Wirtschafts- und Unternehmensethik 1. Vorlesung: Grundbegriffe PDF

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This document is a set of lecture notes from a university-level course on business ethics, covering fundamental concepts of economics and ethics, including topics such as CSR, shareholder/stakeholder concepts. This course also covers topics like utilitarianism, and more.

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Wirtschafts- und Unternehmensethik 1. Vorlesung: Grundbegriffe: Ökonomik und Ethik Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -1- Semesterprogramm 1. Sitzung 3.9....

Wirtschafts- und Unternehmensethik 1. Vorlesung: Grundbegriffe: Ökonomik und Ethik Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -1- Semesterprogramm 1. Sitzung 3.9. Grundbegriffe: Ökonomik und Ethik 2. Sitzung 9.9. Grundbegriffe: CSR; Shareholder/Stakeholder. 3. Sitzung 17.9. Konzepte normativer Ethik I: Utilitarismus 4. Sitzung 24.9. Konzepte normativer Ethik II: Kontraktualismus und Kantianismus 5. Sitzung 1.10. Fallstudie: Der Ford Pinto 6. Sitzung 8.10. Fragen der Wirtschaftsethik I: Verteilungsgerechtigkeit: Libertarismus (Nozick) und Egalitarismus (Rawls) 7. Sitzung 15.10. Fragen der Wirtschaftsethik II: Die moralische Qualität von Kapitalismus und Marktwirtschaft (Adam Smith) 8. Sitzung 22.10. Fragen der Wirtschaftsethik III: Spielregeln und Spielzüge – Homanns „Ökonomische Ethik“ als moralische Rechtfertigung der regulierten sozialen Marktwirtschaft Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -2- 9. Sitzung 29.10. Homanns „Ökonomische Ethik“: Anwendung und Kritik – Gibt es Spielräume für die Moral? 10. Sitzung 5.11. Konsumentenethik: Kollektives Handeln und die moralische Verantwortung des Einzelnen für kollektiv erzeugte Schäden (Massentierhaltung; Klimawandel): Mache ich einen Unterschied? 11. Sitzung 12.11. Fragen der Unternehmensethik I: Sweatshops 12. Sitzung 19.11. Fragen der Unternehmensethik II: Konzepte von CSR: Shareholder Value vs. Stakeholder Value am Beispiel von Entlassungen zwecks Gewinnsteigerung (corporate downsizing) 13. Sitzung 26.11. Offen 14. Sitzung: 3.12. Klausurvorbereitung: Klärung offener Fragen 1. Klausur 20.12. 2. Klausur Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -3- Literatur l Dieter Birnbacher: Analytische Einführung in die Ethik. 2003. l Karl Homann/Franz Blome-Drees: Wirtschafts- und Unternehmensethik. 1992. l Karl Homann/Christoph Lütge: Einführung in die Wirtschaftsethik. 3. Aufl. 2013. l Klaus Peter Rippe: Ethik in der Wirtschaft. 2010. l William H. Shaw: Business Ethics. 7. Aufl. 2011. [Empfehlung!] l Peter Ulrich: Integrative Wirtschaftsethik. 4. Aufl. 2007. l Diese Bücher müssen nicht angeschafft/gelesen werden! Sie dienen nur der Vertiefung für Interessierte! Für die Klausur genügen der Besuch der Vorlesung und die Vorbereitung anhand der Folien. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -4- Beispiele einfacher wirtschafts- und unternehmensethischer Fragen Enron; Madoff: Täuschung Betrug unfaire Schädigung anderer zum eigenen Vorteil Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -5- Beispiele schwieriger wirtschafts- und unternehmensethischer Fragen Ist es moralisch falsch, Produkte in Sweatshops herstellen zu lassen bzw. solche Produkte zu kaufen? Die ArbeiterInnen arbeiten dort freiwillig und brauchen den Lohn! Ist es falsch, Flugreisen zu unternehmen bzw. SUVs zu fahren, obwohl mit dem Fliegen und Autofahren CO2 freigesetzt wird, was den Klimawandel befördert? Der individuelle Beitrag scheint keine Auswirkung auf den Klimawandel zu haben. Ist es falsch, Fleisch zu essen? In der Fleischproduktion leiden Tiere und es wird CO2 freigesetzt. Der individuelle Beitrag scheint jedoch keinen Unterschied zu machen. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -6- Antikes Beispiel eines unternehmensethischen Problems Ehrlicher Kaufmann bringt eine Ladung Weizen von Alexandria nach Rhodos, wo großer Mangel herrscht. Unterwegs sieht er eine größere Anzahl anderer Händler, die auch mit Weizen auf dem Weg nach Rhodos sind. Er erreicht Rhodos zuerst. Muss er den Kunden sagen, dass Nachschub nahe ist? Dann entginge ihm großer Gewinn! (Cicero) Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -7- Ökonomik Wirtschaftswissenschaft / Ökonomik untersucht die Wirtschaft wissenschaftlich; sie verhält sich zur Wirtschaft, wie die Religionswissenschaft zur Religion. Unterschiedliche Definitionen von Wirtschaft: Weit: Alle Aktivitäten mit dem Ziel effizienter Interessen- befriedigung angesichts knapper Ressourcen. „Imperialistische“ Interpretation: Ökonomik behandelt das Handeln insgesamt (Gary Becker). Geht es dem Menschen nicht bei jeder Entscheidung um effiziente Interessenbefriedigung? Auch z.B. die Fragen, wen man heiraten/ob man Kinder haben soll, sind demnach ökonomische Fragen. Eng: Einschränkung der relevanten Interessen: Es geht nur um die materielle Dimension des Lebens (Geld etc.), nicht um das gute Leben insgesamt. Waren und Dienstleistungen stehen im Fokus. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -8- Ethik und Moral l Ethik ist die wissenschaftliche Disziplin, die die Moral zum Gegenstand hat – so wie die Ökonomik die Wirtschaft zum Gegenstand hat. l Wirtschafts- und Unternehmensethik ist eine Form der angewandten Ethik neben Medizinethik, Rechtsethik, Tierethik, politischer Ethik etc. l Die angewandte Ethik wendet allgemeine moralische Prinzipien auf speziellere Problemfälle an, etwa: l Wenn man – wie der Utilitarismus fordert – die Gesamtmenge des Wohlergehens maximieren muss, darf man dann Angestellte entlassen, um den Gewinn zu steigern? l Wenn man – wie Kant fordert – die Würde den Menschen achten muss, darf man dann Menschen in Sweatshops zu Löhnen, die kaum die Grundbedürfnisse decken, beschäftigen, wenn dies freiwillig geschieht? Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -9- Wirtschafts-, Unternehmens- und Konsumentenethik l Wirtschaftsethik: Betr. Rahmenordnung des Wirtschaftens (Kapitalismus oder Sozialismus? Umverteilung oder Minimalstaat? Laisser-faire oder Regulierung?). l Angesprochen ist die Politik. l Unternehmensethik: Betr. unternehmerisches Handeln. l Angesprochen sind primär Unternehmer/Manager. l Außerdem behandelt wird: Konsumentenethik: l Angesprochen sind Konsumenten: Was ist bei individuellen Kaufentscheidungen moralisch zu beachten? Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -10- Moral Korpus sozialer Normen, abzugrenzen von Rechtsnormen (Gesetzen:§604 BGB „Der Entleiher ist verpflichtet, die geliehene Sache nach dem Ablauf der für die Leihe bestimmten Zeit zurückzugeben.“) Konventionen (Normen der Etikette etc.: „Man sollte Blumen mitbringen!“) Klugheitsnormen („Du musst Gymnastik treiben, wenn du gesund bleiben willst!“) Begriffsfeld: müssen, sollen, richtig, falsch, gut, schlecht, erlaubt, verboten, geboten, Pflicht, Recht. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -11- Moral – inhaltliche Charakterisierung Zwei inhaltliche Pointen typischer moralischer Normen: Wohlergehen anderer: Verbot der Schädigung, Gebot der Hilfe. Fairness/Gerechtigkeit bei der Verteilung von Gütern. Beispiele moralischer Normen: Verbot der Lüge Verbot Versprechen zu brechen Verbot Menschen zum Spaß zu töten/verletzen Gleiche Startbedingungen im Wettbewerb! Konflikt mit Klugheitsnormen/Eigeninteresse möglich: Es kann im Eigeninteresse liegen, Versprechen zu brechen. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -12- Fundament moralischer Normen Worauf basieren moralische Normen? Warum darf man z.B. (normalerweise?) nicht lügen? Zwei Ansätze: Rationalismus: Vernunft Wer unmoralisch handelt, handelt unvernünftig, unterliegt etwa Denkfehlern, zieht falsche Schlüsse, widerspricht sich im Gedankengang (Kant). Wer lügt, akzeptiert Prinzipien, die er auf sich selbst nicht angewendet haben will. Das ist lt. Rationalismus widersprüchlich. Sentimentalismus: Gefühl (Mitleid, Empörung,...) Dass eine Handlung moralisch gut/richtig/schlecht/falsch ist, wird gefühlt, nicht rational erkannt. Das moralisch Gute ähnelt dem Schönen, Ethik ähnelt der Ästhetik. Hume; A. Smith; Schopenhauer. Wer lügt, fügt (typischerweise) Schaden zu. Das Mitleid mit dem Opfer generiert die moralische Ablehnung. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -13- Eine grundlegende Unterscheidung: deskriptiv-normativ deskriptiv: beschreibend. „Wie ist die Welt?“ U.a. kontrafaktische Konditionale („wenn..., dann...“): „Wenn der Mindestlohn erhöht würde, dann stiege die Arbeitslosigkeit unter schlecht qualifizierten Arbeitnehmern.“ „Wenn die staatlichen Investitionen stiegen, dann würde die Rezession verkürzt.“ normativ: vorschreibend. „Wie soll die Welt sein?“ „Mindestlohn soll erhöht werden, denn die Einkommensgewinne sind wichtiger als eine geringe Steigerung der Arbeitslosigkeit.“ „Die Rezession soll verkürzt werden! Deshalb soll der Staat mehr investieren!“ Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -14- Verhältnis Ökonomik-Ethik: Konflikt? Ökonomik als deskriptive Wissenschaft: Gibt Auskunft über empirische Zusammenhänge, etwa: „Wenn die Staatsschulden über 90% des BSP steigen, dann sinkt das Wachstum.“ (Rogoff) „Wenn die Steuern sinken, dann steigt das Wachstum.“ „Unregulierter Kapitalismus führt zu steigender Vermögenskonzentration; dies führt zu stagnierender Wirtschaft und bedroht die Demokratie.“ (Piketty) Kein Konflikt mit der normativen Ethik: Die Ethik sagt, was sein soll, die Ökonomik sagt, wie es ist bzw. wie man etwas erreicht. „Ziel: Wohlstand und faire Chancengleichheit; Mittel: Regulierte Marktwirtschaft mit Umverteilung durch Steuer.“ Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -15- Normative Ökonomik? Ökonomik als normative Disziplin konzipierbar? Gibt es eine ökonomische Rationalität/Normativität? Verfügt die Ökonomik über eigene normative Maßstäbe für ökonomische Fragen, die in Konkurrenz zu denen der Moral stehen bzw. die die Berücksichtigung moralischer Normen überflüssig machen? Kandidat: Effizienz Auf der Makroebene (nationale/globale Ökonomie): Pareto-Effizienz. Auf der Mesoebene der einzelnen Unternehmen (BWL-Perspektive): Gewinnmaximierung. Albach: „Die Beschäftigung mit der Unternehmensethik [ist] überflüssig. [...] Die Betriebswirtschaftslehre ist Unternehmensethik.“ Grund: Sie basiert auf normativen Prinzipien (Effizienz). (In: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 75 (2005), S. 809) Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -16- Normative Ökonomik? Diskussion: Makroebene Makroebene (Volkswirtschaft, globale Ökonomie) Kandidat: Pareto-Effizienz: Niemand kann durch Tausch besser gestellt werden, ohne dass jemand anders schlechter gestellt wird. Normativ: Wirtschaft soll effizient sein! Wie erreicht man das? Lehrsatz der Wohlfahrtsökonomie: Auf einem freien Wettbewerbsmarkt werden alle wechselseitig vorteilhaften Tauschgeschäfte durchgeführt; die sich ergebende Gleichgewichtsallokation der Ressourcen ist pareto-effizient. Daher soll der Markt frei/unreguliert sein! Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -17- Normative Ökonomik? Diskussion: Makroebene Kritik: Pareto-Effizienz [PE] ist zunächst ein deskriptiver Begriff (PE beschreibt den Zustand, dass niemand besser gestellt werden kann, ohne.....“). Dass PE auch etwas Gutes ist und angestrebt werden soll, ist durchaus plausibel – sicher ist es gut, Menschen besser zu stellen, wenn dies niemandem Nachteile bringt. Es ist schlecht, Ressourcen brachliegen zu lassen. Aber ist PE der einzig relevante bzw. stets dominante normative Aspekt in ökonomischen Fragen? Könnten nicht manchmal Maßnahmen geboten sein, die einige Subjekte schlechter stellen? Z.B. denen, die im Überfluss leben, zu nehmen, um denen zu geben, die Not leiden. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -18- Normative Ökonomik? Diskussion: Makroebene Mit Pareto-Effizienz konkurrierende Kandidaten normativer Ziele der Wirtschaft auf der Makroebene: Effizienz im Sinne einer Allokation, die den Gesamtnutzen (Summe) maximiert (Utilitarismus). Gleichheit (von Wohlergehen oder Gütern) Maximin (Allokation, die die Lage der Schlechtgestellten optimiert)... Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -19- Normative Ökonomik? Diskussion: Makroebene Pareto-Effizienz ist sicher nicht der einzige plausible normative Maßstab für die Wirtschaft. Pareto-Effizienz ist ebenso wenig ein normativer Maßstab, der der Wirtschaft „innewohnt“, wie jeder andere normative Maßstab. Pareto-Effizienz ist daher nicht der Inbegriff ökonomischer Normativität auf der Makroebene. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -20- Normative Ökonomik? Diskussion: Mesoebene Mesoebene (Unternehmen) Kandidat: Effizienter Einsatz der Ressourcen zur Gewinnmaximierung als normativer Maßstab der BWL. Kritik: Gewinnerzielung zählt sicher zu den legitimen Interessen von Inhabern und Aktionären. Die gewinnmaximierende Handlung zu finden, beantwortet die Frage „Was soll ich tun?“ jedoch nicht abschließend: Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -21- Normative Ökonomik? Diskussion: Mesoebene Es gibt nämlich noch weitere relevante normative Aspekte, etwa: „Hat die Handlung negative Folgen für andere? Wenn ja: Wie sind die unterschiedlichen normativen Aspekte (Effizienz; Schutz vor Schädigung) zu gewichten?“ Diese Fragen kann die BWL, wenn sie allein den Aspekt der Gewinnmaximierung im Blick hat, nicht beantworten. Die BWL beantwortet somit nur einen Teilaspekt der Frage „Was soll ich tun?“ Albachs These ist daher falsch: „Die Beschäftigung mit der Unternehmensethik [ist] überflüssig. [...] Die Betriebswirtschaftslehre ist Unternehmensethik“. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -22- Normative Ökonomik? Zusammenfassung Pareto-Effizienz und Gewinnmaximierung sind sicher nicht die einzigen plausiblen normativen Maßstäbe für die Wirtschaft. Es sind ebenso wenig normative Maßstäbe, die der Wirtschaft „innewohnen“, wie jeder andere normative Maßstab. Was unter Berücksichtigung aller Umstände getan werden soll, ist eine Frage, die sich weder mit den Mitteln der Ökonomik als deskriptiver Disziplin beantworten lässt, noch mit den Mitteln einer auf selektive Ziele (Pareto- Effizienz; Gewinn) ausgerichteten normativen Ökonomik. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -23- Verhältnis Ökonomik-Ethik Häufig äußern sich Ökonomen normativ: „Wirtschaft soll effizient arbeiten (normativ); Regulierung senkt die Effizienz (deskriptiv); deshalb darf der Markt nicht reguliert werden! (normativ)“ (Neoliberale Volkswirtschaft) „Der Gewinn soll maximiert werden (normativ). Ersetzung von Arbeitern durch Roboter steigert den Gewinn (deskriptiv). Da- her sollen Arbeiter durch Roboter ersetzt werden.“ (normativ) Dann jedoch setzen Ökonomen Ziele voraus (Effizienz/Gewinnmaximierung), deren normatives Gewicht geprüft werden muss. Bezüglich dieser Aufgabe haben Ökonomen keine spezifisch ökonomische Kompetenz. Es ist eine Aufgabe für die philosophische Ethik. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -24- Verhältnis Ökonomik-Ethik Manchmal spricht man von einem Konflikt zwischen Ökonomik und Ethik bzw. Wirtschaft und Moral. Versteht man Ökonomik als deskriptives Projekt, kann es keinen Konflikt geben. Versteht man Ökonomik als normatives Projekt – bezogen auf Effizienz/Gewinnmaximierung –, sind Konflikte möglich. Sie sollten dann verstanden werden als Konflikte zwischen unterschiedlichen praktischen Zielen: etwa zwischen Wachstum und Gleichheit Nutzen für ein Unternehmen/wirtschaftliches Subjekt und Gemeinwohl Effizienz und anderen ethisch relevanten Aspekten..... Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -25- Verhältnis Ökonomik-Ethik Wenn Ökonomen sich normativ äußern bzw. ihre Disziplin als eine normative verstehen, sollten sie sich entweder darüber im Klaren sein, dass ihre Stellungnahmen nur Teilaspekte der Frage „Was soll getan werden?“ betreffen (instrumentelle Aspekte, Effizienz- Aspekte, Gewinn-Aspekte), oder sie sollten bezüglich des normativen Aspekts ihrer Tätigkeit die Zuständigkeit der philosophischen Ethik akzeptieren und in diesem Sinne zu angewandten Ethikern werden. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 1. Vorlesung -26- Wirtschafts- und Unternehmensethik 2. Vorlesung: Grundbegriffe: CSR; Shareholder/Stakeholder Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 2. Vorlesung -1- Wirtschafts- und Unternehmensethik als Angewandte Ethik Wirtschaftsethik (als Teil der Politischen Philosophie) sagt, wie die wirtschaftliche Rahmenordnung gestaltet werden soll (Marktregulierung; Steuersystem; Eigentumsrechte; Umweltschutz [Emissionshandel?]; Energieerzeugung [Atomkraft?]; Zölle etc.). Unternehmensethik sagt, an welche moralischen Normen Unternehmen als Marktteilnehmer gebunden sind (Profit vs. Gemeinwohl; Ausbeuten; Täuschen, Verheimlichen beim Verkauf; manipulative Werbung etc.) Individualethische Fragen des Wirtschaftslebens: Insiderhandel; Whistleblowing; Konsumentenethik etc. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 2. Vorlesung -2- Shareholder/Stakeholder Welche moralische Verantwortung haben Unternehmen? D.h. wer hat über das gesetzlich Gebotene hinaus ein Recht auf Rücksichtnahme bei Unternehmensentscheidungen, wem gegenüber haben Unternehmen Pflichten? Enge Sicht: Verantwortung nur gegenüber den Eigentümern (shareholder) – Profit maximieren! Weite Sicht: Verantwortung auch gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft (stakeholder). Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 2. Vorlesung -3- Stakeholder Stakeholder eines Unternehmens: Unterschiedl. Definitionen: 1. Deskriptiv: a. Eng: Alle, die das Unternehmen beeinflussen können. b. Weit: Alle, die das Unternehmen beeinflussen können und vom Unternehmen beeinflusst werden können bzw. Interesse am Unternehmenshandeln haben (Freeman). 2. Normativ: Alle, die moralische Ansprüche an das Unternehmen haben. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 2. Vorlesung -4- Stakeholder Faktisch wird der Stakeholder-Begriff in Management- Theorien (BWL) eng verwendet (1a). „Stakeholder-Management“ = Instrumentelles Verhalten zu Stakeholder-Interessen: Kosten-Nutzen-Kalkül: „Was wollen sie von uns? Können sie uns schaden? Wie können wir sie in Schach halten?“ Beispiel Shell vs. Greenpeace: Versenkung Brent Spar-Ölplattform. Moralische Ansprüche werden als solche nicht ernst genommen. Dieser Stakeholder-Begriff ist für die Unternehmensethik irrelevant. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 2. Vorlesung -5- Stakeholder Welcher Begriff ist sinnvoll/nützlich/informativ im Kontext der Frage, wem gegenüber Unternehmen moralisch verantwortlich sind? 1b (S. haben Interesse am U.): Zu weit: Schließt ein: Konkurrenten; Terroristen etc. 2 (normativ): Sinnvoll. Stakeholder = Anspruchsgruppen (claimholder): Wer hat berechtigte moralische Ansprüche an das Unternehmen? Wer zu den Stakeholdern zählt und welche moralischen Ansprüche sie haben, hängt von der Moraltheorie ab. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 2. Vorlesung -6- Kandidaten für Stakeholder eines Unternehmens Verhältnis Unternehmensethik – CSR – Stakeholder-Theorie Corporate Social Responsibility (CSR) bezeichnet die moralische Verantwortung der Unternehmen/Manager gegenüber der Gesellschaft. Stakeholder-Theorien bzw. CSR-Theorien sind Bestandteile von Theorien der Unternehmensethik. Sie betreffen unternehmensethischen Fragen wie: Wer sind die Stakeholder, d.h. wer hat moralische Ansprüche? Welche moralischen Ansprüche/Rechte haben sie? Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 2. Vorlesung -8- Wirtschafts- und Unternehmensethik 3. Vorlesung: Normative Ethik I: Utilitarismus Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -1- Normative Ethik 3 Ansätze: l Konsequentialistische Ethik (z.B. Utilitarismus) - Moralische Qualität der Handlungen allein von den Handlungsfolgen abhängig. l Deontologische Ethik (z.B. Kantianismus) - Moralische Qualität der Handlungen nicht allein (aber u.U. auch) von den Handlungsfolgen abhängig. l Tugendethik (Antike: Platon; Aristoteles) - Moralische Qualität der Handlungen vom zugrundeliegenden Charakter abhängig. - Wird in dieser VL nicht berücksichtigt. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -2- Konsequentialismus (Utilitarismus) l Grundgedanke (vage): Die Welt besser machen! l 2 Teiltheorien des Utilitarismus: - Axiologie (Werttheorie): Was ist intrinsisch gut? l Utilitarismus: Nutzen/Glück/happiness - verstanden als Lust oder Wunschbefriedigung - Normative Theorie: Was soll man tun mit dem Guten? l Utilitarismus: Die Gesamtsumme des Guten maximieren! Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -3- Konsequentialismus: Axiologie Was ist intrinsisch (in sich, und nicht nur als Mittel) gut? Antwort: Glück! Und was ist Glück? Hedonismus: These, das einzige intrinsische Gut sei Lust (gr. hedone, engl. pleasure), das einzige intrinsische Übel sei Unlust/Schmerz (Epikur, Bentham, Mill, Sidgwick). l Etwas ist in dem Maße besser als etwas anderes, wie es mehr Lust bereitet: „Sackhüpfen ist so gut wie Poesie, wenn gleich lustvoll“ (Bentham). Problem: „Lust-Maschine“ (R. Nozick: Anarchy, State, and Utopia, S. 42-45) - viele würden sich nicht anschließen lassen; damit zeigen sie, dass sie Lust nicht für das einzige intrinsische Gut halten. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -4- Konsequentialismus: Axiologie Alternative zum Hedonismus: Präferentialismus: Intrinsisch gut ist die Realisation von Wünschen/ Interessen/Präferenzen. Darin besteht auch das Glück. l Problem: Präferenzen, die auf irrigen Meinungen beruhen (Ich will diese Flüssigkeit trinken, die ich für Gin halte. Tatsächlich ist es Benzin. Sicher wäre es nicht gut, das Zeug zu trinken.) l Lösung: Relevant sind nicht die faktischen, sondern die bezüglich der relevanten Umstände informierten Präferenzen. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -5- Konsequentialismus: Axiologie l Die hedonistische und die präferentialistische Axiologie sind für konsequentialistische Ethiken die wichtigsten Theorien des intrinsisch Guten. l Sie werden universalistisch interpretiert: Intrinsisch wertvoll ist das Glück generell, nicht allein das Glück dieses oder jenes Individuums. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -6- Konsequentialismus: Normative Teiltheorie l Was soll bezüglich des Wertes (Glück) getan werden? l Utilitarismus: Maximieren! - Klassischer Utilitarismus: Maximiere die Lustsumme! (Bentham, Mill) - Präferenz-Utilitarismus: Maximiere die Gesamtmenge der Wunschbefriedigung! (Peter Singer) Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -7- Implikationen des Utilitarismus l Egalitarismus: - Jedes Glücksquantum zählt gleich viel, egal, wer es genießt: „Everybody to count for one, nobody to count for more than one“. (Bentham) - Aber nicht: Egalitarismus im Sinne der Gleichverteilung von Glück. Verteilung ist gleichgültig, nur die Summe zählt! - Allerdings: Der abnehmende Grenznutzen spricht für die Gleichverteilung von Gütern. l Abnehmender Grenznutzen: Ein Gut ist um so nützlicher, je weniger das Subjekt von diesem Gut besitzt. l Beispiel: 1.000€ steigern das Glück eines Armen stärker als das eines Reichen. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -8- Utilitarismus: Pro l Einfachheit: Man gewinnt ihn durch einen einzigen Universalisierungsschritt plus Normierung: - Jeder einzelne ist auf sein eigenes Glück ausgerichtet. - Ersetzt man „eigenes“ durch „allgemeines“ und „ist“ durch „soll“, hat man den Utilitarismus („Jeder soll das allgemeine Glück anstreben!“). (Singer: Praktische Ethik, Kap. 1) l Plausibilität: Konsequenzen sind wichtig. Glück ist wichtig. Wer wollte das leugnen? Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -9- Utilitarismus: Contra l Überforderung - die utilitaristische Moral fordert viel mehr von uns, als die Alltagsmoral. Sie fordert – so die Kritiker – mehr, als wir leisten können/sollen. l Beispiel: Weltarmut: - Wir müssten spenden bis zu dem Punkt, wo wir uns mehr schaden, als wir den Empfängern nutzen. - Sogar unsere Berufswahl müssten wir an unserer Spendenfähigkeit ausrichten. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -10- Utilitarismus: Contra l Bedrohung der Integrität (Kritik von Bernard Williams) Beispiele: § George der Pazifist: Soll er Job in der Rüstungsindustrie annehmen? § Jim: Soll er eigenhändig einen Menschen töten, wenn er dadurch 9 andere retten könnte? l Diese Handlungen würden den Nutzen maximieren, aber die moralische Integrität der Akteure beschädigen (Schuldgefühle). Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -11- Utilitarismus: Contra l Bedrohung der Integrität (Kritik von Bernard Williams) - Gründe für Beschädigung der Integrität: Im Alltag unterscheidet man zwischen Tun und Unterlassen. l Einen Menschen zu erschießen, ist dem common sense zufolge schlimmer, als einen Menschen sterben zu lassen. l Der Utilitarismus unterscheidet moralisch nicht zwischen Tun und Unterlassen. l Deshalb fordert er manchmal Handlungen, die im Alltag unmoralisch und integritätsschädigend erscheinen. l Konflikt mit der Alltagsmoral. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -12- Utilitarismus: Contra l Verrechenbarkeit und Rechte - Wenn es möglich wäre, durch die „Ausschlachtung“ eines gesunden Menschen 5 Sterbenskranke durch Organtransplantation zu retten, wäre dies u.U. laut Utilitarismus geboten. - Alltagsmoral: Personen haben moralische Rechte, etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Rechte übertrumpfen Nutzenerwägungen. Der Gesunde darf nicht geopfert werden! - Bentham: Rechte sind „Unsinn auf Stelzen“. - Extrem starker Konflikt mit der Alltagsmoral. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -13- Utilitarismus: Pro und Contra – Fazit l Der Utilitarismus steht in vieler Hinsicht in starker Spannung zur Alltagsmoral. l Viele Utilitaristen stört das nicht; sie meinen, die Alltagsmoral sei eben teilweise irrig und revisionsbedürftig. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 3. Vorlesung -14- Wirtschafts- und Unternehmensethik 4. Vorlesung: Normative Ethik II: Kontraktualismus und Kantianismus Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -1- Kontraktualismus (Vertragstheorie) l Hobbesianischer Kontraktualismus (Th. Hobbes *1588 [Bild links]; D. Gauthier; P. Stemmer [Bild rechts]: Handeln zugunsten anderer ) - Ziel: Die Moral aus dem Vormoralischen (dem Naturzustand) ableiten. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -2- Naturzustand Vorgesellschaftlicher Zustand Begriffe „Recht“ und „Pflicht“ unbekannt kein Staat keine Institutionen wie Gesetze, Polizei, Gerichte Gütermangel Vorherrschende Motivation: Egoismus Krieg aller gegen alle homo homini lupus – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf (Hobbes) Investitionen zahlen sich nicht aus: Gewalt Leben ist „erbärmlich und kurz“ (Hobbes) Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -3- Übergang vom Naturzustand zum vertraglich geregelten Zustand l Lösung der Probleme: Vereinbarung treffen und durchsetzen, darauf zu verzichten, bestimmte Arten von Handlungen zu vollziehen (Töten, Lügen, Versprechen Brechen etc.). l Vorteil: Eigene Interessen besser realisieren. l Handel: Man gibt etwas auf (die Möglichkeit zu lügen, zu töten...), um etwas Wertvolleres zu gewinnen: die Sicherheit, nicht belogen/getötet zu werden...; Wohlstand; Glück. l Regeln, die im Interesse aller liegen. l Problem: Wie stellt man sicher, dass sich alle an die Regeln halten? Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -4- Beispiel: 2 Bauern l Sinnvoll, sich gegenseitig bei der Ernte zu helfen. l Weizen von Müller wird vor dem Weizen von Huber reif. l Optimal: Vertrag: Erst hilft Huber Müller, dann Müller Huber. l Aber warum sollte Müller Huber helfen? Müllers Weizen ist schon geerntet! l Sanktion: Wenn Müller defektiert (täuscht; betrügt; hier: Abmachung nicht einhält), wird er bestraft. Das motiviert Müller, zu kooperieren. - Hobbes: formelle Sanktion durch Regierung/Staat. - Stemmer: informelle Sanktion durch das soziale Umfeld: Soziale Ausgrenzung, Entzug der Kooperationsbereitschaft. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -5- Die moralische Normativität (Das moralische Sollen/Müssen) l Moralische Normativität: Wo kommt das „Müssen“ in Bezug auf die Normen her? Was heißt es, dass man z.B. Versprechen halten muss? l Kontraktualisten verweisen auf die Sanktion: Man soll/muss, weil man sonst sanktioniert/bestraft wird. l Hobbes‘ Konzept trifft eher die juridische Normativität („Warum muss man Gesetze befolgen? Polizei etc.!“), als die moralische („Warum muss man moralische Normen befolgen?“) l Moralische Normativität lt. Stemmer: Man muss die moralischen Normen befolgen, weil man sonst durch diffusen sozialen Druck sanktioniert wird. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -6- Die moralische Gemeinschaft l Die moralische Normativität existiert nur innerhalb einer moralischen Gemeinschaft, die durch das gemeinsame Interesse an der Geltung der Normen geeint ist. l Zur moralischen Gemeinschaft gehört, wer sanktionieren kann/Drohpotential hat. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -7- Rechte im Kontraktualismus Dass innerhalb einer Gemeinschaft ein moralisches Recht existiert (z.B. darauf, dass man nicht getötet wird), bedeutet, dass (i) alle Mitglieder der Gemeinschaft wollen, dass jeder sanktioniert wird, der dieses Recht bricht, und dass (ii) jeder dann (normalerweise) tatsächlich sanktioniert wird. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -8- Vertrag – hypothetisch oder faktisch/historisch? l Es kommt nicht darauf an, ob der Vertrag in der Vergangenheit tatsächlich geschlossen wurde. l Entscheidend ist, dass alle Betroffenen Grund haben, den Vertrag zu schließen. - Hypothetischer Vertrag: Würden die Betroffenen zustimmen, wenn man sie fragte? - Ein System moralischer Normen ist begründet, wenn es dem Naturzustand vorzuziehen ist. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -9- Welche moralischen Normen gibt es? l Der Kontraktualismus ist zunächst ein Normen- begründungsverfahren, er impliziert an sich keine bestimmten Normen (es ist offen, ob sich so eine konsequentialistische, oder eine deontologische Ethik begründen lässt). l Welche Normen in einer moralischen Gemeinschaft existieren, hängt von empirischen Umständen ab, insbesondere von der Machtbalance. l Da Einstimmigkeit erforderlich ist, gelten unter üblichen Bedingungen nur recht wenige Normen (deontologische Minimalmoral): Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -10- Kontraktualistische Minimalmoral Nicht lügen! Versprechen halten! Nicht stehlen! Nicht betrügen! Nicht verletzen! Hilfe in der Not! Kontroverse Fragen (Abtreibung; Vegetarismus/Tierschutz; Sterbehilfe; Homosexualität) lassen sich nicht moralisch normieren, da kein Konsens erreicht wird. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -11- Kontraktualismus – Pro l Greift nicht auf problematische anthropologische Annahmen zurück. - Keine Annahmen bzgl. starker altruistischer Präferenzen; behauptet wird lediglich, dass Menschen starke egoistische Präferenzen haben. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -12- Kontraktualismus – Contra l Mangel an Universalität: - Die Grenzen der moralischen Gemeinschaft werden durch das Drohpotential definiert. Nur wer sanktionieren kann, besitzt moralische Rechte. l Abweichend die Alltagsmoral: l Alle Menschen, auch Machtlose, haben moralische Rechte: - Minderheiten - Arme in der 3. Welt: Wer im Überfluss lebt, hat Hilfspflichten. Auch Tiere haben Rechte – da man mit ihnen keine Verträge schließen kann, akzeptiert der Kontraktualist dies nicht. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -13- Kontraktualismus – Contra l Mangel an Egalität: - Die Menschen verfügen über unterschiedlich starkes Drohpotential. Daraus leitet sich ab, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Rechte haben können: Legitimierbar sind u.U. l Apartheid l Minderheitendiskriminierung l etc. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -14- Zukünftige Generationen und Nachhaltigkeit l „Warum sollte ich etwas für die zukünftigen Generationen tun? Was haben die zukünftigen Generationen je für mich getan?“ l Kontraktualistisch gesehen, gibt es keinen Grund für Konsumverzicht und nachhaltiges Wirtschaften zugunsten zukünftiger Generationen. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -15- Literatur l Th. Hobbes: Leviathan (1651) l D. Gauthier: Morals By Agreement (1987) l P. Stemmer: Handeln zugunsten anderer (2000) Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -16- Kantianismus l Einflussreichste deontologische Ethikfamilie. l Zeitgenössische Kantianer sind z.B. l Jürgen Habermas, l John Rawls, l Thomas Scanlon und l Ernst Tugendhat. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -17- Immanuel Kant l Lebte von 1724-1804 in Königsberg. l Wichtigstes Werk zur Ethik: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785). Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -18- Kategorischer Imperativ und Vernunft l Idee: Aus der reinen, absoluten praktische Vernunft leitet sich ein Moralprinzip ab: der kategorische Imperativ (KI). l Den KI erkennt man durch reines Nachdenken ohne Berücksichtigung von Empirischem (wie Wünschen etc.), also apriori – ähnlich wie die Regeln der Mathematik/Logik. l Unterschiedliche Formulierungen des KI. In der Vorlesung werden besprochen: - Universalisierungsformel (bzw. Naturgesetzformel) - Zweckformel. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -19- Kategorischer Imperativ: Universalisierungstest l N-Formel des Kategorischen Imperativs (KI): Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen [bzw. denken] kannst, dass sie ein Naturgesetz werde! l Idee: Wenn jemand sich entscheidet, eine konkrete Handlung zu vollziehen, liegt dem eine allgemeinere praktische Einstellung – eine Maxime – zugrunde. l Diese Maxime wird dem KI-Test unterworfen. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -20- Kategorischer Imperativ: Universalisierungstest Absicht: Ich belüge hier und jetzt Peter, um einen guten Eindruck auf ihn zu machen. Maxime: Ich lüge immer dann, wenn ich einen guten Eindruck machen will. Oder: Ich lüge immer dann, wenn es im Eigeninteresse liegt. Oder: Ich lüge immer. Die Maxime kann mehr oder weniger allgemein sein. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -21- Kategorischer Imperativ: Universalisierungstest Test der Maxime „Ich lüge immer.“ l N-Formel des Kategorischen Imperativs: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen [bzw. denken] kannst, dass sie ein Naturgesetz werde! - Naturgesetz: Alle lügen immer. - Ich kann nicht wollen, dass alle immer lügen. - Ich könnte nämlich weniger gut erreichen, was ich will, wenn ich regelmäßig belogen würde. - Somit ist es moralisch falsch, zu lügen. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -22- Plausibilität des Universalisierungstests Hilfe in Not: l Maxime: „Ich helfe nie anderen in Not.“ l Naturgesetz: Niemand hilft anderen in Not. l Kant: Das kann man nicht wollen! l Aber: Jemand könnte durchaus wollen, dass niemandem in Not geholfen wird – etwa weil er selbst in sicheren Verhältnissen lebt, oder weil er zu stolz ist, Hilfe anzunehmen. l Dem KI zufolge muss so jemand keine Nothilfe leisten. l Unplausibel: Hilfe in Not ist für jeden eine moralische Pflicht! Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -23- Plausibilität des Universalisierungstests l Maxime: Ich kaufe antiquarische Uhren, aber verkaufe niemals welche. l Naturgesetz: Alle kaufen antiquarische Uhren, aber verkaufen niemals welche. l Kann ich weder wollen noch denken, ist also nach KI unmoralisch. l Unplausibel! Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -24- Zweckformel des KI Neben dem Universalisierungstest bietet Kant eine weitere Testformel an: l Zweck-Formel: Handle so, dass du die Menschheit (...) jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -25- Zweck an sich und absoluter Wert Zugrundeliegende These: Der Mensch hat Vernunft; Vernunft hat einen absoluten Wert, d.h. ist ein Zweck an sich. Was einen absoluten, d.h. unendlichen intrinsischen Wert hat, hat Würde. Was Würde hat, dem gebührt Achtung. Wem Achtung gebührt, das stellt eine Grenze unseres Wollens/Handelns dar. Es darf deshalb nicht allein als Mittel bei der Realisation anderer Werte behandelt werden. Es muss, wenn es als Mittel behandelt wird, einwilligen. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -26- Würde und Achtung l Sehr einflussreicher Gedanke – Eingang in das Deutsche Grundgesetz (Art. 1.1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“) - Verfassungsgericht: Verboten, Flugzeuge abzuschießen, die auf Hochhäuser zufliegen – Abschuss würde die Insassen instrumentalisieren, ihre Würde missachten. - Strenggenommen verbietet die Zweckformel allerdings den Abschuss gar nicht: Die Schädigung der Passagiere ist kein Mittel, sondern Nebenfolge! - Aus der Idee des gleichen unendlichen Wertes jeder Person würde aber immerhin folgen, dass der Abschuss nicht geboten wäre (3000 Leben nicht mehr wert als 100). - Nimmt man – kantianisch – hinzu, dass Töten schlimmer als Sterbenlassen ist, ist das Gerichtsurteil im Einklang mit Kant. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -27- Erläuterung der Zweckformel „Handle so, dass du die Menschheit (...) jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ Was bedeutet „zugleich als Zweck behandeln“/“nie bloß als Mittel“? l Man darf Menschen als Mittel brauchen, z.B. Taxifahrerinnen, aber nicht bloß als Mittel: Man muss sie auch als Zwecke achten, d.h. muss darauf Rücksicht nehmen, was sie selbst wollen. l Z.B. muss die Taxifahrerin freiwillig Taxi fahren, sie muss in das Geschäft ungezwungen einwilligen. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -28- Plausibilität der Zweckformel Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -29- Plausibilität der Zweckformel Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -30- Plausibilität der Zweckformel In beiden Szenarien ist die Zweckformel mit der Alltagsmoral konform: Weiche: Man darf stellen, da der Tod des Opfers kein Mittel darstellt, sondern nur eine vorhergesehene Nebenfolge. Brücke: Man darf nicht schubsen, denn der Tod des dicken Mannes wäre ein bloßes Mittel zur Rettung der 5. Anmerkung: Im Brückenszenario konfligiert die Alltagsmoral mit dem Utilitarismus, der das Schubsen fordert. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -31- Plausibilität der Zweckformel l Angenommen ich muss, um einen Menschen vor dem Ertrinken zu retten, einen anderen beiseite schieben, der vor dem Tor zum See steht. Der andere willigt nicht ein. Ihn wegzuschieben instrumentalisiert ihn ohne seine Einwilligung. l Kant zufolge darf ich den Mann nicht beiseite schieben, muss den Menschen ertrinken lassen. l Unplausibel: Gewiss darf ich ihn schieben, ja habe sogar die Pflicht, es zu tun. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -32- Plausibilität der Zweckformel Jemanden, den man leicht hätte retten können, ertrinken zu lassen, stellt keine Instrumentalisierung dar. Ihn ertrinken zu lassen, ist daher gemäß der Z-Formel nicht unmoralisch. Unplausibel. Dies ist gewiss moralisch falsch. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -33- Plausibilität der Zweckformel Nicht alle Handlungen, die gemäß der Zweckformel unmoralisch sind, halten wir im Alltag für unmoralisch. Einige der Handlungen, die gemäß der Zweckformel moralisch einwandfrei sind, halten wir im Alltag für unmoralisch. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -34- Fazit Kantianismus l Die Formeln des KI, die Kant vorschlägt, stehen bei zahlreichen Beispielen nicht im Einklang mit der Alltagsmoral. l Heutige Kantianer geben nicht auf: l Vielleicht gibt es plausiblere KI-Formeln. l Vielleicht muss die Alltagsmoral revidiert werden. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -35- Fazit Normative Ethik l Alle 3 diskutierten Ansätze (Utilitarismus; Kontraktualismus; Kantianismus) haben sich als problematisch erwiesen. - Ist die Moral vielleicht kompletter Humbug? l Nein: Die Moral hat für die meisten Menschen zweifellos normative Autorität. Die Frage ist nur, wie sie genauer zu verstehen und zu systematisieren ist. l Die 3 unterschiedlichen philosophischen Ethiken unterscheiden sich in vielen Punkten voneinander sowie von der Alltagsmoral, aber alle 4 überschneiden sich doch bei einer Vielzahl von Fällen. l Zumindest innerhalb dieses Konsensbereichs ist wenig Zweifel angebracht, was moralisch richtig ist und was nicht. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -36- Literatur l Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785). l Birnbacher: Analytische Einführung in die Ethik. l Schönecker/Woods: Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“: Ein einführender Kommentar. Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 4. Vorlesung -37- Wirtschafts- und Unternehmensethik 4. Vorlesung: Fallstudie: Der Ford Pinto Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 5. Vorlesung -1- Fallstudie zur Anwendung der Prinzipien der normativen Ethik: Der Ford Pinto Prof. Dr. Julius Schälike Wirtschafts- und Unternehmensethik Philosophisches Seminar 5. Vorlesung -2- Der Fall Ford Pinto ⚫ Ende der 1960er Jahre verloren amerikanische Automobilfirmen – insbesondere aufgrund günstiger Importe aus Japan – erhebliche Marktanteile. ⚫ Als Folge verlangte Lee Iacocca (CEO Ford), ein neues Modell, das kostengünstig (< $2.000 [=$13.000 inflationskorrigiert]) und leicht (

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