Zusammenfassung Rechtsphilosophie WiSe 2024/25 PDF
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This document is a summary of lecture notes on legal philosophy, specifically covering definitions, theories, and discussions of notable legal philosophers from the Winter Semester of 2024/25.
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WiSe 2024/25 Rechtsphilosophie LMU Rechtsphilosophie I. Der Begri* des Rechts 1. Definitionsversuche Allgemeine Merkmale: Gerechtigkeit Zwang, Sanktionierbarkeit, Durchsetzbarkeit...
WiSe 2024/25 Rechtsphilosophie LMU Rechtsphilosophie I. Der Begri* des Rechts 1. Definitionsversuche Allgemeine Merkmale: Gerechtigkeit Zwang, Sanktionierbarkeit, Durchsetzbarkeit Anwendungsgleichheit und Gleichberechtigung Anpassbarkeit an verändernde Umstände Vorhandensein rechtlicher Instanzen Legitimationsgrundlage Definitionen prominenter Rechtsphilosophen: John Austin (1790 – 1859) Befehlstheorie „Jedes Gesetz oder jede Rechtsregel ist ein Befehl.“ aber: dispositives Recht Legaldefinitionen (unselbstständige Bestandteile von Befehlen) Grundrechte Zivilrecht (z.B. Erweiterung des Freiheitsraums) Oliver Wendell Holmes (1841 – 1935) Schurkenperspektive Die Voraussage, was die Gerichte tatsächlich tun werden, […] ist das, was ich unter „Recht“ verstehe. aber: Vernachlässigung der Richter à fehlende Entscheidungsgrundlage Hans Kelsen (1881 – 1973) Sanktionstheorie Recht ist eine normative Ordnung, die menschliches Verhalten im Fall eines rechtswidrigen Verhaltens, des ‚Unrechts‘ mit Sanktionen belegt. Recht ist eine normative Zwangsordnung. aber: Recht gewährt auch Ansprüche und Erlaubnisse Max Weber (1864 – 1920) Zwangstheorie Recht benötigt einen Personenstab, deren Aufgabe darin besteht, die Einhaltung von Rechtsnormen zu erzwingen bzw. die Verletzung von Rechtsnormen zu sanktionieren. Es ist nur dann Recht, wenn dieser Personenstab seiner Aufgabe auch nachkommt. aber: zutre[end auf Strafrecht und Gefahrenabwehrrechts Unvereinbarkeit mit Ansprüchen, Grundrechten, Erlaubnissen & Ermächtigungen Ernst Rudolf Bierling (1848 – 1919) Anerkennungstheorie „Recht ist […] alles, was Menschen, die in irgendwelcher Gesellschaft miteinander leben, als Norm und Regel dieses Zusammenlebens wechselseitig anerkennen.“ aber: z.B. Tötungsverbot gilt auch in Kannibalengesellschaft ó moralisch falsch Immanuel Kant (1724 – 1804) Freiheitstheorie „Recht ist der InbegriT der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ Gustav Radbruch (1878 – 1949) Gerechtigkeitstheorie „Recht ist die Wirklichkeit, die den Sinn hat, dem Rechtswerte, der Rechtsidee zu dienen.“ Die Idee des Rechts kann nun keine andere Sein als die Gerechtigkeit.“ Robert Alexy (1945) Verbindungstheorie „Recht ist ein Normensystem, das (1) einen Anspruch auf Richtigkeit erhebt (2) aus der Gesamtheit der Normen besteht, die zu einer […] sozial wirksamen Verfassung gehören und nicht extrem ungerecht sind, sowie […] ein Minimum an sozialer Wirksamkeit oder Wirksamkeitschance aufweisen und nicht extrem ungerecht sind.“ 2. Moralneutraler vs. moralbezogener Rechtsbegri: Zu unterscheiden: Bezugnahme auf wertende / moralische Maßstäbe (Kant, Radbruch, Alexy) [moralbezogen] vs. Verzicht auf diese (Austin, Holmes, Kelsen, Bierling, Weber) [moralneutral] 2.1 Der moralneutrale Rechtsbegri6 Kriterien: korrekte Setzung der Normen in einem bestimmten Verfahren durch eine dazu autorisierte Instanz soziale Wirksamkeit, z.B. aufgrund der Anerkennung durch die Bevölkerung bzw. der zwangsweisen Durchsetzung durch die dafür zuständigen Stellen à Verzicht auf wertenden Maßstab, keine Bedeutung von inhaltlicher / moralischer Richtigkeit Hans Kelsen: „Jeder beliebige Inhalt kann Recht sein. […] Als Rechtnorm gilt eine Norm stets nur darum, weil sie auf eine ganz bestimmte Weise zustande gekommen, nach einer spezifischen Methode gesetzt wurde.“ è Rechtspositivistischer RechtsbegriP = empirisch feststellbare Fakten wie Setzung durch eine Autorität und soziale Wirksamkeit 2.2 Der moralbezogene Rechtsbegri6 Eine Norm / Regel / Vorschrift soll nur dann geltendes Recht sein können, wenn sie auch wertende Voraussetzungen erfüllt, also ein moralisches Minimum wahrt. 2.2.1 Die Radbruch-Formel Gustav Radbruch (1878 – 1949) – „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ Komponenten der Radbruch-Formel: Unerträglichkeitsthese: unerträglich ungerechte Gesetzesvorschrift verliert als gesetzliches Unrecht ihre Rechtsgeltung, wird also nicht mehr angewendet Verleugnungsthese: Gesetzesvorschrift, die von vornherein nicht auf die Idee des Rechts, die Gerechtigkeit bezogen ist, ist schlicht Nicht-Recht Verträglichkeit der beiden Komponenten zueinander ist nach wie vor nicht vollständig geklärt Unerträglichkeitsthese als entscheidendes Grundprinzip Verleugnungsthese als unselbstständige Konkretisierung des Grundprinzips aber: Unterscheidung zwischen drei Arten unrichtiger Normen 1) Normen, die zwar ungerecht sind, aber weiter rechtlich gelten, weil die Ungerechtigkeit nicht unerträglich ist (z.B. Steuergesetze, die Wohlhabende zu sehr begünstigen) 2) Normen, die unerträglich ungerecht sind, und deshalb ihre Rechtsgeltung verlieren, ihren Rechtscharakter aber behalten, da sie vorgeben, gerecht zu sein (z.B. Gesetze, die die Sklaverei erlauben und dies mit Wesensunterschieden rechtfertigen) 3) Normen, die nicht einmal vorgeben, gerecht zu sein, und deshalb keinen Rechtscharakter besitzen (z.B. NS-Blutschutzgesetz) è Verlust von Rechtsgeltung und Rechtscharakter à keinerlei rechtliche Bedeutung mehr à untermauert Argument der Unerträglichkeitsthese als entscheidendes Grundprinzip 2.2.2 Das Zwei-Ebenen-Modell des klassischen Naturrechts Naturrecht nimmt Bezug auf einen Maßstab übergeordneter Richtigkeit bzw. Gerechtigkeit. Ursprung: antike und mittelalterliche Rechtsphilosophie weit verbreitete Au[assung einer objektiv vorgegebenen Ordnung menschlichen Zusammenlebens Grundlage in der „Natur“ des Menschen bzw. den „natürlichen“ Lebensverhältnissen Zwei-Ebenen-Modell des Rechts (Aristoteles, Kant) Naturrecht: Rechtsnormen, die bereits unabhängig und vor aller menschlichen Setzung oder Übereinkunft gelten positives Recht: Normen, die erst durch Setzung oder Übereinkunft ihre rechtliche Gültigkeit erhalten Naturrechtslehren – Übersicht: klassische moderne Naturrechtslehren Rechtspositivismus Naturrechtslehren Korrekte Setzung bzw. soziale Korrekte Setzung bzw. soziale Korrekte Setzung bzw. soziale Wirksamkeit keine Wirksamkeit notwendige Wirksamkeit notwendige notwendige Bedingungen Bedingungen der Bedingungen der der Rechtsgeltung Rechtsgeltung Rechtsgeltung auch keine hinreichenden aber keine hinreichenden aber auch hinreichende Bedingungen Bedingungen Bedingungen Vorschriften, die gegen das Vorschriften, die gegen die Vorschriften, die gegen die Naturrecht (eklatant) Gerechtigkeit (eklatant) Gerechtigkeit (eklatant) verstoßen, können kein verstoßen, können kein verstoßen, stellen Recht dar, geltendes Recht sein geltendes Recht sein wenn sie nur korrekt gesetzt bzw. sozial wirksam sind. Menschenrechte – Naturrecht? in verschiedenen Regelungswerken kodifiziert, z.B. UN-Menschenrechtscharta, Europäische Menschenrechtskonvention jedoch: lediglich Bekräftigung dessen, was ohnehin schon und ganz unabhängig geltendes Recht ist, nämlich, dass jeder Mensch von Geburt an bestimmte unverlierbare Rechte besitzt è deklaratorische (= klarstellende), keine konstitutive (= rechtserzeugende) Funktion 2.2.3 Die Quelle des Gerechtigkeitsmaßstabs Der objektive, d.h. für alle Menschen verbindliche Gerechtigkeitsmaßstab ergibt sich aus: biologische oder soziale Natur des Menschen bzw. den natürlichen Lebensverhältnissen (anthropologisches Naturrecht) o Aristoteles – Mensch als zoon politikon § soziale Natur des Menschen, im Staat zusammenzuleben § ermöglicht dem Menschen erst das gute, d.h. seinem Wesen entsprechende Leben § Staat zählt zu Dingen, die von Natur sind § teleologischer NaturbegriP: Natur eines Dings = Endzustand, auf den hin das Ding sich entwickelt à Staat bildet Form der Gemeinschaft, zu der hin sich menschliches Zusammenleben notwendig entwickelt, da nur er dem Menschen das gute Leben ermöglicht, das jeder Mensch als oberstes Ziel anstrebt § Kritik: - willkürliche Festlegung des Endzustandes: Wann ist die Entwicklung abgeschlossen? - heutige Ansicht: Natur ereignet sich nach Naturgesetzen, strebt aber keine Ziele an - Vermenschlichung der Natur o Pufendorf – Grundregel des Naturrechts, 1693 § Gebot des Naturrechts ist alles, was für das Leben in Gemeinschaft notwendig und nützlich ist; was stört und schadet, ist verboten göttlicher Wille bzw. göttliche Schöpfungsordnung (religiöses Naturrecht) o Cicero – De re publica § wahres Gesetz, das mit Natur im Einklang steht, ewig gültig § alle Völker wird zu allen Zeiten ein einziges, ewiges, unveränderliches Gesetz zusammenhalten § gemeinsamer Lehrer und Gebieter aller: Gott o John Locke § vorstaatlicher Naturzustand, in dem Naturzustandsbewohner bereits vor aller staatlicher Ordnung natürliche Rechte besitzen, die jeweils andere zu achten und zu respektieren haben § alle Menschen als Werk eines allmächtigen und unendlich weisen Schöpfers o Kritik: § Gibt es Gott überhaupt? § Selbst wenn es Gott gibt, was erwartet er von uns? Gibt es tatsächliche Anweisungen? § Können wir uns auf Interpreten des göttlichen Willens verlassen? § Wirksam in Gemeinschaften mit einheitlichen Religionsvorstellungen, jedoch keine Funktion in pluralistischen Gemeinschaften Vernunft (rationales Naturrecht / Vernunftrecht) o Immanuel Kant – Vernunftrecht § Gebrauch von Vernunft à Erkenntnis des Gerechten und Ungerechten § Unbestreitbarkeit einfacher Wahrheiten o Kritik: § Logik alleine verhilft nicht zur Erkenntnis von falsch und richtig § Beeinflussung der persönlichen Vernunft, z.B. durch Erziehung è idealtypisch unterschiedene Begründungsansätze werden oftmals in Kombination vertreten 3. Argumente für einen moralbezogenen Rechtsbegri: 3.1 Das Unrechtsargument Ein Rechtsbegri[, der auf einen Maßstab der Gerechtigkeit Bezug nimmt, kann besser mit dem Problem des staatlichen Unrechts umgehen, z.B. Mauerschützen / NS-Staat 3.1.1 Die Wehrlosigkeitsthese Begründer: Gustav Radbruch, 1946, Rechtspositivismus als historische Erklärungshypothese des NS-Unrechts „Der Positivismus hat in der Tat mit seiner Überzeugung ‚Gesetz ist Gesetz‘ den deutschen Juristenstand wehrlos gemacht gegen Gesetze willkürlichen und verbrecherischen Inhalts.“ Behauptung der ausnahmslosen Befolgungswürdigkeit einer jeden korrekt zustande gekommenen Rechtsvorschrift durch den Standpunkt „Gesetz ist Gesetz“, auch bei noch so verbrecherischem Inhalt (Gehorsamkeitsthese) Befolgungswürdigkeit = moralische Pflicht zur Rechtsbefolgung 3.1.1.1 Die Befolgungswürdigkeit des Rechts aus rechtspositivistischer Perspektive Rechtspositivistische Aussagen: John Austin: „Die Existenz des Rechts ist eine Sache, sein Wert oder sein Unwert eine andere. […] Ein Gesetz, das gegenwärtig existiert, ist Recht, auch wenn wir es ablehnen.“ Hans Kelsen: „Der wissenschaftliche Jurist identifiziert sich mit keinem, auch nicht mit dem von ihm beschriebenen Rechtswert.“ è Aufgrund der Trennung von Recht und Moral schreibt der Rechtspositivismus dem Recht, nur weil es Recht ist, noch keinen moralischen Wert zu. 3.1.1.2 Die Einstellung der Juristen in der NS-Zeit zum Rechtspositivismus Hat der Rechtspositivismus das NS-Unrecht gefördert? Rechtsverständnis in der Weimarer Republik: weit verbreitete Ablehnung des neuen demokratischen Systems à keine Befolgungswürdigkeit der vom Parlament beschlossenen Gesetze Vorbehalt der Gerichte bezüglich einer materiellen Prüfungskompetenz zur inhaltlichen Überprüfung im Lichte eines „höherrangigen“ Rechts; jedoch: Prüfungskompetenz nicht verfassungsrechtlich verankert Bsp.: Aufwertungs-Rechtsprechung bzgl. inflationsbedingter Geldschulden NS-Zeit: Heinrich Himmler (1900 – 1945) – Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei „Nationalsozialisten haben sich nicht ohne Recht, aber ohne Gesetz an die Arbeit gemacht. […] Ich tue das, was ich nach meinem Gewissen in meiner Arbeit für Führer und Volk verantworten kann.“ à Verachtung des positiven Rechts Karl Larenz (1903 – 1993) – deutscher Zivilrechtslehrer und Rechtsphilosoph o „Recht ist eine mit dem sittlichen [= moralischen] und religiösen Leben der Gemeinschaft eng verbundene Lebensordnung, die den Einzelnen mit eigenem Geltungsanspruch gegenübertritt und sie inhaltlich bindet. o Die Erneuerung des deutschen Rechtsdenkens ist ohne radikale Abkehr vom Positivismus nicht denkbar. o Der Positivismus [nach Kelsen] ist […] eine geistige Überfremdung. o Alles Recht ist Äußerung des Gemeinschaftslebens und völkisch bedingt. o Nur der Führer kann die letzte Entscheidung darüber fällen, ob eine bestimmte Regelung gelten soll, da er kraft seines Führertums der ‚Hüter der Verfassung‘ und der ungeschriebenen konkreten Rechtsidee seines Volkes ist. o Der Richter ist gebunden, das Gesetz im Geiste des Führers anzuwenden.“ § Verbindung zur „Volksgemeinschaft“ und antisemitische Konnotation (Hans Kelsen war Jude) § jedoch: kein empirischer Gedanke Georg Dahm (1904 – 1963) – deutscher Strafrechtslehrer und Völkerrechtsprofessor o Grundsätzlich: Richter an Gesetze gebunden o Richter muss Gesetze nicht anwenden, die der Rechtsidee oTenbar und grob widersprechen o Etwa Verfassungsrecht, das zur nationalsozialistischen Staatsidee in wesensmäßigem Widerspruch steht à moralischer Maßstab (ó Radbruch; aber: völkische Sittlichkeit ó Menschenrechte) è Amalgamierung von Recht und Moral à Nicht die positiven Gesetze waren entscheiden, sondern die völkisch verstandene Moral, die v.a. im Willen des Führers ihren authentischen Ausdruck fand Das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip: zuvor: Handlung kann nur mit Strafe belegt werden, wenn Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde NS-Zeit: Strafe, wenn Tat, die Gesetz für strafbar erklärt oder nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient; findet sich keine unmittelbare Strafvorschrift à Gesetz, dessen Grundgedanke am besten zutri[t à Abkehr vom freiheitlichen Strafrecht (‚Gesetz ist Gesetz‘) durch Umwandlung des Analogieverbots in ein Analogiegebot 3.1.1.3 Die Unerträglichkeitsthese als Selbstkorrektur Radbruchs Die Rechtsidee von Radbruch (1932) Recht als Kulturphänomen auf eine Idee bezogen Idee des Rechts = Gerechtigkeit (= absoluter Wert, also aus keinem anderen Wert ableitbar) Elemente der Rechtsidee: o formale Gleichheit § Gleiches ist gleich zu behandeln, Ungleiches ungleich § Problem: Nach welchem Maßstab wird beurteilt, was gleich und was ungleich ist? à Zielbestimmung notwendig o Zweckmäßigkeit à als absolute Zwecke des Rechts kommen in Betracht: § Individualwerte (sittliche Freiheit des Einzelnen) § Kollektivwerte (Wohl der Nation) § Werkwerte (Schöpfungen der Kultur) à jedoch: Konflikte, da sich die Zwecke nicht alle zugleich realisieren lassen Bsp: Whistleblower-Problematik um ehem. NSA-Mitarbeiter Edward Snowden: § Soll das Recht Snowden (und damit jedem anderen è formale Gleichheit) gestatten, als Ausfluss seiner sittlichen Freiheit auf schwere Missstände hinweisen? § Soll es ihm (und damit jedem anderen) die Aufweckung der Abhöraktivitäten aus Gründen der nationalen Sicherheit bei Strafe untersagen? è Zweck des Rechts keine Frage der Erkenntnis, sondern des Bekenntnisses (Relativismus = Unmöglichkeit der wissenschaftlichen Begründung oberster Werturteile) à Whistleblower-Problematik kann nicht objektiv beantwortet werden, sondern hängt vom subjektiven Bekenntnis zum obersten Zweck des Rechts ab o Rechtssicherheit à verbindliche Entscheidung im Zweifelsfall § fordert Positivität des Rechts § wenn nicht festgestellt werden kann, muss festgesetzt werden, was gerecht ist § was festgesetzt ist, muss auch durchgesetzt werden können à Gerichte § Positivität = Voraussetzung zur Richtigkeit è Dasein einer Rechtsordnung ist wichtiger als ihre Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit è Vorrang der Rechtssicherheit nicht absolut: Spannungen – auch im Hinblick auf die Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit – lassen sich nur durch subjektive Entscheidung auflösen à Antinomie (= innerer Widerspruch) der Rechtsidee Einzelner darf durchaus einem für ungerecht erachteten Gesetz die Befolgung verweigern, wenn er die Gerechtigkeit höher gewichtet als die Rechtssicherheit Ausnahme: Richter à ‚Gesetz ist Gesetz‘ und deshalb befolgungswürdig è Selbstkorrektur Radbruchs durch die Unerträglichkeitsthese in der Radbruch-Formel (1945) kein Verständnis der Gerechtigkeit in einem bloß formalen Sinne als Gleichbehandlungsangebot inhaltliche Anreicherung um allgemein anerkannte Menschen- und Bürgerrechte absoluter (= nicht von einer Entscheidung des Einzelnen abhängiger) Vorrang der Gerechtigkeit, v.a. bei extremer Ungerechtigkeit War Radbruch ein Rechtspositivist? Radbruch war vor 1933 Relativist. Umstritten ist jedoch, ob er auch Rechtspositivist war. Dagegen spricht: Vorstellung einer objektiven Rechtsidee, auf die das Recht notwendig bezogen ist à minimalistischer naturrechtlicher Gedanke Scha[ung von Rechtssicherheit als positiver Wert à moralische Wertung des Rechts è Selbstmissverständnis, falls Radbruch tatsächlich Rechtspositivist war Gründe für die Beliebtheit der Wehrlosigkeitsthese: Alibifunktion für Juristen, die nach 1945 die Verantwortung auf den Rechtspositivismus abwälzten Tragik der Radbruch’schen Kritik: Instrumentalisierung seiner Revision des Rechtsdenkens von NS-nahen Juristen Verkehrung der Täter-Opfer-Konstellation: o antipositivistisch gesinnte Juristen, die aktiv zur Zerstörung der Weimarer Republik beigetragen haben, stilisierten sich als Opfer des Rechtspositivismus o positivistisch orientierte Juristen (v.a. Demokraten und Juden) wurden zu Sündenböcken für den Untergang der Weimarer Republik gemacht Selbstentlastung der NS-nahen Juristen 3.1.2 Das E6ektivitätsargument Unabhängig von der Widerlegung des Unrechtsarguments kann grundsätzlich daran festgehalten werden, dass die Verwendung eines moralbezogenen RechtsbegriPs grundsätzlich ePektiver ist, wenn es darum geht, staatliches Unrecht zu verhindern und zu bekämpfen. 3.1.2.1 Einwände seitens des Rechtspositivismus Einwand fehlender Wirksamkeit – H.L.A. Hart enorme Überschätzung der praktischen Relevanz des philosophischen Disputs um den Rechtsbegri[ Einwand der unkritischen Legitimation – Hans Kelsen o Streit um angemessenen Rechtsbegri[ besitzt praktische Relevanz o moralneutraler Rechtsbegri[ bei Bekämpfung staatlichen Unrechts vorzugswürdig o naturrechtlich denkender Jurist würde Rechtsgeltung des positiven Gesetzes als unproblematisch ansehen und unkritischen Rückschluss auf moralische Richtigkeit des Gesetzes ziehen 3.1.2.2 Verteidigung des EPektivitätsarguments durch Robert Alexy (* 1945) Einwände gegen Kelsens Einwand der unkritischen Legitimation: Radbruch-Formel identifiziert Recht und Moral nicht, sondern erkennt Möglichkeit des unrichtigen (à unmoralischen) Rechts an ermöglicht Kritik des positiven Rechts von moralischen Standpunkt aus jedoch: naturrechtlich denkender Jurist wird zumindest den unkritischen Rückschluss ziehen, dass Gesetz jedenfalls nicht unerträglich ungerecht ist Einwände gegen Harts Einwand der fehlenden Wirksamkeit: Anwendung eines moralbezogenen Rechtsbegri[s erschwert Entstehung staatlicher Unrechtssysteme, vorausgesetzt, die „richtigen“ moralischen Prinzipien werden in den Rechtsbegri[ mit aufgenommen Verringerung der Anpassungsbereitschaft während des Bestehens des Unrechtsregimes; jedoch: o unrealistische Annahmen: Unsicherheit des Systemzusammenbruchs o Menschenverhalten in Zwangssystemen: Mut und Opferbereitschaft können durch rechtstheoretische Überlegungen kaum beeinflusst werden Erleichterung der juristischen Aufarbeitung nach dem Zusammenbruch des Unrechtssystems – Bsp.: Mauerschützen-Prozesse o moralneutraler RechtsbegriP: § 27 II GrenzG-DDR als korrekt zustande gekommene und sozial wirksame Vorschrift geltendes Recht à Bestrafung der Grenzsoldaten nicht möglich (ohne Preisgabe des Rückwirkungsverbotes) o moralbezogener RechtsbegriP: § 27 II GrenzG-DDR als unerträglich ungerechtes, und damit als gesetzliches Unrecht kein geltendes Recht à Bestrafung der Grenzsoldaten möglich (Rückwirkungsverbot unerheblich) è jedoch: Qualifikation als gesetzliches Unrecht reicht nicht aus, auch das Rückwirkungsverbot (Art. 103 II GG) muss eingeschränkt werden è Schlussfolgerungen: moralbezogener Rechtsbegri[ bietet bzgl. strafrechtlicher Aufarbeitung von staatlichem Unrecht keinen Vorteil, da dieser auch nicht ohne Einschränkung des nulla poena – Grundsatzes auskommt moralischer Rechtsbegri[ stellt hingegen das moralische Dilemma klar, sich entweder mit Straflosigkeit abzufinden oder die Strafbarkeit durch ein rückwirkendes Gesetz herbeizuführen 3.2 Das Prinzipienargument Ziel: Widerlegung des Rechtspositivismus durch die Methodenlehre juristischer Entscheidungsbegründung Ausgangspunkt: Einsicht, dass Gesetzestexte eine richterliche Entscheidung nicht im Sinne einer logischen Ableitung determinieren, sondern verschiedene Auslegungen denkbar sind These: Richter sei mangels anerkannter Auslegungscanones in unklaren Fällen dazu berechtigt, nach außerrechtlichen, z.B. moralischen Kriterien zu entscheiden Kritik - basierend auf Ronald Dworkins (1931 – 2013) Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien als unterschiedliche Arten von Normen: Rechtssystem enthält nicht nur strikte Regeln, sondern auch Prinzipien diese besitzen eine doppelte Eigenschaft als Bestandteil von Recht und Moral richterliche Entscheidung aufgrund von Prinzipien = Entscheidung basierend auf Recht und Moral è Sprengung des Rechtspositivismus 4. Argumente für einen moralneutralen Rechtsbegri: Grundanliegen des Rechtspositivismus: wissenschaftliche Rechtserkenntnis à Erkennen und Beschreiben der allgemeinen Elemente und Strukturen des Rechts Dass Normen in einem bestimmten Verfahren zustande gekommen und/oder wirksam sind, ist der menschlichen Erkenntnis zugänglich Gerechtigkeit (bzw. zumindest nicht unerträgliche Ungerechtigkeit) als weitere Bedingung der Rechtsgeltung à wissenschaftliche Rechtserkenntnis nur möglich, wenn Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit einer Norm ebenfalls erkannt werden kann è Naturrechtslehren: Gerechtigkeit einer Norm ist keine Frage einer bloß subjektiven Bewertung, die verschieden ausfallen kann, sondern eine Frage der objektivierbaren Erkenntnis è Ethischer Kognitivismus: auch im Bereich der Moral gibt es eine echte Erkenntnis jedoch: keine Soziologie der Moral, sondern Annahme der objektiven Feststellbarkeit der moralischen Richtigkeit 4.1 Das Argument der Nicht-Erkennbarkeit des moralisch Richtigen Ist es überhaupt möglich, z.B. die extreme Ungerechtigkeit von § 27 II GrenzG-DDR zu erkennen? 4.1.1 Einwände gegen die Möglichkeit einer moralischen Erkenntnis Pluralismuseinwand (Hans Kelsen): selbst in grundlegenden moralischen Fragen konnte bislang kein Konsens erzielt werden Beispiel: Ein Staatstheoretiker beruft sich auf das Naturrecht, um die absolutistische Monarchie zu legitimieren, der andere zur Rechtfertigung der freiheitlichen Demokratie Zudem: Naturrechtliche Argumentation in der BGH-Rechtsprechung in den 50er Jahren, insbesondere im Bereich der Familienordnung è Grund für Meinungsverschiedenheiten über sogar grundlegende moralische Fragen: Erkenntnis von objektiv geltenden Gerechtigkeitsprinzipien dem Menschen nicht möglich Gründe für die Zweifel an der Möglichkeit der moralischen Erkenntnis: Keine logisch zwingende Norm (= Norm, die zu leugnen ein logischer Widerspruch wäre) à selbst fundamentale Normen lassen nicht durch Logik allein begründen Moralische Aussagen besagen nicht, dass etwas der Fall ist, sondern das etwas der Fall sein soll. Empirischer Erkenntnis (= Erfahrungserkenntnis mittels unserer Sinne) sind aber nur Tatsachen zugänglich, d.h. ein Sein. Aus dem Sein kann jedoch nicht auf ein Sollen geschlossen werden. o David Hume (1711 – 1776): Die Zurückführung normativer Aussagen auf rein beschreibende Aussagen bedarf einer besonderen Begründung à jedoch: nicht unmittelbare Behauptung der logischen Unmöglichkeit eines Schlusses vom Sein auf das Sollen o Hans Kelsen: Der Unterschied zwischen Sein und Sollen ist grundlegend und unmittelbar einsichtig. Aus der Seins-Tatsache kann keine Sollens-Aussage abgeleitet werden. o Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951): Die bloße Beschreibung von Fakten enthält nichts, was als ethischer Satz bezeichnet werden kann. è Wer dennoch aus Tatsachen normative Schlussfolgerungen zieht, begeht nach dieser Au[assung einen Sein-Sollens-Fehlschluss. Beispiel: Logisch falsch: (1) Die Eltern von Abiturient A wollen, dass er Jura studiert. [Prämisse] (2) Also soll A Jura studieren. [Schlussfolgerung] Logisch korrekt: (1) Die Eltern von Abiturient A wollen, dass er Jura studiert. [1. Prämisse] (2) Kinder sollen das tun, was Eltern von ihnen wollen. [2. Prämisse] (3) Also soll A Jura studieren. [Schlussfolgerung] 4.1.2 Ethischer Naturalismus, ethischer Realismus und ethischer Platonismus Ethischer Naturalismus: Bewertungen lassen sich begriPlich auf Tatsachen zurückführen à normative Begri[e lassen sich ohne Bedeutungsverlust in nicht-normative Begri[e übersetzen (Bsp.: „gut“ = „nützlich“ für die Gesellschaft) Problem der begriPlichen Reduktion: moralische Erkenntnis hätte nichts Geheimnisvolles; Nutzen einer Regelung ist für die Gesellschaft eine Tatsache und als solche prinzipiell erkennbar è Argument der oPenen Frage (George Edward Moore, 1873 – 1958): Moralische Bewertungen sind nicht auf Tatsachen wie Nutzen reduzierbar, da die Frage, ob etwas „moralisch richtig“ ist, selbst bei festgestelltem Nutzen stets o[en bleibt Beispiel: Logisch falsch: (1) Zustand x ist nützlich für die Gesellschaft. [Prämisse] (2) Also soll Zustand x herbeigeführt werden. [Schlussfolgerung] Logisch korrekt: (1) Zustand x ist nützlich für die Gesellschaft. [faktische Prämisse] (2) Zustände, die für die Gesellschaft nützlich sind, sollen herbeigeführt werden. [verdeckte normative Prämisse] (3) Also soll Zustand x herbeigeführt werden. [Schlussfolgerung] jedoch: fraglich, ob ein solcher Zustand moralisch richtig ist Ethischer Realismus: Objekte, Ereignisse oder Zustände der natürlichen Welt besitzen neben ihren nicht-normativen Eigenschaften (z.B. Größe und Gewicht bei Objekten, zeitliche Dauer bei Ereignissen) auch noch normative Eigenschaften („Gut-Sein“ / „Böse-Sein“), die ihnen unabhängig von unserer subjektiven Bewertung zukommen und die wir auch erkennen können Ethischer Platonismus: Neben unserer natürlichen Welt existiert noch eine weitere, eine eigene normative Welt, die ebenfalls für uns erkennbar ist und der objektive moralische Werte in einer eigenständigen Existenzform angehören à Werte oder Normen als „abstrakte“ / „ideale“ Entitäten) Platonismus: AuTassung, die in Anlehnung an die Lehre Platons annimmt, dass es unvergängliche und unveränderliche „abstrakte“ bzw. „ideale Gegenstände“ gibt, die jenseits von Zeit und Raum und unabhängig von unserem Denken in einer eigenen „Seinssphäre“ existieren. è Annahme einer ganz eigenen Art des Erkennens, die sich grundlegend von der „normalen“ Beobachtungserkenntnis unterscheidet Institutionismus: Mensch besitzt neben seinen fünf Sinnen noch ein moralisches Erkenntnisvermögen. Durch „unmittelbares Fühlen / Anschauen“ hat er direkten Zugang zu den behaupteten „objektiven Werten / Normen“, ohne dass es irgendeiner direkten oder indirekten, naturgesetzlich erklärbaren Einwirkung auf seine Sinnesorgane bedarf. Einwand der Absonderlichkeit (John Leslie Mackie, 1917 – 1981) Mensch als erkennendes Subjekt als Bestandteil der natürlichen Welt Fähigkeiten müssen prinzipiell wie andere Tatsachen der Realität auch durch bestimmte Gesetzmäßigkeiten (physikalisch / biologisch / physiologisch) erklären lassen naturalistische Erklärung für auf sinnlicher Wahrnehmung beruhenden Erkenntnisprozess Annahme einer besonderen Fähigkeit der Erkenntnis moralischer Richtigkeit nicht begründbar 4.1.3 Moralische Erkenntnis als reine Vernunfterkenntnis? Ethischer Rationalismus: Moralische Erkenntnis besteht nicht im Erfassen von objektiven Werttatsachen durch Beobachtung, sondern in der gedanklichen Einsicht in die Richtigkeit einer Norm oder Handlung anhand bestimmter oberster Zwecke, Regeln oder Prinzipien, die als objektiv geltende Maßstäbe zur Beurteilung der Richtigkeit dienen sollen. Reine Vernunfterkenntnis rechtfertigt begründungsbedürftige Annahmen oder Vermutungen durch den Nachweis ihrer Ableitbarkeit aus bestimmten Axiomen. Deren Wahrheit ist erfahrungsabhängig, d.h. a priori feststellbar (ó empirische Erkenntnis) Immanuel Kant – Kategorischer Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime (=subjektiver Handlungsgrundsatz), durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Interpretationsvarianten des Kategorischen Imperatives: hypothetischer Imperativ kategorischer Imperativ Gebot, das nur dann besteht, wenn der Gebot, das stets zu beachten ist, d.h. Akteur ein bestimmtes Ziel verfolgt ausnahmslos und unabhängig davon, welche Ziele jemand verfolgt. Variante 1: Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. kategorischer Imperativ fordert die Einnahme eines unparteilichen Standpunktes genau die Handlungsmaximen sind falsch, die man als allgemeine Gesetze nicht wollen kann, also deren allgemeine Befolgung man nicht will eine hypothetische Betrachtung ist erforderlich: „Was würde passieren, wenn sich alle so verhielten?“ Beispiel 1: Überschuldeter T nimmt Kredit auf, unter dem Versprechen, das Geld später zurückzuzahlen, mit dem Wissen, dass er dazu nicht in der Lage sein wird. Handlungsmaxime: „Wenn ich in finanzieller Not bin, darf ich mir unter Vortäuschung meiner Rückzahlungsfähigkeit Geld borgen.“ Was würde passieren, wenn sich alle so verhielten? derartige Praxis würde schnell bekannt werden Gläubiger ergreifen weitere Vorsichtsmaßnahmen und verleihen kein Geld mehr T wäre nicht mehr in der Lage, auf diese Weise an Geld zu kommen è Er kann unmöglich wollen, dass seine Handlungsmaxime ein allgemeines Gesetz wird è Verhalten nicht universalisierbar und damit moralisch zulässig Beispiel 2: K bestiehlt seine Mitmenschen, weil er als überzeugter Kommunist Privateigentum als Instrument illegitimer Ausbeutung ansieht. Handlungsmaxime: „Ich darf anderen Menschen ihr Eigentum wegnehmen, weil ich die Institution des Privateigentums ablehne.“ Was würde passieren, wenn sich alle so verhielten? Die Institution des Privateigentums würde zusammenbrechen. à K erreicht das, was er erreichen will è Verhalten dennoch moralisch falsch, da Privateigentum allgemein nicht als zu beseitigendes Übel, sondern als sozial nützlich angesehen wird Variante 2: Handle nur nach derjenigen Maxime, von der ein jeder zugleich wollen kann, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Anwendung auf Beispiel 2: K wird ertappt und Richter R überlegt jetzt, ob es moralisch zulässig ist, K für seinen Diebstahl zu bestrafen. Handlungsmaxime: „Eine Person, die einem anderen eine fremde bewegliche Sache wegnimmt, darf ich mit Freiheits- oder Geldstrafe bestrafen.“ Kann ein jeder wollen, dass diese Handlungsmaxime zum Gesetz wird? Menschen, die die Institution des Privateigentums ablehnen, wollen dies nicht. à Würden Bestrafung gerade nicht wollen, da dadurch die Institution, die sie abscha[en wollen, gestärkt würde Problemlösung (John Rawls, 1921 – 2002) „Jedermann“ wird hinter einen „Schleier des Nichtwissens“ versetzt kennt seine späteren Fähigkeiten, Wünsche, Interessen und Präferenzen nicht à er weiß nicht, ob er Kommunist sein wird oder nicht è es müsste gezeigt werden, dass Jedermann notwendigerweise für die Existenz von Privateigentum stimmen würde è tatsächlicher Beweis – und auch der „Schleier des Nichtwissens“ unklar è Ergänzungsbedürftigkeit des kategorischen Imperatives, kein alleiniges Moralprinzip è moralisches Wissen hätte nach der rationalistischen AuPassung zwei Komponenten : Kenntnis, das eine bestimmte Handlung oder Norm dem moralischen Beurteilungsmaßstab entspricht bzw. widerspricht Kenntnis des Maßstabes selbst aber: Wie ist eine solche Erkenntnis inhaltlicher Prinzipien unabhängig der Erfahrung möglich? logische Ableitung aus anderen Prämissen Erkenntnisproblem verschiebt sich allerdings nur um eine Ebene, da nunmehr diese Prämissen einer Rechtfertigung als Erkenntnisse a priori bedürfen Vertreter einer erfahrungsunabhängigen Ethik müssten behaupten, dass der menschliche Verstand irgendwelche obersten Zwecke, Regeln oder Prinzipien unmittelbar einsehen kann ó aus erkenntnistheoretischer Sicht ausgesprochen fragwürdig 4.1.4 Der ethische Kognitivismus und die Motivationsproblematik (David Hume) Ethischer Internalismus Nonkognitivismus Wer von der moralischen Richtigkeit oder Erkenntnisse als solche verfügen über keine Falschheit einer Handlung überzeugt ist, wird motivierende Kraft, sie sind passiv zumindest einen gewissen Drang spüren, sich entsprechend zu verhalten è moralische Überzeugung und è subjektive Wünsche und Handlungsmotivation sind intern Handlungsmotivation sind intern miteinander verknüpft miteinander verknüpft è Wesensmerkmal moralischer è moralische Überzeugungen können Überzeugungen nicht das Resultat von Erkenntnissen allein sein Erwiderung: Erwiderung: Handlungswirksame Kraft gehört nicht zum Einsicht in moralische Richtigkeit / Falschheit Wesen moralischer Überzeugungen eines Verhaltens è moralische Überzeugung und à begrenzte handlungsmotivierende Kraft Handlungsmotivation sind nicht intern miteinander verknüpft (= ethischer Externalismus) è Vertreter eines moralbezogenen RechtsbegriP müssen erhebliche Begründungslasten auf sich nehmen 4.2 Das Unerheblichkeitsargument Dem Rechtspositivismus geht es um die wissenschaftliche Beschreibung des geltenden Rechts als einem wirksamen System bestimmter sozialer Normen aber: es ist unerheblich, ob dieses System mit moralischen Grundsätzen übereinstimmt möglicher Widerspruch zu moralischen Grundsätzen kann an der faktischen Existenz dieser Normen nichts ändern die Auskunft, ein korrekt gesetztes und wirksames Gesetz sei wegen seiner Ungerechtigkeit kein geltendes Recht droht den Bürger darüber irrezuführen, was er in einer bestimmten Gesellschaft zu erwarten hat Einwand gegen das Unerheblichkeitsargument – Frage der Perspektive nach Robert Alexy Teilnehmerperspektive Beobachterperspektive Argumentation im Rechtssystem keine Frage nach der richtigen Fragen: Entscheidung o Was gebietet, verbietet, erlaubt und zu Frage nach der faktischen Entscheidung was ermächtigt das Recht? o Wie hat ein Richter (moralisch) richtig zu entscheiden? Das Unerheblichkeitsargument tri[t nicht zu. Das Unerheblichkeitsargument triPt zu. Auch die Rechtswissenschaft, die sich mit der Interpretation des Rechts im eigenen Land beschäftigt, nimmt die Teilnehmer- perspektive ein. II. Das Wesen und die Struktur von Rechtsnormen 1. Das Wesen und die Struktur von Normen im Allgemeinen Was sind Normen? à gedanklich? psychisch? sprachlich? Verhaltensregularität? 1.1 Das „Sollen“ als Sinn der Norm Normen als Willensakte: Hans Kelsen: Eine Norm ist der Sinn eines Willensaktes, dass sich ein anderer in bestimmter Weise verhalten soll. Willensakt = Handlung, mit wir unserem Willen Ausdruck verleihen, indem wir wollen, dass andere sich in einer bestimmten Art und Weise verhalten Sein = Tatsache, dass jemand einen bestimmten Willen hat und ihm Ausdruck verleiht Sinn = Inhalt des Willensaktes (jemand soll sich so verhalten, nicht wird sich so verhalten) à keine Tatsache, sondern ein Sollen (à eine Norm) è zu unterscheiden sind der Willensakt (= Sein) und sein Sinn (= Sollen = Norm) Normen als Sprechakte: Normen sind die Bedeutung einer sprachlichen Mitteilungshandlung (= Äußerung) Behauptende Sprechaktive (Assertive) à Wort-auf-Welt-Ausrichtung o Inhalt der Äußerung soll der Welt entsprechen, also beschreiben wie die Welt ist o Stimmt die Welt nicht mit dem Inhalt der Äußerung überein, ist die Äußerung anzupassen Normative Sprechakte (Direktive) à Welt-auf-Wort-Ausrichtung o Welt soll künftig dem Inhalt der Äußerung entsprechen o normative Sprechakte sagen, wie die Welt sein soll o Stimmt die Welt nicht mit dem Inhalt der Äußerung überein, ist die Welt anzupassen weitere Sprechakt-Typen nach Searle: Kommissive (z.B. Versprechen, Gelöbnisse, Zusicherungen, Garantien) Expressive (z.B. Sich-Entschuldigen, Bedauern, Danken, Gratulieren, Willkommenheißen) Deklarationen (z.B. jemanden zu Mann und Frau erklären) è weitgehende Übereinstimmung mit der AuPassung Kelsens: Eine Sprechhandlung drückt eine Norm aus, wenn ihre Bedeutung darin besteht, dass eine andere Person sich in einer gewissen Art und Weise verhalten soll à Sprechakt hat Sollen zum Gegenstand „Sollen“ – technisches Verständnis des BegriPs Ein bestimmtes Verhalten wird geboten, verboten oder erlaubt à Drei grundlegende Typen von Normen: Gebote („Du musst!“) Verbote („Du darfst nicht!) Erlaubnisse („Du darfst!“) Logische Grundstruktur von Normen bezugnehmende Komponente: nimmt auf einen bestimmten Sachverhalt Bezug, bezeichnet diesen (stets mit bestimmten menschlichen Verhalten als Element) normative Komponente: gebietet, verbietet oder erlaubt den Sachverhalt Beispiel: Rauchverbot im Restaurant Es ist verboten: Du rauchst in einem Restaurant. 1.2 Grundlegende normologische Zusammenhänge Deontologische Operatoren: Op = Gebote | Fp = Verbote | Pp = Erlaubnisse Logische Grundregeln: Wenn etwas verboten ist, dann ist seine Negation geboten. logischer o Es ist verboten: Du rauchst in einem Restaurant Widerspruch! o à Es ist geboten: Du rauchst nicht in einem Restaurant Es ist unmöglich, das Wenn etwas verboten ist, dann ist es auch nicht erlaubt. Verbot und das Gebot o Es ist verboten: Du rauchst in einem Restaurant gleichzeitig zu o à Es ist nicht erlaubt: Du rauchst in einem Restaurant befolgen! Wenn etwas erlaubt ist, dann ist es auch nicht verboten. o Es ist erlaubt: Du rauchst in deiner Wohnung o à Es ist nicht verboten: Du rauchst in deiner Wohnung Wenn etwas geboten ist, dann ist es auch erlaubt ó nicht aber: wenn etwas erlaubt ist, dann ist es auch erlaubt o Es ist geboten: Du rauchst in nicht in einem Restaurant o Es ist erlaubt: Du rauchst nicht in einem Restaurant Fall zur Veranschaulichung E bricht in einen Juwelierladen ein Polizist P zückt Wa[e und fordert E zum Stehenbleiben auf E kommt Au[orderung nicht nach, P setzt Warnschuss P setzt nun lebensgefährlichen Schuss auf E ab, E stirbt Frage: Wie hat sich P strafbar gemacht? à Rechtliche Grundlagen: Art. 84 BayPAG, § 32 StGB P’s Verhalten ist nicht von Art. 84 BayPAG gedeckt, jedoch von § 32 StGB Lösung der gespaltenen Rechtswidrigkeit: Di[erenzierung zwischen polizeirechtlicher und strafrechtlicher Bewertung o polizeirechtlich: Handeln des P rechtswidrig, § 32 StGB stellt keine hoheitliche Eingri[sgrundlage darstellt o strafrechtlich: Handeln des P dagegen durch § 32 StGB gerechtfertigt, da ihm der Rechtfertigungsgrund der Notwehr wie jedem anderen zusteht è Normologische Analyse polizeirechtlich: Es ist verboten: P schießt auf E zur Verteidigung von Sacheigentum strafrechtlich: Es ist erlaubt: P schießt auf E zur Verteidigung von Sacheigentum à normologischer Widerspruch! logischer Es ist logisch unmöglich, zugleich das polizeirechtliche Verbot zu befolgen, Widerspruch! als auch von der notwehrrechtlichen Erlaubnis Gebrauch zu machen! Es ist unmöglich, das Verbot und das Gebot è Lösung der gespaltenen Rechtswidrigkeit aus normologischen gleichzeitig zu Gründen nicht haltbar befolgen! 2. Verschiedene Normtypen Unterscheidung nach dem Adressatenkreis: generelle Normen: adressiert an einen unbestimmten Adressatenkreis individuelle Normen: adressiert an bestimmte, d.h. konkret bezeichnete Personen Unterscheidung nach Abhängigkeit des Sollens vom Vorliegen bestimmter Bedingungen: unbedingte (kategorische) Normen: Normen, deren Sollensinhalt unmittelbar (unabhängig vom Eintritt irgendwelcher Bedingungen) gilt Bsp.: Es ist geboten: Du rauchst nicht bedingte Normen: Normen, deren Sollensinhalt erst bei Eintritt einer bestimmten Bedingung gilt Bsp: Es ist geboten: Wenn du in einem Restaurant bist, rauchst du nicht. 3. Das Wesen und die Struktur von Rechtsnormen 3.1 Recht und Zwang Normen erlauben oder gebieten unter bestimmten Bedingungen die Vornahme eines Zwangsaktes. Hans Kelsen: Eine Rechtsnorm ist eine Zwangsnorm im Sinne einer Zwang anordnenden Norm. § 212 StGB: Todschlag (1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. 3.2 Das „Standard-Modell“ der Rechtsnorm rechtliche Verhaltensnormen geben an, wie die Bürger sich verhalten sollen die Nichtbefolgung der Verhaltensnorm wird an eine Sanktion geknüpft dient als zusätzliches Motiv zur Befolgung der Verhaltensnorm Ein Verhalten wird sanktioniert, weil es verboten ist Rechtliche Verhaltensnormen können unabhängig von Sanktionen und Sanktionsnormen existieren Rechtliche Verhaltensnormen werden in modernen Rechtsordnungen nicht mehr ausdrücklich aufgestellt, sondern lassen sich aus den Sanktionsnormen erschließen Bsp.: Bedeutung der Strafvorschriften des StGB, § 212 StGB Normierung eines Bestrafungsgebots à Sanktionsnorm Inhalt: Sanktionszufügung Adressaten: für Strafverhängung/ -vollstreckung zuständige Amtsträger, nicht die Bürger Implizit: Tötungsverbot à an Bürger gerichtete Verhaltensnormen à Sanktion lediglich als angedrohte Folge für das Unterlassen des gesollten Verhaltens Die Ausformulierung lediglich der Sanktionsnormen gilt allerdings nicht für das Nebenstrafrecht. Bsp.: WaPengesetz 3.3 Das Sanktions-Modell der Rechtnorm Rechtliche Verhaltensanweisungen entstehen erst und allein dadurch, dass ein bestimmtes unerwünschtes Verhalten sanktioniert wird. Verhalten wird nicht sanktioniert, weil es verboten ist, sondern es ist verboten, weil es sanktioniert werden soll Rechtliche Verhaltensnormen können nicht unabhängig von Sanktionen bzw. Sanktionsnormen existieren (à interne Verknüpfung) Das gilt nicht nur im Straf- sondern auch im Zivilrecht: Ein Darlehensnehmer ist nur deshalb zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet, weil dies im Wege einer Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden kann. è Sanktionsnormen als „eigentliche“ Rechtsnormen Hans Kelsen John Austin Rechtsnormen sind Ermächtigungen der Rechtsnormen sind Befehle des Souveräns Amtsträger, bei Vorliegen bestimmter (= höchste politische Autorität), d.h. Bedingungen Sanktionen zu verhängen. durch wirksame Übelsandrohungen gestützte Wünsche. Verknüpfung der unerwünschten Verknüpfung rein faktischer Natur Verhaltens mit der Sanktion normativer Verhalten gilt als verboten, wenn es Natur (wahrscheinlich) durch die Rechtsorgane Verhalten gilt als Verboten, wenn es tatsächlich sanktioniert wird durch Rechtsorgane sanktioniert werden Verbindung durch die Sanktionspraxis soll es genügt für den Rechtscharakter von Verbindung durch die Sanktionsnorm Verhaltensanweisungen, dass sie faktisch mit Zwang durchgesetzt werden 3.4 Einwände gegen das Sanktions-Modell Kompetenzeinwand (H.L.A. Hart): kann keine Kompetenzen erfassen, die das Recht den Bürgern einräumt (z.B. Kompetenz zur Errichtung eines Testaments, § 2247 BGB) nicht ausgeübte Kompetenz à Nichtigkeit Nichtigkeit ist jedoch keine Sanktion, sondern lediglich logische Konsequenz à Überspannung des SanktionsbegriPs à sanktionsartiger Charakter allerdings dennoch denkbar, da nicht nur die erwünschte Folge ausbleibt, sondern eine andere, unerwünschte Folge eintreten kann Adressateneinwand (H.L.A. Hart): an Amtsträger adressierte Sanktionsnormen verzerren die Funktionsweise des Rechts Sanktionsinstanzen kommen erst zur Geltung, wenn die Regelung des Verhaltens der Bürger durch Verhaltensnormen ausnahmsweise nicht gelingt Unterscheidungseinwand: keine Möglichkeit, zwischen Sanktionen und Nachteilen ohne Sanktionscharakter zu unterscheiden aus der bloßen Verknüpfung eines Verhaltens mit einem Übel lässt sich nicht ableiten, ob damit das Verhalten verboten werden soll oder nicht das Übel kann meistens exakt dasselbe sein, z.B. die Zahlung eines Geldbetrages Beispiel: Steuerpflicht: Erzielen von Einkünften verpflichtet zu Abgaben, soll aber nicht verboten sein Charakter des Übels lässt sich nur bestimmen, wenn man weiß, ob es als Reaktion auf einen Verstoß gegen ein Verhaltensgebot verhängt werden soll oder nicht Verhaltensgebot lässt sich nicht aus Übelszufügung ableiten, sondern muss dieser vorausliegen Soziologischer Einwand – das Kooperationsdilemma (Thomas Hobbes): Verhalten der Bürger wird allein durch die Verknüpfung einer unerwünschten Handlung mit der Sanktion gesteuert Sanktion als Preis für das entsprechende Verhalten hoch angesetzter Preis führt zu Verzicht auf Vornahme der nicht gewollten Handlung è Kosten-Nutzen-Kalkulation Gefahr für freiheitliche Gesellschaften: Staatsorgane dürfen Zwang nur zum Schutz der Freiheiten der Bürger ausüben, nicht jedoch zur Durchsetzung eigener Interessen Furcht vor Sanktionen als einziges Motiv kein Anlass zur Furcht für Staatsorgane als Inhaber der Zwangsmittel kein Motiv, die Macht nicht zum eigenen Vorteil zu gebrauchen Gefahr der destruktiven Anarchie oder ausbeuterischen Despotie 3.5 Recht ohne Zwang? „Standard-Modell“ der Rechtsnorm: Verhaltensnormen werden nicht durch Sanktionen erzeugt, sondern lediglich in ihrer Wirksamkeit verstärkt Kann Recht ganz ohne Sanktionen und Zwang auskommen? Nein. Sanktions- und Zwangstheorie stellen geregelte Erzwingbarkeit des gebotenen Verhaltens gerade als spezifische Besonderheit des Rechts ggü. anderen normativen Ordnungen dar Ja. Alle Rechtsnormen verfügen faktisch, aber nicht notwendig über ein Sanktions- und Zwangsmoment o hypothetische Gesellschaft absolut regeltreuer Menschen àZwang und Sanktionen vollständig entbehrlich o auch hier Bedarf an allgemeinen Regeln des Zusammenlebens, an gesetzgebenden Autoritäten sowie an Gerichten und Exekutivorganen Komplex von Normen und Institutionen als Rechtsordnung III. Gültigkeit und Wirksamkeit von Rechtsnormen 1. Die Ermächtigung zur Normerzeugung und der Stufenbau der Rechtsordnung Beispiel: Bankräuber fordert Passanten auf: Geld her oder Leben! à Au[orderung gilt nicht als Rechtsnorm Frage: Wo ist der Unterschied zur Au[orderung, Steuern zu entrichten oder bestraft zu werden? Antwort: Hans Kelsen – Unterschied zwischen subjektiven und objektiven Sinn einer Äußerung Rechtsnormen = Verhaltensäußerungen, die nicht bloß subjektiv gültig sind à Perspektive des Au[ordernden objektive Gültigkeit (à Sinn eines Sollens) als Voraussetzung è Erhalt der objektiven Gültigkeit durch eine höhere Rechtsnorm 1.1 Stufenbau der Rechtsordnung Verfassung Generelle Normen: Gesetze, Verordnungen Individuelle Normen: Urteile, Bescheide Vollstreckungsakte Rechtliche Gültigkeit resultiert aus einer bestimmten Beziehung zwischen zwei Normen. à Denkbare Ansätze: Gültigkeit durch inhaltliche Ableitung Generelle Norm: Wer einen Menschen tötet …, soll mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft werden. Tatsache: X hat einen Menschen getötet. Individuelle Norm: X soll mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft werden Gültigkeit durch Ermächtigung o keine inhaltliche Ableitung o z.B. Kompetenznormen zur Erzeugung, Änderung oder Auslegung von Normen o 2 Formen: § Regelung von Kompetenzen der Amtsträger zur Erzeugung, Anwendung und Durchsetzung von Verhaltensnormen § Einräumen von Kompetenzen der Bürger, ihre rechtlichen Beziehungen zueinander zu regeln und neue Rechte und Pflichten zu erzeugen è Hart: Recht als Einheit von Primär- und Sekundärnormen à soziologische Erklärung für Herausbildung von Rechtsnormen: Normensysteme, die anders als das Recht nur aus Primärnormen bestehen, leiden nach Hart unter drei gravierenden Schwächen: Interpretationsprobleme: Zweifel über Inhalt von Primärnormen ließen sich ohne Sekundärnormen nicht beseitigen Anpassungsprobleme: Nicht mehr zeitgemäße, ine[iziente oder lückenhafte Primärnormen könnten ohne Sekundärnormen nicht schnell und unmittelbar angepasst werden (à Kompetenzen fehlen) Durchsetzungsprobleme: Ine[iziente Durchsetzung der Primärnormen ohne Sekundärnormen, die über Verstöße und deren Ahnung gegen Primärnormen bestimmen Ermächtigungen lassen sich als unselbstständige Bestandteile von Verhaltensnormen rekonstruieren. (Hoerster) Jede Ermächtigungsnorm potentiell gleichbedeutend mit mittelbarer Gebotsnorm Urheber der Ermächtigung räumt Adressaten die Macht ein, eine Gebotsnorm zu erlassen à erlässt diesem mittelbar eine Gebotsnorm Beispiel: Ermächtigung: Y soll sich so verhalten, wie X es will. X will, dass Y Steuern in Höhe von 1000€ zahlt. Gebot: Y soll Steuern in Höhe von 1000€ zahlen. Problem: Verfehlung einer wesentlichen Dimension von Ermächtigungsnormen à Normadressaten lediglich die Verpflichteten, nicht die Ermächtigten 1.2 Das Paradox der Rechtserzeugung Paradoxie: Existenz des Rechts erscheint mysteriös und nicht erklärbar à Beispiel: Scott Shapiro Person / Norm, die Körperschaft Erzeugungs- besitzt kompetenz Erzeugungs- überträgt, kompetenz nur existiert nur, dann, wenn ihr wenn sie von eine existierende einer Person / Norm diese Körperschaft Kompetenz erlassen wurde, überträgt. die Kompetenz dazu besaß à Henne – Ei – Problem Problem: Berufung darauf insbesondere bei der Reichsbürger-Bewegung Lösungsvorschläge für das Paradoxon: 1) Person / Körperschaft kann auch dann eine Kompetenz zur Erzeugung von Rechtsnormen besitzen, wenn ihr keine existierende Norm diese Kompetenz überträgt 2) Norm, die die eine Kompetenz zur Erzeugung von Rechtsnormen überträgt, kann auch existieren, ohne dass sie von einer Person / Körperschaft erlassen wurde, die die Kompetenz dazu besaß 2. Souveränität als Quelle der Rechtsgültigkeit (Austin) Austin bestreitet im Rahmen seiner Befehlstheorie des Rechts, dass die höchste Recht- setzungskompetenz nicht auf einer Ermächtigungsnorm beruhen muss. è positives Recht besteht aus allgemeinen Befehlen, die auf eine höchste politische Autorität – den Souverän – zurückgeführt werden können Souverän = Person oder Personengruppe, deren Anordnungen von den Normadressaten gewohnheitsmäßig gehorcht wird und die ihrerseits keiner höheren Instanz gewohnheitsmäßig Gehorsam leistet Souveränität ist Austin zufolge: nicht normativ erzeugt: ergibt sich nicht aus irgendwelchen Regeln / Vorschriften faktische Verhaltensregelmäßigkeiten, die sich mit den Begri[en von Befehl, Gehorsam und Gewohnheit beschreiben lassen Kritik am Modell: (insb. durch Hart) kann den unmittelbaren Übergang der Rechtserzeugungsmacht von einem Souverän auf seinen Nachfolger nicht erklären o noch keine Gewohnheit, dem neuen Souverän bei Eintritt zu gehorchen o Übergang der Rechtserzeugungsmacht nicht von Gewohnheiten, sondern von rechtlichen Regelungen abhängig à Souveränität als genuin normatives Phänomen, das die Geltung bestimmter Normen, die festlegen, wer als Souverän gilt, bereits voraussetzt kann die Fortgeltung von Rechtsnormen trotz Wechsels des Souveräns nicht erfassen kann die Möglichkeit von Souveränitätsbeschränkungen nicht anerkennen à verfehlt wesentliches Merkmal demokratischer Verfassungsstaaten begeht einen Sein-Sollens-Fehlschluss o Zustimmung, Gehorsam, etc. = nicht-normative Tatsachen = Sein o aus bloßem Sein kann aber nichts Normatives, also kein Sollen abgeleitet werden 3. Die vernunftrechtliche Ermächtigungsnorm als Quelle der Rechtsgültigkeit (Kant) Die den Verfassungs- und Gesetzgeber ermächtigende Norm ist aus der reinen Vernunft zu entnehmen; sie ist unabhängig von jeder Setzung durch eine Autorität. Ausgangspunkt: Erfordernis, die Autorität des Gesetzgebers auf eine Norm zurückzuführen à natürliches Gesetz erforderlich benötigt keine positive Gesetzgebung oder Vereinbarung kann auch ohne äußere Gesetzgebung a priori durch die Vernunft erkannt werden liegt jeder Gesetzgebung zugrunde à praktisches Vernunftprinzip, der jetzt bestehenden gesetzgebenden Gewalt gehorchen zu sollen è nur durch Unterwerfung unter den allgemein-gesetzgebenden Willen des Gesetzgebers ist ein rechtlicher Zustand möglich; in diesen einzutreten und in ihm zu verbleiben folgt aus der reinen Vernunft Naturzustand: Menschen, Völker, Staaten nicht vor Gewalt sicher à jeder folgt seinem eigenen Urteil und ist abhängig von der Meinung anderer Notwendigkeit eines bürgerlichen Zustands: Pflicht, den Naturzustand zu verlassen à ö[entlich gesetzlicher Zustand zur Sicherung des Rechts jedes Einzelnen durch Gesetz und Garantie des Schutzes durch eine äußere Macht Pflicht zur Gehorsam, Ausschluss eines Widerstandsrechts è Problem: Überzeugungskraft des Modells beruht allein auf der Vernunfts-/Naturrechtslehre 4. Die hypothetische Grundnorm als Quelle der Rechtsgültigkeit (Kelsen) Ausgangspunkt: Der Geltungsgrund jeder Norm kann nur die Geltung einer anderen Norm sein è SchaPung einer Grundnorm als gemeinsame Quelle für die Geltung aller zu sein und derselben Ordnung gehörigen Normen à gemeinsamer Geltungsgrund Funktion: soll Verfassung als objektiv gesollt, d.h. rechtlich verbindlich ausweisen macht keine inhaltlichen Vorgaben Inhalt der Grundnorm ist nur rein formaler Natur è „Man soll sich so verhalten, wie die Verfassung es vorschreibt“ Schwierigkeiten: Bedeutung der Wirksamkeit für die Normgeltung o Geltung und Wirksamkeit sind getrennt zu betrachten o Geltung setzt Minimum an Wirksamkeit voraus à Norm / normative Ordnung, die nicht wirksam ist, kann auch nicht gelten è Wirksamkeit ist eine Bedingung der Geltung, aber nicht die Geltung selbst; aber: keine klare Begründung der Bedingung Status der Grundnorm o gedanklich notwendige Voraussetzung der Rechtserkenntnis o gedankliche Unterstellung der Grundnorm à Verständnis des subjektiven Sollens in Verhaltensau[orderungen als objektiv gesollt, d.h. rechtlich gültig è Handlungen bestimmter Personen / Personengruppen lassen sich als Rechtsakte ansehen o transzendental-logische Voraussetzung (Anlehnung an Philosophie Kants) à Grundnorm als Bedingung der Möglichkeit der Rechtserkenntnis à Grundnorm kann, aber muss nicht vorausgesetzt werden Spätphilosophie Kelsens: Verwurf der Annahme, die Grundnorm sein keine gewollte Norm o kein Sollen ohne ein Wollen o imaginäre Autorität muss mit der gedachten Grundnorm mitgedacht werden, deren Willensakt die Grundnorm darstellt à Grundnorm als notwendige Fiktion Problematik der Grundnorm: o soll einerseits Ermächtigung der höchsten Rechtsautorität begründen o soll andererseits eine Autorität über der „höchsten Autorität“ stehend annehmen Kritik an Kelsens These (Hoerster) „Die Geltung einer Norm kann nur stets durch eine höhere Norm begründet werden Grundnorm ist nicht in der Lage, die behauptete Leistung zu erbringen: unbeantwortete Regressproblematik: Woher stammt die Kompetenz der imaginären Antwort zum Erlass der Grundnorm? à Grundnorm zweiter / dritter / … Stufe 5. Gesellschaftliche Praxis als Quelle der Rechtsgültigkeit (Hart) Annahme: Recht als Einheit von primären Verhaltens- und sekundären Ermächtigungsnormen Unterscheidung zwischen Wirksamkeit und Gültigkeit der Normen Rückführung der rechtlichen Gültigkeit auf eine oberste sekundäre Norm: „rule of recognition“, welche Kriterien für Identifikation von Regeln als geltendes Recht beinhaltet o Erlass durch eine bestimmte Körperschaft o Vorliegen eines langjährigen Brauches o Anwendung in einer gerichtlichen Entscheidung keine bloß gedachte Norm, sondern tatsächlich existierende soziale Regel, die sich in sozialer Praxis ausdrückt o soziale Verhaltensregelmäßigkeit: soziale Gewohnheit liegt vor, wenn Mitglieder einer Gruppe zumindest mehrheitlich regelmäßig in einer bestimmten Weise verhält o soziale Regel: bloße soziale Gewohnheit reicht für soziale Regel nicht aus; interner Aspekt erforderlich à spezifische subjektive Einstellung: Gruppenmitglieder müssten entsprechendes Verhalten als allgemeinen Standard ansehen, dem die Gruppe insgesamt entsprechen soll § Gruppenmitglieder sehen es als „richtig“ an, dass sich alle so verhalten § fordern von anderen das Verhalten § kritisieren abweichendes Verhalten Rechtfertigung des Modells hinsichtlich der Gültigkeit: falsches rechtsphilosophisches Verständnis des BegriPs der Gültigkeit o Gültigkeit nur innerhalb des Normensystems möglich o Gültigkeit als oberste Regel des Systems jedoch obsolet, höchstens in Form einer sozialen Praxis existent Normen lassen sich aus zwei Perspektiven betrachten à soziale Tatsache zur Ableitung von Normen hinreichend o innere Perspektive: Normen selbst anerkennen und befolgen § wird durch Anwendung der rule of recognition eingenommen § Normen des Systems werden durch Verhalten als gültig anerkannt o externe Perspektive: Normen betrachten und beschreiben, ohne sie anzuerkennen § für Rechtswissenschaftler völlig hinreichend § muss rule of recognition als soziale Tatsache feststellen und Normen so beschreiben, wie Mitglieder sie aus innerer Perspektive betrachten Rechtfertigung des Modells hinsichtlich der Wirksamkeit: primäre Verhaltensnormen sind wirksam, wenn sie von Bürgern im Allgemeinen befolgt werden (unabhängig von Freiwilligkeit oder Furcht vor Sanktionen) sekundäre Ermächtigungsnormen sind wirksam, wenn sie von den Staatsorganen, die zu ihrer Anwendung berufen sind, anerkannt werden Einwände / Kritik: Shapiro: Normen sind von anderer Seins-Art als gesellschaftliche Praktiken à Fehlkonstruktion, die rule of recognition mit sozialer Praxis zu identifizieren Alexy: Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtableitbarkeit des Sollens aus einem Sein o Sein = tatsächliche gesellschaftliche Praxis o Sollen = daraus abgeleitete Regel aber: subjektives Sollen vs. objektives Sollen o soziale Praxis / Akzeptanz der rule of recognition als Ausdruck subjektiven Sollens o drückt Willen der Gemeinschaft aus, bestimmte Regeln als allgemeine Standards anzusehen o keine Grundnorm für subjektives Sollen erforderlich è keine Überführung von Sein in Sollen Dworkin: rule of recognition nicht geeignet, das geltende Recht zu identifizieren, da sie Prinzipien nicht richtig erfassen kann 6. Moralische Prinzipien als Quelle der Rechtsgültigkeit (Dworkin) Annahme / Ausgangspunkt: Recht setzt sich nicht nur aus Regeln zusammen, sondern enthält daneben noch Prinzipien Beispiele für Prinzipien: Niemand soll aus seinem eigenen Unrecht profitieren Hersteller gefährlicher Sachen soll besondere Sorgfaltspflicht tragen Person, die Vertrag vor Unterzeichnung nicht gelesen hat, soll sich von seinen Auflagen nicht befreien können, solange kein Betrug vorliegt Unterschiede zwischen Regeln und Prinzipien: Regeln Prinzipien Anwendung legt bestimmte Rechtsfolge Anwendung führt im Wege der Abwägung nur zwingend fest zur Berücksichtigung eines bestimmten Gerichtspunkt, ohne dass dadurch schon die Rechtsfolge feststeht Im Regelkonflikt ist zugunsten einer Regel zu Bei der Prinzipienkollision ist das relative entscheiden, da die andere ungültig sein muss Gewicht beider Prinzipien zu berücksichtigen Beispiel: Mauerschützen-Problematik Rechtsfolge des Art. 103 II GG zwingend Rechtsfolge des Art. 103 II GG nicht zwingend à Bestrafung der Mauerschützen verstößt à Bestrafung der Mauerschützen möglich, da gegen Justizgrundrecht moralisch evident ungerechte Tötungen nicht straflos bleiben sollen