Prüfung Vorbereitung Psychiatrie PDF
Document Details
Uploaded by Deleted User
Tags
Summary
This document covers selected topics in psychiatry, focusing on the history of (social) psychiatry. It examines the social context of treatment, theoretical controversies, and experiences with suffering. The historical overview spans from ancient Greece to the 20th century, including discussions of institutions, concepts, and societal perceptions of mental illness.
Full Transcript
Ausgewählte Themen der Psychiatrie Geschichte der (Sozial-)Psychiatrie Umfasst: den sozialen Ort der Behandlungen (Institutionen- und Professionsgeschichte) theoretische Kontroversen (Begriffs- und Problemgeschichte) die Erfahrung im Umgang mit Leid (Alltags- und P...
Ausgewählte Themen der Psychiatrie Geschichte der (Sozial-)Psychiatrie Umfasst: den sozialen Ort der Behandlungen (Institutionen- und Professionsgeschichte) theoretische Kontroversen (Begriffs- und Problemgeschichte) die Erfahrung im Umgang mit Leid (Alltags- und Patientengeschichte) Institutions-/ Begriffs-/ Alltagsgeschichte (ev. nicht prüfungsrelevant) Frühgeschichte/Altertum: z.B. Griechenland keine strikte Trennung zw. psychischer Gesundheit und Krankheit, sondern ein Kontinuum Philosophie, Kunsttheorie und Literatur hinterfragen die Rolle von psychischen Grenzüberschreitungen und Wahnsinn in der Gesellschaft funktionale Definitionen von Arbeitsfähigkeit, soziale Einbindung, Zurechnungsfähigkeit (Schuld[un]fähigkeit und Entmündigung) → Prinzip findet sich auch später im Römischen Recht Hippokrates o ersann die Humoralpathologie/Säftelehre wonach der Körper aus vier Säften besteht: Blut, Schleim, helle und dunkle Galle o Harmonie der Säfte = Gesundheit o Ungleichgewicht → Krankheit Corpus Hippocraticum (Sammlung verschiedener Autoren) o mania (gr. Wut, Raserei) – schwerer Erregungszustand o melancholia (gr. schwarze Galle) – „wenn Furcht und Missmut o anhalten“, aber auch allg. Begriff für „Verrücktheit“ o phrenitis – Krankheit mit Fieber (gr./lat.: Hirnentzündung) o hysterika – durch die Gebärmutter verursachte Leiden o (gr. hystera = lat. uterus = Gebärmutter) o koma – mit Bewusstseinsstörungen (lat. tiefer Schlaf) Mittelalter Krankheit wurde oft als Strafe Gottes angesehen, jedoch war Wahnsinn von „Besessenheit“ abgegrenzt – wer dem Glauben treu blieb, für den war die Medizin zuständig Krankheitstheorien bezogen sich auf die Antike mittelalterliche Visionsberichte, unterschiedliche Interpretationen: Krankheit, religiöse Inspiration, dämonische Besessenheit Renaissance Hexenverfolgung: Disziplinierungsinstrument der Kirche → weder Täter noch Opfer waren psychisch krank! Begriff des Narren (=Außenseiter) o Unterschied zwischen natürlichen Narren (evtl. Behinderte) und berufsmäßigen (Hof-)Narren o Aussetzen von Hierarchien und Ausleben von Emotionen in Fastnachtsbräuchen und Narrenzünften PF der Begriff des Delir[ium]s kommt auf (= tiefgreifende, akute Verwirrtheit) Schwerpunkt der Behandlung: die Melancholie Grundlagen: die Humoralpathologie/Säftelehre aus der Antike und die Temperamentenlehre, daraus entstehen komplexe Krankheitserklärungen 1 Einteilung der Psyche in o Körperseele, zuständig für: Sensorik, Bewegung, Wahrnehmung, Verstand, Gedächtnis o Geistseele, zuständig für: Vernunft, Urteilskraft, Ethik, freier Wille Behandler: Bader und Barbiere, Medizinalienhändler, Alchimisten, aber auch erste Organisationen von medizinischen Berufen Mittel: Diäten, Lebensführung, Schröpfen, Drogen wie Kampfer, Belladonna, Digitalis u.a. Behandlungsorte: nicht jeder „Verrückte“ landete unbedingt im Narrenhaus oder Spital – allerdings wurden arbeitsunfähige, familienlose, gewalttätige und hilflose Personen zwangsweise „untergebracht“ Barock und Aufklärung naturwissenschaftliches Weltbild wird zum Standard psychisches Leid bei leichten und schweren Störungen wurde immer mehr als Folge von Störungen der Nervensubstanz angesehen neue Klassifikationen psychischer Krankheiten wurden eingeführt, bei manchen gab es aber auch noch theologische Interpretationen Behandler: immer mehr in Universitäten ausgebildete Mediziner Behandlungsorte: Tollhäuser (Mischung von Asyl u. Gefängnis) mit Kriminellen, Obdachlosen, Bettlern, Behinderten; außerdem: Familienpflege und Privatanstalten Milieutherapie: Ruhe, Disziplin, moderate Arbeitstätigkeit (strikt pädagogisch) 19. Jahrhdt. Tuke schuf im engl. York eine Einrichtung zum Moral treatment: verstehende, wohlwollende Grundhaltung; seelsorgerisches Gespräch; Arbeit in der Natur; aber auch: Gehorsam, Furcht vor Strafe in Halle/Deutschland prägte Reil den Ausdruck der „Irrenden“ und verwendete als erster wieder den Begriff „Psychiatrie“ das Weltbild wird säkularisiert, naturalisiert und (endgültig) verwissenschaftlicht Beginn der Anstaltspsychiatrie, d.h. die kirchliche Armenpflege erhielt Konkurrenz durch staatliche Sozialpolitik: Ordnungs- und Fürsorgeprinzip, aufklärerisches Heilinteresse Debatten zur Irrengesetzgebung → Unterbringungsrecht massiver Anstieg der Pat.zahlen (wg. Zerfall von Familienstrukturen, aber auch Alkohol- und Syphiliserkrankte) 3 Heilverfahren (ebenfalls nach REIL): o Mittel wie Ermahnungen und Belehrungen, die „auf das Gemeingefühl wirken“ o Reize: angenehme (Massagen, Wein, Sexualität) und unangenehme (Hunger, Durst, Peitschen mit Brennesseln) o symbolische Mittel (Theater, Musik, Poesie) andererseits: Zwangsbehandlung bei Uneinsichtigen sei „unverzichtbar“ anfangs gab es eine Trennung in Heilanstalten (für „heilbare“ Erkrankte) und Pflegeanstalten, (für Unheilbare), diese wurden später zusammengeführt Mediziner sollte Arzt der Seele und Arzt des Körpers sein: Leib/Seele-Problem – Streit um Ursachenmodelle 20. Jahrhdt. seit 1900 „Bettbehandlung“ von psychisch Kranken Familienpflege (mit „nachgehender Fürsorge“ = Beratung) nach dem 1. Weltkrieg: „Kriegszitterer“ invasive Verfahren (krampfauslösende Therapien) 2 Anfänge der Sozialpsychiatrie im Rahmen der Arbeiter- und Frauenbewegung o zunächst private Initiativen und Vereine o Gründung von Beratungsstellen: Anlaufstellen für Berufs-, Arbeits-, Erziehungs-, aber auch z.B. Sexualberatung o Alice Salomon gründete 1908 in Berlin die erste „Soziale Frauenschule“ → Emanzipation, Bildung, soziale Sicherung für Frauen, förderte die Professionalisierung der Wohlfahrtspflege Nationalsozialismus: o fast 300.000 Ermordungen von behinderten und psychiatrischen Patient:innen, darunter bis zu 10.000 Kinder o an dieser „Ausrottungspolitik“ gegenüber angebl. „minderwertigen“ und „lebensunwerten“ Menschen war die deutsche Psychiatrie (ab 1938 auch in Österreich) mitbeteiligt o 1933: Gesetz z. Verhütung erbkranken Nachwuchses → Zwangssterilisationen an Behinderten und psychisch Kranken o daneben wurden jüdische Mediziner:innen verfolgt und jüdische Patient:innen von der Wohlfahrt ausgeschlossen (aus „rassischen“ Gründen) o für „erbkrank“ erklärten wurden Menschen mit: „angeborenem Schwachsinn“, Schizophrenie, „manisch-depressivem Irresein“, „erblicher Fallsucht“ (= Epilepsie), erblicher Blindheit, erblicher Taubheit, schwerem Alkoholismus, schwerer körperlicher Missbildung Nachkriegszeit: o erste Entwicklung von Psychopharmaka in den 1950er Jahren, ihre Verbreitung erfolgte in den 1960ern (Neuroleptika, Antidepressiva, Tranquilizer): ▪ 1949 Lithium (antimanisch) ▪ 1952 Chlorpromazin/Thorazin (antipsychotisch) → Neuroleptikum = Antipsychotika ▪ 1957 Imipramin/Tofranil (antidepressiv) ▪ 1958 Haloperidol/Haldol (Neuroleptikum) ▪ ab den 1960ern Benzodiazepine/Valium u.a. (Sedativum, Anxiolytikum, auch: antiepileptisch) → Panik, Krämpfe, Ängste o diese Möglichkeit der Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen war ein wichtiger Baustein in der Entwicklung der Sozialpsychiatrie und der Gemeindepsychiatrie Sozialpsychiatrie PF 1. Als Bewegung 2. Zur Versorgung lang andauernder Krankheiten 3. Als wissenschaftliche Disziplin Österreich: Psychiatriereform 1979 in Wien mit Gründung der Psychosozialen Dienste/PSD ab den 1990ern: Konzept der „Kommunikation gleichberechtigter Partner“: Trialog (Patient:innen, Angehörige und Therapeut)innen→ Tetralog (+ Vertreter:innen der Zivilgesellschaft)→ Pentalog (+ Vertreter:innen von Behörden) Arbeitsbereiche: o Soziotherapie/Milieutherapie, Gemeindepsychiatrie, soziales Netzwerk, Angehörigenarbeit, soziale Folgen von psych. Krankheiten o Rehabilitation, Selbsthilfe, Empowerment, Recovery PF o Epidemiologie: Lehre der quantitativen Erforschung von Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen 3 Gemeindepsychiatrie = praktizierte Sozialpsychiatrie ambulante und lebensweltorientierte Angebote für psychisch erkrankte Menschen und ihre Familie, die die sozialen Ursachen psychischer Erkrankungen in den Fokus nehmen Interventionen zur sozialen Integration von schwer psychisch kranken Menschen in deren unmittelbarem Wohn- und Lebensumfeld schwere psychische Krankheiten sind: o Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis o schwere affektive Störungen o schwere Persönlichkeitsstörungen o schwere Angst- und Zwangserkrankungen Säulen: o Prävention o Akut- und Krisenbehandlung o rehabilitative Ansätze o Empowerment-Prozesse müssen Bestandteil solcher Interventionen sein Prinzipien: o multiprofessionelle Teams (wie z.B. PSD) o wohnortnah o erforderlichenfalls aufsuchend behandeln, das heißt: Hausbesuche o permanente und zeitnahe Verfügbarkeit (z.B. über Hotlines, Notrufe) Bausteine der psychiatrisch/psychotherapeutischen gemeindenahen Versorgung: o niedergelassene Fachärzt:innen o niedergelassene Psychotherapeut:innen und Psycholog:innen o PSD (Psychosozialer Dienst) und gerontopsychiatrische Zentren o spezielle Spitalsambulanzen z.B. ADHS-Ambulanz im AKH Wien o Kontakt- und Beratungsstellen o Tageskliniken o stationäre Einrichtungen o psychiatrische Kliniken (meist regionalisiert, aber auch spezialisierte Abteilungen) o psychotherapeutische Kliniken o Wohnen und Arbeiten sind Grundbedürfnisse in einer sozialen Gemeinschaft ▪ Verringerung von stationären Aufenthalten und Reduzierung der Aufenthaltsdauer ▪ verbesserte Sozialkontakte ▪ größere Zufriedenheit der Betroffenen o beschützte Wohnangebote und Tagesstätten: betreutes Einzelwohnen (voll- oder teilbetreut), betreute Wohngruppen (voll- oder teilbetreut), Wohn- und Pflegeheime, Übergangseinrichtungen, Familienpflege o Teilhabe am Arbeitsleben, zwei Varianten: 1. Supported Employment (SE) → “first place, then train“ 2. Pre-vocational Training (PVT) → “first train, then place“ (hier wird nicht primär die Eingliederung am 1. Arbeitsmarkt angestrebt) Recovery = Wiederherstellung, Wiedergesundung hebt das Genesungspotenzial der Betroffenen hervor: persönlicher Prozess, Hoffnung, Selbstbestimmung / Empowerment, soziale Integration, Problemlösekompetenz (in Österreich mit Dr. Michaela Amering/AKH Wien verbunden) 4 Soziotherapie bedeutet: alle therapeutischen Maßnahmen, die die zeitliche, räumliche und persönliche Strukturierung des therapeutischen Kontexts in Institutionen und eine Gestaltung des täglichen Lebenskontexts des Patienten zum Ziel haben versucht eine Atmosphäre zu schaffen, die sich auf Heilungsvorgänge förderlich auswirkt ist eine wesentliche Rahmenbedingung für Psychotherapie oder medikamentöse Behandlung Zentrale Wirkmechanismen sind interpersonelle Unterstützung und Förderung, manchmal gibt es fließende Übergänge zu psychotherapeutischen Programmen Fokus auf Heilung Unterscheidung Psy-Berufe: Psychiater:in: Fachärzt·innen für Psychiatrie, d.h. abgeschlossenes Studium der Humanmedizin + Facharztausbildung o Aufgaben: Prävention, Diagnostik und Behandlung, Rehabilitation sowie fachspezifische Begutachtung von psychischen Krankheiten, Störungen und Verhaltensauffälligkeiten o Ausbildung: ca. 6 Jahre Studium + Turnus + 6 Jahre FA-Ausbildung Neurolog:in: FÄ für Neurologie o Aufgaben: Prävention, Diagnostik und Behandlung sowie Rehabilitation von primären und sekundären Erkrankungen und Funktionsstörungen des zentralen, peripheren und vegetativen Nervensystems sowie der Muskulatur o Ausbildung: ebenfalls ca. 6 Jahre Studium + Turnus + 6 Jahre FA-Ausbildung Psycholog:in: befassen sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung von psychischen Strukturen und Prozessen und der Erforschung des menschlichen Verhaltens sowie mit der praktischen Anwendung der dabei gewonnenen Erkenntnisse o Tätigkeiten: psychologische Diagnostik, Zeugnisse, Gutachten, Prognosen und Beratung, o Ausbildung: Diplom- oder Masterabschluss (Uni, FH, PH) + Spezifikation durch Weiterbildung, z.B. zur klinischen Psycholog:in oder zur Gesundheitspsycholog:in Psychotherapeut:in: o Aufgaben: Behandlung von psychosozialen oder psychosomatisch bedingten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen (nach dem Psychotherapiegesetz) o Ausbildung: Voraussetzungen: Matura und Quellberuf im medizinischen, pädagogischen oder sozialen Bereich; Propädeutikum: theoretischer Teil (mind. 765 Std.) + praktischer Teil (mind. 550 Std.); Fachspezifikum: theoretischer Teil (mind. 300 Std.) + praktischer Teil (mind. 1.600 Std.) (traditionelle Ausbildungsträger sind Vereine (ÖAGG, ÖGVT u.v.m.), aber die Ausbildung kann auch im universitären Bereich abgelegt werden, z.B. SFU, Donau- Uni Krems, FH Kärnten) → 23 in Österreich anerkannte psychotherapeutische Methoden Soziale Arbeit in der Psychiatrie: o Settings: auf der Akutpsychiatrie, in anderen stationären Settings (Tagesklinik, Psychotherapiestationen), Beratungsstellen, Wohneinrichtungen, Tagesstrukturen, Behörden, in der Erwachsenenvertretung und Patientenanwaltschaft, in allen anderen Bereichen der Sozialen Arbeit (da Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen die Herausforderungen des Lebens häufiger schwerer meistern), in der Planung der psychiatrischen Versorgungslandschaft, Forschung und Lehre 5 Psychiatrische Gesundheits- und Krankenpflege: o die Arbeit in Psychiatrien unterscheidet sich wesentlich von anderen Bereichen der Gesundheits- und Krankenpflege: Betreuung und Pflege von Menschen mit psychischen Störungen, evtl. aufgrund von neurologischen Erkrankungen, Gesprächsführung, psychosoziale Betreuung, Rehabilitation und Nachbetreuung Dimensionen von Gesundheit: WHO: „Gesundheit ist ein Zustand des vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens – und nicht allein das Fehlen von Krankheit.“; Kriterien: körperlich (= somatisch), seelisch (= psychisch), sozial, ökonomisch, Selbsthilfefähigkeit Medizinischer Krankheitsbegriff: o subjektive Störung des Wohlbefindens o quantitative oder qualitative Störung der elementaren Lebensvorgänge und - funktionen (z.B. beschleunigter Puls, Bluthochdruck, eingeschränktes Sehvermögen usw.) o objektivierbare (d.h. sicht- oder messbare) Veränderung der anatomischen Form oder von elektrochemischen Vorgängen (z.B. Knochenbruch bzw. Herzrhythmusstörungen) psychiatrischer Krankheitsbegriff: Beurteilung von Krankheitszuständen und Störungen nach den Aspekten von: 1. Leiden: wer Schmerzen, Verluste und/oder Funktionseinbußen erleidet und/oder 2. Versagen: wer in der Bewältigung der gegebenen (nicht allzu extremen) Verhältnisse versagt und/oder 3. Beziehungsfähigkeit: wer infolge seines hochgradigen Andersseins nicht in lebendigen Kontakt und Austausch tritt – oder treten kann ➔ Das „Normale“ ist nicht gleichzusetzen mit „gesund“ – ebenso wenig ist jede Normabweichung gleich „krankhaft“! ➔ Das „Normale“ orientiert sich an einer gesellschaftlich festgelegten Durchschnittsnorm Psychopathologischer Status: psychopathologischer Befund stellt das Ergebnis einer psychiatrischen PF Untersuchung sowie die Grundlage für diagnostische Entscheidungen und therapeutische Maßnahmen dar (Befunderhebung anhand Merkmalen); Merkmalsbereiche: Äußeres Erscheinungsbild (Kleidung, Körperpflege, Gestik, Mimik, Physiognomie) Verhalten in der Untersuchungssituation (Auskunftsbereitschaft, Kooperation, (Dis)Simulation, interaktionelles Verhalten) Sprechverhalten und Sprache (Klang, Sprachverständnis, Sprechstörungen, …) Bewusstsein (-minderung, -eintrübung, -einengung, -verschiebung) Orientierung (zeitlich örtlich, situativ, zur eigenen Person) Aufmerksamkeit und Gedächtnis (Auffassungs-, Konzentrationsstörungen, Kurz- und Langzeitgedächtnis) Formales Denken (= Ductus; Verlangsamung, Hemmung, umständliches, eingeengtes Denken, Grübeln, Ideenflucht, Vorbeireden, Gedankenabreißen, Neologismen, …) Inhaltliches Denken (nicht wahnhaft: Zwang Phobien, überwertige Ideen; wahnhaft: formale und inhaltliche Wahnmerkmale) Sinnestäuschung (Illusionen, Halluzinationen) Ich-Störung (Derealisation, Depersonalisation, Gedankenausbreitung, -entzug, -eingebung, andere Fremdbeeinflussungserlebnisse) 6 Affektivität (Ratlosigkeit, affektarm, -starr, depremiert/depressiv, hoffnungslos, ängstlich, euphorisch, gereizt, unruhig, gesteigertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Verarmungsgefühle, ambivalent, affektlabil, …) Antrieb und Psychomotorik (antriebsarm, -gehemmt, -gesteigert, motorisch unruhig, Katatonie, Raptus, bizzar, mutistisch, theatralisch,…) Zirkadiane Besonderheiten (Morgen-, Abendtief) Sozial- und Krankheitsverhalten (Krankheitseinsicht, -gefühl, Ablehnung der Behandlung, sozialer Rückzug, soziale Umtriebigkeit) Aggressives Erlebens- und Verhaltensmuster (Aggressivität, Selbstbeschädigung, Suizidalität) Dissoziative Symptome (z.B. Amnesie, Trance, Lähmung, Fague) Somatische Symptome (z.B. Insomnie, Appetitverlust, Tremor, Impotenz) Begrifflichkeiten: Epidemiologie = Lehre von den Ursachen und Folgen bestimmter Krankheiten, nicht nur PF Epidemien [= Seuchen!] sowie deren Häufigkeit und Verbreitung, also mit allen Aspekten der Volksgesundheit Inzidenz = (erstmaliges) Auftreten von Krankheiten o Inzidenzrate: oft angegeben als Anzahl der Neuerkrankungen pro Jahr pro 100.000 Ew.; Inzidenz von Todesfällen = Mortalität Prävalenz = Krankheitshäufigkeit, Fälle zu einem bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum o Punktprävalenz (an einem Stichtag) o Periodenprävalenz – in einem bestimmten Jahr, im gesamten Leben (der untersuchten Gruppe, „im Alter“ usw.) 7 PF PF Klassifikationssysteme in der Psychiatrie und Psychotherapie: DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) erstellt von der APA (American Psychiatric Association) → umfasst nur psychische Erkrankungen! (derzeit aktuelle Fassung: DSM-5 (2013)) ICD (International Classification of Diseases) erstellt von der WHO → für alle Krankheiten (derzeit noch aktuelle Fassung: ICD-10 (seit 2000); ICD-11 2019 verabschiedet, seit 2022 gültig!) ICD DSM kategorial dimensional dient zur Unterscheidung und eindeutigen Diagnose Merkmale befinden sich in einem Kontinuum: – weist ein Pat. nur einige Symptome und nicht alle jemand zeigt keine bis viele Merkmale/ Symptome auf, kann die Diagnose nicht gestellt werden für eine Diagnose Codierung für Spitäler, Psychotherapie, umfangreicher, für Lehre und Ausbildung Krankenkassen auch Forschungsdiagnosen, falls noch nicht ausreichend untersucht (z.B. Computerspielsucht) PF ICD-10: organische Störungen ICD-11: neurokognitive Störungen Prämorbid= vor Ausbruch der Erkrankung Morbid = Krankheitsphase Postmorbid = Behandlung 8 Neurokognitive/ organische Störungen sonstige psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns oder einer körperlichen Krankheit: o Delir o Amnesie o Formen der Demenz o andere organisch bedingte psychische Störungen o Persönlichkeits- und Verhaltensstörung aufgrund einer Erkrankung, Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns; z.B. nach Schädel-Hirn-Trauma, Enzephalitis hier können viele Symptome anderer psychischer Erkrankungen auftreten, z.B. Wahn oder Angst; z.B. bei Hirnläsionen, Hirntumoren, anderen Tumoren (!), Stoffwechselerkrankungen, Tropenkrankheiten u.v.m. Unterscheidung: inhaltliche und formale Denkstörung PF PF o Inhaltlich: z.B. Zwangsgedanken, Phobien, Psychosen, Paranoia (= Wahn, unbeirrbare Gedanken) o Formal: Ductus = Gedankengang (kann auch sehr inkohärent sein → Denkstörung), Gedankenstopp = massive Denkstörung; z.B. bei Manie oft mehrere Gedankengänge, die nicht zu Ende gedacht werden, Perseveration = ständige Wiederholung, Grübeln = Fokussierung auf gewisse Themen/Gedanken, Neologismus = Wortneuerfindung o Körperlich: z.B. Halluzination (= optische Sinnestäuschung) Unterscheidung: PF o Derealisation: Eindruck, dass Umwelt sich verändert (≠ Dissoziation) o Depersonalisation: mangelnde Ich-Grenze ➔ Personen wissen bei beiden, dass nicht der Realität entspricht Delir = Verwirrtheitszustand → entwickelt sich akut, starke Tagesschwankungen Hauptursachen (wenn nicht durch Alkohol ausgelöst): Erkrankungen (auch banale), Exsikkose (Austrocknung), hauptsächlich bei alten Menschen, Medikamente, postoperativ („Durchgangssyndrom“), Ortswechsel bei Dementen neue Unterscheidung im ICD-11: Delir aufgrund einer andernorts klassifizierten Krankheit; Delir durch psychoaktive Substanzen (einschließlich Medikamente), Delir durch multiple ätiologische Faktoren 9 Demenz = abnehmender Verstand oder chronischer Hirnabbau mit dem Verlust früherer Denkfähigkeiten (= chronischer Abbau) → entwickelt sich langsam Formen: Unterschieden wird zwischen 1. degenerativen, primären Demenzen (durch Hirnschädigung) → am häufigsten o z.B. Alzheimer-Demenz (AD) = Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT) = senile Demenz vom Alzheimer-Typ (SDAT) → 2/3 der Betroffenen; vaskuläre Demenz (VD, VAD) → ca. 15% der Betroffenen; weitere 15% gemischt (auch Kombination möglich) o Verlauf: ▪ Demenz vom Alzheimer-Typ stetiger Verlauf (kontinuierlich), führt unbehandelt in 6-15 Jahren zum Tod (aufgrund Folgen der Krankheit, nicht Krankheit selber; Gehirn schrumpft, krankhafte Ablagerung) ▪ Vaskuläre Demenz (gefäßbedingt) setzt plötzlich ein, verschlechtert sich schrittweise, typisch: Schlaganfälle 2. potenziell behebbaren, sekundären Demenzen Demenzen im ICD-11: o Demenz durch Alzheimer-Krankheit o Demenz durch zerebrovaskuläre Krankheit o Demenz durch psychoaktive Substanzen Merkmale: o Abnahme des Gedächtnisses (Rückgang anderer kognitiver Fähigkeiten (Verminderung des Urteils- und Denkvermögens)) / chronisch fortschreitender Hirnabbau mit Verlust früherer Denkfähigkeiten o Beeinträchtigungen des Gedächtnisses und anderer Funktionen des Gehirns o deutliche Beeinträchtigung der Alltagsbewältigung o Persönlichkeitsveränderungen infolge einer hirnorganischen Erkrankung o Fehlen einer Bewusstseinstrübung! o Verminderung von Affektkontrolle, Antrieb und Sozialverhalten o die Symptome dauern mindestens 6 Monate lang an o in höherem Alter die häufigste Ursache von Pflegebedürftigkeit o Hauptrisikofaktor: fortgeschrittenes Alter Schweregrade: o mild/leichtgradig: ▪ Einschränkungen bei Haushaltsverrichtungen + sozialen Aktivitäten ▪ erhalten bleibt die selbständige persönliche Hygiene und Urteilsfähigkeit ▪ häufig: Depressionen o mittelgradig: ▪ selbständiges Leben ist gefährlich, zeitweise Überwachung notwendig ▪ häufig: Verhaltensstörungen o schwer(gradig): ▪ schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit ▪ dauernde Betreuung und Überwachung notwendig ▪ manchmal vollständiger Sprachverlust Denkstörungen und andere Symptome bei Demenzen: o Denkstörungen ▪ Amnesie (Gedächtnisverlust) ▪ Aphasie (Sprachstörungen, Sprachverlust) 10 ▪ Agnosie (Unfähigkeit, Gegenstände und vertraute Menschen wiederzuerkennen) ▪ Apraxie (Unfähigkeit zum Ausüben von motorischen Aktivitäten) o psychiatrische Symptome: Depressionen, Paranoia (= Wahn), Halluzinationen, Angst, Verkennungen der Realität o Verhaltensstörungen ▪ Aggressionen, Impulsivität, Umtriebigkeit, Unruhe, Schlafstörungen ▪ unangemessenes Essverhalten, unangemessenes Sexualverhalten o verbal ▪ verbal nicht aggressiv (wiederholtes Fragen oder Beharren, unartikulierte Geräusche, Klagen, Beschwerden, negative Einstellung, ständig wiederholte Forderungen, ständig wiederholte Hilferufe) ▪ verbal aggressiv (Schreien, Schimpfen, Drohen) o körperlich: ▪ Erscheinungsbild und Verhalten (zielloses Umhergehen, unangemessene Bekleidung, häufig: grundloses Entkleiden, Verstecken von Gegenständen, Bewegungswiederholungen, allgemeine Unruhe, unangemessenes Handhaben von Gegenständen) Hilfe für Betroffene: o frühzeitige Diagnostik + Therapie o Akzeptieren der Diagnose o Einstellen auf Veränderungen o Prognose Therapie: o Antidementiva – schon früh behandeln! ▪ kognitive Störungen ▪ Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) ▪ Sozialverhalten ▪ Antriebsarmut o Antidepressiva ▪ Depressionen o Antipsychotika ▪ Verhaltensstörungen o Milieutherapie: heißt, dass die Umgebung (das Milieu) patientengerecht gestaltet sein und den durch die Demenz bedingten Veränderungen angepasst werden soll ▪ Dazu gehört: Situationsanalyse, Information, Kompensation von Defiziten, Aktivierung vorhandener Ressourcen, Anpassen der Umwelt Umgang mit Dementen: o Kommunikation: keine W-Fragen, ruhig und gelassen bleiben, bejahende Sätze, Notlügen, Kritik vermeiden, Schuld auf sich nehmen, Körpersprache, nicht verbessern/korrigieren o Versorgung: ▪ zu 90% von Angehörigen gepflegt, zu 80% von Frauen ▪ In fortgeschrittenen Stadien ständige Beaufsichtigung notwendig ▪ Zu problematischen Verhaltensweisen kommt die zunehmend notwendige körperliche Pflegebedürftigkeit ▪ Probleme der Angehörigen: körperliche Belastungen, finanzielle Belastungen, soziale Isolation, Zeiteinteilung (Rund-um-die-Uhr-Betreuung) 11 Neuronale Entwicklungsstörungen Intelligenzminderung Einteilung nach Störung der Intelligenzentwicklung o Leicht (IQ 50-69; Sprachverständnis und -gebrauch unterschiedlich verzögert, bis ins Erwachsenenalter; daher beeinträchtigte Entwicklung zur Selbständigkeit; selten organische Ursachen; Begleiterkrankungen möglich: Autismus, Epilepsie, Störung des Sozialverhaltens) → „einfach strukturiert“ o Mittelgradig (IQ 35-49; stark unterschiedliche Leistungsprofile und individuelle Fertigkeiten; auch stark schwankender Sprachgebrauch: zwischen „fähig zu leichten Unterhaltungen“ bis zur Sprachunfähigkeit; Mehrzahl hat organische Ursachen frühkindlicher Autismus oder andere tiefgreifende Entwicklungsstörungen möglich; häufig neurologische und körperliche Behinderungen, Epilepsie) → oft mit organischen Einschränkungen o Schwere und schwerste (IQ 20-34 bzw. 2h vor der gewohnten Zeit) ▪ Morgentief ▪ psychomotorische Gehemmt- oder Agitiertheit (=innere Unruhe) ▪ deutlicher Appetitverlust ▪ Gewichtsverlust (mind. >5% des Körpergewichts im vergangenen Monat) ▪ Libidoverlust → Treten mehrere dieser Symptome gemeinsam auf, spricht man von einem somatischen Syndrom 28 Epidemiologie und Verlauf: o Häufigkeit von leichten Depression nimmt zu (Lebensbedingungen: Familienstrukturen, Leistungsanforderungen) o Erstmanifestation: Häufigkeitsgipfel im 3. Lebensjahrzehnt (50% der Depressionen treten aber davor auf, nach 60a nur noch 10% Neuerkrankungen) o Dauer depressiver Episoden: ~ 6-8 Monate unbehandelt oder länger ▪ mit Medikamenten, Psychotherapie u.a.: ~8-16 Wochen ▪ bei ⅔ heilt die Episode komplett aus ▪ bei ⅓ keine oder nur partielle Besserung o Rezidive wahrscheinlicher bei schwereren Symptomen o häufige Komorbiditäten mit anderen psych. Erkrankungen verschlechtert die Prognose Sonderformen: postpartale Depression, prämenstruelle Depression, saisonale Depression, agitierte Depression, larvierte Depression Ursachen: körperliche Ursache ausschließen! (z.B. Schilddrüsenunterfunktion oder eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse) 29 o Depression tritt als Begleiterkrankung bei vielen anderen Krankheiten auf, z.B. bei Tumoren, Herzkrankheiten, Hypertonie [= Bluthochdruck], … sowie bei Schmerz: → Depression & Schmerz: ein Zwillingspaar!! PF o jede Depression kann auch bipolar werden Behandlung: idealerweise in Kombination: o Facharzt/ärztin ▪ abhängig vom Schweregrad der Depression und damit von der Erreichbarkeit der Patienten/der Patientin ▪ abhängig vom persönlichen Leidensdruck ▪ bei Schwierigkeiten in der Alltagsbewältigung ▪ bei Antriebslosigkeit, innerer Unruhe, Schlafstörungen ▪ bei Suizidalität (dann ist es allerdings auch schon sehr spät, an Medikamente zu denken) ▪ bei schwergradiger Depression mit psychotischen Symptomen (z.B. bei Wahninhalten) o Medikamente – allerspätestens bei mittelgradiger Depression, zusätzlich: Lichttherapie, Wachtherapie, Elektrokrampftherapie (bei Therapieresistenz) ▪ Antidepressiva: wirken meist über eine Erhöhung der Konzentration von Serotonin und/oder Noradrenalin (sowie evtl. auch Dopamin) im synaptischen Spalt → Anzahl der Neurotransmitter im synaptischen Spalt korreliert mit der Stimmungslage → Wirkung von Antidepressiva beruht auf verschiedenen Mechanismen, die die Anzahl der Neurotransmitter im synaptischen Spalt erhöhen ▪ Antidepressiva haben eine „Vorlaufzeit“ von mind. 2 Wochen, bei alten Menschen bis zu 4 Wo., und eine Wirkungssteigerung kann noch bis zur 12. Woche eintreten! 30 ▪ weitere wichtige Unterteilung: in sedierende (= müde machende) und nicht sedierende AD ▪ oft selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), selektive Noradrenalin- und Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRIs) oder Monoaminoxidase-Hemmer ▪ neue Entwicklungen: Einsatz von Antipsychotika als antidepressive Medikation o Psychotherapie ▪ viele verschiedene Ansätze und psychologische Schulen, auch Familien- und Gruppentherapie ▪ Prognose der Akutbehandlung ist günstig ▪ bei Kombination von Pharmako- und Psychotherapie ▪ ⅔ – ¾ zeigen positive Effekte ▪ (bei chronischer Depression ist die Prognose schlechter: Ansprechrate hier nur 40-50%) o Soziotherapie – Unterstützung bei: Freizeitaktivitäten, Tagesstruktur, Sonderform postpartale Depression (Kinderbetreuung u.a.), Entlastung der Familie, finanzielle Belastung der Familie, Reha, berufliche Problematik, Kontakt mit Arbeitgeber o helfende Grundhaltung: ▪ Empathie und Wertschätzung ▪ Umsetzung nicht immer leicht – Beispiele: von wiederholten Klagen („Gejammer“) selbst genervt zu werden, nicht zu starke Identifikation mit Klient/in, positive Haltung behalten!; Gefahr der Gegenübertragung: gereizte, enttäuschte oder ungeduldige Gefühle ▪ Hoffnung vermitteln (Achtung: wenn die eigene Hoffnung schwindet → Supervision!) ▪ Verantwortung übernehmen, Orientierung geben ▪ Info über Erkrankung und Behandlungsmöglichkeiten ▪ subjektives Krankheitskonzept erfragen und berücksichtigen ▪ Ermunterung zu Aktivität und Alltagsstrukturierung Angehörige: o Auswirkung von depressiven Angehörigen auf ▪ die Familienorganisation → Aufgabenverteilung ▪ Familiengrenzen (sozialer Rückzug) ▪ Familienklima (belastete Kommunikation, „aufpassen müssen“ bei Suizidalität) ▪ Zukunft der Familie ▪ partnerschaftliche Kommunikation und Sexualität o Bedürfnisse der Angehörigen: Information, Einbezogensein in die Behandlung, welche Kommunikationsstrukturen sind hilfreich? (Ermunterung statt Druck), Strategien im Umgang mit Krankheitszeichen zur Rückfallverhütung, selbstkompetentes Verhalten o Kinder als Angehörige: altersgerechte Info, „Entschulden“ des Kindes, z.B. Vergleich mit Beinbruch 31 Bipolare Störung ca. 35% frühere Bezeichnung: manisch-depressive Erkrankung → dies ist ein veralteter und auch falscher Begriff denn es gibt keine „manische Depressivität“ – man erlebt entweder Manie oder Depression, daher: bipolar (mit zwei Extrempolen) Depressive und manische bzw. hypomanische Phasen treten nacheinander auf, häufig gibt es dazwischen auch sogenannte Remissionsphasen [= völlig krankheitsfreie Intervalle] Daneben auch „mischbildhafte“ Zustandsbilder (Pat. einerseits depressiv, aber auch dysphorisch [= gereizt/ verstimmt] und aggressiv – passt eher zur hypomanischmanischen Phase Frequenz: o Rapid Cycling: vier oder mehr Umschwünge der Polarität pro Jahr (bei mehreren innerhalb weniger Tage: Ultra Rapid Cycling) o Rapid Cycling (15-20%) hat besonders ungünstige Prognose; entsteht meist erst im späteren Verlauf einer bipolaren Störung o bipolare Störungen häufig unterdiagnostiziert, weil Pat. ihre (hypo)manischen Phasen gar nicht erwähnen – und auch nicht als einschränkend erleben → verspätete Diagnose ist typisch! manische Phase: o gehobene, aber evtl. auch labil-reizbare Stimmungslage o kurze, unerwartet einschießende depressive Verstimmungen, daher → Suizidgefahr o gesteigertes Selbstwertgefühl oder Größenideen o vermindertes Schlafbedürfnis o starker Rededrang o Ideenflucht und das subjektive Erleben von „Gedankenjagen“ o Steigerung zielgerichteter Aktivitäten, verbunden mit psychomotorischer Unruhe o evtl. auch psychotische Symptome o In Manie wird Energie verbraucht, die man nicht hat → anschließend Erschöpfung Unterscheidung: PF o Bipolar I: echte Manie und echte Depression o Bipolar II: nicht ganz so hohe Höhen/Manie → submanisch; stärker ausgeprägte Depression → kann auch Bipolar I werden Behandlung: o medikamentöse Behandlung: ▪ hier: immer Facharzt/Fachärztin hinzuziehen! ▪ gegen die akute manische Phase helfen: Lithium (das einzige Medikament, das gegen Suizidalität wirkt), die meisten atypischen Antipsychotika o psychotherapeutische/beratende Behandlung ▪ familienfokussierte Therapie (wg. high-expressed emotions), Verhaltenstherapie, Balance zw. Empowerment und aktiver professioneller Bindungsarbeit (→ evtl. doch „Nachtelefonieren“) o außerdem: Psychoedukation, soziale Rhythmustherapie (Routine tut wohl!), Stimmungskalender (als App!) Manie Unipolar, ca. 5% 32 Schizophrenien und andere wahnhafte Störungen PF Schizophrenie = Informationsverarbeitungsdefizit (kognitive Defizite, Denkstörung) psychotische Symptome können auch vorkommen bei: PF o Demenz o Delir, insb. beim Alkoholentzugsdelir (optische Halluzination) o Manie (Größenwahn) o schwergradige Depression (Existenz-, Versündigungs-, Schuldwahn) o Paranoia/Wahn o Halluzinationen o zeitweises Auftreten bei schweren Persönlichkeitsstörungen (in Krisen) o isoliert nur als Wahn ohne andere schizophrene Symptome modernere Diagnosekriterien werden zwischen Plus und Minus bzw. Positiv- und Negativsymptomatik unterschieden (nicht wertend zu verstehen!) PF 33 8 Kriterien nach DSM-5: 1. Wahn 2. Halluzinationen „Kerntrias“ 3. desorganisierte Sprache 4. abnormes psychomotorisches Verhalten 5. Negativsymptome 6. beeinträchtigte Kognition 7. Depression 8. Manie Hauptmerkmale (d.h. zur Diagnose erforderlich): o Kerntrias: Wahn, Halluzinationen, desorganisiertes Denken (desorganisierte Sprache) o dazu: gestörte Motorik, Negativsymptome o mind. 2 Hauptmerkmale, davon mind. eines aus der Kerntrias o außerdem Leistungseinbußen (sozial/beruflich) über eine erhebliche Zeitspanne seit Beginn der Störung o dabei müssen ein oder mehrere Funktionsbereiche wie Arbeit, zwischenmenschliche Beziehungen oder Selbstfürsorge deutlich unter dem Niveau vor dem Erkrankungsbeginn liegen o mindestens 6 Monate, Hauptsymptome mind. seit 1 Monat o Ausschluss einer affektiven/schizoaffektiven Störung o bei Autismus: muss Wahn mind. 1 Monat gegeben sein o neu: attenuiertes Psychosyndrom – Prodromalstadium (Prodrom = Vorzeichen, Vorbote) mit abgeschwächt auftretenden psychotischen Symptomen ICD-11: o Schizophrenie, beinhaltet Störungen ▪ des Denkens (Wahnvorstellungen) ▪ der Wahrnehmungen (Halluzinationen) ▪ des Selbsterlebens ▪ der Kognition (z.B. der Aufmerksamkeit) ▪ des Willens (Motivationsverlust) ▪ des Affekts (→ abgestumpfter Gefühlsausdruck) ▪ des Verhaltens (bizarre oder unangemessene Reaktionen) o Daneben können psychomotorische Störungen (inkl. Katatonie) vorliegen o Kernsymptome: ▪ anhaltende Wahnvorstellungen ▪ anhaltende Halluzinationen ▪ Denkstörungen ▪ Erfahrungen von Einflussnahme, Passivität oder Kontrolle o Symptome müssen mind. 1 Monat anhalten o kommen nicht von einer anderen Krankheit o Schizophrenie ▪ Schizophrenie, erste Episode: erfüllt alle Bedingungen einschl. Dauer, aber zum ersten Mal ▪ Schizophrenie, mehrfache Episode: Symptome gehen zwischenzeitlich (evtl. bis auf einige abgeschwächte) deutlich zurück ▪ Schizophrenie, kontinuierlich: über ein Jahr lang fast alle Symptome vorhanden 34 o schizoaffektive Störung ▪ episodische Störung ▪ diagnostische Voraussetzungen einer Schizophrenie und einer manischen, gemischten oder mittelschweren bzw. schweren depressiven Episode innerhalb derselben Krankheitsepisode ▪ unterteilt (wie die Schizophrenie) in: schizoaffektive Störung, erste Episode; schizoaffektive Störung, mehrfache Episoden; schizoaffektive Störung, kontinuierlich Was gibt es noch im ICD-11? o schizotype Störung: dauerhaftes (jahrelanges) Muster von Exzentrizitäten in Verhalten, Aussehen und Sprache, kognitive und wahrnehmungsbezogene Verzerrungen, ungewöhnliche Überzeugungen und Unbehagen in zwischenmenschlichen Beziehungen → entspricht noch nicht einer Schizophrenie – eher wie eine Persönlichkeitsstörung o vorübergehende psychotische Störung, wahnhafte Störung,... o Substanzinduzierte psychotische Störungen, z.B. psychotische Störung, induziert durch Alkohol; psychotische Störung, induziert durch Cannabis usw. o Katatonie: Syndrom primär psychomotorischer Störungen, gekennzeichnet durch das PF gleichzeitige Auftreten mehrerer Symptome einer verminderten, gesteigerten oder abnormen psychomotorischen Aktivität → eine sehr komplexe Störung! HANDELN! Epidemiologie: o weltweit ca. 1% der Bevölkerung o Männer erkranken früher als Frauen o Frauen haben einen zweiten Erkrankungsgipfel o teuerste psychische Erkrankung (vergleichbar mit Volkskrankheiten o wie Herzerkrankungen und Diabetes) Mortalität: o doppelt so hoch wie Allgemeinbevölkerung o Lebenserwartung um 10a geringer o Hauptursache: Suizide bei jüngeren Männern Ursachen: o multifaktoriell (u.a. neuroanatomisch, biochemisch, psychosozial ausgelöst) o genetische Komponente ist belegt, dennoch treten 80% aller Schizophrenien ohne Erkrankungsfälle in der Familie auf o Vererbungsmodus bis dato unklar o Dopamin-Hypothese: prä- und postsynaptische Regulationsstörung des Neurotransmitters Dopamin im limbischen System (Überaktivität) und im Frontalhirn (Unteraktivität) Vulnerabilität-Stress-Coping-Modell: Zusammenwirken einer besonderen Vulnerabilität oder Verletzlichkeit des Individuums und mehr oder weniger unspezifischen Belastungen, die Stress bei diesem Individuum auslösen 35 Ciompi-Modell: betrachtet die Wechselwirkungen zwischen biologisch-körperlichen und psychosozialen Faktoren, angeborenen und erworbenen Faktoren, intrapsychischen und zwischenmenschlich kommunikativen Prozessen, kognitiven und affektiven Prozessen (Denken und Fühlen), strukturellen und dynamischen Aspekten und akut-produktiven und chronisch-unproduktiven Zuständen o 3 Phasen: Phase I – prämorbide Verletzlichkeit [= vor der Krankheit]; Risikofaktoren: 1. Störungen der Informationsverarbeitung, 2. Basisstörungen (Denk-, Sprach-, Wahrnehmungsstörungen etc.) o Phase II – akute psychotische Dekompensation; Akutsymptome: Paranoia, Halluzinationen, Reizüberflutung, massive Angst und großes Misstrauen gegenüber anderen Menschen → stationäre Behandlung, Suizidgefahr o Phase III – langfristige Entwicklungen Persönlichkeitsstörungen Jeder Mensch hat eine Vielzahl von Potenzialen o Die Bevorzugung/Betonung bestimmter Potenziale führt zu bestimmten Eigenschaften o Eigenschaften können Menschen charakterisieren und von anderen unterscheiden und sie werden aus dem Verhalten des Menschen geschlossen o Eigenschaften sind Wertungen unterworfen (können positiv oder negativ gewertet werden) o Spannungen zwischen den Eigenschaften und der Umgebung → erreichen sie ein gewisses Ausmaß, kommt es zur → krisenhaften Zuspitzung → Persönlichkeitsstörung Eigenschaft o Ressource → Hilfsquelle zur Bewältigung von Aufgaben o Störung → Unvereinbarkeit mit der Umgebung manche Verhaltensweisen sind als Überlebensstrategien entwickelt worden Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung o Übergang von der Normalität zur Störung ist fließend o Störung hat eine längere Vorgeschichte o Auf einem Spektrum (Persönlichkeitsakzentuierung) → fließender Übergang zu Persönlichkeitsakzente und auffallende Störung 36 PF Persönlichkeitsstörung = Interaktionsstörung = schwere Störungen der Persönlichkeit und des Verhaltens, die nicht direkt auf eine Hirnschädigung oder Hirnerkrankung oder auf eine andere psychiatrische Störung (z.B. als Folgekrankheit von Demenz) zurückzuführen sind o erfassen verschiedene Persönlichkeitsbereiche und gehen fast immer mit persönlichen und sozialen Beeinträchtigungen einher o Persönlichkeitsstörungen treten meist erstmals in der Kindheit oder in der Jugend in Erscheinung und bestehen während des Erwachsenenalters weiter ➔ Beeinflussen/bedingen sich gegenseitig ➔ Eigene Wahrnehmung ➔ Keine Schübe, sondern durchgehende Störung Epidemiologie: o Häufigkeit wenig erforscht, in D nur eine einzige Studie, danach leiden 9,4% der Ges.bevölkerung an einer P-Störung o in anderen Ländern (US, UK, NO) zw. 4,4 und 14,6% o Anteil unter psychiatrischen Patient:innen ist jedoch weit größer (40-60%) o ängstliche P-Störung am häufigsten, paranoide und schizoide kommen am seltensten vor Geschlechterverteilung wenig geklärt (80% der dissozialen P-Störung werden Männern diagnostiziert, bis zu 80% der Borderline-PSt. im klinischen Bereich sind weiblich Kennzeichen: deutliche Abweichungen (von der Mehrheit der sonstigen Bevölkerung) o im Wahrnehmen, im Denken, im Fühlen und in den Beziehungen zu anderen Menschen o Solche Verhaltensmuster sind meist stabil und beziehen sich auf vielfältige Bereiche des Verhaltens und der psychologischen Funktionen o Hauptkennzeichen: ▪ Interaktionsstörungen = Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Umgang, also der sozialen Interaktion. Dies kann sich unter anderem durch scheues, unsicheres, sozial zurückgezogenes oder auch enthemmtes Verhalten bemerkbar machen 37 ICD-11: o trennt nach Schweregrad und Ausprägung: Leichtgradige/ mittelgradige/ schwergradige Persönlichkeitsstörung o Die Unterteilung des ICD-10 findet sich jetzt hier: ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale oder –muster; negative Affektivität bei P-Störung; Distanziertheit bei P-Störung; Dissozialität bei P-Störung; Enthemmung bei P- Störung; Anankasmus [= Zwanghaftigkeit] bei P-Störung; Borderline-Muster o und sortiert einige Aspekte anders ein: Störungen der Impulskontrolle; das Unvermögen, Impulsen zu widerstehen, was zwar kurzfristig lohnend sein o mag, längerfristig aber Schäden für einen selbst oder andere bedeutet, z.B. Kleptomanie, Pyromanie, zwanghaftes Sexualverhalten, intermittierende explosive Störung; disruptives Verhalten und dissoziale Störungen spezifische Unterformen (nach ICD-10): o paranoide Persönlichkeitsstörung ▪ übertriebene Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung ▪ Nachtragen von Kränkungen ▪ Misstrauen ▪ die Neigung, Erlebtes zu verdrehen (neutrale oder freundliche Handlungen anderer werden als feindlich oder verächtlich missdeutet) ▪ wiederkehrende unberechtigte Verdächtigungen bzgl. der sexuellen Treue des Partners ▪ streitsüchtiges und beharrliches Bestehen auf eigenen Rechten ▪ überhöhtes Selbstwertgefühl, übertriebene Selbstbezogenheit o schizoide Persönlichkeitsstörung ▪ Rückzug von affektiven, sozialen und anderen Kontakten ▪ übermäßige Vorliebe für Phantasie ▪ einzelgängerisches Verhalten ▪ in sich gekehrte Zurückhaltung ▪ Es besteht nur ein begrenztes Vermögen, Gefühle auszudrücken und Freude zu erleben o dissoziale (antisoziale) Persönlichkeitsstörung ▪ Missachtung sozialer Verpflichtungen ▪ Herzlosigkeit, Fehlen von Gefühlen für andere ▪ erhebliche Diskrepanz zwischen dem Verhalten und den herrschenden sozialen Normen ▪ Verhalten scheint durch nachteilige Erlebnisse (inkl. Strafe) nicht änderungsfähig ▪ geringe Frustrationstoleranz ▪ niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten o emotional instabile Persönlichkeitsstörung → Impulskontrollstörung ▪ deutliche Tendenz, Impulse ohne Berücksichtigung von Konsequenzen auszuagieren ▪ unvorhersehbare und launenhafte Stimmungen ▪ Neigung zu emotionalen Ausbrüchen ▪ Unfähigkeit, impulshaftes Verhalten zu kontrollieren ▪ Tendenz zu streitsüchtigem Verhalten und zu Konflikten mit anderen, insbesondere, wenn impulsive Handlungen durchkreuzt oder behindert werden 38 ▪ Erscheinungsformen können unterschieden werden: 1. ein impulsiver Typus, vorwiegend gekennzeichnet durch emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle 2. ein Borderline-Typus, zusätzlich gekennzeichnet durch: Störungen des Selbstbilds (können sich nicht selbst beschreiben), der Ziele und der inneren Präferenzen, ein chronisches Gefühl von Leere, Angst verlassen zu werden, manipulatives Verhalten, intensive, aber unbeständige Beziehungen und eine Neigung zu selbstdestruktivem Verhalten mit parasuizidalen Handlungen und Suizidversuchen o histrionische Persönlichkeitsstörung (früher „hysterisch“) ▪ oberflächliche und labile Affektivität ▪ Dramatisierung; theatralischer, übertriebener Ausdruck von Gefühlen ▪ Suggestibilität (Beeinflussbarkeit) ▪ Egozentrik; Mangel an Rücksichtnahme ▪ Genusssucht ▪ erhöhte Kränkbarkeit ▪ dauerndes Verlangen nach Anerkennung, äußeren Reizen und Aufmerksamkeit ▪ Im Hintergrund Leid o dependente [=abhängige] Persönlichkeitsstörung: → leise, kraftlos ▪ verlassen sich bei (kleineren oder auch größeren) Lebensentscheidungen passiv auf andere Menschen ▪ große Trennungsangst ▪ Gefühle von Hilflosigkeit und Inkompetenz ▪ eine Neigung, sich den Wünschen anderer (vor allem älterer) Menschen unterzuordnen ▪ Versagen gegenüber den Anforderungen des täglichen Lebens ▪ Die Kraftlosigkeit kann sich im intellektuellen/emotionalen Bereich zeigen; bei Schwierigkeiten besteht die Tendenz, die Verantwortung anderen zuzuschieben ▪ Unbewusst manipulativ o ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung ▪ leise, angespannt, besorgt ▪ generalisierte Angst ▪ Unsicherheit und Minderwertigkeit ▪ andauernde Sehnsucht nach Zuneigung und Akzeptiertwerden ▪ Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisung und Kritik mit eingeschränkter Beziehungsfähigkeit ▪ neigt zur Überbetonung potenzieller Gefahren oder Risiken alltäglicher Situationen bis zur Vermeidung bestimmter Aktivitäten o anankastische [=zwanghafte] Persönlichkeitsstörung ▪ Gefühle von Zweifel ▪ Hang zum Perfektionismus ▪ übertriebene Gewissenhaftigkeit ▪ ständige Kontrollen ▪ Halsstarrigkeit, Vorsicht und Starrheit ▪ Es können beharrliche und unerwünschte Gedanken oder Impulse auftreten, die nicht die Schwere einer Zwangsstörung erreichen 39 o kombinierte u. andere Persönlichkeitsstörungen ▪ Persönlichkeitsstörungen, die oft zu Beeinträchtigungen führen, aber nicht die spezifischen Symptombilder der oben einzeln beschriebenen Störungen aufweisen. Daher sind sie häufig noch schwieriger als diese zu diagnostizieren ▪ Beispiele: kombinierte Persönlichkeitsstörungen mit Merkmalen aus verschiedenen der oben aufgeführten Störungen, jedoch ohne ein vorherrschendes Symptombild (das eine genauere Diagnose ermöglichen würde) ▪ störende Persönlichkeitsänderungen, die nicht genau einzuordnen sind und häufig Zweitdiagnosen zu einer bestehenden Affekt oder Angststörung sind ev. DSM-5: Trennung in laute, leise und bizarre Persönlichkeitsstörungen PF o Cluster A: paranoide und schizoide Persönlichkeitsstörungen → bizarr charakteristische Merkmale: ▪ seltsames, exzentrisches Verhalten ▪ ausgesprochene Affektarmut, Gefühlskälte ▪ Misstrauen bis hin zum Gefühl der Bedrohung und paranoiden Vorstellungen ▪ fehlender zwischenmenschlicher Kontakt o Cluster B: antisoziale, Borderline-, histrionische und narzisstische Persönlichkeitsstörungen → laut charakteristische Merkmale: ▪ Impulsivität im affektiven Bereich aus mehr oder minder gravierenden Anlässen ▪ übermäßig starke Wut und Unfähigkeit, diese Wut zu kontrollieren ▪ Tendenzen zu Selbstbeschädigung bzw. Suizidversuchen ▪ Tendenzen zur Fremdgefährdung, vor allem bei der antisozialen und narzisstischen Persönlichkeitsstörung ▪ wenig ausgeprägtes Selbstwertgefühl mit Empfinden von Wut, Scham und Demütigung bei berechtigter und unberechtigter Kritik ▪ schneller Wechsel zwischen Idealisierung und Entwertung von nahestehenden Personen (schwarz/weiß) ▪ Probleme beim Regulieren von Nähe und Distanz zu anderen Menschen ▪ Unbewusste Spaltung (von Teams) o Cluster C: vermeidend-selbstunsichere, dependente und zwanghafte Persönlichkeitsstörungen (dazu kommen im DSM-5 „andere spezifische PS“: die depressive und die passiv-aggressive PS) → leise (ängstlich) charakteristische Merkmale: ▪ leichte Verletzbarkeit durch Kritik und Ablehnung ▪ Übertreibung potenzieller Probleme, körperlicher Gebrechen oder Risken ▪ dauerndes Angespannt- und Besorgtsein ▪ Gefühl der Hilflosigkeit und Abhängigkeit ▪ massive Trennungsängste ▪ übermäßige Gewissenhaftigkeit und fehlende Flexibilität ▪ passive Aggressivität ➔ am häufigsten Kombination aus lauter und leiser Persönlichkeitsstörung 40 Borderline- Persönlichkeitsstörung (als ausgewähltes Beispiel) Menschen mit Borderline-Störungen bringen auf der Suche nach eindeutigen Beziehungen alles durcheinander seelische Krankheiten haben einen sozialen und einen interaktionellen Aspekt: o seelische Krankheiten wirken sich auf den Umgang des Betroffenen mit seiner Umgebung aus UND die Reaktion der Umgebung wird moduliert o und zwar: die langfristige Gestaltung der Beziehung!, Nähe/Distanz, Konsensbildung, Vertragsfähigkeit weitere Merkmale der Borderline-Störung o starke Affektabhängigkeit der Wahrnehmung o Tendenz zur einseitigen Bewertung (Schwarzweiß-Denken) o selten wird der Kontakt wegen der Borderline- Symptomatik aufgenommen, sondern wegen der Begleitsymptome o Beeinflussung der Kommunikation und sozialen Kompetenz o Spaltung (von Teams, von Professionellen) o projektive Identifizierung Kennzeichen: o Suizidalität und Fremdgefährdung: ▪ Suizidversuche oder Androhungen ▪ Bedrohung oder Angriffe auf andere ▪ Selbstverletzungen o Störung der Verhaltenskontrolle und des emotionalen Erlebens: ▪ Substanzabhängigkeit oder schwerwiegender Missbrauch ▪ Hochrisikoverhalten ▪ akute Schwierigkeiten mit der Justiz (z. B. Verhaftungen) ▪ störungsbedingte Arbeits- oder Wohnungslosigkeit ▪ aktuell anhaltende Traumatisierung o Gefährdung der Therapie: ▪ Inanspruchnahme von psychiatrischen Ambulanzen oder Intensivstationen wegen psychischer Probleme ▪ ungeplante stationäre Aufnahme ▪ Unfähigkeit, Psychotherapie aufrecht zu erhalten Umgang mit Personen mit Borderline-Störung o Bislang sind alle Therapieversuche gescheitert („aktive Passivität“, was können Betroffene selbst beitragen?) o Diskrepanz zwischen persönlichem Eindruck und Vorinformation ▪ Tendenz der Betroffenen, negatives Material auszublenden 41 ▪ „scheinbare Kompetenz“ (Kompetenz stark abhängig von emotionalen Schwankungen) ▪ wichtig: nach Vorerfahrungen fragen! (Helfer:in signalisiert Offenheit mit Geschichte) o Loyalitätskonflikte: häufig werden den Helfer:innen bekannte Personen kritisiert/bewertet (sind im Rahmen der Beziehung auch negative Aspekte besprochen worden? geht das in der gegenwärtigen Helferbeziehung überhaupt?) o der/die Betroffene wirkt bedrohlich und unsympathisch ▪ Helfer:in muss oft gegen eigene Widerstände ankämpfen oder auch Angst kontrollieren ▪ Betroffene haben oft einen Mangel an sozialer Kompetenz, wollen vor zu viel Nähe ablenken ▪ Beziehungsaufnahme fußt auf Klärung der gegenseitigen Motivation o Traumatisierung ▪ Gefahr groß, dass Helfer∙innen der „Faszination“ des Traumas erliegen, da die Einteilung in Gut/Böse oder Opfer/Täter uns die Solidarisierung erleichtert ▪ Achtung: Re-Traumatisierung! ▪ viele Themen: Klärung und Therapievertrag! (Therapievertrag: Klärung der Motivation, Bedeutung der gegenseitigen Offenheit, Vereinbarung zum Umgang mit therapiegefährdendem Verhalten, Heraushebung der Eigenverantwortung der Betroffenen) o Unrealistische Forderungen an Helfer:innen ▪ Tendenz der Betroffenen, Beziehung kontrollieren zu wollen (anfangs Erleichterung, jedoch auf Kosten möglicher Fortschritte) ▪ kann sich zum therapiegefährdendem Verhalten entwickeln ▪ Helfer:in muss auf jeden Fall auch an sich selbst denken! o Tabuisierung bestimmter Themen → Offenheit! Trauma, Krise, Anpassungsstörung, Reaktion auf schwere Belastung Trauma → verändert Stimmung und Denken PF Traumafolgestörungen o Anpassungsstörungen (länger andauernd; viele andere Störungen, z.B. Angst, Depression, somatoforme Störungen; am Häufigsten) o posttraumatische Belastungsstörung/PTBS (länger andauernd, aber nicht dauerhaft; ungewöhnlicher) o dissoziative Störungen (noch ungewöhnlicher) o komplexe PTBS (meiste Einschränkung, jahrzehntelang) o sind nur einige Traumafolgestörungen, ebenso kommen aber auch vor: ▪ Angststörungen (Panik und GAD) ▪ Depression ▪ Zwang ▪ Aggressivität ▪ somatoforme Störungen und Substanzkonsum Typologie traumatischer Ereignisse: PF o Zufällig oder menschengemacht o Alleine oder gemeinsam erlebt o Medizinisch: akut/chronisch oder Kunstfehler 42 Reaktionen auf schwere Belastungen: akute Belastungsreaktion vorübergehende Störung als Reaktion auf außergewöhnliche physische/psychische Belastung unmittelbarer und klarer zeitlicher Zusammenhang zwischen einer ungewöhnlichen Belastung und dem Beginn der Symptome: Reaktion beginnt binnen weniger Minuten oft beginnend mit einer „Betäubung“, Bewusstseinseinengung und eingeschränkter gemischtes und gewöhnlich wechselndes Bild: zuerst Zustand der „Betäubung“, dann Depression, Angst, Ärger, Verzweiflung, Überaktivität und Rückzug, aber: kein Symptom herrscht lange vor Aufmerksamkeit, Desorientiertheit und der Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten meist vegetative Zeichen panischer Angst (Herzrasen, Schwitzen und Erröten) Symptome = rasch rückläufig (spätestens nach wenigen Stunden, wenn Entfernung aus belastender Umgebung möglich ist), Abklingen der Symptome nach 24-48 Stunden, nach 3 Tagen meist nur noch minimal vorhanden Ist ein Mensch einer akuten Belastung ausgesetzt, so ist es durchaus gerechtfertigt, bestimmte Belastungsreaktionen darauf zu zeigen. Genau das muss man dem Klienten klarmachen und ihm helfen, die Belastung zu bewältigen (z.B. Trauerarbeit bei Verlust eines geliebten Menschen, unerfüllbare Forderungen von Eltern, Schulwechsel…) Interventionsform = Krisenintervention → sehr stark lösungsorientiert (Lösungen vermitteln!) Anpassungsstörungen neue oder geänderte Situation (z.B. schwere körperliche Erkrankung) kann nicht bewältigt werden; dabei sind evtl. alle möglichen Gefühle gestört; auch das Sozialverhalten kann betroffen sein die individuelle Disposition [= Veranlagung] bzw. Vulnerabilität [= Anfälligkeit] spielen eine größere Rolle als bei anderen Krankheitsbildern in dieser Gruppe wichtig: das Krankheitsbild wäre OHNE die Belastung nicht entstanden Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung behindern üblicherweise soziale Funktionen und Leistungen treten während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auf beginnen oft mit „Betäubung“, Bewusstseinseinengung und eingeschränkter Aufmerksamkeit, Desorientiertheit und der Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten mögliche Auslöser: o Trauerfall oder Trennung o Emigration oder Flucht o Entwicklungsschritte oder Krisen (Elternschaft, Schulwechsel, Pensionierung, Misserfolg) Anzeichen: o depressive Stimmung, Angst, Sorge, Grübeln, Hilflosigkeitsgefühl, Einschränkungen beim Bewältigen täglicher Routineaktivitäten (oder eine Mischung von diesen) o bei Jugendlichen evtl. Störungen des Sozialverhaltens (z.B. aggressives oder dissoziales Verhalten); bei Kindern häufig regressive Phänomene (z.B. Wiederauftreten von Bettnässen, Babysprache, Daumenlutschen) o klingen innerhalb von 6 Monaten ab o sorgfältige Bewertung folgender Komponenten notwendig: Art, Inhalt und Schwere der Symptome, Anamnese und Persönlichkeit, belastendes Ereignis, Situation oder Lebenskrise (MUSS vorhanden sein!!!) 43 o wenn die Belastung gering war oder ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Symptomen und dem belastenden Ereignis nicht nachgewiesen werden kann, handelt es sich um KEINE Anpassungsstörung! PF posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Betroffene:r war einem oder einer Serie von extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignissen ausgesetzt verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem Menschen tiefe Verzweiflung hervorrufen würde Kennzeichen: o typisch: wiederholtes Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Flashbacks = Nachhallerinnerungen), Träumen oder Albträumen vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit o begleitet von starken oder überwältigenden Emotionen, insbes. Angst oder Entsetzen und starken körperlichen Empfindungen ▪ Hilflosigkeit, Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses ▪ aktives Vermeiden von Gedanken und Erinnerungen an das Trauma ▪ anhaltende Wahrnehmung von Bedrohung → Hypervigilanz (=vermehrte ▪ Schreckhaftigkeit), übermäßiger Schreckhaftigkeit und Schlafstörung ▪ häufig Angst und Depression → nicht selten: Suizidgedanken o Auftreten Wochen bis Monate nach dem Trauma (innerhalb von 6 Monaten) o Symptome halten mindestens mehrere Wochen an → erhebliche Beeinträchtigung in wichtigen Bereichen o meist heilbar, kann aber auch chronischen Verlauf nehmen späte, chronifizierte Folgen von extremer Belastung = andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (eigenes Störungsbild) 44 PF Epidemiologie: o 1-Monats-Prävalenzrate (Deutschland): 1-3%; USA: jeder 12. Erwachsene entwickelt im Leben eine vorübergehende PTBS o Frauen zu Männer: ca. 2:1 o bei Kriminalitätsopfern: 19-71% o der größte Teil der Traumatisierten bewältigt die Erlebnisse ohne gravierende Störungen o mittlere Dauer einer PTBS: Frauen 48 Monate, Männer 12 Monate o PTBS ist keine homogene Reaktionsform Retraumatisierung o Auslösung eines erneuten Traumas mit Aspekten der früheren Ohnmachts- und Gewalterfahrung → führt zur Vertiefung der traumatischen Erfahrung o geschieht einerseits im Alltag, meist zufällig getriggert o aber auch durch Polizeiermittlungen, Gerichtsbefragungen sowie unbedachte beratende/therapeutische Maßnahmen o abzugrenzen von der therapeutischen Traumaexposition!! o akute Verschlimmerung des Krankheitsbilds o latent suizidale Personen: Kurzschlusshandlungen bis hin zum Suizid o Risiko der Chronifizierung des Krankheitsbildes verminderte Heilungschancen Therapie: o Herstellen einer sicheren Umgebung, wenn möglich (Schutz vor weiterer Traumeeinwirkung) o Organisation des psychosozialen Helfersystems o Frühes Hinzuziehen eines mit PTBS-Behandlung erfahrenen Psychotherapeuten o Psychoedukation und Informationsvermittlung bzgl. traumatypischer Symptome und Verläufe o Achtung: Besondere Suchtgefährdung bei PTBS (besonders Benzodiazepine) komplexe posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Ausgesetztsein von Ereignissen extrem bedrohlicher oder schrecklicher Natur Ereignisse sind meist langanhaltend und/oder wiederholen sich, und man kann ihnen kaum entkommen z.B. Folter, Sklaverei, Völkermord, aber auch: fortgesetzte häusliche Gewalt oder sexuelle/ körperliche Gewalt in der Kindheit Kennzeichen: o alle Kriterien einer (einfachen) PTBS sind erfüllt o Probleme bei der Affektregulierung 45 o Überzeugung, man selbst sei wertlos → Scham-, Schuld- und Versagensgefühle kommen dazu o Schwierigkeiten, Beziehungen aufrechtzuerhalten und sich anderen nahe zu fühlen erhebliche Beeinträchtigungen des Erlebens, Denkens, Fühlens und auch der Interaktion mit der Umwelt Bei vielen Betroffenen prägt sich dabei ein vielfältiges Beschwerdebild aus, das ein Muster typischer Veränderungen beinhaltet und als komplexe posttraumatische Belastungsstörung bezeichnet wird: o Veränderungen der Emotionsregulation und der Impulskontrolle o Veränderungen in Aufmerksamkeit und Bewusstsein (z.B. dissoziative Episoden, Erinnerungslücken, Derealistation/Depersonalisation) o Veränderungen der Selbstwahrnehmung (Hilflosigkeit, Scham, Schuld, geringes Selbstwertgefühl) o Veränderungen in Beziehungen zu anderen (Vertrauensschwierigkeiten, wenig Gespür für eigene Grenzen) o Somatisierung (körperliche Beschwerden, für die keine organische Erklärung gefunden werden kann) o Veränderungen von Lebenseinstellungen (Werte haben ihre Bedeutung verloren oder ergeben keinen Sinn mehr) Therapie wie bei PTBS Dissoziative Störung = schwerste Form „Dissoziation ist die Desintegration und Fragmentierung des Bewusstseins“ häufige Auslöser sind traumatische Erlebnisse Dissoziation wird erlebt als Unfähigkeit, Informationen abzurufen oder psychische Funktionen zu kontrollieren, die normalerweise leicht zugänglich sind oder kontrolliert werden können (z.B. bei Amnesie) Es besteht eine enge Beziehung zu traumatischen und belastungsbezogenen Störungen Unterscheidung: o Depersonalisations-/ Derealisationsstörung: ▪ Depersonalisation = Unwirklichkeitserleben oder Entfremdung vom eigenen seelischen und körperlichen Selbsterleben; von sich getrennt ▪ Derealisation = Unwirklichkeitserleben der Entfremdung von der Umgebung ▪ Realitätsprüfung bleibt intakt! nicht durch Substanz oder Krankheitsfaktor ausgelöst o dissoziative Amnesie ▪ Unfähigkeit, sich an wichtige autobiographische (meist traumatisch belastete) Informationen zu erinnern → keine normale Vergesslichkeit! ▪ Zeitlücken ▪ verursacht Leidensdruck ▪ lokale = während eines umschriebenen Zeitabschnitts (häufigste Form) ▪ selektive = erinnert sich an einige, aber nicht an alle Ereignisse eines Zeitabschnitts ▪ generalisierte = kompletter Gedächtnisverlust der Lebensgeschichte ▪ systematisierte = nur spezielle Kategorien (z.B. die Familie) werden vergessen ▪ kontinuierliche = jedes neue Ereignis wird vergessen 46 o dissoziative Identitätsstörung ▪ früher: multiple Persönlichkeitsstörung → ist KEINE Persönlichkeitsstörung, es handelt sich um nicht verbundene Persönlichkeitsanteile in einer Person ▪ Identität nicht einheitlich ▪ schwerste Traumafolgestörung ▪ komplexes Syndrom, wobei alle Symptome der anderen dissoziativen Störungen auftreten können ▪ Hauptsymptome: Störungen der Identität, mind. zwei oder mehr unterschiedliche Persönlichkeitszustände (in anderen Kulturen auch: → Besessenheit), einhergehend mit Diskontinuität des Bewusstseins und des Handelns, wiederholte Amnesien → Zeitlücken keine Folge der physiologischen Wirkung einer Substanz (z.B. Alkohol) oder einer Krankheit (komplexe partielle Anfälle) ▪ Amnesien für alltägliche Ereignisse, dissoziative Flashbacks mit folgender Amnesie für Inhalt der Flashbacks, Intrusionen (nicht ▪ bezogen auf traumatische Inhalte), Wechsel zwischen verschiedenen Identitäten o andere näher bezeichnete dissoziative Störung oder auch: o nicht näher bezeichnete dissoziative Störung (NNBDS) anhaltende Trauerstörung anhaltende, tiefgreifende Trauerreaktion, begleitet von intensivem emotionalem Schmerz über einen atypisch langen Zeitraum (= über 6 Monate) Reaktion übersteigt eindeutig die erwarteten sozialen, kulturellen oder religiösen Normen für die Kultur und den Kontext der betreffenden Person erhebliche Beeinträchtigung in wichtigen Bereichen Behandlung: 1. Ressourcenarbeit: sicherer Ort, Routine, Personen 2. Erst dann Konfrontation (wenn professionell): Imagination, Bildschirm in der Ferne Erste Maßnahmen: Krisenintervention, Psychoedukation Behandlung PF 47 pharmakologisch mit Antipsychotika: o nach Erstepisode: mindestens 1-2 Jahre → (sonst Risiko von neuerlichem Ausbruch soziale Schäden); nach Rezidiv: mind. 2-5 Jahre → bei Langzeittherapie mit Antipsychiotika jedenfalls: Nutzen-Risiko-Analyse (für optimale Wirkung, gute Compliance, gute Prognose), Arzneimittelsicherheit (Auftreten von Nebenwirkungen), regelmäßiges Monitoring o Antipsychotika/ Rezidivprophylaxe = Konzept des Vulnerabilität/Stress/Coping- Modells; große Bedeutung haben protektive Faktoren: ▪ Unterstützung durch soziales Umfeld ▪ Bewältigungskomponenten vs. Belastung ▪ Bereitschaft, die protektive Funktion der Medikation zu nutzen Gespräche/Psychotherapie: o tragfähige Ärzt:in/Patient:in-Beziehung o Einbeziehung der Angehörigen o Primärprävention für Chronifizierung: Mischung aus vernetztem Case-management und kognitiv-behavioralen problemspezifischen Interventionen o Ziel: Aufrechterhaltung des prämorbiden Funktionsniveaus → ressourcenorientierte Sicht o Aufbauen ↑Selbstwirksamkeitserwartung o Stabilisierung des Selbstwerts o Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung o Psychoedukation → Aufbau einer nachhaltigen Behandlungsbereitschaft o aber auch Training in sozialen Fertigkeiten und verbaler Kommunikation: Gruppentherapie: o Familientherapie ▪ zur Psychoedukation und Reduktion von High Expressed Emotion (HEE), (in Abkehr von früheren Stigmatisierungen der Familie als Hauptursache für Schizophrenie, und auch wg. Des höheren Stellenwerts einer gemeindenahen psychiatrischen Versorgung) ▪ daneben auch: Angehörigengruppen Soziotherapie: o Rehabilitationsprogramme; Training von sozialen und Alltagsfertigkeiten; Beschäftigungstherapie; Arbeitstraining; geschützte Werkstätten und Arbeitsmöglichkeiten; Wohnprogramme; Freizeitgestaltung; Fitness und körperliches Training o Entscheidungskriterien für die Wahl eines Behandlungssettings: ambulante Versorgung hat Vorrang vor (teil-)stationären Maßnahmen; Verfügbarkeit, lokale Gegebenheiten; persönliche Präferenz der Betroffenen; Eingehen auf spezielle Behandlungsbedürfnisse; Notwendigkeit des Schutzes der Betroffenen (und ggf. auch ihres Umfelds); TAGESSTRUKTUR = eine ganz wichtige gesundheitsfördernde Maßnahme 48 Empowerment = Selbstbefähigung oder Selbstermächtigung/ Zurückgewinnen von Einflussmöglichkeiten der Betroffenen auf ihr Leben/ Wiedergewinnung der Kontrolle über die eigenen Lebensumstände o wesentliche Elemente bzw. Ziele: ▪ eigene Entscheidungen treffen zu können – obwohl dies Betroffenen von Professionellen gern abgesprochen wird ▪ über den Zugang zu Informationen und Ressourcen zu verfügen – obwohl Professionelle dies oft eher von oben herab handhaben ▪ mehrere Handlungsalternativen zu haben und unter ihnen auch wählen zu können ▪ Durchsetzungsfähigkeit zeigen zu dürfen – anderswo werden Patient⸳innen für selbstsicheres Verhalten sogar „belohnt“, in der Psychiatrie hingegen gilt so etwas oft als „tadelnswert“ ▪ das Gefühl zu haben, als Individuum etwas gestalten/bewegen zu können → Hoffnung ist elementarer Teil des Lebens ▪ kritisch denken zu lernen, die eigenen Konditionierungen zu durchschauen und abzulegen (nicht die eigene Fallgeschichte, sondern die Lebensgeschichte zu erzählen) ▪ zu lernen, Wut zu erkennen und auch zu äußern – der Ausdruck von Ärger ist nicht gleichbedeutend mit „Dekompensation“ [= Entgleisung], wie dies gern dargestellt wird ▪ sich nicht allein, sondern als Teil einer Gruppe zu fühlen ▪ zu der Einsicht zu gelangen, dass jeder Mensch Rechte hat, auch Psychiatriepatient:innen ▪ Veränderungen im eigenen Leben und im sozialen Umfeld zu bewirken – durch Veränderungen stärkt man das Gefühl, über Kompetenz und Kontrolle zu verfügen ▪ neue Fähigkeiten zu erlernen, die man selbst für wichtig hält, nicht nur die professionellen Helfer:innen ▪ die Wahrnehmung anderer bezüglich der eigenen Handlungsfähigkeit zu korrigieren – denn es ist ein Vorurteil, dass psychiatrische Patient⸳innen ihre Bedürfnisse und Wünsche nicht wahrnehmen können ▪ „Coming out“ bezüglich der eigenen Diagnose → demonstriert und stärkt das Selbstbewusstsein ▪ die eigene Entwicklung als nie abgeschlossenen, selbst gesteuerten Prozess innerer Reifung und Entwicklung zu betrachten – die Stärkung der Eigen- macht ist kein Endpunkt, sondern ein fortlaufender Prozess ▪ sich ein positives Selbstbild zu erarbeiten und Stigmatisierung zu überwinden – dies wiederum fördert die Fähigkeit, das Leben aktiv zu gestalten → positives Selbstbild ▪ An all diesen Bausteinen sollte sich professionelle Arbeit orientieren, wenn sie die Betroffenen im Sinne der Selbstbefähigung unterstützen will. o Strategien: ▪ Informationsvermittlung und –austausch ▪ Psychoedukation (umfassende Aufklärung, Förderung von Compliance, Reduzierung der Angst, Änderung der Lebensweise,…) ▪ Trialog (Patient:innen, Angehörige sowie professionellen Betreuer:innen) 49 Motivierende Gesprächsführung basiert auf: o Gesprächspsychotherapie o kognitiv-behavioraler Verhaltenstherapie o Kommunikationspsychotherapie Motivation setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: o aus der subjektiv erlebten Wichtigkeit: „es zu wollen“ o und aus der subjektiv entwickelten Zuversicht, „es auch zu können“ Grundsätze: o Subjektive Sicht des Erkrankten o beruht auf Wertschätzung und Respekt o motivationsfördernde Grundhaltung o zieloffener Behandlungsansatz o Menschen sind für die Gestaltung ihres Lebens oder die Veränderung ihrer Gewohnheiten selbst verantwortlich o differenzierte klinische Methoden o Helfer:innen sind Begleiter einer Bewusstwerdung und eines Veränderungsprozesses, jedoch nicht deren Antreiber Prinzipien: o Empathie o Diskrepanzen entwickeln o Widerstand aufnehmen (äußert sich im Argumentieren, Unterbrechen, Ablehnen → Fokus verschieben; Umformen anders behandeln; paradoxe Interventionen) o Selbstwirksamkeit fördern meint das Vertrauen einer Person in die Fähigkeit, eine spezifische Aufgabe erfolgreich zu lösen → Stärkung von Fähigkeiten und Ressourcen Motivation zur Veränderung: o Förderung der Veränderungsmotivation durch: offene Fragen, aktives Zuhören, informieren, bestätigen, selbstmotivierende Aussagen hervorrufen, zusammenfassen o selbstmotivierende Aussagen spielen eine Rolle ▪ Problembewusstsein → „Inwiefern ist das ein Problem für Sie?“ ▪ Besorgnis → „Was beängstigt Sie in Ihrer Lage? „Was stellen Sie sich vor, wenn Sie so weitermachen?“ ▪ Veränderungsabsicht → „Was spricht dafür, in Zukunft so weiter zu machen?“ „Welche Vorteile würde eine Veränderung bringen?“ ▪ Zuversicht → „Was gibt Ihnen die Kraft zu glauben, dass Sie etwas verändern können, wenn Sie es wollten?“ Strategien zur Stärkung der Selbstverpflichtung: o Zuversicht stärken o Behandlungsziele: diskutieren und vereinbaren o konkrete Zieldiskussion in Wechselwirkung mit Stärkung des Veränderungsinteresses o Korrektur in Richtung, Ausmaß und Tempo o Einfluss der Umgebung (Angehörige, Freunde) o wohlgestaltete Ziele: bedeutsam, klein, konkret, präzise und verhaltensbezogen, das Vorhandensein, nicht die Abwesenheit von etwas, ausdrücken, eher einen Anfang als ein Ende beschreiben, realistisch und erreichbar, „harte Arbeit“ nicht verharmlosen o Shared Decision Making“ ▪ Anerkennung der Erfahrung von Patient/Patientin mit 50 ▪ seiner/ihrer Erkrankung sowie des jeweiligen Störungskonzepts und Krankheitsmodells ▪ Problemdefinition, Lösung und Ziel gemeinsam finden ▪ Kontakt wird als Möglichkeit der Gesundheitsförderung und des Beziehungsaufbaus gewertet ▪ realistische Einschätzung der Ressourcen der Pat. o DAHER ▪ Pat. in alle Entscheidungsprozesse einbeziehen ▪ Befürchtungen, Ideen und Erwartungen der Pat. erheben ▪ Verhaltens- und Behandlungsoptionen skizzieren ▪ bevorzugtes Modell gemeinsam identifizieren und Infos dazu anbieten ▪ Wie kommen die Infos bei den Pat. an? ▪ Wie weit sind Pat. bereit für Mitverantwortung? ▪ Entscheidungsfindung Qualitätsmaßstab: der aktuelle Klärungsprozess, NICHT das spätere Verhalten Vorteil: belässt Verantwortung beim Patienten, schützt professionelle Helfer bei Enttäuschung Compliance – Adherence Compliance: o asymmetrische Beziehungskonstellation (der Arzt/die Ärztin weiß, was für den Patienten/die Patientin gut ist) o traditionelles, fürsorgliches Krankheitskonzept o paternalistisches Verhalten [bevormundend] → schwach und stark paternalisierend Adherence [an etw. festhalten, befolgen] o Einhalten der gemeinsam von Patient∙in und Ärzt∙in gesetzten Therapieziele o Einschluss der Behandlungsbeziehung → „Nothing about me without me!“ o Interaktion zwischen den Beteiligten o individueller Wissensstand o subjektive Krankheitstheorien o Kognitionen, Gefühle o Einbeziehung der Lebenskonzepte Following – Guiding – Directing Directing (direktiv) o „Ich weiß, was Sie tun sollten“ → in der akuten Situation Guiding (führend) o „Ich kann Ihnen helfen, dieses Problem zu lösen“ → in der postakuten Situation Following (folgend) o „Ich überlasse Ihnen die Entscheidung, wann und in welchem Tempo sie handeln, und ich werde Sie nicht drängen“ Motivation VS. Ambivalenz: der erste Schritt zur Motivation ist die Anerkennung der Ambivalenz der Betroffenen gegenüber einer Verhaltensänderung Veränderungsphasen: 1. Absichtslosigkeit – kein Interesse → Feedback und Informationen anbieten, Kontakt halten 51 2. Absichtsbildung – Vor- und Nachteile → Abwägen, Vorstellen von zukünftigen Entwicklungen 3. Vorbereitungsstadium – Übergangsstadium → Frühwarnzeichen und Risiken identifizieren, Prophylaxe, alternative Verhaltensweisen entwickeln 4. Handlung – noch nicht stabil → Kontakt, Unterstützungsbedarf? 5. Aufrechterhaltung – Auftauchen neuer Fragen → Evaluation, Unterstützung 52