Internationale Unternehmensführung - Studienmaterial PDF

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AKAD Hochschulen für Berufstätige, Fachhochschule Leipzig

Tobias Specker

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international business management globalization business management economics

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This document is study material on international business management. It explores the concepts of globalization and internationalization, and provides context and foundations for the subject. The document is intended as a textbook or study guide.

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Studienmaterial Internationale Unternehmensführung Internationale Unternehmensführung – UFU301 Kontext und Grundlagen Prof. Dr. Tobias Specker 1 Internation...

Studienmaterial Internationale Unternehmensführung Internationale Unternehmensführung – UFU301 Kontext und Grundlagen Prof. Dr. Tobias Specker 1 Internationale Unternehmensführung Internationale Unternehmensführung – Kontext und Grundlagen Einleitung und Lernziele 3 1 Internationalisierung der Wirtschaft als handlungsrelevanter Kontext der Unternehmensführung 5 1.1 Grundlegendes zum Bereich der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen 5 1.2 Ökonomische Globalisierung – Treiber und Status quo 11 1.2.1 Freihandelsleitbild: Institutionalisierung durch Organisationen 14 1.2.2 Freihandelsleitbild: Regionalisierung durch Integration 19 1.3 Befunde und Entwicklungsperspektiven der internationalen Wirtschaftsbeziehungen 23 2 Unternehmen und Unternehmensführung im Globalisierungskontext 26 2.1 Internationale Unternehmen – Grundsätzliches zum Begriffsverständnis 26 2.2 Internationalisierungsziele und -motive 38 3 Theorien zur internationalen Unternehmenstätigkeit 41 3.1 Theorien des Außenhandels 42 3.2 Theorien der Direktinvestition 43 3.3 Übergreifende Internationalisierungstheorien 44 4 Internationale Unternehmensführung – Internationales Management 49 4.1 Shortcut Unternehmensführung: Aufgaben und Merkmale 49 4.2 Internationale Unternehmensführung – Merkmale und Konsequenzen 51 4.3 (Inter-)Kulturelle Aspekte internationaler Unternehmensführung 53 4.3.1 Shortcut Kultur und Konzept(e) der Unternehmenskultur 53 4.3.2 Ausgewählte Typologien der Landeskultur 58 5 Internationalisierung als strategisches Entscheidungsproblem 65 5.1 Shortcut – Strategisches Management 65 5.2 Internationalisierungsstrategien – Merkmale und Besonderheiten 69 5.2.1 Bezugsebenen der betrieblichen Internationalisierungsstrategie 69 5.2.2 Internationale Gesamtunternehmensstrategien 70 5.2.3 Internationale Geschäftsbereichsstrategien 71 5.2.4 Internationale Funktionsbereichsstrategien 76 5.3 Merkmale und Besonderheiten der internationalen Strategieentwicklung 78 5.3.1 Prozessmodell der internationalen Strategieentwicklung 79 5.3.2 SWOT-Analyse: Merkmale und Besonderheiten 80 Inhaltsverzeichnis å UFU301 2 Zusammenfassung 87 Antworten zu den Kontrollfragen 91 Quellenverzeichnis 99 Stichwortverzeichnis 102 Copyright AKAD Bildungs- gesellschaft mbH Copyright Ein Unternehmen der AKAD Bildungs- Cornelsen-Gruppe. gesellschaft mbH Telefon: (07 11) 8Telefon: 14 95 - 0 (07 11) 8Internet: 14 95 - 0 Internet: http://www.akad.de http://www.akad.de Alle Rechte vorbehalten. 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Eine zentrale Konsequenz dieser Entwicklung besteht in der Tatsache, dass das Handeln von Unternehmen sich zunehmend an globalen oder zumindest grenzüberschreitenden Kategorien anlehnt. Anders formuliert: Im Bemühen um die Erhaltung und/oder den Aufbau der betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit erweist es sich für die verantwortlichen Entscheidungsträger als unverzichtbar, sich an internationalen Maßstäben zu orientieren. Im Bewusstsein um diese Tatsache ist es das Ziel dieses Studienbriefes, die unter diesen Entwicklungen gefassten Aspekte (beispielsweise Globalisierung oder Internationalisie- rung) einer differenzierten Betrachtung zu unterziehen. Ausgangspunkt bildet dabei im ersten Kapitel eine ausführliche Darstellung der Ursprünge, Merkmale und Entwicklungsperspektiven der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Das Spektrum der dabei erörterten Sachverhalte erstreckt sich u. a. auf die folgenden Bereiche: Internationalisierungspraxis von Unternehmen und den daraus resultierenden quantitativen und qualitativen Strukturen des Außenhandels, Freihandel als außenhan- delspolitisches Prinzip sowie die Darstellung internationaler Institutionen und volks- wirtschaftlicher Integrationszonen. Kapitel zwei thematisiert die Frage nach den Merkmalen und Besonderheiten interna- tionaler Unternehmen. Dies schließt auch eine Betrachtung von Zielen bzw. Motiven ein, die als einschlägig bei der Aufnahme und/oder Intensivierung grenzüberschreiten- der Aktivitäten gelten. Kapitel drei widmet sich ausgewählten theoretischen Beiträgen zum Außenhandel und zur internationalen Unternehmenstätigkeit. In Kapitel vier wird die Frage nach den Besonderheiten internationaler Unternehmens- führung diskutiert. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung erfolgt eine ausführliche Erörterung (inter-)kultureller Aspekte. Im Mittelpunkt des fünften Kapitels wird schließlich das Konzept der Internationalisie- rungsstrategien einer ersten systematischen Betrachtung unterzogen. Im Mittelpunkt steht dabei der Bereich der SWOT-Analyse. Die dazu ausgewiesenen Überlegungen sollen einerseits deutlich machen, dass die hinter diesem Begriff stehenden Analyseauf- gaben und -ergebnisse in Abhängigkeit der jeweils eingenommenen Perspektive höchst unterschiedlich ausfallen. Andererseits veranschaulicht diese Betrachtung aber auch, dass die Aufgabe der internationalen Strategieentwicklung durch einen Rückgriff auf bekannte Konzepte der strategischen Unternehmensführung strukturiert werden kann. Nach der Bearbeitung dieses Studienbriefes können Sie: – die Entwicklung und den Status quo der internationalen Wirtschaftsbeziehungen beschreiben und erklären; – die unter dem Globalisierungsbegriff gefassten ökonomischen Aspekte systematisch erläutern; – die Ziele und Motive grenzüberschreitender Unternehmensaktivitäten auch theore- tisch begründen; Einleitung/Lernziele å UFU301 4 – die Besonderheiten der internationalen Unternehmensführung erläutern, insbeson- dere also auch das dabei zur Entfaltung gelangende Phänomen der Interkulturalität; – im Kontext des sogenannten Prozessmodells der Strategieentwicklung die Besonder- heiten der SWOT-Analyse beschreiben und erklären. Über den Autor dieses Studienbriefs Prof. Dr. TOBIAS SPECKER (Jahrgang 1967) war nach Abschluss seines Maschinenbau- studiums zunächst in der Arbeitsvorbereitung und Fertigungsplanung eines mittelständi- schen Unternehmens in der Druckindustrie tätig. Während und nach Abschluss seines Betriebswirtschaftsstudiums arbeitete er als freiberuflicher Berater und Trainer in den Bereichen Marketing und technischer Vertrieb für verschiedene Unternehmen der Investitionsgüterbranche. Seit 2004 ist er im Rahmen einer Professur für Betriebswirt- schaftslehre und Internationales Marketing im Fachbereich Maschinenwesen der Fachhochschule Kiel tätig und hat diesen Fachbereich von 2006 – 2008 auch als Dekan vertreten. Im Zeitraum 2008 – 2010 war er in der Funktion des deutschen Vizedirektors bei der CDHAW (Chinesisch-Deutschen Hochschule für Angewandte Wissenschaften) an der Tongji-Universität aktiv. Für die AKAD Hochschulen ist er seit 2005 in verschiedenen betriebswirtschaftlichen Lehrbereichen (bspw. Internationale Unternehmensführung, Finanzierung oder Dienstleistungsmanagement) als Dozent tätig. Einleitung/Lernziele å UFU301 5 1 Internationalisierung der Wirtschaft als handlungsrelevanter Kontext der Unternehmensführung 1.1 Grundlegendes zum Bereich der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen „Globalisierung“, unter diesem Schlagwort genießen grenzüberschreitende wirtschaft- liche Aktivitäten seit geraumer Zeit eine überaus große Aufmerksamkeit. Unterzieht man diese Entwicklung einer etwas genaueren Betrachtung, so wird schnell deutlich, dass der Begriff der Globalisierung das Schicksal vieler Modewörter teilt: – Populär in der Verwendung, – aber keineswegs eindeutig oder gar konfus in der inhaltlichen Belegung. Unternimmt man vor dem Hintergrund dieser Beobachtung den Versuch einer Systema- tisierung dieses Phänomens, so erscheinen die folgenden Aspekte bemerkenswert: In einer sehr allgemeinen Definition steht der Begriff der Globalisierung für einen Prozess, der von einem Bedeutungsschwund nationaler Grenzen für menschliche Aktivitäten gekennzeichnet ist oder mit einem Bedeutungsgewinn globaler Bezugspunkte einher- geht (vgl. dazu auch S CHERRER/KUNZE 2011, S. 12). Entsprechend dieser Sichtweise erweist sich die Globalisierung als ein überaus facetten- reiches Konstrukt, welches aus verschiedensten Perspektiven betrachtet werden kann. Als diesbezüglich typische Kategorien gelten beispielsweise: P Die kulturelle Dimension der Globalisierung, die aus inhaltlicher Sicht u. a. auf die Frage abstellt, wie es zu einer globalen Durchsetzung ehemals nur „nationaler“ Kulturpro- dukte wie Musik, Fernsehformate oder Ähnlichem kommt oder kommen kann. P Die politisch-rechtliche Dimension der Globalisierung, die u. a. die Frage fokussiert, ob und in welcher Form Klimaschutzmaßnahmen international abgestimmt, national durch- gesetzt und lokal umgesetzt werden können. P Die ökonomische Dimension der Globalisierung, in deren Mittelpunkt die Auseinanderset- zung mit länderübergreifenden Wirtschaftsaktivitäten steht. Diese Kategorien stehen einerseits in einer engen Wechselbeziehung, haben anderer- seits aber bis dato ein recht unterschiedliches Niveau erreicht. Besondere Aufmerksam- keit genießt dabei zweifellos die ökonomische Dimension der Globalisierung. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die Internationalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten und erweist sich als facettenreiches Phänomen. Im weitesten Sinne sind davon alle staatlichen Grenzen überschreitenden wirtschaftlichen Beziehungen betroffen. Typische Ausprägungsformen sind demnach die folgenden Aktivitäten: – Handel mit Gütern und Dienstleistungen, – lokal gestreute Organisation von Wertschöpfungsaktivitäten, – kurz- und/oder langfristige Kapitalinvestitionen und – das Angebot von Arbeitskraft. Kapitel 1 å UFU301 6 Bezüglich der konkreten Beschaffenheit und Struktur dieser internationalen Wirtschafts- beziehungen gibt es nun eine Reihe von bemerkenswerten Besonderheiten, die wir im Folgenden kurz skizzieren. Zunächst wollen wir festhalten, dass die Internationalisierung der Wirtschaft keineswegs eine neue Entwicklung darstellt. Tatsächlich waren solche Waren- und Tauschbeziehun- gen zwischen verschiedenen Völkern bereits im Altertum zu beobachten. Belegt wird dieser Befund mit Hinweisen auf Stützpunkte, die von den sumerischen und babyloni- schen Stadtkulturen des Alten Orients bereits 4 000 vor Christus mit der Absicht errich- tet wurden, von dort Fernhandel zu betreiben. Auf der Basis dieser Ursprünge können eine Vielzahl bedeutender Epochen in der histo- rischen Entwicklung der Internationalisierung von Wirtschaftsbeziehungen identifiziert werden. Als besonders populäre Beispiele gelten beispielsweise die im Mittelalter in der Hanse organisierten Kaufmannsgilden der sogenannten „Hansestädte“ oder der im Zeit- alter des Kolonialismus entstandene Kolonialwarenhandel und die hierfür erforderliche Etablierung von Überseegesellschaften. Richtet man vor diesem historischen Hintergrund den Blick auf die gegenwärtige Be- schaffenheit der Internationalisierung der Wirtschaft, so steht außer Frage, dass deren Relevanz und Struktur in den letzten Jahren eine Reihe von mächtigen Veränderungen erfahren hat. In der Summe sind diese zweifellos dafür verantwortlich, dass das Thema der Globalisierung für viele Beobachter einen primär wirtschaftlichen Fokus besitzt. Zur ersten Veranschaulichung dieses Befundes eignet sich die in der nachfolgenden Abbildung wiedergegebene Gegenüberstellung der Entwicklung des Welthandels und des Weltsozialproduktes. Wie daraus ersichtlich wird, lag die jährliche Wachstumsrate des Welthandels (gemessen am weltweiten Warenexportvolumen) zwischen 1950 und 2008 im Durchschnitt bei 5,9 Prozent, die des Weltsozialproduktes (also die Summe aller Bruttoinlandsprodukte aller Staaten) hingegen bei durchschnittlich 3,6 Prozent. Anders formuliert: Während das Welthandelsvolumen seit 1950 einen Zuwachs um das 30-fache zu verzeichnen hatte, liegt diese Wachstumsrate bei der Weltwirtschaftsleis- tung „nur“ im Bereich des 9-fachen. Abbildung 1: Welthandel und Welt- sozialprodukt im Zeit- verlauf (WELGE/HOLT- BRÜGGE 2010, S. 5) Kapitel 1 å UFU301 7 Neben der daraus ersichtlichen Veränderung der quantitativen Dimension der interna- tionalen Wirtschaftsbeziehungen erweisen sich aber auch eine Reihe von qualitativen Entwicklungen als bemerkenswert. Dies betrifft in besonderer Weise die Frage nach der konkreten Beschaffenheit solcher grenzüberschreitenden Wirtschaftsaktivitäten und den dabei eingeschlagenen „geografischen“ Pfaden. Wie die nachfolgenden Abbildungen deutlich machen, können dazu ebenfalls einige Auffälligkeiten diagnostiziert werden. Abbildung 2: Internationalisierung der Wirtschaft und Direktinvestitionen (iwd 2012, www.iwkoeln.de/…/ 84212) Auffällig ist einerseits ein Bedeutungszuwachs von sogenannten Direktinvestitionen, also investives Engagement von Unternehmen in anderen Ländermärkten, beispielsweise in Form von Tochtergesellschaften. Im Unterschied zu anderen Formen des Außenhandels wird mit diesem Typus die Absicht von Akteuren (insbesondere Unternehmen) deut- lich, dass sie ein dauerhaftes grenzüberschreitendes Engagement anstreben. Dieses Engagement steht, wie an anderer Stelle noch zu diskutieren ist (Stichwort: Marktein- trittsformen) in einer engen Wechselwirkung mit den älteren Grundformen des Außen- handels (insbesondere Export- und/oder Importaktivitäten). Das konkrete Spektrum an solchen investiven Formen des Außenhandels ist dabei recht heterogen: So kann dies seinen Ausdruck in der Form des internationalen Franchising finden. Dabei überträgt der inländische Franchisegeber dem ausländischen Franchise- nehmer das Recht, ein Unternehmenskonzept (z. B. Marke, Corporate Design etc.) in dessen Markt kommerziell zu nutzen. Als weiterer Typus dieser Außenhandelsform gilt das Joint Venture. Darunter versteht man typischerweise die Gründung eines Unterneh- mens durch zwei Unternehmen aus unterschiedlichen Ländern. Als extremste Form sol- cher Außenhandelsaktivitäten ist schließlich der Bereich „Mergers & Acquisitions“ zu betrachten. Typische Beispiele sind der Kauf eines ausländischen Unternehmens und/ Kapitel 1 å UFU301 8 oder die Fusion des internationalisierenden inländischen Unternehmens mit dem auslän- dischen Partnerunternehmen. Für die hier im Mittelpunkt stehende einführende Betrachtung der Internationalisierung der Wirtschaft wollen wir mit diesem Verweis zunächst nur zum Ausdruck bringen, dass die Entwicklung der Direktinvestitionen andere grenzüberschreitende Handelsformen nicht etwa abgelöst, sondern in ihrer Relevanz und in ihrem Umfang eher noch verstärkt haben. Diese komplementäre Beziehung zwischen verschiedenen Formen des Außen- handels ist deswegen bemerkenswert, weil damit u. a. deutlich wird, dass große Teile des Welthandels zunehmend konzerninterner Natur sind. Die Wirkungslogik dieser Ent- wicklung ist ebenso einfach wie einprägsam: Mit der Durchführung von Direktinvestitionen werden auf internationaler Ebene konzern- artige Strukturen geschaffen, d. h. also Verbünde von rechtlich selbstständigen Unter- nehmen, die unter einer einheitlichen wirtschaftlichen Leitung stehen. Diese Struktur bildet meist die Grundlage für eine intensivierte güterwirtschaftliche (und/oder finanz- wirtschaftliche) Verflechtung zwischen den einzelnen Unternehmenseinheiten. Aus tra- ditioneller Sicht entsprechen sich diese gängigen Formen des Außenhandels, haben aber keine klassische, also „marktliche“ Basis, sondern sind „nur“ unternehmensinterner Natur. Abbildung 3: iwd Nr. 47 vom 22. November 2006 Welthandel als betriebs- Deutsch-amerikanischer Handel – Viele firmeninterne Geschäfte interner Handel Die intensiveren weltwirtschaftlichen Beziehungen werden auch innerhalb der internationalen Konzerne geknüpft – wie das Beispiel des deutsch-amerikanischen Handels zeigt. So geht inzwischen die Hälfte aller US-Importe aus Deutschland auf das Konto der firmeninternen (iwd 2006, Einkäufe von in den Vereinigten Staaten angesiedelten Töchtern deutscher Unternehmen. Vor allem Autos und Autoteile werden dabei www.iwkoeln.de/…/ über den Atlantik transportiert.*) 68003) Wenn über die Globalisierung diskutiert wird, kommen meist auch die multinationalen Unternehmen zur Sprache – und das zu Recht. Denn nach einer Schätzung der UNO-Handelskonferenz UNCTAD sind die mehr als 75.000 länderübergreifend agierenden Konzerne mit ihren über 62 Millionen Mitarbeitern an etwa zwei Dritteln des Welthandels beteiligt. Dabei wickeln die Multis allein rund ein Drittel des gesamten globalen Güterverkehrs konzernintern zwischen Mutter- und Tochterfirmen ab. Die Rolle dieser firmeninternen Geschäfte für den deutschen Außenhandel lässt sich mit den verfügbaren Daten nur aus der Perspektive der USA beleuchten. Der Nachteil ist aber nicht allzu gravierend, da mehr als 30 Prozent des deutschen Direktinvestitionsbestands im Ausland in den USA angelegt sind. Die Bedeutung der daraus hervorgegangenen Unternehmensverbünde für die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen hat in den vergangenen Jahren in deutlich höherem Maße zugenommen als der klassische Handel: Die in den USA erzielten Umsätze von dort ansässigen Töchtern deutscher Unternehmen haben sich von 1977 bis 2004 weit mehr als verzwanzigfacht – die Warenimporte der USA aus Deutschland legten im gleichen Zeitraum dagegen „nur“ um etwa das Zehnfache zu. Die in der obigen Abbildung ausgewiesene Entwicklung von Direktinvestitionen macht aber andererseits auch auf einen weiteren Aspekt der Internationalisierung der Wirt- schaft aufmerksam: Offensichtlich ist dieser Prozess nicht mehr durch eine regionale Fokussierung auf bestimmte Ländermärkte bzw. Regionen begrenzt, sondern zeichnet sich durch eine zunehmende geografische Streuung aus. Diese Entwicklung ist keineswegs selbstverständlich. Im Gegenteil: Lange Zeit waren die aus der Internationalisierung der Wirtschaft resultierenden Pfade grenzüberschrei- tender Wirtschaftsbeziehungen durch eine gänzlich andere Struktur geprägt. Wie die nachfolgende Abbildung zeigt, waren diese Wirtschaftsbeziehungen lange Zeit durch eine bipolare Struktur charakterisiert. Die damit angesprochene Fokussierung des Welt- handels auf zwei von ideologischen Gegensätzen geprägten „Gravitationszentren“ (kurz: westlicher Kapitalismus versus östlicher Sozialismus) hat bis in die jüngste Zeit den Alltag der internationalen Wirtschaftsbeziehungen geprägt. Kapitel 1 å UFU301 9 Abweichend davon war allenfalls noch von einer sogenannten Triadisierung des Welt- handels die Rede, bei der nordamerikanische (USA), europäische und ostasiatische (Japan) Volkswirtschaften als Zentren des Welthandels galten. Diese Struktur hat in den letzten Jahren eine völlige Veränderung erfahren. Tatsächlich präsentieren sich die internationalen Wirtschaftsbeziehungen in einer multipolaren Be- schaffenheit. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass das Feld der wichtigen Akteure im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen eine fundamentale Ände- rung erfahren hat. Während vor nicht allzu langer Zeit das aus grenzüberschreitenden Aktivitäten resultie- rende Profil von Waren- und Finanzströmen durch eine recht eindeutige Kontur gekenn- zeichnet war (z. B. tripolar durch die USA, EU und Japan), ist der Bereich der interna- tionalen Wirtschaftsbeziehungen heute keinesfalls mehr derart eindeutig. Monopolar (bis 1900) Bipolar (bis 1945) Abbildung 4: USA Von der monopolaren zur Europa Rest der Welt Rest der Welt multipolaren Weltwirt- Europa schaft (NEUMAIR/SCHLE- Ost-West-Dualismus (bis ca. 1970) Triadisch-dualistisch (bis 1989) SINGER/H AAS 2012, S. 26) USA UdSSR Satelliten- Nordamerika UdSSR Satelliten- Japan staaten staaten Ostasien (Japan und Tigerstaaten) Westeuropa China China Vereinigtes Europa Entwicklungsländer Entwicklungsländer Westen (blockfrei) Osten Westen (blockfrei) Osten Triadisch-multipolar (seit 1990) Nordamerika Asiatisch-pazifischer Norden Europäische Wirtschaftsraum2) Union Transformations- Russland China länder in OME1) GUS Entwick- Süden lungsländer 1) Ost-Mitteleuropa 2) unter Vormachtstellung Japans Im Gefolge dieser Entwicklungen ist schließlich auch festzustellen, dass sich die im Welthandel vorherrschenden Muster der Waren- und Finanzströme geändert haben. Diese waren früher durch die Form des intersektoralen Außenhandels geprägt, d. h. dem Handel von Waren unterschiedlicher Kategorie (z. B. Export von Umwelttechnologie und Import von Nahrungsmitteln). Mit Blick auf standortbezogene Kostenvorteile und/ oder eine nur lokale Verfügbarkeit bestimmter Handelswaren erscheint die Relevanz dieser Außenhandelsform unmittelbar einsichtig. Zwischenzeitlich wird dieser Typus immer häufiger durch Formen des intrasektoralen Außenhandels ergänzt, d. h. dem Handel von Waren der gleichen Kategorie (z. B. Export und Import von technischen Bauteilen). Diese Entwicklung ist u. a. ein Indiz dafür, dass Unternehmen in Form einer über mehrere Länder hinweg vorgenommenen vertikalen Spezialisierung der Produktion unterschiedliche lokale Faktorausstattungen für einzelne Produktionsschritte nutzen. Der Befund über Veränderungen in der Struktur der weltweiten Waren- und Finanz- ströme lenkt den Blick schließlich auf eine weitere Entwicklung im Kontext der ökono- mischen Globalisierung. Wie aus der nachfolgenden Abbildung ersichtlich wird, sind in Kapitel 1 å UFU301 10 den letzten Jahren auch zunehmend immaterielle Güter, also Dienstleistungen, Gegen- stand grenzüberschreitender Aktivitäten. Die aus dieser Entwicklung zumindest in Teilen ersichtliche sogenannte Tertiarisierung des Welthandels hat in volkswirtschaftlichen Diskursen eine lange Tradition. Die dazu üblicherweise anzutreffenden Befunde hinsichtlich der Entwicklungsperspektiven einer Industriegesellschaft sind in aller Regel von einer eher negativen Konnotation geprägt. Im Kontext grenzüberschreitender Aktivitäten erfährt dieses Bild möglicherweise eine deutliche Relativierung. In diesem Sinne wird bei genauer Betrachtung solcher Dienst- leistungsströme deutlich, dass diese meist in einer Art Produktionsverbund mit materiel- len Güterströmen erfolgen und/oder das Ergebnis einer Art Kuppelproduktion darstellen. Anders formuliert: Erst durch die Arrondierung mit Dienstleitungen erfahren materielle Güter jene Form der Veredelung, die für Außenhandelsaktivitäten erforderlich ist. Abbildung 5: iwd Nr. 35 vom 1. September 2011 iwd Nr. 34 vom 21. August 2008 Dienstleistungen im Technologische Dienstleistungen – Grenzenloser Service Multinationale Unternehmen – Welthandel Deutschlands Außenhandel mit immateriellen Gütern ist in den Rund um den Globus zu Hause vergangenen zehn Jahren schneller gewachsen als der Waren- (iwd 2011, handel. Dazu haben vor allem die sogenannten technologischen Etwa 78.000 Firmen blicken weltweit über den eigenen Tellerrand hinaus. Diese multinationalen Unternehmen sind auf der ganzen www.iwkoeln.de/…/ Dienstleistungen beigetragen. Auf sie entfällt inzwischen fast ein Welt tätig und treiben so die Globalisierung kraftvoll voran. Der Viertel aller Einnahmen aus den Serviceexporten. große Ansturm auf die internationalen Märkte begann allerdings 27208; iwd 2008, erst in den neunziger Jahren. Für Investoren immer attraktiver ge- www.iwkoeln.de/…/ worden ist dabei die Dienstleistungsbranche. Auch in Deutschland zieht dieser Bereich zunehmend Kapital aus vielen Ländern an. 58596) Im Gefolge dieses Bedeutungszuwachses von Dienstleistungen im Welthandel findet sich außerdem auch eine weitere Erklärung für den oben bereits angesprochenen Befund im Bereich der Direktinvestitionen. Deren überdurchschnittliche Wachstumsraten erschei- nen mit Blick auf die Kernmerkmale von Dienstleistungen (insbesondere also den Umstand der Immaterialität) nur logisch und konsequent. Belässt man es bei diesem sicherlich noch sehr komprimierten Abriss dessen, was im modernen Sprachgebrauch als (ökonomische) Globalisierung gilt, so stellt sich die Frage nach den Ursachen und/oder Treibern dieser doch mächtigen Veränderungen im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Die gegenwärtigen Veränderungen im Bereich der internationalen Wirtschaftsbezie- hungen werden von vielen Beobachtern unter dem Schlagwort der Globalisierung kontrovers diskutiert. Obwohl die Reichweite dieses Begriffes eigentlich deutlich größer ausfällt (z. B. in einer politischen oder kulturellen Dimension), sind die damit angesprochenen Veränderungen von teilweise fundamentaler Qualität. Kapitel 1 å UFU301 11 Aus quantitativer Perspektive wird dies an den überdurchschnittlichen Wachstums- raten des Welthandels deutlich. Aus qualitativer Sicht kann diese Entwicklung unter diversen Gesichtspunkten „verfeinert“ werden: So beispielsweise im Bedeutungs- zuwachs von Direktinvestitionen und/oder der wachsenden Relevanz des grenzüber- schreitenden Dienstleistungshandels. Ferner durch die Tatsache, dass das Welthan- delsgeschehen zunehmend durch eine multipolare Struktur gekennzeichnet ist und/ oder intersektorale Formen des Außenhandels zunehmend durch solche mit intra- sektoralem Charakter ergänzt werden. Unterscheiden Sie intersektorale und intrasektorale Formen des Außenhandels und K geben Sie jeweils ein Beispiel. Was ist mit dem Begriff „konzerninterner“ Außenhandel gemeint. Wie ist die Entste- K hung dieser Außenhandelsform zu erklären? Aus steuerlicher Sicht wird das Phänomen des konzerninternen Außenhandels überaus K kritisch betrachtet. Warum? 1.2 Ökonomische Globalisierung – Treiber und Status quo Die wirtschaftliche Globalisierung ist das „Kind vieler Mütter“. Gleichwohl sind die folgenden Aspekte bedeutende Ursachen bzw. Treiber des in den letzten Jahren entstan- denen Profils internationaler Wirtschaftsbeziehungen: Technischer Fortschritt und sinkende Transportkosten Das Erfordernis, geografische Distanzen zu überbrücken, ist sicherlich die unmittelbarste Konsequenz internationaler Wirtschaftsbeziehungen. Wie die nachfolgende Abbildung dazu verdeutlicht, sind die diesbezüglich relevanten Kostenkategorien in den letzten Jahrzehnten massiv gesunken. Bemerkenswert ist, dass diese Tendenz gleichermaßen als Ursache und Wirkung einer Intensivierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen gilt: Einerseits haben gerin- gere Kosten für Transport und Kommunikation solche Aktivitäten mit globalem Zuschnitt erst ermöglicht. Andererseits ist die dadurch erzeugte Nachfrage an logistischen Dienst- leistungen auch ursächlich für die in diesem Bereich etablierten Innovationen (z. B. der Container als Transporthilfsmittel, der von manchen auch als die sogenannte „Globali- sierungskiste“ bezeichnet wird) und Angebotsstrukturen mit insgesamt kostensenkender Wirkung. Kapitel 1 å UFU301 12 Abbildung 6: Entwicklung ausgewählter Transport- und Kommuni- kationskosten (BUSSE, M ATTHIAS 2010, www.bpb.de/…/transport- und -kommunikation) Transformationsprozesse der ehemals sozialistischen Staaten Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts war der politische Alltag von ideologischen Kontroversen im Rahmen des sogenannten „Ost-Westkonfliktes“ geprägt. Aus ökono- mischer Sicht fand dies seinen Ausdruck in einer weitgehenden gegenseitigen Abschot- tung der jeweiligen Machtblöcke. Dieser Zustand hat während der vergangenen zwan- zig Jahre (bis auf wenige Ausnahmen, beispielsweise Nordkorea oder Kuba) durch einen Transformationsprozess der ehemaligen sozialistischen Länder eine fundamentale Veränderung erfahren. Im Mittelpunkt stand dabei u. a. ein Wechsel der ordnungspolitischen Rahmenbedin- gungen in diesen Volkswirtschaften, also die Ablösung eines zentralverwaltungswirt- schaftlichen Systems durch ein an marktwirtschaftlichen Maßstäben orientiertes Sys- tem. Im Rahmen der bis hier vorgenommenen Erörterung der Globalisierung ist dieser Transformationsprozess in zweifacher Weise bemerkenswert: P In einem von zentralverwaltungswirtschaftlichen Maßstäben geprägten Ordnungs- system hatten außenwirtschaftliche Beziehungen aus systemlogischer Sicht eine nachrangige Bedeutung. Sie waren vom Anspruch der Importsubstitution geprägt. Das heißt, dass internationale Wirtschaftsbeziehungen nur in solchen Fällen aufrecht- erhalten wurden, in denen sie sich aufgrund der jeweiligen Ressourcenausstattung als unvermeidlich erwiesen. Die mit dem Transformationsprozess in Richtung markt- wirtschaftlicher Strukturen eingeleiteten Reformen hatten deshalb in vielen dieser Länder zur Folge, dass diese erstmals in umfangreicherem Maße in das Geflecht internationaler Wirtschaftsbeziehungen eingebunden wurden. P In unmittelbarem Zusammenhang mit diesem Befund steht eine zweite, für die Globa- lisierung relevante Besonderheit. Der Transfer eines zentralverwaltungswirtschaft- lichen Systems in ein solches mit marktwirtschaftlichen Elementen erfordert, dass die bislang als kollektives Vermögen erachteten Betriebe privatisiert werden. Die dazu in den jeweiligen Ländern entfalteten Privatisierungsprogramme waren an unterschied- lichste Adressaten gerichtet, u. a. eben auch an ausländische Investoren. Deren Enga- gement im Sinne des Erwerbs von zu privatisierenden Betrieben hat in nicht unerheb- lichem Maße zum oben angesprochenen Anstieg von Direktinvestitionen beigetragen. Kapitel 1 å UFU301 13 Allgemeine Liberalisierung des Außenhandels und Bildung regionaler Wirtschaftsräume Die bislang diagnostizierten Entwicklungen zur Internationalisierung der Wirtschaft sind keineswegs selbstverständlich. Im Gegenteil: Eben dieser Bereich ökonomischer Aktivitäten war lange Zeit durch einen mächtigen staatlichen Protektionismus gekenn- zeichnet, dessen instrumentelle Spannweite die nachfolgende Abbildung wiedergibt. Protektionismus im Außenhandel – Instrumentelle Basis Abbildung 7: Instrumente protektionisti- scher Außenhandelspolitik Importbeschränkungen Exportförderung Subventionierung Dumping tarifäre nicht tarifäre Handelshemmnisse Handelshemmnisse Zölle Verbote / Kontingente / Beschränkungen Abschöpfungen Administrative Handelshemmnisse Protektionismus als dominierendes außenhandelspolitisches Ziel bzw. Leitbild hat unter- schiedlichste Ursachen und Wirkungen. In diesem Sinne ist zunächst festzuhalten, dass diesem Konzept eine Regulierungsphilosophie zugrunde liegt, in deren Mittelpunkt der Schutz der nationalen Industrie steht (z. B. durch Importbeschränkungen) oder die För- derung der nationalen Exportwirtschaft verfolgt wird. Handelshemmnisse Aus historischer Perspektive hat die Relevanz dieser außenhandelspolitischen Option eine überaus bewegte Geschichte. Diese kann in formelhafter Weise folgendermaßen verdichtet werden: Protektionistische Aktivitäten waren immer dann besonders attraktiv, wenn die gesamtwirtschaftliche Situation des jeweiligen Landes durch eine krisenhafte Entwicklung geprägt war. In der Geschichte der internationalen Wirtschaftsbeziehungen hat diese Logik während der „Weltwirtschaftskrise“ ihren ersten Höhepunkt gefunden. Der dadurch ausgelöste exzessive Einsatz protektionistischer Außenhandelsinstrumente hatte beispielsweise zur Folge, dass das weltweite Außenhandelsvolumen im Zeitraum von 1929 bis 1937 nicht nur stagnierte, sondern um 0,4 Prozent pro Jahr gesunken ist. Spätestens zum Ende des Zweiten Weltkrieges setzte sich bei den in diesem Feld einge- bundenen Akteuren aber zunehmend die Einsicht durch, dass solcherart protektionisti- scher Aktionismus allenfalls kurzfristig Vorteile erzeugt. Aus langfristiger Sicht mün- det eine rigorose Durchsetzung dieses außenhandelspolitischen Leitbildes hingegen im Verlust der nationalen Wettbewerbsfähigkeit bzw. in nationalen Wohlfahrtsverlusten. Eine nicht unerhebliche Rolle in diesem „Bewusstseinserhellungsprozess“ spielten jedoch auch außerökonomische Aspekte, deren Ursprung in den politischen und militärischen Geschehnissen des zwanzigsten Jahrhunderts liegt. Diese Aspekte fanden ihren Aus- druck in der Einsicht, dass derartige kriegerische Auseinandersetzungen zukünftig auch dadurch verhindert werden können (müssen), dass die einzelnen Staaten wirtschaftlich eng miteinander verbunden sind. Im Gefolge dieser Entwicklungen war es nur logisch und konsequent, dass einem alter- nativen außenhandelspolitischen Leitbild wieder größere Aufmerksamkeit gewidmet wurde: dem Freihandel. Im Unterschied zum protektionistischen Ansatz hat der Frei- Kapitel 1 å UFU301 14 handel das Ziel, Handelshemmnisse abzubauen und/oder weitgehend auf staatliche Ein- griffe in den Außenhandel zu verzichten. Die auf dieser Grundlage eingeschlagenen Pfade zum Abbau von Handelshemmnissen können u. a. durch zwei Entwicklungen detailliert werden, die wir im Folgenden genauer betrachten werden: – Bildung und Wirken internationaler Organisationen und – Entstehung und Funktionsweise von regionalen volkswirtschaftlichen „Integrations- zonen“. 1.2.1 Freihandelsleitbild: Institutionalisierung durch Organisationen Der im vorigen Abschnitt angedeutete Bewusstseinswandel im Bereich der internatio- nalen Wirtschaftsbeziehungen hat seinen Niederschlag u. a. in der Bildung unterschied- lichster Gremien, Kooperationen und/oder Organisationen gefunden. Deren Wirken war und ist bis heute von der Absicht geprägt, die Effekte und historischen „Altlasten“ pro- tektionistischer und an nationalstaatlichen Interessen orientierter Außenhandelspolitik zu korrigieren. Kommen wir nun zu den Institutionen im Einzelnen. General Agreement on Tariffs and Trade – GATT Aus formaler Sicht gilt diese 1947 mit dem Ziel einer Liberalisierung des Außenhandels ins Leben gerufene Kooperation bis heute als Provisorium. Ursächlich hierfür ist die Tat- sache, dass die Basis dieser Zusammenarbeit „nur“ ein völkerrechtlicher Vertrag bildet, dazu also kein institutionelles Gefüge existiert. Dessen Entstehung ist wiederum auf das damalige Scheitern einer Gründung einer Welthandelsorganisation zurückzuführen. Trotz dieses „Geburtsfehlers“ hat dieses Arrangement im Rahmen diverser sog. GATT- Runden mit teilweise mehrjährigen Verhandlungsepisoden doch beträchtliche Fortschritte bei der weltweiten Etablierung des Freihandelsideals erzielt. Diese manifestieren sich u. a. in den folgenden GATT-Prinzipien, die bis heute als Maßstab bei der Beurteilung außenwirtschaftspolitischer Aktivitäten gelten: P Prinzip der Liberalisierung, also die explizite Orientierung am Leitbild des Freihandels. Im Umkehrschluss hat dies natürlich auch die Ablehnung protektionistischer Maß- nahmen zur Folge. P Prinzip der Meistbegünstigung, d. h. die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, handels- politische Vergünstigungen, die diese einem Mitgliedsstaat oder Drittland gewähren, auch jedem anderen Mitgliedstaat einzuräumen. P Prinzip der Reziprozität, d. h. die Beachtung der Gleichwertigkeit von gegenseitig ein- geräumten handelspolitischen Vergünstigungen. P Prinzip der Nichtdiskriminierung, also das Gebot, ausländische Waren nach ihrer Einfuhr in das Hoheitsgebiet wie inländische Waren zu behandeln (auch als „Prinzip der Gleichbehandlung“ bezeichnet). Mit Blick auf das zu diesen Prinzipien mittlerweile geschaffene Spektrum an Sonder- und/oder Ausnahmeregelungen erfährt die positive Würdigung der GATT-Prinzipien sicherlich gewisse Einschränkungen. Kapitel 1 å UFU301 15 Gleichwohl macht die in der nachfolgenden Abbildung wiedergegebene Entwicklung der durchschnittlichen Zollsätze deutlich, dass mit diesem internationalen Vertragswerk doch erhebliche Beiträge zur Intensivierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen geschaffen wurden. 1947: Gründung GATT – Genf (40 % – 23 Mitglieder) Abbildung 8: GATT-Runden: Stufen Ø Zollniveau in % 1949: GATT-Runde Annecy (30 % – 13 Mitglieder) des Zollabbaus 1950/51: GATT-Runde Torquay (25 % – 38 Mitglieder) 1955/56: GATT-Runde Genf (23 % – 26 Mitglieder) 40 1961/62: GATT-Runde Dillon (15 % – 26 Mitglieder) 30 1964/67: GATT-Runde Kennedy (10 % – 62 Mitglieder) 1973/79: GATT-Runde Tokio (6,4 % – 102 Mitglieder) 20 1986/93: GATT-Runde Uruguay (4,0 % – 123 Mitglieder) Beschluss zur Gründung der WTO 1995: Etablierung der WTO 10 Seit 2001 GATT-Runde Doha (? – 153 Mitglieder) 1947 1950 1960 1970 1980 1990 1994 1995 Welthandelsorganisation (World Trade Organisation – WTO) Mit der Gründung der Welthandelsorganisation im Jahr 1995 hat das GATT-Abkom- men eine Art institutionelle Basis bekommen, deren Wirkungsspektrum aber deutlich weiter ausgelegt ist. Neben der Übernahme der Zielsetzungen des GATT findet deren Tätigkeit Ausdruck in den folgenden multilateralen Abkommen: P TRIPS (Agreement of Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights), in dessen Mittel- punkt die Belange gewerblicher Schutzrechte stehen (beispielsweise Fragen der Pro- dukt- und Markenpiraterie); P (General Agreement on Trade and Services), GATS (G in dessen Mittelpunkt der Transfer der GATT-Regeln auf den Dienstleistungsbereich steht. Auf der Basis dieser drei Säulen (GATT, GATS und TRIPS) findet das Wirken der WTO seinen Ausdruck vor allem in der Funktion einer Schiedsstelle bei Handelsstrei- tigkeiten seiner Mitgliedsstaaten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Oktober 2012) sind 157 Staaten Mitglied der WTO (zuletzt Russland am 22. August 2012), weitere 27 Länder besitzen den „Beobachtersta- tus“ (mit der Folge, dass sie innerhalb von fünf Jahren Beitrittsverhandlungen zu führen haben). Insgesamt repräsentieren diese Länder etwa neunzig Prozent des Welthandels- volumens. Internationaler Währungsfonds (International Monetary Fund) und Weltbank Stabile Wechselkurse sind eine wichtige, aber keineswegs selbstverständliche Rahmen- bedingung im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Im Bewusstsein um diesen Umstand wurde 1944 mit der Gründung des IWF eine Institution geschaffen, die im Bereich der währungspolitischen Zusammenarbeit eine zentrale Stellung einnimmt. Kapitel 1 å UFU301 16 Aus inhaltlicher Sicht finden die damit verbundenen Absichten ihren Ausdruck in den folgenden Aufgaben: 1. Sicherung der Wechselkursstabilität durch das Verbot unkoordinierter einseitiger Abwertungen, 2. Sicherung der Konvertibilität der beteiligten Währungen, 3. Gewährleistung der Freiheit des Zahlungsverkehrs, 4. die finanzielle Unterstützung von Entwicklungsländern und/oder Transformations- staaten und 5. einer kurzfristigen Kreditgewährung für Mitgliedsländer im Falle eines Zahlungs- bilanzdefizites. Unterstützung bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben erfährt der IWF durch die Inter- nationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (International Bank for Reconstruc- tion and Development). Die auch als Weltbank bezeichnete Organisation unterstützt mit langfristigen Krediten ferner auch weniger entwickelte Mitgliedsstaaten. Organization for Economic Cooperation and Development – OECD Ihren Ursprung hat diese Organisation in Programmen zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Der damit einhergehende geografische und inhaltliche Fokus ist zwischenzeitlich jedoch nicht mehr relevant. Die OECD gilt als wichtiges Forum in Fragen der internationalen Wirtschafts- und Währungspolitik, deren Wirken bis jüngst durch die folgenden Kernziele geprägt war: 1. Förderung der ökonomischen Entwicklung seiner Mitglieder, 2. Förderung des wirtschaftlichen Wachstums seiner Mitglieds- als auch der Entwick- lungsländer und 3. Förderung von Maßnahmen zur Fortentwicklung des Welthandels. Anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens dieser Organisation im Jahr 2011 und unter dem Eindruck der zu dieser Zeit eskalierenden weltweiten Finanzkrise hat die OECD diese Ziele bzw. ihr Leitbild deutlich modifiziert bzw. verfeinert. Auf der OECD-Home- page ist dazu Folgendes vermerkt (vgl. www.oecd.org/about/): “As the OECD turns 50, we are focusing on helping governments in our member countries and elsewhere in four main areas: First and foremost, governments need to restore confidence in markets and the institutions and companies that make them function. That will require improved regulation and more effective governance at all levels of political and business life. Secondly, governments must re-establish healthy public finances as a basis for future sustainable economic growth. In parallel, we are looking for ways to foster and support new sources of growth through innova- tion, environmentally friendly ‘green growth’ strategies and the development of emerging econ- omies. Finally, to underpin innovation and growth, we need to ensure that people of all ages can develop the skills to work productively and satisfyingly in the jobs of tomorrow.” Unverändert präsentiert sich hingegen der Arbeitsmodus der OECD: Regelmäßig durch- geführte Konferenzen erfüllen dabei eine wichtige Informations- und Kommunikations- funktion für deren Mitgliedsländer (insgesamt 34, zu denen neben den meisten europäi- schen Staaten auch die USA, Kanada, Japan oder Australien zählen). Als typische Beispiele dieser Tätigkeit gelten beispielsweise die OECD-Musterab- kommen, die sich den Prinzipien und Regeln zur Vermeidung der Doppelbesteuerung widmen. Kapitel 1 å UFU301 17 Internationale nicht staatliche Organisationen und Interessengruppen Der bis hier vorgenommene Abriss von Institutionen, deren Ursprung oder Zielsetzung eine explizit internationale Dimension besitzt, wäre unvollständig ohne einen Hinweis auf die Gruppe der sogenannten „Nicht staatlichen internationalen Organisationen“. Gerade dieser Bereich hat in den letzten Jahren erhebliche Veränderungen erfahren, die in einem engen Zusammenhang mit der oben skizzierten Beschaffenheit der Globalisie- rung stehen. Als quasi prototypischer Vertreter dieser Kategorie gelten zunächst sicherlich internatio- nale Gewerkschaftsverbände. Aktivster und einflussreichster Vertreter dieser Kategorie ist der Internationale Gewerkschaftsbund (International Trade Union Confederation – ITUC) mit Sitz in Brüssel. Dieser Verband vereinigt 175 Millionen gewerkschaftlich organisierte Mitglieder von 309 Gewerkschaften aus 153 Ländern (Stand 2011). Die Motivation, gewerkschaftliche Strukturen auf internationaler Ebene zu etablieren, erscheint angesichts der „ideologischen“ Basis dieser Organisationsform naheliegend und auch unmittelbar einsichtig. Von der gewachsenen Bedeutung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind natürlich auch Arbeitnehmerinteressen unmittelbar betrof- fen. Allerdings ist gerade diese Betroffenheit in vielen Fällen mit eher negativen Asso- ziationen zum Thema Globalisierung verbunden. In diesem Sinne lenkt beispielsweise das sehr populäre Thema der Standortverlagerung und die damit verbundenen Wande- rungsbewegungen von Arbeitsplätzen den Blick auf überaus kontroverse Aspekte grenz- überschreitender Aktivitäten. Somit ist es wohl nicht überraschend, dass internationale Gewerkschaftsorganisationen typischerweise mit dem Schlagwort der „Gegenmacht“ beschrieben werden. Die damit angedeutete Wirkungslogik internationaler Gewerk- schaftsarbeit erscheint aus konzeptioneller Sicht durchaus schlüssig: Sofern lokale Arbeitnehmerinteressen durch grenzüberschreitende Aktivitäten von Unternehmen gefährdet erscheinen, kann diesen durch solidarische gewerkschaftliche Aktivitäten in den jeweils betroffenen Ländern begegnet werden. Soweit die Theorie! Aus praktischer Sicht fallen die Befunde zur Wirksamkeit internati- onaler Gewerkschaftsarbeit eher nüchtern aus. International koordinierte Streiks waren bislang höchst selten, Fortschritte sind allenfalls im Bereich der Mitbestimmung zu beobachten (so wurden durch die „Internationalen Berufssekretariate“ bei manchen multinational agierenden Unternehmen Weltkonzernausschüsse installiert). Das im Zusammenhang mit internationalen gewerkschaftlichen Aktivitäten angespro- chene Unbehagen gegenüber dem Globalisierungsphänomen erfährt seit geraumer Zeit aber auch von einer zweiten Gruppe international agierender Organisationen Beachtung. Für diese internationalen Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental-Organi- zations – NGOs) wurden in den letzten Jahren überproportional hohe Wachstumsraten verzeichnet. Unternimmt man den Versuch, diesen internationalen Organisationstypus in seiner spe- zifischen Beschaffenheit zu beschreiben, stößt man ob der beobachtbaren Spielarten schnell an Grenzen. Ganz grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass NGOs als freiwil- lige, unabhängige und nicht am Gewinn orientierte private Organisationen bestimmte, altruistisch motivierte Sachziele verfolgen. Dabei agieren sie hauptsächlich in weichen Politikfeldern, beispielsweise Ökologie und Umweltschutz, Armutsbekämpfung und Gesundheitsförderung, Menschenrechte, Entwicklungshilfe, Bildung oder Korruptions- bekämpfung. Kapitel 1 å UFU301 18 B Populäre Vertreter dieser Gattung sind z. B. Greenpeace (Themenfeld Umweltschutz), Oxfam (Themenfeld Lebens- und Arbeitsbedingungen), attac (Themenfeld Finanz- marktspekulationen) oder auch Transparency International (Themenfeld: Korruption). Zur Frage nach deren faktischer Relevanz im Feld der internationalen Wirtschaftsbezie- hungen verdienen die folgenden Aspekte ausdrückliche Erwähnung: P Zunächst ist es Tatsache, dass die in diesen Organisationen aufgebaute Expertise von anderen Akteuren große Beachtung gefunden hat. Dies wird z. B. daran deutlich, dass viele NGOs bei der UNO einen konsultativen Status besitzen. P Ferner der Hinweis, dass manche dieser Organisationen mithilfe ihrer netzwerkarti- gen Struktur auch die Fähigkeit entwickelt haben, moralisch bedenkliche Entwick- lungen der Globalisierung bzw. ihrer Akteure wirksam zu inszenieren. B Lehrbuchartigen Charakter hat in diesem Zusammenhang etwa die sogenannte „Brent- Spar-Kampagne“ von Greenpeace. In deren Mittelpunkt stand die von Shell geplante Versenkung der Öllager und Verladeplattform „Brent Spar“ im Nordatlantik. In Ent- sprechung der ideologischen Ausrichtung von Greenpeace wurde von diesen Akteuren die Zulässigkeit einer solchen Verfahrensweise unter Verweis auf diverse Expertisen infrage gestellt. Dieser zunächst recht unspektakulär anmutende Diskurs (lokalisiert bei der britischen Gesellschaft von Shell) erlangte durch eine Besetzung der Plattform in kürzester Zeit eine überaus hohe mediale Aufmerksamkeit. Im Ergebnis führte diese Medienpräsenz zu umfangreichen Boykottaktivitäten der Verbraucher bei Shell-Pro- dukten (vor allem in Dänemark, Deutschland und Niederlande). Letztlich sah sich Shell dadurch veranlasst („gezwungen?“), ihre geplante Strategie zu verwerfen und die Plattform zu Lande zu entsorgen. Aus der Perspektive der internationalen Wirtschaftsbeziehungen macht diese Kampa- gne vor allem zweierlei deutlich: – Einerseits die Tatsache, dass solche Sanktionsmechanismen gegenüber illegiti- mem Unternehmensverhalten offensichtlich eine sehr breite und vor allem interna- tionale Basis haben können. Ort des „Verstoßes“ (Nordatlantik und Shell U.K.) und Ort der Sanktion (Dänemark, Niederlande und Deutschland) weisen nicht unerhebliche geografische Distanzen auf. – Andererseits die Einsicht, dass solche Kampagnen eine durchaus merkwürdige und nur schwerlich steuerbare Eigendynamik besitzen. Im Falle der Brent-Spar- Kampagne kann dieser Befund insbesondere mit dem Hinweis belegt werden, dass die während der Auseinandersetzung von Greenpeace vorgelegten Expertisen nachweislich große Fehler aufgewiesen haben. B Eine zweite, gleichfalls lehrbuchartige Episode in diesem Problemfeld stellt die soge- nannte „Sweatshop-Kampagne“ gegen den US-amerikanischen Sportartikelhersteller Nike dar. Der Begriff „Sweatshop“ steht dabei in durchaus euphemistischer Weise für Produk- tionsstätten in Entwicklungs- und Schwellenländern mit bedenklichen Arbeitsbedin- gungen (beispielsweise Kinderarbeit, hohe Arbeitsbelastungen der Mitarbeiter etc.). Eben diese werden von vielen international tätigen Unternehmen genutzt, um beson- ders arbeitsintensive Elemente ihrer Wertschöpfungsaktivitäten kostengünstig bereit- zustellen. Kapitel 1 å UFU301 19 Im Bewusstsein dieser Tatsache wurde von einem amerikanischen Studenten (JONAH PERETTI) im Jahr 2001 bei Nike eine Bestellung von Laufschuhen mit der Bitte auf- gegeben, diese entsprechend des damals geltenden Angebotes zur Individualisierung der bestellten Produkte mit dem Namen „Sweatshop“ zu bedrucken. Über die sich dar- aufhin zwischen Nike und PERETTI entwickelnde Korrespondenz dürfen Sie sich gerne ein eigenes Urteil bilden (beispielsweise hier nachzulesen: http://shey.net/ niked.html). Entscheidend war jedenfalls, dass deren Verbreitung über das Internet ursächlich für eine der damals mächtigsten Boykottmaßnahmen gegen dieses Unternehmen war. Im Ergebnis sah sich Nike dadurch veranlasst, ganz wesentliche Änderungen in seiner Wertschöpfungsstrategie vorzunehmen. Dies hatte u. a. auch zur Folge, dass auslän- dische Produktionsgesellschaften in der oben skizzierten Beschaffenheit keine Rolle mehr spielen. Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Allgegenwart und Möglichkeiten moderner Informations- und Kommunikationsinstrumente (insbesondere also das Internet) im Dasein und Wirkungsgefüge mancher NGOs eine große Rolle spielen (in manchen Fäl- len wird diesbezüglich gar von einem sogenannten „Cyberwar“ gesprochen). Außerdem geben die mit der „Sweatshop-Kampagne“ verbundenen Ursprünge Anlass, eingefahrene Vorstellungen über die Machtverhältnisse zwischen Unternehmen und bestimmten NGOs zu überdenken. Wie es scheint, hat das hierzu häufig strapazierte Sprachspiel „David gegen Goliath“ doch erheblich an Eindeutigkeit verloren. 1.2.2 Freihandelsleitbild: Regionalisierung durch Integration Die Begriffe der Globalisierung und der Regionalisierung wirken auf den ersten Blick widersprüchlich. Tatsächlich wird bei genauer Betrachtung deutlich, dass es sich hierbei um nicht mehr als eine Variante der Redensart von den zwei Seiten der gleichen Medaille handelt. Der Begriff der Regionalisierung bezieht sich auf die Bildung volkswirtschaftlicher Inte- grationszonen, die z. B. in Form der Europäischen Union Eingang in den Alltag der inter- nationalen Wirtschaftsbeziehungen gefunden haben. Solcherart Regionalisierung ist, wie die nachfolgende Abbildung zeigt, ein keineswegs auf Europa begrenztes Phänomen. Gleichzeitig wird mit dieser Übersicht auch deutlich, dass diese volkswirtschaftlichen Integrationsformen in höchst unterschiedlichen Ausprägungsformen vorliegen können. Abbildung 9: Typologie und Relevanz volkswirtschaftlicher Integrationsformen (HOLT- BRÜGGE/WELGE 2010, S. 8). Kapitel 1 å UFU301 20 Zum Verständnis der Unterschiede der in dieser Übersicht wiedergegebenen Integrati- onstypen ist es nützlich, wenn wir uns die oben angesprochenen Formen protektionisti- scher Außenhandelspolitik nochmals vergegenwärtigen. Ausgangspunkt solcher Inte- grationsbemühungen bildet danach vor allem die Existenz unterschiedlichster Formen von tarifären und nicht tarifären Handelshemmnissen. Vor diesem Hintergrund stellt der Typ der Freihandelszone die erste Stufe einer volks- wirtschaftlichen Integration dar. Dieser ist im Kern durch die Tatsache gekennzeichnet, dass die an der Integrationszone beteiligten Länder gegenseitig ihre nationalen Zölle und/oder mengenmäßigen Handelsbeschränkungen senken bzw. aufheben. Der darauf aufbauende Typus der Zollunion vertieft diese Integration dadurch, dass die beteiligten Staaten dann auch ihre Außenzölle gegenüber Drittländern auf ein gemeinsa- mes Niveau abstimmen. Im Mittelpunkt der Integrationsstufe des Binnenmarktes (Gemeinsamen Marktes) steht schließlich die Beseitigung bzw. Aufhebung der „nicht tarifären“ Handelshemmnisse. Den Maßstab bzw. die Perspektive der hierfür erforderlichen Aktivitäten veranschauli- chen wir im Folgenden in exemplarischer Weise durch das Konzept der vier Freiheiten des EG-Binnenmarktes. Abbildung 10: Vertiefung und Erweite- rung des gemeinsamen europäischen Marktes (in Anlehnung an WELGE/ HOLTBRÜGGE 2010, S. 11). Im Unterschied zu den vorigen Integrationsstufen erweist sich die Realisierung eines solchen gemeinsamen Marktes aus verschiedenen Gründen als ausgesprochen ambitio- niert. Eine ausführliche Erörterung dieser Aspekte würde den Rahmen dieses Studien- briefes sprengen. Gleichwohl sollen die folgenden Hinweise einen Eindruck über die damit einhergehenden Gestaltungserfordernisse schaffen: Kapitel 1 å UFU301 21 Der Anspruch des Abbaus nicht tarifärer Handelshemmnisse mündet im Prinzip auch in der Forderung, eine gemeinsame rechtliche Basis in diesem Wirtschaftsraum zu etablie- ren. Ausgangspunkt bilden dabei die historisch gewachsenen Rechtssysteme der einzel- nen Mitgliedsländer. Deren Angleichung in Form einer Harmonisierung erweist sich aus verständlichen Gründen als keinesfalls trivial. Daher kann es aus pragmatischen Gründen auch genügen, anstelle einer „echten“ Harmonisierung das Prinzip der gegen- seitigen Anerkennung zu verfolgen. Im europäischen Fall war dieser volkswirtschaftliche Integrationsprozess auch immer B von Erweiterungsschritten begleitet, zuletzt im Fall des Beitritts der mittel- und osteuro- päischen Transformationsstaaten im Jahr 2007. Die Möglichkeit solcher simultanen, quantitativen und qualitativen Wachstumsprozesse setzt zweierlei voraus: Erstens die Fähigkeit der neuen Mitglieder, das bislang erzielte Integrationsniveau mitzutragen (sogenannte acquis communautaire). Zweitens die Fähigkeit der Integrationszone, diese neuen Mitglieder angemessen in das institutionelle Gefüge zu integrieren und dabei ihre Handlungsfähigkeit im Sinne der Integrationsziele zu erhalten. Die jüngste Vergangen- heit der EU macht deutlich, dass diese Voraussetzung ohne teilweise größere institutio- nelle Reformen keinesfalls eine Selbstverständlichkeit darstellt. Mit dem Typus Wirtschafts- und Währungsunion wird schließlich Bezug auf eine bis- lang nicht integrationsrelevante Größe genommen: nationale Währungssysteme bzw. die damit in engem Zusammenhang stehenden Wechselkurssysteme. Aufgrund ihrer Auslegung in Form von flexiblen Wechselkurssystemen verkörpern die damit verbun- denen Wechselkursschwankungen eine Barriere im Bereich der internationalen Wirt- schaftsbeziehungen. Ziel dieser Integrationsstufe ist es daher, die Austauschverhältnisse der Währungen der beteiligten Staaten dauerhaft zu fixieren, also ein System fixer Wechselkurse einzuführen. Für die beteiligten Länder der Integrationszone besteht die unmittelbarste Konsequenz dieser Perspektive in der Tatsache, dass sie wesentliche Bereiche ihrer geldpolitischen Autonomie an das entsprechend legitimierte Organ der Integrationszone abzugeben haben. Im Fall der europäischen Union übernimmt der Vertrag von Maastricht diesen Prozess B der Aufgabe nationalstaatlicher Souveränität im Bereich der Geldpolitik. Die dort aus- gewiesenen Konvergenzkriterien bildeten am 1. Januar 1999 die Grundlage zur Bestim- mung der Mitgliedsländer und der diesbezüglich relevanten Wechselkurse einer gemein- samen europäischen Währung. Seit dem 1. Januar 2002 ist der Euro für den Kreis dieser 17 Länder das alleinige gesetzliche Zahlungsmittel. Dieses mittlerweile zehn Jahre alte System ist im Gefolge der Finanzkrise und der wirtschaftlichen Probleme mancher Mit- gliedsstaaten Gegenstand höchst kontroverser Debatten, über deren Ausgang zum Zeit- punkt der Erstellung dieser Unterlagen keine zuverlässige Aussage getroffen werden kann. Den Kulminationspunkt eines volkswirtschaftlichen Integrationsprozesses bildet schließ- lich die politische Union. Mit diesem Schritt erlangt eine solche Integrationszone end- gültig den Status einer supranationalen Institution. Dieser Status gilt in Teilen sicherlich bereits für die bisher geschaffenen Institutionen (z. Β. also Parlament oder Gerichtshof), jedoch nur in eingeschränkter Form, da diese immer noch in Konkurrenz zu nationalen Institutionen stehen. Auf der Basis einer so geschaffenen souveränen Rechtspersönlich- keit kann der Integrationsprozess auch in eher wirtschaftsfernen Bereichen, beispiels- weise der Außen- und Sicherheitspolitik, vorangetrieben werden. Kapitel 1 å UFU301 22 B In der EU wurden die ersten dazu erforderlichen Schritte mit dem Vertrag von Lissabon eingeleitet, der nach einer Ratifizierung durch alle 27 Mitgliedsstaaten am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten ist. Die darin zum Ausdruck gebrachten Bemühungen einer fried- lichen Entwicklung in Europa dürften bei der Entscheidung des Nobelpreiskomitees, der EU den Friedensnobelpreis 2012 zu verleihen, eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Richtet man vor diesem Hintergrund den Blick nochmals auf den oben skizzierten Status quo volkswirtschaftlicher Integrationszonen, so hat die EU in diesem Spektrum zweifel- los das bislang größte Integrationsniveau erreicht. Gleichwohl ist die Integrationspraxis in dieser und den anderen Regionen durch eine große Dynamik gekennzeichnet. Die Nordamerikanische Freihandelszone (North American Free Trade Agreement – NAFTA) bewegt sich hingegen auf einem deutlich niedrigeren Integrationsniveau. Bemerkenswert ist dabei jedoch, dass diese 1994 gegründete Freihandelszone mit ihren Mitgliedsländern Kanada, USA und Mexiko als Beispiel einer Integrationsform zwi- schen modernen Industriestaaten und einem Entwicklungsland gilt. Der 1967 gegründete Verband südostasiatischer Nationen (Association of Southeast Asian Nations – ASEAN) weist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zehn Mitgliedsstaaten auf (Vietnam, Thailand, Singapur, Philippinen, Myanmar, Malaysia, Laos, Indonesien, Kambodscha, Brunei). Nach einer längeren Phase der Stagnation der Integrationsbemü- hungen erfolgte 2009 der Beschluss, das Integrationsniveau des Binnenmarktes nach europäischem Vorbild anzustreben. Ergänzend zu dieser Entscheidung hat diese Inte- grationszone in den letzten Jahren durch verschiedene Verträge mit China auch eine beachtliche Erweiterung erfahren (ASEAN-China-Freihandelsabkommen, das zum 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist). Aktueller Kulminationspunkt dieser synchronen Vertiefungs- und Erweiterungsprozesse ist die 2012 eröffnete Diskussion um eine ver- größerte asiatische Freihandelszone (Regional Comprehensive Economic Partnership – RCEP). Der Kreis der zehn ASEAN-Staaten würde dadurch um Indien, China, Süd- korea, Japan, Australien und Neuseeland ergänzt. Der Gemeinsame Markt Südamerikas (Mercado Común en el América de Sur – MER- COSUR) zeichnet sich trotz intensiver Integrationsabsichten seiner Mitgliedsländer (Argentinien, Venezuela, Brasilien, Paraguay, Uruguay und als assoziierte Mitglieder Chile, Peru, Kolumbien und Ecuador) durch eine sehr wechselhafte und insgesamt eher geringe Integrationspraxis aus. Verantwortlich hierfür ist eine Vielzahl politischer und ideologischer Konflikte. Gleichwohl wird dieser Region in einer Prognose der Welt- bank größtes Integrationspotenzial zugesprochen. Der aktuelle Status quo der ökonomischen Dimension der Globalisierung kann durch eine Vielzahl von Entwicklungen erklärt werden, beispielsweise durch das sinkende Niveau der Kommunikations- und Transportkosten, durch die Transforma- tionsprozesse in den ehemaligen Zentralverwaltungswirtschaften und durch allge- meine außenhandelspolitische Liberalisierungsaktivitäten. Letztgenanntes hat als Freihandelspostulat eine besonders große Bedeutung erlangt und findet seinen Aus- druck vor allem in zwei Kategorien: – der Etablierung internationaler Institutionen bzw. Organisationen, die sich diesem außenhandelspolitischen Grundsatz und seiner weltweiten Realisierung verpflich- tet haben; Kapitel 1 å UFU301 23 – in der Entstehung volkswirtschaftlicher Integrationszonen, in denen diese Frei- handelsphilosophie in regionaler Form ihre Verwirklichung findet. Inwiefern unterscheiden sich die volkswirtschaftlichen Integrationskonzepte „Freihan- K delszone“ und „Zollunion“? Viele der „neuen“ international agierenden NGOs widmen sich speziellen Themen aus K dem Bereich der Globalisierung. Warum? 1.3 Befunde und Entwicklungsperspektiven der internationalen Wirtschaftsbeziehungen Die Welt der internationalen Wirtschaftsbeziehungen im 21. Jahrhundert ist polyzentrisch. Ergänzend zu den bisherigen Ausführungen kann der eingangs dieses Einführungskapi- tels ausgewiesene Befund in anschaulicher Form durch die Karriere der BRICS-Staaten veranschaulicht werden. Hinter diesem Akronym verbergen sich fünf Regionen bzw. Ländermärkte, die das aktuelle weltweite wirtschaftliche Geschehen zunehmend prägen und zukünftig womöglich gar dominieren werden: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Erstmalige Erwähnung fand dieser Begriff in einem Bericht der Investmentbank Gold- man Sachs mit dem Titel „Dreaming with BRICs the path to 2050“ im Jahr 2003 (Süd- afrika war damals noch nicht Bestandteil dieser Debatte, die Erweiterung von BRIC auf BRICS wurde erst 2011 vollzogen). Darin wird u. a. ausgeführt, dass die vier BRIC- Staaten bis zum Jahre 2050 die westlichen Industrienationen der G7 in puncto Wirt- schaftskraft überholt haben werden. Dementsprechend würden sich in einer Zeitspanne von fünfzig Jahren die internationalen Finanzbeziehungen und Investitionsflüsse in Richtung dieser aufstrebenden Schwellenländer verschieben. Der damit in grundsätzlicher Form angedeutete Bedeutungszuwachs von ehemaligen Schwellenländern im Feld der internationalen Wirtschaftsbeziehungen hat zur Konse- quenz, dass das BRIC-Konzept mittlerweile in unterschiedlichsten Varianten erörtert wird: – als BRICET, also BRIC zuzüglich Ostmitteleuropa und der Türkei, – BRICM zusätzlich mit Mexiko oder – BRICK zusätzlich mit Südkorea. In anderen Fällen ist gar die Rede von den „Next Eleven“ (N-11), hinter dem der Boom einer Reihe weiterer Schwellenländer steht, wie Ägypten, Bangladesch, Indonesien, Iran, Mexiko, Nigeria, Pakistan, Philippinen, Türkei, Südkorea und Vietnam. Jüngstes Produkt dieser Sprachspiele ist das wiederum von Goldman Sachs entwickelte Konzept der „MIST“-Länder: Mexiko, Indonesien, Südkorea und Türkei. Zu den Ursachen dieser Entwicklung gibt es sicherlich eine Vielzahl von Erklärungen. Ferner ist festzuhalten, dass diese Ländermärkte keineswegs eine homogene Beschaf- fenheit aufweisen. Gleichwohl ist die einschlägige Diskussion von folgenden Aspekten geprägt: Kapitel 1 å UFU301 24 P Als Schwellenländer (oder auch „Emerging Markets“) haben diese Staaten die typi- schen Strukturmängel von Entwicklungsländern überwunden und sind im Begriff zum Industriestaat zu „reifen“. Zentraler Indikator dieser Entwicklung ist der Bedeu- tungszuwachs des industriellen Wirtschaftssektors bzw. der relative Bedeutungsver- lust des landwirtschaftlichen Sektors. P Teil dieser Entwicklung sind auch überdurchschnittliche Wachstumsraten beim Brutto- inlandsprodukt (beispielsweise im Zeitraum von 2000 bis 2010 zwischen 3,6 Prozent p. a. in Brasilien und 10,5 Prozent in China, in der EU hingegen nur 2 Prozent). P Diese Wachstumsraten werden des Weiteren von einer zunehmenden positiven Inte- gration ihrer Wertschöpfung in die internationale Arbeitsteilung begleitet. Deren Ursachen sind zweifellos unterschiedlich: So gilt beispielsweise Russland aufgrund seiner fossilen Ressourcen als „Zapfsäule“, Brasilien aufgrund seiner Ausstattung mit Rohstoffvorräten als „Rohstofflager“, China aufgrund seiner Produktionsstruktu- ren und des Lohnniveaus als „Werkbank“ und Indien aufgrund seiner Humankapital- ressourcen als „Denkfabrik“ der Welt. P Die Stellung dieser Länder als Lieferant von „günstigen“ Rohstoffen und Arbeits- kräften im Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen wird aber zunehmend auch um eine absatzwirtschaftliche Bedeutung ergänzt. Immer größere Teile der in diesen Ländern lebenden Bevölkerung, also drei Milliarden Menschen und damit ins- gesamt vierzig Prozent der Weltbevölkerung, erweisen sich als beachtenswerte, weil mit Kaufkraft versehene potenzielle Nachfrager von Konsum- und Investitionsgütern. Zur Veranschaulichung dieser Perspektive verweist Goldman Sachs in einer Fort- schreibung der BRIC-Studie aus dem Jahr 2006 auf das Konzept des höheren mittle- ren Einkommens, also eines Einkommens, das einen gewissen Konsum über den unmittelbaren Selbsterhalt hinaus ermöglicht. Die Weltbank hat dieses Einkommen mit einer Höhe von 3 000 US-Dollar pro Jahr definiert. Eben diese Zahl der Personen mit einem Einkommen von mehr als 3 000 US-Dollar könnte sich nach Goldman Sachs in den nächsten fünf Jahren nahezu verdoppeln und in einem Zeitraum von zehn Jahren nahezu vervierfachen. Die konkreten Konsequenzen dieser Perspektive vermittelt die nachfolgende Abbil- dung. Wie daraus ersichtlich wird, weisen die BRIC-Staaten im Bereich der kauf- kräftigen Mittelschicht überexponentielle Wachstumsraten auf. Während für das Jahr 2005 die Zahl der Personen mit einem Einkommen von mehr als 3 000 US-Dollar in den BRIC-Staaten „nur“ bei etwa 250 Millionen Menschen liegt, könnte diese Zahl in zehn Jahren bei circa einer Milliarde Menschen, in etwa zwanzig Jahren bei annä- hernd zwei Milliarden Menschen liegen. Abbildung 11: BRIC-Staaten: Mittelschicht und Kaufkraftentwicklung Russland Brasilien (Goldman Sachs 2006, www.hansika- gmbh.de/…/Kompass- BRICs.pdf, S. 11) China Indien Kapitel 1 å UFU301 25 Schaut man in diesem Zusammenhang auf die Stellung Deutschlands im Gefüge der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, so zeigt sich, dass die polyzentrischen Pers- pektiven des Welthandels bereits erste und teilweise tiefgreifende Spuren hinterlassen haben. Deutlich wird dies bereits daran, dass der Titel des Exportweltmeisters über Jahre hin- weg fest in deutscher Hand war. Seit 2010 ist diese Gewissheit Geschichte, wurde Deutschland in diesem Jahr erstmals von China entthront. Nun mag es durchaus strittig sein, inwieweit dieser „Titel“ unter ökonomischen Gesichts- punkten erstrebenswert erscheint. Für die hier verfolgten Belange scheint dies zumin- dest ein ausreichendes Indiz dafür zu sein, dass Deutschlands Einbettung im Feld der internationalen Wirtschaftsbeziehungen von einem gewissen Strukturbruch geprägt ist. Symptomatisch für diese Einschätzung mag auch das folgende Statement aus dem AHK-Weltkonjunkturbericht für das Jahr 2012 sein. Dort heißt es u. a. (vgl. DIHK 2012, S. 6.): „Das Exportwachstum Deutschlands beträgt in diesem Jahr vier Prozent. Neben dem derzeit günstigen Euro-Außenwert kommt dem deutschen Handel zugute, dass die Unternehmen sehr stark auf den Wachstumsmärkten der Welt engagiert sind. Der Warenaustausch mit den „Emer- ging Markets“ gewinnt weiter an Gewicht. Lag der Anteil an den deutschen Exporten z. B. der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) im Jahr 2000 noch bei 4,5 Pro- zent, so wird er im nächsten Jahr bereits rund 15 Prozent betragen. Das Exportwachstum wird freilich gebremst durch die schwache europäische Konjunktur. Insgesamt hält die deutsche Wirtschaft im Jahr 2012 aber ihren Anteil am globalen Warenaustausch von 8,1 Prozent. Im nächsten Jahr wird Deutschland seine Position sogar ausbauen: Der DIHK rechnet damit, dass die deutschen Exporte, insbesondere infolge der Belebung der europäischen Wirtschaft, mit sechs Prozent wachsen wird. Damit wird Deutschland 2013 den USA den Vize-Exportweltmeis- tertitel wieder abjagen. China bleibt indes unangefochten die Nummer Eins.“ Die internationalen Wirtschaftsbeziehungen der Gegenwart und der Zukunft sind von polyzentrischer Qualität. In diesem Sinne ist zu beobachten, dass die ehemals bi- oder tripolare Struktur des Welthandels an Eindeutigkeit verliert. Eine große Rolle wird in diesem Zusammenhang den Schwellenländern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika zugesprochen. In diesen Ländern hat sich in den letzten Jahren eine durchaus kaufkräftige Mittelschicht herausgebildet (oder bildet sich in naher Zukunft). Die damit verbundenen Marktpotenziale finden schon jetzt ihren Ausdruck in handelsschöpfenden oder umlenkenden Effekten des Welthandels in diese Länder. Inwiefern bzw. durch welche Merkmale unterscheiden sich Schwellenländer von Ent- K wicklungsländern und oder Industriestaaten? Erläutern Sie drei typische Aufgaben des IWF. K Kapitel 1 å UFU301 26 2 Unternehmen und Unternehmensführung im Globalisierungskontext 2.1 Internationale Unternehmen – Grundsätzliches zum Begriffsverständnis Die bis hier skizzierten Entwicklungen im Bereich der Globalisierung sind weitgehend undenkbar ohne das dazu entfaltete Engagement von Unternehmen. Angesichts dieser Kopplung ist es nicht überraschend, dass dem Typus „Internationales Unternehmen“ seit Längerem große Aufmerksamkeit gewidmet wird. Im Mittelpunkt dieser Auseinan- dersetzung steht bis heute u. a. die Frage, unter welchen genauen Voraussetzungen Unternehmen als international gelten können. Ursächlich hierfür mag u. a. die Tatsache sein, dass die praktischen Ausprägungsformen der Internationalisierung ganz erheblich variieren. Deren Spannweite reicht von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), die nur sporadisch Produkte auf ausländi- schen Märkten vertreiben bis zur wohlbekannten Gruppe der Global Player. Manche Vertreter der letztgenannten Kategorie haben zwischenzeitlich ein solches Niveau an Internationalisierungsaktivitäten entwickelt, dass es eher schwer fällt, ihnen noch eine eindeutige lokale (also auch nationale) Basis zuzuordnen. Vervollständigt wird dieses Spektrum gerade in jüngster Zeit mit Unternehmen, die aufgrund ihrer „virtuellen“ Prä- senz (die Stichworte Internet und E-Commerce mögen hier genügen) ebenfalls im Ver- dacht stehen, international zu agieren. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass die definitorische Spannweite der mit dem Internationalisierungsbegriff verbundenen Vorstellungen höchst unter- schiedlich ausfällt: – Sie reicht von einzelnen Formen des Markteintritts (Export, Lizenzvergabe oder Direktinvestitionen im Ausland) – über spezifische Aktivitäten einzelner Unternehmensbereiche (z. B. in Form des internationalen Marketings) – bis zur Gleichsetzung von Internationalisierung mit grenzüberschreitenden betrieb- lichen Aktivitäten jeglicher Form. Selbst im letztgenannten Fall, der sich durch eine sehr weitreichende Interpretation des Konstrukts der Internationalisierung auszeichnet, sind die dazu vorgenommenen Detail- lierungen noch recht heterogen: Manche fokussieren dabei auf die Aufnahme von Außenhandelsaktivitäten, andere wiederum auf die Zunahme grenzüberschreitender Aktivitäten und wiederum andere stellen gar die Frage in den Mittelpunkt, ob es sich hierbei um passive (d. h. durch unerreichte Unternehmensziele erzwungene Internatio- nalisierung) oder aktive (d. h. zur Erreichung höherer Zielniveaus forcierte Internationa- lisierung) Formen des Auslandsengagements handelt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Notwendigkeit einer terminologisch und konzeptionell sauberen Fassung dessen, was als Internationalität des Unternehmens zu gelten hat, ist kein bloßes akademisches Ritual. Im Gegenteil: Die Beantwortung wich- tiger Fragen der Unternehmenspraxis (beispielsweise zum Zusammenhang zwischen Internationalität und Unternehmenserfolg) ist nur dann möglich, wenn die unter dem Begriff der Internationalität gefassten Sachverhalte präzise und/oder objektiv beschrie- ben werden können. Kapitel 2 å UFU301 27 Solche Definitionsbemühungen erscheinen außerdem auch deshalb wünschenswert, weil im alltäglichen Sprachgebrauch eine Vielzahl konzeptionell ähnlicher Begriffe kursiert. In diesem Sinne ist z. B. auch häufig die Rede von „globalen“, „multinationalen“ oder „transnationalen Unternehmen“. Die damit möglicherweise erzeugte Konfusion muss geklärt werden. Ganz grundsätzlich können im Rahmen einer Präzisierung der Merkmale Internationa- ler Unternehmen zwei Zugänge unterschieden werden: – solche, die Internationalität an quantitativen Kriterien bemessen und – solche, die Internationalität unter Bezugnahme auf qualitative Kriterien beschreiben. Quantitative Kriterien zur Beschreibung internationaler Unternehmen Die wohl unmittelbarste Folge der Internationalisierung besteht in der Trennung zwi- schen In- und Ausland bzw. in- und ausländischen Aktivitäten. Die Quantifizierung der aus dieser Unterscheidung resultierenden Verteilung steht im Mittelpunkt dieses Kon- zeptes zur Beschreibung der Internationalität von Unternehmen. Als typische Kennzahlen gelten dabei beispielsweise: P Absolute Bestandgrößen, d. h. das Niveau der Internationalität zu einem bestimmten Zeitpunkt, z. B. gemessen an der Anzahl ausländischer Betriebsstätten, Zahl der aus- ländischen Mitarbeiter etc. P Absolute Bewegungsgrößen, d. h. das Niveau der Internationalität während eines bestimmten Zeitraums, z. B. gemessen an dem im Ausland erwirtschafteten Gewinn. P Relative Bestandsgrößen und/oder Bewegungsgrößen, üblicherweise als Auslands- quoten. Unterschieden wird dabei zwischen den FDO-Ratios (Foreign to Domestic Operations Ratios – Beziehung der Auslandszahlen zu den Inlandszahlen) und den FTO-Rations (Foreign to Total Operations Ratios – Beziehung der Auslandszahlen zu den Gesamtzahlen). Abbildung 12: Auslandsquoten und Inter- nationalisierungsprofile (KUTSCHKER/S CHMID 2011, S. 265 und S. 267). Quellen: Daten von http://www.handelsblatt.com/firmencheck und Geschäftsberichte der Unternehmungen (Stand April 2010) sowie eigene Berechnungen Wie aus dieser Abbildung deutlich wird, können solche Kennzahlen und Auslandsquo- ten unterschiedlichste Verwendungen finden. Zum einen im Rahmen vergleichender Betrachtungen. Zum anderen zur Erstellung von Internationalisierungsprofilen, die durch die Verwendung mehrerer Quoten konturiert werden. Kapitel 2 å UFU301 28 Eine weitere populäre Variante der Verdichtung quantitativer Internationalisierungskrite- rien verkörpert der von der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Deve- lopment) entwickelte Transnationality-Index (Transnationalisierungsindex, TNI). Bei diesem werden mehrere Auslandquoten zusammengefasst und im Ergebnis auf drei Kernquoten verdichtet: – ausländischer Anteil an den Vermögenswerten, – ausländischer Anteil am Umsatz sowie – ausländischer Anteil an der Beschäftigung. Der jeweilige TNI-Wert eines Unternehmens wird durch eine Addition dieser drei Werte und anschließender Mittelwertbildung ermittelt. Je größer dieser Wert ist, umso stärker ist dessen internationales Engagement. Abbildung 13: Profil und „TNI-Werte“ der 2008: TNI-Wert 52,2 weltgrößten Unternehmen (United Nations Confe- rence on Trade and Deve- lopment (UNCTAD) 2010, 2008: TNI-Wert 73,0 www.bpb.de/…/ die-groessten-tnu) 2008: TNI-Wert 88,6 2008: TNI-Wert 81,0 2008: TNI-Wert 52,9 Solche und ähnliche Quantifizierungen der Internationalität von Unternehmen vermit- teln sicherlich einen ersten Eindruck zur Relevanz des grenzüberschreitenden Engage- ments dieser Unternehmen. Gleichwohl sind solche Beschreibungen auch immer wieder Gegenstand kritischer Debatten, in deren Mittelpunkt Mängel bei der Wahl der Kriterien (Objektivität) oder deren Messung (Validität und Reliabilität) stehen. Diese münden meist im Verweis auf die Möglichkeiten einer zumindest ergänzenden qualitativen Beschreibung dieses Phänomens. Qualitati

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