Zoologie II - Bakterien (PDF)
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Pädagogische Hochschule Heidelberg
Armin Baur
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These notes detail the structure, classification, and functions of bacteria. The text discusses bacterial anatomy, including the nucleoid, plasmids, cytoplasm, and cell wall. It also describes various types of bacteria and their metabolic processes, along with their importance in different environments.
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Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 7 1. Bakterien Die Welt um uns ist gefüllt mit vielen für uns nicht sichtbaren, winzig kleinen Organismen. Zu ihnen zählen die Bakterien. Bakterien (Singular: Bakteri...
Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 7 1. Bakterien Die Welt um uns ist gefüllt mit vielen für uns nicht sichtbaren, winzig kleinen Organismen. Zu ihnen zählen die Bakterien. Bakterien (Singular: Bakterium; wissenschaftlich: Bacteria) haben eine Länge von 0,6 µm bis 700 µm und einen Durch- messer zwischen etwa 0,1 µm und 700 µm (1 µm entspricht 10-6 m). Bakterien können für den Menschen oder andere Organismen Pathogene sein wie z. B. Clostridium tetani, der Erreger des Wundstarrkrampfs Tetanus. Sie können für den Körper hilfreich sein wie z. B. Escherichia coli, welches in der Darmflora von Tieren und Menschen lebt und ein Vitamin- Abb.1.1: Escherichia coli Bild: Erbe, digitalisiert und coloriert produzent ist (Vitamin K). Bakterien können im Körper als Christopher Pooley, 2005 Symbionten leben, z. B. Mitochondrien, so wird vermutet, waren ursprünglich Bakterien, ein anderes Beispiel sind die Knöllchenbakterien (Rhizobiaceae), die in den Wurzeln von Schmetterlingsblütlern (Fabacea) leben und molekularen Stickstoff binden und diesen dadurch für die Pflanzen verfügbar machen. Bakterien können auch bedeutend in der Lebensmittelproduktion sein, so werden zur Joghurtherstellung Milchsäurebakterien (Lactobacillales) eingesetzt. - Inhaltliche Lernziele - Sie können: - den Aufbau eines Bakteriums beschreiben, - Bakterienzellen von anderen Zellen abgrenzen, - die Vermehrungsarten von Bakterien darstellen, - die Fortbewegungsarten von Bakterien erklären, - den Energiestoffwechsel von Bakterien erläutern. Sie erhalten Einblick in das System der Bacteria. 1.1 Systematik Die Bakterien (Bacteria) bilden eine der drei Domänen der Lebewesen. Die Domäne ist die höchste Klassifizierungskategorie in der Systematik. Neben den Bacteria gibt es noch die zwei weiteren Do- mänen Archaea und Eucarya (Woese, Kandler & Wheelis, 1990). Früher wurden die Prokaryoten (Bacteria und Archaea) als zusammengehörende Gruppe von den Eukaryoten getrennt, da Eukaryo- ten eine andere Zellmembran, einen Zellkern und Zellorganellen besitzen. Durch die Analyse der ri- bosomalen RNA (rRNA) wurde jedoch deutlich, dass man nicht eine Zweiteilung (Eukaryoten und Prokaryoten), sondern eine Dreiteilung vornehmen muss. Aus den Prokaryoten entstanden die Do- mänen Bacteria und Archaea und die Eucarya (Eukaryoten) wurden zu einer hierarchiegleichen Do- Abb.1.2: Phylogenie der drei Domänen Bild: Woese et al., 1990. Die Zahlen in der Abbildung verweisen ursprünglich auf die Untergruppen, da diese in der aktuellen Diskussion umstritten sind, wurde die Auflistung nicht übernom- men. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 8 mäne. Die drei von Woese, Kandler und Wheelis beschrieben Domänen sind noch heute in der Sys- tematik akzeptiert. Die damals von Woese, Kandler und Wheelis dargestellten Untergruppen der Domänen sind jedoch nach den neuen Erkenntnissen nicht mehr aktuell. Die Unterteilung der Bakterien erfolgte durch die Analyse des Gens des ribosomalen Untereinheits- moleküls ‚16S‘ und führte zum phylogenetischen System der Bakterien von Garrity et al. (2007). Hierbei wird das Gen isoliert (Lyse der Zelle und danach Isolierung des Gens) und sequenziert. Das 16S-rRNA Molekül entspricht von der Funktion her dem 18S-rRNA Molekül bei den Eukaryoten. S ist das Maß der Größe (des Gewichts) eines Makromoleküls. Abb.1.3: Phylogenie der Bacteria Bild: ohne Namen, 2004, verändert Die Abbildung zeigt eine vereinfachte Darstellung der Phylogenie der Bacteria. Eine detailliertere Übersicht findet sich bei Madigan, Martinko, Stahl & Clark, 2015, S. 416. Proteobacteria: Größte Gruppe der Bakterien. Zum Phylum der Proteobacteria gehören beispielswei- se die Purpurbakterien. Purpurbakterien gewinnen durch anoxygene Photosynthese Energie, um organisches Material aufzubauen. Bei der anoxygenen Photosynthese entsteht im Vergleich zur oxygenen Photosynthese kein Sauerstoff. Die Pigmente für die Photosynthese sind Bakteriochloro- phylle und Carotinoide, die den Purpurbakterien eine rötliche bis rotbraune Färbung verleihen. Pur- purbakterien sind gramnegative Bakterien; einige reagieren jedoch gramvariabel. Cyanobacteria (Cyanobakterien): Charakteristisch ist die – nicht bei allen Arten vorhandene – Fähig- keit zur oxygenen Photosynthese. Die Cyanobakterien wurden früher als Blaualgen unter den Algen geführt. Grampositive Bakterien: Die grampositiven Bakterien bestehen aus zwei Untergruppen: den Ac- tinobacteria (Aktinobakterien) und den Firmicutes. Aktinobaterien haben die Form von Stäbchen, Kokken oder eine Coryneform (an einem Ende keulenförmig verdickt). Sie kommen z. T. mehrzellig vor, viele Aktinobakterien können Endosporen (siehe Abb. 1.12) bilden. Die Firmicutes unterscheiden sich von den Aktinobakterien durch ihren GC-Gehalt (Anteil der DNA-Basen Guanin und Cytosin). Chlamydia (Chlamydien): Chlamydien sind sehr kleine Bakterien. Sie können sich nur innerhalb einer Wirtszelle vermehren. Planctomyces: Zellen der Planctomyces sind stark kompartimentiert, sie besitzen häufig etwas Ähnli- ches wie eine Kernmembran. Die Bakterienzellen sind gestielt. Mit dem Stiel sind sie an festen Ober- flächen angeheftet. Bacteroides, Flavobacteria: Die Bacteroides kommen im Darm von Mensch und Tieren vor. Einige Arten können auch Pathogene sein (z. B. Erreger der Blutvergiftung). Bacteroides stellen als einzige Sphingolipide her (fettlösliche Substanzen). Flavobacterium-Arten findet man hauptsächlich in aqua- tischen Lebensräumen. Die Kolonien sind häufig gelb pigmentiert. Manche Arten der Flavobakterien sind pathogen. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 9 Grüne Schwefelbakterien (Chlorobien): Chlorobien betreiben anoxygene Photosynthese (es entsteht kein O2) und nutzen hierfür reduzierte Schwefelverbindungen wie Schwefelwasserstoff (H2S) und Thiosulfat (S2O32−) oder elementaren Schwefel (Chlorobien siehe Abb. 1.8). Spirochaeten (Spirochäten): Spirochaeten haben, im Gegensatz zu den auch schraubenförmig gebau- ten Spirillen (gehören zu den Proteobacteria), keine starre, durch die Zellwand gegebene Gestalt. Sie besitzen nicht nach außen ragende Geißeln, sondern Endoflagellen, die im Körper sind. Durch Dre- hung der Flagellen kommt es zur Rotation des Körpers. Deinococcus: Besitzen Zellwände, die grampositiv sind, jedoch auch eine weitere Zellmembran, die gramnegativ ist. Grüne Bakterien (Grüne Nicht-Schwefel Bakterien): Der Photosyntheseapparat der Grünen Nicht- Schwefel Bakterien besitzt einen ungewöhnlichen Aufbau: Er enthält Pigmente wie Chlorosomen und Bacteriochlorophyll c, welche für Grüne Schwefelbakterien charakteristisch sind, andererseits Bacte- riochlorophyll a, das bei Purpurbakterien vorkommt. Thermotoga: Stäbchenförmige Bakterien, die von einer scheidenartigen Hülle (Toga) umgeben sind. Obligat (unbedingt) anaerobe Bakterien. Thermotoga kommen in heißen Quellen und marinen Hyd- rothermalgebieten vor. Bakterien werden aus pragmatischen Gründen oft immer noch in Anlehnung an das klassische Sys- tem nach ihrer Form und ihrer Organisation unterteilt (diese Einteilung entspricht aber keiner wis- senschaftlichen Einteilung). Nach dieser pragmatischen Einteilung kann man Kokken, Bazillen und Spirillen unterscheiden. Kokken sind in ihrer Form kugelige Bakterien. Bazillen sind längliche, zylindri- sche Bakterien. Spirillen haben eine spiralige, wendelförmige Gestalt. Abb.1.4: Pragmatische Einteilung der Bakterien (A) Bild von Facklam; (B) Bild von Blaylock; (C) Bild von Adlassnig 1.2 Anatomie von Bakterien Die Formen und Größen der Bakterien sind je nach Art sehr unterschiedlich. Man kann jedoch in der Bakterienzelle gleiche Zellstrukturen erkennen, von denen jedoch nicht alle bei jeder Bakterienart vorzufinden sind (z. B. Äußere Zellmembran, Gasvesikel, Chlorosom). Nachfolgend werden alle Struk- turen beschrieben: (A) Nucleoid Der DNA-Moleküldoppelstrang ist bei Bakterien in sich geschlossen (er bildet einen Ring). Die DNA liegt frei im Cytoplasma vor. Dies ist einer der markanten Unterschiede zwischen Bakterien und Euka- ryoten. Bei den Eukaryoten ist die DNA im Zellkern eingebettet und durch die Kernmembran einge- schlossen. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 10 (B) Plasmid Eine Besonderheit von Bakterien und Archaeen sind die Plasmide. Plasmide sind kleinere Ringe eines DNA-Doppelstrangs, die frei im Cytoplasma enthalten sind. Plasmide tragen oft nicht lebenswichtige, aber z. T. hilfreiche Gene. Die Gene der Plasmide werden nicht zu den Bakterienchromosomen ge- zählt. Sie sind zusätzliche Gene und daher extrachromosomal. Plasmide können zwischen Bakterien ausgetauscht werden (Konjungation; siehe Abb. 1.7) oder von den Bakterien auf Wirtszellen übertra- gen werden. (C) Cytoplasma Die Flüssigkeit/Lösung in der Bakterienzelle heißt wie bei allen Zellen Cytoplasma (Syn.: Cytosol). Sie ist in ihrer Zusammensetzung vom Außenmedium verschieden und macht durch ihre Inhaltsstoffe das Leben der Bakterienzelle möglich. Im Cytoplasma finden sich unterschiedlichste Ionen, Mono-, Di- und Polysaccaride, Aminosäuren sowie Nucleotide (Bausteine von Nucleinsäure). (D) Cytoplasmamembran Die Cytoplasmamembran der Bakterien besteht aus einer Phospholipid-Doppelschicht und hierin eingelagerten oder angelagerten Proteinen. Die Membran ist ähnlich der Plasmamembran von Euka- ryoten, ein Unterschied sind bei manchen Bakterienarten die Hopanoiden (steife, flache Moleküle als Membranverstärker; sind den Steroiden ähnlich). Die Membran unterscheidet sich zu der der Ar- chaeen, da die Membran der Archaeen z. T. aus einer einfachen Phospholipidschicht aufgebaut ist. Wird die Cytoplasmamembran zerstört, läuft das Cytoplasma aus der Zelle aus (Fachbegriff: Lyse) und die Bakterienzelle stirbt. Die Cytoplasmamembran ist das Organ der selektiven Stoffaufnahme und - abgabe. An oder in der Membran sitzen Proteine, die als Enzyme wirken, z. B. beim Energiestoff- wechsel (siehe z. B. Abb. 1.14, 1.15). (E) Zellwand Das Cytoplasma der Bakterien enthält eine hohe Konzentration gelöster Stoffe, was zu einem hohen osmotischen Druck führt. Damit die Zelle nicht platzt, wird sie durch die Zellwand stabilisiert. Der Zellinnendruck in einer Bakterienzelle entspricht in etwa dem Reifendruck eines PKWs (2 Atmosphä- ren). Die Zellwand führt zur Gestaltform des Bakteriums. Sie ist aus Peptidoglycanen aufgebaut. Ein Peptidoglycan ist aus Zuckern und Aminosäuren zusammengesetzt. Peptidoglycane findet man nur bei Bakterien. (F) Äußere Zellmembran Bei gramnegativen Bakterien ist an der Außenseite der Zellwand noch eine zweite Zellmembran vor- handen. Gramnegative Bakterien heißen so, da sie sich mit der Methode der Gram-Färbung (Syn.: Gramfärbung) nicht färben lassen. Die Gram-Färbung wurde von Hans Christian Gram (1853–1938), einem dänischen Bakteriologen, entwickelt. (G) Ribosomen An den Ribosomen findet die Proteinsynthese statt. Der Aufbau der Prokaryoten-Ribosomen unter- scheidet sich von dem der Eukaryoten. Die Ribosomen der Bacteria und Archaea enthalten drei un- terschiedlich große rRNA-Moleküle, die der Eucarya vier. (H) Pili Pili (lateinisch: Haare; Singular: Pilus) sind lange Filamente aus Proteinen. Die Pili sind länger als die Fimbrien. Ein Bakterium besitzt nur einen Pilus oder kann auch viele Pili besitzen (siehe Abb. 1.6). Das Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 11 Pilus ermöglicht den Genaustausch zwischen Bakterienzellen (Konjugation; siehe Abbildung 1.7) oder kann zur spezifischen Anhaftung an Wirtszellen genutzt werden. Abb.1.6: Phili bei Escherichia coli Gramnegatives, säurebildendes und be- geißeltes Bakterium. Leben u. a. im Abb.1.5: Anatomie eines Bakteriums menschlichen und tierischen Darm. Bild: Baur, 2019 Bild: Forero, 2006 Abb.1.7: Konjugation Bild: Matthias M., 2012, verändert Konjugation: Gentransfer durch Kontakt der Zellen. Bei der Konjugation wird die Kopie eines F-Plasmiden in eine Empfän- gerzelle gebracht (3). Hierfür wird über einen Pilus zuerst der Zellkontakt herge- stellt (1 und 2). Nach der Konjugation trennen sich die Zellen wieder (4). (I) Fimbrien Fimbrien sind filamentöse Strukturen, die als Anhaftungsorgane eingesetzt werden (Verbindung von Bakterien). Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 12 (J) Geißel Die Geißel (Flagelle) – bzw. bei manchen Bakterien auch mehrere Geißeln – rotiert und zieht oder schiebt so das Bakterium durch ein flüssiges Medium. (K) Granula Granula (Singular: Granulum) sind Strukturen, die die Speicherung von Energiereserven oder Bau- stoffreserven ermöglichen. Die im Granulum enthaltenen Stoffe sind von einer einschichtigen Memb- ran umgeben. Das Bilden von Granula verhindert osmotischen Stress, da durch die Bildung von Granula eine starke Abweichung der Stoffkonzentrationen im Cytoplasma vermieden wird. (L) Gasvesikel Bei schwimmenden Bakterien wird Auftrieb durch das Bilden von Gasvesikeln hergestellt. Die Vesikel bestehen aus einer Proteinhül- le, in die Gase eingeschlossen werden. Durch die Vesikel kann die Schwebehöhe im Wasser eingestellt werden. (M) Chlorosomen Chlorosomen sind Organellen von Photosynthese betreibenden Grünen Schwefelbakterien (Chlorobien) und Grünen Bakterien Abb.1.8: Grüne Schwefelbakte- rien (Chlorobien) (Chloroflexi). Sie sind in ihrem Aufbau rechteckige bis ellipsoide Strukturen, die hauptsächlich Bacteriochlorophylle (c, d oder e) Bild von: Mikrobiologisches Praktikum Universität Kassel, sowie geringere Mengen Carotinoide und Chinone für die Photo- 2007 synthese enthalten. 1.3 Fortbewegung Bakterien sind je nach Art in der Lage, sich frei fortzubewegen und/oder sich an Oberflächen festzu- setzen. Bewegliche Bakterien können sich in einem flüssigem Medium (durch Schwimmen, Schweben) oder auf glatten Oberflächen (durch Gleiten) fortbewegen. Die Fortbewegung im flüssigen Medium über- wiegt. (A) Fortbewegung mithilfe von Geißeln (Flagellen) Die Geißeln der Bakterien sind starre Gebilde aus dem Protein Flagellin, die durch Drehung bewegt werden. Die Drehung führt zum Ziehen oder Schieben durch das Wasser. Geißeln können um die ganze Zelle herum (peritrich) angeordnet sein oder an den Polen der Zelle (polar). Die Geißelrotation (mit einem Flugzeugpropeller zu vergleichen) erfolgt durch das Einströmen von H+-Protonen. Die Protonen strömen hierbei durch Mot-Proteine (spezifische Kanäle) ins Zellinnere. Da der MS- und C- Ring Ladungen tragen, kommt es durch die gegensätzlichen Ladungen zur Anziehung und durch glei- che Ladungen zur Abstoßung, was insgesamt zur Rotation der verbundenen MS- und C-Ringe führt (vgl. Abb. 1.9). Die Geißel ist fest mit dem MS- und C-Ring verbunden. Für die Drehbewegung muss immer wieder ein Protonengradient aufgebaut werden. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 13 Abb.1.9: Bakteriengeißel Bild: Baur, 2019 (B) Schraubenbewegung Spirochaeten können sich durch Drehung um ihre Körperachse fortbewegen. Da sie spiralförmig ge- baut sind, arbeiten sie sich dadurch durch das flüssige Medium. (C) Schweben mithilfe von Gasvakuolen Durch den Aufbau und den Abbau von Gasvakuolen kann die Schwebehöhe im Wasser eingestellt werden. (D) Gleiten Einige Bakterienarten können auf Oberflächen gleiten. Man vermutet, dass Cyanobakterien einen Schleim bilden, der sie voranschiebt. Bei anderen Bakterien (z. B. Flavobacterium johnsoniae) vermu- tet man, dass Proteine der Zellmembran, die an der Oberfläche ansetzen, in der Zellmembran ver- schoben werden, was zur Fortbewegung führt. 1.4 Vermehrung und Sporenbildung Die Vermehrung von Bakterien durch Zellteilung wird auch als ‚bakterielles Wachstum’ bezeichnet. Beim ‚bakteriellen Wachstum‘ wird die Bakterienanzahl als die anwachsende Größe gesehen. In die- ser Arbeit wird der Begriff Wachstum jedoch im Zusammenhang mit der Zunahme der Zellgröße ver- wendet. Die Vermehrung von Bakterien kann durch Zellteilung oder bei einigen Arten durch Knospung erfol- gen. Bei der Zellteilung entstehen aus einem Bakterium durch Bildung eines Septums (Trennwand) zwei Bakterien. Das Septum bildet sich in der Symmetrieebene zur Bakterienlänge. Der Aufbau des Sep- tums erfolgt von der bestehenden Zellmembran ausgehend nach innen hin. Zuvor haben ein Län- genwachstum und eine Verdopplung der DNA stattgefunden. Bei der Zellteilung sind beide entste- henden Zellen gleich groß, jedoch kleiner als die ursprüngliche Bakterienzelle. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 14 Bei der Knospung wächst aus einem Mutterorganismus ein Spross (eine Knospe) hervor, der sich nach einer gewissen Zeit vom Mutterorganismus abtrennt. Spross und Mutterorganismus unter- scheiden sich in ihrer Größe. Knospung gibt es nicht nur bei Bakterien, sondern auch bei anderen Organismen (z. B. Nesseltiere Cnidaria). Bei beiden Arten der Vermehrung spricht man von einem vertikalen Gentransfer. Bei der Konjugati- on liegt ein horizontaler Gentransfer vor (vergleiche Abb. 1.7). Bei wenigen Arten kann durch die Bildung von mehreren Sporen eine Vermehrung stattfinden. Bei den meisten Bakterienarten wird jedoch nur eine Spore gebildet. Daher ist das Bilden von Sporen keine Vermehrung im eigentlichen Sinn. Die Sporenbildung tritt meist bei einem Mangel an Nährstof- fen ein. Die Bildung von Sporen (Ruhezustand einer Bakterienzelle) ermöglicht die Erhaltung der Ge- ne. So können Sporen Tausende von Jahren überleben. Die Spore ist resistent gegenüber Kälte, Hitze, Säure und UV-Strahlung. Hitzeresis- tenz entsteht vermutlich durch gebildete Dipicolinsäuren (Abb. 1.9) und Ca2+. Die Hitzeresistenz von Sporen korreliert mit der enthaltenen Menge an Ca2+ und Dipicolinsäure (Mallidis & Scholefield, 1987). Die Resistenz gegenüber UV-Strahlung wird durch gebildete SASPs ge- Abb.1.10: Dipicolinsäure währleistet. Die SASPs (Proteine) binden an die DNA und schützen diese dadurch vor der Strahlung. Für die Resistenzen tragen auch der niedrige Wassergehalt in der Spore und die besondere Zellwand das Ihrige bei. Im Sporenstadium finden kein Größenwachstum und kein Stoffwechsel statt. Man kann zwischen Endo-, Exosporen und Cysten unterscheiden. En- dosporen werden von unterschiedlichen Arten grampositiver Bakterien gebildet. Sie entstehen durch asymmetrische Teilung und einer späteren Sporenreifung in der Bakterienzelle. Exospren entstehen durch Knospung und Umbildung der entstehenden Tochter-Bakterienzelle. Bei der Cystenbildung wird die komplette Bakterienzelle zu einer Spore umgebildet. Beispiel zur Endosporenbildung: Amerikanische Faulbrut (Bakterium Paenibacillus larvae), ein Schädling der Honigbiene Abb. 1.11: Bild: Tanarus: Positiver Faulbruttest. Mit dem Streichholz wird ein schleimiger Faden herausgezogen. Die Infektion der Amerikanischen Faulbrut – Infektion mit dem Bakterium – erfolgt über das Futter der Honigbienenmade (Lar- ve der Biene). Die Sporen des Bakteriums keimen im Darm der Bienenmade zu Stäbchen, die entwickelten aktiven Bakterien ernähren sich vom Bienenfutter. Sobald die Stäbchen durch ihre extreme Zellteilung den Darm restlos gefüllt haben, brechen sie durch den Darm. Die Bienenmade stirbt dadurch. Nun kommt es beim Bakterium aufgrund des Nährstoffmangels zur Bildung von Sporen. Stirbt die Bienenmade erst nach der Verdeckelung, kommt es in der Zelle zur Bildung von ei- ner zähen Masse, die hoch infektiös ist. Die Putzbienen haben Schwierigkeiten, die mit Sporen be- setzte Masse zu entfernen. Über den Putztrieb werden die Sporen im Volk verteilt und gelangen auch in die Futtervorräte. Die Folgen für das betroffene Bienenvolk sind fatal. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 15 Abb.1.12: Vergleich: Endosporenbildung, Zellteilung, Knospung Bild: Baur, 2019 1.5 Ernährung und Energiestoffwechsel Die Vielfalt der Bakterien spiegelt sich auch in Unterschieden im Energiestoffwechsel wider. Man kann die Bakterien danach unterteilen, wie sie Energie und Kohlenstoff beschaffen sowie welche Reduktionsmittel sie einsetzen, um organische Moleküle aufzubauen. (A) Gewinnung von Energie Man kann hierbei zwischen phototroph und chemotroph unterscheiden. Stammt die Energie vom Licht, spricht man von phototroph. Stammt die Energie aus chemischen Verbindungen, spricht man hingegen von chemotroph. (B) Beschaffung von Kohlenstoff Man kann bei phototrophen und chemotrophen Organismen zwischen autotroph und heterotroph unterscheiden. Autotrophe Organismen können anorganische Verbindungen wie z. B. CO2 als Kohlen- stoffquelle nutzen. Heterotrophe Organismen benötigen organische Verbindungen als Kohlenstoff- quellen. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 16 Tabelle 1.1: Ernährungsformen in Bezug auf Energie- und Kohlenstoffquellen Kohlenstoffquelle anorganische Verbindungen organische Verbindungen Licht photoautotroph photoheterotroph Energie- quelle chemische chemoautotroph chemoheterotroph Verbindungen (C) Art der Reduktionsmittel Als weiteres kann man zwischen lithotrophen und organotrophen Organismen unterscheiden. Li- thotrophe Organismen verwenden ausschließlich anorganische Reduktionsmittel für ihren Baustoff- und Energiestoffwechsel. Organotrophe Organismen verwenden auch organische Reduktionsmittel wie NAD+/NADH, NADP+/NADPH, FAD/FADH2. Bei der Zellatmung (Stoffwechsel zur Energiegewinnung) spielt noch die Abhängigkeit von Sauerstoff eine Rolle, was zur vierten Unterscheidung führt: (D) Art der Zellatmung Man kann bei der Zellatmung zwischen anaeroben und aeroben Organismen unterscheiden. Anae- robe Organismen verwenden keinen (obligatori- sche Anaerobier) oder nicht immer (fakultative Anaerobier) Sauerstoff für die Zellatmung, wohin- gegen aerobe Organismen Sauerstoff (O2) benöti- gen. Der Sauerstoff wird bei der Zellatmung dafür benötigt, um am Ende der Redoxreaktionen (Atmungskette), bei denen H+-Protonen aus der Zelle gepumpt werden (Aufbau eines Gradienten für ATP-Synthese), die Elektronen aufzunehmen (letzte Oxidation). Wird kein Sauerstoff verwendet (anaerobe Atmung), wird ein anderer Elektronen- akzeptor (elektronenaufnehmender Akteur) benö- tigt, dies kann ein anorganisches oder organisches Molekül sein. Ein Elektronenakzeptor wird benö- Abb.1.13: Milchsäuregärung tigt, damit die Reduktionsmittel, z. B. NAD+, wie- der verfügbar sind. Man kann bei den Bakterien vier Haupternährungstypen vorfinden (Campbell, 2015): (I) Photolithoautotroph: Aufbau der organischen Moleküle mithilfe der Photosynthese. Die Energie stammt aus dem Licht (Sonne) und der Kohlenstoff aus CO2 oder anderen anorganischen Ver- bindungen (z. B. Bicarbonat: HCO3-). Photolithoautothrophe Bakterien sind die Cyanobakterien (Blaualgen). (II) Chemolithoautotroph: Organische Moleküle werden mit Energie aus der Oxidation von reduzier- ten anorganischen Verbindungen (z. B. Schwefelwasserstoff: H2S; Ammoniak: NH3; Eisen Fe2+), und dem Kohlenstoff, gewonnen aus CO2, aufgebaut. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 17 Abb.1.14: Beispiel der Energiegewinnung bei Chemolithoautotrophie ATP-Bildung durch Oxidation von H2 bei Aquifex aeolicus. Durch die Oxidation von H2 entstehen vier H+-Protonen und vier Elektronen. Die Elekt- ronen werden vom Enzymkomplex zur Redukti- on von O2 eingesetzt. Der reduzierte Sauerstoff verbindet sich mit H+ zu H2O. Die im Zellaußen- raum entstandenen H+-Protonen strömen durch die ATP-Synthase, hierbei entsteht ATP. Bild: ohne Namen, 2015, verändert (III) Photoheterotroph: Aufbau der organischen Moleküle mithilfe der Photosynthese. Die Energie stammt aus dem Licht (Sonne). Photoheterotrophe Organismen müssen Kohlenstoff in organi- scher Form aufnehmen. Die Reduktionsmittel können hierbei ausschließlich anorganisch (li- thotrop) oder auch organisch (organotroph) sein. (IV) Chemoheterothroph: Die Energie wird komplett durch die Oxidation organischer Verbindungen gewonnen. Kohlenstoff für den Baustoffwechsel muss über organische Verbindungen aufge- nommen werden. Chemoheterothrophe Organismen sind organotroph. Dieser Ernährungstyp ist weit verbreitet. Abb.1.15: Beispiel der Energiegewinnung bei Chemoheterotrophie ATP-Generierung beim Milchsäurebakterium: Kohlenhydrat wird aktiv ins Zellinnere aufge- nommen und zu Milchsäure (Laktat + H+) redu- ziert. Hierbei entsteht je nach Kohlenhydrat eine gewisse Anzahl von ATP. Die entstehende Milchsäure (Laktat + H+) wird energieneutral aus der Zelle transportiert. Durch das H+ ent- steht ein Gradient, durch den ein ATP erzeugt werden kann. Bild: ohne Namen, 2015, verändert Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 18 Nachbereitung / Übung Aufgabe 1: Erklären/definieren Sie die Begriffe: aerob Eukaryoten Kokken anaerob extrachromosomal Konjugation Archaea Flagelle Pathogen autotroph Geißel phototroph Bazillen Gradient Plasmid chemotroph gramnegativ Prokaryoten Domäne grampositiv Spirillen Eucarya heterotroph Aufgabe 2: (1) Worin unterscheiden sich Bakterien, Archaeen und Eukaryoten? (2) Zeichnen Sie ein Bild eines Bakteriums und beschriften Sie die Zellbestandteile. (3) Wie können sich Bakterien fortbewegen? (4) Wie funktioniert der Geißelschlag bei Bakterien? (5) Welche Arten der Vermehrung gibt es bei Bakterien? (6) Worin unterscheidet sich Fortpflanzung von Vermehrung? [] (7) Erklären Sie die Sporenbildung. (8) Worin unterscheidet sich die Bildung von Endo-, Exosporen und Cysten. (9) Welche Haupternährungstypen kann man bei Bakterien finden? ---- Literatur Campbell, N. A., Reece, J. B. & Urry, L. A. (2015). Biologie (10., aktualisierte Auflage). München: Pearson. Garrity, G., Cole, J., Lilburn, T., Harrison, S., Euzéby, J. & Tindall, B. (2007). Taxonomic Outline of the Bacteria and Archaea. East Lansing, Michigan: Michigan State University. Gottschalk, G. (2015). Welt der Bakterien, Archaeen und Viren: Ein einführendes Lehrbuch der Mikrobiologie. Weinheim: Wiley-VCH. Mallidis, C. G. & Scholefield, J. (1987). Relation of the heat resistance of bacterial spores to chemical composition and struc- ture I: Relation to core components. Journal of Applied Bacteriology, 62(1), 65–69. Madigan, M. T., Martinko, J. M., Stahl, D. A. & Clark, D. P. (2015). Brock Mikrobiologie kompakt (Pearson Studium, 13., aktualisierte Auflage). München: Pearson. Ritter, W. (2016). Bienen gesund erhalten: Krankheiten vorbeugen, erkennen und behandeln (2., überarbeitete und erwei- terte Auflage). Stuttgart: Ulmer. Sadava, D. E., Hillis, D. M., Heller, H. C. & Berenbaum, M. (2011). Biologie (9. Auflage). Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 19 Woese, C. R., Kandler, O. & Wheelis, M. L. (1990). Towards a natural system of organisms: proposal for the domains Ar- chaea, Bacteria, and Eucarya. Proceedings of the National Academy of Sciences, 87(12), 4576–4579. Abbildungen Abbildung 1.1: Escherichia coli. Ursprünglicher Bildtitel: E coli at 10000x; Bild von: Eric Erbe, digital colorization by Christo- pher Pooley, Agricultural Research Service, the research agency of the United States Department of Agriculture; 2005; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:E_coli_at_10000x,_original.jpg Abbildung 1.2: Phylogenie der drei Domänen. Ursprünglicher Bildtitel: Universal phylogenetic tree in rooted form, showing the three domains. Bild aus: Woese, C. R., Kandler, O. & Wheelis, M. L. (1990), S. 4578. Abbildung 1.3: Phylogenie der Bacteria. Ursprünglicher Bildtitel: phylogeny of bacteria; Bild von: Kookaburra (Benutzer von Wikipedia); 2004; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stammbaum_Bakterien.png. Bild vom Autor verändert Abbildung 1.4: Pragmatische Einteilung der Bakterien. Zusammengesetztes Bild aus den Bildern (1) Pneumokokken von Dr. Richard Facklam; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pneumokokken.jpg; (2) Lactobacillus acidophilus from a commercially-sold nutritional supplement tablet von Bob Blaylock; 2010; Lizenz: CC BY-SA 3.0; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:20101212_200110_LactobacillusAcidophilus.jpg?uselang=de; (3) Spirillum von Wolframm Adlassnig; 2007; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Spirillen.jpg Abbildung 1.5: Anatomie eines Bakteriums. Bild von: Armin Baur; 2019. Abbildung 1.6: Phili bei Escherichia coli. Ursprünglicher Bildtitel: E. coli Fimbrien; Bild von: Manu Forero; 2006; Lizenz: CC BY 2.5; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:E._coli_fimbriae.png Abbildung 1.7: Konjugation. Ursprünglicher Bildtitel: Austausch des F-Plasmids durch Konjugation; Bild von: Matthias M.; 2012; Lizenz: CC BY-SA 3.0; verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Konjugation_(Biologie)#/media/File:Konjugation.svg; Bild vom Autor verändert. Abbildung 1.8: Grüne Schwefelbakterien (Chlorobien). Ursprünglicher Bildtitel: Grüne Schwefelbakterien in einer Wino- gradsky-Säule; Bild von: unbekannt; 2007; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Grüne_Schwefelbakterien#/media/File:Green_d_winogradsky.jpg Abbildung 1.9: Bakteriengeißel. Bild von: Armin Baur; 2019. Abbildung 1.10: Dipicolinsäure. Ursprünglicher Bildtitel: 2,6-Pyridine Dicarboxylic Acid V; Bild von: unbekannt; 2010; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2,6-Pyridine_Dicarboxylic_Acid_V.2.svg Abbildung 1.11: Positiver Faulbruttest. Ursprünglicher Bildtitel: positive Streichholzprobe; Bild von: Tanarus; o. J.; Lizenz: CC BY-SA 3.0; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Paenibacillus_larvae.jpg Abbildung 1.12: Vergleich: Endosporenbildung, Zellteilung, Knospung. Bild von: Armin Baur. Abbildung 1.13: Milchsäuregärung. Ursprünglicher Bildtitel: Die homofermentative Milchsäuregärung als Übersichtssche- ma; Bild von: Yikrazuul; 2009; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Homofermentative_Milchsäuregärung.png; Bild vom Autor stark verändert. Abbildung 1.14: Beispiel der Energiegewinnung bei Chemolithoautotrophie. Ursprünglicher Bildtitel: Mitchell-simple2a; Bild von: unbekannt; 2015; Lizenz: CC BY-SA 4.0; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mitchell- simple2a.svg; Bild vom Autor verändert. Abbildung 1.15: Beispiel der Energiegewinnung bei Chemoheterotrophie. Ursprünglicher Bildtitel: Laktobazillen.svg; Bild von: unbekannt; 2015; Lizenz: CC BY-SA 4.0; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Laktobazillen.svg; Bild vom Autor verändert. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 20 2. Protozoen Die Vertreter der eukaryotischen Einzeller, die keine Chloroplasten besitzen, werden als Protozoen bezeichnet. Die Unterscheidung zwischen einer tierischen und pflanzlichen Lebensweise ist nicht immer eindeutig möglich, sodass unter den Proto- zoen auch Organismen mit Chloroplasten zu finden sind, die zusätzlich tierische Ernährungsformen (He- terotrophie) aufweisen. Beispiele hierfür sind die Euglenen. Der deutsche Begriff für Protozoa ist Ur- tierchen, was ihre Stellung in der Evolution ausdrü- cken soll. Protozoen finden sich – sessil oder frei- schwimmend – überall, wo ein gewisses Maß an Feuchtigkeit vorhanden ist: im Süßwasser, im Salz- Abb.2.1: Lidtierchen wasser, im Boden, an Pflanzen, in zersetztem organi- Blepharisma japonicum schem Material, auf oder in Tieren. Bild: Frank Fox, 2012 - Inhaltliche Lernziele - Sie können: - Protozoen von anderen Einzellern abgrenzen, - die Arten der Ernährung von Protozoen beschreiben, - die Fortbewegungsformen von Protozoen aufführen und erklären, - die Vermehrungsweisen von Protozoen aufzählen und erklären. Sie erhalten einen Einblick in die systematische Eingruppierung der Protozoa. 2.1 Systematik Protozoen (Protozoa) gehörten ursprünglich im klassischen System der fünf Reiche von Whittaker (aus dem Jahre 1969) dem Stamm der Protisten (Protista) an. Neue Erkenntnisse belegen, dass dieses System so nicht stimmig ist. In neueren Ergebnissen werden die Protozoen zu unterschiedlichen (nicht monophyletischen) Taxa zugeordnet und bilden keine eigene systematische Gruppe. Alle le- benden Organismen lassen sich drei Dömanen zuordnen (System der drei Domänen nach Woese, Kandler & Wheelis, 1990). Die Domäne Eukarya wird in fünf Supergruppen aufgeteilt (Abb. 2.2). Es wird diskutiert, diese Supergruppen weiteren Übergruppen zuzuordnen (vgl. Adl et al., 2012). Vertre- ter der Protozoen finden sich in den Supergruppen: Opisthokonta: Zu dieser Supergruppe, zu der auch die Tiere (Metazoa) und Pilze zählen, ge- hören beispielsweise die Kragengeißeltierchen (Choanomonada; siehe 2.5.A). Amoebozoa: Die Amoebozoa zeichnen sich durch ihre amöbide Gestalt aus. Amoebozoen sind Einzeller, die keine starre Zellform haben und sich durch die Veränderung der Zellform fortbewegen. Excavata: Die Gruppe enthält ausschließlich begeißelte einzellige Organismen. In der Gruppe gibt es auch Arten, die Chloroplasten besitzen. Zu dieser Supergruppe zählen beispielsweise die Augentierchen (Euglena). SAR: Diese Gruppe enthält u. a. die Braunalgen und die Dinoflagellaten. Die einzige Supergruppe, die keine Protozoen beinhaltet, sind die Archaeplastida. Archaeplastiden sind Pflanzen sowie einzellige und vielzellige Algen. Kennzeichnend für die Archaeplastida ist ihre ausschließliche Energiegewinnung mithilfe der Photosynthese. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 21 Früher hat man die Protozoen in vier Gruppen unterteilt: Flagellaten (Geißeltierchen), Ciliaten (Wim- perntierchen), Amöben und Sporozoen (eine parasitäre Gruppe ohne Struktur zur Lokomotion). Die- se Einteilung ist in der Wissenschaft nicht mehr geläufig, wird in der Literatur aber noch gelegentlich verwendet. Abb.2.2: Supergruppen der Eukarya Bild: Adl et al., 2012 2.2 Ernährungsformen Organismen können sich autotroph (organische Stoffe (1) Phagocytose werden aus anorganischen synthetisiert) oder hete- rotroph (organische Stoffe werden aufgenommen) er- nähren. Die Organismen, die zu tierischen Organismen (2) Phagosom gezählt werden, sind typischerweise heterotroph und dadurch auf die Aufnahme (das Fressen) von organi- (3) Verschmelzung scher Nahrung angewiesen. Die Abgrenzung von hete- Lysosom mit Phagosom rotroph und autotroph ist bei Vielzellern relativ einfach, bei Einzellern z. T. aber nicht möglich, da manche Ein- (4) Verdauung und Transport der Nährstoffe zeller beide Formen einsetzen (mixotroph). ins Cytosol Die Heterotrophie kann man in osmotroph (Synonym: (5) Exocytose der unverdau- saprozoisch) und phagotroph (Synonym: holozoisch) lichen Bestandteile unterteilen. Osmotrophe Organismen (meist sind dies Pilze und Bakterien) nehmen ausschließlich gelöste Abb.2.3: Phagocytose und Verdauung Nahrungspatikel auf. Protozoen ernähren sich meist über Pagocytose (phagotrop, holozoisch). Bei der Phagocytose wird ein Nahrungsteilchen durch Einstülpung der Plasmamembran und folgende Verschließung und Ab- schnürung der Plasmamembran ins Cytoplasma aufgenommen. Die so gebildete Nahrungsvakuole Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 22 (Phagosom) verschmilzt mit einem Lysosom, das entstehende Gebilde heißt Phagolysosom. Durch die Enzyme, die im Lysosom enthalten waren, beginnt die Verdauung des Nahrungsteilchens im Phagoly- sosom. Nährstoffe werden über die Membran des Vesikels durch Transportvorgänge aus dem Phago- lysosom ins Cytoplasma befördert. Unverdauliches im Phagolysosom wird über Exocytose ausge- schieden. Die Phagocytose kann je nach Protozoenart entweder an einer bestimmten Zellestelle (Zellmund: Cytostom) oder an allen beliebigen Stellen der Plasmamembran erfolgen. Phagocytose kann in ihrer ausgeübten Form sehr unterschiedlich stattfinden: Amöben umfließen (siehe auch Fortbewegung Pseudopodien) ihre Beute und phagocitieren sie dadurch. Nasentierchen (Didinium) ziehen ihre Beute (Paramecium: Pantoffeltierchen) in ein temporäres Cytostom (siehe Abb. 2.4). Sauginfusorien (Suctoria) fangen ihre Beute mit feinen Tentakeln und saugen deren Cyto- plasma über diese aus (siehe Abb. 2.5). Hierbei entstehen viele kleine Nahrungsvakuolen. Kragengei- ßeltierchen (Choanomonada) erzeugen mit ihrer Flagelle eine Wasserströmung, durch die Partikel an einen Saum aus Mikrovilli gestrudelt und über Phagocytose aufgenommen werden (siehe Abb. 2.6, Abschnitt 2.5.A). Abb.2.4: Nasentierchen frisst Pantoffeltierchen Abb.2.5: Sauginfusor fängt Beute Bild: S. O. Mast, 1909 Bild: Damián H. Zanette, 2008 Abb.2.6: Kragengeißeltierchen Bild: Daniel Stoupin, 2008 2.3 Fortbewegung (A) Cilien und Flagellen Eine Cilie oder eine Flagelle (im Weiteren zusammenfassend Geißel genannt) ist innerhalb der Euka- ryoten ähnlich aufgebaut. Sie bestehen aus neun Mikrotubulifilament-Paaren, die kreisförmig um zwei Mikrotubulifilamente angeordnet sind (Abb. 2.7 und 2.8). Die Gesamtheit der angeordneten Mikrotubulifilamente nennt man Axonem. Das Axonem ist von der Plasmamembran überzogen. Beim Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 23 Übergang in den Zellkörper mündet das Axonem in eine Platte, die an einem Basalkörperchen (Teil des Cytoskeletts) befestigt ist. Die Formänderung einer Geißel, die zur Bewegung der Geißel führt, ereignet sich durch das Ver- schieben von Mikrotubulifilamenten (Filamenten aus den kreisförmig angeordneten Mikrotubulis). Der Vorgang wird als Gleitmikrotubuli Hypothese bezeichnet. Die Verschiebung erfolgt durch das am A-Tubulus des Mikrotubulifilamentpaars eingebundene Dynein. Das Dynein bindet sich mit seinen Armen an den B-Tubulus des benachbarten Mikrotubulifilamentpaars. Wie beim Myosin (vgl. Gleit- filamenttheorie) erfolgt bei der Aufspaltung von ATP zu ADP und Pi eine Formänderung der Arme, was das Verschieben der Mikrotubuli zur Folge hat. Die Formänderungen der Geißeln sind typspezi- fisch. Es können (in einer Ebene fortlaufende) Wellen, Kreisbewegungen oder Geißelschläge entste- hen. Krümmt sich beim Geißelschlag die Geißel, um das Medium zu unterwandern, um beim Rück- schlag das Medium oder den Organismus zu bewegen, nennt man die Geißeln Cilien. Cilien sind meist auch kleiner und in einer großen Anzahl vorhanden. Abb.2.8: Flagelle Querschnitt Schema Abb.2.7: Flagelle Querschnitt Bild: Alexei Kouprianov, 2006 Abb.2.9: Flagelle Längsschnitt Bild: Dartmouth Electron Micro- 1A + 1B – Doppelmikrotubuli an der Peri- Bild: Dartmouth Electron Micro- scope Facility; Dartmouth College, pherie, 2 – zwei einfache Mikrotubuli in der scope Facility; Dartmouth College, 2007 Mitte, 3 – Dyneinarme, 4 – Speichen, 5 – 2007 Nexin-Verbindungen, 6 – Zellmembran (B) Pseudopodien Pseudopodien (Scheinfüßchen) sind Ausstülpungen des Cytoplasmas. Für die Bildung der Ausstülpun- gen werden die unterschiedliche Viskosität des Cytoplasmas, Aktin- und Myosinfilamente genutzt. Das Cytoplasma ist nicht homogen, es kann in zwei verschiedene Lösungen unterteilt werde: das dünnflüssige Endoplasma (im Inneren der Zelle) und das dickflüssige Ektoplasma (in den Außenbereichen der Zelle). Das Endoplasma wird auch als Sol und das Ektoplasma als Gel bezeich- net. In der Grenzschicht befinden sich Aktin- und Myosinfilamente, die durch ihre Bindung und Verschiebung zu einer Steifheit (ähnlich wie bei Muskelkontraktion) beitragen. Steigt der Calciumgehalt in einem Bereich der Abb.2.10: Ausstülpung von Parapodien Chaos carolinense Zelle, wird Gelosin frei, das die Aktinfilamente in diesem Bereich zerlegt. Dies hat zur Folge, dass Bild: Tsukii Yuuji, o. J. sich an dieser Stelle die Viskosität des Ektoplas- mas sowie die Stützstruktur verändert und Endoplasma in den Bereich durch bleibende Kontraktion (durch die Aktin- und Myosinfilamente) aus dem Inneren der Zelle einströmt. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 24 Die Form der Pseudopodien unterscheidet sich. Man kann folgende Typen voneinander abgrenzen: Limaxform: Ausstülpung des gesamten Körpers durch pseudopodiale Bewegung. Lobopodien: Ausstülpung von großen Pseudopodien. Filopodien: Dünne Ausstülpungen, die nur Ektoplasma enthalten. Axopodien: Dünne Pseudopodien, die durch axiale Mikrotubulistäbe gestützt werden. Ein Axopodium kann durch Addition von Tubulinfilamenten verlängert und durch Apspaltung verkürzt werden. Die Spitzen der Axopodien verankern sich im Substrat. Die Fortbewegung erfolgt durch eine entstehende Rollbewegung. 2.4 Fortpflanzung und Vermehrung Alle Protozoen können sich ungeschlechtlich vermehren, manche aber auch zudem noch geschlecht- lich. Einige der Protozoen sind haploid, andere diploid und manche durchlaufen einen Generations- wechsel. (A) Ungeschlechtliche Vermehrung Die ungeschlechtliche Vermehrung der Protozoen kann durch Teilung oder Knospung erfolgen: Teilung: Die Teilung der Protozoen kann eine Zweiteilung (Binärteilung) oder eine Mehrfachteilung sein. Die Zellteilung erfolgt durch Mitose, die sich bei einigen Arten von der Mitose vielzelliger Lebe- wesen dadurch unterscheidet, dass bei der Mitose die Kernmembran nicht aufgelöst und der Spin- delapparat im verschlossenen Kern ausgebildet wird (geschlossene Mitose). Knospung: Die Knospung der Protozoen unterscheidet sich von der Zellteilung dadurch, dass sich eine Tochterzelle von der Mutterzelle abspaltet, die viel kleiner ist, und danach auf die Größe der Mutterzelle heranwachsen muss. (B) Geschlechtliche Vermehrung Bei der geschlechtlichen Vermehrung der Protozoen kommt es zum Genaustausch, aber nicht zur Bildung eines Embryos. Die geschlechtliche Vermehrung kann bei den Protozoen in die Reduktions- teilung mit Fusion und Konjugation unterteilt werden. Reduktionsteilung mit Fusion: Bei dieser Fortpflanzungsaktivität kommt es durch die Reduktionstei- lung (Meiose) zur Ausbildung von haploiden Zellen (Gameten) oder Gametenzellkernen. Die meisten Arten bilden zwei unterschiedlich aussehende Gameten (Anisogamie) aus („männliche“ und „weibli- che“ Gameten). Man kann in Bezug auf die Reihenfolge von Meiose und Fusion zwei Strategien unterscheiden: (1) Meiose vollzieht sich bei der Gametenbildung vor der Fusion der Gameten („Befruchtung“). Der Einzeller ist so lange diploid, bis Gameten gebildet werden. (2) Meiose vollzieht sich erst nach der Fusion (zygotäre Meiose). Der Einzeller ist so lange haploid, bis es wieder zu einer Befruchtung kommt, nach der er wieder haploid wird. Manche Einzeller durchlaufen auch einen Generationswechsel, es gibt haploide und diploide Genera- tionen, die sich beide jeweils vermehren können. Konjugation: Kreuzweiser Austausch von Gametenzellkernen (siehe 2.5.B). Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 25 2.5 Beispielhafte Vertreter (A) Choanomonada (Kragengeißeltiere) Kragengeißeltiere bilden ein Taxon, das solitäre und kolo- niebildende Protozoen beinhaltet, deren Kennzeichen der spezielle Aufbau der Zelle und der damit verbundene Nah- rungserwerb ist. Die Zelle besteht aus einem Kranz von Mikrovilli, die als Kragen bezeichnet werden, im Zentrum des Kranzes steht eine lange Geißel (Flagelle). Kragengei- ßeltiere leben aquatisch (im Süß- oder Salzwasser). Die Geißel erzeugt, wie oben bereits beschrieben, einen Was- serstrom, der Nahrungspartikel an die Mikrovilli spült. Die Abb.2.11: Kolonie Kragengeißeltiere Mikrovilli wirken als Reuse und die Nahrungspartikel wer- Bild: Mark J. Daye, o. J. den wie mit einem Netz eingefangen und an der Basis der Mikrovilli oder am Vorderpol des Zellkörpers phagocytiert. Manche Arten der Kragengeißeltiere bil- den Gehäuse (Loricae). Kragengeißeltiere können sessil oder in Kolonieform schwebend vorkommen. Aufgrund der Ähnlichkeit der Kragengeißeltiere zu den Choanocyten (Kragengeißelzellen) der Schwämme wird das Taxon als mögliche Herkunft der Metazoen diskutiert. Abb.2.12: Bau Kragengeißeltier Abb.2.13: Aufbau Schwamm Bild: Grell, 1980 Bild: American Museum of Natural History, Abb.2.14: Längsschnitt durch Schwamm 1901 Bild: Ewan ar Born, 2008, verändert Fla: Flagellate; cho: Choanocyt; end: En- dopinacocyten; mes: Mesohyl; ect: Ex- opinacocyten (B) Paramecium (Pantoffeltierchen) Die Gattung Paramecium hat ihren Namen von der Ähnlichkeit zu einem Pantoffel. Pantoffeltierchen sind rundum mit Cilien (Wimpern) versehen. Die Vertreter der Gattung leben im Süßwasser, einige Arten auch im Brackwasser. Pantoffeltierchen bewegen sich durch die rhythmische Bewegung ihrer Cilien fort. Da die Cilien spiralförmig angeordnet sind, dreht sich das Tier bei der Fortbewegung um seine Längsachse, was zu einer schraubenförmigen Bewegung führt. Pantoffeltierchen sind länglich elyptisch und haben an einer Seite eine grubenartige Einsenkung, die Oralfurche. Am Ende der Oral- Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 26 furche sitzt der Zellmund (Cytostom). Pantoffeltierchen ernähren sich von Bakterien, Algen und Kleinstlebewesen, die durch den Schlag der Cilien in die Oralfurche zum Zellmund befördert und an- schließend in Nahrungsvakuolen aufgenommen werden. Typischerweise sind zwei Arten von Zellker- nen vorhanden, der Großkern (Makronucleus) und je nach Art ein oder viele Kleinkerne (Mikronu- cleus). Pantoffeltierchen können sich durch Zellteilung oder durch Konjugation fortpflanzen. Bei der Konjugation entstehen vorerst durch Meiose haploide Kleinkerne. Von diesen haploiden Kleinkernen gehen alle bis auf einen zugrunde. Der verbleibende Kleinkern teilt sich. Einer dieser Teile wird bei der Konjugation zweier Pantoffeltierchen ausgetauscht. Der ausgetauschte haploide Kleinkern ver- schmilzt mit dem zurückgebliebenen haploiden Kleinkern zu einem diploiden Vorkern. Der alte Groß- kern löst sich auf und der Vorkern wird zum Großkern. Abb.2.15: Bau Pantoffeltierchen Bild: Michael Frey, 2008 (C) Plasmodium vivax Plasmodium vivax ist eine der Protozoenarten, die bei Menschen die Krankheit Malaria auslösen. Die anderen Arten, die Malaria auslösen, sind: Plasmodium falciparum, Plasmodium malariae, Plasmodi- um ovale. Plasmodium vivax, wie auch die anderen Malaria auslösenden Protozoen, gehört in die Gruppe der Coccidea (Kokzidien). Kokzidien sind intrazelluläre Parasiten von wirbellosen Tiere und Wirbeltieren. Der Malariaparasit wird von weiblichen Stechmücken übertragen. Über den Speichel der Stechmücke werden sogenannte Sporozoiten (Stadium des Einzellers) ins Blut übertragen. Über das Blut wandern die Sporozoiten in die Leber und befallen Leberzellen. In den Leberzellen vermehren sich die Sporo- zoiten asexuell über schizogone Vermehrung (Schizogonie: Zerfall des Zellkerns durch Mitose in meh- rere Zellkerne und anschließende Zellteilung). Die entstandenen Nachkommen wandern in weitere Leberzellen ein und vermehren sich. Aus den Nachkommen bilden sich Merozoiten, die in Erythrocyten eindringen. In den Erythrocyten bilden sich aus den eingedrungenen Merozoiten Trophozoiten. Die Trophozoiten ernähren sich von Hämoglobin, hierbei entsteht als Abfallpro- dukt Hämozoin. Wenn ein Trophozoit herange- wachsen ist, vermehrt er sich und es entstehen wieder viele Merozoiten. Hierdurch kommt es zum Platzen des Erythrocyten und zum Freiwer- den von Merozoiten und Hämozoin. Die Merozoi- Abb.2.16: Trophozoiten in Erythrocyten ten dringen in andere Erythrocyten ein und das Bild: o. A. Hämozoin reichert sich in der Milz, Leber und Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 27 anderen Organen an. Das Ausschütten des Hämozoins ist der Auslöser der Fieberschübe und Schüt- telfrostanfälle. In manchen der befallenen Erythrocyten entstehen aus den Merozoiten Mikrogame- tocyten und Makrogametocyten. Werden die Mikrogametocyten und Makrogametocyten von einer Stechmücke über das Blutsaugen aufgenommen, reifen sie in der Stechmücke zu Gameten heran. Im Magen der Stechmücke kommt es zur Befruchtung und zum Eindringen der entstandenen Ookineten in den Körper der Mücke. Die Ookineten wandeln sich zu einer Oozyste um, in der sich Sporozoiten bilden, die zur Speicheldrüse wandern. Nachbereitung / Übung Aufgabe 1: Erklären/definieren Sie die Begriffe: autotroph heterotroph osmotroph Axonem holozoisch Phagocytose Cilie Knospung Phagosom Cytostom Konjugation phagotroph Einzeller Meiose Pseudopodien Eukaryot Mikrotubuli Supergruppe Flagelle Mikrovilli Zellteilung Generationswechsel Mitose zygotäre Meiose geschlossene Mitose mixotroph Aufgabe 2: (1) Grenzen Sie Protozoen von anderen Organismen ab. (2) Erklären Sie die Prozesse der Phagocytose. (3) Auf welche Art und Weise können Protozoen Beute fangen? (4) Vergleichen Sie die Geißelbewegung bei Bakterien und Protozoen. (5) Vergleichen Sie die unterschiedlichen Fortbewegungsarten der Protozoen. (6) Welche Strategien der Vermehrung von Protozoen sind ähnlich den Strategien bei Bakterien? Welche bei Pflanzen und welche bei Tieren? (7) Ordnen Sie die Organismen aus Abschnitt 2.5 den vier klassischen Gruppen (Flagellaten, Ciliaten, Amöben, Sporozoen) zu. ---- Literatur Adl, S. M.; Simpson, A. G. B.; Lane, C. E.; Lukeš, J.; Bass, D.; Bowser, S. S. et al. (2012): The revised classification of eukaryotes. In: The Journal of eukaryotic microbiology, 59 (5), 429–493. Campbell, N. A., Reece, J. B. & Urry, L. A. (2015): Biologie (10., aktualisierte Auflage). München: Pearson. Hickman, C. P.; Roberts, L. S.; Larson, A.; L'Anson, H.; Eisenhour, D. J. (2008): Zoologie (Unter Mitarbeit von Wolf-Michael Weber. 13., aktualisierte Aufl. [der engl. Ausg.]). München: Pearson. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 28 Madigan, M. T.; Martinko, J. M.; Stahl, D. A. & Clark, D. P. (2015): Brock Mikrobiologie kompakt (Pearson Studi- um, 13., aktualisierte Auflage). München: Pearson. Sadava, D. E.; Hillis, D. M.; Heller, H. C. & Berenbaum, M. (2011): Biologie (9. Auflage). Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. Westheide, W.; Alberti, G. (Hg.) (2013): Spezielle Zoologie: Einzeller und wirbellose Tiere (3. Aufl). Berlin: Springer Spektrum. Woese, C. R.; Kandler, O. & Wheelis, M. L. (1990): Towards a natural system of organisms: proposal for the domains Archaea, Bacteria, and Eucarya. Proceedings of the National Academy of Sciences, 87 (12), 4576– 4579. Abbildungen Abbildung 2.1: Lidtierchen. Ursprünglicher Bild-Titel: Blepharisma japonicum, Heterotrichea, Ciliophora; Bild von: Frank Fox; 2012; Lizenz: CC BY-SA 3.0; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mikrofoto.de- Blepharisma_japonicum_15.jpg Abbildung 2.2: Supergruppen der Eukarya. Ursprünglicher Bild-Titel: A view of eukaryote phylogeny reflecting the classifica- tion presented herein; Bild aus: Adl, Sina M.; Simpson, Alastair G. B.; Lane, Christopher E.; Lukeš, Julius; Bass, David; Bowser, Samuel S. et al. (2012): The revised classification of eukaryotes. In: The Journal of eukaryotic microbiology 59 (5), S. 429–493 (S. 432). Abbildung 2.3: Phagocytose und Verdauung. Bild vom Autor. Abbildung 2.4: Nasentierchen frisst Pantoffeltierchen. Ursprünglicher Bild-Titel: Didinium nastrum frisst Paramecium; Bild von: S. O. Mast; 1909; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Didinium_nasutum_consuming_a_paramecium.jpg Abbildung 2.5: Sauginfusor fängt Beute. Ursprünglicher Bild-Titel: Ein Sauginfusor aus dem Süßwasser (links) fängt einen Einzeller; Bild von: Damián H. Zanette; 2008; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Suctoria1_wiki.jpg Abbildung 2.6: Kragengeißeltierchen. Ursprünglicher Bild-Titel: Codonosiga sp. Kolonie; Bild von: Daniel Stoupin; 2008; Lizenz: CC BY-SA 3.0; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Suctoria1_wiki.jpg Abbildung 2.7: Flagelle Querschnitt. Ursprünglicher Bild-Titel: Ransmission electron microscope imagine, showing an exa- mple of green algae; Bild von: Dartmouth Electron Microscope Facility; Dartmouth College; 2007; Lizenz: Public do- main; verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Monosigidae#/media/Datei:M2-2cells.jpg Abbildung 2.8: Flagelle Querschnitt Schemenzeichnung. Ursprünglicher Bild-Titel: A diagrammatic cross-section of an axo- neme as seen from the top of the undulipodia; Bild von: Alexei Kouprianov; 2006; Lizenz: CC BY-SA 2.5; verfügbar un- ter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Axoneme_cross-section.svg Abbildung 2.9: Flagelle Längsschnitt. Ursprünglicher Bild-Titel: Ransmission electron microscope imagine, showing an exa- mple of green algae; Bild von: Dartmouth Electron Microscope Facility; Dartmouth College; 2007; Lizenz: Public do- main; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Chlamydomonas_TEM_09.jpg Abbildung 2.10: Ausstülpung von Parapodien. Ursprünglicher Bild-Titel: Protozoo Chaos carolinense; Bild von: Tsukii Yuuji; o. J.; Lizenz: CC BY-SA 2.5; verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Scheinfüßchen#/media/Datei:Chaos_carolinense.jpg Abbildung 2.11: Kolonie Kragengeißeltiere. Ursprünglicher Bild-Titel: Salpingoeca rosetta Colonies; Bild von: Mark J. Daye; o. J.; Lizenz: CC BY-SA 3.0; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dayel_Protero_Colonies_inset.jpg Abbildung 2.12: Bau Kragengeißelzelle. Bild aus: Westheide, W.; Alberti, G. (Hg.) (2013): Spezielle Zoologie: Einzeller und wirbellose Tiere (3. Aufl). Berlin: Springer Spektrum. Abbildung 2.13: Aufbau Schwamm. Bild von: American Museum of Natural History; 1901; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Guide_leaflet_(1901)_(14763631314).jpg Abbildung 2.14: Längsschnitt durch Schwamm. Ursprünglicher Bild-Titel: Formes des éponges; Bild von: Ewan ar Born; 2008; verändert; Lizenz: CC BY-SA 4.0; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Porifera_Types-fr.svg Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 29 Abbildung 2.15: Bau Pantoffeltierchen. Ursprünglicher Bild-Titel: Pantoffeltierchen; Bild von: MichaelFrey; 2008; Lizenz: CC BY-SA 3.0; verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Pantoffeltierchen#/media/Datei:Paramecium_Eating_De.svg Abbildung 2.16: Trophozoiten in Erythrocyten. Ursprünglicher Bild-Titel: Trophozoiten von Plasmodium vivax im gefärbten Blutausstrich; Bild von: o. A.; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Immature_and_mature_trophozoites_of_the_Plasmodium_vivax_parasite_P HIL_2720_lores.jpg Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 30 3. Wasser-Elektrolyt-Haushalt und Stickstoffausscheidung Für die Organismen ist die Regulierung der chemischen Zusammenset- zung der Körperflüssigkeiten essenziell. Körperflüssigkeiten finden sich in den Zellen (intrazelluläre Flüssigkeit) und außerhalb der Zellen im Körper (extrazelluläre Flüssigkeit). Für Lebewesen ist es wichtig, - den osmotischen Druck der Körperflüssigkeiten zu steuern (Osmoregulation), - den Wasserhaushalt zu regulieren, - den Elektrolythaushalt einzustellen. Bei all diesen Regulationen spielt die Abgabe und Rückgewinnung von Wasser und Elektrolyten eine bedeutende Rolle. Die Exkretion, zu der diese Prozesse gehören, wird zudem zur Beseitigung von Giftstoffen Abb. 3.1: Nieren Mensch benötigt. Der Begriff Exkretion muss an dieser Stelle mit Bedacht gele- Bild: Roxbury, 2008 sen werden, da als Exkretion die Abgabe bzw. Ausscheidung von nicht mehr verwendeten Stoffwechselprodukten aus dem Organismus bezeichnet wird (Campbell, 2015, S. 1800). Exkretion beinhaltet die Abgabe gelöster, festerer und gasförmiger Bestandteile. Exkretion findet somit über die Haut (Wasser und Elektrolyte), die Atmungsorgane (Atmungsgase), den Dick- darm (Kot) und die „Nieren“ (Wasser und Elektrolyte) statt. Abb. 3.2: Exkretions-Schema nach Paul Bert C Blutkreislauf (oder Lymphe), D Verdauungstrakt, E Exkretionsöffnung, N Nervensystem, R Atmung, Rote Pfeile Stoffaufnahme und -abgabe Bild: Bert, 1881 colored by Lamiot, 2012: Abbildung leicht verändert Das folgende Kapitel fokussiert die Exkretion von Wasser und darin gelösten Substanzen sowie die Sekretion von Abfallstoffen. - Inhaltliche Lernziele - Sie können: - die unterschiedlichen Arten der Osmoregulation darstellen, - die Funktion von Wasser im Organismus erklären, - die wichtigsten Elektrolyte und ihre Funktion nennen, - die stickstoffhaltigen Exkretionsprodukte nennen, - exemplarische Exkretionsorgane in Aufbau und Funktion erläutern. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 31 3.1 Osmoregulation Um den Wasserhaushalt in einem Körper im Gleichgewicht zu halten, müssen die Abgabe und die Aufnahme von Wasser und hierin gelösten Teilchen (Elektrolyte und andere gelöste Stoffe) ausgegli- chen werden. Wird zu viel Wasser aufgenommen und/oder zu wenig abgegeben, schwellen die Zellen an und können platzen. Wird zu wenig Wasser aufgenommen und/oder zu viel abgegeben, dehydrie- ren die Zellen (trocknen aus) und sterben ab. Die Wasseraufnahme und -abgabe eines Organismus muss nicht alleine durch Trinken erfolgen, son- dern erfolgt bei aquatischen Lebewesen vor allem durch Osmose. Bei der Osmose ist die Konzentra- tion der beteiligten Flüssigkeiten für die Wanderrichtung (Diffusionsrichtung) ausschlaggebend. Als Beispiel diffundiert bei einem Tier mit hoher Anzahl gelöster Teilchen, welches in einer schwach kon- zentrierten Lösung schwimmt, das Wasser in den Körper des Tieres. Um diese Wanderung des Wassers auszubalancieren, muss die Konzentration der Körperflüssigkeit reguliert werden. Diese Ausbalancierung nennt man Osmoregulation. Tiere können osmotischen Herausforderungen auf unterschiedliche Arten begegnen, es gibt Osmo- konformer und Osmoregulierer. Osmokonformer: Die Konzentration der Körperflüssigkeit ist gleich der Konzentration der Umgebung. Osmokonformer passen die Osmolarität ihrer Körperflüssigkeiten der Osmolarität der Umgebung an. Die Anpassung kann passiv oder aktiv erfolgen. Viele Meeresbewohner sind Osmokonformer. Osmoregulierer: Die Konzentration der Körperflüssigkeit entspricht nicht der der Umgebung. Wasser muss ständig aufgenommen bzw. abgegeben werden. Vor allem Süßwasserbewohner oder terrestri- sche Tiere sind Osmoregulierer. Man unterscheidet zwischen hyperosmotischen Regulierern und hy- poosmotischen Regulierern. Hyperosmotische Regulierer haben einen höheren osmotischen Wert im Abb. 3.3: Hyperosmotischer Regulierer: Bachforelle Bild: Raver, modified by Biezl, o.J. Abb. 3.4: Hypoosmotischer Regulierer: Stachelmakrele Bild: Kare, modified by Biezl, o.J. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 32 Körperinneren im Vergleich zu ihrer Umgebung. Hypoosmotische Regulierer haben einen niedrigeren osmotischen Wert im Körperinneren im Vergleich zu ihrer Umgebung. Viele Tiere – egal ob Osmokonformer oder Osmoregulierer – können keine Veränderung der Osmola- rität der Umgebung aushalten, man bezeichnet sie als stenohalin. Tiere, die solche Veränderungen tolerieren, werden als euryhaline Tiere bezeichnet. Tabelle 3.1: Osmoregulation Veränderung der Umgebung stenohalin euryhalin stenohaline Osmokonformer euryhaline Osmokonformer Osmokonformer Konzentration der Körperflüssigkeit Bsp.: viele wirbellose Meeres- Bsp.: sessile Meerestiere, die von tiere Ebbe und Flut betroffen sind stenohaline Osmoregulierer euryhaline Osmoregulierer Osmoregulierer Bsp.: viele Süßwasserfische Bsp.: Lachsarten, die vom Süß- wasser ins Meerwasser wandern 3.2 Wasser Das Wasser spielt im Körper nicht nur eine Rolle als wandernde Flüssigkeit bei der Osmose. Wasser hat in den Organismen wichtige Funktionen. Wasser ist: - ein Transportmittel, in ihm können sich Stoffe wie Mineralstoffe, Elektrolyte oder Nährstoffe lösen und hierdurch mithilfe des Wassers von A nach B transportiert werden. Wasser findet sich im Blut bzw. in der Hämolymphe, in der Lymphe und im Cytoplasma, - als Molekül ein wichtiger Reaktionspartner (Bsp.: Reaktion von H2O mit CO2 zu H2CO3), - ein Baustoff und wird zum Aufbau von unterschiedlichsten Molekülen benötigt (Bsp.: Koh- lenhydrate), - wichtig für die Wärmeregulation bei gleichwarmen Tieren. Wasser kann viel Energie (Wär- meenergie) zugeführt werden, ohne dass sich die Temperatur des Wassers verändert. Auch durch die Veränderung des Aggregatzustandes (flüssig zu gasförmig) beim Schwitzen und He- cheln wird Energie benötigt, die der Wärmeenergie entzogen wird, - in manchen Organismen der passive Bewegungsapparat (Hydroskelett), wie beispielsweise bei den Nesseltieren, Ringelwürmern oder Weichtieren. 3.3 Elektrolyte Elektrolyte sind Atome oder Moleküle, die als Ionen (Kationen und Anionen) vorliegen und daher elektrische Ladungen tragen. Die Konzentration von Elektrolyten in einer Lösung bestimmt mit ande- ren osmotisch wirkenden Stoffen (z. B. Glucose, Proteinen) den osmotischen Druck der Lösung. Die Elektrolyte haben aber in den Organismen noch weitere Aufgaben. Einen Überblick über wichtige Elektrolyte bietet Tabelle 3.2. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 33 Tabelle 3.2: Funktionen ausgewählter Elektrolyte Natrium Na+ - Erregung von Nerven- und Muskelzellen - Bildung Membranpotenzial - Regulation des osmotischen Drucks Kalium K+ - Erregung von Nerven- und Muskelzellen - Bildung Membranpotenzial - Regulation des osmotischen Drucks Calzium Ca2+ - Verleiht bei Wirbeltieren Knochen und Zähnen Festigkeit - Beeinflusst die Permeabilität (Durchlässigkeit) der Zellmembranen - Steuerung der Myosin-Anbindungsstellen bei Muskelkontraktionen - Exocytose der Neutrotranmitter - Wichtig für die Blutgerinnung - Wirkt auf die Herztätigkeit ein Magnesium Mg2+ - Enzymaktivator beim Energiestoffwechsel Chlorid Cl- - Regulation des osmotischen Drucks - Salzsäureproduktion im Magen Phosphat HPO42- - Bestandteil der Knochen und Zähne bei Wirbeltieren (Hydrogenphosphat) - Unentbehrlich für den intermediären Stoffwechsel (ATP) 3.4 Stickstoffhaltige Exkretionsprodukte Beim Verstoffwechseln von Nährstoffen entstehen „Abfallprodukte“. Diese sind bei Fetten und Koh- lenhydraten CO2 und H20, bei Proteinen und Nucleinsäuren entstehen zudem stickstoffhaltige Pro- dukte. Das häufigste Abfallprodukt beim Stickstoffstoffwechsel ist Ammoniak NH3, Ammoniak ist hochgiftig und muss entweder sofort ausgeschieden werden, was mit einem hohen Wasserverlust einhergeht, oder umgebaut werden. Viele im Wasser lebende Tiere (wirbellose Tiere und Knochenfische) scheiden Ammoniak NH3, das mit Wasser zu einem Ammoniumion NH4+ dissoziiert, über die Kiemen aus. Dies ist für diese Tiere möglich, da das Ammoniumion sehr gut in Wasser löslich ist und diese Tiere von Wasser umgeben sind, in das die Ammoniumionen durch Diffusion abgegeben werden können. Bei landlebenden Tie- ren ist dies nicht möglich. Da hier das sich anreichernde Ammoniak toxisch wirken würde, wird das Ammonium in eine andere chemische Form gebracht. Es wird zu Harnstoff oder Harnsäure umge- baut. Harnstoff: Säugetiere, Amphibien und Knorpelfische bilden aus einem großen Teil des Ammoniaks Harnstoff. Harnstoff ist sehr gut wasserlöslich, was wiederum aber auch zur Folge hat, dass zur Ausscheidung viel Wasser notwendig ist. Die Bildung von Harnstoff ist mit einem Energieaufwand verbunden: 2 NH3 + CO2 + 3 ATP Harnstoff Abb. 3.5: Harnstoff und Harnsäure Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 34 Harnsäure: Einige Tiere wie Vögel, Insekten, Reptilien, Landschnecken und manche Amphibien bilden aus dem Großteil des Ammoniaks Harnsäure, dadurch sparen sie Wasser, und zudem bringt es einen Vorteil bei der Entwicklung der Jungtiere im Kalkschalenei, da die Abbauprodukte „abgelegt“ werden können und nicht ins Wasser diffundieren, in dem das Jungtier heranwächst. Harnsäure ist schlecht wasserlöslich und wird als Suspension mit dem Harn ausgeschieden. Die Produktion von Harnsäure ist sehr energieaufwendig. 3.5 Exkretionsorgane Die Exkretionsorgane, die den Wasser-Elektrolyt-Haushalt steuern und stickstoffhaltige Exkretions- produkte ausscheiden, sind in ihrer Grundfunktion sehr ähnlich (siehe Abb. 3.6). In einem ersten Schritt wird der Primärharn gebildet. Dies erfolgt über die Filtration, bei der das Blut oder die Hä- molymphe mit hohem Druck auf ein poriges Epithel treffen, wodurch (wie bei einem Kaffeefilter) die Flüssigkeit und alle durch die Poren passenden Moleküle aus der Blutflüssigkeit strömen. Nach dem Auffangen des Filtrates, das Primärharn genannt wird, wird dieses über einen Tubulus (Röhre) trans- portiert. Über den Tubulus können weitere Stoffe aktiv in den Primärharn gegeben werden. Dieser Vorgang wird Sekretion genannt. Beim Durchlaufen des Tubulus werden alle für den Organismus wichtigen Stoffe (Wasser, Elektrolyte, Aminosäuren, Glucose) rückresorbiert (Reabsorption). Nun erst entsteht der Harn, der aus dem Körper abgegeben wird (Ausscheidung). Abb. 3.6: Grundschema: Vom Primärharn zum Sekundärharn Bild: Baur, 2019 Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 35 (A) Kontraktile Vakuole Manche Einzeller wie z. B. Pantoffeltierchen (Paramecium aurelia) oder Euglenen (Euglena) haben kontraktile Vakuolen (pulsierende Vakuolen), mit denen sie die Wassermenge im Cytoplasma regulie- ren können. Kontraktile Vakuolen finden sich hauptsächlich bei Süßwasserorganismen, die über Os- mose zu viel Wasser aufnehmen, da die Elektrolytkonzentration des Cytoplasmas (hyperton) zum Vergleich zum Außenmedium (hypoton) größer ist. Könnten die Süßwasserorganismen das Wasser nicht abgeben, würden sie platzen. Beim Exkretionsvorgang wird Cytoplasmaflüssigkeit aus sternförmig auf die Vakuolen zulaufenden Kanälen (siehe unterer Strich Abb. 3.7) in die Vakuole aufgenommen. Die Aufnahme erfolgt durch die rhythmische Vergrößerung der Vakuole. Aus der Vakuole werden aktiv Elektrolyte ins Cytoplasma zurücktransportiert (Reabsorption). Nach der Vergrößerung kontrahiert die Vakuole. Ein vorhandener Porus öffnet sich und die Vakuolenflüssigkeit wird abgegeben. Ob über die Vakuole auch wasserlösliche Stoffe aus den Einzellern ausgeschieden werden können, ist noch unklar. Abb. 3.7: Kontraktile Vakuole beim Pantoffeltierchen (Paramecium aurelia) Striche: kontraktile Vakuolen Bild: Grosse, 2008 (B) Metanephridien Bei den Anneliden (Ringelwürmern) erfolgt die Exkretion von Wasser, Elektrolyten und stickstoffhaltigen Abbauprodukten über die Metanephridien, die man paarweise in fast jedem Segment (im Peristomium und in den Rumpfsegmenten) findet. Die Metanephridien beginnen mit einem offenen Wimperntrich- ter im Coelom. Die Filtration erfolgt über dem Wimperntrichter nahe gelegene Blutgefäße ins Coelom. Durch die Wimpern am Wimpertrichter wird Flüssigkeit (Primärharn) in die Metanephri- dien aufgenommen. Beim Transport durch den Nephridienkanal Abb. 3.8: Kompostwurm (Tubulus) wird der Harn verändert (Sekretion und Reabsorption). (Eisenia fetida) Blutgefäßkapillaren, die sich um den Schleifen-, Wimpern- und Bild: Baur, 2019 Drüsenkanal befinden, nehmen die rückresorbierten Stoffe auf. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 36 Abb. 3.10: Aufbau Ringelwurm Bild: Baur, 2019 Abb. 3.9: Metanephridium Bild: Baur, 2019 (C) Malpighi-Gefäße Die Malpighi-Gefäße sind die Exkretionsorgane der landle- benden Gliederfüßer (Arthropoda). Die Malpighi-Gefäße sind lange Ausstülpungen des Darms, die zwischen Mittel- und Enddarm entspringen (siehe Abb. 3.11: Mal. = Malpighi- Gefäße). Die Anzahl dieser Ausstülpungen ist von Art zu Art sehr unterschiedlich (zwischen zwei und 150 Ausstülpungen wurden bei den einzelnen Arten entdeckt). Durch Sekretion von K+ in die Malpighi-Gefäße strömen Wasser und hierin gelöste Stoffe osmotisch nach, dies bildet den Primärharn. Der Primärharn wird in den proximalen Bereichen der Malphigi-Gefäße und im Enddarm verändert. Durch Rückre- sorption (Reabsorption) werden Wasser, Elektrolyte, Glucose und Aminosäuren wieder in die Körperflüssigkeit (Hämolym- phe) zurücktransportiert. Im Vergleich zu den anderen Exkre- tionsorganen spielt die Filtration bei den Malpighi-Gefäßen – wie auch bei den kontraktilen Vakuolen – keine Rolle. Abb. 3.11: Verdauungstrakt Biene Mal.: Malpighi-Gefäße; Vent.: Mitteldarm Slnt.: Enddarm Bild: Snodgrass, 1910 (D) Niere der Säugetiere Die Niere ist aus dem Nierenmark und der Nierenrinde aufgebaut. Beide Schichten durchlaufend liegen darin die kleinsten Funktionseinheiten der Niere, die Nephronen. Ein Nephron besteht aus dem Glomerulum (Knäuel an Kapillaren), das sich in der Bowman-Kapsel befindet. Die Bowman- Kapsel geht in ein Tubulussystem (proximaler Tubulus, Henle-Schleife, distaler Tubulus) über, wel- ches zusammen mit anderen Tubulssytemen anderer Nephronen in ein Sammelrohr mündet. Das Sammelrohr transportiert den Harn in das Nierenbecken. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 37 Abb. 3.13: Nieren der Säugetiere Bild: Baur, 2019 Abb. 3.12: Nephron Bild: Baur, 2019 Im Glomerulum kommt es durch die Führung des Blutes mit Druck (Blut- druck) in kleine offenporige Gefäße zur Filtration des Blutes. Das Filtrat (Primärharn) wird von der Bowman-Kapsel aufgefangen (Abb. 3.14). Am Anfang des proximalen Tubulus werden durch Sekretion Harnstoff und auch Harnsäuren in den Primärharn gegeben. Zudem werden im pro- ximalen Tubulus Ionen (Na+, K+, Mg2+, Ca2+), Aminosäuren, Glucose und Wasser rückresorbiert. Der Transport der Stoffe erfolgt je nach Stoff aktiv oder passiv. Der absteigende Ast der Henle-Schleife ist für Wassermoleküle durchläs- sig. Für Ionen ist er undurchlässig. Dem Harn wird durch Osmose (Hyper- tonie des Nierenmarks) Wasser entzogen. Im aufsteigenden Ast ist die Durchlässigkeit für Wasser gering. Hier er- Abb. 3.14: Filtration folgt eine Rückresorption (Reabsorption) von Na+Cl- ins Gewebe. Dies Bild: Baur, 2019 führt zur Hypertonie des Nierenmarks. Im distalen Tubulus finden eine Rückresorption (Reabsorption) von Na+, Cl und HCO3 und eine Sezernierung von H+ und K+ statt. - - Über die Blutgefäße, die das Tubulussystem umspannen, werden die rückresorbierten Stoffe zurück ins Blut aufgenommen. Abb. 3.15–3.18: Reabsorption Bild: Baur, 2019 Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 38 Nachbereitung / Übung Aufgabe 1: Erklären/definieren Sie die Begriffe: Elektrolyte Malpighi-Gefäße osmotischer Druck euryhalin Metanephridium Reabsorption Exkretion Nephron Resorption Filtration Osmokonformer Sekretion hyperosmotisch Osmoregulation stenohalin hypoosmotisch Osmoregulierer Aufgabe 2: (1) Worin unterscheiden sich die osmotischen Bedingungen von aquatischen Tieren im Süßwasser von denen im Meerwasser? (2) Worin liegen die Herausforderungen in Bezug auf die Aufrechterhaltung des Wasser-Elektrolyt- Haushalts bei terrestrischen Tieren? [] (3) Wozu benötigen Lebewesen Wasser? (4) Wozu benötigen Lebewesen Elektrolyte? (5) Welche stickstoffhaltigen Exkretionsprodukte gibt es? (6) Vergleichen Sie den Primärharn und den Sekundärharn (Sekundärharn = Harn). (7) Wählen Sie sich ein Exkretionsorgan und erklären Sie dessen Funktion. (8) Vergleichen Sie die Exkretionsorgane. Worin unterscheiden sie sich und was ist identisch? ---- Literatur Baur, A. (2015). Humanbiologie für Lehramtsstudierende. Ein Arbeits- und Studienbuch. Berlin: Springer Spektrum. Campbell, N. A., Reece, J. B. & Urry, L. A. (2015). Biologie (10., aktualisierte Auflage). München: Pearson. Heldmaier, G., Neuweiler, G. & Rössler, W. (2013). Vergleichende Tierphysiologie (Springer-Lehrbuch, 2., vollständig überar- beitete und aktualisierte Auflage). Berlin: Springer Spektrum. Hildebrandt, J.-P., Bleckmann, H. & Homberg, U. (2015). Penzlin – Lehrbuch der Tierphysiologie (Lehrbuch, 8. Auflage). Ber- lin: Springer Spektrum. Munk, K. (Hrsg.) (2011). Zoologie (2., erweiterter Druck). Stuttgart: Georg Thieme Verlag. Sadava, D. E., Hillis, D. M., Heller, H. C. & Berenbaum, M. (2011). Biologie (9. Auflage). Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. Wehner, R. & Gehring, W. J. (2013). Zoologie (25. Auflage). Stuttgart: Georg Thieme Verlag. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 39 Abbildungen Abbildung 3.1: Nieren Mensch. Ursprünglicher Bildtitel: Lage der Nieren, gesehen von hinten; Bild von: Roxbury; 2008; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Niere#/media/File:Gray1120-kidneys.png Abbildung 3.2: Exkretions-Schema nach Paul Bert. Ursprünglicher Bildtitel: Exkretions-Schema nach Paul Bert; Bild von: Paul Bert, 1881 colored by Lamiot; 2012; Lizenz: CC BY-SA 3.0; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Animal_théorique.jpg; Bild vom Autor verändert. Abbildung 3.3: Hyperosmotischer Regulierer: Bachforelle. Ursprünglicher Bildtitel: Osmoregulation Bachforelle Zeichnung; Bild von: Duane Raver, modified by Biezl; o. J.; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Osmoregulation_Bachforelle_Zeichnung_bw.png Abbildung 3.4: Hypoosmotischer Regulierer: Stachelmakrele. Ursprünglicher Bildtitel: Osmoseregulation Carangoides bartholomaei; Bild von: Kare Kare, modified by Biezl; o. J.; Lizenz: Public domain; verfügbar unter: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/79/Osmoseragulation_Carangoides_bartholomaei_bw.png Abbildung 3.5: Harnstoff und Harnsäure. Bild von: o. A. Abbildung 3.6: Grundschema: Vom Primärharn zum Sekundärharn. Bild von: Armin Baur; 2019. Abbildung 3.7: Kontraktile Vakuole beim Pantoffeltierchen. Ursprünglicher Bildtitel: Pantoffeltierchen Paramecium aurelia mit kontraktilen Vakuolen; Bild von: Josh Grosse; 2008; Lizenz: CC BY-SA 3.0; verfügbar unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Paramecium_contractile_vacuoles.jpg Abbildung 3.8: Kompostwurm. Bild von: Armin Baur; 2016. Abbildung 3.9: Metanephridium. Bild von: Armin Baur; 2019. Abbildung 3.10: Aufbau Ringelwurm. Bild von: Armin Baur; 2019. Abbildung 3.11: Verdauungstrakt Biene. Ursprünglicher Bildtitel: Alimentary canal of worker; Bild von: R. E. Snodgrass, 1910; The Anatomie of the Honey Bee. Washington: Government Printing Office, S. 85. Abbildung 3.12: Nephron. Bild von: Armin Baur; 2019. Abbildung 3.13: Nieren der Säugetiere. Bild von: Armin Baur; 2017. Abbildung 3.14: Filtration. Bild von: Armin Baur; 2019. Abbildung 3.15–3.18: Reabsorption. Bild von: Armin Baur; 2019. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 40 4. Fortpflanzung und Entwicklung Jede Zelle hat nur eine begrenzte Lebenszeit. Auch vielzellige Organismen kommen trotz dem Nachbilden von Zellen nach einer gewissen Lebenszeit an das Ende ihrer Lebensressourcen. Um die Gene am Leben zu halten, findet daher Fortpflanzung statt. Der Begriff Fortpflanzung bedeutet, dass ein Nachkomme zum Erhalt der Gene produziert wird. Fortpflanzung geht oft eng mit Vermehrung (Erhöhung der Individuen- anzahl) einher. Es gibt unterschiedliche Formen der Fortpflanzung. Fortpflanzung kann entwe- der geschlechtlich (sexuell) oder ungeschlecht- Abb. 4.1: Moorfrösche (Rana arvalis) in Amplexus lich (asexuell) erfolgen. Bild: Allgau, 2008 - Inhaltliche Lernziele - Sie können: - die Unterformen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung darstellen, - die Unterformen der geschlechtlichen Fortpflanzung darstellen, - die Vor- und Nachteile der beiden Formen (geschlechtlich, ungeschlechtlich) der Fortpflanzung erläutern, - die Befruchtung am Beispiel der Säugetiere erklären, - die Entstehung der Blastula und Gastrula erklären, - die Begriffe Viviparie, Oviparie und Ovoviviparie erläutern. 4.1 Ungeschlechtliche Fortpflanzung Die ungeschlechtliche Fortpflanzung zeichnet sich dadurch aus, dass keine Gameten (Keimzellen) beim Vermehrungsprozess eingesetzt werden. Die Nachkommen sind mit dem Mutterorganismus identisch (Klone). (A) Zellteilung Bei den einzelligen Organismen findet regelmäßig eine Zellteilung durch Mitose statt. Die Zellteilung kann je nach Art in Längsrichtung (longitudinal) oder in Querrichtung (transversal) erfolgen. (B) Knospung Die Knospung ist eine Form der asexuellen Vermehrung, bei der aus dem Organismus ein neuer Or- ganismus herauswächst und sich nach seiner Vollendung abschnürt. Knospung tritt bei einzelligen und vielzelligen Organismen auf. Einzellige Organismen, die sich durch Knospung vermehren, sind beispielsweise verschiedene Bakterienarten und Hefen. Vielzellige Organismen, die sich durch Knospung vermehren, finden sich bei den Schwämmen (Porifera) und Nesseltieren (Cnidaria). Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 41 Knospung – Beispiel Süßwasserpolypen: Die Vermehrung von Süßwasserpolypen kann entweder unge- schlechtlich oder geschlechtlich sein. Bei der Knospung, der unge- schlechtlichen Fortpflanzung, entsteht seitlich am Körper eines Süß- wasserpolypen eine Ausstülpung. Die Ausstülpung entwickelt sich zu einem neuen Tier. Sobald dieses ausgewachsen ist, trennt es sich vom Mutterpolypen ab. Der neue Süßwasserpolyp und sein Mutter- tier besitzen identische Gene. Die Knospung findet hauptsächlich bei guten Bedingungen statt und bietet den Süßwasserpolypen eine Möglichkeit, sich schnell zu vermehren. Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung befruchten die ins Wasser entlassenen Spermien ei- nes Polypen das am Körper sitzende Ei eines anderen. Aus dem be- fruchteten Ei, das sich vom Muttertier trennt, entwickelt sich ein neuer Süßwasserpolyp. Abb. 4.2: Knospung bei Süßwasserpolyp (Hydra viridissima) Aus dem Körper des Muttertieres wächst ein neuer Süßwasser- polyp (A und B), der sich später vom Muttertier abschnürt (C). Bild: Baur, 2019 (C) Gemmulation Gemmulae sind kapselförmige Gebilde (meist mit einem Durchmesser von 0,3 bis 2 mm), die aus zweikernigen, nährstoffreichen Thesocyten bestehen. Thesocyten entstehen aus Archaeocyten, die Trophocyten phagoctieren. Archaeocyten stellen einen Zelltyp der Schwämme dar, aus denen alle anderen Zellen hervorgehen können. Zudem sind die Gemmulae von einer dicken Sponginhülle (Hül- le aus faserigem Kollagen), verstärkt mit Spicula (Skelettnadeln), umgeben. Die Gemmulae werden von Süßwasserschwämmen und einigen marinen Schwämmen gebildet. Sie dienen dem Überdauern von schlechten Bedingungen. Sobald die Bedingungen besser werden, bildet sich aus den Thesocyten ein neuer Schwamm. (D) Fragmentierung Bei einigen Vielborstern (Polychaeta) kann die Vermehrung in Form einer Fragmentierung des Kör- pers stattfinden (z. B. bei Dodecaceria concharum). Hierbei spaltet sich der Körper auf. Aus den noch zusammenhängenden vorderen Segmenten entsteht durch Nachwachsen von hinteren Segmenten ein neuer Wurm. Ebenso erfolgt dies aus den noch zusammenhängenden hinteren Segmenten, hier entstehen jedoch vordere Segmente. Aus den einzeln abgetrennten Segmenten des Mittelkörpers wachsen aus jedem Segment neue Würmer heran (siehe Abb. 4.3). Auch bei anderen Tieren können aus Fragmenten neue Organismen heranwachsen. So können sich aus abgetrennten Armen der See- sterne oder aus abgerissenen Teilen von Nesseltieren neue Tiere bilden. Dies wird oft unter dem Begriff Regeneration beschrieben. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 42 Abb. 4.3: Fragmentierung (Dodecaceria concharum; Syn- onym Dodecaceria caulleryi) Bild: Zusammenstellung Baur, 2020; (A) Nygren, 2008; (B) Dehorne, 1933 (E) Ameiotische Parthenogenese Die ameiotische Parthenogenese ist eine Vermehrung durch lediglich mitotische Zellteilung. Eine meiotische Zellteilung unterbleibt. Die Zellen, die zur Vermehrung verwendet werden, sind diploid (zweifacher Chromosomensatz). Die Nachkommen sind Klone des Muttertiers. Ameiotische Parthenogenese – Beispiel Wasserflöhe: Wasserflöhe (Daphnien) können sich bei guten Bedingun- gen über Parthenogenese vermehren. Bei der Parthenoge- nese entstehen in den Eierstöcken der Weibchen Sommer- eier, aus denen wieder Weibchen schlüpfen. Die Sommer- eier entstehen aus vier Zellen der Wachstumszone des Ei- erstocks. Bei der Entstehung des Eies bildet eine Zelle Dot- ter aus, diese Zelle entwickelt sich zur Eizelle und saugt dabei den Inhalt der anderen drei Zellen auf. Die anderen drei Zellen haben zur Ernährung bei der Entwicklung der Eizelle gedient (primäre Nährzellen). Die Sommereier ent- wickeln sich ohne Befruchtung. Die Eizellen entstehen durch mitotische Teilungen. Aus den Sommereiern schlüp- fen Weibchen. Verändern sich die Bedingungen, entstehen auch Männchen, und in den Weibchen entstehen Eier aus Abb. 4.4: Eier im Brutraum eines Wasserflohs Zellen, die durch Meiose entstanden sind (Wintereier). Die (Daphnia pulex) Weibchen werden von den Männchen begattet und die Bild: Hebert, 2005 befruchteten Eier können aufgrund ihres Baus widrige Umweltbedingungen überdauern. Prof. Dr. Armin Baur Zoologie II 43 4.2 Geschlechtliche Fortpflanzung Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung wird der Chromosomensatz eines Tieres mit dem eines ande- ren der gleichen Art kombiniert. Zur Zusammenführung der Chromosomensätze werden Gameten (Keimzellen) verwendet, die einen einfachen Chromosomensatz beinhalten, sie sind haploid. Die beiden an der Fortpflanzung beteiligten Gameten – die männliche und die weibliche Keimzelle – können in ihrer Gestalt (Form und Größe) gleich oder unterschieden sein. Man unterscheidet zwi- schen Isogamie, Anisogamie und Oogamie. Isogamie: Männliche und weibliche Gameten können sich aktiv bewegen und sie sind in Form und Größe gleich. Anisogamie: Männliche und weibliche Game- ten können sich aktiv bewegen und sind in Form und/oder Größe ungleich). Oogamie: Eine Keimzelle ist größer und nicht selbstaktiv beweglich. Beim Menschen als Beispiel unterscheiden sich Eizelle und Spermium in ihrer Größe und in ihrem Aussehen und die Eizelle kann sich nicht aktiv bewegen (= Oogamie). Nach dem Verschmelzen der Gameten entsteht eine Zelle mit einem doppelten Chromosomensatz, sie ist diploid und wird Zygote genannt. Die Gameten entstehen in den Gonaden (Hoden und Eier- stöcken). Die Gonaden sind die primären Geschlechtsorgane. Für die Übertragung der Gameten be- sitzen viele Tiere sekundäre Geschlechtsorgane (z. B. Penis, Eileiter, Vagina). Ein männlicher Gamet kann mit dem weiblichen Gameten außerhalb des Körpers des Weibchens zusammentreffen. Diese Form der Befruchtung nennt man äußere Befruchtung. Die Befruchtung findet bei anderen Tieren im Körper des Weibchens statt, was innere Befruchtung genannt wird. Eine äußere Befruchtung finden wir beispielsweise bei Fröschen und Kröten. Die unter den Männchen positionierten Frosch- oder Krötenweibchen geben ihre Eier ins Wasser ab. Die Männchen geben zeitgleich ihre Spermien über die Eier. Im Wasser kommt es zur Befruchtung. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Spermien die Eizel- len erreichen, wird durch die Positionierung von Männchen und Weibchen bei der Begattung vergrö- ßert. Eine innere Befruchtung finden wir beispielsweise bei den Säugetieren (Mammalia), bei denen das Männchen das Sperma mithilfe eines Penis in die Scheide des Weibchens gibt. Die Befruchtung des Eies findet danach im Körper des Weibchens statt. Die Übertragung kann aber auch mithilfe eines nichtkörperlichen Gebi