Methoden und Instrumente der Sozialen Arbeit II PDF

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This document is a course description for "Methoden und Instrumente der Sozialen Arbeit II." It outlines the course's objectives, including learning goals and introduction to methods like Case Management, Mediation, social networking, family-centered work, and more. The course emphasizes practical applications and the linking theory and practice. It also introduces key sociological concepts such as empowerment, prevention, and resource orientation.

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**Übergeordnete Lernziele** Der Kurs **Methoden und Instrumente der Sozialen Arbeit II** stellt Methoden, zugehörige Techniken sowie Handlungsansätze vor. Betrachtet werden Case Management, Mediation, Soziale Netzwerkarbeit, Familie im Mittelpunkt, Familienrat, Sozialraumorientierung und Straßensoz...

**Übergeordnete Lernziele** Der Kurs **Methoden und Instrumente der Sozialen Arbeit II** stellt Methoden, zugehörige Techniken sowie Handlungsansätze vor. Betrachtet werden Case Management, Mediation, Soziale Netzwerkarbeit, Familie im Mittelpunkt, Familienrat, Sozialraumorientierung und Straßensozialarbeit. Außerdem werden drei grundlegende methodische Perspektiven eingeführt: Empowerment, Prävention und Ressourcenorientierung. Zur intensiven Verknüpfung von Theorie und Praxis werden in allen Lektionen, welche Methoden darstellen, ergänzend Handlungsfelder skizziert und eine mögliche Anwendung der jeweiligen Methode im Handlungsfeld anhand eines Praxisbeispiels geschildert. Durch diese Inhalte erweitert sich Ihr Blick auf methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit und Sie erlangen ein vertieftes und differenziertes Verständnis davon, welche Konzepte, Methoden und Techniken in welchen Praxissituationen zur Anwendung kommen können. Grundlegende methodische Perspektiven 1. **Lernziele** Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, \... - aus welchen unterschiedlichen Perspektiven methodisches Handeln betrachtet werden kann. - welche Bedeutung grundlegende Perspektiven für methodisches Handeln der Sozialen Arbeit haben. - was sich hinter dem Begriff des Empowerments verbirgt. - was Prävention auszeichnet. - was Ressourcenorientierung bedeutet. **Einführung** Es lassen sich eine Reihe an Perspektiven auf methodisches Handeln unterscheiden, die bei der Betrachtung von Methoden und methodischem Handeln unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund rücken (Wendt, 2017, S. 20--56). Zugleich prägen sie in ihrer praktischen Anwendung das praktische Handeln auf eine bestimmte Weise, etwa indem sie grundsätzliche Ziele vorgeben. Zum Beispiel gibt der Präventionsansatz das Ziel vor, frühzeitig zu handeln und nicht erst, wenn ein Problem bereits eingetreten ist. Daher werden diese Perspektiven teilweise auch als handlungsleitende Konzepte verstanden (Stimmer, 2020, S. 157--225). Zwei Beispiele: 1. Methodisches Handeln kann aus der Sach- bzw. Zielperspektive betrachtet werden (Galuske, 2013, S. 31): Diese Sichtweise fragt danach, welche Problemstellungen mit einer Methode behandelt werden sollen -- positiv formuliert könnte man auch davon sprechen, welche Ziele erreicht werden sollen -- und mit der jeweiligen Methode realistisch erreicht werden können. Aus dieser Perspektive wird also die Passung zwischen dem Ziel auf der einen Seite und der jeweiligen Methode auf der anderen Seite überprüft. In der Praxis der Schulsozialarbeit stellt sich z. B. die Frage, ob in einer Schulklasse, in der Schüler:innen wiederholt gewalttätig geworden sind, ein erlebnispädagogisches Projekt helfen kann oder ob ein Coolness-Training zum gewünschten Erfolg der Reduktion von Gewalt führen kann. 2. Ein weiteres Beispiel für eine derartige Perspektive stellt die Orientierung an den Bedarfen der Adressat:innen dar (Wendt, 2017, S. 30): Soziale Arbeit hat aus dieser Sicht, trotz des doppelten Mandats von Hilfe und Kontrolle, stets primär den einzelnen Menschen mit seinen ganz individuellen Bedürfnissen und Vorstellungen im Blick. Menschen werden als Subjekte ernst genommen, welche ihr Leben aktiv gestalten und deren je eigene Weltanschauung und ganz individueller Lebensentwurf zunächst einmal respektiert wird. Das schließt nicht aus, dass Sozialarbeitende sich auch kritisch äußern dürfen; dennoch orientiert sich Soziale Arbeit stets am Einzelnen bzw. an der Einzelnen und überprüft demnach Methoden auch auf ihre Kompatibilität mit den konkreten Menschen, denen geholfen werden soll. Im oben angeführten Beispiel der Schulklasse würde es aus dieser Perspektive darum gehen, die Schüler:innen in die besagte Entscheidung einzubinden, sie ernst zu nehmen und mit allen Akteuren -- auch Eltern, Lehrer:innen etc. - gemeinsam zu überlegen, welches Vorgehen zur Problemlage und speziell den Schüler:innen passt. Die hier an zwei Beispielen aufgezeigten grundlegenden Perspektiven des methodischen Handelns unterscheiden sich -- z. B. hinsichtlich ihrer theoretischen Tiefe und Breite oder ihrer konkreten Anwendbarkeit -- sehr stark, sodass eine Zuordnung, ob es sich um eine grundlegende Perspektive oder doch eine Methode handelt, häufig umstritten ist. Ein lebendiger Methodendiskurs wird ersichtlich. Zum Beispiel ist der Netzwerkansatz für Franz Stimmer (2020) eine grundlegende Perspektive (obgleich er für derartige Perspektiven den Begriff des Handlungsleitenden Konzeptes wählt), während Michael Galuske (2013) ihn als Methode anführt. Wie folgt werden drei Perspektiven ausgewählt und vertieft dargestellt, die im Methodendiskurs der letzten Jahre intensiv diskutiert wurden und zugleich von hoher praktischer Relevanz sind: Empowerment, Prävention und Ressourcenorientierung. **1.1 Ermächtigung** In einer einprägsamen Formel ausgedrückt ist Empowerment \"das Anstiften zu einer (Wieder-)Aneignung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Alltags\" (Herriger, 2020, S. 8). Für Peter-Ulrich Wendt (2017, S. 39) stellt **Ermächtigung** eine \"Schlüsselperspektive\" des methodischen Handelns dar, weil sie nicht nur ein bestimmter Blickwinkel ist, aus dem Methoden betrachtet werden, sondern auch ein grundlegendes Ziel, der eigentliche Zweck, dem jede Methode der Sozialen Arbeit dienen sollte. Der defizitorientierte Blick auf Abhängigkeiten und Schwächen, der das Menschenbild der traditionellen psycho-sozialen Arbeit bis heute über weite Strecken prägt, wird verabschiedet (Herriger, 2020, S. 74). Empowerment wird dabei verstanden als Befähigung und Ermutigung von Menschen, ihre eigenen Potenziale und Fähigkeiten zu erkennen und selbstbestimmt und selbstbewusst möglichst eigenständig und eigensinnig ihre Probleme zu bewältigen. Seinen Ursprung hat dieses Konzept in den USA. 1976 brachte Barbara Solomon als erste Autorin das Empowermentkonzept als \"Black Empowerment\" (Solomon, 1976, zitiert nach Herriger, 2020, S. 22) und kritisierte die Mittelschichtsorientierung der Sozialen Arbeit in den USA, welche an den Bedürfnissen der damals oft sehr mutlosen afroamerikanischen Bevölkerung völlig vorbeigehe. Soziale Arbeit müsse gerade diese \"machtlosen\" Menschen ermutigen und \"bemächtigen\" (Solomon, 1976, S. 14, zitiert nach Wendt, 2017, S. 40) und damit demokratische Teilhabe dieser Menschen fördern. 1994 brachte Barbara Simon einen differenzierten Überblick über die vielfältigen historischen Strömungen des Empowerments der black communities in der Geschichte der USA. Für sie bildet der Empowerment Begriff ein definitorisches Dach über alle Ansätze psycho-sozialer Arbeit: Die Verfechter des Empowerment-Gedankens in der Sozialen Arbeit haben seit 1890 -- unter Verwendung von in jeder Epoche anderer Sprache und anderern Selbstbeschreibeungen -- die Klienten als Personen, Familien, Gruppen und Gemeinschaften mit vielfältigen Fähigkeiten und Entwicklungschancem begriffen, unabhängig davon, wie benachteiligt, eingeschränkt, erniedrigt oder selbstzerstörerisch sie auch sein mochten. Der Job des Sozialarbeiters, der sich dem Ziel der Selbstbemächtigung des Kleienten verpflichtet weiß, ist konzipiert worden als Aufbau einer Arbeitsbeziehung mit dem Klienten, die auf dessen je spezifischen Fähigkeiten, Ressourcen und Bedürfnissenaufbaut und ein mehr an Sinnerfüllung im alltäglichen Leben und an Partnerschaftlichkeit in seinen Bezeihungen mit anderen transportiert. Ziel dieser Arbeitsbezeihung ist es, den Klienten zu unterstützen bei der Nutzung eigener Stärken im Prozess der Suche nach erweitertem Selbstwert, Gesundheit, Gemeinschaftlichkeit, Sicherheit, personaler und sozialer Macht. (Simon, 1994, S. 1, zitiert nach Herriger, 2020, S. 22--23) Rosa Parks, die sich in der Zeit der Rassentrennungsgesetze in den USA als erste black american weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen White American zu räumen, kann als Ikone der Selbstermächtigung gesehen werden. Nach ihrer Weigerung wurde sie kurzzeitig verhaftet. In Reaktion auf diesen Vorfall entstand ein breiter Empowermentprozess der Black Americans, die sich in der Bürgerrechtsbewegung, geleitet von Martin Luther King  und anderen formierte und zur Aufhebung der Rassentrennung in Bussen und Zügen, wie schließlich zur Abschaffung der Rassentrennung überhaupt führte -- wenn auch die Realisierung der Gleichheit bis heute eine nicht gelöste gesellschaftliche Aufgabe darstellt. Womens Empowerment bewirkte die zunehmende Selbstbestimmung von Frauen und Emanzipation von Abhängigkeiten durch patriachalische Machtstrukturen in vielen Gesellschaften. Elisabeth Beck-Gernsheim beschreibt den Umbruch als die Entwicklung \"vom Dasein für andere zum Anspruch auf ein Stück eigenes Leben\" (Herriger, 2020, S. 27). Schwierig an den Prämissen des Empowerments ist, dass die Eigeninitiative und selbstständiges Handeln ausgerechnet durch Impulse und die Fremdeinwirkung von Sozialarbeitenden ermöglicht werden soll -- oder, wie Wendt es formuliert: \"Wie lassen sich überhaupt Menschen dazu befähigen, sich selbst zu befähigen?\" (Wendt, 2017, S. 40). Dies fordert eine ressourcenorientierte, empowernde Methodik, die an die Fähigkeiten des Einzelnen bzw. der Einzelnen oder der Gruppe anschließt und von diesen ausgehend die Möglichkeiten entdeckt und entwickelt. Die Fallarbeit nach dem Konzept Integrativer Methodik erfüllt diesen Anspruch. Überhaupt gehen Vertreter:innen des Empowerment-Konzeptes davon aus, dass es in einer neuen stärkenbezogenen Kultur des Helfens möglich ist, Menschen durch positive Grundannahmen und eine wertschätzende Haltung in bedeutenden Entwicklungsschritten zu begleiten und stützen diese Überzeugung auf vier theoretische Voraussetzungen (Wendt, 2017, S. 40--44): - **Bewältigungsoptimismus:** Gerade Klient:innen, die sich schon seit längerer Zeit in einer schwierigen Lage befinden, neigen nicht selten zu einer \"erlernten Hilflosigkeit\" (Wendt, 2017, S. 40). Aufgrund der vielen negativen Erfahrungen entwickeln sie einen grundsätzlichen Pessimismus, welcher dazu führt, dass sie vor allem Probleme und Hindernisse sehen, bereits ängstlich und mit den schlimmsten Erwartungen an neue Herausforderungen herangehen und gerade deshalb oft erneut scheitern (\"self-fulfilling prophecy\"). Sozialarbeitende können hier intervenieren, indem sie im Sinne einer Ressourcenorientierung bewusst den Fokus weg von den Schwierigkeiten hin auf die Potenziale, Begabungen und Möglichkeiten der Klient:innen lenken. Dies fördert eine optimistische Haltung, dank welcher neue Wege zur Bewältigung einer Situation gefunden werden können. Die Arbeiten von Ann Weik zur Perspektive der Menschenstärken, im angloamerikanischen als \"The strenghth model\" bezeichnet, zeigen auf welche Grundprinzipien sich der Fokus richten kann (Weik, 1992, zitiert nach Herriger, 2020, S. 75--84ff.) Grundprinzipien als \"Philosophie der Menschenstärken\": 1. Alle Menschen haben die Fähigkeiten zu lernen und sich zu verändern. Hoffnungen, Sehnüchte und Visionen durchziehen jede Lebensphase. Stärkeorientierte Soziale Arbeit greift diese mit Anerkennung und Wertschätzung auf, als Beginn einer Reise in die Stärke. 2. Der Fokus des Unterstützungsprozesses liegt auf den selbstempfunden Stärken der Klient:innen und nicht auf expertenseitigen Fremddefinitionen. 3. Die Arbeitsbeziehung ist bestimmt von Achtung, Anerkennung und Wertschätzung  der Erfahrungs- und Wertewelt des:der Klient:in. Klient:innen sind die Expert:innen ihrer Lebensumstände. 4. Jeder Mensch hat das Recht auf Selbstbestimmung. 5. Soziale Umwelten sind Schatzkammern sozialer Unterstützung. Die Entdeckung von Unterstützungsnetzwerken, von Partizipationräumen im Gemeinwesen, im Kontakt mit Peers. 6. Organisatorische Rahmen zur Verwirklichung des \"strengths model\" im Leitbild der Institution ermöglichen Qualifikation und Orientierung der Mitarbeitenden zur gelingenden Arbeit (Herriger, 2020, S. 76) - **Resilienz:** Resilienz wird von Masten et al. (1990) als einen Prozess und Fähigkeit definiert, eine erfolgreiche Anpassung zum Überstehen von schwierigen Bedingungen und Verhältnissen vorzunehmen (zitiert nach Short & Weinspach, 2007, S. 30). Resilienz ist die psychische Widerstandsfähigkeit, widrige Umständen ohne nachhaltige Schäden  mit einem gesunden Entwicklungsverlauf zu überstehen. Eine hawaiianische Langzeitstudie der Pionierin der Resilienzforschung Emmy Werner (1977) zeigte, dass sich etwa ein Drittel der Kinder, die unter sehr schwierigen Bedingungen aufwuchsen, trotz dieser Widrigkeiten erstaunlich positiv entwickelten. Dieses Ergebnis führte zu einem großen Interesse an den Ressourcen, welche die positive Entwicklung dieser Kinder ermöglichten. Aus mehreren Untersuchungen und Längsschnittstudien ergaben sich sowohl personale wie soziale Ressourcen, die sich günstig auf die Bildung von Resilienz auswirken (Lösel, 1999, zitiert nach Short & Weinspach, 2007, S. 31). - **Personale Ressourcen umfassen:**Eine optimistische zuversichtliche Lebenseinstellung, Temperamentseigenschaften, die Aufmerksamkeit und soziale Unterstützung durch Bezugspersonen erleichtern, Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Selbstvertrauen, positives Selbstwertgefühl, internale Kontrollüberzeugung, Problemlösefähigkeiten, hohe Sozialkompetenz wie Empathie, Verantwortlichkeit und Coping-Strategien wie die Fähigkeit, soziale Unterstützung zu Mobilisieren. - **Soziale Ressourcen können sein:**Eine stabile emotionale Beziehung zu mindestens einem Elternteil oder einer anderen Bezugsperson, die Vertrauen, Autonomie, aber auch Kompetenzen und realistische Selbsteinschätzung fördert. Ebenso zählen zu sozialen Ressourcen ein offenes, wertschätzendes, unterstützendes Erziehungsklima im Elternhaus oder in den Bildungsinstitutionen sowie Zusammenhalt, Stabilität und konstruktive Kommunikation, die Erfahrung von Sinn, Struktur und Bedeutung in der eigenen Entwicklung, beispielsweise Religiösität in der Familie. - **Salutogenese:** Das Konzept der Resilienz ist eng mit Salutogenese verbunden. Der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky stellte sich die Frage: Warum bleiben Menschen trotz vieler potenziell gesundheitsgefährdender Einflüsse gesund? Diese Frage richtete sich darauf, wie sich Gesundheit generiert. Aus dem Wort \"Salus\" (lateinisch Gesundheit/Wohlbefinden) und altgriechisch \"γένεσις genesis\" (Geburt, Entstehung; Entwicklung) bildet sich Salutogenese. Anhand einer Studie 1979 zu ehemaligen KZ-Insass:innen untersuchte Antonovsky die Mechanismen der Salutogenese, also der Entstehung und Aufrechterhaltung von Gesundheit. Er kam zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass manche der ehemaligen Insass:innen trotz der katastrophalen Lebensbedingungen gesund blieben und erforschte, welche schützenden Faktoren dies ermöglichten. Dabei fand er als verbindenden Faktor das Kohärenzgefühl, welches im Deutschen wegen seines kognitiven und sinnhaften Aspektes auch als Kohärenzsinn übersetzt wird. Das Kohärenzgefühl ist eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebeung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind; einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begenen; diese Anforderungen sind Herausforderungen, die Anstrengung und Engagement lohnen. (Antonovsky, 1997, S. 36, zitiert nach Grabert, 2008, S. 25) Kurz zusammengefasst ergeben sich drei Komponenten des kohärenten Erlebens: Verstehbarkeit (kognitive Komponente), Handhabbarkeit (kognitiv-emotionale Komponente) und Bedeutsamkeit (motivationale Komponente). Der Bedeutsamkeit misst Antonovsky den größten Einfluss für die Erhaltung von Gesundheit zu. Eine gefühlsstabilisierende Weltanschauung habe mehr Gewicht als die eher kognitiven Fähigkeiten (Antonovsky, 1997, S. 36, zitiert nach Grabert, 2008, S. 28). Der Kohärenzsinn bezeichnet die Überzeugung, dass auch kritische Lebensereignisse verstanden und integriert werden können (\"sense of comprehensibility\"), dass trotz schlimmerer Erlebnisse das Leben wertvoll und gestaltbar ist (\"sense of meaningfulness\") und dass Schwierigkeiten bewältigt werden können (\"sense of manageability\"). - **Coping:** Coping meint \"Bewältigung\" und verweist, ähnlich wie die oben genannten Schutzfaktoren der Resilienz, auf individuelle Strategien, mit welchen Menschen Problemen begegnen und Herausforderungen bestehen. Sie \"dienen dem Ziel, interne bzw. externe Belastungen zu tolerieren, zu verringern oder zu meistern\" (Wendt, 2017, S. 43). Diese Strategien beruhen auf Ressourcen wie sozialen Beziehungen, Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl, Verdrängungsmechanismen und Stressresistenz. Im Sinne von Empowerment kommt also Sozialarbeitenden die Aufgabe zu, die Anlässe -- bereits diese Formulierung ist sehr viel positiver als \"Probleme\" -- ihrer Klient:innen bewusst optimistisch zu analysieren und die Klient:innen so zu stärken, dass diese ihre ihre Herausforderungen so eigenständig wie möglich meistern können. Das bedeutet z. B. die Förderung sozialer Beziehungen, das Entwickeln von Vertrauen in die eigene Kompetenz sowie sinnstiftende Interventionen, z. B. durch die Erarbeitung von Zielen und Lebensperspektiven. Empowerment kann dabei auf unterschiedlichen Ebenen sozialer Interventionen zur Anwendung kommen (Wendt, 2017, S. 44): - mit Einzelnen, z. B. im Rahmen von Beratung; - mit Gruppen, z. B. in der Themenzentrierten Interaktion oder der Erlebnispädagogik; - mit lokalen Gemeinschaften, z. B. mit dem Ziel, örtliche Netzwerke und die demokratische Beteiligung und Selbstinitiative von Bürger:innen zu stärken sowie - mit Institutionen, z. B. mit dem Ziel, Klient:innen als Expert:innen ihrer Anliegen an Handlungsweisen und Entscheidungen der Institution teilhaben zu lassen. Durch den Fokus auf die individuellen Stärken und die optimistische Sicht auf das Leben der Einzelnen stellt Empowerment auch ein Gegengewicht zur Kontrollfunktion und dem damit einhergehenden Normalisierungsauftrag der Sozialen Arbeit dar. Sozialarbeitende stehen vor dem Dilemma, die Einhaltung gesellschaftlicher Normen stärken zu sollen, da sie bestimmte Werte und Normen einer Gesellschaft vertreten und Menschen, die davon abweichen, tendenziell zu helfen, sich besser anzupassen. Im Sinne von Empowerment wird hingegen der Eigensinn jeden menschlichen Lebens betont, die Stärken auch abweichender Lebensentwürfe entdeckt und dementsprechend Toleranz gefördert (Wendt, 2017, S. 44). **Entwicklung als permanente Ressource** Vom Baby bis in hohe Alter entwickeln Menschen Fähigkeiten, erweitern ihr Bild von der Welt und von sich selbst, entwickeln Lösungsstrategien für Probleme. Das Thema \"lebenslange Entwicklung\" griff bisher mehrheitlich die Entwicklungspsychologie auf. Nachdem man über lange Zeit annahm, dass Entwicklung nur von der Kindheit bis zum Erwachsenen stattfände, stellte sich dies als falsch heraus. Erikson formulierte die erste Entwicklungspsychologie über die gesamte Lebensspanne (Erikson, 2007, zitiert nach Flammer, 2017, S. 93). Einzelne Fähigkeiten wurden besonders erforscht. Um nur ein paar bekannte Autoren zu nennen: Jean Piaget erforschte die Entwicklung des Denkens (1975), Lawrence Kohlberg arbeitete zur Entwicklung der Moral (1984). Für die Soziale Arbeit bietet der Blick auf die Entwicklung und Entwicklungsfähigkeit von Menschen eine ressourcenorientierte, empowernde Haltung. Da menschliche Entwicklung in sozialen und kulturellen Feldern geschieht, bedingen sich Entwicklungsräume mit Entwicklungsmöglichkeiten. Urie Bronfenbrenner stellt diese Zusammenhänge in seiner ökologischen Entwicklungstheorie dar (Bronfenbrenner, 1977, zitiert nach Flammer, 2017, S. 247--260). Entwicklung formt sich zugleich als eigene Dynamik von innen heraus, auf die äußeren Gegebenheiten hin, wie sie auch von außen her angeregt und herausgefordert werden kann. So finden einzelne Menschen Lösungen und Emanzipation von kulturellen und Sozialisationsnormen, schließen sich in Gruppen und Interessengemeinschaften zusammen, die wiederum die Pluralität der Gesellschaft weiterentwickeln wie die Entwicklung der LGBTQ-Bewegung, der Stadtteilgemeinschaften und Friday-for-Future-Bewegung. Das Wissen über die eigene individuelle Entwicklungsfähigkeit wird in der Regel kaum nachgefragt und es kann als Ressource in der Sozialen Arbeit entdeckt werden, mit der Frage: Welche Fähigkeiten haben Sie bisher entwickelt? Dabei ist alles von Bedeutung: Laufen, Lesen, Schreiben, Rechnen, Arbeiten, unterhaltsam sein etc. Die Fähigkeiten sollten in einer Liste festgehalten werden. Es dient dem Selbstbewusstsein, sich entwickelt zu haben, entwicklungsfähig zu sein und es somit auch weiterhin zu können. Machen Sie eine Probe bei sich selbst. Im Prinzip stellt jedes Lebensproblem, auch jede Krankheit eine Entwicklungsaufgabe dar, fordert Entwicklung heraus (Flammer, 2017, S. 209). **Optimale Bedingungen für Entwicklung** Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2024, in Anlehnung an Zenk, 2024. Entwicklungsprozesse zu initiieren und zu begleiten, gehört zum Kern der Sozialen Arbeit. Zur Lösung dieser Aufgabe fördert die Erweiterung des \"üblichen\" Denkens und Sprechens über sich selbst und sein Leben mit einem anderen Modus des Formulierens. Die analoge, bildhafte Kommunikation dient dabei als nützliches Instrument der Sozialen Arbeit. **1.2 Prävention** Prävention kann definiert werden als \"vorbeugendes Handeln\" (Böllert, 2015, S. 1227), welches unerwünschte Handlungen und Entwicklungen vermeiden soll. Demgegenüber bedeutet Intervention das helfende oder korrigierende Eingreifen, wenn die entsprechenden unerwünschten Ereignisse nicht vermieden werden konnten, sondern bereits eingetreten sind. Prävention unterscheidet sich also zu anderen Tätigkeitsbereichen der Sozialen Arbeit und zu anderen Perspektiven auf methodisches Handeln besonders durch ihre zeitliche Ausrichtung. Dabei kann zwischen drei verschiedenen Ansätzen und auch Zeitperspektiven von Prävention differenziert werden (Bundesministerium für Gesundheit, 2015): - **Primäre Prävention:** Diese Maßnahmen richten sich an die gesamte Bevölkerung und versuchen, durch die Förderung bestimmter Verhaltensweisen (beispielsweise gesunde Ernährung, Bewegung) das Auftreten bestimmter Probleme (beispielsweise Übergewicht) zu verhindern. Auch Gewaltprävention oder Aufklärungsprojekte in Schulen gehören zur primären Prävention. - **Sekundäre Prävention**: Dieser Begriff meint die Früherkennung von Erkrankungen, um so eine möglichst frühe und Erfolg versprechende Therapie einleiten zu können. In der Sozialen Arbeit bezieht sich sekundäre Prävention auf potenziell gefährdete Zielgruppen wie Arbeitslose, Jugendliche in Problemvierteln oder auch Trauernde. Durch Unterstützung in belastenden und gefährdenden Situationen soll verhindert werden, dass die Belastungen sich zu starken und dauerhaften Krisen entwickeln und ihre Folgen möglichst gering gehalten werden (Galuske, 2013, S. 320). - **Tertiäre Prävention:** Diese Form der Prävention beabsichtigt, die Verschlimmerung bereits vorhandener Krisen oder Krankheiten zu vermeiden. Das, was primäre und sekundäre Prävention zu verhindern beabsichtigen, ist also bereits geschehen, und der Schaden soll nun so weit wie möglich begrenzt werden. Außerdem kann unterschieden werden zwischen **Verhältnisprävention**, welche durch die Verbesserung von Lebensbedingungen das Auftreten von Problemen zu verhindern versucht, und Verhaltensprävention, welche auf die Veränderung von gefährdendem oder problematischem Verhalten zielt (Galuske, 2013, S. 319). Am Beispiel der Drogenprävention sollen im Folgenden verschiedene inhaltliche Ansätze von Prävention vorgestellt werden (Galuske, 2013, S. 322--325): - **Prävention in Form von abschreckenden Informationen:** Damit wird versucht, Angst auszulösen und auf diese Weise unerwünschtes Verhalten zu verringern. Dieser Ansatz war vor allem in der frühen Phase der Drogenprävention sehr präsent, wird aber auch heute noch angewendet, wie die Bilder zu Folgen von Rauchen auf Zigarettenpackungen zeigen. - **Suchtprävention durch Risikoalternativen, bzw. sogenannte funktionale Äquivalente:** Das Ziel dieses Ansatzes ist nicht unbedingt die absolute Abstinenz, sondern zunächst der verantwortungsvolle Umgang mit gefährlichen Substanzen und die Heranführung der gefährdeten Zielgruppe an alternative Tätigkeiten, welche die Bedürfnisse, die hinter dem Drogenkonsum stehen, auf weniger schädigende Weise erfüllen -- sogenannte funktionale Äquivalente. Zum Beispiel könnten attraktive und spannende sportliche oder erlebnispädagogische Angebote den \"Kick\" des Drogenkonsums ersetzen. - **Gesundheits- und Entwicklungsförderung:** Durch die allgemeine Förderung von Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeit, Handlungskompetenzen und persönlichkeitsbildende Angebote sollen Menschen so gestärkt werden, dass sie von sich aus Drogen ablehnen. - **Schadensminimierung:** Dieser Ansatz steht beispielsweise hinter der akzeptanzorientierten Drogenarbeit, welche nicht auf Entzug und Enthaltsamkeit besteht, sondern die Wünsche und Verhaltensweisen der Süchtigen akzeptiert und innerhalb dieser Grenzen versucht, den Schaden, der durch die Sucht entsteht, zu begrenzen -- u. a. durch \"Fixerstuben\", welche Heroinsüchtige mit einem Dach über den Kopf und sauberem Spritzbesteck versorgen. Grundsätzlich erscheint der Gedanke, Gefährdungen frühzeitig zu erkennen und Krisen durch rechtzeitiges vorbeugendes Handeln zu verhindern, sinnvoll. Dennoch kann eine zu starke Betonung von Prävention in der Sozialen Arbeit kritisch betrachtet werden. So betrachtet Prävention stets in erster Linie die Verhinderung negativer Ereignisse anstelle der Ermöglichung positiver Geschehnisse (Galuske, 2013, S. 325) oder anders ausgedrückt: \"Mit der Präventionslogik gerät die Zukunft unter Verdacht\" (Galuske, 2013, S. 326). Doch nicht nur die Zukunft, sondern auch die Zielgruppen, an welche sich die präventiven Angebote richten, geraten damit unter einen generellen Verdacht: \"Nicht die Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe werden in dieser Perspektive vor Risiken und Gefahren geschützt, vielmehr gilt es, präventiv den von ihnen ausgehenden Gefahren und Risiken für andere entgegen zu wirken\" (Böllert, 2015, S. 1230). Mit dieser **Defizitorientierung** geht außerdem die Problematik einher, dass im Rahmen der dominierenden Verhaltensprävention Probleme stets der individuellen Verantwortung zugeschrieben werden und dadurch von strukturellen sozialpolitischen Mängeln abgelenkt wird (Galuske, 2013, S. 327). Ein gutes Beispiel für diesen Vorwurf ist die Prävention von Übergewicht: Natürlich haben Eltern und auch Kinder und Jugendliche selbst einen großen Einfluss auf ihr Ernährungsverhalten. Gleichwohl können Präventionsprogramme zu Ernährung und Sport den Eindruck erwecken, dass allein die Eltern für das Übergewicht ihrer Kinder verantwortlich sind. Dabei wird verkannt, dass an vielen Schulen Süßigkeitenautomaten und der Verkauf von stark gesüßtem Kakao oder hochkalorischen Getränken die Regel sind und dass es dem Staat bislang nicht gelungen ist, eine eindeutige Kennzeichnung von gesundheitlich problematischen Lebensmitteln zu erwirken. Vor dem Hintergrund der suchtfördernden Wirkung von Zucker, kann gerade von Kindern kaum erwartet werden, dass sie entsprechende Angebote eigenverantwortlich ablehnen. Somit muss eine erfolgversprechende Prävention von Übergewicht neben der Verhaltensprävention definitiv auch eine sozialpolitische (gesetzliche Kennzeichnung von bestimmten Lebensmitteln) und institutionelle Verhältnisprävention (Ernährungsangebote in Schulen und Kindertagesstätten) einbeziehen. **1.3 Ressourcenorientierung** Im Sinne der Perspektive der Ressourcenorientierung geht die Soziale Arbeit davon aus, dass alle Menschen über Potenziale verfügen, die ihnen beispielsweise dabei helfen können, Probleme zu bewältigen oder Ziele zu erreichen (Wendt, 2017, S. 31). Diese sehr individuellen und diversen Potenziale werden als Ressourcen bezeichnet. Knecht et al. (2014, S. 109, zitiert nach Wendt, 2017, S. 31--32) definieren Ressourcen als \"Mittel, Gegebenheiten oder Merkmale \..., die Menschen einsetzen, um Aufgaben und Lebensanforderungen zu bewältigen, Veränderungsprozesse umzusetzen sowie individuelle und gemeinschaftliche Bedürfnisse und Ziele zu verfolgen und zu erfüllen. Zudem werden Ressourcen eingesetzt, um andere zu erhalten, zu erweitern oder Ressourcen mit anderen Menschen zu tauschen\". So vielfältig Menschen sind, so vielfältig sind auch ihre Ressourcen. Entsprechend verbergen sich hinter dem Begriff der Ressourcen sehr unterschiedliche Dinge: - Fähigkeiten, z. B. etwas gut formulieren können oder etwas handwerklich herstellen können; - Begabungen und Talente, z. B. gut zeichnen zu können oder kreativ zu sein; - Interessen, z. B. für eine Tierart oder bestimmte Musik; - Kenntnisse, z. B. in Bezug auf eine Stadt oder eine Wissenschaft; - physische Potenziale, z. B. Ausdauer oder Stärke; - psychische Potenziale, z. B. Gelassenheit oder Optimismus; - Beziehungen und Kontakte, z. B. Freunde oder Nachbarn; - Zugehörigkeiten, z. B. zu Vereinen oder einer Glaubensgemeinschaft. Diese Beispiele zeigen, dass es sich bei Ressourcen keinesfalls nur um Aspekte handelt, die in der Person selbst liegen, sondern auch um solche, die in der Umwelt der Personen zu finden sind (Wendt, 2017, S. 32). Das Fehlen von Ressourcen bzw. ihr Verlust, beispielsweise durch einen Umzug oder den Tod eines Angehörigen, macht \"Menschen anfällig und verletzlich für psychische und physische Schwierigkeiten\" (Wendt, 2017, S. 32). Daher ist es in dieser Perspektive die Aufgabe von Fachkräften der Sozialen Arbeit, eine Haltung einzunehmen, die davon ausgeht, dass Ressourcen vorhanden sind, die gegebenenfalls gesucht, aktiviert oder forciert werden müssen, um Probleme zu bewältigen oder Ziele der Klient:innen zu erreichen (Wendt, 2017, S. 31). Die entsprechende Tätigkeit der Sozialarbeitenden wird als Ressourcenarbeit bezeichnet, welche Möbius (2010) definiert als \"Planungs -- und Unterstützungsleistung \..., die sich konsequent an dem Vorhaben orientiert, individuelle und soziale Ressourcen der Adressat/innen vor allem jenseits institutioneller Hilfen zur Problembewältigung zu aktivieren, und die hierfür notwendigen Schritte und Prozesse in Absprache mit ihnen zu planen, zu koordinieren und professionell zu begleiten\". Als ein Teil der Ressourcenarbeit lässt sich die Ressourcendiagnostik verstehen (Büttner, 2018), in der es darum geht, Ressourcen aufzuspüren, zu analysieren und sichtbar zu machen. Eine Möglichkeit der Umsetzung ist ein Ressourceninterview, in dem systematisch Fragen zur Anwendung kommen, die Ressourcen sichtbar machen. Beispiele für Fragen wäre: - Wer aus ihrer Familie liegt Ihnen besonders am Herzen? - Was bereitet Ihnen Freude? - Wie schaffen sie es, trotz Ihrer Erkrankung immer zu lachen? - Welche Situationen mit Ihrer Tochter genießen Sie besonders? **2. Fallmanagement** **Lernziele** Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, \... - was das methodische Konzept des Case Managements auszeichnet. - wie der Prozess des Case Managements abläuft. - welche Aufgaben Sozialarbeitende im Rahmen von Case Management übernehmen. - welche Kritik am Konzept des Case Managements geübt wird. - was das Arbeitsfeld der Krankenhaussozialarbeit auszeichnet und wie Case Management in diesem Kontext zum Einsatz kommt. **Einführung** Im wissenschaftlichen Diskurs der Sozialen Arbeit ist umstritten, ob es sich bei Case Management um eine Methode im engeren Sinne (Galuske, 2013) oder um ein handlungsleitendes Konzept handelt (Stimmer, 2020). Fest steht jedoch, dass es sich seit den 1980er-Jahren zunehmend in Deutschland verbreitet hat und dass es ein Konzept ist, welches die Arbeit mit einzelnen Menschen modifiziert und auf eine bestimmte Weise strukturiert ist (Stimmer, 2020, S. 168--176). Der Fokus rückt dabei weg vom Aspekt der Beziehungsarbeit, hin zum \"Management\", also der Planung, Organisation und Evaluation von Interventionen. Soziale Arbeit wird \"manageriell ausgerichtet\" (Wendt, 2017, S. 352). Damit einher geht eine Ausrichtung an Effizienz und Effektivität von Interventionen. **2.1 Definition, Merkmale und historische Entwicklung** **Definition** Neuffer (2002, S. 19) definiert Case Management als \"Konzept zur Unterstützung von Einzelnen, Familien und Kleingruppen. Case Management gewährleistet durch eine durchgängige fallverantwortliche Beziehungs- und Koordinierungsarbeit, Klärungshilfe, Beratung und den Zugang zu notwendigen Dienstleistungen. Case Management befähigt die Klienten, Unterstützungsleistungen selbstständig zu nutzen und greift so wenig wie möglich in die Lebenswelt von Klienten ein\" (Neuffer, 2002, S. 19). Hierin werden die folgenden für Case Management charakteristischen Merkmale ersichtlich: - durchgängige Fallverantwortlichkeit von Sozialarbeitenden; - unterschiedliche Tätigkeiten der Sozialarbeitenden, wie. Beziehungsarbeit, Koordinierungsarbeit, Beratung; - Verständnis von Klient:innen als aktive und eigenständige Nutzer:innen des Dienstleistungsangebotes; - Koordination, Planung und Kontrolle der Inanspruchnahme von Dienstleistungen. Ergänzend lassen sich mit Wendt (2017, S. 352) die folgenden Merkmale festhalten: - kooperative Gestaltung des Prozesses, - Ziel ist die Erhebung und Abdeckung des individuellen Versorgungsbedarfs von Klient:innen sowie - Effizienz und Effektivität in der Versorgung von Klient:innen. Im Kern geht es nach Wendt (2017, S. 352) \"darum, im Sinne von Effizienz und Effektivität einzelfallorientiert, subjektorientiert (durch Zusammenarbeit mit dem Unterstützten z. B. bei der Zielbestimmung) und ressourcenorientiert \... ein optimales Unterstützungsnetzwerk einzurichten\". **Entwicklung des Case-Management-Ansatzes** Case Management wird als eine Folge der Ökonomisierung des Sozialen bzw. zum Teil auch als ein Symbol für die **Ökonomisierung des Sozialen** gesehen (Wendt, 2017, S. 352; Stimmer, 2020, S. 168). In diesem Kontext gelten zwei Entwicklungen als bedeutsam (Wendt, 2017, S. 352--353): 1. Zum einen wurden in Deutschland die Organisation und Funktionsweise von Hilfsangeboten, insbesondere die Zuweisung und Nutzung von Mitteln des Sozialstaates problematisiert. In der Kritik standen die freien Träger, denen vorgeworfen wurde, sich den \"Markt\" sozialer Dienstleistungen zu ihrem Vorteil aufgeteilt zu haben, \"ohne dabei zu einer angemessenen (wirtschaftlichen wie fachlichen) Lösung sozialer Schwierigkeiten beizutragen\" (Wendt, 2017, S. 352). Ihre Leistungen wurden als ineffizient und ineffektiv kritisiert. 2. Zum anderen wurde in der USA umfassende Kritik an der stationären Unterbringung von Menschen laut. Sie wurde u. a. als zu schematisch, wenig passgenau und im Hinblick auf andere Hilfen als unzureichend aufeinander abgestimmt bewertet. Daraufhin kam es zu einer Abschaffung der stationären Angebote und Hilfsangebote wurden weitestgehend dezentralisiert. In der Folge kam es zu einer \"Zersplitterung der sozialen Dienste\" (Wendt, 2017, S. 352). Als Lösung für diese Problematiken wurde dann der Ansatz des Case Managements diskutiert. Vor dem Hintergrund beider Entwicklungen lässt sich verstehen, warum Case Management in dieser Zeit enorm an Bedeutung gewann. Es verspricht für beide Probleme eine Lösung: Mittel sollen effizienter und effektiver genutzt werden und die Problematik der Zersplitterung soll durch die Position des:der Fallmanager:in entschärft werden, der:die alle Dienstleistungen kennt und die passenden heraussuchen kann. Die für den jeweiligen Fall relevanten Hilfen werden zentral gesteuert und miteinander vernetzt, sodass die Aufgabenverteilungen klar definiert und Prozesse und Ergebnisse überwacht werden können. Fälle können somit effizient und effektiv bearbeitet werden (Wendt, 2017, S. 352). In Deutschland erfolgte eine Rezeption des Case-Management-Ansatzes ab den 1980er-Jahren (Wendt, 2017, S. 353). Allerdings wurde ziemlich unmittelbar kritisch hinterfragt, ob Case Management überhaupt in die sozialpolitischen Strukturen Deutschlands passt (Wendt, 2017, S. 353). Eine Zersplitterung, wie sie in den USA vorlag, war in Deutschland beispielsweise nicht zu verzeichnen (Galuske, 2013, S. 205). Trotz aller Kritik, die bis heute anhält, hat sich das Case Management auch in Deutschland in vielen Bereichen etabliert. Als verbreitet gilt es in den folgenden Bereichen (Wendt, 2017, S. 353; Stimmer, 2020, S. 169): - Pflege, - Rehabilitation - Behindertenhilfe, - Familienhilfe, - Kinder- und Jugendhilfe, - Straffälligen- und Bewährungshilfe, - Arbeit mit Suchtmittelabhängigen, - Arbeit mit Wohnungslosen, - psychiatrische Versorgung, - medizinische Behandlung und - Jobcenter und Arbeitsagenturen. **2.2 Der Prozess des Case Managements** **Abbildung 1: Ablauf des Case Managements** Quelle: Ruckstuhl, 2004, S. 3. Der Ablauf von Case Management wird -- je nach Autor:in/Modell -- in vier bis sechs Phasen geteilt. Häufig werden fünf Phasen (Assessment, Planning, Intervention, Monitoring und Evaluation) und eine Vorstufe (Outreach oder Clearing) ausgewiesen (in der Abbildung als Teil des Prozesses ausgewiesen). 1. **Clearing/Klärungsphase (z. T. auch Outreach oder Erstgespräch):** Im Rahmen des Clearing werden innerhalb von ein bis zwei Einheiten erste begrenzte Informationen erhoben und beurteilt, um Klient:innen einem:einer passenden Case-Manager:in zuordnen zu können, der:die ab diesem Zeitpunkt dann dauerhaft für den Fall verantwortlich ist (Wendt, 2017, S. 353). Zugleich findet das Intake statt, d. h., dass die Rahmenbedingungen geklärt werden und ein Vertrag geschlossen wird. Sind diese Schritte abgeschlossen, folgen die fünf (Kern-)Phasen des Case Managements. In einigen Darstellungen fällt das Intake auch mit der folgenden Phase des Assessments zusammen. 2. **Assessment (zum Teil auch Case Finding):** Der:Die Case-Manager:in definiert gemeinsam mit den Klient:innen den Beratungsanlass, die Ressourcen des Hilfesuchenden, den konkreten Hilfsbedarf und die potenziell hilfreichen Netzwerke und Institutionen. Auch die vorhandenen bzw. bereits kontaktierten und aktivierten Netzwerke oder Institutionen, werden erhoben (Netzwerkanalyse) (Wendt, 2017, S. 353). 3. **Planning:** Der:Die Case-Manager:in bestimmt gemeinsam mit dem Hilfesuchenden die Ziele und den angestrebten Weg, der zum Erreichen dieser Ziele dienen soll. Unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit des Mitteleinsatzes (Effizienz) werden angemessene Hilfen bestimmt und in einem Arbeitsplan zusammengefasst. 4. **Intervention (z. T. auch Linking):** Die vereinbarten Hilfen werden angestoßen und koordiniert; die Hilfesuchenden müssen dabei ihrer Nachweis- und Meldepflicht nachkommen (z. B. Bewerbungsunterlagen einreichen, Abbrüche melden, nachweisen, dass sie die Hilfen in Anspruch genommen haben). 5. **Monitoring:** Der:Die Case-Manager:in beobachtet und kontrolliert den Prozess der Hilfeerbringung und nimmt Fortschritte und Abweichungen wahr. Gegebenenfalls wird die:der Hilfesuchende zur besseren Mitarbeit aufgefordert. Elemente des Monitoring sind die Dokumentation und Berichterstattung, insbesondere auch gegenüber den Kostenträgern. Hierbei ist es Aufgabe des:der Case-Manager:in, die Effektivität und Effizienz der Hilfen im Auge zu behalten. Sie müssen sich im Vergleich zu den anderen Hilfen bzw. im Hinblick auf die entstehenden Gesamtkosten messen lassen. Daher kann es in diesem Prozess, einerseits \"so fachlich erforderlich, \... zu einer Anpassung an veränderte Anlässe oder einen geänderten Bedarf kommen\..., und andererseits \[können\] Prozesse, die wirtschaftlich nicht nützlich sind, an die wirtschaftlichen Ziele angeglichen werden \... (Neubewertung)\" (Wendt, 2017, S. 354). 6. **Evaluation:** Während der Evaluation wird der Prozess und sein Ergebnis ausgewertet: einerseits im Hinblick auf den Grad der Zielerreichung und andererseits im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit. Dabei werden die Perspektiven aller an den Maßnahmen beteiligten Akteure miteinbezogen (Wendt, 2017, S. 355). Der offizielle Abschluss eines Case Managements wird als \"Disengagement\" bezeichnet (Wendt, 2017, S. 355). **2.3 Aufgaben der Sozialarbeitenden und Kritik** **Aufgaben der Sozialarbeitenden** Die Rolle der Case-Manager:innen bedeutet eine Verschiebung, nicht jedoch eine vollständige Ablösung der Aufgaben von Sozialarbeitenden von der Beziehungsarbeit zur Organisation, Vernetzung und Abstimmung von unterschiedlichen Hilfeleistungen (Galuske, 2013, S. 201). \"Der Sozialarbeiter konzentriert seine Tätigkeit nicht mehr auf die Verhaltensänderung des Klienten mittels psychosozialer Interventionstechniken, sondern er findet den Kern seiner Aufgabe in Ermittlung, Konstruktion und Überwachung eines problemadäquaten Unterstützungsnetzwerkes, zu dem sowohl die informellen sozialräumlichen Ressourcen gehören\..., wie auch die formellen Angebote des (sozialen) Dienstleistungssektors\" (Galuske, 2013, S. 203). Es lassen sich eine ganze Reihe an Funktionen/Aufgaben unterscheiden, die je nach Prozess und Arbeitskontext unterschiedlich stark im Vordergrund stehen können und zum Teil ineinander übergehen, aber auch in Konflikt zueinanderstehen können (Wendt, 2017, S. 356): - **Systemagenten (auch Broker:innen oder Versorgungsmanager:innen):** Die Sozialarbeitenden implementieren und überprüfen, die vertragsgemäße, zweckmäßige und kosteneffiziente Ausführung aller vereinbarten Hilfen. - **Anwält:innen der Hilfesuchenden (Advocacy):** Die Sozialarbeitenden stehen den unterstützten Personen zur Seite, etwa bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Sozialleistungsträgern. Auch Beschwerden durch die Hilfesuchenden gehen sie nach. - **Guides:** Die Sozialarbeitenden fungieren für die Hilfesuchenden als persönliche Ansprechpartner:innen. Sie klären den Bedarf der Hilfesuchenden, ihre Wünsche und helfen ihnen auf ihrem Weg der Zielerreichung (Wendt, 2017, S. 357). - **Supporter:innen:** Als Supporter:innen motivieren die Sozialarbeitenden ihre Klient:innen und leisten Hilfe zur Selbsthilfe (Wendt, 2017, S. 357) **Kritik** Zum einen wird dem Ansatz des Case Managements vorgeworfen, dass es bei der Einführung und Umsetzung des Konzeptes primär um eine \"sozialtechnologische Optimierung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen\" (Galuske, 2013, S. 206) geht, und weniger um die Interessen der Klient:innen. Vor allem die Macht der Klient:innen werde eher eingeschränkt als erweitert. \"Und in der Tat spielt der **Partizipation**sgedanke im Konzept des Case Management eher eine untergeordnete Rolle. Zwar werden die Selbsthilfepotenziale der Klienten und der sozialen Netzwerke hervorgehoben, gleichwohl obliegt die aktive Rolle in erster Linie dem Sozialarbeiter, dem eine umfassende Rollenkompetenz zugesprochen wird\" (Galuske, 2013, S. 206). Zum anderen weist Wendt (2017, S. 358) darauf hin, dass Kontrolle und gegebenenfalls Bestrafung, z. B. durch Kürzung von Leistungen, im Case Management sehr viel mehr betont werden, als in anderen Methoden der Sozialen Arbeit und nennt exemplarisch das Fallmanagement der Bundesagentur für Arbeit, welches klare Sanktionen vorsieht, wenn die Klient:innen sich nicht vorschriftsgemäß verhalten. Daher kann die Ausübung der Rollen \"Advocacy\" und \"Broker\" in der Praxis durchaus bezweifelt werden -- aufgrund der jeweiligen Interessen und Vorgaben, denen das Handeln der Sozialarbeitenden unterliegt, sind diese vermutlich oft nicht in der Lage, tatsächlich neutral zu vermitteln oder gar die Interessen der Klient:innen zu vertreten (Wendt, 2017, S. 358). Vor diesem Hintergrund kommt Galuske (2013, S. 208) zu folgendem Fazit: \"Gerade im Horizont der Rezeption in der Arbeits- und Sozialverwaltung erweist sich das Case Management als ein sozialtechnologisches Instrument der Anpassung Sozialer Arbeit an den neuen, neoliberalen Zeitgeist des aktivierenden Sozialstaats, der auf mehr Konkurrenz, Effizienz und Kontrolle setzt\". **2.4 Anwendungsbeispiel: Arbeitsfeld Krankenhaus** Im Jahr 2014 arbeiteten rund 8.000 Personen als Sozialarbeitende in Krankenhäusern (Steinle et al., 2016, S. 1). Dennoch wird dieses Arbeitsfeld wenig wahrgenommen: einerseits von der wissenschaftlichen Sozialen Arbeit selbst und andererseits auch aus Perspektive der Krankenhäuser, die ihre \"Bedeutung für betriebswirtschaftliche Optimierung als auch qualitätsverbessernde Patientenversorgung kaum\" (Steinle et al., 2016, S. 1) berücksichtigen. Die Tätigkeit von Sozialarbeitenden im Krankenhaus besteht häufig vor allem in der Beratung von kranken Menschen im Sozialdienst von Krankenhäusern. Dabei geht es u. a. um den Ausbau von sozialer Unterstützung, um die Angehörigenarbeit oder unmittelbar um Krankheitsbewältigung und Motivationsarbeit (Ansen, 2010, S. 146). Konkret bieten die Sozialarbeitenden z. B. Hilfe beim Umgang mit persönlichen, familiären und sozialen Problemen, die sich aus der jeweiligen Erkrankung ergeben. Dies umfasst sozialrechtliche Beratung, Hilfe bei der Krankheitsbewältigung, Krisenintervention, Entlassungsvorbereitung (z. B. Organisation eines Pflegedienstes und von Pflegehilfsmitteln), Kooperation mit Schulen und Behörden sowie Beratungsstellen oder auch die Vermittlung an Selbsthilfegruppen (bzw. deren Initiierung). In speziellen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche (beispielsweise Kinderonkologie oder Kinderdialyse) kann auch die Koordinierung und Durchführung von Angeboten für die kleinen Patient:innen zum Aufgabenspektrum gehören, um für diese die Zeit im Krankenhaus so angenehm wie möglich zu gestalten. Da gerade chronische und schwere Erkrankungen starken Einfluss auf nahezu alle Lebensbereiche der Betroffenen haben, sind auch die Anlässe in diesem Arbeitsfeld äußerst vielfältig. Auch die Zielgruppe ist heterogen -- von jungen Familien mit Säuglingen über Kinder, Jugendliche und Erwachsene bis zu älteren Menschen. Im Arbeitsfeld des Krankenhauses arbeiten Sozialarbeitende zunehmend mit der Methode des Case Managements. Dabei lassen sich -- je nach Organisation des Krankenhauses -- zwei Schwerpunkte unterscheiden (Steinle et al., 2016, S. 7): 1. In einigen Krankenhäusern wird Case Management systematisch als internes Steuerungsinstrument im Sinne von \"Clinical Pathways\" eingesetzt. In diesem Konzept sind die Case Manager:innen bereits vor Aufnahme der Patient:innen prozessbegleitend und strukturiert tätig. \"Dabei stehen die Organisation eines effizienten Aufenthalts und die Überwachung während der stationären Aufnahme im Vordergrund\" (Steinle et al., 2016, S. 7). In diesem Konzept begleiten die Sozialarbeitenden, gemeinsam mit Ärzt:innen und anderen Fachkräften, die Patient:innen von Beginn an. 2. Die zweite -- stärker verbreitete -- Variante entspricht dem klassischen Krankenhaussozialdienst. Hier steht das Überleitungsmanagement während bzw. gegen Ende des Krankenhausaufenthalts im Vordergrund. Das Case Management wird hier als methodisch strukturiertes Vorgehen für die Arbeit des klassischen Sozialdienstes genutzt. Die Case Manager:innen im Überleitungsmanagement sind für die poststationäre Versorgung der Patienten verantwortlich. **Fallbeispiel** Der 24-jährige Herr Speier ist für die Durchführung eines Alkoholentzugs in einer entsprechenden Fachklinik. Bereits während der Akutbehandlung nimmt ein Mitarbeiter des Sozialdienstes der Klinik, Herr Wulff, Kontakt mit ihm auf. In mehreren Gesprächen erkundet Herr Wulff die Lebenssituation von Herrn Speier: Er spricht mit ihm über die Beziehung zu seiner Frau, über seinen engsten Freund und über seine Verwandten. Sie überlegen, welche Bedeutung diese Beziehungen für ihn haben. Auch die Wohnsituation sowie die finanzielle Situation sind ein Thema. Im Anschluss bzw. zum Teil zeitgleich sprechen die beiden über die Ziele von Herrn Speier und wie sie erreicht werden könnten (Planning). Sie arbeiten heraus, dass es Herrn Speier wichtig ist, seine Beziehung zu seiner Frau zu stabilisieren. Diesbezüglich planen sie die Aufnahme einer Paarberatung, um die seelischen Verletzungen, welche Frau Speier durch die Sucht ihres Mannes erfahren hat, gemeinsam zu besprechen und um paarbezogenen Perspektiven zu entwickeln. Des Weiteren wird deutlich, dass Herr Speier unbedingt trocken bleiben möchte und die beiden überlegen, was er hierfür benötigt. Unter anderem wird der Besuch einer Selbsthilfegruppe geplant. Auch eine ambulante Fortführung der in der Klinik begonnenen Therapie wird angedacht. Diese und alle weiteren besprochenen Maßnahmen (z. B. zu den Bereichen Wohnen und Arbeit) werden von Herrn Wulff in Absprache mit seinem Patienten angestoßen. Er stellt u. a. Kontakte her und hilft Herrn Speier bei den nötigen Anträgen. Auch während der Durchführung, also nach dem Aufenthalt in der Akutklinik bleiben Herr Wulff und Herr Speier in engem Austausch. Herr Wulff begleitet den Patienten und kontrolliert die Umsetzung der Interventionen (Controlling). Nach einem halben Jahr überprüfen die beiden gemeinsam, inwieweit die Ziele erreicht wurden, und welche Maßnahmen weiterhin nötig sind, um die Ziele zu erreichen (Evaluation). **3. Vermittlung** **Lernziele** Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, \... - was die Methode der Mediation auszeichnet. - welche Rollen Mediator:innen im Mediationsprozess einnehmen können. - welche Voraussetzungen für Mediationsprozesse bestehen. - welche Vorteile die Mediation im Vergleich zu gerichtlichen Verfahren der Konfliktlösung hat. - welche Grenzen Mediation aufweist. - was das Arbeitsfeld der Erziehungsberatung auszeichnet. **Einführung** Auch in Bezug auf die Mediation, einem Verfahren der außergerichtlichen Konfliktlösung bzw. professionellen Unterstützung von Konfliktparteien, ist definitorisch umstritten, ob es sich um eine Methode im engeren Sinne handelt oder \"lediglich\" ein Verfahren (Trenczek, 2019, o. S.). Obgleich einige Autor:innen (u. a. Wendt, 2017; Trenczek, 2019) und auch das **Mediationsgesetz** vom einem Verfahren sprechen, wird es hier als eigenständige Methode dargestellt und somit der Struktur Michael Galuskes (2013) gefolgt. Der Ansatz, Konflikte außergerichtlich mithilfe einer neutralen, außenstehenden Person zu lösen, ist nicht neu. Bereits zu Beginn des 20. Jh. wurden in Kalifornien im Umfeld von Gerichten erste Beratungsstellen eingerichtet, welche Streitigkeiten befrieden sollten (Galuske, 2013, S. 209). In den 1970er-Jahren waren die US-amerikanischen Gerichte aufgrund der Masse an Fällen, vor allem Trennungs- und Scheidungskonflikten, derart überfordert, dass Mediation massiv gefördert wurde. Inzwischen sind Eltern, die sich wegen einer Scheidung oder Trennung über das Sorgerecht streiten, sogar in vielen Staaten der USA zur Mediation verpflichtet. Mediation hat sich also aus der Not der Gerichte heraus als Alternative zum klassischen gerichtlichen Verfahren entwickelt (Galuske, 2013, S. 209), ist jedoch heute aufgrund vieler Vorteile nicht mehr wegzudenken und keinesfalls mehr als Notlösung zu betrachten. Im Folgenden werden zunächst der Begriff sowie die Anwendungsbereiche von Mediation geklärt. Im Anschluss werden die zentralen Merkmale des Ansatzes herausgearbeitet und der Prozess vorgestellt. **3.1 Begriffsklärung und Anwendungsbereiche** \"Mediation, zu Deutsch Vermittlung, ist ein Verfahren der professionellen Unterstützung von Konfliktparteien und Einflussnahme auf Konfliktprozesse\" (Galuske, 2013, S. 209). Diese sehr kurze Definition von Michael Galuske weist zunächst den Kern des Ansatzes aus: Es geht um Konflikte, welche auf spezifische Weise begleitet werden. Folgende Definition von Trenczek (2019, o. S.) erweitert das Bild: Mediation (lat. Vermittlung) ist ein nicht öffentliches Verfahren konstruktiver Entscheidungsfindung und Konfliktregelung, bei dem die beteiligten Parteien z.B. eines Rechtsstreits mit Unterstützung von Dritten, den MediatorInnen, einvernehmliche Lösungen suchen, die ihren Bedürfnissen und Interessen dienen. Deutlich wird, dass die beteiligten Akteure in dem Prozess der Konfliktregelung spezifische Rollen ausfüllen. Die Konfliktparteien finden aktiv die Lösungen, während die sogenannten Mediator:innen den Prozess \"nur\" begleiten. Hierin unterscheidet sich der Ansatz von anderen Konzepten der Konfliktregelung, bei denen eine dritte Partei eingeschaltet ist. Im Kontrast zu richterlichen Entscheidungen oder zu Schlichtungsverfahren behalten die Konfliktparteien die Entscheidungsautonomie. Sie müssen eine einvernehmliche Lösung selbst erarbeiten (Galuske, 2013, S. 210), die dann in der Konsequenz ihren Bedürfnissen und Interessen entsprechen. Mediation gilt als universell einsetzbar, wenn spezifische Voraussetzungen gegeben sind. Trenczek (2019, o. S.) identifiziert die folgenden drei zentralen Einsatzbereiche, wobei der erste insbesondere die Soziale Arbeit betrifft: - **Privatbereich**, z. B. in Trennungsprozessen von Paaren oder in anderen Familienkonflikten; - **Wirtschaftsbereich**, z. B. bei Konflikten zwischen Arbeitnehmer:innen und Vorgesetzen oder bei Konflikten in der Gesundheits- und Altenpflege; - **Öffentlicher Bereich**, z. B. bei Konflikten zwischen Sozialleistungsträgern und freien Einrichtungsträgern und Leistungserbringern. **3.2 Zentrale Merkmale** Gemäß Galuske (2013, S. 2010) liegen dem Ansatz drei Prämissen zugrunde: 1. Betroffene sollten ihre Konflikte idealerweise selbst lösen, da sie dann auch die Verantwortung für ihre Lösungen übernehmen. 2. Mediation kann allen Beteiligten das Gefühl ermöglichen, angemessen berücksichtigt und respektiert worden zu sein sowie eine zufriedenstellende Lösung erarbeitet zu haben. 3. Durch Mediation können Lösungen entstehen, welche die jeweiligen besonderen Bedürfnisse aller Beteiligten befriedigen. Ziele der Mediation sind eine selbstbestimmt erarbeitete und einvernehmliche Regelung psychosozialer und rechtlicher Probleme sowie eine diesbezügliche verbindliche und in die Zukunft weisende Vereinbarung (Galuske, 2013, S. 2011; Trenczek, 2019, o. S.). Entsprechend geht es Mediation nicht um die Lösung von Problemen der Vergangenheit, etwa um die Frage, wie es zu einer Trennung kommen konnte und wer an der Trennung schuld ist, und auch psychosoziale Beziehungsprobleme oder ähnliches stehen entsprechend nicht im Mittelpunkt. Kennzeichnend sind also eine zukunftsorientierte Sachorientierung (Galuske, 201, S. 210). Thematisch ist die Mediation dennoch relativ offen, zumal es nicht, wie in Gerichtsverfahren, nur um rechtliche Fragen geht. Vielmehr können die Beteiligten \"alle wirtschaftlichen und sozialen, persönlichen und emotionalen Aspekte eines Konflikts in die Diskussion\" (Trenczek, 2019, o. S.) einbringen. Als weitere wesentliche Merkmale von Mediation nennt Trenczek (2019, o. S.): - die vermittelnde Tätigkeit durch neutrale Dritte bzw. die Mediator:innen, - die aktiv kommunikative Aktivität aller Beteiligten, - die flexible außergerichtliche Verfahrensgestaltung, - die Vertraulichkeit des Prozesses, - die hohe Entscheidungsgewalt der Beteiligten Konfliktparteien, - die Ergebnisoffenheit sowie - die Konsensorientierung. **3.3 Rolle und Funktion der Mediator:innen** \"Ein Mediator ist eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis, die die Parteien durch die Mediation führt\" (§ 1 Abs. 2 MediationsG). Entsprechend dürfen Mediator:innen keine eigenen Interessen in den jeweiligen Fällen haben. Ebenso wenig dürfen sie zu den einzelnen Konfliktparteien gleichzeitig in einer Beratungsbeziehung stehen (§ 3 Abs. 2 MediationsG). Im Idealfall sind sie für ihre Tätigkeit als Mediator:innen geschult. Die Bezeichnung \"Mediator:in\" ist jedoch rechtlich nicht geschützt, sodass dies nicht grundsätzlich sichergestellt ist. In Deutschland existiert lediglich die Zertifizierung als \"zertifizierteR MediatorIn\", welche jedoch nur einen relativ geringen Umfang an Ausbildung voraussetzt (Trenczek, 2019, o. S.). Demgegenüber gibt es in Österreich die deutlich umfänglichere Ausbildung zur:zum \"eingetragenen MediatorIn\" (Trenczek, 2019, o. S.). Aufgabe der Mediator:innen ist es, die Beteiligten zu einer eigenständigen Entscheidungsfindung zu befähigen, indem sie u. a. organisieren, strukturieren, kommunizieren, informieren oder Vorschläge einbringen (Galuske, 2013, S. 214). Sie treffen jedoch keine eigenen inhaltlichen Entscheidungen, sondern gewährleisten die Entscheidungsfindung durch die Konfliktparteien, indem sie kommunikationsfördernde Rahmenbedingungen schaffen, z. B. durch die Einführung und Durchsetzung von Kommunikationsregeln (Galuske, 2013, S. 214). Entsprechend agieren Mediator:innen weder als Schlichter:innen noch als Richter:innen (Tenczek, 2019, o. S.): Sie schlagen keine Kompromisse vor oder entscheiden für oder gegen die eine oder andere Seite des Konfliktes. Galuske differenziert die folgenden Aufgaben bzw. Rollen von Mediator:innen (Galuske, 2013, S. 212): 1. In ihrer Funktion als Katalysator:innen (generalized other) sorgen sie dafür, dass der Konfliktlösungsprozess voranschreitet, indem sie als neutrale Person beispielsweise die Kommunikation regeln und sicherstellen, dass vergangenheitsbezogene Beziehungsdynamiken den Prozess nicht stören. 2. In ihrer Funktion als aktive Verhandlungsführer:innen (chairman) regeln sie den Ablauf der Verhandlungen, etwa indem sie die jeweiligen Phasen einleiten und erklären, jedoch ohne die Inhalte zu bestimmen. 3. In ihrer Funktion als Informant:innen (enunciator) stellen sie wichtige Informationen zur Verfügung, welche die Konfliktparteien für ihre Lösungssuche benötigen. 4. In ihrer Funktion als Übersetzer:innen (prompter) reformulieren oder erklären sie Aussagen und Standpunkte einzelner Beteiligter, z. B. um problematische Beziehungsbotschaften herauszufiltern und die Sachorientierung wieder herzustellen. 5. In ihrer Funktion als wertende Teilnehmer:innen (evaluator) können sie jedoch auch Wertungen vornehmen, z. B. um nicht realitätsgerechte Positionen zu problematisieren (agent of reality). **3.4 Voraussetzungen und Prozess der Mediation** Eine grundsätzliche Voraussetzung eines Mediationsverfahrens liegt in der Bereitschaft aller Konfliktparteien, sich auf einen Mediationsprozess einzulassen. Damit verbunden muss der Wille bzw. zumindest die Bereitschaft vorliegen, eine einvernehmliche Lösung des Konfliktes zu erarbeiten (Trenczek, 2019, o. S.). Liegt diese Bereitschaft vor, so kann auch in stark eskalierten Konflikten eine Lösung mittels einer Mediation erreicht werden (Trenczek, 2019, o. S.). Diese Voraussetzung ist zugleich eine der Richtlinien der Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation, die insgesamt fünf Richtlinien für die Durchführung von Mediationsprozessen ausweist (Galuske, 2013, S. 211): - die Freiwilligkeit der Teilnahme, - die Neutralität der Mediator:innen, - die Eigenverantwortlichkeit der Konfliktparteien, - die Verantwortung der Mediator:innen für die ausreichende Information aller Beteiligten sowie - die Vertraulichkeit des Prozesses. Mediation ist ein Handlungsansatz, der einer klaren Struktur in mehreren Phasen folgt. Diesbezüglich liegen allerdings unterschiedliche Phasenmodelle vor -- die sich durch die unterschiedlichen Anwendungskontexte erklären lassen, an welche das Verfahren angepasst wird. Zum Beispiel unterscheiden sich Mediationsverfahren in der Wirtschaft von Mediationsverfahren im Täter-Opfer-Ausgleich (Trenczek, 2019, o. S.). Die wesentlichen Phasen lassen sich wie folgt zusammenfassen (Trenczek, 2019, o. S.;Galuske, 2013, S. 213--214): 1. Die erste Phase, welche u. a. Vorbereitungsphase genannt wird, und auf die Fallzuweisung bzw. die Kontaktaufnahme folgt, hat verschiedenen Funktionen: Zum ersten werden die Konfliktparteien über den Ablauf und die Regeln des Mediationsverfahrens, wie. Kommunikationsregeln, informiert. Zum Zweiten wird in der Phase Vertrauen zwischen den Konfliktparteien und den Mediator:innen aufgebaut. Zum Dritten wird auf Basis einer kurzen Schilderung des Konfliktthemas aller Beteiligten das weitere Vorgehen geplant. Ziel ist es, dass alle Beteiligten eine klare Vorstellung vom Mediationsverfahren haben und entscheiden können, ob für sie der Mediationsprozess Sinn macht und ob sie daran teilnehmen wollen. 2. In der Phase der Konflikterhellung (auch Exploration) werden die Streitfragen ausführlich erläutert. Die faktischen Grundlagen werden geklärt und die im Hinblick auf die Zukunft anstehenden, zu klärenden Fragen werden formuliert. Diese Phase ist beendet, wenn die Mediator:innen wissen, was den Konflikt auszeichnet und welche Lösungen zu finden sind. Im Idealfall dieser Phase gelingt es, die Konfliktparteien anzuregen, die Sichtweise der jeweils anderen Partei nachzuvollziehen und anzuerkennen. 3. In der Verhandlungsphase werden unterschiedliche Lösungsoptionen erarbeitet. Diese Phase endet, wenn alle möglichen Alternativen vorliegen. 4. In der Phase der Entscheidungsfindung treffen die Konfliktparteien ein konsensuales Übereinkommen im Hinblick auf die formulierten Konfliktthemen, indem sie eine oder mehrere der erarbeiteten Optionen auswählen. 5. Zum Abschluss wird das Ergebnis in einer schriftlichen Vereinbarung festgehalten. 6. In einem später folgenden Bilanzgespräch kann zur Sicherheit überprüft werden, ob die Konfliktparteien mit den erarbeiteten Lösungen wirklich zufrieden sind oder ob noch Anpassungen vorgenommen werden müssen. 3.5 **Vorteile und Grenzen von Mediation** Trenczek (2019, o. S.) nennt die folgenden Vorteile von Mediationsverfahren: - Selbstbestimmung der beteiligten Akteure, u. a. im Hinblick auf den Ablauf des Verfahrens, - wenig Bürokratie, - Flexibilität, - umfangreiche Würdigung der Interessen und Ziele der Konfliktparteien, - Zukunftsorientierung, - Win-Win-Ergebnisse, - Verbesserung der Beziehungen zwischen den Konfliktparteien, - Vertraulichkeit, - Zeitersparnis, etwa im Vergleich zu Gerichtsprozessen, - geringere (Rechtsverfolgungs-)Kosten, - nachhaltige Zufriedenheit sowie - hohe Erfolgschancen. Diese werden auch in der folgenden Grafik nochmal im Kontrast zu Gerichtsprozessen verdeutlicht: **Abbildung 2: Mediation** Quelle: Rochow, o. J. Es lassen sich jedoch auch Grenzen der Mediation feststellen: 1. Es kann keine Mediation durchgeführt werden, wenn der \"Konfliktgegenstand gesetzlich der Disposition der Parteien entzogen ist\" (Trenczek, 2019, o. S.), auch z. B., wenn in einem \"Erbschaftsstreit\" die Erben die Erbschaftsmasse unter sich aufteilen wollen, aber das Erbe per Vermächtnis an andere Stelle übertragen wurde. 2. Es kann keine Mediation durchgeführt werden, wenn eine oder beide Parteien ein Interesse an der Herstellung von Öffentlichkeit oder an der Herbeiführung einer richterlichen Grundsatzentscheidung haben (Trenczek, 2019, o. S.). 3. Eine Mediation ist ausgeschlossen, wenn eine Konfliktpartei ihre Interessen nicht oder nicht ausreichend vertreten kann, etwa aus gesundheitlichen Gründen (Trenczek, 2019, o. S.). 4. Ein Mediationsverfahren stellt hohe Anforderungen an die beteiligten Konfliktparteien (Galuske, 2013, S. 215): Sie müssen anerkennen, dass divergierende Interessen vorliegen. Sie müssen miteinander reden können und sie müssen Lösungen formulieren und Kompromissen treffen können. Insgesamt ist Mediation also ein \"voraussetzungsvolles Instrument \..., das von den Beteiligten ein hohes Maß an Motivation, Einsichtsfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Fähigkeit zur Vertretung eigener Interessen und (verbaler) Kommunikationsfähigkeit verlangt\" (Galuske, 2013, S. 215). Insofern ist im Hinblick auf die Soziale Arbeit davon auszugehen, dass die Methode Mediation nicht für alle Klient:innen geeignet ist. **3.6 Anwendungsbeispiel: Arbeitsfeld Erziehungsberatung** Ein Arbeitsfeld, in dem Mediation zur Anwendung kommen kann, ist die **Erziehungsberatung**. Dieses existiert in Deutschland bereits seit mehr als 100 Jahren. So wurde 1906 in Berlin die erste Erziehungsberatungsstelle gegründet (Menne, 2017, S. 130). Gleichzeitig ist Erziehungsberatung hochaktuell: Als häufigste Angebotsform der heutigen Kinder- und Jugendhilfe profitiert jedes dritte Kind von Erziehungsberatung (Menne, 2017, S. 151). Aufgabe der heutigen Erziehungsberatung nach § 8 des SGB VIII ist es, \"Kinder, Jugendliche, Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme der zugrunde liegenden Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei Trennung und Scheidung \[zu\] unterstützen\". Gerth et al. (1999) präzisierten im Auftrag der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung die folgenden Qualitätsmerkmale für Erziehungsberatung: Niedrigschwelligkeit, Freiwilligkeit, Gebührenfreiheit, Vertrauensschutz, fachliche Unabhängigkeit sowie Multidisziplinarität des Teams (Menne, 2017, S. 131--132). Häufige Anlässe von Erziehungsberatung sind: - emotionale Probleme der Kinder/Jugendlichen, - körperliche Auffälligkeiten, - Entwicklungsverzögerungen, - Auffälligkeiten im Sozialverhalten, - Sprachschwierigkeiten, - Probleme mit Leistungsanforderungen, - Trennung und Scheidung der Eltern, - schwierige Familiensituationen, z. B. Konflikte zwischen den Eltern (Menne, 2017, S. 132--133). **Fallbeispiel** Das Paar Burkhardt besucht eine Erziehungsberatungsstelle, weil der 5-jährige Sohn Julian seit über einem Jahr verstärkt aggressives Verhalten gegenüber seinen Geschwistern und seinen Eltern zeigt und alle Erziehungsversuche bislang gescheitert sind. Im Rahmen der Erziehungsberatung wird deutlich, dass das Paar gleichzeitig massive Kämpfe um die richtige Erziehung ausficht. Als Folge ihrer sehr unterschiedlichen Sichtweisen auf Erziehung ziehen sie Julian und seine Geschwister nicht nur unterschiedlich auf, sondern machen die Erziehungsweisen des jeweils anderen subtil schlecht und versuchen, den Jungen als auch seine Geschwister auf ihre Seite zu ziehen. Es wird deutlich, dass ein möglicher Auslöser für Julians Verhalten der Konflikt der Eltern sein könnte. In dieser Situation schlägt die Erziehungsberaterin ein Mediationsverfahren vor, um konstruktive Lösungen im Hinblick auf die Erziehungsfrage zu entwickeln. Obwohl das Mediationsverfahren nicht einfach wird, erarbeitet sich das Paar ein für beide stimmiges Grundgerüst der Erziehung, welches in der Folge umgesetzt wird. Schon kurze Zeit später werden erste Verhaltensänderungen aufseiten von Julian ersichtlich. **4.Soziale Netzwerkarbeit** **Lernziele** Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, \... - was die Methode der Netzwerkarbeit auszeichnet. - was unter sozialen Netzwerken verstanden wird. - wie sich soziale Netzwerke abbilden lassen. - was Netzwerkkarten sind. - was das Arbeitsfeld der Schulsozialarbeit auszeichnet. - wie die Netzwerkarbeit im Rahmen der Schulsozialarbeit zur Anwendung kommen kann. **Einführung** Soziale Netzwerkarbeit ist eine Methode, welche die soziale Einbindung von Klient:innen, aber auch die Vernetzung von Institutionen, betrachtet und für Hilfsprozesse nutzt. Dieser Perspektivwechsel, weg vom Einzelfall hin zu seiner sozialen Vernetzung, gilt als ein \"Megatrend der sozialpädagogischen Methodendiskussion seit den 70er Jahren\" (Galuske, 2013, S. 331) und ist nicht nur in der Sozialen Netzwerkarbeit realisiert worden. Auch die Sozialraumorientierung als methodischer Ansätze weist diese **sozialökologische** Feldorientierung auf (Galuske, 2013, S. 331). Die Soziale Netzwerkarbeit lässt sich mit vielfältigen anderen Methoden kombinieren. Sie kann als Teil eines Beratungsprozesses, etwa im Rahmen der Klientenzentrierten Gesprächsführung, zur Anwendung kommen oder im Kontext der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Im Folgenden werden zunächst ihre Grundlagen erörtert und im Anschluss ihre Anwendung in Form von Netzwerkkarten verdeutlicht und an einem Praxisbeispiel konkretisiert. **4.1 Grundlagen, Perspektiven und Ziele der Sozialen Netzwerkarbeit** Mit Galuske kann Soziale Netzwerkarbeit folgendermaßen definiert werden: \"ein sozialpädagogisches Handlungsmodell, das aufbauend auf Methoden und Befunden der sozialen Netzwerkforschung durch die Analyse, Nutzung, Gestaltung und Ausweitung des Beziehungsgeflechts der Klienten zu Personen, Gruppen und Institutionen auf eine Optimierung ihrer Unterstützungsnetzwerke und damit auf die Stärkung ihrer Selbsthilfepotenziale abzielt und sich zu diesem Zweck unterschiedlichster Techniken der Analyse von und Einflussnahme auf Klientennetzwerke bedient\" (Galuske, 2013, S. 331). Es geht also im Kern um die Betrachtung und Veränderung von unterstützenden Beziehungen zwischen Klient:innen und ihrem sozialen Umfeld. Allerdings ist diese Definition eng formuliert, da sich die Netzwerkarbeit keinesfalls immer nur auf die Netzwerke von Klient:innen bezieht, wie die folgenden vier Perspektiven der Netzwerkarbeit zeigen (Wendt, 2017, S. 167): - In einer ersten Perspektive (auf die sich die obige Definition von Galuske primär bezieht) werden Netzwerke anlass- bzw. fallspezifisch betrachtet. Gefragt wird danach, welche Veränderungen in der Lebenswelt einer:eines konkreten Klientin:Klienten nötig sind, damit soziale Unterstützung möglich und hilfreich ist. Dazu werden Beziehungen analysiert und bewusst beeinflusst, beispielsweise durch das Klären von Unstimmigkeiten oder Missverständnissen. Auch die Balance zwischen Geben und Nehmen, die Frage der Reziprozität, die persönliche Beziehungen zumeist prägt, wird in dieser Perspektive der Sozialen Netzwerkarbeit betrachtet. - Die zweite Perspektive der anlassangemessenen und ressourcenorientierten Netzwerkarbeit fragt nach der Entwicklung und Unterstützung von Infrastrukturen, die Menschen ermöglichen, anderen zu helfen, z. B. durch die professionelle Begleitung von Selbsthilfegruppen. Sozialarbeitende erbringen in dieser Perspektive eine intermediäre professionelle Leistung, welche Selbsthilfe zwischen Menschen anregt und fördert. Sozialarbeitende kooperieren z. B. mit \"Schlüsselpersonen\", um soziale Netzwerke zu fördern. Dies sind Personen, die zum jeweiligen Sozialraum gehören, dort gut integriert und akzeptiert sind und Kontakte herstellen bzw. Ressourcen vermitteln können. - Die dritte Perspektive der anlass- bzw. fallunspezifischen Netzwerkarbeit fragt nach der Entwicklung von Netzwerkstrukturen zwischen professionellen Akteuren oder Institutionen, z. B. in Form von Arbeitskreisen. Die auf solche Weise vernetzten Institutionen können sich z. B. gegenseitig unterstützen, Angebote aufeinander abstimmen oder sich im Hinblick auf politische Verhandlungen zusammenschließen. - Die vierte Perspektive der fachlichen Vernetzungsarbeit fragt danach, wie unterschiedliche Hilfen in einen angemessenen Zusammenhang gebracht werden können. Es geht darum, die Hilfsmöglichkeiten in ihrem Zusammenhang zu analysieren und zu gestalten, um Hilfesuchenden anlassangemessene Hilfen und Beratung bereitstellen zu können. Als ein Praxisbeispiel für eine Einrichtung, welche diese Perspektive einnimmt, nennt Wendt (2017, S. 170--171) die Koordinationsstelle Netzwerk Kinderschutz aus Magdeburg, welche als Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Angeboten zum Kinderschutz fungiert und in diesem Kontext Institutionen berät, geeignete Hilfen vermittelt, Kooperationsstrukturen schafft und erhält, Fortbildungen durchführt und Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Soziale Netzwerkarbeit kann unterschiedliche Ziele verfolgen -- so nennt Galuske beispielsweise folgende Ziele (2013, S. 335): - die Erhaltung von Netzwerken, - die Erweiterung von Netzwerken (quantitativ, durch Aufbau neuer Beziehungen), - die Redefinition von Netzwerken durch Vertiefung (qualitative Erweiterung, z. B. durch intensivere Pflege der Beziehung zu bestimmten Personen), - die \"Sanierung\" von Netzwerken (starke Veränderungen, z. B. durch Beendigung von Kontakten) sowie - die Stärkung des Umfelds eines sozialen Netzwerks. **4.2 Soziale Netzwerke** Der Ansatz der Sozialen Netzwerkarbeit wurzelt in der **Netzwerkforschung**, welche sich im Kontext von soziologischer und ethnologischer Forschung entwickelte (Galuske, 2013, S. 330). Der Begriff der sozialen Netzwerkforschung wurde erstmals von John Barnes verwendet, der 1954 eine Studie über ein norwegisches Fischerdorf durchführte und die Beziehungsgefüge innerhalb dieses Dorfes als interaktives Netz bezeichnete: Die Menschen verstand er als Netzknoten, welche unterschiedliche Verbindungen (Seile des Netzes) zu anderen aufweisen (Zwicker-Pelzer, 2004, S. 2). Hiermit war die Kernidee der Netzwerkforschung geboren, die sich wie folgt zusammenfassen lässt (Galuske, 2013, S. 331): Menschen sind in soziale Beziehungen eingebunden, die sich schriftlich abbilden lassen. Dabei stellen die Personen Knotenpunkte dar und zwischen ihnen bestehen Verbindungslinien, sodass insgesamt eine Art Netz entsteht. Die Verbindungslinien sind hierbei als \"Gleisanlagen\" zu verstehen, auf denen unterschiedlichste \"Güter\", wie immaterielle und materielle Unterstützung, ausgetauscht werden. Das bildhafte Netz zeigt die Einbindung der Menschen in ihr Umfeld auf. Diese Netzwerke und konkret die Beziehungen und Austauschprozesse können mit Blick auf unterschiedliche Aspekte analysiert werden (Wendt, 2017, S. 156): - **Gegenstand:** Was wird ausgetauscht? (z. B. emotionale Unterstützung, Geld, Sicherheit); - **Intensität:** Wie intensiv ist der Austausch bzw. die wahrgenommene Unterstützung? (z. B. Grad an emotionaler Unterstützung, Menge des Geldes, Grad an Sicherheit); - **Häufigkeit:** Wie häufig kommt es zu einem Austausch? (z. B. einmal im Monat bei einem Treffen oder mehrmals täglich mittels Messenger-Nachrichten), - **Beziehung:** Welche Eigenschaften hat der Austauschprozess? (z. B. wechselseitig oder eher einseitig); - **Dauer:** Wie lange existiert das Netzwerk bereits und wie lange dauern die einzelnen Austauschprozesse? (z. B. langjährig oder nur einmalig anlassbezogen). **Netzwerktypen** Aus sozialökologischer Perspektive können drei Netzwerktypen voneinander unterschieden werden: - **primäre Netzwerke (mikrosozial):** persönliche soziale Beziehungen, z. B. Nachbarn, Freunde und Familie; - **sekundäre Netzwerke (makrosozial):** marktwirtschaftlich und institutionell geschaffene Beziehungen, beispielsweise Unterstützung durch Lehrer:innen, Therapeut:innen oder Vorgesetzte in einem Unternehmen; - **tertiäre Netzwerke (mesosozial):** zwischen primären und sekundären Netzwerken angesiedelt, also weder rein persönlich noch institutionell oder marktwirtschaftlich organisiert, z. B. Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen. Bereits in der Einzelfallhilfe nach Mary Richmond, welcher oft ein engführender Blick auf den Einzelnen vorgeworfen wird, werden die Ressourcen der Familie, von Verwandten, Freunden oder auch Selbsthilfegruppen erwähnt. Innerhalb dieser sozialen Netzwerke geschieht Unterstützung vor allem durch (Wendt, 2017, S. 157--159): - direkte konkrete Leistungen (z. B. Hilfe im Haushalt, Reparaturen, materielle Unterstützung, Beratung über bestimmte Angebote vor Ort, gemeinsame Aktivitäten etc.); - emotionale Absicherung durch Ausdruck von Wertschätzung, Annahme und Zugehörigkeit, durch entlastende Gespräche oder durch Orientierungshilfe in Bezug auf Verhaltensnormen. Dabei kann soziale Unterstützung sowohl in starken Netzwerken (z. B. Familien, enge Freundschaften) als auch schwachen Netzwerken (z. B. ehemalige Bekannte, neue Nachbarn) erfolgen. Trotz der hier primär betrachteten positiven Potenziale sozialer Netzwerke sollten aber auch die negativen Entwicklungen, welche diese aufweisen können, berücksichtigt werden. So geschehen immer wieder auch Exklusionsprozesse (z. B. Mobbing), Ausbeutung (z. B. Menschenhandel) oder Diskriminierung (z. B. Fremdenfeindlichkeit) innerhalb von sozialen Netzwerken (Wendt, 2017, S. 159). Galuske (2013, S. 333--334) nennt darüber hinaus die folgenden mit Netzwerken verbundenen Probleme und Risiken: - Die Aufrechterhaltung von Netzwerken kostet mitunter Ressourcen. Zum Beispiel kostet die Mitgliedschaft in einem Sportverein Geld oder der Besuch eines Geburtstages kostet Zeit und Geld. Die eingesetzten Mittel können an anderer Stelle fehlen oder schlichtweg nicht zur Verfügung stehen. - Außerhalb von professionellen Beziehungen bestehen in der Regel reziproke Verhaltenserwartungen, d. h., die Helfenden erwarten zu gegebener Zeit selbst Unterstützung. Diese wiederum erfordern den Einsatz von Ressourcen der Gegenseite. Folgen keine reziproken Unterstützungsleistungen, können die Netzwerkbeziehungen versiegen. - Dichte und enge soziale Netzwerke sind zugleich auch enge \"Netze\" von Verhaltenserwartungen, Normen und somit sozialer Kontrolle. Die Erfüllung dieser Normen kann jedoch im Widerspruch zu den Individuen stehen, was negative Probleme mit sich bringt oder zu einem Abbruch des Netzwerkes führt. Besteht z. B. die Einbindung in eine konservative katholische Großfamilie, welche nichtheterosexuelle und außereheliche Beziehungen verurteilt, müssen die dort geltenden Normen erfüllt werden, damit dieses Netzwerk unterstützend tätig wird. Eine junge Frau, die mit einer Partnerin zusammenlebt, hätte also ggf. Probleme in den Interaktionen ihres Familiennetzwerkes. - Soziale Netzwerke reproduzieren sich in der Regel schichthomogen. Zum Beispiel wird eine Klientin aus einem Stadtteil, in dem hohe Arbeitslosigkeit herrscht, weniger häufig Kontakte zu Menschen in Leitungspositionen von Unternehmen haben, sodass spezifische Hilfeleistungen fehlen. Soziale Netzwerke können entsprechend nicht als Allheilmittel gelten, sondern sind gerade an entscheidenden Stellen lückenhaft und nur schwer erweiterbar. - Problematisch sind Netzwerke auch dann, wenn eine Person dauerhaft auf Unterstützung angewiesen ist, etwa aufgrund einer chronischen Erkrankung. Dies kann zu einer Überlastung der Beteiligten führen, was wiederum Folgeprobleme mit sich bringen kann. Zum Beispiel können aus Überlastungssituationen Aggressionen entstehen. **4.3 Netzwerkarten** Eine zentrale Technik der Netzwerkarbeit ist die Netzwerkkarte. Ziel der Arbeit mit Netzwerkkarten ist es, den Professionellen als auch den Klient:innen aufzuzeigen, welche Beziehungen vorliegen, welche Austauschprozesse stattfinden und welche Bedeutung diese Austauschprozesse haben. Gleichzeitig werden auch die Schwachstellen eines Netzwerkes, also fehlende Austauschprozesse sichtbar (Wendt, 2017, S. 159--160). Es geht darum, den Istzustand in Bezug auf das individuelle Netzwerk abzubilden und Veränderungswünsche sowie ggf. Strategien zu erarbeiten. Netzwerkkarten unterteilen die soziale Verflechtung eines Menschen in der Regel in vier Sektoren. Diese vier Sektoren sind (Wendt, 2017, S. 160): - Familie, - Freunde und Bekannte, - Professionelle (Personen, die beruflich helfen, z. B. Sozialarbeitende, Therapeut:innen, Ärzt:innen), - Kollegen bzw. Schule (auch ehrenamtliche Kontexte). Die vier Sektoren werden durch vier Felder eines Quadrats dargestellt. Die Klient:innen sollen zu dem jeweiligen Sektor zugehörige Personen dann je nach der Nähe der Beziehung zu ihnen selbst im Feld anordnen. Dazu werden die Namen, gegebenenfalls mit Funktion, aufgeschrieben. Die untenstehende Grafik enthält z. B. die Abkürzung \"SPFH\" für \"Sozialpädagogische Familienhilfe\", \"ASD\" für \"Allgemeiner Sozialdienst\" und \"KL\" für Klassenlehrer:in. **Abbildung 3: Netzwerkkarte** Quelle: Wendt, 2017, S. 161. Nachdem die Klient:innen die Netzwerkkarte erstellt haben, können die Sozialarbeitenden ressourcenorientierten Fragen zu den darauf veranschaulichten Beziehungen stellen (Wendt, 2017, S. 161): - \"Was schätzen Sie besonders an dieser Freundin?\" - \"Welche Stärken sieht Ihr Vater wohl an Ihnen?\" - \"Inwiefern könnte und würde Ihre Schwester Sie unterstützen?\" - \"Wen würden Sie bei wichtigen Entscheidungen um Rat bitten?\" - \"Mit wem würden Sie sprechen, wenn Sie richtig traurig sind?\" Außerdem werden Auffälligkeiten der Netzwerkkarte diskutiert, beispielsweise welche sozialen Beziehungen schwach ausgeprägt sind, aber intensiviert werden könnten und ob das gewünscht ist. Bei der Erstellung einer Netzwerkkarte muss nicht zwangsläufig das gesamte Netzwerk einer Person abgebildet werden (Wendt, 2017, S. 163). Es können auch deutlich weniger umfangreiche anlassbezogene Netzwerkkarten angefertigt werden. Zum Beispiel kann eine Schülerin, welche in der Schule unter Leistungsdruck leidet, gefragt werden, wer oder was ihr bei der Bewältigung ihrer Schulsituation hilft. Wichtig ist des Weiteren, die erstellte Netzwerkkarte nicht als \"objektiv und dauerhaft wahr\" darzustellen. Momentane Befindlichkeiten und aktuelle Ereignisse können dazu führen, dass die Netzwerkkarte ganz anders aussieht, als dies womöglich vor einer Woche oder in zwei Tagen der Fall (gewesen) wäre. Daher wird die Karte mit einem Datum versehen, um ihre Zeitbezogenheit und auch ihr Veränderungspotenzial zu betonen (Wendt, 2017, S. 163). Es existieren unterschiedliche Varianten von Netzwerkkarten; beispielsweise können auch Ressourcenkarten erstellt werden, welche die Ressourcen eines:einer Ratsuchenden in den folgenden Bereichen analysieren (Wendt, 2017, S. 165): - Interessen, - Kompetenzen, - (Lebens-)Ziele, - Identität sowie - Materielles und Ideelles. Eine ähnliche Variante sind Unterstützungskarten, welche hilfreiche Beziehungen von Klient:innen in folgenden vier Bereichen erfragt (Wendt, 2017, S. 165.): - emotionale Alltagsunterstützung, - praktische Alltagsunterstützung, - emotionale Krisenunterstützung sowie - praktische Krisenunterstützung. **4.4 Anwendungsbeispiel: Arbeitsfeld Schulsozialarbeit** Das weit gefasste Arbeitsfeld der Schulsozialarbeit umfasst alle Tätigkeiten von Sozialarbeitenden im Kontext der Schule (Seithe, 2008, S. 76). Organisatorisch, im rechtlichen und programmatischen Sinne, ist sie Teil der Jugendhilfe und kommt somit den Aufgabenstellungen des Kinder- und Jugendhilfegesetztes nach (Seithe, 2008, S. 76). Entsprechend gilt es als ihre Aufgabe sich (am Ort Schule) für bessere Lebensbedingungen der Kinder und Jugendlichen einzusetzen und sich in diese Lebenswelt einzumischen (SGB VIII, § 1, Abs. 4). Ein theoretisch gestütztes und einheitliches Verständnis von Schulsozialarbeit hat sich bis heute nicht entwickelt und auch die Ansätze in der Praxis unterscheiden sich deutlich voneinander (Seithe, 2008, S. 76). Eine zentrale Differenz zwischen Praxisansätzen der Schulsozialarbeit betrifft die Art und Formen des Verhältnisses bzw. der Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe. Neben additiven Konzeptionen, in welchen die Schulsozialarbeit lediglich ergänzende Angebote unterbreitet, etwa im Freizeitbereich der Schule, existieren mehr oder weniger intensive kooperative Verhältnisse (Seithe, 2008, S. 79). Ein Beispiel für einen kooperativen Ansatz ist das systemische Verständnis von Schulsozialarbeit. In diesem Ansatz wird die Schulsozialarbeit als Teil des Systems Schule verstanden und zielt darauf ab, die Abläufe und Zusammenhänge des Gesamtsystems in vielerlei Hinsicht zu beeinflussen, um den Lebensraum Schule als Ganzes zu optimieren (Seithe, 2008, S. 79-80). Ziele sind u. a. (Seithe, 2008, S. 80): - die Optimierung der Zusammenarbeit aller Akteure am Ort Schule (z. B. Eltern, Lehrer:innen, Schulsozialarbeiter:innen); - die Optimierung der Infrastruktur der Schule, z. B. die Verbesserung der Schulatmosphäre; - Hilfe für die schwächsten Mitglieder der Schule, wie. benachteiligte Schüler:innen; - Stärkung der Selbsthilfepotenziale, wie Ermöglichung von Partizipation durch die Schüler:innen. **Fallbeispiel** Im Rahmen einer Sprechstunde für Schüler:innen, die für alle Anliegen der Schüler:innen offen ist, kommt die 12-jährige Kati auf die Schulsozialarbeiterin zu. Nach einer Phase des Kennenlernens und des Vertrauensaufbaus berichtet Kati der Schulsozialarbeiterin von ihren Problemen. Sie hat sowohl zu Hause starke Probleme, wo sie sich mit ihren Eltern massiv streitet, als auch in der Schule, wo sie mit den an sie gestellten Leistungsanforderungen nicht klarkommt. In der Folge kann sie nur noch schlecht schlafen und ist daraufhin noch weniger leistungsfähig und reizbar, sodass sich ihre Probleme verstärken. Die Schulsozialarbeiterin konzentriert sich zunächst darauf, Kati zuzuhören und ihr die Möglichkeit zu geben, ihre Sorgen zu teilen. In einem späteren Schritt möchte sie jedoch eine ressourcenorientierte Netzwerkanalyse mit Kati durchführen, weil sie davon ausgeht, dass es Kati helfen könnte, ihre Ressourcen wahrzunehmen und sich womöglich stärkende und unterstützende Personen finden lassen, welche Kati stärker \"nutzen\" könnte, um ihre bestehenden Probleme zu bearbeiten. Und tatsächlich, in der Netzwerkanalyse wird deutlich, dass es stärkende und helfenden Personen gibt, welche Kati mehr einbeziehen kann. Zum einen hat sie eine Tante, die sie sehr liebt und der es schon in der Vergangenheit gelungen ist, zwischen Eltern und Kati zu vermitteln. Kati nimmt sich vor, sie anzurufen und zu fragen, ob sie ihr helfen kann. Zum anderen wird Kati bewusst, dass ihre Nachbarin, Frau Hansen, ihr immer wieder angeboten hat, ihr bei den Hausaufgaben zu helfen. Dies könnte ihr nicht nur mit dem Leistungsdruck helfen, sondern der Aufenthalt bei der Nachbarin könnte auch die angespannte Lage zu Hause verbessern. **5. Familienbezogene Methoden** **Lernziele** Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, \... - was die Methode \"Familie im Mittelpunkt\" (FIM) auszeichnet. - welche Prinzipien und theoretische Grundlagen der Methode FIM zugrunde liegen. - was das Verfahren des Familienrates kennzeichnet. - wie ein Familienrat abläuft. - welche Rollen die beteiligten Akteure eines Familienrates haben. - was das Arbeitsfeld der Frühen Kindheit auszeichnet. **Einführung** \"Familie im Mittelpunkt\" (FIM) und Familienrat sind Ansätze, die speziell auf die Probleme und Herausforderungen von Familien zugeschnitten sind. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass sie sich aus der Praxis heraus entwickelt und dort als hilfreich bewiesen haben. Im Folgenden werden beide dargestellt und im Anschluss anhand eines Praxisbeispiels aus dem Arbeitsfeld der Frühen Kindheit veranschaulicht. **5.1 Familie im Mittelpunkt** Die Methode \"Familie im Mittelpunkt\" entstand in den 1970er-Jahren in den USA und verbreitete sich seit den 1990er-Jahren zunehmend auch in Deutschland (Galuske, 2013, S. 242). Im Gegensatz zu vielen anderen Methoden, deren Ausgangspunkt ein bestimmter theoretischer Ansatz ist, etwa die humanistische Psychologie als Grundlage der Klientenzentrierten Gesprächsführung, von dem aus Herangehensweisen an bestimmte Situationen entwickelt wurden, ist FIM direkt in der Praxis entstanden und erst im Nachhinein mit bestehenden Theorien in Verbindung gebracht worden (Gehrmann & Müller, 2013, S. 58). Daher wurzelt die Methode nicht in einer bestimmten Theorie, sondern weist Perspektiven ganz unterschiedlicher theoretischer Modelle und Ansätze der Sozialen Arbeit auf. Diese Zusammensetzung aus unterschiedlichen Theorien nennt man auch \"eklektisch\". Das Hauptziel von FIM ist, Familien in akuten Gewaltsituationen so zu unterstützen, dass Sicherheit für alle Familienmitglieder hergestellt wird und eine Fremdunterbringung vermieden werden kann (Gehrmann & Müller, 2013, S. 9). Dabei orientiert sich die Methode an bestimmten Prinzipien, die jeweils eng mit ihren theoretischen Grundlagen verknüpft sind (Galuske, 2013, S. 243--244): 1. Auf Basis der Theorien und Konzepte der Systemischen Familientherapie betrachtet die Methode Familien als zusammenhängende Systeme und deutet Krisen stets im Kontext der gesamten Familie. Die einzelnen Beziehungen untereinander, etwaige Subsysteme etc., werden analysiert und in der Intervention berücksichtigt. 2. Ebenfalls eine große Bedeutung wird dem Konzept und den Zielen des Empowerments beigemessen. Der Fokus von FIM liegt daher auf den Stärken und Ressourcen und nicht auf den Defiziten der Familie. Diese werden für die Überwindung der Krise genutzt. 3. Auf Basis sozialökologischer Theorien und Perspektiven berücksichtigt FIM die Interaktions- und Kommunikationsstrukturen der jeweiligen Lebenswelt der Familien. Das Ziel ist es, die Ressourcen der Netzwerke zu nutzen und auszubauen, um die jeweilige Krise zu überwinden. 4. Ausgehend von der \"Social Attachment Theory\" bzw. der These der sozialen Zugehörigkeit geht die Methode FIM davon aus, \"dass Kinder eine besonders enge gefühlsmäßige, psychische und soziale Bindung zu ihren Eltern und Geschwistern in Form eines intensiven Gefühls der Zugehörigkeit und auch der gegenseitigen Verantwortung aufbauen\" (Galuske, 2013, S. 243) und dass eine Trennung der Familie daher gravierende Folgen für ihre Mitglieder hat. Daher ist es das vorrangige Ziel der Methode, auch in Gefährdungssituationen, die Familie als solche zu erhalten. 5. Eine weitere wichtige Grundlage der Methode stellen Krisen- und Kriseninterventionstheorien dar. Hierbei wird u. a. zwischen entwicklungsbedingten Krisen wie der Pubertät und ereignisbedingten Krisen wie Alkoholproblemen, Streit, Unfällen etc. unterschieden. Da FIM in akuten Krisen zur Anwendung kommt, soll im Rahmen der Methode innerhalb der ersten 24 Stunden nach Information über die Krise eine Kontaktaufnahme zur Familie erfolgen. Die Sozialarbeitenden sollen zeitlich flexibel und für die Einsatzdauer rund um die Uhr erreichbar sein, und es müssen im Rahmen des Programms Finanzen zur Verfügung stehen, um schwerwiegende materielle Mängel zu beheben (Galuske, 2013, S. 246). Die Dauer des Programms beträgt vier bis maximal sechs Wochen (Galuske, 2013, S. 246). **Phasen und Techniken** Gehrmann und Müller beschreiben die Phasen, in welche die Methode gegliedert ist, wie folgt (2013, S. 134): 1. Intake/Übernahme der Familie -- Kontaktaufnahme, Auftragsklärung, 2. Engaging -- Motivation zur Mitarbeit; Entwicklung einer Arbeitsbeziehung, 3. Definition von Zielen, 4. Assessment -- Analyse der Krise sowie der Ressourcen und Stärken der Familie, 5. Krisenbewältigung -- Einüben von Verhaltensänderungen, die einem positiveren Zusammenleben dienen, 6. Abschluss; Planung der Anschlusshilfen (z. B. Sozialpädagogische Familienhilfe) sowie 7. Auswertung. Techniken, die im Rahmen von FIM zur Anwendung kommen, sind beispielsweise **aktives Zuhören** und Ich-Botschaften, der Einsatz von Zielkarten (vorformulierte Ziele, von denen die Familienmitglieder für sich passende auswählen können) und Krisenthermometer. Dabei analysieren die Klient:innen mithilfe der Sozialarbeitenden sorgfältig die unterschiedlichen Stufen des Prozesses, welcher zu einem Wutausbruch oder zu einer Gewaltanwendung führt. Hierdurch wird es insbesondere dem gewalttätigen Familienmitglied ermöglicht, alternative Handlungen zu entwickeln und umzusetzen -- mit dem Ziel, bereits vor dem Kontrollverlust den Prozess anzuhalten und die Eskalation zu verhindern (Gehrmann & Müller, 2013, S. 60--74). **Diskussion** Auch die Methode FIM wird kontrovers diskutiert (Galuske, 2013, S. 249-252): Positiv hervorgehoben werden die Orts- und Problemnähe und somit die Lebensweltnähe der Interventionsform, die Realisierung von Partizipation als Teil der Intervention, die Netzwerkorientierung, die Ressourcenorientierung sowie die deutliche Betonung der Bedeutung der Selbst- und Fremdevaluation. Als problematisch wird der theoretische Eklektizismus benannt, der jedoch aufgrund der klaren Orientierung an den Werten der Methode, etwa der Ressourcenorientierung, entschärft wird, zumal die Werte und Orientierungen verhindern, dass er in Wahllosigkeit umschlägt (Galuske, 2013, S. 250). Als weitere Problematik wird das übergeordnete Ziel der intakten Kleinfamilie betrachtet (Galuske, 2013, S. 250). Es gilt insofern als problematisch, als die Idealform der Kleinfamilie angesichts pluraler Familienformen nicht mehr auszumachen ist, aber im Rahmen der Methode ggf. dennoch den realen Familien übergestülpt wird. Hinterfragt wird hiermit, ob das angestrebte Familienmodell für die jeweiligen Familien tatsächlich die beste Lösung ist. Problematisch ist die Orientierung auf den Erhalt der Familie auch dort, wo Gewalt und Missbrauch stattfinden, und aufgrund dieses Ideals aus fachlicher Sicht zu lange am Erhalt der Familie festgehalten wird. Eine letzte Problematik geht mit der zunächst positiv hervorgehobenen lebensweltlichen Nähe von FIM einher, da als Teil der Methode nicht nur die Hilfe, sondern auch die Kontrolle als zweite Seite der Sozialen Arbeit sehr lebensweltnah angesiedelt ist. Entsprechend wird das Risiko der **Kolonialisierung der Lebenswelt** gesehen (Galuske, 2013, S. 250). Zwar versucht die Methode diesem Risiko mit einem Dienstleistungsverständnis und einem entsprechenden Kundenbegriff entgegenzutreten, es wird jedoch bezweifelt, ob dies angesichts der Situation der Familien, die beispielsweise eine Herausnahme von Kindern befürchten müssen, tatsächlich gelingt (Galuske, 2013, S. 250). **5.2 Familienrat** **Definition und Hintergrund** Der Familienrat -- auch family group conference, Verwandtschaftsrat oder Familiengruppenkonferenz -- ist ein Verfahren der gemeinschaftlichen familiären Lösungs- bzw. Entscheidungsfindung, dass in Deutschland vor allem in der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch in anderen Arbeitsfeldern zu Anwendung kommt (Wendt, 2017, S. 2018; Straub, 2018, o. S.). Es wurzelt in traditionellen Formen gemeinschaftlicher Hilfe, wie sie beispielsweise die Maoris in Neuseeland praktizieren, und wird mittlerweile in vielen Ländern angewandt (Wendt, 2017, S. 218). Zentrales Ziel ist es, dass eine Familie und ihr soziales Netzwerk im Rahmen eines Zusammentreffens eine Lösung für ein Problem eines Familienmitgliedes oder der Familie als Ganzes erarbeiten. Die Rahmenbedingungen, wie der Ort, die Dauer oder der Ablauf des Familienrates, werden dabei von der Familie selbst bestimmt (Wendt, 2017, S. 218). **Strukturelle Eckpfeiler und Aufgaben der beteiligten Akteure** Entsprechend dem SGB VIII haben Fachkräfte der Jugendämter, konkret der **Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD)**, sowohl die Aufgabe, Familien zu helfen und zu beraten als auch das staatliche Wächteramt wahrzunehmen und Kinder ggf. in Obhut zu nehmen. Diese beiden Aufgaben werden im Kontext des Familienrates neu verteilt (Wendt, 2017, S. 219). Dies zeigt sich deutlich in den unterschiedlichen Rollen der beteiligten Akteure: Die Aufgabe der Familie und ihres Netzwerkes ist es, eine machbare Lösung bzw. einen Lösungsweg zu erarbeiten. Wie die Lösung aussieht und wie sie erarbeitet wird, obliegt der Familie selbst, ggf. assistiert auf Wunsch der Familie der:die Koordinator:in. Aufgabe der fallverantwortlichen Sozialarbeitenden ist es, das vorliegende Problem zu konkretisieren, den Familienrat zu initiieren und eine:n Koordinator:in zu beauftragen, der:die den Familienrat begleitet. Entsprechend gibt die Fachkraft einen zentralen Teil ihrer ursprünglichen Aufgaben an die Familie ab (Wendt, 2017, S. 219). Die Fachkräfte handeln also zunächst primär als Initiator:innen und im Weiteren als Informant:innen und Katalysator:innen, die über potenzielle Hilfeformen informieren und administrative Prozesse vorantreiben (Wendt, 2017, S. 220). Während der ersten Phase des Familienrates ist es ihre Aufgabe, die das Problem kennzeichnenden Fakten anschaulich und für Laien verständlich zu präsentieren und möglicherweise problematische Konsequenzen aufzuzeigen (Wendt, 2017, S. 220). Nachdem die Familie getaggt hat, müssen sie den Lösungsvorschlag der Familie begutachten und ggf. auftretende Nachbesserungswünsche begr?

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