01 Die Perspektive eines Ökonomen PDF WS 2024/25
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Ruhr-Universität Bochum
2024
Julio R. Robledo
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This document is a Ruhr-Universität Bochum economics lecture covering microeconomics fundamentals. The lecture, taught by Julio R. Robledo, introduces foundational concepts like the scientific approach in economics, models, optimization, opportunity costs and equilibrium. It also covers topics such as positive vs. normative analysis.
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Grundlagen der Mikroökonomik 01 Die Perspektive eines Ökonomen Julio R. Robledo [email protected] Ruhr-Universität Bochum...
Grundlagen der Mikroökonomik 01 Die Perspektive eines Ökonomen Julio R. Robledo [email protected] Ruhr-Universität Bochum WS 2024/25 Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 1 / 37 Inhaltsverzeichnis Die wissenschaftliche Herangehensweise Abstraktion durch Modellierung Optimierung Opportunitätskosten Ein einfaches Modell als Beispiel Komparative Statik Marginalanalyse Gleichgewicht Empirismus Häufige Fehler bei Entscheidungen Positive vs. normative Analysen Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 2 / 37 Die wissenschaftliche Herangehensweise Was macht Wissenschaft? Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn kann über folgenden Prozess beschrieben werden. I Entwicklung einer Theorie (Synonym: eines Modells) I Empirische Überprüfung der Theorie I Stimmen Theorie und Empirie überein? I Wenn die Übereinstimmung von Theorie und Empirie unzureichend ist, musst die Theorie angepasst werden, nicht die Empirie. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 3 / 37 Die wissenschaftliche Herangehensweise Wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn I Zweck einer ökonomischen Theorie: Erklärung ökonomischer Phänomene I Theorien (Modelle) können verbal oder mathematisch formuliert werden. I Standard in der VWL: mathematische Formulierung von Theorien I Mathematische Sprache ist genauer und erlaubt eine bessere Überprüfung der Richtigkeit des Modells. I Wichtige Unterscheidung bei der Theoriebildung: I Endogene Variablen: Variablen, die durch das Modell erklärt werden I Exogene Variablen: Variablen, die von außen vorgegeben sind und daher nicht erklärt werden I Welche Variablen exogen bzw. endogen sind, hängt vom jeweiligen Modell ab. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 4 / 37 Die wissenschaftliche Herangehensweise Worum geht es in der VWL? I Treffen von Entscheidungen I Ökonomen gehen davon aus, dass menschliches Verhalten auf Entscheidungen zurückzuführen ist und nicht bspw. auf unbewusste Triebe. I Typische Entscheidungsträger: Individuen, Haushalte, Manager, Firmen, Regierungen... I Entscheidungen werden meist unter Knappheit getroffen. I Knappheit entsteht immer dann, wenn begrenzte Ressourcen auf unbegrenzte Bedürfnisse treffen. I Beispiele für knappe Ressourcen: Einkommen, Öl, Zeit... I Die VWL untersucht Entscheidungen über den Einsatz knapper Ressourcen. I VWL = Entscheidungstheorie bei Knappheit. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 5 / 37 Die wissenschaftliche Herangehensweise Mikroökonomik vs. Makroökonomik I Mikroökonomik: Entscheidung einzelne Entscheidungsträger (Individuum, Firma) und Folgen dieser Entscheidung auf deren Wohlfahrt. I Makroökonomik: Analyse der gesamten Volkswirtschaft, d.h. aggregierter Größen I Untersuchungsobjekte: Arbeitslosigkeit, Preisniveau, Bruttosozialprodukt I Man redet von der Mikrofundierung der Makroökonomik. I Kein Gegensatz zwischen Mikro und Makro! Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 6 / 37 Abstraktion durch Modellierung Struktur eines Modells I Die Annahmen des Modells definieren die Beziehungen zwischen Modellvariablen. I Die Lösung des Modells drückt die endogenen Variablen im Gleichgewicht als Funktion der exogenen Variablen aus. I Die Lösung des Modells folgt logisch aus den Annahmen. I Da sich die VWL mathematischer (nicht verbaler) Modelle bedient, können Logikfehler nur durch Rechenfehler auftreten und sind daher relativ leicht zu entdecken. I Aus der Lösung des Modells lassen sich Vorhersagen (Synonym: Hypothesen) ableiten, die empirisch überprüft werden können. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 7 / 37 Abstraktion durch Modellierung Unrealistische Modelle? I Modellierung bedeutet Abstraktion und Komplexitätsreduktion. I Konzentration auf Variablen, die im Fokus des Interesses stehen. I Modelle beschränken sich auf wenige exogene Einflussfaktoren. I Beispiel: Nachfrage nach Gütern wird oft als Funktion des Preises und des Einkommens der Konsumenten formuliert. I Andere Einflüsse auf die Nachfrage (z. B. Moden, Wetter,...) werden hingegen ignoriert. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 8 / 37 Abstraktion durch Modellierung Unrealistische Modelle? I Berechtigte Frage: Sind solche Modelle nicht “unrealistisch”? I “Einfachheit” des Modells erlaubt Erkenntnisgewinn über komplexe Realität. I Die Qualität eines Modells ergibt sich aus der empirischen Überprüfung des Modells. I Auch die verbale Formulierung von Theorien (und nicht nur die mathematische) basiert auf Komplexitätsreduktion. I Vorteil mathematischer Formulierung von Modellen: Logikfehler und Inkonsistenzen werden leichter vermieden. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 9 / 37 Abstraktion durch Modellierung Was zeichnet ein gutes Modell aus? I Es werden nur Variablen ignoriert, die für Modellaussagen irrelevant sind. I Sparsamkeit: Jeder wissenschaftliche Erklärungsversuch sollte mit der einfachst möglichen Theorie beginnen. I Dieses Prinzip geht auf den englischen Mönch und Philosophen William Ockham (14. Jahrhundert) zurück und ist als Ockham’s Razor bekannt. I Ockham behauptete nicht, dass die Welt einfach ist. I Man soll “ceteris paribus” (wörtlich “unter sonst gleichen Bedingungen”, sinngemäß: bei identischem Erklärungsgehalt) die einfachere Theorie bevorzugen. I Die Annahmen des Modells sollten nicht kontrafaktisch sein, also nicht der Wirklichkeit widersprechen. I Robustheit: Resultate und Hypothesen sollten sich bei kleinen Modifikationen des Modells nicht zu stark verändern. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 10 / 37 Abstraktion durch Modellierung Was zeichnet ein gutes Modell aus? I Modell muss falsifizierbare Hypothesen machen, d.h. Hypothesen, die mit Hilfe von Daten / Beobachtungen prinzipiell widerlegen werden können. I Hypothesen können i.d.R. nicht verifiziert, nur falsifiziert werden. I Beispiel: Hypothese: “alle Schwäne sind weiss” I Kann nicht verifiziert werden, da nicht alle Schwäne, die jemals gelebt haben oder jemals leben werden, beobachtet werden können. I Wenn Sie einen schwarzen Schwan finden, ist die Theorie falsifiziert. I Die Möglichkeit zur Falsifikation grenzt wissenschaftliche von nicht-wissenschaftlichen Theorien ab. I Beispiel: Die Theorie “Gott erschuf die Welt” (Kreationismus) ist nicht-wissenschaftlich, da sie keine falsifizierbaren Aussagen macht. I Anders gefragt: Welche empirische Beobachtung würde diese Theorie falsifizieren? I Theorien sollten einer empirischen Überprüfung standhalten, d. h. nicht falsifiziert worden sein. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 11 / 37 Abstraktion durch Modellierung Drei Prinzipien in der VWL I Auch andere Sozialwissenschaften (bspw. die Soziologie oder die Psychologie) analysieren menschliches Verhalten. I Worin unterscheidet sich die VWL? I Drei Grundprinzipien spielen in der VWL eine tragende Rolle: 1. Optimierung: Ökonomen gehen davon aus, dass Entscheidungsträger optimieren, d. h. die beste aller möglichen Alternativen auswählen. 2. Gleichgewicht: Ökonomische Systeme tendieren zu einem Gleichgewicht. 3. Empirismus: Theorien (Modelle) werden empirisch überprüft und ggf. verworfen. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 12 / 37 Optimierung Optimierung: Definition I Ökonomen nehmen an, dass Entscheidungen durch Optimierung getroffen werden. I Optimieren = beste aller möglichen Alternativen auswählen I Auch wenn Entscheidungsträger nicht immer explizit optimieren, verhalten sie sich oft so, als ob Sie optimieren würden. I Optimierung stellt daher oft eine gute Approximation tatsächlichen Entscheidungsverhaltens dar. I Optimierung ist konsistent mit empirischer Evidenz. I Das heißt nicht, dass alle Entscheidungsträger immer optimieren. I Es gibt sogar, abhängig vom Kontext der Entscheidung, systematische Abweichungen von optimalem Verhalten. I Solche Abweichungen von optimalem Verhalten werden in der Verhaltensökonomie (behavioural economics) analysiert. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 13 / 37 Optimierung Optimierung: eigene Präferenzen entscheidend I Optimieren = beste aller möglichen Alternativen auswählen I Nach welchem Kriterium entscheiden, welche Alternative die beste ist? I Das hängt von den individuellen Präferenzen des Entscheidungsträgers ab. I Individuen maximieren ihr Wohlergehen (ihren “Nutzen”), das von Einkommen, Freizeit, Gesundheit, dem Wohlergehen von Familie und Freunden, Lebenssinn etc. beeinflusst wird. I Firmen berücksichtigen neben dem Gewinn u. U. auch soziale Zielsetzungen, die Unternehmensgröße, die Zufriedenheit der Aktionäre und vielleicht sogar der Mitarbeiter etc. I Ökonomen treffen in der Regel keine Aussagen darüber, welche Präferenzen ein Entscheidungsträger haben sollte, sondern nehmen Präferenzen als gegeben hin. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 14 / 37 Optimierung Optimierung: Restriktionen und Zielkonflikte I Welche Entscheidungen möglich sind, hängt von den Restriktionen ab, denen ein Entscheidungsträger unterliegt, z.B. bzgl. Einkommen, Zeit, Informationen etc. I Restriktionen führen zu Zielkonflikten: Um ein Gut zu erhalten, muss ein anderes Gut aufgegeben werden. I Wenn Sie sich einen Kaffee kaufen, stehen Ihnen 1,50 Euro weniger für andere Dinge zur Verfügung. I Wenn Sie eine Stunde auf Facebook verbringen, verzichten Sie darauf, diese Stunde mit Freunden zu verbringen oder Geld zu verdienen. I Zielkonflikte können m. H. v. Budgetrestriktionen zum Ausdruck gebracht werden. I Beispiel: Sie haben 4 Stunden Zeit, die Sie entweder mit Freunden verbringen oder arbeiten können. I Ihre Budgetbeschränkung wäre in diesem Fall: 4 Stunden = Zeit mit Freunden + Arbeitszeit Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 15 / 37 Opportunitätskosten Opportunitätskosten I Aufgrund von Zielkonflikten entstehen Opportunitätskosten. I Opportunitätskosten entstehen, da die Nutzung einer knappen Ressource bedeutet, dass die Ressource nicht für eine alternative Verwendung zur Verfügung steht. I Opportunitätskosten = beste alternative Verwendung einer Ressource. I Beispiel: Sie haben sich entschlossen, zu studieren. I Da ein Studium in Deutschland (praktisch) kostenlos ist, entstehen durch diese Entscheidung keine Kosten, richtig? I Falsch! Für Ihren Bachelor-Abschluss werden Sie ca. 3 Jahre brauchen, die sie nicht mehr für etwas anderes nutzen können. I Die Opportunitätskosten des Studiums sind z. B. das entgangene Einkommen dieser 3 Jahre, wenn die beste Verwendung Ihrer Zeit ein gut bezahlter Job gewesen wäre. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 16 / 37 Ein einfaches Modell als Beispiel Beispiel eines einfachen ökonomischen Modells I Beispiel: Anwendung des Konzepts der Opportunitätskosten, um die besten aller möglichen Alternativen zu finden. I Sie suchen eine Unterkunft in Bochum und fragen sich, wie weit entfernt von der Uni Sie wohnen möchten. I Je weiter entfernt Sie von der Uni wohnen, desto günstiger ist eine Wohnung (bei sonst gegebener Qualität = also ceteris paribus). I Allerdings erhöht sich damit Ihre Pendelzeit, die Sie nicht für etwas Anderes verwenden können. I Zielkonflikt zwischen dem verfügbaren Einkommen nach Zahlung der Miete und ihrer verfügbaren Zeit. I Annahme: Sie würden für 8 Euro die Stunde arbeiten, wenn Sie nicht pendeln. I Wir entwickeln ein Modell, das Ihre Entfernungswahl erklärt: I Endogene Variable: Entfernungswahl I Exogene Variablen: Mietpreis und Opportunitätskosten Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 17 / 37 Ein einfaches Modell als Beispiel Optimale Entfernungswahl Entfernung Pendelzeit Opportunitäts- Miete Gesamtkosten in km pro Monat kosten in Euro in Euro in Euro 1 5 Std. 40 380 420 2 10 Std. 80 310 390 3 15 Std. 120 260 380 4 20 Std. 160 250 410 I Beste Alternative unter Berücksichtigung der Opportunitätskosten Ihrer Zeit: 3 km Entfernung I Angenommen, die Opportunitätskosten Ihrer Zeit sind tatsächlich höher als 8 Euro, z. B. weil es eine besserer Pendel-Alternative als Arbeiten gibt? I Keine eindeutige Antwort, aber auf keinen Fall sollten Sie weiter als 3 km entfernt von der Uni wohnen. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 18 / 37 Komparative Statik Komparative Statik 1 I Wir interessieren uns oft dafür, wie Entscheidungen (d. h. endogene Variablen) auf Veränderungen der äußeren Bedingungen (d. h. exogener Variablen) reagieren. I Eine solche Analyse heißt komparative Statik. I Fortführung des Beispiels. Nach ihrem ersten Abschluss nehmen Sie ein Masterstudium auf, Ihr Stundenlohn erhöht sich dadurch auf 12 Euro pro Stunde. I Die Opportunitätskosten des Pendelns steigen also auch. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 19 / 37 Komparative Statik Komparative Statik 2 Entfernung Pendelzeit Opportunitäts- Miete Gesamtkosten in km pro Monat kosten in Euro in Euro in Euro 1 5 Std. 60 380 440 2 10 Std. 120 310 430 3 15 Std. 180 260 440 4 20 Std. 240 250 490 I Es ist nun also optimal, 1 km näher an die Uni zu ziehen. I Unser Modell hat eine empirisch testbare und damit falsifizierbare Hypothese produziert. I Es ist jetzt nicht so, dass alle Menschen nach einer Lohnerhöhung 1 km weiter ziehen (Umzugskosten, andere Faktoren der Wohnungswahl) I Aber ceteris paribus wohnen Individuen mit höherem Stundenlohn (d. h. höheren Opportunitätskosten) näher an der Uni. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 20 / 37 Marginalanalyse Marginalanalyse 1 I Bisher haben wir die beste Alternative identifiziert, indem wir die absoluten Kosten verglichen haben. I Alternativ können wir die Veränderung der Kosten betrachten, wenn wir von einer zur nächsten Alternative wechseln. I Wir verwenden den Begriff marginal, um den Unterschied zwischen zwei Alternativen zu bezeichnen, insbesondere wenn der Unterschied einer einzigen Einheit oder einem einzigen Schritt (im Beispiel 1 km oder 1 Euro) entspricht. I Fokussiert die Betrachtung auf Veränderungen und nicht auf Absolutwerte, sprechen wir daher auch von einer Marginalanalyse. I Egal, ob man absolute Werte vergleicht oder Veränderungen betrachtet, die beste Alternative bleibt die gleiche! Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 21 / 37 Marginalanalyse Marginalanalyse 2 I Um das Problem mit Hilfe der Marginalanalyse zu lösen, betrachten wir nun auch die Differenz von Miet- und Pendelkosten relativ zur Wohnung, die sich jeweils 1 km näher an der Uni befindet. I Die Differenz in Kosten nennt man Grenzkosten, engl. marginal cost (Abkürzung MC). Ent- Pendel- Marginale Miete Marginale Gesamt- Marginale fernung kosten Pendelkosten Mietkosten kosten Gesamtkosten 1 40 - 380 - 420 - 2 80 40 310 -70 390 -30 3 120 40 260 -50 380 -10 4 160 40 250 -10 410 30 Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 22 / 37 Marginalanalyse Marginalanalyse 3 I Ein Wert von -30 bei den marginalen Gesamtkosten in Zeile 2 bedeutet, dass die Gesamtkosten um 30 Euro fallen, wenn man 2 km statt 1 km entfernt von der Uni wohnt. I Solange die marginalen Gesamtkosten negativ sind, verringern sich also die Gesamtkosten I Daher ist der Wechsel von 1 km auf 2 km vorteilhaft. I Dies ist für die 3 km entfernte Wohnung noch der Fall, nicht jedoch für die 4 km entfernte Wohnung. I Es ist also optimal, 3 km von der Uni entfernt zu wohnen. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 23 / 37 Marginalanalyse Absolute Kosten vs. Grenzkosten I Da beide Verfahren zum gleichen Ergebnis führen, können beide verwendet werden. I Bei komplexeren Problemen, die mit Hilfe der Mathematik analysiert werden, ist es oft praktischer, auf die Veränderung zu fokussieren. I Beispiel: In der Realität ist die Entfernung zur Uni natürlich nicht notwendigerweise eine ganze Kilometerzahl, sondern kann sehr viele (genauer gesagt: unendlich viele) Werte annehmen. I Angenommen, die Gesamtkosten C sind durch folgende Funktion darstellbar C(x) = 420 − 30x + 5x2 , wobei x die Entfernung zur Uni bezeichnet. I Wenn Sie die Absolutwerte der Gesamtkosten vergleichen wollen, müssten Sie C(x) für jeden möglichen Wert von x berechnen. I Dies ist bei einer hohen Anzahl von x-Werten mühsam. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 24 / 37 Marginalanalyse Optimierung mit Hilfe der Grenzkosten I Viel einfacher ist es, die Entscheidung mit Hilfe der Veränderung der Gesamtkosten, d. h. der Grenzkosten MC(x) zu treffen. I Formal gesprochen entspricht die Veränderung der ersten Ableitung von C(x), die gegeben ist durch dC MC(x) = = −30 + 10x dx I Wie oben gesehen, sollte man weiter weg von der Uni ziehen, solange die Grenzkosten negativ sind und damit aufhören, sobald die Grenzkosten positiv werden. I Das Optimum liegt also vor, wenn die Grenzkosten genau gleich 0 sind: ! −30 + 10x = 0 =⇒ x? = 3 I Gilt MC(x) = 0, kann der Entscheidungsträger die Gesamtkosten durch eine Veränderung seines Verhaltens nicht mehr reduzieren. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 25 / 37 Gleichgewicht Gleichgewicht I Das zweite grundlegende Prinzip ist, dass ökonomische Systeme zu einem Gleichgewicht tendieren. I Definition: Ein Gleichgewicht liegt vor, wenn kein Entscheidungsträger von einer Veränderung seines Verhaltens profitieren würde, d. h. wenn alle Entscheidungsträger simultan optimiert haben. I Intuitive Definition: Wenn ein Entscheidungsträger seine Situation verbessern kann, wird er es tun. I Also kann die vorige Situation kein Gleichgewicht gewesen sein. I Beispiele: I Gleichgewicht auf einem Markt zwischen Anbieter und Nachfrager I Transaktion über die Zweite Hand: das Individuum mit der größten “Zahlungsbereitschaft” für das Gut kauft das Gut vom Verkäufer. I Wartezeit an allen Supermarktkassen ist ungefähr gleich lang. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 26 / 37 Empirismus Empirismus I Die VWL zeichnet sich durch Empirismus aus, d.h. durch die empirische Überprüfung von Theorien. I Theoretische Modelle liefern i. d. R. Hypothesen über kausale Wirkungszusammenhänge. I Kausalität: Ursache-Wirkungs-Zusammenhang I Kausale Effekte sind immer ceteris-paribus-Effekte: Man betrachtet die Veränderung einer endogenen Variable, wenn ausschließlich eine einzige exogene Variable variiert wird (komparative Statik). I Beispiele für theoretische Hypothesen: I Das Arbeitsangebot von Individuen steigt, wenn der Lohnsatz steigt. I Ein zusätzliches Jahr mehr Schulbildung erhöht die Produktivität und den Lohn von Individuen. I Vorsicht: eine positive Korrelation zwischen zwei Variablen bedeutet nicht notwendiger Weise einen kausalen Effekt! I =⇒ Statistik / Ökonometrie Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 27 / 37 Häufige Fehler bei Entscheidungen Häufige Fehler bei Entscheidungen I I Nichtbeachtung impliziter Kosten: Opportunitätskosten I Gesamtkosten, die durch das Durchführen von x entstehen, sowohl explizit als auch implizit I Beispiele: Essen gehen, Selbstnutzung einer Immobilie I Beachtung von sunk costs I Kosten für die Durchführung von x, die bereits ausgegeben sind und deshalb unwiederbringlich verloren sind, sollten ignoriert werden. I Beispiele: Fahrt nach Berlin mit dem Auto oder mit dem Zug I Messung von Kosten und Nutzen in relativen anstatt in absoluten (Geld-)Beträgen I 15 Minuten Autofahrt in Kauf nehmen, um beim Kauf eines 20€-Buchs 10€ zu sparen. I 15 Minuten Autofahrt in Kauf nehmen, um beim Kauf eines 1000€-Fernsehers 10€ zu sparen. I gleiche 10€ Ersparnis, egal ob man ein Buch für 20€ oder einen Fernseher für 1.000€ kauft. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 28 / 37 Häufige Fehler bei Entscheidungen Häufige Fehler bei Entscheidungen II I Nichtbeachtung des Unterschieds zwischen der durchschnittlichen und der marginalen Größe (average & margin) I Entscheidung ist oft nicht “Soll ich x durchführen?” I Sondern: “Wie viel x soll ich durchführen?” I Die durchschnittlichen Kosten oder der durchschnittliche Nutzen von n Einheiten von x sind die Gesamtkosten (oder Gesamtnutzen) dividiert durch n. I Die Grenzkosten (oder Grenznutzen) sind die Kosten (oder Nutzen) einer zusätzlichen Einheit von x (diese Einheit ist die “marginale” Einheit). Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 29 / 37 Häufige Fehler bei Entscheidungen Beispiel average vs. marginal bei diskreten Entscheidungen 1 I Beispiel Fischerei-Firma mit 3 Booten I Die täglichen Kosten betragen 300€, durchschnittlich 100€ pro Boot. I Der tägliche Fisch-Umsatz beträgt 600€, durchschnittlich 200€ pro Boot. I Sollte die Firma ein 4. Boot einsetzen? I Wir kennen nur die durchschnittlichen Kosten und den durchschnittlichen Umsatz. I Für die Entscheidung bzgl. eines 4. Bootes ist relevant, wie sich die Kosten und der Umsatz mit der Anzahl der eingesetzten Boote verändern. I Eine solche diskrete Entscheidung kann man gut in einer Tabelle darstellen. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 30 / 37 Häufige Fehler bei Entscheidungen Beispiel average vs. marginal bei diskreten Entscheidungen 2 I Nehmen wir an, dass ein zusätzliches Boot 100€ pro Tag kostet (Grenzkosten). I Betrachten Sie folgende Tabelle: Anzahl Gesamtnutzen durchschnittlicher Nutzen Grenznutzen der Boote (in €) (in €) (in €) 0 0 0 0 1 300 300 300 2 480 240 180 3 600 200 120 4 640 160 40 I Auch beim 4. Boot übersteigt der durchschnittliche Nutzen die Kosten. I Aber der Grenznutzen des 4. Bootes ist geringer als die Kosten! Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 31 / 37 Häufige Fehler bei Entscheidungen Beispiel average vs. marginal bei stetigen Entscheidungen 1 I Voriges Beispiel war eine diskrete Entscheidung: 1 Boot, 2 Boote, 3 Boote usw. I Viele Entscheidungen werden stetig getroffen: Wie viel Benzin man kauft, wie viel Zeit in eine Tätigkeit investiert wird, wie viel Geld man für etwas ausgibt I Bei stetigen Entscheidungen kann man oft den Grenznutzen und die Grenzkosten grafisch darstellen. I Ernie zahlt für ein Ferngespräch mit Bert konstante 4 Cent/Minute (Grenzkosten, marginal cost MC). I Ernies Zahlungsbereitschaft für eine zusätzliche Telefon-Minute mit Bert sind durch eine fallende Kurve gegeben (Grenznutzen, marginal utility MU). I Der fallende Verlauf drückt aus, dass der Nutzen einer zusätzlichen Telefon-Minute sinkt, je mehr Minuten Ernie bereits telefoniert hat. I Wie viele Minuten sollten optimal telefoniert werden? Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 32 / 37 Häufige Fehler bei Entscheidungen Beispiel average vs. marginal bei stetigen Entscheidungen 2 I Die optimale Minutenmenge Preis liegt im Schnittpunkt der 8 Wert einer Kurven MC und MU. zusätzlichen Minute I Für weniger Minuten ist Ernies Kosten einer Grenznutzen einer weiteren zusätzlichen Minute Minute höher als die Grenzkosten. 4 MC I Für mehr Minuten sind Ernies Grenzkosten einer weiteren 2 Minute höher als sein 1 Grenznutzen. MU I Frage: Was passiert, wenn die 200 400 600 800 Minuten/ Monat Grenzkosten einer Minute auf 2 Cent/Minute fallen? Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 33 / 37 Positive vs. normative Analysen Positive Analysen I Positive Analysen leiten objektive Aussagen ab, die empirisch überprüfbar sind (und falsifiziert werden können). Beispiele: I Die Einführung eines Mindestlohns erhöht die Arbeitslosigkeit. I Die Erhöhung der Unternehmenssteuer reduziert Unternehmensinvestitionen. I Wenn man die AKWs abschaltet, werden die Strompreise steigen. I Die Herdprämie (pardon, das Betreuungsgeld) führt dazu, dass v. a. Kinder aus sozial schwachen Familien seltener in die Kita gehen. I Salopp formuliert: Wie ist etwas? I Positive Fragen haben definitive Antworten und fragen nach den Konsequenzen von bestimmten Handlungen. I Positivismus: philosophische Richtung (Auguste Comte, 19. Jahrhundert), die Erkenntnis auf die Interpretation von “positiven” (bewiesenen) Befunden beschränkt. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 34 / 37 Positive vs. normative Analysen Normative Analysen I Normative Analysen untersuchen - unter Berücksichtigung von Fakten und Werturteilen -, wie etwas sein sollte. Beispiele: I Sollen wir den Mindestlohn in Deutschland abschaffen? I Sollen wir die Unternehmenssteuer erhöhen? I Sollen wir die AKWs abschalten? I Soll das Betreuungsgeld abgeschafft werden? I Salopp formuliert: Wie sollte etwas sein? I Die Beantwortung normativer Fragen stützt sich i.d.R. auf die Resultate positiver Analysen (z.B. die ökonomischen Effekte von Mindestlohn oder Steuer), aber fußt auch auf subjektiven Werturteilen des Einzelnen oder der Gesellschaft (wie stark werden bspw. Verteilungskonsequenzen vs. Effizienzwirkungen gewichtet?) I Normative Fragen haben keine definitiven Antworten und beziehen Wertungen ein. I Norm: allgemein anerkannte, als verbindlich geltende Regel für das Zusammenleben der Menschen (Duden) Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 35 / 37 Positive vs. normative Analysen Positive vs. normative Analysen I Ein Hauptunterschied zwischen positiven und normativen Aussagen zeigt sich darin, wie wir ihre Gültigkeit überprüfen. I Positive Aussagen können wir grundsätzlich dadurch annehmen oder verwerfen, dass wir sie auf ihre empirische Gültigkeit überprüfen. I Beispiel: Ein Ökonom könnte den Zusammenhang zwischen einer Veränderung des Mindestlohns und der Arbeitslosigkeit mithilfe statistischer Daten untersuchen. I Im Gegensatz dazu kommen bei der Bewertung normativer Aussagen Fakten und Werturteile zusammen. I Eine normative Aussage kann man allein mit statistischen Daten nicht überprüfen. I Darüber zu entscheiden, ob politische Maßnahmen gut oder schlecht sind, ist nicht nur eine Sache der Wissenschaft. Dabei sind auch unsere persönlichen Einstellungen zur Ethik, zur Religion und zur politischen Philosophie gefragt. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 36 / 37 Positive vs. normative Analysen Positive und normative Analysen in der VWL I Die VWL beschäftigt sich v. a. mit positiven Fragen. I Damit können normative Fragen besser beantwortet werden: I Wenn man die Folgen der Abschaffung des Mindestlohns kennt, kann man besser bewerten, ob man diese Folgen in Kauf nehmen möchte. I Wenn eine Erhöhung der Unternehmenssteuer keine Senkung der Investitionen verursacht, ist diese Steuer evtl. eine sinnvolle steuerliche Einnahmequelle. I Wenn das Stromangebot durch regenerative Energiequellen gesichert ist und die Strompreise nicht steigen, wird man die Abschaltung der AKWs eher befürworten. I Wenn die Kinder, die am meisten von der Förderung in der Kita profitieren, von Kitas fernbleiben, ist das eine negative Folge des Betreuungsgeldes. I Umgekehrt führen normative Fragen zu positiven Fragen. Julio R. Robledo (Ruhr-Uni Bochum) 01 Die Perspektive eines Ökonomen WS 2024/25 37 / 37