Gesellschaftliche und soziale Verantwortung PDF
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This document discusses corporate social responsibility, focusing on CEO activism. It examines the historical context, recent examples (with specific years mentioned), and the different types of CEO activism. It also explores the concept of fair trade and the Sustainable Development Goals.
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Gesellschaftliche und soziale Verantwortung 4.1. CEO-Activism: politisches Handeln von Füh- rungskräften Die Übernahme politischer Verantwortung von Unternehmen und deren Führungskräften hat eine durchaus lange Tradition. Aus historischer Sicht ist es unmöglich, den sozialen und politi...
Gesellschaftliche und soziale Verantwortung 4.1. CEO-Activism: politisches Handeln von Füh- rungskräften Die Übernahme politischer Verantwortung von Unternehmen und deren Führungskräften hat eine durchaus lange Tradition. Aus historischer Sicht ist es unmöglich, den sozialen und politischen Aktivismus von Führungskräften (CEO-Activism) auf ein einzelnes Initialereignis zurückzuführen. Die Public- Relations-Firma Weber Shandwick beispielsweise wertet Marilyn Carlson Nelsons öffentliches Engagement gegen den Menschenhandel im Jahr 2004 als eines der frühesten Beispiele für einen solchen Aktivismus von Führungskräften. Nelson, damals CEO des globalen Gastgewerbe- und Reiseunternehmens Carlson Companies, wurde seinerzeit für ihre politischen Stellungnahmen kritisiert. Dennoch bestand sie darauf, dass Unternehmen die Verantwortung für Fehlverhalten im Zusammenhang mit ihren Geschäftstätigkeiten und darüber hinaus zu tragen hätten. Nelson plädierte dafür, dass Carlson Companies aktiv gegen Kinderprostitution und Menschenhandel auftreten und auch Ressourcen des Unternehmens dafür aufwenden solle. Einige Jahre später beteiligten sich auch andere Führungskräfte führender US-Unternehmen wie Howard Schultz (CEO des Kaffeekonzerns Starbucks) oder Tim Cook (CEO des US- Technologieunternehmens Apple) an ähnlichen sozialpolitischen Äußerungen. So bat etwa Schultz 2013 seine Kundinnen darum, keine Feuerwaffen in Starbucks-Filialen mitzunehmen (ein besonders in den USA hochpolitisches Thema), und Cook kritisierte 2015 öffentlich die fehlenden Rechte für Homosexuelle in seinem Heimatstaat, dem US-Bundesstaat Alabama. 167 Auch in jüngerer Vergangenheit engagieren sich Unternehmen und Führungskräfte häufig in aktuellen politischen oder sozialen Fragen und prägen so in gewissem Maße die öffentliche Debatte über diese Themen mit. Eines der jüngsten Beispiele betrifft etwa den CEO von Airbnb, Brian Chesky, der 20.000 afghanischen Flüchtlingen eine kostenlose Unterkunft anbot und sich damit öffentlich in die mediale Diskussion hinsichtlich der humanitären Krise in Afghanistan einbrachte. Chesky wies darauf hin, dass er und sein Unternehmen sich „verantwortlich fühlten, etwas zu unternehmen“ (im Original: „a responsibility to step up“), nachdem die erneute Machtübernahme des Taliban-Regimes im August 2021 eine Flüchtlingswelle ausgelöst hatte. 168 Ebenfalls 2021 unterzeichnete eine Gruppe einflussreicher multinationaler Unternehmen, darunter Amazon und Google, zusammen mit prominenten CEOs und Führungskräften (wie 167 Vgl. Weber Shandwick, 2016 168 Vgl. Hart, 2021 93 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Kenneth Frazier von Merck und Warren Buffett) einen offenen Brief, in dem sie sich gegen ein neues, vermeintlich diskriminierendes Wahlrecht im US- Bundesstaat Georgia aussprachen. 169 Doch derartige Fälle von politischem Engagement bleiben nicht auf den angloamerikanischen Raum beschränkt. Im Jahr 2019 beschuldigte Joe Kaeser, der damalige Vorstandsvorsitzende des deutschen Siemens-Konzerns, US-Präsident Donald Trump, ein Rassist zu sein, nachdem Trump mehrere farbige Kongressabgeordnete verbal angegriffen hatte. Laut Kaeser wäre Trump durch dieses Verhalten nämlich im Begriff, das „Gesicht des Rassismus“ zu werden (im Original: „the face of racism and exclusion“). 170 Bemerkenswert ist auch, dass der soziopolitische Aktivismus von CEOs primär zu progressiven politischen Positionen wie LGBTQI-Rechten (LGBTQI steht für das englische Akronym Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer and Intersexual), Klimawandel oder Antirassismus tendiert. Hierzu merken etwa Branicki et al. an: „CEO activism is almost always directed toward progressive political causes. The variety of issues that recent CEO activism addresses is indicative of this, for example, as evidenced by the focus on immigration, gun control, abortion, racial and ethnic tolerance, LGBTQI rights, and climate change.“ 171 Demgegenüber gibt es einige wenige CEOs, die sich für politisch konservative Anliegen ausgesprochen haben. So sprach sich 2012 etwa Dan Cathy, CEO der US-Restaurantkette Chick-fil-A, öffentlich gegen gleichgeschlechtliche Ehen aus. 172 Ähnlich äußerte sich 2013 auch Guido Barilla, CEO des italienischen Nudelherstellers Barilla, in einer italienischen Radioshow. Dabei betonte der CEO seine Affinität zur „traditionellen“ Familienstruktur, worunter etwa gleichgeschlechtliche Paare nicht miteingeschlossen wären. In Reaktion auf teils massive öffentliche Kritik entschuldigte sich Barilla später jedoch öffentlich für sein früheres Statement. 173 Das politische Engagement von Unternehmen und Führungskräften ist jedoch grundsätzlich kein neues Phänomen. In Abgrenzung zum klassischen Lobbying muss bei CEO-Activism vor allem der öffentliche und aktivistische Charakter der politischen Willensäußerung beachtet werden. Ein anschauliches Beispiel findet sich in der Geschichte des US- Getränkegiganten Coca-Cola. Als Dr. Martin Luther King Jr. 1963 der Friedensnobelpreis verliehen wurde, sollte Dr. King im darauffolgenden Jahr mit einem besonderen Galadinner in Atlanta geehrt werden. Jedoch 169 Vgl. Gelles/Sorkin, 2021 170 Shaban, 2019 171 Branicki et al., 2021, S. 273 172 Aarthun, 2012 173 Vgl. Somashekhar, 2014 94 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung weigerten sich große Teile der konservativen Wirtschaftselite Atlantas, an einem solchen Dinner zu Ehren des Bürgerrechtlers King teilzunehmen. Der damalige CEO von Coca-Cola, J. Paul Austin, nutzte daraufhin seine persönlichen Kontakte zur Wirtschafselite Atlantas und überredete diese (nicht ohne die Androhung, die Produktion des Softdrinks gegebenenfalls aus Atlanta abziehen zu wollen) zum zahlreichen Erscheinen. 174 Demgegenüber sprach sich 2021 der aktuelle CEO James Quincey öffentlich gegen die geplante Novellierung des Wahlgesetzes im US-Bundesstaat Georgia aus, welche öffentlich aufgrund ihres vermeintlich diskriminierenden Charakters kritisiert wurde. 175 In beiden Fällen war die Positionierung gegen als diskriminierend und rassistisch empfundene Zustände die Intention hinter dem sozialpolitischen Engagement. Doch während im ersten Fall klassisches Lobbying ohne öffentliche Beteiligung auf Basis persönlicher Beziehungen und der eigenen Markmacht ausgeübt wurde, positionierte sich das Unternehmen bzw. der CEO im zweiten Fall öffentlich gegen einen vermeintlichen Missstand. Letztes führte etwa zu einem öffentlichen Boykottaufruf des damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Letztlich unterscheiden sich die verschiedenen Formen von soziopolitischem Aktivismus teils massiv und können unterschiedliche gesellschaftliche Anliegen zum Gegenstand haben. Da die Forschung zu diesem relativ neuen Phänomen politischer Unternehmensverantwortung gerade am Beginn steht, ist auch in der Fachliteratur noch keine einheitliche Definition des Phänomens etabliert. Dennoch steht in jedem Fall die persönliche und öffentliche Meinungsäußerung einer Führungskraft oder eines CEOs im Zentrum. Der CEO äußert sich dabei auch zu Themen, die nicht oder nur am Rande mit dem eigenen Geschäftsfeld zu tun haben. Das Ziel ist letztlich die Veränderung der öffentlichen Debatte mit Mitteln des öffentlich-medialen Diskurses. Merksatz Hambrick und Wowak definieren CEO-Activism als „a business leader’s personal and public expression of a stance on some matter of current social or political debate, with the primary aims of visibly weighing in on the issue and influencing opinions in the espoused direction“. 176 Darüber hinaus wurde der CEO-Activism als Phänomen bereits im geringen Maße empirisch untersucht. Hierbei standen die Reaktionen verschiedener US- 174 Vgl. Rogers/Kaplan, 2020 175 Vgl. Bethea, 2021 176 Hambrick/Wowak, 2021, S. 4 95 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung amerikanischer Interessen- und Konsumentengruppen im Fokus der Forschung. Die besagten Erhebungen haben gezeigt, dass es einen signifikanten Generationsunterschied zwischen sogenannten Millennials (geboren etwas zwischen 1981 und 1999), Personen der sogenannten Generation X (geboren etwa zwischen 1965 und 1980) und den Personen der Babyboomer-Generation (geboren etwa zwischen 1946 und 1964) gibt, wenn es um die Wahrnehmung und Befürwortung von CEO-Activism geht. Die zunehmend positive Wahrnehmung von CEO-Activism wurde mit einer wachsenden Bereitschaft von Konsumenten in Verbindung gebracht, bei Unternehmen zu kaufen, die von CEOs geführt werden, die sich zu gesellschaftlichen Themen äußern. Millennials stehen diesen Trends im Allgemeinen positiver gegenüber als Angehörige älterer Generationen, was den Schluss zulässt, dass CEO- Activism eine zunehmend wichtige Rolle bei den Kaufabsichten von Merksatz Millennials spielt. Inwieweit diese vorläufigen Ergebnisse jedoch als belastbar gelten dürfen bzw. ob die in den USA erzielten Resultate auch auf Europa umzulegen wären, ist ungeklärt. In jedem Fall wäre es unangemessen, einen „Business Case“ für CEO-Activism auf dieser Basis zu formulieren. 177 Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass die historischen Wurzeln des sozio-politischen Aktivismus von Führungskräften (CEO-Activism) im 20. Und 21. Jahrhundert liegen. Dabei ist die politische Einflussnahme von Zusammenfassung Unternehmen im Sinne des klassischen Lobbyings durchaus keine neue Entwicklung. Im Unterschied zum Lobbying bezieht sich CEO-Activism jedoch auf öffentliche sozialpolitische Stellungnahmen von Führungskräften mit dem Ziel, die öffentliche Meinung mit Mitteln des medialen Diskurses zu beeinflussen bzw. vermeintliche Missstände aufzudecken. Aktuell ist CEO- Activism vor allem bei großen US-amerikanischen Konzernen und deren CEOs zu beobachten, bleibt jedoch nicht darauf beschränkt. Gleichzeitig steckt die systematische Forschung zu CEO-Activism noch in den Kinderschuhen. Thematisch können sich aktivistische Äußerungen sowohl auf konservative als auch progressive Themen beziehen, wobei letztere den Diskurs eindeutig dominieren. 177 Vgl. Weber Shandwick and KRC Research, 2017 96 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung 4.1.1. CEO-Activism: Versuch einer typologischen Einordnung CEO-Activism muss konzeptionell vor dem breiteren Hintergrund der PCSR- Debatte verstanden werden. Hierbei ist der politische Aktivismus von Führungskräften nicht zuletzt als Ausdruck der politischen Rolle des Unternehmens selbst zu verstehen. Im Gegensatz zur breiteren Diskussion im Bereich der PCSR (die jeweils ganze Unternehmen bzw. Regierungen als Analyseebene betrachtet) konzentriert sich CEO-Activism in erster Linie auf die persönlichen Merksatz Entscheidungen von CEOs sowie auf deren konkretes Unternehmensumfeld. Hierbei ist jedoch das Zusammenspiel von CEO und Unternehmensumfeld bei der Beschreibung von CEO-Activism noch nicht hinlänglich erforscht. 178 Daher erscheint es vor dem theoretischen Hintergrund der Rollenverantwortung sinnvoll, die spezifische Rolle von CEOs von der Rolle anderer Mitarbeiter im Unternehmen abzugrenzen. Mit Rückgriff auf die Arbeit Peter Druckers versteht A. G. Lafley (selbst ehemaliger CEO des multinationalen Konzerns Procter & Gamble) die Rolle des CEOs als jene eines Vermittlers zwischen der Innenperspektive des Unternehmens und der Außenperspektive der Gesellschaft im Hinblick auf Technologie, Kapitalmärkte, Mitarbeiter usw. Dabei sind die einzelnen Unternehmensabteilungen entweder auf die Innenperspektive (z. B. die Personalabteilung) oder die Außenperspektive (z. B. die Vertriebsabteilung) fokussiert. Nur der CEO ist mit beiden Perspektiven gleichermaßen befasst und letztverantwortlich für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Merksatz Lafley skizziert vier Kernaufgaben, anhand derer sich die Rolle des CEOs im Unternehmen darstellen lässt. Erstens sind CEOs dafür verantwortlich, die Bedeutung der Außenperspektive zu klären. Lafley charakterisiert diesen Schritt als „defining the meaningful outside“. 179 Darunter versteht er eine Koordination und Gewichtung der einzelnen Stakeholder, wobei der Konsument dabei die Vorrangstellung einnimmt. 178 Vgl. Branicki et al., 2021 179 Lafley, 2009, o. S. 97 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Zweitens sollten CEOs profitable Geschäftsmöglichkeiten identifizieren und das Kerngeschäft definieren. Hierbei geht es um strategische Entscheidungen der Unternehmensentwicklung und der Erschließung neuer Geschäftsfelder, oder wie Lafley es ausdrückt, „deciding what business you are in“. 180 Die dritte Kernaufgabe des CEOs besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen den kurzfristigen und langfristigen Prioritäten des Unternehmens herzustellen. Oder wie Lafley es nennt, „balancing sufficient yield in the present with necessary investment in the future“. 181 Zuletzt kommt dem CEO die Rolle zu, die Unternehmenskultur im Hinblick auf Werte und Standards zu beeinflussen. Lafley versteht diese Aufgabe als „to interpret the organization’s values in light of change and competition and to define its standards“. 182 Die hierbei zugrunde gelegte Wertekonzeption richtet sich jedoch eher an unternehmerischen Werten (etwa Produktqualität, Markenidentität usw.) als an moralich-normativen Werten. Lafleys Einteilungen stellen hierbei jedoch keine allgemein akzeptierte Charakterisierung der Aufgaben und Verantwortungen von CEOs im wissenschaftlichen Diskurs dar. Vielmehr zeigt dieser eher unbekannte Essay Lafleys exemplarisch die hohe Bedeutung, die er sich und anderen CEOs im Unternehmenskontext zuschreibt. Darüber hinaus entspricht die Charakterisierung von CEOs als Vermittler zwischen Unternehmen und dem weiteren gesellschaftlichen Unternehmensumfeld jedoch einem wesentlichen Aspekt der aktuellen Forschung im Bereich CEO-Activism. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei CEO-Activism um ein vergleichsweise neues Phänomen; folglich ist die Forschung hierzu auch fragmentarisch bzw. noch im Entstehen begriffen. Umso interessanter ist der Versuch einer umfassenden typologischen Erfassung von CEO- Activism, wie er von Layla Branicki und weiteren Kollegen unternommen wurde. Branicki et al. unterscheiden vier verschiedene Typen von CEO- Activism im Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche moralische Bedeutung bzw. Kontroversität (moral intensity) und Relevanz des Themas für das Kerngeschäft oder die Branche des CEOs (business relatedness). Hieraus ergibt sich eine vierteilige Matrix, welche die unterschiedlichen Typen des Aktivismus voneinander abgrenzt (siehe Grafik an Ende des Abschnitts). Der sogenannte Token-Activism zeichnet sich durch geringe moralische Bedeutung des Themas und geringe Verbindung zum Kerngeschäft des 180 Ebd. 181 Ebd. 182 Ebd. 98 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung CEOs aus. Hierbei stehen meist nicht die persönlichen Beweggründe des CEOs, sondern instrumentelle Gründe des Unternehmens im Vordergrund. Dabei geht es zumeist um Themen, die (mittlerweile) im großen Umfang gesellschaftlich geteilt werden und wenig Kontroversen erwarten lassen (z. B. die Positionierung für Gleichstellungsmaßnahmen). Faktisch äußert sich diese wenig riskante Form des Aktivismus etwa darin, dass CEOs offene Briefe unterzeichnen oder gemeinsam mit anderen Unternehmen breite Statements veröffentlichen. Token-Activism ist mit wenig Risiko verbunden, kann aber auch kaum gesellschaftlichen Wandel begünstigen. Demgegenüber stellt sich der sogenannte Servant-Activism durch Themen von hoher gesellschaftlicher Aktualität, aber geringer Relevanz für das Kerngeschäft des CEOs aus. Zur Terminologie merken Branicki et al. an: „We call this ‘servant’ activism, because CEO activism in these circumstances does not appear to serve any direct corporate interest, instead primarily serving a wider societal interest.“ 183 Dabei steht vor allem das persönliche Engagement des CEOs im Vordergrund. Servant-Activism ist durchaus riskant und kann zu intensiver öffentlicher Kritik führen. Gleichzeitig kann der CEO als moralische Instanz wahrgenommen werden und so seinen Einflussbereich und den seines Unternehmens bedeutend ausweiten. Der sogenannte Strategic-Activism zeichnet sich durch ein geringes Maß an gesamtgesellschaftlicher Relevanz und Intensität, jedoch ein hohes Maß an branchenspezifischer Relevanz aus. Hierbei besteht wenig Abweichung zwischen den persönlichen Ambitionen des CEOs und dem langfristigen Interesse des Unternehmens. Die zum Ausdruck gebrachten Werte dienen primär der Legitimation des Unternehmens. Dieser Ansatz steht nicht zuletzt explizit im Einklang mit etablierten Konzeptionen von CSR und PCSR: „Strategic activism is, we propose, low-risk from the standpoint of both the participating CEO and the organization, because it is consistent with traditional political CSR that seeks to bring about social and political environments conducive to firms’ success.“ 184 Zuletzt definieren Branicki et al. den sogenannten Citizen-Activism als jenen Typus des CEO-Activism, bei welchem sowohl eine hohe gesellschaftliche als auch hohe branchenspezifische Relevanz vorliegt. Dadurch stellt diese Form gewissermaßen eine Mischung als Strategic- und Servant-Activism dar. Dabei bringen sich CEOs in politische Debatten zu kontroversen Themen ihres direkten Kerngeschäfts aktiv ein, und es kann ein Win-win-Szenario aus moralischen und unternehmerischen Interessen erreicht werden. CEOs 183 Branicki et al., 2021, S. 281 184 Ebd., S. 281 99 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung können damit als moralische Instanz wahrgenommen werden und zugleich ihre ökonomischen Interessen wahren. Die hier genannten Typologien stellen noch keine standardmäßige Einteilung von CEO-Activism dar, können jedoch als erster vielversprechender Versuch in Richtung einer solchen verstanden werden. 185 Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass dem CEO eine einzigartige Rolle im Unternehmen zukommt. Damit unterscheidet sich der CEO auch im Hinblick auf seine rollenspezifische Verantwortung von anderen Zusammenfassung Mitarbeitern eines Unternehmens. A. G. Lafley schreibt dem CEO eine grundsätzliche Vermittlerrolle zwischen der Innenperspektive des Unternehmens und der Außenperspektive der Gesellschaft zu. Dabei obliegt es dem CEO etwa, das Kerngeschäft zu definieren, Stakeholder-Interessen abzuwägen und zwischen kurzfristigen und langfristigen Unternehmenszielen zu entscheiden. Aufbauend auf der grundsätzlichen Dichotomie von gesellschaftlicher und unternehmerischer Perspektive entwickeln Branicki et al. ein viergliedriges Modell des Token-, Servant-, Strategic- und Citizen-Activism. Token-Activism zeichnet sich durch geringe moralische Bedeutung des Themas und geringe Verbindung zum Kerngeschäft des CEOs aus. Servant-Activism zeichnet sich dagegen durch Themen von hoher gesellschaftlicher Aktualität, aber geringer Relevanz für das Kerngeschäft des CEOs aus. Strategic-Activism beinhaltet ein geringes Maß an gesamtgesellschaftlicher, jedoch ein hohes Maß an branchenspezifischer Relevanz. Dieser Typus des CEO-Activism kann auch im Kontext der klassischen CSR und PCSR verstanden werden. Zuletzt verfügt der Citizen-Activism sowohl über eine hohe gesellschaftliche als auch eine hohe branchenspezifische Relevanz. Dabei bringen sich CEOs in politische Debatten zu kontroversen Themen ihres direkten Kerngeschäfts aktiv ein, und es kann ein Win-win-Szenario aus moralischen und unternehmerischen Interessen erreicht werden. 185 Vgl. Branicki et al., 2021 100 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Gering MORALISCHE BEDEUTUNG Hoch Gering TOKEN SERVANT ACTIVISM ACTIVISM RELEVANZ FÜR DAS KERNGESCHÄFT STRATEGIC CITIZEN Hoch ACTIVISM ACTIVISM Abbildung 1: CEO-Activism: Versuch einer typologischen Einordnung, Eigene Darstellung (2023) i.A.a. Branicki et al. (2021) 4.2. Business and Human Rights – unternehmerische Verantwortung im Menschenrechtskontext Die Frage, inwieweit Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen auf staatlicher Ebene (mit-)verantwortlich sind, wird in den vergangenen Jahrzehnten mit immer größerer Vehemenz öffentlich diskutiert und wissenschaftlich erforscht. Besonders Sport-Großereignisse wie die Olympischen Sommerspiele in China 2008 oder die FIFA-WM in Katar 2022 stehen international in der Kritik. Dabei werden nicht nur politische agierende Personen und Sportverbände, sondern insbesondere auch Unternehmen, die als Sponsoren der Events auftreten, für systematische Menschenrechtsverletzungen in den Austragungsländern mitverantwortlich gemacht. 186 Die Frage, inwieweit sich vor allem multinationale Unternehmen in den politischen Prozess ihrer Gastländer einbringen müssen oder ob jede Form der wirtschaftlichen Aktivität in einem Menschenrechtsverletzungen begehenden Staat ethisch unzulässig ist, kann nicht pauschal geklärt werden. In jedem Fall lässt sich der Themenkomplex „Business and Human Rights“ unter einer historischen, ethischen und rechtlichen Perspektive betrachten. Historisch wird die Debatte um Unternehmensverantwortung im 186 Vgl. Wettstein, 2010, S. 33 ff; Beschorner/Scholz, 2021 101 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Menschenrechtskontext zumeist mit dem tragischen Tod des nigerianischen Aktivisten und Schriftstellers Ken Saro-Wiwa im Jahre 1995 in Verbindung gebracht. Wiwa hatte zusammen mit anderen Aktivisten gegen die fortschreitende Umweltverschmutzung im Nigerdelta protestiert. Die Verschmutzung war insbesondere auf die Aktivität internationaler Ölkonzerne, allen voran Shell, zurückzuführen. Wiwa und acht weitere Aktivisten wurden schließlich von den nigerianischen Behörden verhaftet und von einem Spezialtribunal der Anstiftung zum Mord für schuldig befunden. Der Prozess wurde heftig kritisiert etwa aufgrund des Vorwurfs, dass internationale Verfahrensregeln missachtet worden seien. Shell selbst hätte zu diesem Zeitpunkt wohl effektiv gegen den Prozess vorgehen können, entschied sich jedoch gegen eine aktive Einmischung in das Verfahren. In seinem Schlussplädoyer beschuldigte Ken Saro-Wiwa den Ölkonzern, sich der Verantwortung in dieser Causa zu entziehen. Der Exekution Wiwas folgte ein internationaler Protest gegen Shells Verhalten und entfachte eine weitreichende Debatte über die Menschenrechtsverantwortung von Unternehmen. 187 Ausgehend davon wird die normative Debatte um Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen zumeist unter dem Zentralbegriff der „Komplizenschaft“ geführt. In den seltensten Fällen sind Unternehmen nämlich direkt für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, vielmehr werden diese von (zumeist staatlichen) Akteuren begangen, die direkt oder indirekt von Unternehmen unterstützt werden oder von diesen profitieren. Der Ethiker Florian Wettstein spricht in diesem Zusammenhang von einer sogenannten Unternehmenskomplizenschaft (englisch: corporate complicity). 188 Hierbei zieht Wettstein auch eine strikte Grenze zwischen rechtlicher und ethischer Verantwortung (siehe Kapitel II). Dabei kann ein Unternehmen aus rechtlicher Perspektive nicht haftbar sein und zugleich in ethischer Hinsicht als Komplize für Menschenrechtsverletzungen gelten. Die Komplizenschaft muss vom Unternehmen nicht willentlich oder gar böswillig eingegangen werden, vielmehr kann es vorkommen, dass das Kerngeschäft eines Unternehmens selbst inhärent mit der Verletzung von Menschenrechten verbunden ist. Hierzu unterscheidet Wettstein vier konkrete Formen der Unternehmenskomplizenschaft. Die direkte Komplizenschaft (englisch: direct complicity) bezieht sich auf all jene Fälle, in denen Unternehmen direkt und kausal zur Menschenrechtsverletzung durch (zumeist) staatliche Akteurinnen beitragen. Hierbei nennt Wettstein etwa den Internetkonzern Yahoo, der private Daten von politischen Aktivisten an chinesische 187 Vgl. Wettstein, 2009, S. 149 188 Vgl. Wettstein, 2010, S. 33 ff. 102 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Ermittlungsbehörden ausgehändigt hat. Unter indirekter Komplizenschaft (englisch: indirect complicity) versteht Wettstein hingegen jene Fälle, in denen Unternehmen die systematische Verletzung von Menschenrechten grundsätzlich unterstützen. Dies kann schon dann der Fall sein, wenn ein Unternehmen durch die Entrichtung von Steuern zur Aufrechterhaltung eines repressiven oder diktatorischen Regimes beiträgt. Diese indirekte Komplizenschaft lässt sich nun wiederum in zwei Subkategorien untergliedern. Die sogenannte vorteilhafte Komplizenschaft (englisch: beneficial complicity) bezeichnet jene Fälle, in denen Unternehmen zwar nicht aktiv in Menschenrechtsverletzungen involviert sind, jedoch wissentlich davon profitieren. Hier betont Wettstein erneut die strikte Trennung von rechtlicher und ethischer Verantwortung, wobei schon die Instrumentalisierung von Menschen zur Gewinnmaximierung selbst ein moralisches Problem darstellt. Zuletzt skizziert Wettstein die sogenannte stille Komplizenschaft (englisch: silent complicity), die sich aus der Untätigkeit von Unternehmen ergibt, Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Akteuren öffentlich anzusprechen. Diese letzte Kategorie unterscheidet sich grundlegend von den zuvor genannten Typen der Unternehmenskomplizenschaft, da sie sich nicht auf eine Handlung, sondern auf die Unterlassung einer Handlung bezieht. Dabei ist die stille Komplizenschaft auch abhängig vom jeweiligen Akteur, da nicht jede Unterlassung automatisch als Komplizenschaft aufgefasst werden darf. Nach Wettstein kann die Unterlassung, Menschenrechtsverletzungen offen anzusprechen, nur dann als Komplizenschaft verstanden werden, wenn der Akteur bzw. das Unternehmen in der Position ist, den Prozess (realistischerweise) verändern zu können. Sprechen sich also kleine und mittelständische Unternehmen des jeweiligen Landes nicht gegen Menschenrechtsverletzungen ihrer Regierung aus, ist dies anders zu bewerten als das Schweigen mächtiger multinationaler Konzerne. Während erstere nämlich wenig Aussicht darauf haben, die Situation zu verbessern und sich auch kaum gegen Repressalien zur Wehr setzen können, dürfen letztere davon ausgehen, dass ihre Äußerung die Situation effektiv verbessern könnte. Hierzu Wettstein: „Thus silence in the face of human rights violations does not always denote complicity. It turns into a form of complicity only if it can and must be interpreted as implicit moral approval of the wrongdoing. However, not every form of silence necessarily denotes endorsement. (…) This is why the moral stature of the accomplice matters; silence only expresses moral approval if it is given by an agent or agency with sufficient influence on or over the perpetrator’s 103 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung behavior, that is, if breaking the silence could reasonably be expected to have an impact on the perpetrator.“ 189 Als konzeptionelle Antwort auf die genannten Typen der Unternehmenskomplizenschaft schlägt Wettstein vor, eine effektive und zugleich legitime Form der Stärkung von Menschenrechten durch Unternehmen zu konzipieren. Dabei bezieht er sich auf das demokratiepolitische Problem der Legitimität von politisch agierenden Unternehmen. Mit Rückgriff auf die bereits erwähnte PCSR-Konzeption (siehe Kapitel III.3) stellt sich auch für Wettstein die Frage, wie Unternehmen, die selbst zumeist keinem demokratischen Legitimationsprozess unterliegen, sich in legitimer Weise in politische Prozesse einbringen können. Dem grundsätzlichen Einwand, wonach das Engagement zum Schutz der Menschenrechte eine unzulässige Einmischung in die Souveränität eines Staates sei oder aber eine Form des „moralischen Imperialismus“ darstelle, Merksatz insofern westliche Wertevorstellungen dabei angeblich anderen Staaten einseitig aufgezwungen werden, entgegnet Wettstein, dass Unternehmen schon jetzt aktiv am politischen Prozess teilnehmen (z. B. durch Lobbying, öffentliche Konsultationen, Policy-Making usw.) und diese Teilnahme schon jetzt Auswirkungen auf die globale Menschenrechtslage hat. Die implizite Trennung eines moralischen Lobbyismus für Menschenrechte und eines angeblich wertfreien Lobbyismus für freie Marktwirtschaft oder gegen wirtschaftliche Regulierungen sieht Wettstein als argumentativ unhaltbar an. Er schlägt daher vor, den „Menschenrechtslobbyismus“ (englisch: corporate human rights advocacy) auf drei konzeptionellen Säulen aufzubauen. Die Bereitschaft zum Diskurs (englisch: responsiveness) beinhaltet, dass Unternehmen einerseits willens sind, anderen Stakeholdern zuzuhören und andererseits auf Fragen und Herausforderungen zu antworten. Damit sollen Unternehmen gegenüber der internationalen Öffentlichkeit grundsätzlich gesprächsbereit sein und sich als Teil des demokratischen Diskurses verstehen. Darüber hinaus sollen Unternehmen mit betroffenen Stakeholdergruppen (z. B. Menschenrechtsaktivisten, NGOs usw.) kooperieren und ihre internationalen Netzwerke (so vorhanden) zu kooperativen Zwecken einsetzen. Diese Säule nennt Wettstein schlicht Kooperation (englisch: cooperation). Zuletzt sollen Unternehmen 189 Wettstein, 2010, S. 37 104 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Menschenrechts-verletzungen öffentlich und transparent adressieren (englisch: publicness/transparency). Auch in rechtlicher Hinsicht hat die Diskussion um Unternehmen und deren Verantwortung im Hinblick auf den Schutz von Menschenrechten seit 2008 einen neuen Weg eingeschlagen. Damals startete der UN- Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte, John Ruggie 190, den sogenannten Ruggie-Prozess. Dieser etablierte die Schaffung eines auf drei Grundpfeilern basierenden Referenzsystems für den unternehmenszentrierten Schutz von Menschenrechten. Im Zentrum stehen dabei die Begriffe Schutz, Achtung und Abhilfe (Protect, Respect und Remedy), welche 2011 die konzeptionelle Basis für die neu formulierten UN- Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (englisch: UN Guiding Principles on Business and Human Rights, UNGP) bildeten. 191 Die UNGP beziehen sich explizit auf die staatliche Pflicht, Menschenrechte zu schützen (englisch: duty to protect), die unternehmerische Verantwortung, Menschenrechte zu respektieren (englisch: responsibility to respect) und den Zugang zu Abhilfeverfahren für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen (englisch: access to remedy) zu schaffen. Damit erkennen die UNGP einerseits die Pflicht von Staaten für den Schutz von Grundfreiheiten und Menschenrechten an, sehen Unternehmen aber zugleich als besondere gesellschaftliche Akteure mit der expliziten Verantwortung, Menschenrechte zu achten. Zugleich sollen Opfern von Menschenrechtsverletzungen effektive Beschwerdemaßnahmen zur Verfügung stehen. Die UNGP gliedern sich in 31 Leitsätze – aufgeschlüsselt auf die genannten drei Grundpfeiler. Dabei müssen Unternehmen etwa unabhängig von der Größe (also auch klein- und mittelständische Unternehmen) ihrer Branche oder ihrem Unternehmensumfeld für die Achtung von Menschenrechten eintreten. Darüber hinaus sollten Unternehmen diese Selbstverpflichtung auch in einer Grundsatzerklärung zum Ausdruck bringen und die von ihnen ergriffenen Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen durch eine Wirksamkeitskontrolle (qualitativ und quantitativ sowie unter Einbeziehung von betroffenen Stakeholdern) nachvollziehen. Die Umsetzung der in den Leitlinien formulierten Grundsätze soll darüber hinaus explizit auf marginalisierte und von Diskriminierung betroffene Gruppen Rücksicht nehmen. 192 Die UNGP stellen selbst keine rechtlich bindende Grundlage dar, sind aber auch nicht auf freiwillige Empfehlungen zu reduzieren. Vielmehr werden bereits 190 Professor John G. Ruggie verstarb 2021 und wurde international für seinen Beitrag zur Menschenrechtsdebatte gewürdigt. 191 Vgl. Burton et al., 2022, S. 13 ff. 192 Vgl. UN, 2011, S. 16 ff und 23 ff. 105 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung bestehende nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen (von denen manche rechtlich bindend sind) explizit erläutert. Die staatliche Pflicht, Menschenrechte zu achten, ist andernorts rechtlich bindend festgelegt. Zugleich ist die unternehmerische Verantwortung, Menschenrechte zu achten, zumeist Gegenstand des nationalen Rechts oder von konkreten Verträgen der Unternehmen. 193 Zusätzlich zu den UNGP hat auch die „Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)“ spezielle Leitsätze für multinationale Unternehmen erarbeitet. Die 2011 erweiterten Leitsätze haben Empfehlungscharakter und sollen auf freiwilliger Basis eine Zusammenarbeit von multinationalen Unternehmen und deren Gastländern im Bereich des verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns stärken. Wenngleich die Leitsätze nicht rechtlich bindend sind, verpflichten sich die 42 teilnehmenden Staaten (darunter auch Nicht-OECD-Staaten) etwa zur Einrichtung sogenannter „Nationaler Kontaktstellen“, um die Umsetzung der Leitlinien bestmöglich zu fördern. Grundsätzlich sollen Unternehmen im Kontext der Leitsätze einen „Beitrag zum wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Fortschritt im Hinblick auf die angestrebte nachhaltige Entwicklung leisten“ 194 sowie Menschenrechte respektieren. Darüber hinaus beinhalten die OECD-Grundsätze auch Empfehlungen zur Gestaltung der Wertschöpfungskette bzw. Lieferkette von Unternehmen im Sinne einer sogenannten Sorgfaltsprüfung (englisch: due diligence). 195 Insbesondere der Empfehlungscharakter der Leitsätze sowie die Effektivität und Effizienz der Beschwerdeprozesse im Kontext der nationalen Kontaktstellen führen häufig zu Kritik von NGOs und Vertretern der Zivilgesellschaft. So fordert etwa die NGO „OECD Watch“ eine entsprechende Adaption der Leitsätze und wirksamere Beschwerdemechanismen. OECD Watch beschreibt die Arbeit der nationalen Kontaktstellen (englisch: national contact points, NCP) im Jahresbericht 2021 als insgesamt mangelhaft, da die Mehrzahl der Beschwerden entweder direkt abgewiesen wurde oder, sofern sie in den Mediationsprozess gelangten, nicht zu befriedigenden Ergebnissen führten. Hierzu OECD-Watch: „While there were some bright spots in the performance of a few individual NCPs, the overall picture for the NCP system as a whole is bleak.“ 196 193 UN, 2014, S. 8-9 194 OECD, 2011, S. 22 195 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, 2022 196 Vgl. OECD WATCH, 2022 106 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass unternehmerisch verantwortliches Handeln die Achtung von Menschenrechten beinhaltet. Historisch wird die Diskussion um die Menschenrechtsverantwortung von Zusammenfassung Unternehmen zumeist auf den Fall des 1995 exekutierten nigerianischen Umweltaktivisten Ken Saro-Wiwa zurückgeführt. Wiwa war in einem Schauprozess zum Tode verurteilt worden, während der Ölkonzern Shell, der maßgeblich zu den Umweltschäden im Nigerdelta beigetragen hatte, sich weigerte, öffentlich gegen den Prozess Stellung zu beziehen und so möglicherweise Wiwas Leben zu retten. Auf diese und andere Fälle Bezug nehmend, formuliert der Ethiker Florian Wettstein ein ethisches Modell der sogenannten Unternehmenskomplizenschaft. Diese besteht aus direkter und indirekter Komplizenschaft von Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen durch (zumeist) staatliche Akteure. Letztere unterteilt sich in zwei Subkategorien. Die sogenannte vorteilhafte Komplizenschaft (englisch: beneficial complicity) bezeichnet jene Fälle, bei denen Unternehmen zwar nicht aktiv in Menschenrechtsverletzungen involviert sind, jedoch wissentlich davon profitieren. Die sogenannte stille Komplizenschaft (englisch: silent complicity) ergibt sich aus der Untätigkeit von Unternehmen, Menschenrechtsverletzungen von staatlichen Akteuren öffentlich anzusprechen. Diese Kategorie der Unternehmenskomplizenschaft richtet sich auf die Unterlassung einer Handlung. Sie ist jedoch nur dann ethisch problematisch, wenn der Akteur, der die Handlung unterlässt, zugleich die faktische Möglichkeit hat, die Situation maßgeblich zu beeinflussen. Daher stehen hier multinationale Unternehmen mehr in der Pflicht als nationale Kleinunternehmen. Damit sich Unternehmen auf effektive und zugleich demokratiepolitisch legitime Art für Menschenrechte einsetzen können, empfiehlt Wettstein den Unternehmen, Menschenrechtsverletzungen im Hinblick auf bestimmte Grundsätze zu thematisieren. Darunter fällt die Bereitschaft zum Diskurs (englisch: responsiveness), die Kooperation mit Stakeholdern sowie Öffentlichkeit und Transparenz (englisch: publicness/transparency). Aus rechtlicher Perspektive sind vor allem zwei – rechtlich jedoch nicht bindende – internationale Leitfäden zum Umgang mit Menschenrechtsthemen im unternehmerischen Kontext zu nennen: einerseits die „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ (englisch: UN Guiding Principles on Business and Human Rights, UNGP) und andererseits die „OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen“. Beide vereinen soziale, wirtschaftliche und umweltbezogene Dimensionen unternehmerischer Verantwortung im Menschenrechtskontext. 107 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung 8. Reflexionsfrage: Reflektieren Sie die Grundlagen unternehmerischer Verantwortung im Menschenrechtskontext vor dem Hintergrund der „Unternehmenskomplizenschaft“ (corporate complicity). Übung 4.3. Environmental Social Governance (ESG) Die gesellschaftlichen Erwartungen an Unternehmen sowie die Erwartungen von Investoren an die Wirtschaft insgesamt sind in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. In einer zunehmend globalisierten Welt mit unsicheren Zukunftsperspektiven steigt der gesellschaftliche Druck auf Unternehmen, nicht nur den Gewinn ihrer Aktionäre zu vermehren, sondern zugleich einen sozialen Mehrwert zu schaffen. Vor diesem Hintergrund lässt sich ein wachsendes Interesse der Investment- und Finanzbranche an sogenanntem ESG-Investment beobachten. Das Akronym ESG steht für die drei Bereiche Environmental (E), Social (S) und Governance (G). ESG können als ein Set von Prinzipien verstanden werden, die von Investoren eingesetzt werden können, um sozial Merksatz verantwortliche Investmentoptionen zu identifizieren. 197 Die ESG bilden eine Art Standard für soziale Investitionen. Die Umweltdimension von ESG beinhaltet Themen wie Umweltverschmutzung, Energieeffizienz, Ressourcenknappheit oder Biodiversität. Die Sozialdimension bezieht sich sowohl auf interne Arbeitssicherheit, Mitarbeitersicherheit als auch auf Diversity sowie auf ein gesamtgesellschaftliches Engagement etwa im Hinblick auf Ernährungssicherheit oder den demografischen Wandel insgesamt. Zuletzt beschreibt die Governance-Dimension einen Ansatz nachhaltiger Unternehmensführung. Hierbei geht es etwa um Kontrollprozesse, Aufsichtsstrukturen oder dem Umgang mit Compliance-Regelungen. 198 Neben bzw. parallel zu den ESG-Standards existiert eine Vielzahl von teils sehr ähnlichen Begrifflichkeiten im weiteren Kontext des verantwortungsvollen Investments. Die Unterschiede ergeben sich teils aus der Motivation der verschiedenen Stakeholder oder aus verschiedenen Anwendungskontexten. Dennoch weisen die meisten Konzepte einen starken Bezug zueinander auf. Kuzmina und Lindemane schlagen in diesem Zusammenhang eine Differenzierung der gängigsten Begrifflichkeiten vor. 197 Vgl. Kuzmina/Lindemane, 2017, S. 85 ff. 198 Vgl. Haberstock, 2019 108 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung So steht im Hinblick auf die finanzielle Zielsetzung des Investments beim sogenannten Corporate Social Investment (CSI) bzw. synonym dazu dem Responsible Investment (RI) die Profitmaximierung nicht zwangsläufig im Merksatz Vordergrund, wenngleich das Investment selbst nicht als gemeinnützig zu verstehen ist. Demgegenüber ist das Verständnis von sozialen und Umweltthemen von dem Wunsch geprägt, selbst einen Beitrag zur Problemlösung zu leisten und für Weiterentwicklung zu sorgen. Anhand dieser beiden Kriterien (Art der finanziellen Zielsetzung und Umgang mit sozialen und Umweltthemen) lassen sich die unterschiedlichen Begriffe vorläufig konzeptualisieren. Hierbei weist das sogenannte Sustainbale and Responsible Investing (SRI) bzw. das sogenannte Ethical Investing (EI) eine andere Schwerpunktsetzung als die zuvor skizzierten Begriffe auf. In finanzieller Hinsicht steht hierbei ein zu schaffender Mehrwert für Shareholder und Stakeholder gleichermaßen im Zentrum. Zugleich wird mit Blick auf soziale und Umwelthemen primär auf die Vermeidung bestimmter „Problemindustrien“ wie der Tabak- oder Alkoholindustrie gesetzt. Damit sind die konzeptionellen Schwerpunkte von SRI bzw. EI durchaus ähnlich gesetzt wie jene der ESG-Investmentstandards, denn auch hier stehen die Mehrwertgenerierung für Shareholder und Stakeholder sowie die Vermeidung von problematischen Industriezweigen im Zentrum. Der entscheidende Unterschied besteht jedoch in der Einbeziehung von Governance-Strukturen in die Bewertung. So gesehen, verstehen Kuzmina und Lindemane ESG-Investment als gleichbedeutend mit dem sogenannten Sustainable Investing (SI). Zuletzt lässt sich noch das Sustainable and Responsible Investing (SRI) vom ESG-Investment abgrenzen, da hier die Konzeption noch um den aktiven Beitrag zur Problemlösung und den Wunsch nach Weiterentwicklung der Merksatz Themenstellung geprägt ist. In der Anwenderperspektive haben ESG-Standards in den vergangenen Jahren massiv an Bedeutung gewonnen. Große Rating Agenturen wie MSCI bewerten Unternehmen nach branchenspezifischen und branchenübergreifenden ESG-Kriterien und geben Investoren und Fondmanagern damit konkrete Entscheidungsinstrumente an die Hand. 199 Auch internationale Finanzinstitute wie die Deutsche Bank implementieren ESG-Standards zusehends in ihre Kernprozesse und diskutieren etwa, ein in 199 Vgl. MSCI, 2022 109 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Zukunft verpflichtendes ESG-Rating für wichtige Zulieferbetriebe einzuführen. 200 Auf internationaler Ebene besteht zudem seit 2006 ein auf das Engagement des damaligen UNO-Generalsekretärs Kofi Annan in Zusammenarbeit mit weltweit führenden Investoren zurückgehendes Konzept der Principles for Responsible Investment (PRI). Der PRI ist eine investorenzentrierte Initiative, die unter anderem mit der UNEP-Finance- Initiative und dem UN Global Compact zusammenarbeitet. Die Unterzeichner verpflichten sich, sechs konkrete Prinzipien (darunter etwa ESG-Standards) in Investitionsanalysen einfließen zu lassen, ESG- Standards in ihre eigenen Geschäftsprozesse zu integrieren sowie die Merksatz brancheninterne Akzeptanz der ESG-Standards aktiv zu fördern. 201 Dabei versteht der PRI die zugrunde gelegten ESG-Standards als Teil eines umfassenden Konzepts verantwortungsvollen Investments: „The PRI defines responsible investment as a strategy and practice to incorporate environmental, social and governance (ESG) factors in investment decisions and active ownership.“ 202 Dennoch wurde das Konzept der ESG-Standards auf unterschiedlicher Basis kritisiert. So argumentieren manche Autoren, dass ESG-Prinzipien von Investmentmanagern primär als Instrument der Risikovermeidung und nicht als Methode zur Schaffung von sozialem Mehrwert eingesetzt werden. Während viele Studien auf eine insgesamt positive Entwicklung von ESG- Investitionen hindeuten, konnten andere Ergebnisse bei ESG-Investments keine überdurchschnittliche Performance im Unterschied zu regulären Wertpapieren bestätigen. Hierbei wird jedoch auf die Notwendigkeit weiterer und langfristiger Studienergebnisse verwiesen. 203 Auch Aktionärsverbände und Umweltaktivisten kritisieren den ESG-Ansatz unter dem Verdacht des „Greenwashing“ (also der PR-Strategie, Produkte und Unternehmen irreführend als nachhaltig zu vermarkten). 204 Wenngleich diese Kritikpunkte nicht unbeachtet bleiben sollten, werden die Bedeutung der ESG-Standards und deren Potenzial, einen positiven Beitrag zur nachhaltigen und sozial verantwortlichen Unternehmensführung zu leisten, tendenziell positiv bewertet. So resümieren etwa Kuzmina und Lindemane: „One can conclude that at the beginning of 2000, companies were mainly concerned about creating social change and having a positive 200 Vgl. Handelsblatt, 2022 201 Vgl. UNPRI, 2022b 202 UNPRI, 2022a 203 Vgl. Kuzmina/Lindemane, 2017, S. 88 ff. 204 Vgl. Handelsblatt, 2022 110 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung environmental impact, while the degree of innovations and sustainable profits was low. As a result, investment opportunities on the ESG investing horizon were limited. Currently, one can see positive changes, such as favourable policies supporting the development and implementation of standards for social, environmental and governmental issues, increased innovations, a broader investment horizon, and a bigger profit pool across different sectors of the economy, which will contribute to greater appreciation of ESG investing in the coming years.“ 205 Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass sich der Begriff der ESG- Standards auf die drei Bereiche Environmental (E), Social (S) und Governance (G) bezieht. ESG-Standards können als ein Set von Prinzipien verstanden Zusammenfassung werden, die von Investoren eingesetzt werden können, um sozial verantwortliche Investmentoptionen zu identifizieren. Die Umweltdimension von ESG beinhaltet Themen wie Umweltverschmutzung, Energieeffizienz, Ressourcenknappheit oder Biodiversität. Die Sozialdimension bezieht sich sowohl auf interne Arbeitssicherheit, Mitarbeitersicherheit als auch auf Diversity sowie auf ein gesamtgesellschaftliches Engagement etwa im Hinblick auf Ernährungssicherheit oder den demografischen Wandel. Die Governance- Dimension bezeichnet einen Ansatz nachhaltiger Unternehmensführung. Hierbei geht es etwa um Kontrollprozesse, Aufsichtsstrukturen oder dem Umgang mit Compliance-Regelungen. Konzeptionell kann ESG oft nur schwer von anderen Begriffen und Ansätzen mit ähnlichem Anspruch, wie etwa Corporate Social Investment (CSI), Responsible Investment (RI) oder Ethical Investing (EI), abgegrenzt werden. Bei ESG-Investmentstandards stehen tendenziell die Mehrwertgenerierung für Shareholder und Stakeholder, die Vermeidung von problematischen Industriezweigen – wie die Alkohol- oder Tabakindustrie – sowie die Fokussierung auf nachhaltige Governance-Strukturen im Zentrum des Interesses. Vermehrt widmen sich auch große Ratingagenturen dem ESG-Rating als Geschäftsmodell. Auf UN- Ebene formulieren die Principles for Responsible Investment (PRI) ESG- Standards für den Kooperations- und Austauschprozess von Investoren. Die Stellung der ESG-Prinzipien im Kontext der weiteren Unternehmens- und Nachhaltigkeitspolitik kann nicht abschließend geklärt werden, jedoch zeigt sich in der Literatur eine tendenziell positive Bewertung des Konzepts. 205 Kuzmina/Lindemane, 2017, S. 90 111 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung 9. Reflexionsfrage: Reflektieren Sie die Bedeutung der ESG-Prinzipien im Kontext verantwortungsvoller Unternehmenspolitik. Übung 4.4. Fair Trade: Grundsätze und Ziele des fairen Han- dels Die grundsätzliche Diskussion um nachhaltiges und sozial verantwortungsvolles Handeln im wirtschaftlichen Kontext wird zumeist bezogen auf die handelnden Unternehmen oder die rechtlichen Rahmenbedingungen geführt. Demgegenüber stellt die Frage nach der moralischen Verantwortung von Konsumenten eine untergeordnete Kategorie dar. Insbesondere vor dem Hintergrund einer immer intensiver geführten Nachhaltigkeitsdebatte kommen Konsumenten bzw. der Konsum selbst verstärkt in den Blick. Dabei ist der Konsum mit Fragen der nachhaltigen Entwicklung verbunden. Da Nachhaltigkeit grundsätzlich auf die Bedürfnisbefriedigung von derzeitigen und zukünftigen Personen abzielt, kann Konsum als Form einer marktwirtschaftlich vermittelten Bedürfnisbefriedigung selbst als Teil der Nachhaltigkeitsdefinition bzw. als Ziel der nachhaltigen Entwicklung aufgefasst werden. Zugleich steht aber gerade der Konsum, insbesondere in Industrieländern, einer nachhaltigen Entwicklung diametral entgegen. Es muss also demnach zwischen einem erwünschten Konsumbegriff mit dem Ziel der nachhaltigen Bedürfnisbefriedigung und einem unerwünschten Konsumbegriff, der zulasten der Bedürfnisbefriedigung anderer geht, Merksatz unterschieden werden. Daher wird die ethisch geprägte Nachhaltigkeitsdebatte zumeist im Kontext eines inter- bzw. intragenerationalen Gerechtigkeitsdiskurses problematisiert. Zugleich drängt sich bei Fragen der Konsumentenverantwortung jedoch die Frage auf, inwieweit Konsumenten als moralische Subjekte mit der Verantwortung überlastet werden bzw. inwieweit globale Herausforderungen überhaupt durch individuelles Konsumverhalten adäquat adressiert werden können. Die genaue Rolle der Konsumentenverantwortung im Kontext der nachhaltigen Entwicklung bleibt letztlich strittig. 206 Die deutsche Philosophin Imke Schmidt (nicht zu verwechseln mit der bereits zitierten Ina Schmidt) schlägt daher vor, die 206 Vgl. Schmidt, 2018, S. 736 ff. 112 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung zentrale Rolle von Konsumenten (etwa als Käufer von Produkten) im marktwirtschaftlichen System anzuerkennen. Da Konsumenten über Einfluss auf das marktwirtschaftliche System verfügen, tragen sie – zusammen mit anderen Marktteilnehmern – eine geteilte, auf die Zukunft gerichtete Verantwortung für eine nachhaltige Merksatz Entwicklung. Auf der individuellen Ebene beruht diese Verantwortung auf den sozialen und ökologischen Schadenseffekten von Konsumenten und auf kollektiver Ebene auf deren Möglichkeiten, Marktstrukturen zusammen mit anderen Akteurinnen zu verändern. Konsumenten können ihrer Verantwortung durch die Reduktion des eigenen Schadensbeitrags nachkommen sowie durch die Mitgestaltung und Veränderung von Strukturen und durch die Beschaffung von Information (etwa bezüglich Herstellungsbedingungen von Produkten oder Rahmenbedingungen von Dienstleistungen). Diese Verantwortungsbereiche müssen nach Imke Schmidt diskursiv konkretisiert und an individuelle Möglichkeiten angepasst werden, um Konsumenten weder zu über- noch zu unterfordern. 207 Eine praktische und bereits seit mehreren Jahrzehnten etablierte Praxis, individuelle und kollektive Konsumentenverantwortung zu verbinden, besteht gemäß ihrem Selbstverständnis in der sogenannten „Fair-Trade“- Bewegung. Die zunehmende Globalisierung, die Machtposition der Industriestaaten oder die als ungerecht empfundene Verteilung der Gewinne entlang der Wertschöpfungskette führte zu einer Bewegung mit dem erklärten Ziel, ökologische und soziale Standards vermehrt zu berücksichtigen und eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Produzenten (in Nicht-Industriestaaten) zu verbessern. 208 Entscheidend ist hierbei, dass das Konzept des „fairen“ Handels bzw. Fair Trade in doppelter Hinsicht gebraucht wird. Dabei bezeichnet der Begriff aus theoretischer Perspektive verschiedene Konzeptionen des fairen Handels, die zwar eine vordergründige Ähnlichkeit teilen, aber oft auf verschiedenen Grundsatzpositionen aufbauen. Dabei können entweder altruistische Motive sowie die Kritik an entwicklungspolitischen Missständen im Vordergrund stehen, oder der faire Handel kann als Alternativmodell für jegliche Handelsaktivitäten angestrebt werden. Konzeptionell gibt es also keine gemeinsame Auffassung, welche 207 Vgl. Schmidt, 2018, S. 736 ff. 208 Vgl. Von Hauff/Claus, 2013, S. 19 ff. 113 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Definition von „fair“ dem fairen Handel zugrunde gelegt wird. 209 Die zweite Bedeutung von „Fair Trade“ bezieht sich in praktischer Hinsicht auf das von der Fair-Trade-Labelling-Organisation (FLO) bzw. Fairtrade International (deren Trivialnamen) vergebene „FAIRTRADE“-Siegel. Die 1997 gegründete Non-Profit- und Multi-Stakeholder-Organisation besteht aktuell aus 22 Mitgliedsorganisationen, drei Produzentennetzwerken und 19 nationalen Teilorganisationen. Gerade in der Unübersichtlichkeit der verschiedenen Labels und der dahinterstehenden Zertifizierungsprozesse besteht ein Hauptkritikpunkt an der praktischen Ausgestaltung des fairen Handels. Was als „Fair Trade“ gilt, obliegt primär der Eigendefinition der jeweiligen Organisation. Wenngleich Fairtrade International das wohl bekannteste Label vergibt, handelt es sich hierbei eben nur um eine von vielen Organisationen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. 210 Im Zentrum der Bemühungen stehen zumeist Kleinbauern, die bei der Produktion und Vermarktung ihrer Produkte unterstützt werden sollen. Zudem wird die Abhängigkeit der Kleinbauern von Zwischenhändlern kritisiert. Alternativ sollen sich Kleinbauern zu Kooperativen zusammenschließen, um die Vorteile eines möglichst großen Warenvolumens ohne die wirtschaftliche Abhängigkeit von Zwischenhändlern nutzen zu können. Dabei entsprechen die einzelnen Aspekte des fairen Handels in Grundzügen den bereits skizzierten ökonomischen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsdimensionen (siehe Kapitel I.4). In ökonomischer Hinsicht wird etwa die Festsetzung eines Mindestpreises als entscheidende Maßnahme zur Planungssicherheit der Produzenten gesetzt. Dies ist insbesondere bedeutsam, da die landwirtschaftlichen Primärprodukte, die im Kontext des fairen Handels primär adressiert werden (z. B. Kaffee, Kakao, Bananen usw.), eine geringe Preiselastizität aufweisen. Hierbei hat eine Preisänderung kaum Auswirkungen auf die Nachfrage, zumal die Produkte auf dem Weltmarkt mitunter unter den Produktionskosten gehandelt werden. Hierbei kommt es auch zu Vorfinanzierungen durch die Organisationen des fairen Handels. In sozialer Hinsicht ist der faire Handel darum bemüht, Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern, was etwa das Engagement gegen Kinder- und Zwangsarbeit sowie die Implementierung von Antidiskriminierungs- und Merksatz Gleichstellungsmaßnahmen beinhaltet. 209 Vgl. ebd., S. 104 ff. 210 Vgl. ebd., S. 107 ff. 114 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung In ökologischer Hinsicht variiert das Engagement der einzelnen Organisationen mitunter beträchtlich. Dies kann von der Reduktion des Pestizideinsatzes über den Schutz von Wasserressourcen bis hin zur Merksatz Förderung von Bio-Produktionsweisen reichen. 211 Trotz der unterschiedlichen Maßnahmen der verschiedenen Organisationen entspricht das Konzept des fairen Handels in seinen Grundzügen den drei primären Nachhaltigkeitskategorien sowie den drei primären Verantwortungsbereichen der Konsumentenverantwortung. Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass die Verantwortungsdimension von Konsumenten zumeist geringere Beachtung erfährt als jene der Unternehmen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Zusammenfassung Nachhaltigkeitsdebatte kommen Konsumenten bzw. der Konsum selbst verstärkt in den Blick. Imke Schmidt schlägt vor, die zentrale Rolle von Konsumenten im marktwirtschaftlichen System anzuerkennen. Konsumenten tragen zusammen mit anderen Marktteilnehmern eine geteilte, auf die Zukunft gerichtete Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung. Auf der individuellen Ebene beruht diese Verantwortung auf den sozialen und ökologischen Schadenseffekten von Konsumenten und auf kollektiver Ebene auf deren Möglichkeiten, Marktstrukturen zusammen mit anderen Akteurinnen zu verändern. Damit können Konsumentinnen ihrer Verantwortung durch die Reduktion des eigenen Schadensbeitrags nachkommen sowie durch die Mitgestaltung von Strukturen und durch die Beschaffung von Information. Diese Verantwortungsbereiche müssen diskursiv konkretisiert und an individuelle Möglichkeiten angepasst werden, um Konsumenten weder zu über- noch zu unterfordern. Eine praktische und etablierte Praxis, individuelle und kollektive Konsumentenverantwortung zu verbinden, besteht gemäß ihrem Selbstverständnis in der sogenannten „Fair-Trade“-Bewegung. Entscheidend ist hierbei, dass das Konzept des „fairen“ Handels bzw. Fair Trade in doppelter Hinsicht gebraucht wird. Es bezeichnet aus theoretischer Perspektive verschiedene Konzeptionen des fairen Handels, die zum Teil auf verschiedenen Grundsatzpositionen aufbauen. Dabei können entweder altruistische Motive sowie die Kritik an entwicklungspolitischen Missständen im Vordergrund stehen, oder der faire Handel kann als Alternativmodell für jegliche Handelsaktivitäten angestrebt werden. Konzeptionell gibt es also keine gemeinsame Auffassung, welche Definition von „fair“ hier zugrunde gelegt wird. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff des fairen Handels bzw. 211 Vgl. Von Hauff/Claus, 2013, S. 92 ff. 115 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung Fair Trade aus praktischer Perspektive die Eigendefinitionen verschiedener Organisationen. Diese Eigendefinition unterteilt sich in verschiedene Organisationen und Zertifizierungen, entspricht jedoch grundsätzlich den drei Dimensionen ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. In ökonomischer Hinsicht wird etwa die Festsetzung eines Mindestpreises vorgenommen. In sozialer Hinsicht ist der faire Handel darum bemüht, Arbeitsbedingungen von Kleinbauern nachhaltig zu verbessern (was etwa das Engagement gegen Kinder- und Zwangsarbeit beinhaltet). In ökologischer Hinsicht beinhaltet das Engagement, je nach Organisation, etwa die Reduktion des Pestizideinsatzes oder den Schutz von Wasserressourcen. 4.5. Sustainable Development Goals und UN Global Compact Das gesamtgesellschaftliche Bemühen um nachhaltige und verantwortungs- volle Handlungsstrategien von Einzelpersonen und Unternehmen findet in vielfältigen Aktionsplänen, Positionspapieren und Initiativen seinen Aus- druck. Dabei stechen die von den Vereinten Nationen initiierten und mitge- tragenen Konzepte der sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs) aufgrund ihrer Reichweite und internationalen Akzeptanz klar heraus. Histo- risch gesehen können die SDGs als eine Weiterentwicklung bzw. Fortführung der sogenannten Millennium Development Goals (MDGs) betrachtet wer- den. Im Jahr 2000 hatten Vertreter von 189 Staaten im Zuge der sogenann- ten Millenniumskonferenz eine Erklärung hinsichtlich der zentralen Heraus- forderungen der Menschheit für das neue Jahrtausend unterzeichnet. Kon- kret wurden darin acht Entwicklungsziele genannt, die bis zum Jahr 2015 ge- löst werden sollen. Hierzu gehörte etwa die angestrebte Halbierung der weltweiten Anzahl an Menschen, die unter extremer Armut oder Hunger zu leiden haben, allen Kindern eine Basis bzw. Grundschulbildung zu ermögli- chen sowie die Kindersterblichkeit zu verringern und die Gesundheit von Müttern zu verbessern. Darüber hinaus sollte der Umweltschutz ausgebaut, die Übertragung von Infektionskrankheiten wie HIV wirksam bekämpft und eine globale Entwicklungspartnerschaft aufgebaut werden. Auch die Ge- schlechtergleichstellung sowie eine systematische Stärkung von Frauenrech- ten wurde als Millenniumsziel formuliert. 212 Dennoch wurden die ange- strebten Ziele nur teilweise und in unterschiedlichem Ausmaß erreicht. Das abschließende Fazit des damaligen UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon fällt 212 Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 2022 116 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung mit Verweis auf die weiterhin fortbestehende extreme Armut und Benach- teiligung von Frauen ernüchternd aus: „Alle noch so bemerkenswerten Erfolge können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ungleichheiten fortbestehen und die Fort- schritte ungleichmäßig waren. (…) Zurückblickend auf die Millenni- ums-Entwicklungsziele und mit Blick auf die kommenden fünfzehn Jahre steht außer Frage, dass wir unserer gemeinsamen Verantwor- tung gerecht werden können, die Armut zu beenden, niemanden zu- rückzulassen und eine Welt der Würde für alle zu schaffen.“ 213 Als Teil der sogenannten „Agenda 2030“ beschlossen 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen die Sustainable Development Goals, um die drän- gendsten Herausforderungen der Menschheit bis zum Jahr 2030 effektiv zu Merksatz adressieren. Dabei werden die globalen Ziele einer sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltigen Entwicklung in 17 gleichwertigen Zielen ausformu- liert. 214 Das erste Ziel widmet sich – wie schon zuvor im Kontext der MDGs – der globalen Armutsbekämpfung. Hierbei beziehen sich die Bemühungen der UN etwa auf besonders armutsgefährdete Regionen wie Afrika südlich der Sahara. Neben der extremen Armut sollen auch mit Ziel zwei Hunger und Unterernährung endgültig beendet werden. Ziel drei bezieht sich allgemein auf die Förderung der Gesundheit und konkret etwa auf eine Erhöhung der Lebenserwartung und Senkung der Mütter- und Kindersterblichkeit. Ziel vier befasst sich allgemein mit der Förderung von Bildung und sieht konkret etwa die Reduktion der globalen Analphabetenrate und einen gleichberechtigten Bildungszugang für Mädchen und Frauen vor. Diese Zielsetzung wird in Ziel fünf im Sinne einer umfassenden Geschlechtergleichheit nochmals explizit formuliert und um weitere Anwendungsbereiche, wie den Schutz vor häus- licher Gewalt oder den gleichberechtigten Zugang zum Gesundheitssystem ergänzt. Ziel sechs widmet sich dem globalen Zugang zu sauberem Trinkwas- ser und hygienischer Sanitärversorgung. Ziel sieben hat den globalen Zugang zu sauberer und nachhaltig produzierter Energie zum Thema. Ziel acht wid- met sich explizit der sozialen Nachhaltigkeit. Dieses Ziel fokussiert sich auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit. Das neunte Ziel schließt daran thematisch an, indem nachhaltige Industrie und Infrastruktur sowie Innovation vorangetrieben werden sollen. Ziel zehn de- finiert die Reduktion der Ungleichheit als zentral, sowohl innerhalb von Staa- ten und Gesellschaften als auch zwischen Staaten. Das elfte Ziel widmet sich dem nachhaltigen Siedlungs- und Städtebau und ist damit eng mit dem 213 Vereinte Nationen, 2015 214 Vgl. Bundeskanzleramt, 2022 117 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung zwölften Ziel von nachhaltigem Konsum und nachhaltiger Produktion ver- bunden. Auch dieses Ziel beinhaltet sowohl ökologische (z. B. die Reduktion des Ressourcenverbrauchs) als auch soziale (z. B. sozial inklusive Lieferket- ten) Dimensionen. Das dreizehnte Ziel erklärt die Reduktion von Treibhaus- gasen sowie die Implementierung wirkungsvoller Klimaschutzmaßnahmen zur globalen Priorität. Die Ziele vierzehn und fünfzehn widmen sich dem Schutz von Meeren, marinen Ökosystemen sowie Wäldern und Landökosys- temen. Ziel sechzehn widmet sich der Schaffung von Frieden und Gerechtig- keit sowie Zugang zu Justiz- und allgemein transparenten und rechenschafts- pflichtigen Systemen. Das letzte, siebzehnte Ziel, widmet sich der Schaffung von internationalen Partnerschaften zwischen privaten, staatlichen und zi- vilgesellschaftlichen Akteurinnen. 215 Vor diesem Hintergrund skizzieren die SDGs in ihrer Komplexität und ihren wechselseitigen Bezügen die Gesamt- heit nachhaltiger Entwicklung. Gleichzeitig stehen politische oder umwelt- bezogene Krisen der Zielerreichung oftmals entschieden entgegen. Der ak- tuelle UN-Generalsekretär António Guterres spricht 2022 im jährlichen SDG- Bericht der UN über die ernsthafte Gefährdung der Zielerreichung aufgrund der Covid-19-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine. Dabei gefährdet etwa die ungleiche Impfstoffverteilung die globale Bekämpfung der Pandemie, und Versorgungs- und Energieunsicherheit befördern die Emission von Treibhausgasen. Guterres sieht die multiplen globalen Krisen als bedeuten- des Hindernis der nachhaltigen Entwicklung: „Vor diesem Hintergrund erlebt die Welt derzeit die höchste Zahl von Konflikten seit der Gründung der Vereinten Nationen. (…) Die COVID- 19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben den dringend not- wendigen Übergang zu einem grüneren Wirtschaften weiter verzö- gert. (…) Mehr Mittel für den Ausbau der Dateninfrastruktur sind ge- boten, um Investitionen jetzt effizient und zielgenau auszurichten, den künftigen Bedarf frühzeitig zu erkennen, zu verhindern, dass Kri- sen sich zu offenen Konflikten ausweiten und die Schritte zu planen, die zur Verwirklichung der Agenda 2030 dringend erforderlich sind.“ 216 Eine wesentliche Plattform zur Umsetzung der SDGs wurde im Jahr 2000 mit dem sogenannten globalen Pakt der Vereinten Nationen (englisch: UN Glo- bal Compact) geschaffen. Auf Initiative des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan wurde der UN Global Compact als globales Netzwerk von Unter- nehmen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und der UN ins Leben geru- fen. 217 22 Jahre nach seiner Gründung haben über 12.000 Unternehmen in 215 Vgl. Vereinte Nationen, 2022a 216 Vereinte Nationen, 2022b 217 Vgl. Clausen, 2009, S. 213 ff. 118 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung über 160 Staaten und rund 3.000 zivilgesellschaftlich bzw. nicht-wirtschaft- liche Teilnehmer den Global Compact unterzeichnet. Darüber hinaus haben sich über 60 lokale bzw. nationale Netzwerke (z. B. das UN Global Compact Netzwerk Deutschland, Global Compact Network Austria usw.) gebildet. Das gemeinsame Ziel aller Teilnehmenden wird in 10 universellen Prinzipien so- wie der allgemeinen Umsetzung und Förderung der 17 SDGs formuliert. Die Prinzipien können zu vier größeren thematischen Gruppen hinsichtlich der Unternehmensverantwortung gegliedert werden. Hierzu zählen der Schutz von Menschenrechten, die Einhaltung von Arbeitsstandards (etwa durch Ab- schaffung von Zwangs- oder Kinderarbeit), Umweltschutz (etwa durch die vermehrte Entwicklung umweltfreundlicher Technologien) sowie die globale Korruptionsbekämpfung, an der Unternehmen aktiv mitwirken sollen. 218 Ein häufig genannter Kritikpunkt im Hinblick auf die SDGs im Allgemeinen und den Global Compact im Besonderen besteht im rechtlich nicht bindenden Konzept der (unternehmerischen) Selbstverpflichtung. Der Global Compact sieht zwar ein verbindliches jährliches Reporting der Unternehmen an Sta- keholder und Vertreter der Zivilgesellschaft vor, jedoch können bei Nichter- füllung keine Sanktionen gesetzt werden. Auch eine (empirische) Überprü- fung der angeblich erzielten Fortschritte findet seitens der UN nicht statt. Als einzige Sanktionsmöglichkeit ist der Ausschluss aus dem Global Compact bei zweimaliger Nichterfüllung der Berichtspflicht vorgesehen. 219 Dabei gilt es jedoch, aus Sicht der UN die Vorteile und Nachteile einer auf Freiwilligkeit basierenden Initiative sorgfältig abzuwägen. Hierzu die Unternehmensethi- kerin Andrea Clausen: „Mit der unzureichenden Kontrolle geht die Kritik einher, dass der Global Compact als PR-Instrument missbraucht wird. (…) Die man- gelnde Kontrollmöglichkeit ist freilich nicht einfach ein Konstrukti- onsfehler seitens der Vereinten Nationen. Diese haben sich bewusst für ein niederschwelliges Instrument entschieden, eine Richtlinie mit recht allgemein formulierten Prinzipien, die auf freiwilliger Basis be- folgt werden. Denn je konkreter die festgelegten Normen, desto we- niger können sie als global gültig bezeichnet werden. (…) Und je hö- her die Latte in Form drohender Sanktion gehängt wird, desto weni- ger Unternehmen werden dem Global Compact beitreten.“ 220 Clausen zufolge gehe es der UN nicht darum, einen exklusiven Klub an Un- ternehmen zu gründen, sondern vielmehr breitenwirksam ein globales Netz- werk aufzubauen und über öffentlich kommunizierte Positivbeispiele An- reize für die beteiligten Unternehmen zu schaffen. Weder die SDGs noch der 218 Vgl. UN Global Compact, 2022 219 Vgl. ebd. 220 Clausen, 2009, S. 215 119 Gesellschaftliche und soziale Verantwortung UN Global Compact können oder sollen rechtlich verpflichtende Instru- mente (etwa auf EU-Ebene oder in der nationalen Gesetzgebung) erset- zen. 221 Vielmehr sollen globale Herausforderungen benannt und gemeinsam adressiert werden. Zusammenfassend konnte gezeigt werden, dass die Sustainable Development Goals (SDGs) auf UN-Ebene einen bedeutenden Rahmen für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln darstellen. Die SDGs Zusammenfassung formulieren 17 globale Ziele für nachhaltige Entwicklung in den Bereichen soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit. Zur Umsetzung dieser SDGs im Unternehmenskontext wurde der sogenannte UN Global Compact geschaffen. Auf Initiative des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan wurde der UN Global Compact als globales Netzwerk von Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und der UN ins Leben gerufen. Das gemeinsame Ziel aller Teilnehmenden wird in 10 universellen Prinzipien sowie der allgemeinen Umsetzung und Förderung der 17 SDGs formuliert. Die Prinzipien können in die Themen Schutz von Menschenrechten, Einhaltung von Arbeitsstandards, Umweltschutz und globale Korruptionsbekämpfung eingeteilt werden. Während Kritiker die mangelnde rechtliche Verbindlichkeit und fehlende Sanktionsmöglichkeit des Global Compact betonen, kann gerade darin auch ein niederschwelliger Zugang zur unternehmerischen Umsetzung und Förderung der SDGs gesehen werden. Dabei erhebt der Global Compact explizit nicht den Anspruch, rechtlich bindende Regelungen zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung zu ersetzen. Vielmehr sollen die auf Freiwilligkeit gegründeten Netzwerke von Unternehmen und Zivilgesellschaft zu verstärkter Innovation führen und einen positiven Anreiz für verantwortungsvolle Unternehmenspolitik liefern. 10. Reflexionsfrage: Reflektieren Sie die Bedeutung der UN Sustainable De- velopment Goals (SDG) und des UN Global Compact im Kontext sozial, öko- Übung logisch und ökonomisch verantwortlicher Unternehmenspolitik. 221 Vgl. UN Global Compact, 2022 120