Gesundheitspersonals war zuletzt in Krankenhäu- sern tätig (1,17 Mio.), weitere 836.000 Beschäftigte arbeiteten in anderen stationären oder teil- stationären Einrichtungen. In Arztpraxen arbeitete jede bzw. jeder achte Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen (700.000). Knapp ein Fünftel des Gesundheitspersonals (1,11 Mio.) war in Berufen der Gesundheits- und Krankenpflege, im Rettungsdienst und der Geburtshilfe tätig. Etwa die Hälfte von ihnen (538.000) arbeiteten in Krankenhäusern. 465.000 Humanmediziner sowie Zahnmediziner gab es im Jahr 2018 in Deutschland, davon 391.000 in der Humanmedizin, die übrigen 74.000 in der Zahnmedizin. Die meisten Humanme- diziner (356.000 bzw. 91,2 %) arbeiteten in Krankenhäusern, Vorsorge- und Rehabilitationsein- richtungen sowie in Arzt- und Zahnarztpraxen. 4 Siehe auch Pressemitteilung Nr. 164 des Statistisches Bundesamt (2018), vom 12. Mai 2020. 5 Vgl. Pressemitteilung Nr. N085 des Statistisches Bundesamt (2019) vom 23. Dezember 2020. 12 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Auch im Gesundheitswesen gehört ein Teil der Beschäftigten aufgrund ihres Alters zur Risiko- gruppe für einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf. Mit einem Anteil von 12 % war nahezu jede bzw. jeder achte Beschäftigte im Gesundheitswesen mindestens 60 Jahre alt, deutlich mehr als ein Drittel (41 %) war 50 Jahre und älter. Besonders hoch war der Anteil der über 59-Jährigen bei den in Praxen tätigen Humanmedizinern (30,7 %). Unter den Humanmedizinern waren ins- gesamt 19,2 % mindestens 60 Jahre alt, 46,9 % waren 50 Jahre und älter. Beim Personal in Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe waren 8,6 % mindestens 60 Jahre alt, mehr als ein Drittel (36 %) war mindestens 50 Jahre und älter. Ende 2019 waren in Pflegeheimen 796.000 Mitarbeitende beschäftigt, davon 593.000 (74,5 %) hauptsächlich in der Pflege und Betreuung. Mit einem Anteil von knapp 13 % war jede bzw. jeder achte Beschäftigte in Pflegeheimen mindestens 60 Jahre alt, fast die Hälfte (43 %) war 50 Jahre und älter. Von den Beschäftigten, die direkt mit der Pflege und Betreuung betraut waren, waren 11 % mindestens 60 Jahre alt (64.000 Menschen), 39 % waren 50 Jahre und älter (229.000). In ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten arbeiteten Ende 2019 rund 422.000 Menschen. An- nähernd drei Viertel (72,2 %) waren überwiegend in der Pflege und Betreuung tätig (304.000). Die Altersstruktur ist ähnlich wie in den Pflegeheimen: 60 Jahre und älter waren 12 % der Beschäf- tigten (51.000) der ambulanten Dienste, 41 % waren 50 Jahre und älter (173.000). Von den Mit- arbeitenden, die direkt mit der Pflege und Betreuung betraut waren, waren knapp 11 % mindes- tens 60 Jahre alt (33.000 Menschen, 38 % waren 50 Jahre und älter (117.000). Die nachfolgende Abbildung zeigt das Gesundheitspersonal nach ausgewählten Einrichtungen in Tsd.6 Abbildung 1: Gesundheitspersonal nach ausgewählten Einrichtungen. (Quelle: Statistisches Bundesamt (2021)) 6 Vgl. Statistisches Bundesamt (2017). Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 13 Perspektiven der Gesundheitswirtschaft Die demographische Entwicklung in Deutschland und das wachsende Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung führen zu einer zusätzlichen Nachfrage nicht nur nach herkömmlichen, profes- sionellen Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Pflege und Betreuung, sondern auch an Produkten und Dienstleistungen des zweiten Gesundheitsmarkts. Die Gesundheitswirtschaft bietet somit jetzt und für die Zukunft vielfältige Chancen für Wachs- tum und Beschäftigung sowie für Innovationen.7 Als zweiter Gesundheitsmarkt werden alle privat finanzierten Produkte und Dienstleistungen rund um die Gesundheit bezeichnet. Dabei ist die Zuordnung, welche Waren und Dienstleistungen einen Bezug zur Gesundheit aufweisen, nicht klar definiert und teilweise umstritten. Der zweite Gesundheitsmarkt umfasst nach allgemeinem Verständnis freiverkäufliche Arzneimittel und indi- viduelle Gesundheitsleistungen, Fitness und Wellness, Gesundheitstourismus sowie die Bereiche Sport/Freizeit, Ernährung und Wohnen. Abbildung 2: Wirtschaftspolitisch relevante Kennzahlen der Gesundheitswirtschaft. (Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019), S. 4) 7 Bundesministerium für Gesundheit (2019). 14 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Übungsaufgabe zu Kapitel 1 001 Unterscheiden Sie kurz zwischen erstem und zweitem Gesundheitsmarkt. Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 15 2 Gestaltungs- und Organisationsprinzipien Lernziele Wenn Sie dieses Kapitel durchgearbeitet haben, können Sie l darstellen, dass die Sozialstaatsklausel eine konsens- und konkretisierungsbedürftige Verfassungsnorm ist; l wesentliche Gestaltungs- und Organisationsprinzipien im Gesundheitswesen nennen und im Einzelnen erläutern; l den Sinn und die Aufgabe der Selbstverwaltung aufzeigen. Verfassungsrechtliche Grundlage des deutschen Sozialstaats ist die Sozialstaatsklausel des Grund- gesetzes. Danach ist die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundes- staat.8 Das Sozialstaatsprinzip garantiert neben sozialen Mindeststandards (z. B. dem Existenzmi- nimum) auch die Normen der sozialen Sicherheit und der sozialen Gerechtigkeit. Die gesetzliche Krankenversicherung ist eine Versicherung, die als Solidargemeinschaft die Auf- gabe hat, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesund- heitszustand zu verbessern.9 Der Solidarität der Gemeinschaft entspricht die Eigenverantwortung des Einzelnen.10 Die Aufgaben werden durch rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung erfüllt.11 Die Organisation ist durch Gliederung gekennzeichnet12 und zu Zusammenarbeit13 und Wirtschaftlichkeit14 verpflichtet. 2.1 Sozialstaatsprinzip Das Sozialstaatsprinzip ist im Grundgesetz weit und unbestimmt formuliert und enthält keine unmittelbaren Handlungsanweisungen. Vielmehr ist es Aufgabe des Gesetzgebers und der Bun- desregierung, es politisch auszugestalten.15 Bei der Auslegung von Grundrechten und Gesetzen ist das Sozialstaatsprinzip zu beachten. Kernelement des Sozialstaats und prägnanter Ausdruck des Sozialstaatsprinzips ist die Sozialver- sicherung mit den Zweigen der Renten-, Kranken-, Unfall-, Pflegeversicherung und dem Recht auf Arbeitsförderung. Damit ist keine institutionelle Garantie der derzeitigen Organisation verbunden. Vielmehr sind Änderungen auf der Finanzierungs- und Leistungsseite der Sozialversicherung denk- bar und zulässig. 8 Vgl. Art. 20 Abs. 1 GG (29.09.2020) 9 Vgl. § 1 Satz 1 SGB V (22.02.2021) 10 Vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V (22.02.2021) 11 Vgl. § 4 Abs. 1 SGB V (22.02.2021) 12 Vgl. § 4 Abs. 2 SGB V (22.02.2021) 13 Vgl. § 4 Abs. 3 SGB V (22.02.2021) 14 Vgl. § 4 Abs. 4 SGB V (22.02.2021) 15 BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005 (1 BVR 347/98) mit weiteren Hinweisen auf grundlegende Urteile des Bundesverfassungsgerichts. 16 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 2.2 Subsidiaritäts- und Solidarprinzip Das Subsidiaritätsprinzip trägt der „Vorrangigkeit der kleineren Einheit” Rechnung. Es stammt aus der katholischen Soziallehre und gehört inzwischen zum allgemeinen Gedankengut. In der derzei- tigen Auslegung bedeutet Subsidiarität für die Gewährung sozialer Leistungen, dass der Staat als letzter Ausfallbürge erst dann eingreifen darf, wenn nachgeordnete Instanzen wie Familie, Ver- wandte, Freunde u. a. keine Hilfe mehr leisten können.16 In aufsteigender Linie sollen die nächst- höheren sozialen Einheiten bis hinauf zur Ebene des Bundes die erforderlichen Leistungen erbrin- gen. Dazu gehören die staatlichen Leistungen, die den Bürger bzw. die Bürgerin in die Lage ver- setzen, sich selbst zu helfen: Erziehung, Bildung, Ausbildung und Bereitstellung der Infrastruktur. Aus dem Subsidiaritätsprinzip lässt sich eine nach ihrer Leistungsfähigkeit gestufte Pyramide der Inanspruchnahme von Solidargemeinschaften ableiten:17 l Zunächst hat das betroffene Individuum die Lasten zu tragen, die seiner Leistungsfähigkeit entsprechen und ihm zumutbar sind. l Danach haben Lebens- und Ehepartner und die Familie ihre Unterstützungsleistungen zu erbringen. l Wenn diese durch Unterstützungsleistungen überfordert sind, hat eine größere Solidarge- meinschaft wie die gesetzliche Krankenversicherung mit Leistungen einzutreten. l Erst zuletzt sollte schließlich die größte Solidargemeinschaft, die Gemeinschaft aller Staats- bürger, in Anspruch genommen werden. Erscheinungsformen des Subsidiaritätsprinzips finden sich an zahlreichen Stellen des Sozialrechts. Am deutlichsten ausgeprägt ist es im Bereich der Sozialhilfe, beispielsweise mit seiner Anrechnung von Ersparnissen und Vermögenswerten auf Leistungsansprüche oder mit seinem Rückgriff auf Familienangehörige. In der GKV ist das Subsidiaritätsprinzip eher von untergeordneter Bedeutung, auch wenn es in § 1 SGB V18 gleichwertig neben das Solidarprinzip gestellt wird. Abbildung 3: Die Subsidiaritätspyramide. (Quelle: Eigene Darstellung) Unter der Überschrift „Solidarität und Eigenverantwortung” wird ausdrücklich auf die Verantwor- tung der Versicherten für ihre Gesundheit hingewiesen. Der Grundsatz der Subsidiarität tritt in der gesetzlichen Krankenversicherung vor allem in der Ausgrenzung sogenannter Bagatellarznei- 16 Vgl. Finkenbusch (2008), S. 21. 17 Vgl. Simon (2017), S. 62. 18 § 1 SGB V (22.02.2021) Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 17 mittel und in den Zuzahlungs-, Härtefall- und Überforderungsregelungen in Erscheinung. Als Aus- druck des Subsidiaritätsprinzips können Zuzahlungen insofern begriffen werden, als Versicherte über Zuzahlungen einen Teil ihrer Behandlungskosten selbst tragen und dadurch die Solidarge- meinschaft entlastet wird. Das Solidaritätsprinzip ist auf das Einstehen füreinander angelegt. In der Sozialversicherung stehen demnach Erwerbstätige für Arbeitslose, Gesunde für Kranke und Jüngere für Ältere ein. Gleich- zeitig finden umverteilende Maßnahmen zugunsten einkommensschwacher und hilfsbedürftiger Menschen und Gruppen statt. Wirtschaftlich leistungsfähigen Bürgern und Gruppen werden so- lidarische Opfer abverlangt. 2.3 Bedarfsdeckungsprinzip Aufgabe der Sozialhilfe ist es nach § 1 SGB XII,19 den Leistungsberechtigten, also Personen in materiellen Notlagen, die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Dadurch wird in der Bundesrepublik Deutschland die Sicherstellung eines soziokultu- rellen Mindestniveaus garantiert und Armut sowie durch Armut verursachte soziale Ausgrenzung verhindert. Armut bedeutet nach dem umfassenden Verständnis, das der Armuts- und Reichtums- Berichterstattung der Bundesregierung20 zugrunde liegt, die Ungleichheit von Lebensbedingun- gen und die Ausgrenzung von einem gesellschaftlich akzeptierten Lebensstandard. Die durch die Sozialhilfe ermöglichte, menschenwürdige Lebensführung beschränkt sich deshalb nicht allein auf die Behebung materieller Mängel, sondern bezieht auch fehlende kulturelle und soziale Mittel ein. Nur mit diesem umfassenden Ansatz kann Ausgrenzung von einem gesell- schaftlich akzeptierten Lebensstandard verhindert werden. Bei der Sozialhilfegewährung ist des- halb auf die jeweils herrschenden Lebensgewohnheiten und Erfahrungen insbesondere von Men- schen mit geringem Einkommen Rücksicht zu nehmen. Damit wird es Leistungsberechtigten in der Sozialhilfe ermöglicht, ähnlich wie Personen mit geringem Einkommen zu leben. Dies bedeu- tet, dass Leistungsberechtigte so leben können wie Personen, die über ein deutlich unterhalb des für alle Haushalte geltenden Durchschnitts liegendes Einkommens verfügen, aber nicht oder nicht ausschließlich von Leistungen nach dem SGB XII oder dem SGB II leben. Nur unter dieser Voraus- setzung sind die Leistungsberechtigten in der Öffentlichkeit nicht als Bezieher dieser Leistungen erkennbar. Bezogen auf die Leistungen zur Bestreitung des Lebensunterhalts bedeutet dieser Grundsatz, dass durch die Leistungen der Sozialhilfe – ebenso durch die Lebensunterhaltsleistun- gen nach dem SGB II – ein menschenwürdiges Existenzminimum zu gewährleisten ist. Diese Sicht- weise bildet auch den Kernpunkt des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 zur Höhe der Regelleistungen nach dem SGB II.21 Aus diesen Grundsätzen leitet sich der Bedarfsdeckungsgrundsatz ab.22 Dieser besagt, dass mit den Leistungen der Sozialhilfe ein Bedarf zu definieren und zu decken ist, ohne den ein menschenwür- diges Leben nicht geführt werden kann. Der mit diesen Leistungen verfolgte Zweck muss tatsächlich erreicht werden. Dies bedeutet aber auch, dass ein darüber hinausgehender Bedarf nicht zu decken ist. Aus dem Bedarfsdeckungsgrundsatz ergibt sich ferner, dass die Sozialhilfeleistungen für einen konkreten Zweck geleistet werden, aus diesem Grund für den Leistungsberechtigten nicht verzicht- bar sind und deshalb auch nicht uneingeschränkt gepfändet werden können. 19 § 1 SGB XII (11.02.2021) 20 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2018), S. 769. 21 Ebenda (2018), S. 769. 22 Ebenda (2018), S. 769. 18 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Das SGB XII23 sieht neben dem Rechtsanspruch auf Leistungen auch sogenannte „Soll-Leistungen” und „Kann-Leistungen” vor. Hier ist der Träger nicht zur Leistungsgewährung verpflichtet, sein Ermessen beginnt also bereits bei der Frage, ob eine Leistung zu gewähren ist. Dabei ist der Ermes- sensspielraum des Sozialhilfeträgers bei einer Kann-Leistung größer als bei einer Soll-Leistung.24 2.4 Sachleistungsprinzip Das Leistungserbringungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ist durch das Sachleistungs- prinzip gekennzeichnet.25 Die Krankenkassen als solche sind für die Erbringung medizinischer Leistungen ungeeignet, sie unterhalten keine eigenen medizinischen Einrichtungen, in denen die Versicherten behandelt werden können. Die zur Versorgung der Versicherten notwendigen Be- handlungsleistungen werden durch Dritte erbracht. Die Krankenkassen haben auch gar nicht die rechtliche Möglichkeit, ihre Versicherten in Eigeneinrichtungen zu betreuen, weil ihnen das Er- richten und Betreiben solcher Einrichtungen nur unter den engen Voraussetzungen des § 140 SGB V gestattet ist. Das Sachleistungsprinzip unterscheidet sich von einem Verfahren der Kostenerstattung dadurch, dass der bzw. die Versicherte die Behandlung als Leistung der Krankenkasse erhält.26 Die Kran- kenkassen müssen sich folglich der Hilfe von Ärzten, Krankenhäusern, Apotheken, Physiothera- peuten usw. bedienen, um die Ansprüche ihrer Versicherten erfüllen zu können. Lediglich das Krankengeld, das eine reine Geldleistung ist, wird von den Krankenkassen selbst ausgezahlt. Das bedeutet, dass die Rechtsbeziehungen bei der Leistungserbringung in einem Dreiecksverhält- nis zwischen Versicherten, Leistungserbringern und Krankenkassen verlaufen, wobei sich das Drei- ecksverhältnis bei den Ärzten zu einem Vierecks-Verhältnis weiterentwickelt hat, weil zwischen sie und die Krankenkassen noch die kassenärztlichen Vereinigungen getreten sind. 23 SGB XII (11.02.2021). 24 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2018), S. 791. 25 Fastabend/Schneider (2004), S. 27. 26 Ebenda (2004), S. 27. Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 19 Abbildung 4: Das Sachleistungsprinzip. (Quelle: Eigene Darstellung) Die Leistungen der sozialen Sicherung im Krankheitsfall werden überwiegend als Sachleistungen gewährt. Hierzu schließen die Krankenkassen Verträge mit Leistungserbringern, in denen sich die Leistungserbringer zur Behandlung oder Versorgung der Versicherten und die Krankenkassen zur Zahlung vereinbarter Vergütungen verpflichten. Versicherte erhalten von ihrer Krankenkasse eine Versichertenkarte, gegen deren Vorlage sie Leistungen von Vertragsärzten, Krankenhäusern, Apotheken etc. kostenlos in Anspruch nehmen können. Die Leistungserbringer stellen die für die Versicherten erbrachten Leistungen der jeweiligen Krankenkasse in Rechnung. Gegenstück des Sachleistungsprinzips ist das Kostenerstattungsprinzip, das in der privaten Kranken- versicherung vorherrschend ist.27 Nach dem Kostenerstattungsprinzip zahlt der Empfänger bzw. die Empfängerin medizinischer Leistungen die an ihn oder sie gerichtete Rechnung des Leistungserbrin- gers und reicht sie danach bei seiner Versicherung ein. Die Versicherung erstattet ihm oder ihr da- raufhin den vollen Betrag oder einen zuvor festgesetzten Teilbetrag der Kosten. In der GKV können seit Januar 2004 alle Versicherten Kostenerstattung in Anspruch nehmen. Damit ist die bereits vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 1998 bestehende Rechtslage wiederhergestellt worden. Das GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz und das GKV-Finanzierungsgesetz haben die Kostenerstattung erheb- lich erweitert und erleichtert. 28 Das Sachleistungsprinzip hat für die Versicherten gegenüber dem Kostenerstattungsprinzip eine Reihe von Vorteilen: l Die Versicherten müssen die zumeist hohen Rechnungen nicht selbst begleichen und dafür folglich auch keine Rücklagen vorhalten. l Bei absehbar sehr hohen Kosten, wie beispielsweise einer Krankenhausbehandlung, müs- sen sie nicht, wie vielfach von Privatpatienten gefordert, eine Vorauszahlung leisten. l Die Versicherten sind von der Aufgabe entlastet, die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Rechnungen sowie Angemessenheit der geforderten Vergütungen zu prüfen. 27 In neuerer Zeit sind private Krankenversicherungen bei der Krankenhausbehandlung allerdings zum Sachleistungs- prinzip übergegangen, indem sie die Rechnung des Krankenhauses direkt begleichen. 28 Vgl. § 13 SGB V (22.02.2021) und Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2018), S. 155. 20 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Als Nachteil des Sachleistungsprinzips wird die mangelnde Transparenz betrachtet. Versicherte erfahren nicht, welche Kosten ihre Behandlung verursacht hat und ob auch nur die tatsächlich erbrachten Leistungen abgerechnet wurden. Gegen diese Kritik am Sachleistungsprinzip werden allerdings wiederum Zweifel angemeldet, ob denn Patienten überhaupt in der Lage sind, die sach- liche Richtigkeit von Rechnungen zu überprüfen. Dies erfordert im Grunde eine genaue Kenntnis des jeweiligen Leistungs- und Abrechnungsrechts, beispielsweise des einheitlichen Bewertungs- maßstabes für die vertragsärztliche Versorgung. Zudem ist Kostenerstattung in der Regel mit einer nur teilweisen Erstattung der in Rechnung gestellten Vergütungen verbunden. Die nicht von der Krankenversicherung übernommenen Kosten sind von den Versicherten zu tragen, sie schulden dem Arzt bzw. der Ärztin oder dem Krankenhaus die Bezahlung der erbrachten Leistungen.29 Dem Sachleistungsprinzip entspricht es nach Fastabend/Schneider,30 dass die zu erbringende Leis- tung als solche vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht wird. Der oder die Versicherte kann sich bei Behandlungsbedürftigkeit also nicht etwa selbst eine Leistung aussuchen und sich anschließend an seine bzw. ihre Krankenkasse wenden, damit sie die Kosten anteilig in Höhe der von ihr nach dem Sachleistungsprinzip zu übernehmenden Leistung finanziert. Das Sachleistungsprinzip führt auch zur Unteilbarkeit der Behandlungsleistung. 2.5 Wirtschaftlichkeit Das Wirtschaftlichkeitsgebot31 ist wie das Gebot der Qualität ein wesentlicher Maßstab für die Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dabei ist der Begriff der Wirtschaftlichkeit ein unbestimmter Rechtsbegriff, der vom Gesetz so beschrieben wird: Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein, sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Dies bedeutet im Einzelnen:32 l Ausreichend: Die Leistungen müssen dem Einzelfall angepasst sein, dem allgemein aner- kannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fort- schritt berücksichtigen. l Zweckmäßig: Entscheidend ist, dass die Leistung für das Behandlungsziel dienlich ist. l Notwendig: Die Leistung muss objektiv erforderlich sein, um im Einzelfall ausreichend und zweckmäßig zu sein. Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz gilt ab dem 01.01.2009 der Behandlungsbedarf der Versicherten als notwendige medizinische Versorgung. Mit der Forderung, den Behandlungserfolg durch den Einsatz geringster Mittel zu erreichen, wird eine Zweck-Mittel-Relation aufgestellt: Es sollen qualitativ minderwertige Leistungen verhindert und gleichzeitig ausufernde Kosten vermieden werden. Das Wirtschaftlichkeitsgebot erstreckt sich auf alle Gebiete der vertragsärztlichen Versorgung, einschließlich Diagnostik und Therapie, Arz- neimittelversorgungen, Früherkennungsmaßnahmen etc. 29 Allerdings wurde mit dem GKV-WSG bei Versicherten im Basistarif der PKV interessanterweise ausdrücklich von diesem Grundsatz abgewichen. Bei ihnen haften Versicherer und Versicherungsnehmer beide gesamtschuldnerisch für die Kosten (§ 178b Abs. 1a VVG). Zahlt der oder die Versicherte die Rechnung nicht, muss die private Kranken- versicherung dafür eintreten. 30 Vgl. Fastabend/Schneider (2004), S. 27–28. 31 Vgl. § 12 SGB V (22.02.2021) 32 KomPart-Verlag (2012), S. 312. Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 21 Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses sollen den Vertragsärzten helfen, das Wirt- schaftlichkeitsgebot einzuhalten. Ob sich Vertragsärzte an das Wirtschaftlichkeitsgebot halten, wird im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen kontrolliert, einer gemeinsamen Aufgabe der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigungen. An das Wirtschaftlichkeitsgebot sind Versicherte, Krankenkassen und Leistungserbringer gleichermaßen gebunden. 2.6 Versicherung Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung gehören innerhalb des Sozialgesetzbuches zum Bereich der Sozialversicherung und haben die Aufgabe, die erforderlichen Leistungen zur Verfü- gung zu stellen und die damit zusammenhängenden Aufgaben (und damit die Krankenversiche- rung insgesamt) durchzuführen.33 Eine Definition des Begriffs „Versicherung” allerdings fehlt nach Finkenbusch34 im Sozialgesetz- buch. Ausgehend von der Verwendung des Begriffs im Gesetz und unter Berücksichtigung wirt- schaftlicher Gesichtspunkte bestehen keine durchgreifenden Bedenken, die Sozialversicherung und damit auch die Krankenversicherung der Versicherung zuzurechnen. Im Allgemeinen weist eine Versicherung die Merkmale einer Gefahrengemeinschaft auf, die im Ungewissen über den zukünftigen Eintritt eines Schadensfalles ist und über Beitragszahlungen einen Risikoausgleich herbeiführt. Die Krankenversicherung nach dem Sozialgesetzbuch unterscheidet sich erheblich von einer Pri- vatversicherung. Die Privatversicherung wird durch einen privatrechtlichen Vertrag abgeschlossen, für den das Prinzip der Vertragsfreiheit gilt. Der Versicherungsvertrag entsteht durch zwei über- einstimmende Willenserklärungen und setzt somit einen Konsens zwischen dem Versicherungs- unternehmen und dem Versicherungsnehmer über Leistung und Gegenleistung bzw. über die Versicherungsleistungen und die entsprechenden Beiträge voraus. Der Vertragsabschluss beruht daher auf dem freien Willen der Vertragsschließenden. Von Ausnahmen abgesehen erlangt der Versicherungsnehmer mit dem Vertragsabschluss einen zivilrechtlichen Anspruch, dessen Reali- sierung vom Eintritt bestimmter Bedingungen abhängt. Eine personelle Einbindung des Versiche- rungsnehmers in das Versicherungsunternehmen findet nicht statt. Die Kündigung des Versiche- rungsvertrags ist grundsätzlich beiden Vertragspartnern möglich. Dagegen ist ein wesentliches Merkmal der Krankenversicherung nach dem Sozialgesetzbuch die „Zwangsversicherung”, die als Mitgliedschaft35 bei einem Träger der Krankenversicherung durch- geführt wird. Die Zwangsversicherung wird durch Möglichkeiten einer freiwilligen Mitgliedschaft ergänzt, die durch eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung des Versicherungsbe- rechtigten entsteht. Der aus der Mitgliedschaft resultierende Leistungsanspruch des Versicherten stellt einen öffentlich-rechtlichen Anspruch dar, über den der Versicherungsträger durch einen 33 Das Sozialgesetzbuch spricht in § 4 SGB I von Sozialversicherung als ein Bereich des Sozialleistungssystems und gliedert diesen Bereich in Kranken-, Pflege-, Unfall- und Rentenversicherung (einschließlich der Alterssicherung der Landwirte). Unter der Überschrift „Einzelne Sozialleistungen …” wird in § 21 SGB I die gesetzliche Krankenversi- cherung mit ihren Leistungen und zuständigen Leistungsträgern erwähnt. Diese Termini werden durch die anderen Bücher des Sozialgesetzbuches übernommen (siehe u. a. § 1 SGB IV). 34 Vgl. Finkenbusch (2008), S. 123–124. 35 Vgl. §§ 186ff. SGB V (22.02.2021) 22 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Verwaltungsakt entscheidet. Der oder die Versicherte bildet zusammen mit den anderen Mit- gliedern die Personalkörperschaft „Krankenkasse” und ist an der Verwaltung der Versiche- rungsträger beteiligt.36 Für die Begründung der Zwangs- oder Pflichtversicherung kommt es weder auf den Willen der Beteiligten oder der Krankenkasse noch auf Meldungen oder Beitragszahlung an. Selbst die frei- willige Mitgliedschaft37 kommt nicht durch einen Vertrag zustande. Die Inhalte der Versicherung sind ebenfalls nicht verhandelbar, sondern durch das Sozialgesetz- buch geregelt. Die Leistungen richten sich nach dem Bedarf der Versicherten, die Beiträge nach dessen Einkommen. Von bestimmten einkommensabhängigen Geldleistungen abgesehen beste- hen keinerlei Zusammenhänge zwischen dem Leistungsanspruch und der Beitragshöhe. Die Finanzierung der Ausgaben der Krankenversicherungsträger erfolgt im Wesentlichen über die Beiträge.38 Deren Höhe orientiert sich an der Höhe der Ausgaben. Einen nach Risiko gestuften Beitrag kennt die Krankenversicherung nach dem Sozialgesetzbuch nicht. Eine Ausnahme davon bildet der Beitragssatz39, dessen Höhe sich nach dem Risiko richtet, welches das Mitglied hinsichtlich seines Krankengeldanspruchs für den Krankenversicherungsträger dar- stellt. Seit dem 1. Januar 2009 wird der Beitragssatz für alle Krankenkassen gleich durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung festgesetzt.40 2.7 Selbstverwaltung In ihrem Ursprung geht die Selbstverwaltung des 19. Jahrhunderts auf den kommunalen Bereich zurück.41 Nachdem sie sich dort bewährt hatte, wurde sie Jahrzehnte später auch auf soziale, wirtschaftliche und kulturelle Einrichtungen ausgedehnt. Erstmals wurde dabei der Selbstverwal- tungsgrundsatz – heute ein weit verbreitetes „Organisationsprinzip”42 – auf ein großes Gebiet außerhalb der Kommunalverwaltung in die Sozialversicherung übertragen. Hier gehört die im besten Sinne demokratische Einrichtung seit weit über einem Jahrhundert zu den wichtigsten Leitgedanken und beherrschenden Strukturelementen; sie ermöglicht es den Beteiligten, gesell- schaftliche Teilhabe, eigene Verantwortung und auch Effizienz miteinander zu verknüpfen. Sinn und Aufgabe der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte kaum geändert. Die an der Sozialversicherung Beteiligten sollen nach wie vor direkt die Willensbildung ihres Versicherungsträgers beeinflussen und an der Erledigung seiner Aufga- ben mitwirken können. Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist so gesehen als Ausfluss der Partizipation ein Teil praktizierter Mitbestimmung in einem Bereich, der die Menschen ebenso direkt und unmittelbar berührt wie der Arbeitsplatz. 36 Die Versicherungsträger sind Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung, die durch die Versicher- ten und die Arbeitgeber ausgeübt wird (vgl. § 29 Abs. 1, 2 SGB IV). 37 Vgl. §§ 9, 188, 191 SGB V (22.02.2021) 38 Vgl. §§ 220ff. SGB V (22.02.2021) 39 Der Beitragssatz (vgl. §§ 241ff. SGB V) ist neben der Beitragszeit (vgl. §§ 223ff. SGB V) und den beitragspflichtigen Einnahmen (vgl. §§ 226ff. SGB V) ein Faktor für die Beitragsberechnung. 40 Vgl. § 241 Abs. 2 SGB V in der Fassung des GKV-WSG. 41 Siehe im Einzelnen die Ausführungen von Leopold (2008), S. 49. 42 Das Prinzip der Selbstverwaltung findet sich auch bei den Universitäten, den Berufskammern (beispielsweise der Ärzte, Zahnärzte und Rechtsanwälte), den Industrie- und Handelskammern, den Handwerkskammern und den Landwirtschaftskammern. Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 23 Die soziale Sicherung in der Bundesrepublik Deutschland hat auch in jüngster Zeit – trotz vieler Einschränkungen, Kürzungen, Streichungen und Ausgrenzung von Leistungen durch den Gesetz- geber, aber auch durch Verstaatlichungs- und Privatisierungstendenzen – nach Art, Umfang Per- sonenkreis und finanziellen Aufwendungen nicht an Bedeutung verloren, im Gegenteil: Sie bildet einen wesentlichen Stabilitätsfaktor unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Das GKV-WSG sorgte für ein weiteres und noch stärkeres Zurückdrängen des Einflusses der sozi- alen Selbstverwaltung bei den gesetzlichen Krankenkassen. Durch den zum 1. Januar 2009 ein- geführten Gesundheitsfonds legen die Krankenkassen nicht mehr wie bisher ihre Beitragssätze durch den Verwaltungsrat in der Kassensatzung fest, sie verlieren vielmehr ihre Finanzautonomie. Die staatlich festgesetzten Beiträge werden in einen Gesundheitsfonds fließen, der vom Bundes- versicherungsamt verwaltet wird. Aus diesem Fonds erhalten die Krankenkassen Zuwendungen. Reichen diese nicht aus, können sie von ihren Mitgliedern Zusatzbeiträge erheben. Inzwischen ist der Gesundheitsfonds ein Stück Realität geworden. Den Gestaltungsspielraum der Selbstverwaltung im Beitragssektor der GKV reduziert nach Leo- pold43 das neue Gesetz praktisch „auf null” und belässt ihr höchstens die alles andere als ange- nehme Aufgabe, eventuell einen Zusatzbeitrag festzusetzen. Von Selbstverwaltung kann bei einer solchen „Beschneidung”, die das Prinzip der Selbstverwaltung praktisch „ad absurdum” führt, nicht mehr die Rede sein. Die Krankenkassen haben als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung das Recht zur Selbst- verwaltung. Die Selbstverwaltung wird durch gewählte Vertreter der Versicherten und der Arbeit- geber (Ausnahme Ersatzkassen: nur Arbeitnehmende) ehrenamtlich ausgeübt. Seit 1996 besteht bei jeder Krankenkasse als Selbstverwaltungsorgan ein Verwaltungsrat. Dieser bestellt einen hauptamtlichen Vorstand, der für jeweils sechs Jahre gewählt wird. Der Verwaltungsrat trifft alle Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung, beschließt die Satzung und entschied bis zur Einführung des Gesundheitsfonds im Jahr 2009 über die Höhe des Beitragssatzes. Die Kranken- kassen unterstehen der Aufsicht der Länder bzw. des Bundes. Weite Teile der ärztlichen und sta- tionären Versorgung werden durch die Selbstverwaltung über Verträge mit den Leistungserbrin- gern gestaltet, z. B. Bundesmantelverträge, Gesamtverträge, Vereinbarungen mit Heil- und Hilfs- mittelerbringern. Zentrales Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung mit den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen ist der Gemeinsame Bundesausschuss, der u. a. Detailent- scheidungen über den Leistungskatalog der GKV trifft.44 43 Vgl. Leopold (2008), S. 51. 44 Vgl. §§ 29ff. SGB IV (24.02.2021), § 197 SGB V (22.02.2021) 24 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Abbildung 5: Gemeinsame Selbstverwaltung. (Quelle: Leopold (2008), S. 70) Die Selbstverwaltung erfolgt für alle Ärzte sowie Zahnärzte durch die (Zahn)ärztekammern, für die zur Teilnahme an der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassenen (Zahn)ärzte auch durch die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und die Kassen(zahn)ärztliche Bundesvereinigung. Das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) sah zum 01.01.2005 eine Professionalisierung der ärztlichen Selbstverwaltung vor. Die ursprünglich ehrenamtlichen Selbstverwaltungsorgane Vertreterver- sammlung und Vorstand, ergänzt durch eine hauptamtliche Geschäftsführung, wurden durch einen hauptamtlichen Vorstand aus bis zu drei Vorstandsmitgliedern und eine verkleinerte Ver- treterversammlung als Selbstverwaltungsorgan ersetzt.45 Bei insgesamt neun Versicherungsträgern fanden am 1. Juni 2011 für die Amtsperiode von 2011 bis 2017 allgemeine Sozialwahlen auf Versichertenseite statt. Dabei handelte es sich um „Urwah- len“, also Wahlen mit Wahlhandlung. In allen anderen Fällen, also bei mehr als 200 Sozialversi- cherungsträgern, kam es zu „Friedenswahlen“; bei denen die vorgeschlagenen Bewerber am Wahltag automatisch als gewählt galten.46 2017 war es wieder soweit: Die Selbstverwalter bei den Trägern der gesetzlichen Kranken-, Ren- ten- und Unfallversicherung wurden – wie alle sechs Jahre – neu gewählt. Der Wahlkalender steht.47 Der eigentliche Wahltag, zu dem die bei Urwahlen auszufüllenden Wahlbriefe spätestens abgegeben sein mussten, war der 31. Mai 2017. Je näher der Wahltermin heranrückte, desto mehr wurde in der breiten Öffentlichkeit wieder über Sinn und Zweck der sozialen Selbstverwal- tung diskutiert. Nach wie vor ist das Ansehen der sozialen Selbstverwaltung gering. Seit Jahren wird die Effizienz der Arbeit in den Selbstverwaltungsorganen ebenso in Frage gestellt wie die Legitimation ihrer Vertreter in den Gremien. Dabei wird oft übersehen, dass es – trotz einge- schränkter Entscheidungs-Spielräume durch die Politik – durchaus Erfolge der Selbstverwalter ge- geben hat. Allerdings gelangen Meldungen über erfolgreiches Handeln der Mitglieder von Ver- waltungsräten und ehrenamtlichen Vorständen kaum ans Licht der Öffentlichkeit.48 Derzeit (2021) gibt es in Deutschland noch 152 selbständige Sozialversicherungsträger mit eigener sozialer Selbstverwaltung, wenn auch mit unterschiedlichen Selbstverwaltungsorganen und Auf- gabenbefugnissen, nämlich 45 Siehe: §§ 77, 79 SGB V (22.02.2021) 46 Vgl. Leopold (2011), S. 237. 47 Vgl. Nakielski (2016), S. 93. 48 Beispiele für erfolgreiches Handeln bei den Krankenkassen: Gerlinger/Knötig/Lückenbach/Staender/Wüstrich (2016), S. 93–102. Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 25 l 101 Krankenkassen (ohne Knappschaft und landwirtschaftliche Krankenkasse) l 33 Unfallversicherungsträger (darunter neun gewerbliche Berufsgenossenschaften und 24 Unfallkassen des öffentlichen Rechts) l 16 Rentenversicherungsträger auf Bundes- und Landesebene l die Sozialverpflichtung für Landwirtschaft, Forst- und Gartenbau (sie vereint die Kranken-, Pflege-, Unfall- und Altersversicherung unter einem Dach) l die Bundesagentur für Arbeit49 Die Namensumbenennung des Bundesversicherungsamtes in Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) wurde ab dem 1. Januar 2020 wirksam. Das BAS führt die Rechtsaufsicht über die bundes- unmittelbaren Träger der gesetzlichen Kranken-, Renten- und Unfallversicherung sowie der sozi- alen Pflegeversicherung. Zudem nimmt das BAS eine Reihe von Verwaltungsaufgaben wahr, wie beispielsweile die Bewirtschaftung der Bundesausschüsse und sonstiger Zuweisungen des Bundes an die Rentenversicherung, die Zulassung von Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke (sogenannte DMP), die Durchführung des Finanzausgleichs in der sozialen Pflegeversicherung und des Risikostrukturausgleichs sowie die Verwaltung des Gesundheitsfonds.50 Übungsaufgaben zu Kapitel 2 002 Erklären Sie kurz den Stellenwert der sogenannten Sozialstaatsklausel. 003 Was wird unter dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz verstanden? 004 Nennen Sie Vorteile des Sachleistungsprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung. 005 Worin liegt ein Nachteil des Sachleistungsprinzips? 006 Haben sich Sinn und Aufgabe der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung geändert? 49 Siehe: Leopold (2018), S. 80 sowie aktualisierte Krankenkassenliste des GKV-Spitzenverbandes (08.03.2021). 50 Vgl. https://bundesamtsozialesicherung.de (15.03.2021). 26 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Raum für Notizen Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 27 3 Die duale Krankenversicherung Lernziele Wenn Sie dieses Kapitel durchgearbeitet haben, können Sie l den besonderen Charakter der GKV als mittelbare Staatsverwaltung und Instrument des Staates erklären; l die Organisationsstruktur der Selbstverwaltung in der GKV aufzeigen; l die Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung nennen; l darlegen, dass die Höhe des Beitrags in der privaten Krankenversicherung risikoäquivalent erhoben wird; l erläutern, dass zum 01.01.2009 ein Basistarif in der PKV eingeführt wurde, l beschreiben, dass sich die Unternehmen der privaten Krankenversicherung in Versiche- rungsvereine auf Gegenseitigkeit und Aktiengesellschaften gliedern. Wichtigste Institution für die soziale Sicherung im Krankheitsfall sind die gesetzlichen Kranken- kassen, die zusammen die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) bilden. Sie sind mittelbare Staatsverwaltung, dienen zur Erfüllung staatlicher Aufgaben und sind einer umfassenden staatli- chen Aufsicht unterstellt. Durch die schrittweise Ausweitung der gesetzlichen Versicherungs- pflicht stieg der Anteil der gesetzlich Versicherten an der Gesamtbevölkerung auf mittlerweile fast 90 %. Seit Mitte der 1990er Jahre ist allerdings ein leichter Rückgang des Anteils der GKV-Versi- cherten von 88,0 % (1996) auf 85,3 % (2010) zu verzeichnen. Spiegelbildlich dazu stieg der An- teil der privaten Krankenversicherung von 8,4 % im Jahr 1993 auf 10,9 % im Jahr 2010). Seit einigen Jahren steigt der Anteil der GKV-Versicherung gegenüber dem Anteil der privaten Kran- kenversicherung wieder leicht an.51 Ende 2020 waren 73,38 Mio. gesetzlich versichert.52 Private Krankenversicherungen sind privatrechtlich verfasste Wirtschaftsunternehmen und verfolgen in unterschiedlichem Umfang – je nachdem, ob es sich um Aktiengesellschaften oder Versicherungs- vereine auf Gegenseitigkeit handelt – erwerbswirtschaftliche Ziele. 3.1 Gesetzliche Krankenversicherung Der Begriff „gesetzliche Krankenversicherung” (GKV) dient als Sammelbegriff für die Gesamtheit der durch das Gesetz geschaffenen Krankenkassen. Gemäß § 4 SGB V53 zählen zur gesetzlichen Krankenversicherung l Allgemeine Ortskrankenkassen (AOK), l Betriebskrankenkassen (BKK), l Innungskrankenkassen (IKK), l Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau als Träger der Krankenversi- cherung der Landwirte, l Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See als Träger der Krankenversicherung, (Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn = See), l Ersatzkassen (z. B. BARMER, DAK Gesundheit, TK etc.). 51 Vgl. Simon (2017), S. 97. 52 GKV-Spitzenverband (2018), S. 23. 53 § 4 SGB V (22.02.2021) 28 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Die gesetzliche Krankenversicherung ist keine Versicherung im üblichen Sinn, sondern eine spezi- fische Organisationsform, derer sich der Staat bedient, um die ihm vom Grundgesetz übertragene Aufgabe der Daseinsvorsorge für seine Bürger zu organisieren. 3.1.1 Krankenkassen Krankenkassen sind mittelbare Staatsverwaltung. Sie haben staatliche Aufgaben zu erfüllen und ihre Hauptaufgabe besteht im Vollzug der Sozialgesetzgebung. Krankenkassen unterliegen einer umfassenden Staatsaufsicht. So bedarf beispielsweise die Grün- dung oder Vereinigung (Fusion) von Krankenkassen der Genehmigung durch die zuständige Auf- sichtsbehörde, die auch über die Auflösung oder Schließung einer Kasse entscheidet.54 Auch die Satzung sowie der Haushalt müssen der zuständigen Aufsichtsbehörde zur Genehmigung vorge- legt werden. Darüber hinaus haben die Aufsichtsbehörden mindestens alle fünf Jahre die Ge- schäfts-, Rechnungs- und Betriebsführung aller Krankenkassen auf ihre Gesetzmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit hin zu überprüfen.55 Den Aufsichtsbehörden sind dabei alle erforderlichen Un- terlagen vorzulegen und Auskünfte zu erteilen. Aufsichtsbehörde für die landesunmittelbaren Krankenkassen – das sind Krankenkassen, deren Zuständigkeitsbereich sich nicht auf das Gebiet eines Bundeslandes hinaus erstreckt – ist in der Regel das zuständige Sozialministerium oder in Stadtstaaten die entsprechende Senatsbehörde. Die Zuständigkeit von bundesunmittelbaren Krankenkassen erstreckt sich über das Gebiet eines Landes hinaus und untersteht der Rechtsaufsicht des Bundesversicherungsamtes.56 In der umfassenden Staatsaufsicht kommt zum Ausdruck, dass die gesetzliche Krankenversiche- rung letztlich nur ein Instrument57 ist, das der Sozialstaat einsetzt, um seinem Verfassungsauftrag zur Daseinsvorsorge für die Bürger nachzukommen. Allerdings können die tiefgreifenden Veränderungen durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsge- setz 2007 durchaus als Bereitschaft zu einer grundlegenden Veränderung der Organisationsform gedeutet werden. Gegen diese Eingriffe in ihre innere Organisation, beispielsweise die Umwand- lung der bisherigen Spitzenverbände in Gesellschaften bürgerlichen Rechts und die Schaffung eines einheitlichen Spitzenverbandes Bund für die gesamte GKV, steht den Krankenkassen keine rechtliche Abwehr zur Verfügung. Für Versicherte und Leistungserbringer ist der besondere Charakter der GKV als mittelbare Staats- verwaltung insofern von Bedeutung, als die Krankenkassen in ihren Entscheidungen den gleichen Grundsätzen unterworfen sind wie sie für staatliches Verwaltungshandeln insgesamt gelten. Ent- scheidungen einer Krankenkasse sind Verwaltungsakte, gegen die Widerspruch eingelegt und vor Sozial- und Verwaltungsgerichten geklagt werden kann. Damit gewährt der Staat den Versicher- ten gegenüber den Entscheidungen der Krankenkasse den gleichen Schutz wie er sie als Rechts- staat den Bürgern gegenüber staatlichen Entscheidungen einräumt. Krankenkassen sind selbstverwaltete Körperschaften des öffentlichen Rechts. Selbstverwaltung bedeutet im Wesentlichen, dass die Mitglieder der jeweiligen Krankenkasse in sogenannten Sozi- alwahlen alle sechs Jahre den Verwaltungsrat wählen und dieser wiederum den Vorstand.58 Der 54 §§ 143 bis 172 SGB V (22.02.2021) 55 § 274 SGB V (22.02.2021) 56 § 90 SGB IV (24.02.2021) 57 Vgl. Simon (2017), S. 102. 58 §§ 29 bis 66 SGB IV (24.02.2021) Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 29 Verwaltungsrat entscheidet über die Satzung, über Satzungsleistungen (soweit vom Gesetz zuge- lassen), den Haushalt sowie den kassenindividuellen Zusatzbeitrag, wählt und überwacht den Vorstand. Er ist je nach Kassenart unterschiedlich zusammengesetzt. In den Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen und Innungskrankenkassen besteht er je zur Hälfte aus Vertretern der Ver- sicherten und der Arbeitgeber, in den Ersatzkassen ausschließlich aus Vertretern der Versicherten. Der Vorstand besteht aus bis zu drei hauptberuflichen Mitgliedern. Er verwaltet die Krankenkasse und vertritt sie gerichtlich und außergerichtlich. Abbildung 6: Organisation der Selbstverwaltung in der GKV. (Quelle: Simon (2017), S. 105) Durch die zunehmend enger gefassten Vorschriften des Sozialrechts sind mittlerweile sowohl die Grundzüge der inneren Organisation als auch der Leistungskatalog und die Vertragsbeziehungen zu den Leistungserbringern weitgehend festgelegt, sodass der Gestaltungsspielraum der Selbst- verwaltung sehr begrenzt ist. Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurde in diesem Punkt eine grundlegende Änderung beschlossen. Zum 1. Januar 2009 wurde die Finanzierung der GKV auf einen Gesundheitsfonds umgestellt, der in erster Linie durch einen für alle Krankenkassen einheitlichen, allgemeinen Bei- tragssatz finanziert wird und aus dem die Krankenkassen Zuweisungen erhalten. Der allgemeine Beitragssatz wird nun nicht mehr von den einzelnen Krankenkassen, sondern vom Bundesminis- terium für Gesundheit durch Rechtsverordnung festgesetzt.59 Der einzelnen Krankenkasse bleibt nur noch die Kompetenz zur Festlegung eines Zusatzbeitrages, der erhoben werden kann, wenn die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zur Deckung der Ausgaben nicht ausreichen. Zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben unterhalten die Krankenkassen in der Regel ein Netz von örtlichen Geschäftsstellen. Dieses Netz ist je nach Kassenart unterschiedlich dicht. Ein flächende- ckendes Geschäftsstellennetz über die gesamte Bundesrepublik halten nur die allgemeinen Orts- krankenkassen und bundesweit agierende Ersatzkassen (z. B. DAK Gesundheit und BARMER) vor. 59 Vgl. § 241 Abs. 2 SGB V (22.02.2021) 30 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Bei Krankenkassen, deren Zuständigkeit sich auf ein Bundesland oder nur einen Betrieb beschränkt, stellt sich die Notwendigkeit eines solchen flächendeckenden Netzes in der Regel nicht. Die Aufgabe der örtlichen Geschäftsstellen besteht vor allem in der Erhebung und Verwaltung der versicherten- bezogenen Daten, der Betreuung der Versicherten und Entscheidung über Leistungsanträge. Auf der Landesebene sind die Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen zu Landesverbänden zusammengeschlossen. Bei den Ersatzkassen nehmen die Bundesverbände die Aufgaben von Lan- desverbänden durch „Landesvertretungen“ wahr. Die Landesverbände und Landesvertretungen vertreten die Interessen der Krankenkassen gegenüber den Leistungserbringern und der Politik auf Landesebene sowie in der Öffentlichkeit. Sie schließen Verträge mit der Kassenärztlichen Ver- einigung, Krankenhäusern und Verbänden der übrigen Leistungserbringer über Art und Umfang der Versorgung der Versicherten und führen Vergütungsverhandlungen. Sie besetzen die den Krankenkassen zustehenden Positionen in der gemeinsamen Selbstverwaltung, beispielsweise in dem gemeinsam mit der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung zu besetzenden Zulassungsaus- schuss für die ambulante, ärztliche Behandlung. Sie entsenden Vertreterinnen und Vertreter in die auf Landesebene gebildeten Ausschüsse für die Krankenhausplanung und die verschiedenen Landesschiedsstellen zur Klärung von Streitfragen, beispielsweise bei Vergütungsverhandlungen. Alle Kassenarten verfügen auf Bundesebene über eigene Bundesverbände, welche die Interessen der jeweiligen Kassenarten gegenüber der Bundespolitik, dem Bundesministerium für Gesundheit sowie gegebenenfalls dem Bundesversicherungsamt vertreten. Zu den bedeutendsten Aufgaben der Bundesverbände gehören die Beobachtung gesundheitspolitischer Entwicklungen, die Betei- ligung an der gesundheitspolitischen Diskussion mit eigenen Stellungnahmen sowie die Mitwir- kung an der Vorbereitung und Ausarbeitung von Gesundheitsreformen.60 3.1.2 Aufgaben In seiner gegenwärtig geltenden Fassung nennt § 1 SGB V61 als Aufgaben der gesetzlichen Kran- kenversicherung: l die Gesundheit der Versicherten zu erhalten und wiederherzustellen oder ihren Gesund- heitszustand zu verbessern und l die Versicherten aufzuklären, zu beraten und auf gesunde Lebensverhältnisse hinzuwirken. Um diese Aufgabe zu erfüllen, hat die GKV gemäß § 11 SGB V62 Leistungen zu gewähren l bei Schwangerschaft und Mutterschutz (§§ 24c bis 24i), l zur Verhütung von Krankheiten und deren Verschlimmerung sowie zur Empfängnisver- hütung, bei Sterilisation und bei Schwangerschaftsabbruch (§§ 20 bis 24b), l zur Erfassung von gesundheitlichen Risiken und Früherkennung von Krankheiten (§§ 25 und 26), l zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52), l im Rahmen des persönlichen Budgets nach § 29 SGB IX. Somit hat die gesetzliche Krankenversicherung einen umfassenden Auftrag zu erfüllen, der von der Gesundheitsförderung und Prävention über die Krankenbehandlung bis zur Rehabilitation reicht. 60 Vgl. Simon (2017), S. 106. 61 § 1 SGB V (22.02.2021) 62 § 11 SGB V (22.02.2021) Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 31 Als Teil der gemeinsamen Selbstverwaltung des Gesundheitssystems reguliert die GKV zusammen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhausgesellschaften zentrale Bereiche der Leis- tungserbringung und nimmt gesetzlich abgesichert Einfluss auf die Angebotsplanung im ambulanten und stationären Bereich. Über den Abschluss von Verträgen und die jährlichen Budgetverhandlungen beeinflussen die Krankenkassen zudem die Leistungserbringung der einzelnen Einrichtungen. 3.1.3 Versicherte Der in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherte Personenkreis wird unterschieden in Mit- glieder und Versicherte. Während alle Mitglieder auch Versicherte sind, sind nicht alle Versicher- ten auch Mitglieder der GKV. Mitglieder der GKV sind Personen, die aufgrund einer eigenen ab- hängigen Beschäftigung pflichtversichert oder freiwillig versichert sind und Beiträge zahlen. Die beitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen eines GKV-Mitgliedes sind dagegen „nur” Ver- sicherte. Versicherte haben denselben Anspruch auf Leistungen der GKV wie Mitglieder, sind aber nicht wahlberechtigt für die Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen der GKV. Die Versicherten werden unterschieden in l Pflichtversicherte, l freiwillig Versicherte und l beitragsfrei mitversicherte Familienangehörige. Pflichtversicherte sind Personen, die durch das Gesetz der Versicherungspflicht einer gesetzlichen Krankenkasse unterliegen. Dies sind im Einzelnen:63 l Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die ge- gen Arbeitsentgelt beschäftigt sind; l Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld nach dem SGB III beziehen oder …; l Personen in der Zeit, für die sie Arbeitslosengeld II nach dem SGB II beziehen, es sei denn …; l Landwirte, ihre mitarbeitenden Familienangehörigen und Altenteiler …; l Künstlerinnen und Künstler sowie Publizistinnen und Publizisten …; l Personen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe für eine Erwerbstätigkeit befähigt werden sollen; l Teilnehmende an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben …; l behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen oder in Blindenwerkstätten … tätig sind; l behinderte Menschen, die in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen in gewisser Regelmäßigkeit eine Leistung erbringen, die einem Fünftel der Leistung eines bzw. einer voll erwerbstätigen Beschäftigten in gleichartiger Beschäftigung entspricht; l Studierende, die an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eingeschrieben sind; l Personen, die eine in Studien- oder Prüfungsordnungen vorgeschriebene berufspraktische Tätigkeit ohne Arbeitsentgelt verrichten …; l Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben …; l Personen, die vor dem 1. Januar 1983 eine selbständige künstlerische oder publizistische Tä- tigkeit aufgenommen haben, die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben …; l Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Waisenrente nach § 48 SGB VI erfüllen und diese beantragt haben …, 63 § 5 SGB V (22.02.2021) 32 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen l Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese beantragt haben …; l Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und a) zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder b) bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren... Pflichtversicherte haben die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Krankenkassen, sofern diese für alle Versicherten geöffnet sind.64 Die Krankenkassen hingegen unterliegen einem Kontrahie- rungszwang: Allgemein geöffnete Kassen müssen alle Versicherten aufnehmen und die für einen bestimmten Betrieb oder Wirtschaftszweig zuständigen Kassen müssen alle Versicherten ihres Zu- ständigkeitsbereichs aufnehmen. Krankenkassen dürfen folglich niemanden aufgrund seines Ge- sundheitszustandes oder sonstiger Merkmale ablehnen, wie dies der privaten Krankenversiche- rung möglich ist. Für Mitglieder, die durch Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze nicht mehr versicherungs- pflichtig sind, aber dennoch in der GKV bleiben wollen, bietet das Gesetz die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung. Hierzu bedarf es aber keines gesonderten Antrages, beim Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze bleibt ein Mitglied weiterhin in der GKV und wird automatisch vom Pflicht- zum freiwilligen Mitglied. Ehegattin bzw. Ehegatte und Kinder eines GKV-Mitgliedes sind im Rahmen der Familienversiche- rung beitragsfrei mitversichert, sofern sie nicht über ein eigenes Einkommen verfügen, das eine gesetzlich definierte Höhe überschreitet65 oder hauptberuflich selbständig tätig sind.66 Kinder ei- nes GKV-Mitgliedes sind in der Regel bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres mitversichert. Dar- über hinaus sind sie weiterhin mitversichert, wenn sie nicht erwerbstätig sind (bis zum 23. Le- bensjahr), sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befinden (bis zum 25. Lebensjahr) oder we- gen einer Behinderung nicht in der Lage sind, selbst für ihren Unterhalt aufzukommen (ohne Altersgrenze). Wenn jedoch das Gesamteinkommen des nicht in der GKV versicherten Elternteils oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt und regelmäßig höher ist als das Einkommen des Mitglieds, sind Kinder nicht über das GKV-Mitglied mitversichert. Damit soll verhindert werden, dass privat Versicherte mit hohem Einkommen die beitragsfreie Familienversicherung der GKV ausnutzen, um nicht für jedes einzelne Kind eine gesonderte private Krankenversicherung mit eigenen Beiträgen abschließen zu müssen. Der Wechsel von der privaten Krankenversicherung in die gesetzliche Krankenversicherung wurde in den letzten Jahren zunehmend erschwert, vor allem um zu verhindern, dass gut verdienende Arbeitnehmende in jüngeren Jahren die günstigen Tarife der PKV für diese Altersgruppe nutzen und erst im Alter, wenn die Prämien der PKV deutlich ansteigen, in die GKV wechseln. Da sie sich als Jüngere und somit in der Regel als Nettozahler nicht am Solidarausgleich der GKV beteiligt haben, sollen sie auch im Alter den Solidarausgleich als Nettoempfänger nicht nutzen dürfen. Wer die GKV verlässt, muss damit rechnen, dass eine Rückkehr in der Regel nicht mehr möglich ist. Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres versicherungspflichtig werden, sind ver- sicherungsfrei, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht ge- setzlich versichert waren. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Person mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Abs. 5 nicht ver- sicherungspflichtig war. Der Voraussetzung nach Satz 2 stehen die Ehe oder die Lebenspartner- schaft mit einer in Satz 2 genannten Person gleich.67 64 Vgl. § 173 SGB V (22.02.2021) 65 Ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB V). 66 Vgl. § 10 SGB V (22.02.2021) 67 Vgl. § 6 Abs. 3a SGB V (22.02.2021) Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 33 Um zu verhindern, dass zuvor in der GKV versicherte Personen nach ihrem Ausscheiden ohne Versicherungsschutz sind, beispielsweise weil sie sich nicht weiter versichern oder die Prämien einer privaten Krankenversicherung nicht zahlen können, wurden diese Personen durch das GKV- Wettbewerbsstärkungsgesetz wieder in die GKV aufgenommen, da sie seit dem 1. April 2007 der Versicherungspflicht in der GKV unterworfen sind. Seit dem 1. April 2007 wird zudem die Kündi- gung eines freiwillig versicherten Mitgliedes erst dann wirksam, wenn eine nahtlose Fortsetzung des Krankenversicherungsschutzes erfolgt.68 Ohne diese Fortsetzung besteht das bisherige Versi- cherungsverhältnis weiter und die Beiträge müssen entrichtet werden. Um das Ziel eines lückenlosen, allgemeinen Krankenversicherungsschutzes für die Bevölkerung zu erreichen, wurde auch die bisherige Regelung gestrichen, dass die Mitgliedschaft bei einer frei- willigen Versicherung erlischt, wenn die Beiträge zweimal nicht entrichtet wurden. Im Falle von Beitragsrückständen sollen zukünftig die Leistungsansprüche des bzw. der Betroffenen bis zur Begleichung der Beitragsrückstände ruhen, allerdings sind die Behandlung akuter Erkrankungen, von Schmerzzuständen sowie Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft davon ausdrück- lich ausgenommen.69 In diesen Fällen wird die Krankenkasse verpflichtet, die notwendigen Leis- tungen weiter zu gewähren bzw. zu finanzieren. Die ausstehenden Beiträge sollen gegebenenfalls auch auf dem Wege der Zwangsvollstreckung eingetrieben werden. 3.1.4 Leistungen Die gesetzliche Krankenversicherung ist von ihren Grundsätzen her so angelegt, dass sie einen umfassenden Versicherungsschutz im Krankheitsfall bieten kann. Es gilt das Bedarfsdeckungsprin- zip, nach dem die Versicherten einen gesetzlichen Anspruch auf alle medizinisch notwendigen Leistungen haben. Die Leistungen müssen ausreichend und zweckmäßig sein, haben dem allge- meinen Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigten, dürfen aber auch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und müssen wirtschaftlich erbracht werden.70 Die Versicherten sind ausdrücklich nicht von der Eigenverant- wortung für ihre Gesundheit entlastet und müssen sich in den einzelnen Leistungsbereichen in unterschiedlichem Umfang über Zuzahlungen an den Versorgungskosten beteiligen. Die ihnen vom Gesetz aufgetragene, umfassende Aufgabe, „die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern”71, erfüllen die Kranken- kassen nicht durch eigene Sach- und Dienstleistungen. Sie schließen vielmehr Verträge mit Leis- tungserbringern, die gegen Zahlung vereinbarter Vergütungen durch die jeweilige Krankenkasse den Versicherten dieser Kasse die notwendigen Sach- und Dienstleistungen gewähren (Sachleis- tungsprinzip). Die Leistungserbringer sind ihrerseits durch Gesetz oder Vertrag verpflichtet, im Bedarfsfall alle für einen Versicherten medizinisch notwendigen Leistungen zu erbringen. Anstelle von Sachleistungen können Versicherte auch Kostenerstattung wählen, sofern ihre Kran- kenkasse dies anbietet.72 Wie die Kostenerstattung ausgestaltet wird, liegt in der Entscheidungs- freiheit der jeweiligen Krankenkasse. Das Gesetz eröffnet aber die Option, dass im Falle von Kos- tenerstattung auch Beitragsermäßigungen gewährt werden oder eine Prämie gezahlt wird. Dies wird sicherlich dann der Fall sein, wenn die Krankenkasse im Falle von Kostenerstattung nicht die gesamten Kosten übernimmt, sondern nur einen Teil, wie dies in der privaten Krankenversiche- rung bereits seit Langem üblich und seit dem 1. April 2007 auch den Krankenkassen erlaubt ist.73 68 Vgl. § 175 Abs. 4 SGB V (22.02.2021) 69 Vgl. § 16 Abs. 3a SGB V (22.02.2021) 70 Vgl. §§ 2, 11 und 12 SGB V (22.02.2021) 71 § 1 SGB V (22.02.2021) 72 Vgl. § 13 SGB V (22.02.2021) 73 Vgl. § 53 Abs. 4 SGB V (22.02.2021) 34 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind im SGB V als gesetzlicher Leistungska- talog für alle Krankenkassen gleich und verbindlich vorgeschrieben. Über die gesetzlich vorge- schriebenen Leistungen hinaus können Krankenkassen in einem relativ engen Bereich sogenannte Satzungsleistungen anbieten. Art und Umfang von Satzungsleistungen haben die Selbstverwal- tungsorgane der jeweiligen Krankenkasse zu beschließen. Leistungsbereiche, für die Krankenkas- sen Satzungsleistungen anbieten können, sind im SGB V ausgewiesen. Der gesetzliche Leistungskatalog sieht Sachleistungen und Geldleistungen vor.74 Als Sachleistun- gen werden Leistungen zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten ge- währt. Um einer drohenden Pflegebedürftigkeit vorzubeugen, sie nach Eintritt zu beseitigen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten, sind Krankenkassen auch verpflichtet, Leistun- gen der Rehabilitation zu gewähren. Zu den Geldleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zählen Krankengeld und Mutterschaftsgeld. Das Krankengeld beträgt 70 % des regelmäßigen, beitragspflichtigen Arbeitsentgelts und darf 90 % des Nettoarbeitsentgelts nicht übersteigen.75 Ein Anspruch auf Krankengeld für bis zu zehn Arbeitstage pro Jahr und Kind besteht auch bei Erkrankung eines Kindes bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahres. Alleinerziehende haben Anspruch auf bis zu zwanzig Arbeitstage. Zur Verhütung von Krankheiten gewähren die Krankenkassen Leistungen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes (primäre Prävention), der betrieblichen Gesundheitsförderung, der zahn- medizinischen Gruppen- und Individualprophylaxe sowie der medizinischen Vorsorge.76 Zur Früh- erkennung von Krankheiten finanzieren die Krankenkassen unter Beachtung gesetzlich vorgege- bener Altersgrenzen regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen.77 Durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz 2007 wurde die betriebliche Gesundheitsförderung von einer Soll- zu einer Pflichtleistung und die Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren sowie die Primärprävention durch Schutzimpfungen als neue Pflichtleistungen eingeführt.78 Dar- über hinaus fördern Krankenkassen seit dem 1. April 2007 auch Selbsthilfegruppen und -organi- sationen finanziell.79 Der Schwerpunkt des gesetzlichen Leistungskataloges liegt auf den Leistungen der Krankenbe- handlung.80 Zu ihnen zählen: l ärztliche Behandlung, einschließlich psychotherapeutischer Behandlung,81 l zahnärztliche Behandlung, einschließlich Zahnersatz,82 l Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln,83 l häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe,84 l Krankenhausbehandlung,85 74 Vgl. §§ 11 bis 68 SGB V (22.02.2021) 75 Vgl. §§ 44 bis 51 SGB V (22.02.2021) 76 Vgl. §§ 20 bis 24 SGB V (22.02.21) 77 Vgl. §§ 25 bis 26 SGB V (22.02.2021) 78 Vgl. §§ 20a, 20b, 20d SGB V (22.02.2021) 79 Vgl. § 20c SGB V (22.02.2021) 80 Vgl. §§ 27 bis 43 SGB V (22.02.2021) 81 Vgl. § 28 SGB V (22.02.2021) 82 Vgl. §§ 28 bis 30 SGB V (22.02.2021) 83 Vgl. §§ 32 bis 33 SGB V. Beispiele für Heilmittel: Massagen, Bäder, Krankengymnastik; Beispiele für Hilfsmittel: Bril- len, Hörgeräte, Prothesen, orthopädische Schuhe. 84 Vgl. §§ 37 bis 38 SGB V (22.02.2021) 85 Vgl. § 39 SGB V (22.02.2021) Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 35 l ambulante und stationäre Palliativversorgung,86 l Leistungen zur Rehabilitation, Belastungserprobung und Arbeitstherapie87 sowie l Fahrtkosten, sofern sie im Zusammenhang mit einer anderen durch die Krankenkasse ge- währten Leistung stehen; allerdings seit 2004 nur noch, wenn sie aus zwingenden Gründen erforderlich sind.88 Fahrtkosten zur ambulanten Behandlung werden seit dem 1. Januar 2004 nur noch in Ausnahmefällen und nach vorheriger Genehmigung durch die Kranken- kasse übernommen. Per 1. Januar 2005 wurde Zahnersatz als Sachleistung aus dem gesetzlichen Leistungskatalog ge- strichen, Versicherte haben aber gegenüber ihrer Krankenkasse einen Anspruch auf befundorien- tierte Festzuschüsse bei einer medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz in Höhe von 50 % der Kosten.89 Der Zuschuss kann sich durch regelmäßige Zahnpflege und nachgewiesene, jährliche zahnärztliche Untersuchungen in den letzten zehn Jahren um weitere 20 % erhöhen. Krankenkassen gewähren auch Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Leistun- gen zur künstlichen Befruchtung, allerdings nur in bestimmten, medizinisch begründeten Fällen. Zum gesetzlichen Leistungskatalog zählen auch Leistungen bei nicht rechtswidrigem Schwanger- schaftsabbruch und medizinisch indizierte Sterilisationen. Versicherte bis zum vollendeten 20. Le- bensjahr haben zudem Anspruch auf Versorgung mit Empfängnis regelnden Mitteln.90 Seit 1977 wurden im Rahmen der zahlreichen Gesundheitsreformen schrittweise zunehmend mehr Zuzahlungen für Versicherte eingeführt. Mittlerweile werden Zuzahlungen in unterschiedli- cher Höhe für alle wichtigen Leistungsbereiche verlangt, wie beispielsweise ambulante ärztliche Behandlung, Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel, Fahrtkosten, Krankenhausbehandlung und medi- zinische Rehabilitation. Seit 1. Januar 2004 gilt als allgemeine Regel, dass Versicherte 10 % der Kosten, höchstens jedoch 10 Euro und mindestens 5 Euro selbst zu tragen haben. Leistungen, die weniger als 5 Euro kosten, sind in voller Höhe zu zahlen. Für die Krankenhausbehandlung, häus- liche Krankenpflege und Rehabilitation ist eine Obergrenze von 28 Tagen pro Kalenderjahr vor- gesehen und für die häusliche Krankenpflege zusätzlich eine Gebühr von 10 Euro für jede Ver- ordnung. Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik wurde durch das GKV-Modernisierungs- gesetz zum 1. Januar 2004 auch eine Zuzahlung für ambulante ärztliche Behandlung eingeführt. Für die erste Inanspruchnahme in einem Kalendervierteljahr sind als sogenannte „Praxisgebühr” 10 Euro an den Arzt zu entrichten. Seit Anfang 2013 entfällt die Praxisgebühr. Alle Zuzahlungen müssen die Versicherten an die jeweiligen Leistungserbringer zahlen, sie reduzieren den Vergü- tungsanspruch des Leistungserbringers gegenüber der Krankenkasse. Um unzumutbare Belastungen für Versicherte mit geringem Einkommen und chronisch Kranke zu vermeiden, enthält das SGB V eine Belastungsgrenze für die Gesamtsumme der zu entrichten- den Zuzahlungen pro Jahr.91 Die Summe der Zuzahlungen eines oder einer Versicherten ein- schließlich seiner bzw. ihrer im gemeinsamen Haushalt lebenden Angehörigen soll 2 % der jähr- lichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt (Familienbruttoeinkommen) nicht übersteigen. Wird diese Belastungsgrenze erreicht, stellt die Krankenkasse eine Bescheinigung aus, durch die der oder die Versicherte von allen weiteren Zuzahlungen befreit ist. 86 Vgl. §§ 37b, 39a SGB V (22.02.2021) 87 Vgl. §§ 40 bis 43 SGB V (22.02.2021) 88 Vgl. § 60 Abs. 1 SGB V (22.02.2021) 89 Vgl. §§ 55 bis 59 SGB V (22.02.2021) 90 Vgl. §§ 24a, 24b, 27a SGB V (22.02.2021) 91 Vgl. § 62 SGB V (22.02.2021) 36 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Für chronisch Kranke, die wegen derselben schwerwiegenden Erkrankung in Dauerbehandlung sind, gilt eine Belastungsgrenze von 1 % der jährlichen Bruttoeinnahmen. Durch das GKV-Wett- bewerbsstärkungsgesetz wurde die Gewährung der niedrigeren Belastungsgrenze allerdings an die Voraussetzung geknüpft, dass die betroffenen chronisch Kranken jährlich eine ärztliche Be- scheinigung über „therapiegerechtes Verhalten” vorlegen.92 Ausnahmen davon sollen beispiels- weise im Falle von schwerer Pflegebedürftigkeit oder bei schwerer Behinderung gewährt werden. 3.1.5 Medizinischer Dienst (MDK) Zur Unterstützung bei Einzelfallentscheidungen, die medizinische Fragen aufwerfen, sind die Kran- kenkassen verpflichtet, eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) einzuholen.93 Der MDK ist eine Gemeinschaftseinrichtung der Landesverbände der GKV, die sich in jedem Bundesland zu einer „Arbeitsgemeinschaft Medizinischer Dienst der Krankenver- sicherung” zusammengeschlossen haben.94 Die Medizinischen Dienste sind in den alten Bundes- ländern als Körperschaft des öffentlichen Rechts und in den neuen Bundesländern als eingetrage- ner Verein organisiert. Organe des MDK sind der Verwaltungsrat und der Geschäftsführer bzw. die Geschäftsführerin. Der Verwaltungsrat wird von den Verwaltungsräten der Mitgliedkrankenkassen gewählt und wählt seinerseits wiederum den Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin. Die Finanzierung des MDK erfolgt aus einer Umlage der Mitgliedskassen, die sich nach der jewei- ligen Zahl der Krankenkassenmitglieder bemisst. Da die Begutachtung zur Feststellung der Pfle- gebedürftigkeit einen erheblichen Teil der Kapazitäten des MDK beansprucht, tragen die Pflege- kassen die Hälfte der Kosten des MDK. Der MDK unterliegt der Aufsicht durch die für die Krankenkassen zuständigen Landesbehörden. Für sein Haushalts- und Rechnungswesen gelten die gleichen Vorschriften wie für die Krankenkassen. Mitarbeitende des MDK sind Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige anderer Heilberufe. Sie geben auf Antrag einer Krankenkasse gutachtliche Stellungnahmen oder führen Überprüfungen von Leistungserbringern durch. Vorläufer des MDK war der vertrauensärztliche Dienst, der hauptsächlich zweifelhafte Arbeitsun- fähigkeitsfälle prüfte. Mittlerweile ist das Aufgabenspektrum des MDK jedoch erheblich erweitert worden. So prüft er zwar auch weiterhin in Einzelfällen das Vorhandensein von Arbeitsunfähig- keit, darüber hinaus aber auch die Notwendigkeit einzelner medizinischer Leistungen, Anträge auf Verlängerung häuslicher Krankenpflege, die Angemessenheit von Abrechnungen der Kran- kenhäuser etc. Insbesondere im Krankenhaus sowie in der ambulanten und stationären Pflege sind die Aufgaben und Kompetenzen des MDK in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet wor- den. So ist er beispielsweise befugt, zur Prüfung der Notwendigkeit und Dauer einer Kranken- hausbehandlung die Räume eines Krankenhauses zu betreten und die Krankenunterlagen von Versicherten einzusehen oder Versicherte zu untersuchen.95 Die Mitarbeitenden des MDK sind allerdings nicht berechtigt, in die ärztliche Behandlung einzugreifen. Mit der Einführung der Pflegeversicherung wurde dem MDK auch die sehr umfangreiche Aufgabe der Begutachtung zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit übertragen. Darüber hinaus führen 92 Vgl. § 62 Abs. 1 SGB V (22.02.2021) 93 Vgl. §§ 275 bis 283 SGB V (22.02.2021). Die Internetseiten der einzelnen Medizinischen Dienste sind über die ge- meinsame Internetseite der MDK zu erreichen (https://www.mdk-net.de). 94 Abweichend davon gibt es in Nordrhein-Westfalen zwei MDKs (Nordrhein und Westfalen-Lippe), Berlin und Bran- denburg haben einen gemeinsamen MDK. 95 Vgl. § 276 Abs. 4 SGB V (22.02.2021) Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 37 einzelne MDKs auch stichprobenartige oder flächendeckende Qualitätsprüfungen in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen durch und beraten auf Wunsch Pflegeeinrichtungen bei der Entwicklung von Konzepten und dem Aufbau eines internen Qualitätsmanagements. Über die Einzelfallbegutachtungen hinaus gehört auch die Beratung der Kranken- und Pflegekassen in Grundsatzfragen zu den Aufgaben des MDK, so beispielsweise Fragen der Qualitätssicherung, Krankenhausplanung oder Wirksamkeit neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Am 01. Juli 2008 ist der bisherige „Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen“ in die Trägerschaft des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) überge- gangen. Seitdem heißt er ‚Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen‘. Es bleibt bei dem bekannten Kürzel ‚MDS‘. Der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen ist wie schon sein Vorgänger ein eingetragener Verein. Die Aufgaben des MDS sind jetzt deutlich erweitert: Er berät den Spitzenverband Bund in allen me- dizinischen und pflegerischen Fragen, die diesem qua Gesetz zugewiesen sind. Außerdem koordiniert und fördert der MDS die Durchführung der Aufgaben und die Zusammenarbeit des „Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung“ (MDK) in allen medizinischen und organisatorischen Fragen. Auf das GKV-WSG geht auch die Gründung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen als zentrale Interessensvertretung der gesetzlichen Krankenversicherung zurück. Ihm gehören alle gesetzlichen Krankenkassen an. Allein entscheidungsbefugtes Mitglied gemäß § 282 SGB V ist der Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Die Rechtsnachfolger der bisherigen Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen, l der AOK-Bundesverband, l der BKK-Bundesverband, l der IKK e.V., l der Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversicherung l die Knappschaft l der vdek – Verband der Ersatzkassen e.V. gehören dem Verein als fördernde Mitglieder an und werden auch künftig seine gesundheitspo- litische Ausrichtung mitgestalten. Darüber hinaus können die „Medizinischen Dienste der Kran- kenversicherung“ dem MDS als fördernde Mitglieder beitreten.96 3.1.6 GKV-Spitzenverband Bund Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz werden die organisatorischen Strukturen in der ge- setzlichen Krankenversicherung durch Bildung des Dachverbandes Spitzenverband Bund für alle Kassenarten grundlegend verändert. Bisher vertraten auf Bundesebene sieben Spitzenverbände der verschiedenen Kassenarten die Krankenkassen in Deutschland: AOK-Bundesverband, der Bun- desverband der Betriebskrankenkassen, der Bundesverband der Innungskrankenkassen (IKK), der Verband der Ersatzkassen (vdek) und der Arbeiter-Ersatzkassen (AEV), die Deutsche Rentenversi- cherung Knappschaft-Bahn-See als Träger der Krankenversicherung und der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau als Träger der Krankenversicherung. 96 Vgl. §§ 217a bis f SGB V (22.02.2021) sowie § 282 SGB V (22.02.2021) 38 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen übernahm ab 01.07.2008 folgende gesetzliche Auf- gaben der bisherigen Spitzenverbände auf Bundesebene und vertritt die Krankenkassen allein und einheitlich auf Bundesebene:97 l Vergütungsvereinbarungen für die vertrags(zahn)ärztliche Vergütung; l Vergütungsvereinbarungen für den stationären Sektor (Fallpauschalen, Weiterentwicklung der Diagnosis Related Groups); l Bedarfsplanung Vertragsärzte; l Festbeträge für Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel; l Beitragseinzug für den Gesundheitsfonds: Empfehlungen zur Benennung und Verteilung der beauftragten Stellen (Weiterleitungsstellen) für eine bundeseinheitliche Einzugspraxis ab 2011; l Rahmenvorgaben für Vereinbarungen auf Landesebene; l Grundsätze der Prävention und Rehabilitation; l Festlegungen zur Beitragsbemessungsgrenze; l Versorgungs-/Zulassungsempfehlungen und -verträge; l Vertretung der Krankenkassen im Gemeinsamen Bundesausschuss; l Entscheidungen zur Organisation des Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitswettbewerbs der Krankenkassen (Rahmenrichtlinien für Benchmarking der Leistungs- und Qualitätsdaten); l Neubildung des „Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung“; l Meldewesen, Entwicklung und Standardisierung des elektronischen Datenaustausches in- nerhalb der GKV, Telematik; l Ausgestaltung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs; l Definition der Pflegebedürftigkeit im SGB XI. Die Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland wird organisatorisch in den Spit- zenverband Bund integriert.98 Der GKV-Spitzenverbund hat drei Organe: Die Mitgliederversammlung, in die jede Krankenkasse einen Versicherten- und einen Arbeitgebervertreter bzw. -vertreterin aus ihrem Verwaltungsrat entsendet. Die Mitgliederversammlung wählt einen Verwaltungsrat (41 Mitglieder), der die Sat- zung beschließt und den dreiköpfigen, hauptamtlichen Vorstand wählt und kontrolliert. Der Spitzenverband Bund untersteht als Körperschaft des öffentlichen Rechts der Aufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit. Der Verwaltungsrat des Spitzenverbandes Bund der Kran- kenkassen besteht aus Versicherten- und Arbeitgebervertretern der Allgemeinen Ortskranken- kassen (AOK), der Ersatzkassen, der Betriebskrankenkassen (BKK), der Innungskrankenkassen (IKK), der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See und der Landwirtschaftlichen Krankenkasse (LKK). Die bisherigen Bundesverbände der Krankenkassen verloren zum 31.12.2008 ihren bisherigen Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Ihre Nachfolgeorganisationen werden in Rechtsformen des bürgerlichen Rechts neu gegründet. Die Betriebskrankenkassen haben inzwischen einen neuen Dachverband in der Bundeshauptstadt errichtet, der als zentrale Organisation die politische Meinungsbildung wie auch die Gremienar- beit effizienter und nahe an den Schaltstellen der Macht gestalten soll. Der bisherige BKK-Bun- desverband war in Essen beheimatet.99 97 Vgl. §§ 217a bis f SGB V (22.02.2021) 98 Siehe GKV Spitzenverband DVKA Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung – Ausland. 99 Vgl. Leopold (2018), S. 82. Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 39 3.2 Private Krankenversicherung Insgesamt waren zum Jahresende 2019 in der PKV 8.732.400 vollversicherte Personen. Hinzu kommen 26.678.300 Zusatzversicherte.100 Den größten Anteil der Beitragseinnahmen machte mit 67,88 % die Krankheitsvollversicherung aus. Die Zusatzversicherungen, die von gesetzlich Versicherten abgeschlossen werden, um den GKV-Schutz zu verbessern, hatten nur einen Anteil von 14,58 % an den Beitragseinnahmen.101 Mit dem GKV-Finanzierungsgesetz wird die alte Rechtsgrundlage wieder eingeführt, wie sie vor der letzten Gesundheitsreform im Jahre 2007 galt: Angestellte werden mit Ablauf des Jahres ver- sicherungsfrei, in welchem ihr Gehalt die Jahresarbeitsentgeltgrenze (oder auch Versicherungs- pflichtgrenze) übersteigt und voraussichtlich auch im Folgejahr oberhalb dieser Grenze liegen wird. 3.2.1 Versicherungsunternehmen Die Private Krankenversicherung wird in den Rechtsformen Aktiengesellschaft und Versicherungs- verein auf Gegenseitigkeit betrieben. Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG) ist eine der möglichen Rechtsformen von Krankenversicherungsunternehmen. Anders als eine Aktienge- sellschaft hat ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit keine Aktionäre, sondern die Versiche- rungsnehmer sind zugleich Mitglieder des Vereins und Träger des Versicherungsvereins. Während die Aktiengesellschaften im Auftrag der Anteilseigner geleitet werden und die Gewinne an die Aktionäre ausschütten, zeichnen sich die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit dadurch aus, dass sie – ähnlich der GKV – durch Vertreter der Versicherungsnehmer selbst verwaltet werden und die Überschüsse entweder in die Rücklage oder an die Versicherungsnehmer zurückfließen. Die Rechtsgrundlagen der Privaten Krankenversicherung bilden gesetzliche und vertragliche Best- immungen. Sie lassen sich im Wesentlichen in die drei Gruppen Versicherungsvertragsrecht, Un- ternehmensrecht und Aufsichtsrecht gliedern. Darüber hinaus gibt es in verschiedenen Gesetzen weiter geregelte Bestimmungen.102 Ausgangspunkte des Versicherungsvertragsrechts sind die allgemeinen Rechtsnormen des Zivil- rechts, insbesondere das Bürgerliche Gesetzbuch. Für alle Zweige bestehen individuelle Regelun- gen, die im Versicherungsvertragsgesetz zusammengefasst sind. Speziell auf die privaten Kran- kenversicherungen abgestellt sind deren „Allgemeine Versicherungsbedingungen“. Sie bestehen aus dem Teil I, den meist einheitlichen Musterbedingungen des Verbandes der privaten Kranken- versicherung, und dem Teil II, dem Tarif mit den unternehmenseigenen Tarifbedingungen. In der PKV kommt die Versicherung durch einen privatrechtlichen Vertrag zustande. Die PKV-Unternehmen unterstehen der Rechts- und Finanzaufsicht des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (BAV). Die frühere Genehmigungspflicht für die allgemeinen Versiche- rungsbedingungen und die Tarife durch das BAV sind mittlerweile weggefallen. Es kann aber unter Umständen korrigierend eingreifen. Beitragsanpassungen bedürfen stattdessen der Zustim- mung eines unabhängigen Treuhänders. Ein von der einzelnen Versicherung beauftragter Aktuar bzw. eine Aktuarin (Versicherungsexperte) muss sicherstellen, dass bei der Berechnung der Prä- mien und der mathematischen Rückstellungen, vor allem der Alterungsrückstellungen, die versi- 100 Vgl. Verband der privaten Krankenversicherung (2017), S. 16. 101 Ebenda, S. 15. 102 Siehe PKV (2019). 40 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen cherungsmathematischen Methoden eingehalten werden. Seine bzw. ihre Aufgabe ist es außer- dem, die Finanzlage des Unternehmens daraufhin zu überprüfen, ob die sich aus den Versiche- rungsverträgen ergebenden Verpflichtungen jederzeit erfüllt werden können. 3.2.2 Versicherungsnehmer Versicherungsnehmer der PKV sind vor allem Arbeiter und Angestellte mit einem Verdienst ober- halb der Versicherungspflichtgrenze der GKV, Selbständige und Freiberufler sowie Beamte. Der Wechsel eines freiwilligen Mitglieds der GKV zur PKV ist erst nach einer gesetzlich vorgegebenen Frist möglich. Wird die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten, endet die Versicherungspflicht mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie überschritten wird. Ein Wechsel zur PKV ist dann möglich.103 Beamte haben insofern einen Sonderstatus in der PKV, als sie in der Regel für die Hälfte ihrer Behandlungskosten „Beihilfe” vom Dienstherrn erhalten und sich nur für die nicht von der Beihilfe gedeckten Kosten versichern müssen. Für diese Teil-Krankenversicherung bleibt ihnen im Grunde nur eine private Krankenversicherung, weil der Staat für einen in der GKV versicherten Beamten weder den Arbeitgeberbeitrag noch die Beihilfe zahlt. Die Beihilfe entfällt, da in der GKV in der Regel Sachleistungen gewährt werden und die GKV auch keine speziellen Beamtentarife anbietet. Für die PKV sind Beamte und ihre Angehörigen hingegen von besonderer wirtschaftlicher Bedeu- tung, da sie etwa die Hälfte aller Versicherten in der Krankheitsvollversicherung ausmachen.104 Die Krankheitsvollversicherung wird von den einzelnen Versicherungsunternehmen in verschiede- nen Modellen mit unterschiedlichem Leistungsumfang angeboten. Der Versicherungsnehmer muss sich aus diesem Gesamtangebot ein Leistungspaket zusammenstellen, über das er mit dem Unternehmen einen individuellen Versicherungsvertrag abschließt. Das Gesamtleistungspaket kann sich dementsprechend aus einer Grundkomponente und verschiedenen zusätzlichen Leis- tungskomponenten zusammensetzen. Es kann bspw. zusätzlich zur Regelversorgung im Kranken- haus auch die Wahlleistungen „Unterkunft” und „Chefarztbehandlung” sowie eine Krankenta- gegeldversicherung enthalten. Für die privaten Krankenversicherungen gilt grundsätzlich kein Kontrahierungszwang, wie er für die gesetzlichen Krankenkassen vorgeschrieben ist. Während geöffnete Krankenkassen jeden An- tragsteller aufnehmen müssen, steht es den privaten Krankenversicherungen frei, Antragsteller ab- zulehnen. Sie führen zunächst eine Risikoprüfung durch, um zu klären, ob die Antragstellerin oder der Antragsteller Vorerkrankungen hat und, wenn ja, welche. Hierzu muss die Antragstellerin oder der Antragsteller die betreffende private Krankenversicherung ermächtigen, alle aus Sicht der Kran- kenversicherung erforderlichen Informationen über seinen Gesundheitszustand sowie Erkrankun- gen und Behandlungen der letzten Jahre einzuholen. Zu diesem Zweck muss sie oder er alle Ärzte, Zahnärzte, Pflegekräfte, Krankenhäuser etc. von der Schweigepflicht entbinden, die ihn in dem zu untersuchenden Zeitraum (beispielsweise die letzten zehn Jahre) behandelt oder gepflegt haben. Erklärt er sich dazu nicht bereit, wird er in der Regel keinen Versicherungsschutz erhalten. Ergibt die Risikoprüfung erhebliche Vorerkrankungen und damit ein erhöhtes Versicherungsrisiko, kann die PKV vom Antragsteller Risikozuschläge verlangen oder im Versicherungsvertrag be- stimmte Leistungen ausschließen. Sie kann den Antrag aber auch ganz ablehnen. Ausnahmen von diesem Grundsatz gelten nur für Nichtversicherte, die nach den Vorgaben des SGB V dem PKV-System zuzurechnen sind. Sie müssen ohne Risikoprüfung in den gesetzlich vorgeschriebe- nen Standardtarif der PKV aufgenommen werden. 103 Vgl. § 6 Abs. 4 SGB V (22.02.2021) 104 Siehe Verband der privaten Krankenversicherung (2017), S. 26. Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 41 Neben der Vollversicherung bietet die private Krankenversicherung Zusatzleistungen für einzelne Leistungsarten an. Zu den am stärksten nachgefragten Zusatzleistungen zählen Wahlleistungen im Krankenhaus sowie die Krankentagegeldversicherung. Auch GKV-Versicherten steht die Mög- lichkeit offen, zusätzlich zu den allgemeinen Krankenhausleistungen die Wahlleistungen „Unter- kunft” (Unterbringung im Ein- oder Zweibettzimmer) und „Arzt” (Chefarztbehandlung) privat zu versichern. Zusatzleistungen für den Bereich der ambulanten Versorgungsleistungen werden bei- spielsweise zur Finanzierung von Zahnersatz angeboten, der über das in der GKV übliche Maß hinausgeht, oder aber um Zuzahlungen in der zahnärztlichen Versorgung zu finanzieren. Die Krankentagegeldversicherung dient Freiberuflern und Selbständigen zur Absicherung gegen Ein- kommensausfälle, ähnlich der Entgeltfortzahlung und der Krankengeldzahlung bei abhängig Be- schäftigten. Bei Angestellten mit Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der GKV kann eine Krankentagegeldversicherung beispielsweise die Differenz zwischen Krankengeld, das auf der Grundlage des Einkommens bis zur Beitragsbemessungsgrenze gezahlt wird, und dem Nettogehalt auffüllen. Die Anbahnung und die Beratung über die verschiedenen Leistungspakete sowie der Vertragsab- schluss erfolgen in der Regel durch angestellte Außendienstmitarbeitende oder freie Versiche- rungsmakler. Bei Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages erhalten die Vermittler eine Pro- vision vom Versicherungsunternehmen, die in die Kalkulation der Beiträge eingerechnet wird.105 3.2.3 Leistungsspektrum Das Leistungsspektrum der privaten Krankenversicherungen umfasst sowohl Vollversicherungen als auch Zusatzversicherungen für einzelne Leistungsarten. Den größten Anteil der Beitragsein- nahmen machte mit 67,88 % (2019) die Krankheitsvollversicherung aus. Ende 2019 hatten 10,5 % der Bevölkerung in Deutschland eine private Vollversicherung.106 Die Krankheitsvollversicherung ist eine Kostenversicherung und die Hauptversicherungsart der PKV. Eine private Krankenversicherung gilt als Vollversicherung, wenn der oder die Versicherte die PKV anstelle einer gesetzlichen Krankenversicherung und nicht als Ergänzung zum GKV- Schutz abgeschlossen hat. Auch die Versicherung von beihilfeberechtigten Personen – zum Bei- spiel von Beamten – zählt als Vollversicherung. Dieser Personenkreis erhält von seinem Dienstherrn (in der Regel Bund, Land oder Kommune) im Krankheitsfall eine Beihilfe zu den Krankheitskosten. Ergänzend zu dieser Beihilfe werden die Restkosten bei einem Unternehmen der PKV abgesichert. Eine private Krankheitsvollversicherung können nur bestimmte Personengruppen abschließen. Diese sind im Wesentlichen l Beamte, l Arbeitnehmer mit einem Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze, l Selbständige und Freiberufler. Die private Pflegeversicherung ist das Äquivalent zur Pflegeversicherung für gesetzliche Kranken- versicherte. Wer privat krankenversichert ist, muss auch privat pflegeversichert sein. Die Leistun- gen sind identisch mit denen der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Beiträge werden wie in der privaten Krankenversicherung nach dem Kapitaldeckungsverfahren kalkuliert und sind somit un- abhängig vom Einkommen der Versicherten. 105 Dabei sind die im Versicherungsvertragsgesetz vom 23. November 2007 sowie in der Verordnung über die Informa- tionspflichten bei Versicherungsträgern vom 18. Dezember 2007 enthaltenen Spielregeln zu berücksichtigen. 106 Vgl. Verband der privaten Krankenversicherung (2017), S. 25. 42 Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen Durch Zusatzversicherungen kann der Grundversicherungsschutz ergänzt oder verbessert werden. Dies gilt in erster Linie für gesetzlich Versicherte. Aber auch für privat Vollversicherte sind folgende Zusatzversicherungen interessant: Krankentagegeldversicherung, Krankenhaustagegeldversiche- rung, Pflegezusatzversicherung. Die unter Zusatzversicherungen zum GKV-Schutz zusammenge- fassten Versicherungsarten werden überwiegend von gesetzlich Versicherten abgeschlossen. Die Zusatzversicherungen, die von gesetzlich Versicherten abgeschlossen werden, um den GKV- Schutz zu verbessern, hatten 2019 einen Anteil von 14,58 % an den Beitragseinnahmen.107 Zusatzversicherungen zum GKV-Schutz: l Ambulante Tarife: Solche Tarife bieten Versicherungsschutz im ambulanten Bereich, z. B. Zuschüsse zu Medikamenten, Brillen, Hörgeräten, Vorsorgeuntersuchungen. Auch die Er- stattung der Praxisgebühr ist möglich. l Tarife für Wahlleistungen im Krankenhaus: Erstattet werden die Kosten für die Unterbrin- gung im Ein- oder Zweibettzimmer (Wahlleistung Unterkunft) und die Behandlung durch die Chefärztin oder den Chefarzt. l Zahntarife: In der Regel beinhalten solche Tarife Leistungen für Zahnersatz, manchmal zu- sätzlich auch für Zahnbehandlung, Inlays und Kieferorthopädie. Die Erstattung erfolgt als Zuschuss, der prozentual bis zu einer festgelegten Höchstgrenze bezahlt wird. Mit der Krankentagegeldversicherung sichern die privat Vollversicherten ihren Verdienstausfall im Krankheitsfall ab. Selbstständige, die gesetzlich versichert sind, können das private Krankentage- geld anstelle des gesetzlichen Krankengeldes wählen. Im Gegenzug wird ihr Beitragssatz in der GKV leicht reduziert. Alle gesetzlich Versicherten können eine private Krankentagegeldversiche- rung als Ergänzung zum gesetzlichen Krankengeld abschließen. Besonders interessant ist dies, wenn das Krankengeld der GKV deutlich vom Nettoeinkommen abweicht. Die Tagegeldhöhe wird vertraglich vereinbart, darf aber – auch in Summe mit einem gesetzlichen Krankengeld – das Net- toeinkommen nicht überschreiten. Bei der Krankenhaustagegeldversicherung wird für jeden Tag im Krankenhaus eine im Vertrag festgelegte Summe an die Versicherten ausgezahlt. Das Krankenhaustagegeld steht ihnen dann zur freien Verfügung. Die Leistungen der Pflegeversicherung reichen in der Regel nicht, um die Kosten im Pflegefall zu decken. Diese Versorgungslücke kann durch zwei verschiedene Formen von Zusatzversicherungen geschlossen werden: l Pflegetagegeld: Der oder die Pflegebedürftige erhält pro Tag eine vertraglich fixierte Summe, unabhängig von den tatsächlich entstandenen Kosten. Die Summe steht zur freien Verfügung. l Pflegekostenversicherung: In Abhängigkeit von den tatsächlich entstandenen Kosten wird ein prozentualer Anteil erstattet. Die Auslandskrankenversicherung bietet Schutz bei Aufenthalten im Ausland. Sie kann für kurz- fristige und auch längerfristige Aufenthalte abgeschlossen werden, egal ob der Aufenthalt im Rahmen eines Urlaubs, eines Studiums oder einer beruflichen Tätigkeit erfolgt. 107 Ebenda, S. 15. Aufgaben und Akteure im Gesundheitswesen 43 Spezielle „Ausschnitts-Versicherungen“ decken ein spezielles Risiko ab, zum Beispiel Leistungen bei Notwendigkeit einer Brille. Die Kalkulation erfolgt unter bestimmten Sonderbedingungen, deshalb g